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Sand & Klinge: Die Legende der Roten Wüste 2
Sand & Klinge: Die Legende der Roten Wüste 2
Sand & Klinge: Die Legende der Roten Wüste 2
eBook482 Seiten8 Stunden

Sand & Klinge: Die Legende der Roten Wüste 2

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Über dieses E-Book

Ylas – eine ehrwürdige Stadt, mitten in der Roten Wüste. Geheimnisumwobene Mauern und tiefe Katakomben bilden das Fundament düsterer Geschichten, die von Oase zu Oase getragen werden.

Der Liebe wegen kehrt Quiro seiner Heimat Zarbahan den Rücken. Das Verlöbnis mit Prinzessin Arazin ist mehr als eine Herzensentscheidung, denn es soll den Frieden zwischen den zwei verfeindeten Wüstenstädten sichern. Doch der Weg in eine gemeinsame Zukunft ist voller Hindernisse: Während Arazin um den Respekt ihrer zerstrittenen Familie kämpft, muss Quiro feststellen, dass in Ylas rauere Gesetze gelten als in Zarbahan. Seine Sandmagie wird verachtet, seine Schlagfertigkeit nur müde belächelt und seine Beziehung zu Arazin droht unter dem Druck zu zerbrechen. Als schließlich uralte Mächte aus den Eingeweiden der Stadt hervorbrechen, und Arazins Leben in Gefahr gerät, muss Quiro beweisen, wozu er fähig ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum11. Sept. 2019
ISBN9783903296138
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    Buchvorschau

    Sand & Klinge - Elea Brandt

    Ylas

    KAPITEL 1

    Der Abschied

    Atemlos starrte Quiro die kahle Mauer hinunter.

    Scheiße, ist das hoch! Das Herz hämmerte ihm in der Kehle. Seine Füße baumelten in der Luft, viele Meter über dem Boden. Es gab kaum Vorsprünge, keine Erker, und die Trittmöglichkeiten in den Fugen waren nicht so breit, wie er gehofft hatte.

    Was für eine saublöde Idee.

    Quiro hob den Kopf, um hinauf zum klaren Nachthimmel zu sehen. Sterne funkelten über ihm wie zahllose Diamanten, und der bleiche, annähernd volle Mond spiegelte sich in den schimmernden Kuppeln und Zwiebeltürmen der Stadt. Zarbahan war wunderschön bei Nacht. Ruhig, besinnlich, erhaben. Und er thronte über ihren Dächern wie ein Raubvogel auf Beutezug.

    Er atmete langsam aus, lockerte seine Glieder und ließ den Blick in die Ferne schweifen bis hin zu den Dünen der Roten Wüste, die sich im Dunkel der Nacht verloren und schwarze Wellen an den Horizont zeichneten.

    Quiro seufzte. Der malerische Ausblick war nicht der Grund, warum er hier war. Er musste einen Weg nach unten finden. Nervös schielte er noch einmal die nackte Mauer hinunter. Sie war unregelmäßig, immer wieder von leicht hervorstehenden Steinquadern und Zierbalken durchsetzt, die verschiedene Wappen und Symbole trugen. Quiro schloss die Augen, holte tief Luft und öffnete sie. Hilft ja doch nichts.

    Vorsichtig trat er auf einen Vorsprung und ließ sich hinuntergleiten. Seine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt. Ruhig Blut, Junge. Du kannst das. Nur keine Panik!

    Er spähte zum nächsten Vorsprung, presste den Rücken gegen die Mauer und zog sich hinüber. Geschafft! Für einen angsterfüllten Moment geriet er ins Straucheln, doch er fand seine Balance und wischte sich zitternd den Schweiß von der Stirn. Kurz gönnte er sich eine Pause, bis er wieder zu Atem gekommen war, schickte ein Stoßgebet zur gütigen Nisad und trat dann auf einen der Zierbalken.

    Behutsam balancierte er darauf nach rechts, setzte einen Fuß neben den anderen, die Arme ausgebreitet und die Zunge zwischen den Lippen. Ganz vorsichtig. Nur nicht hektisch werden. Er erreichte den nächsten Vorsprung, sprang eine Etage tiefer. Verdammt, hier ist Schluss. Die Trittstufe war deutlich weiter entfernt, als Quiro von oben vermutet hatte.

    Fluchend schielte er nach unten. Nein, viel zu tief, er würde sich alle Knochen brechen. Also doch improvisieren. Wozu hatte er denn geübt? Er presste die Finger gegen die Mauer und kniff die Lippen zusammen. Einatmen. Ausatmen. Er horchte in sich hinein, spürte die Energie, die ihn durchströmte. Ein blaues Leuchten umfing seine Hände, sprang auf die Mauern über und erfasste den Sandstein, der sich unter seinen Fingern warm und vertraut anfühlte.

    Quiro fokussierte sich auf sein Ziel. Er brauchte nur eine kleine Mulde, eine leichte Vertiefung, breit genug für seine Füße. Ein Zittern ging durch die Mauer und Quiro grub hektisch die Finger in die Fugen, um nicht zu fallen.

    Er presste sich gegen die Wand und hielt die Konzentration aufrecht, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Das blaue Glimmen kroch über den Stein, verlieh Quiro eine Ahnung von Macht. Bei Brâls brennendem Bart, es funktioniert!

    Vermutlich war die leuchtende Aura in der ganzen Stadt zu sehen, aber das war ihm egal. Malmend gab die Mauer nach, vibrierte, zitterte und endlich zeichnete sich eine Fuge darin ab, breit genug, um hineinzutreten. Quiro holte tief Luft, löste seine Konzentration und ließ die Magie in die Nacht entströmen. Das blaue Flirren wurde schwächer, zog sich nur noch wie ein diffuses Glühen über den Stein. Quiro überbrückte die nächste Lücke, landete auf einem weiteren Vorsprung und vernahm plötzlich ein dröhnendes Knirschen hinter sich.

    Erschrocken warf er einen Blick über die Schulter. Ein tiefer Riss zog sich durch das Mauerwerk und kroch langsam nach oben, Staub rieselte zu Boden.

    Ups.

    Stück für Stück hangelte Quiro sich nach unten, die letzten Meter waren einfach, und landete mit einem dumpfen Geräusch im Sand. Er stolperte, sein Knie knallte auf den Boden, doch er unterdrückte den Schmerzensschrei. Ha! Er war unten! Quasi unversehrt.

    Hastig warf er einen Blick hinauf. Die Mauer hatte wirklich schon besser ausgesehen. Überall taten sich kleine Risse auf und Sprünge klafften zwischen den Steinquadern. Staubwolken stoben in den Nachthimmel. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, seine Fähigkeiten an verbauten Sandsteinblöcken auszuprobieren. Nun ja, hinterher war man immer schlauer. Er rappelte sich auf, dehnte sein schmerzendes Knie und hastete in die nächste Gasse. Der Lärm hatte vermutlich die gesamte Palastwache auf den Plan gerufen, und deren lästige Fragen hatte Quiro eigentlich vermeiden wollen.

    Er bog um eine Ecke und entfernte sich von der lädierten Mauer, als ihn eine laute Stimme zusammenzucken ließ. „He! Wer ist da?"

    Lichtschein traf Quiro unvermittelt im Gesicht und er kniff die Augen zusammen. Eine massige Gestalt walzte sich in seine Richtung, die Laterne in der einen, den Säbel drohend in der anderen Hand.

    „Stehenbleiben!, donnerte eine vertraute Stimme. „Im Namen des … Kurz herrschte Stille, dann folgte ein Ungläubiges: „Hoheit?"

    Quiro grinste. „Guten Abend, Hauptmann."

    Shazaras’ rotes, kantiges Gesicht tauchte im Licht der Laterne auf. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und beugte ein Knie. „Ich hatte keine Ahnung, Erhabenheit, dass Ihr …" Erst jetzt löste er sich aus seiner devoten Haltung, sah Quiro an und seine Miene verfinsterte sich. Offenbar hatte er erkannt, dass er eindeutig nicht den Schah von Zarbahan vor sich hatte. „Da brat mir doch einer ein Kamel! Was bei Brâl und Nisad treibst du hier?"

    „Besorgungen, erwiderte Quiro vielsagend. „Die frische Nachtluft genießen, so was eben. Ganz harmlos, ehrlich. Wollt Ihr nicht auf Euren Posten zurückgehen? Hm?

    Shazaras’ Augenbrauen wanderten nach oben und gruben tiefe Falten in sein wulstiges Gesicht. „Besorgungen, he?, donnerte er spöttisch, sodass Quiro die Ohren klingelten. „Um die Uhrzeit?

    „Genau, erwiderte Quiro hastig und vollführte eine große Geste, um Shazaras vom Riss in der Mauer abzulenken. „Ah, und wenn Ihr vielleicht etwas leiser …? Nachtruhe, Ihr versteht?

    Der Hauptmann räusperte sich verlegen, dann straffte er sich und verlieh seiner Stimme einen harten, befehlsgewohnten Tonfall. „Seine Majestät, der Schah, wünscht, dass die Tore bei Nacht geschlossen bleiben. Wer den Palast nach Sonnenuntergang verlässt …"

    „Ja, ich weiß, unterbrach ihn Quiro genervt. „Warum, glaubt Ihr, würde ich sonst über die Mauern steigen? Flehend rang er die Hände. „Kommt schon, Hauptmann, ich will nur raus aus dem Palast, ein wenig frische Luft schnappen, versteht Ihr? Ich will keine dummen Fragen beantworten müssen, keine Leibwächter, die mir den Hintern abwischen, keine Hofschranzen, die mir hinterher dackeln … Ich will einfach nur ein paar Stunden meine Ruhe. Ich verspreche Euch, ich bin vor Sonnenaufgang zurück."

    Die Augenbrauen des Hauptmanns blieben, wo sie waren, und warfen Schatten auf sein Gesicht. „Was sagt denn deine Liebste dazu, hm?"

    „Ähm, nicht viel? Quiro seufzte und setzte den überzeugendsten Hundeblick auf, den er darbieten konnte. „Bitte, Hauptmann, nur ein paar Stunden! Ich mach keinen Ärger, versprochen. Ich trink auch ein Bier auf Euer Wohl, wenn’s Euch hilft. Oder einen Feigenschnaps.

    Shazaras schwieg, doch am Ende huschte ein Grinsen über sein Gesicht und er steckte den Säbel in die Scheide zurück. „Meinetwegen, hau ab. Aber lass dich bloß nicht erwischen, klar? Geht immerhin auch um meine Ehre."

    „Eure Ehre, erwiderte Quiro und salutierte beschwingt, „steht außer Frage, Sahib. Ich geb’ Euch mal einen aus dafür. Oder zwei.

    „Jetzt hau schon ab."

    Als Quiro in der nächsten Seitengasse verschwand, glaubte er, Shazaras noch etwas wie Lausebengel murmeln zu hören, doch der Schein seiner Laterne entfernte sich langsam. Pfeifend atmete Quiro aus. Ein Glück, dass es Shazaras gewesen war und keiner von diesen übereifrigen jungen Haudraufs, die sofort Alarm geschlagen hätten. Ironisch genug, dass er sich wie ein Verbrecher über die Mauer davonstehlen musste, um ein paar Stunden ungestört zu sein. Innerhalb des Palasts war ihm das ja nicht vergönnt.

    Als Bruder des Schahs stand er ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit, alle wollten seine beste Freundin oder sein Vertrauter sein, erteilten ihm kluge Ratschläge oder lästerten heimlich hinter seinem Rücken. Der Gedanke, diesem Trubel für eine Nacht zu entfliehen, war unheimlich befreiend.

    Seufzend warf Quiro einen Blick zurück zu den hohen Mauern, während sich vor ihm die vertrauten Gassen erstreckten, die er in seiner Kindheit und Jugend lieben gelernt hatte. Egal, wie viel Zeit er im Palast verbrachte, er würde nie wirklich dorthin gehören. Er war ein Kind der Straße - und brâlverdammt, darauf war er stolz. Er liebte den Sand unter seinen nackten Füßen, den Duft von Tabak, Gewürzen und Kamelmist, der den Basar durchzog, und er liebte sogar das tägliche Gedränge, Geschrei und Geblöke. Viel schöner als die unerträgliche Stille im Palast.

    Versonnen trottete Quiro die Straße hinunter. Nur einzelne Passanten kamen ihm entgegen, teils trittsicher, teils torkelnd, auf dem Weg ins nächste Tee- oder Freudenhaus. Intuitiv wich Quiro den Patrouillen aus, die scheppernd in seine Richtung marschierten, und musste über diesen Reflex lachen. Manche Gewohnheiten legte man nie ab. In seinem Herzen war er immer noch ein Taschendieb.

    Er wählte den kürzesten Weg zum Hafenviertel, wo der Nisad wie schwarzes Glas im Mondlicht glänzte. Der Anblick ließ Quiro für einen Moment innehalten und er genoss schweigend das Bild, das sich ihm bot. Stumm tanzten Schiffe auf der Oberfläche, die Segel gerafft, wie Schmetterlinge, die ihre Flügel zusammenzogen. Kaum merklich wippten sie auf den Wellen und knarzten leise im Wind, der den roten Sand der Wüste herübertrug.

    Bekannte Straßen und vertraute Gerüche zogen Quiros Brust in einer Mischung aus Vorfreude und Beklommenheit zusammen. Er war nur wenige Wochen fort gewesen, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. So viel hatte sich verändert. Und noch viel mehr würde sich bald verändern.

    Die Stimmen aus den Tavernen wurden lauter, Fackelschein beleuchtete die Straßen und endlich erreichte Quiro sein Ziel. Eine kleine, heruntergekommene Schenke direkt am Hafen, aus der ihm eine wohlbekannte Mischung aus Schnapsdünsten, Schweiß und schalem Bier entgegenschlug. Er grüßte das debil drein glotzende Kamel, das ihn vom hölzernen Schild der Taverne aus anstarrte, und schob dann die Stoffbahnen vor der Eingangstür zur Seite.

    Der Schankraum im Betrunkenen Kamel war gut gefüllt, was Quiro jedes Mal aufs Neue verblüffte. Der Wirt war unflätig und mürrisch, das Bier schal und der Schnaps schmeckte wie Kamelpisse, doch Jolas schaffte es trotzdem, den Laden am Laufen zu halten. Eigentlich eine Sauerei - aber aus Gründen der Nostalgie hatten es Quiro und seine Freunde nie geschafft, sich eine andere Stammkneipe zu suchen. Wenigstens war es hier billig. Und niemand stellte unnötige Fragen.

    Quiro zog die Kapuze seines Umhangs tiefer in die Stirn und sah sich im diesigen Schankraum um. Der saure Gestank von Schweiß und Alkohol biss ihm in der Nase. Die Menschen im Palast waren immer parfümiert und es duftete überall nach Jasmin und Rosen. Er war wirklich nichts mehr gewöhnt.

    Hinter dem Tresen schenkte der fette Jolas Bier in Holzbecher, und allein die wenigen Schritte zum nächsten Tisch ließen ihn schnaufen wie einen greisen Wasserbüffel. Seine dicken Halsfalten wippten auf und ab, als er zurück watschelte, und unter seinem schütteren schwarzen Haar glänzte der Schweiß.

    Quiro musste grinsen. Wieder zu Hause.

    Die üblichen Gestalten hingen über dem Tresen, den Kopf neben dem Weinkrug, andere starrten verbissen auf ihre Spielkarten oder feuerten zwei Knallköpfe an, vor denen sich bereits eine gefährliche Menge Schnapsgläser auftürmte. Quiro seufzte. Einer der Knallköpfe kam ihm ziemlich bekannt vor.

    „Komm schon, Flecki, einen schaffst du noch!"

    Barush stieß einen ausgesprochen mächtigen Rülpser aus und starrte mit glasigem Blick auf die Schnapsflasche neben sich. Sein Kontrahent, ein stämmiger, braun gebrannter Kerl, den Quiro für einen Hafenarbeiter hielt, schielte nicht weniger und kämpfte gegen das Gewicht seines Kopfes, den es immer wieder gefährlich Richtung Tischplatte zog.

    „Nenn mischnisch Flecki", lallte Barush und reckte die Faust in Richtung des schlanken, schwarz gelockten Mannes neben ihm. Trotz seiner Masse sah es wenig bedrohlich aus.

    „Ja, ja. Farzam klopfte ihm auf die Schulter. „Na los, einer geht noch! Schau dir das halbe Hemd an, der kippt ja gleich vom Stuhl.

    Quiro suchte sich eine gute Position, um das Schauspiel aus angemessener Entfernung zu beobachten, und lehnte sich lässig mit verschränkten Armen gegen eine Säule. Als Sarish, der Schankknecht, an ihm vorbeieilte, stibitzte er sich einen Becher vom Tablett und nahm einen Schluck. Es schauderte ihn und er spuckte demonstrativ auf den Boden. Grässliche Plörre - der samtig-weiche Dattelwein im Palast hatte offensichtlich seinen Gaumen geschärft. Unglaublich, dass er dieses Gesöff jemals getrunken hatte.

    Farzam schenkte den beiden Duellanten derweil aus einer schweren Tonflasche neuen Schnaps ein. Quiro ahnte bereits, worauf das Ganze hinauslaufen würde, und verkniff sich ein Grinsen.

    „Und die nächste Runde!, verkündete Farzam mit seiner besten Marktschreierstimme und klatschte in die Hände. „Auf drei. Eins - zwei - runter damit!

    Unter dem Johlen der Zuschauer leerten Barush und sein Kontrahent ihre Gläser. Barush stieß ein Keuchen aus, ehe er das umgedrehte Schnapsglas demonstrativ auf die Tischplatte knallte, wo es sich zu den sieben anderen gesellte. Sein Gegner sah weniger souverän aus. Die Hälfte vom Feigenschnaps rann ihm übers Kinn auf das fleckige Hemd, er verdrehte die Augen, fuchtelte mit dem Glas in der Hand herum und klatschte schließlich mit dem Gesicht voran auf die Tischplatte. Der Becher fiel zu Boden.

    „Sieg durch Aufgabe!, brüllte Farzam triumphierend und riss Barushs Faust nach oben, als hätte er einen Ringkampf gewonnen. „Ein dreifaches Hurra für den Gewinner!

    Verärgertes Murren mischte sich mit zufriedenem Grinsen, während Farzam diensteifrig die Wettgewinne einstrich und die Schnapsflasche in seine Tasche gleiten ließ. Wie erwartet blieben wesentlich mehr Münzen in seinem Beutel zurück, als er verteilte. Farzam war ja nicht blöd. Und vor allem ging er kein Risiko ein.

    „Danke, danke, vielen Dank! Er verneigte sich beschwingt und klopfte dem schnarchenden Arbeiter auf die Schulter. „Tapfer geschlagen, mein Freund. Jolas, gib dem guten Mann doch einen Eimer Wasser aus. Geht auf mich.

    Noch ehe der Wirt seiner Aufforderung Folge leisten konnte, hatten ein Mann und eine Frau den Betrunkenen zwischen sich genommen und schleppten ihn nach draußen. Farzam half derweil Barush auf die Beine und wäre um ein Haar unter dessen Gewicht eingeknickt.

    „Bei Brâls Eiern, stieß er hervor, während er seinen Freund hochhievte. „Bisschen weniger Honiggebäck täte dir auch ganz gut, was? Komm schon, Flecki, hilf mal mit.

    „Nenn ihn nicht Flecki, kommentierte Quiro, legte sich Barushs linken Arm über die Schulter und grinste Farzam an. „Weißt du doch.

    Farzams Miene hellte sich schlagartig auf. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus und zog die Fältchen um seine dunklen Augen nach. „Sieh an. Hoher Besuch zu später Stunde?"

    „Die schönsten Gäste kommen immer zuletzt, erklärte Quiro. „Stammplatz?

    Farzam nickte und mit vereinten Kräften zerrten sie Barush durch den Schankraum bis zu einem Tisch in einer dunklen Nische, die von den Blicken der restlichen Gäste gut abgeschirmt war. Eine Öllampe spendete schummriges Licht und aus der Küche wehten Fettdünste herüber, doch wenigstens war man ungestört.

    Kaum hatten sie Barush auf einen Sitz verfrachtet, fand sich Quiro in einer heftigen Umarmung wieder. Er stieß ein Keuchen aus, so sehr presste Farzam ihn gegen seine Brust. „Ist ja gut, japste er. „Du brichst mir die Rippen!

    Farzam ließ ihn los, die Hände aber immer noch auf seinen Schultern. „Mann, stieß er hervor und musterte Quiro eindringlich, „du warst ewig nicht mehr hier! Ewig! Wir dachten schon …

    „Genau!, mischte sich Barush vorwurfsvoll von der Seite ein. Auf einmal lallte er kein bisschen mehr. „Wir haben uns Sorgen gemacht. Zuerst. Und dann dachten wir, du willst nichts mehr von uns wissen, jetzt, wo du im Palast wohnst und das Leben eines reichen Pinkels führst.

    „Unsinn, erwiderte Quiro und spürte ein unangenehmes Stechen in seiner Magengegend. Es war wirklich nicht anständig gewesen, seine Freunde so lange hängen zu lassen. Wenigstens eine Nachricht hätte er ja mal … Na ja, egal. Was half es, über verschüttete Kamelmilch zu klagen. „Ich hatte einfach, ähm, viel um die Ohren, und …

    „Denk ich mir, brummte Farzam, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und verschränkte trotzig die Arme. Der Münzbeutel an seinem Gürtel klimperte dabei verheißungsvoll. „Ich wette, es hatte zwei hübsche Titten und einen knackigen Arsch.

    Quiro grinste ertappt und zuckte die Schultern. „Nein, also … Na ja, schon, aber …"

    „Wir hatten eine Abmachung, protestierte Barush. „Weißt du nicht mehr? Wir …

    „Ja, erwiderte Quiro gedehnt und knetete seine Finger im Schoß. „Kein Mädel zwischen uns, ich weiß. Und kein Kerl, fügte er in Farzams Richtung hinzu. „Aber Arazin, das ist … nicht so was. Sie ist … Er rang nach Worten und ließ dann die Arme sinken. „Keine Ahnung. Ich weiß, ich hätte mich früher melden müssen, aber das war alles so viel auf einmal. Der Palast und mein Bruder und Arazin und die Verlobung …

    „Verlobung? Farzam riss die Augen auf. „Du wirst sie heiraten? Die Prinzessin? Du?

    „Und?, gab Quiro beleidigt zurück. „Denkst du, ich tauge dafür nicht, oder was? Ich bin der verdammte Prinz von Zarbahan, schon vergessen?

    Farzam starrte ihn immer noch aus aufgerissenen Augen an, dann stieß er ein Lachen aus. „Unfassbar, murmelte er kopfschüttelnd. „Der Dieb heiratet die Prinzessin. Klingt wie ein bescheuertes Märchen.

    Quiro grinste. „Stimmt."

    „Du wirst echt heiraten? Barush starrte ihn immer noch fassungslos an und sah dabei ziemlich dämlich aus. „Bist du dir da sicher?

    Quiro nickte mit Nachdruck und ein versonnenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Arazin ist umwerfend. Ich wär ein Kamelfurz, wenn ich sie nicht heiraten würde."

    „Du wirst uns aber einladen, oder?, fragte Barush und reckte das Kinn vor. „Ehrlich, das ist das Mindeste. Ich war noch nie auf so einer Hochzeit. Also, von reichen Leuten. Mann, was es da wohl zu essen gibt?

    Quiro seufzte, kaute auf der Innenseite seiner Wange und ignorierte Barushs Schwärmereien über gebratene Lammrippchen und Grießkuchen mit Rosenwasser. Es wurde Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken. „Na ja, Jungs, es ist so … Er atmete tief durch und beschloss, es in einem Satz auszusprechen, ehe ihn der Mut verließ. „Wisst ihr, ich … ich werde Zarbahan verlassen.

    Stille schlug Quiro entgegen. Zwei Augenpaare starrten ihn entsetzt an.

    „Du wirst … was?" Farzams Stimme klang einige Nuancen höher. „Verarsch uns nicht!"

    Quiro starrte konzentriert auf die verschmierte Tischplatte und das Brandloch darauf, als gäbe es nichts Interessanteres. Gerade sehnte er sich nach einem Schluck Schnaps, auch wenn es Jolas’ Plörre war. „Na ja, wisst ihr, Arazin ist die Prinzessin von Ylas, vielleicht sogar die Thronfolgerin. Ihr Vater sagt, er stimmt der Hochzeit zu, aber nur, wenn er mich vorher kennenlernt. Also …"

    „Du gehst nach Ylas? Farzams Stimme quietschte regelrecht. „Weißt du, wo das liegt? Das ist mitten in der Roten Wüste! Da ist gar nichts! Nur Sand!

    „Hm", brummte Quiro und zuckte mit den Schultern.

    „Du gehörst da nicht hin, Quiro, beschwor ihn Barush und legte ihm die Hand auf den Arm. „Du gehörst hierher nach Zarbahan. Zu uns. Nicht in irgendeinen beschissenen Palast.

    „Genau, bekräftigte Farzam. „Was ist mit uns? Wir sind am Arsch ohne dich!

    „Blödsinn, erwiderte Quiro und versuchte erfolglos, den Kloß in seiner Kehle hinunterzuschlucken. „Ihr kommt doch gut allein klar.

    „Nen Scheiß tun wir!", schrie Farzam und sprang so abrupt auf, dass Quiro erschrocken zusammenzuckte. Es beunruhigte ihn, auf Farzams Miene keinen Anflug eines Lächelns zu sehen, denn sein Freund lächelte immer - außer, es war ihm todernst. „Schau uns doch an! Hafenarbeiter beim Saufduell abziehen, mehr kriegen wir nicht gebacken. Du hattest immer die guten Ideen."

    „Ach was! Quiro winkte ab, obwohl ihm Farzams Worte schmeichelten. „Ihr seid doch keine Halbstarken mehr. Außerdem find ich die Zweikammernflasche immer noch gut. Er grinste. „War ja auch meine Idee."

    „Siehst du? Frustriert sank Farzam auf seinen Stuhl zurück und seine Stimme nahm einen flehenden Tonfall an. „Quiro, du kannst nicht einfach abhauen. Du gehörst hierher. Nach Zarbahan. Zu Gaunern wie uns.

    Seufzend lehnte sich Quiro nach vorne und legte seinem Freund den Arm um die Schulter. „Farz, das fällt mir auch nicht leicht, glaub mir. Aber Arazin ist das Beste, was mir je passiert ist, und na ja … Er zuckte mit den Achseln. „Mein Bruder hat nur für mich auf ihre Hand verzichtet. Ich kann das nicht ausschlagen. Und ich will es auch nicht.

    „Und was ist mit uns?, jammerte Farzam. „Da kommt irgend so eine dumme Ziege aus der Wüste und schon vergisst du deine Freunde?

    „He, pass auf, was du sagst, knurrte Quiro und winkte nun doch Sarish, den Schankknecht herüber, um Bier für alle zu bestellen. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass er seinen Freunden etwas schuldig war. „Ich würde euch nie vergessen, aber die Dinge haben sich einfach geändert. Ehrlich, Jungs, wie habt ihr euch das vorgestellt? Wollt ihr bis ins hohe Alter von der Hand in den Mund leben, von Diebstählen, Hütchenspiel und dem ganzen Kram? Ich hab' das für meine Mutter getan, weil ich das Geld brauchte, um uns über Wasser zu halten, aber jetzt … Er ließ die Schultern sinken und starrte auf seinen Handrücken. „Ohne sie ist es nicht mehr dasselbe."

    Schweigen hing zwischen ihnen und Farzam kaute auf seiner Unterlippe. Ein sehnsüchtiges Flackern trat in seine Augen. „Haben wir irgendeine Chance, dich umzustimmen?"

    Quiro hob einen Mundwinkel und schüttelte den Kopf. „Nein, ich fürchte nicht."

    „Du wirst uns fehlen, murmelte Barush weinerlich. „Ehrlich. Sehr sogar.

    Quiros Zunge war schwer und ein nagendes Gefühl machte sich in seinem Körper breit. Farzam und Barush begleiteten ihn schon seit so vielen Jahren, er konnte sich ein Leben ohne die beiden Chaoten gar nicht vorstellen. Verdammt, wie viel Mist sie zusammen durchgestanden hatten, das ging auf keine Kamelhaut. Der Gedanke, jetzt Abschied nehmen zu müssen, schmerzte ihn mehr als alles andere. Doch das Leben floss weiter, und manchmal nahm es seltsame Wege. Ganz besonders in den letzten Wochen.

    „Ihr werdet mir auch fehlen, murmelte er mit belegter Stimme und war dankbar für das Bier, das Sarish ihnen hinstellte. Er umklammerte den Krug und prostete seinen Freunden verhalten zu. „Auf euch, Jungs. Und auf die tolle Zeit, die wir hatten.

    „Sag das nicht, brummte Barush unzufrieden und würdigte sein Bier keines Blickes. Ein klares Zeichen dafür, wie ernst die Lage war. „Das klingt, als würdest du sterben.

    „Schlimmer, maulte Farzam. „Er verlässt uns für 'ne Frau.

    „Sei keine Diva, Farz! Quiro knuffte ihn von der Seite mit dem Ellbogen. „Du hast Barush und mich schon hundertmal für einen Typen sitzen lassen, und hab ich jemals gejammert?

    „Ja, knurrte Farzam und nippte an seinem Bier, „ständig. Außerdem war das was Anderes. Ich bin ja nicht mit einem Kerl in die götterverdammte Wüste abgehauen.

    „Scheiße, Farz, sei nicht ungerecht! Quiro spürte eine dumpfe, malmende Wut in sich aufsteigen, gepaart mit einem Schuss Verzweiflung. Verdammt, wieso mussten es ihm diese Schafsköpfe so schwer machen? Dachten sie vielleicht, er ginge gerne? Die Vorstellung, die vertrauten Straßen von Zarbahan hinter sich zu lassen, drehte ihm regelrecht den Magen um, und Farzam vorwurfsvoller Blick verschlimmerte alles noch. „Ich hab’s Arazin versprochen, und dass ihr Vater bereit ist, uns eine Chance zu geben, ist viel wert, verstehst du? Er kennt mich ja gar nicht.

    „Eben, erwiderte Farzam, „du kennst ihn auch nicht! Und die Leute dort. Und die Stadt. Und …

    „Ich weiß!, platzte es aus Quiro heraus, viel lauter und heftiger als geplant. „Glaubst du, das wäre mir nicht klar? Er schnaubte und stemmte sich von seinem Stuhl hoch. „Weißt du was, Farz, ich brauch deine Erlaubnis nicht, und deine Vorwürfe kannst du dir auch sparen! Ich dachte, wir könnten noch 'nen schönen Abend verbringen, so wie in alten Zeiten. Aber wenn du nur vorhast, mir Beschuldigungen an den Kopf zu knallen, dann kannst du …"

    „Schluss jetzt!, brummte Barush und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Reißt euch zusammen, klar?

    Die beiden sahen sich einen Moment lang tief in die Augen, dann senkten sie reumütig den Blick. „Tut mir leid, murmelte Farzam und starrte auf seine Schuhspitzen. „Es ist nur … weil …

    „Ich weiß. Quiro versuchte sich an einem Lächeln. „Ihr werdet mir auch schrecklich fehlen. Und es fühlt sich richtig scheiße an, gehen zu müssen.

    „Eh, ihr Turteltäubchen! Die schnarrende Stimme ließ Quiro herumfahren und er blickte direkt in das speckige Gesicht von Jolas, an dessen wulstigen Lippen ein Grinsen zerrte. „Sperrstunde, packt zusammen. Und zahlt gefälligst die Zeche, Lumpenpack.

    „Hey, pass auf, was du sagst, erwiderte Quiro und reckte Brust und Kinn vor. „Du sprichst mit Quiro ben Sidef, dem Zwillingsbruder des Sohns der Götter und Herrn der Roten Wüste und …

    „Ja, ja, Jolas winkte ab und schleuderte seinen fleckigen Lappen auf den Tisch, an dem sie saßen. „Schon verstanden, Durchlauchtigkeit. Packt zusammen, aber flott.

    „Ist der mies gelaunt, konstatierte Quiro, als sie ihre Bierkrüge zügig leerten und am Tresen bezahlten. „Hat er vor Kurzem mal in nen Spiegel geschaut oder hat ihn seine Ex-Frau beehrt?

    „Nee, Barush grinste, „er hat das mit der Zweikammernflasche immer noch nicht kapiert und beim Saufduell auf den anderen Kerl gesetzt. Immerhin zwei Denar, der Trottel.

    Quiro schüttelte mit einem theatralischen Seufzer den Kopf. „Als Nisad das Hirn verteilte, war Jolas aber auch pissen, oder?"

    „Garantiert", erwiderte Farzam und Quiro tat es gut, ihn wieder lächeln zu sehen. Dieses ihm eigene Grinsen, das vermutlich um seinen ganzen Kopf gegangen wäre, hätten es die Ohren nicht aufgehalten.

    Als sie nach draußen traten, boxte die frische Luft Quiro regelrecht ins Gesicht und machte ihm bewusst, was für ein grässlicher Mief im Inneren der Kaschemme geherrscht hatte. Der Mond verblasste bereits, Mitternacht musste vorüber sein. Stille hing wie ein schweres, nachtblaues Tuch über den niedrigen Lehmhäusern und ein leichter Fischgeruch drang Quiro in die Nase.

    Verloren standen die drei Freunde vor dem Betrunkenen Kamel und starrten auf ihre Füße. Es war kein angenehmes Schweigen, doch zumindest war es nicht mehr von Frust und Zorn getragen. Eher von Abschiedsschmerz. Es gefiel Quiro genauso wenig.

    „Wann wirst du aufbrechen?", fragte Farzam mit brüchiger Stimme und Quiro zuckte die Schultern.

    „In ein paar Tagen, schätze ich. Recht bald."

    „Und du kommst sicher nicht wieder?"

    „Keine Ahnung. Vielleicht hat Arazin nach einem halben Jahr genug von mir, dann krieche ich zu euch zurück und besaufe mich mit Jolas’ ekligem Feigenschnaps. Er seufzte. „Ich würd euch ja schreiben, aber … na ja, ihr könnt eh nicht lesen.

    „Und du nicht schreiben", entgegnete Farzam und sie lachten. Es befreite sie jedoch nicht von dem Druck, der auf ihnen lastete, und so verklang es schnell wieder. Quiro lagen die Worte bereits auf der Zunge, die Bitte an seine Freunde, ihn einfach zu begleiten, doch er wagte nicht, sie auszusprechen. Hätte Farzam entschieden, seinem Liebhaber ans andere Ende der Wüste zu folgen, hätte Quiro ihm für den Vorschlag sicher auch den Vogel gezeigt. Er liebte seine Freunde, aber das wollte er ihnen nicht zumuten. Es genügte, wenn er Zarbahan den Rücken kehren musste.

    „Du bist immer bei uns willkommen, betonte Barush, dessen dunkle Augen feucht glänzten. „Aber ich hoffe, du wirst glücklich, Mann. Ehrlich.

    Quiro schluckte und schloss Barush in die Arme. Der kräftige Körper seines Freundes zitterte merklich, Barush war nah am Wasser gebaut.

    „Danke, nuschelte Quiro erstickt. „Und versprich mir, dass du zu Miraneh gehst und ihr sagst, dass du über beide Ohren in sie verknallt bist. Wird verdammt nochmal Zeit.

    Barushs Lächeln missglückte und hing schief an seinen Mundwinkeln. „Ich versuch’s."

    Als sich Quiro Farzam zuwandte, wurde das Stechen in seiner Brust stärker und zwang ihn, den Blick zu senken. Farzam war für ihn mehr ein Bruder, als es sein leiblicher je hätte werden können. Sie kannten sich seit Kindertagen, hatten gemeinsam im Matsch gespielt und ihre ersten krummen Dinger zusammen gedreht. Ihm den Rücken zu kehren, tat besonders weh, zumal Quiro spürte, wie sehr er ihm diese Entscheidung übel nahm.

    Vorsichtig schloss Quiro ihn in die Arme und zog ihn kurz, aber heftig an sich. „Ihr Saufköpfe werdet mir echt fehlen", murmelte er. „Vielleicht werd ich sogar Jolas und das Kamel vermissen. Ein wenig zumindest."

    Farzam löste sich von ihm und atmete tief durch. „Ich werd dich gar nicht vermissen, brummte er tonlos. „Kein bisschen.

    „Prima, erwiderte Quiro spöttisch und boxte ihn gegen die Rippen. „Hab dich auch lieb, Farz.

    Farzam kniff die Lippen zusammen. „Ich hoffe schwer, dass dich die verdammte Prinzessin zum glücklichsten Kerl in der ganzen Roten Wüste macht. Wenn nicht, komm ich selber vorbei und scheuer ihr eine."

    „Würde ich nicht riskieren, meinte Quiro und zwinkerte. „Die wischt mit dir den Boden auf.

    „Das werden wir ja sehen! Farzam schob die Unterlippe vor. „Ich bin unberechenbar, wenn ich wütend bin. Und scheiße verdammt, falls die Frau nicht kapiert, was sie an dir hat, dann werde ich sowas von stinkwütend! Sag ihr das! Wortwörtlich!

    Quiro lächelte sanft. „Mach ich. Versprochen."

    Eine ganze Weile standen sie nur da und keiner wagte es, den ersten Schritt zu tun, der sie unweigerlich voneinander trennen würde. Für verdammt lange Zeit. Vielleicht sogar für immer. Ein Kloß steckte in Quiros Kehle und er hoffte, einer der beiden würde endlich gehen, damit die Anspannung aus seinen Gliedern wich.

    „Komm, murmelte Barush und legte Farzam den Arm um die Schultern. „Zeit, nach Hause zu gehen.

    Farzam nickte und warf Quiro einen letzten Blick zu. Ein dumpfes Flehen lag darin, doch Quiro erfüllte seinen Wunsch nicht. Er hob lediglich die Hand zum Abschied und kämpfte gegen die Tränen. Verdammt, er hasste Abschiede. Mehr noch als Feigenschnaps. Schwermütig sah er seinen Freunden nach. Die breite, gedrungene und die lange, schmale Silhouette verblassten nach einer Weile und verschmolzen mit den Schatten, als seien sie nie da gewesen. Zurück blieb nur ein dumpfes Grollen in Quiros Eingeweiden und feuchte Spuren, die über seine Wangen liefen. Mürrisch wischte er sie beiseite. Scheiße, er hatte genug für einen Abend, doch ein letzter Besuch stand noch aus. Und den konnte er wirklich nicht sausen lassen.

    Schwerfällig schleppte er sich hinunter ans Nisad-Ufer und schlenderte direkt auf das Wasser zu, wo er sich auf den Boden fallen ließ. Das verzerrte Bild des Mondes spiegelte sich auf der Oberfläche und ein einzelner Wasserläufer ließ es wie einen Farbklecks verschwimmen, ehe es zu seiner Form zurückfand.

    Seufzend wühlte Quiro mit den Fingern in den glatten Steinen und zog schließlich einen platten, rötlich schimmernden Kiesel hervor. Er nahm Maß und ließ die Hand nach vorne schnellen. Flach kam der Stein auf der Wasseroberfläche auf und hüpfte weiter wie ein Käfer. Einmal. Zweimal. Dreimal.

    Schau, Djadda, schau! Dreimal, hast du gesehen! Dreimal!

    Quiro sah die sanften Augen seiner Ziehmutter regelrecht vor sich, eingebettet in ein runzliges, von Lachfalten überzogenes Gesicht, in das sich grau-weiße Haarsträhnen ringelten.

    Ihre Lippen kräuselten sich zu einem stolzen Lächeln und sie wuschelte Quiro durchs Haar. Toll gemacht, mein Schatz. Los, probier es gleich noch einmal.

    Seufzend drehte Quiro einen weiteren Kiesel in den Fingern. Jahre waren vergangen seit damals. Jahre, in denen sich viel verändert hatte. Trotzdem, so schlecht das Gedächtnis seiner Ziehmutter am Ende gewesen war, diesen Ort hier am Flussufer hatte sie immer geliebt. Ihr Lieblingsplatz.

    Er sah auf und die Worte kamen ihm ohne sein Zutun über die Lippen. „Tut mir leid, dass ich so lange nicht hier war, Djadda. Ich hatte echt viel zu tun, weißt du. Der Palast und all das. Na ja."

    Es musste ziemlich bescheuert aussehen, dass ein erwachsener Kerl wie er am Ufer saß und Selbstgespräche führte, doch das war ihm gerade egal. Es fühlte sich gut an, mit seiner Mutter zu reden, und es lockerte den Knoten, der

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