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Face-Time.: 25 Predigten von Angesicht zu Angesicht aus Deutschlands südlichster Ecke 2017 - 2018
Face-Time.: 25 Predigten von Angesicht zu Angesicht aus Deutschlands südlichster Ecke 2017 - 2018
Face-Time.: 25 Predigten von Angesicht zu Angesicht aus Deutschlands südlichster Ecke 2017 - 2018
eBook464 Seiten6 Stunden

Face-Time.: 25 Predigten von Angesicht zu Angesicht aus Deutschlands südlichster Ecke 2017 - 2018

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Über dieses E-Book

Das Buch "Face-Time. 25 Predigten aus Deutschlands südlicher Ecke 2017 - 2018 " versammelt Predigten, die Pfarrer Dr. Thomas O. H. Kaiser im Klettgau und in Kadelburg bei verschiedenen Anlässen gehalten hat.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum7. Juni 2019
ISBN9783748123521
Face-Time.: 25 Predigten von Angesicht zu Angesicht aus Deutschlands südlichster Ecke 2017 - 2018
Autor

Thomas O. H. Kaiser

Dr. theol. Thomas O. H. Kaiser, geb. Müller (Jg. 1963), Dipl. Theol., ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Klettgau/Baden.

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    Buchvorschau

    Face-Time. - Thomas O. H. Kaiser

    Kaiser

    1. „… ein neues Herz…" (Ez 36,26)

    Zur Jahreslosung 2017

    ¹

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Liebe Gemeinde! Ich habe mir gedacht: Meine erste Predigt in diesem Jahr hier in der Lukaskirche möchte ich zur Jahreslosung für das Jahr 2017 halten. Sie lautet „Gott spricht: `Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.´" (Ez 36,26, nach Luther 2017)

    Hören wir einmal, wie sich dieses biblische Wort in anderen Sprachen anhört. Beginnen wir mit Englisch: „God says: `I will give you a new heart and put a new spirit in you.´ Auf Französisch klingt es so: „Dieu dit: `Je vous donnerai un coeur nouveau et je mettrai en vous un esprit nouveau.´ Auf Italienisch: „Dio dice: `Vi darò un cuore nuovo, metterò dentro di voi uno spirito nuovo.´" Und hören wir auf die antiken Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein:

    So klingt die Jahreslosung, ein Wort des Propheten Hesekiel – so klingt sie in verschiedenen modernen und antiken Sprachen. In diesem Jahr wird uns die Losung des Propheten Hesekiel begleiten. „Gott spricht: `Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.´" (Ez 36,26) Das Herz: Zentralorgan, traditionell Sitz der Gefühle. Werfen wir einmal aus medizinischen Gesichtspunkten einen Blick aufs Herz. Das Herz ist im Grunde genommen nichts weiteres als eine Muskelpumpe: zwei Kammern, ein paar Zuflüsse, zwei große Abflüsse, vier Klappen, durch die das Blut unablässig durch den Körper gejagt wird.² Kein kompliziertes Organ, nicht zu vergleichen mit dem Gehirn, bei einem Erwachsenen ca. 300 Gramm schwer.³ Die Arbeit des Herzens lässt uns leben und sie lässt uns am Leben bleiben.

    Wussten Sie, dass im vergangenen Jahr die Zahl der Todesfälle in Deutschland um 6,5% gestiegen ist? 925000 Verstorbene hatte es in Deutschland 2015 gegeben. Die Hälfte der verstorbenen Frauen und ein Viertel der Männer sind 85 Jahre und älter gewesen. Häufigste Todesursache: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nämlich 39%. Es waren 92%, die mit über 65 Jahren an deren Folgen gestorben sind. 51000 Frauen und Männer starben an den Folgen eines Herzinfarkts, 57% der Männer und 43% der Frauen.⁴ Darauf folgte, das können wir uns denken, gleich der Krebs.⁵ Es ist bedauerlich, dass es noch immer kein zentrales Krebsregister gibt, nicht einmal für den Landkreis Waldshut. Aber ist es nicht vielleicht auch gut so? Stellen Sie sich vor: Würden nicht dann, wenn bekannt ist, wo die höchste Krebsrate ist, alle dorthin flüchten, wo die Krebsrate am niedrigsten ist?

    „Gott spricht: `Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.´" (Ez 36,26) Es beginnt meist ohne Vorwarnung. Beim Aufstehen kaum Kraft in den Beinen, Schwindel, rasender Puls, Herzklopfen, unregelmäßiger Herzschlag. Schmerzen im linken Arm, Schmerzen in der Brust, ein Engegefühl, Übelkeit, Brennen, Kaliummangel, Herzrhythmusstörungen, Tachykardie genannt, Vorhofflimmern – sichere Vorboten für einen Herzinfarkt. Hatte ein Elternteil Herzrhythmusstörungen, verdoppelt sich beim Kind das Risiko. Auch Bluthochdruck, Diabetes, Schilddrüsen-Überfunktion oder Schlafapnoe wirken sich negativ aufs Herz aus. 50000 Schlaganfälle, die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, lassen sich auf Herz-Vorhofflimmern zurückführen. Tendenz mit zunehmendem Alter: steigend. Viele sterben, einige überleben auch. Der wichtigste ist der Zeitfaktor, damit das Gehirn am Leben bleibt. Drei Minuten ohne Sauerstoff und es bleiben, im Falle des Überlebens, irreparable Schäden zurück, Schwerstpflegefälle.⁶ Übrigens: Wir haben für die Kirchengemeinde einen Defibrillator bestellt. Wir hoffen, dass er auch geliefert wird. Dann werden wir ihn für alle erreichbar irgendwo im Kirchenvorraum befestigen. So ein `Defi´ kann im Ernstfall lebensrettend sein – wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, muss alles schnell gehen. Der Defibrillator ist computergesteuert und leicht zu bedienen. Er wird über Spenden finanziert.

    Im Falle eines Überlebens kann alles gut verlaufen: Kathetertherapie, Stents, eine neue Herzklappe, Reha-Aufenthalte in Bad Krozingen oder an einem anderen Ort. Medizinisch-technisch ist heute viel drin.⁷ Das Herz sollte also immer schön im Takt laufen, auch eine regelmäßige Kontrolle beim Kardiologen ist nicht schlecht.⁸ Aber niemand ist vor einem Herzinfarkt gefeit, er kann in jedem Alter auftreten, bei Jungen und bei Alten, bei Sportlern und bei Couchpotatoes.⁹ Wir wissen allerdings: Stress wirkt sich negativ auf das Herz aus; besonders Manager, die Gewinnertypen, trifft der Herzinfarkt plötzlich aus heiterem Himmel. Drei Ärzte habe ich durch Herzinfarkt in

    den Pausen, im Urlaub und beim Tennis, verloren – genau dann, wenn der Stress bei ihnen nachgelassen hatte. Bei Frauen sind es soziale Konflikte und es ist oft auch die Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie, die Herzinfarkt fördernd ist.¹⁰

    Das Herz, auch Sitz der Gefühle, Sitz der Seele, der Persönlichkeit – also viel mehr als nur eine Muskelpumpe.¹¹ Wer aufgeregt ist, dem schlägt das Herz. Wenn man sich freut, dann pocht es, dann schlägt das Herz schneller; wenn man verliebt ist, sowieso. Wenn man Angst hat, rast das Herz: Es gibt das Hasenherz und das Löwenherz, auch das kalte Herz¹², man spricht von einem herzlosen, kalten Menschen. Nicht nur in den Kulturen des alten Orients¹³ spielt das Herz eine besondere Rolle, sondern auch in unserem Kulturkreis. Der deutsche Adel, beispielsweise die Habsburger, hat oft das Herz getrennt von anderen Organen und Teilen des Körpers bestattet.¹⁴

    Nach dem Tod wurde der Leichnam seziert und Herz und Eingeweide wurden entnommen. Es bildete sich die Tradition, die Herzen in Silberbehältern, sog. Herzurnen, in Herzgrüften zu bestatten.¹⁵ So liegt das bestattete Herz von König Ferdinand IV. (1663-1654) in der Loretokapelle der Augustinerkirche und die Eingeweide in den Katakomben des Stephansdoms in Wien. Das Herz von König Karl I. von Österreich-Ungarn (1887-1922), letzter Kaiser von Österreich, wird hinter dem Altar in der Loretokapelle des aargauischen Klosters Muri aufbewahrt, nachdem es seine Frau Zita fünfzig Jahre lang auf ihren Reisen begleitet hatte. Auch das Herz von Kaiserin Zita, die im Frühjahr 1989 im Alter von fast 97 Jahren starb, wurde vor der Einbalsamierung ihrem Körper entnommen. Wer die Herzbestattung für eine heute überkommene Tradition hält, der irrt: Noch vor wenigen Jahren, nach dem Tode Otto von Habsburgs (1912-2011), dem Sohn des letzten Kaisers von Österreich, wurde dessen Sarg nach der Messe in die Wiener Kapuzinergruft¹⁶, die traditionelle Grablege der Habsburger, gebracht und dort beigesetzt. Aber „sein Herz wurde am nächsten Tag in der ungarischen Benediktinerabtei Pannonhalma beigesetzt."¹⁷

    Heute wissen wir: Die Psyche spielt bei Erkrankungen des Herzens eine wichtige Rolle. Das Herz ist der direkte Draht zur Seele.¹⁸ Eine glückliche Partnerschaft ist nicht nur für das seelische Wohlbefinden entscheidend, sondern auch für das herzliche. Eine glückliche Partnerschaft kann sich auf das Herz schützend auswirken. Sie senkt das Risiko für die Erkrankung der Herzkranzgefäße und damit auch das Risiko für einen Herzinfarkt. Umgekehrt gilt natürlich auch: Ist die Beziehung gestört, kann sich das auch ungünstig aufs Herz auswirken. Stirbt die Partnerin oder der Partner an einem Herzinfarkt, so können sich die Symptome übertragen und die oder der Hinterbliebene leidet an Herzrhythmusstörungen oder unter depressiven Verstimmungen. Das Risiko für einen Herzinfarkt erhöht sich übrigens im ersten Monat nach dem Verlust des Partners für den Zurückbleibenden um das bis zu 20-fache!

    Depressionen und Ängste erhöhen das Risiko für einen Herzinfarkt ähnlich wie Rauchen oder zu fettes Essen. Auslöser dafür können auch soziale Isolation und Einsamkeit sein. Deutlich wird übrigens die Verbindung von Herz und Seele vor einer Operation: Ist ein Patient psychisch angeschlagen und sieht die Welt und sein Schicksal negativ, so hat sie oder er nach der OP mit mehr Komplikationen zu kämpfen als jemand, der optimistisch in die Zukunft blickt. Aber es kommt auch vor: Wer vor einer Herz-OP seelisch gesund war, kann danach von Ängsten und Depressionen geplagt werden. Viele, auch Männer, sind danach sehr gefühlsbetont. Nicht wenige sind nach einem überstandenen Herzinfarkt nahe am Wasser gebaut.¹⁹ Seelische und soziale Faktoren wirken also auf die Herzgesundheit, so viel ist erwiesen.

    „Gott spricht: `Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.´" (Ez 36,26)

    Das Herz ist die Triebkraft unseres Lebens. Wenn hier beim Propheten Hesekiel oder Ezechiel von einem neuen Herz und einem neuen Geist die Rede ist, dann klingt das wie ein Versprechen: Angesichts des alten Lebens, angesichts alter und vielleicht auch verkorkster Verhältnisse will uns Gott ein neues Herz und einen neuen Geist geben – eine Verjüngungskur gewissermaßen, körperlich und geistig. Unser müdes und kraftloses Herz soll erneuert werden, und dazu soll auch ein neuer Geist kommen. Das Versprechen des Propheten Ezechiel zielt auf Veränderung. Im günstigen Fall ist diese Veränderung mit einer Verbesserung verbunden – auf jeden Fall, wenn von einem neuen Herzen die Rede ist. Denn ein neues Herz ist unverbraucht und kann besser und länger schlagen. Wenn dann hier von einem neuen Geist die Rede ist, dürfte klar sein, dass dieser Geist auf Veränderung zum Besseren zielt.²⁰ Wir wissen: Herz, Geist und Psyche bilden eine Einheit, Körper und Seele stehen in einer aktiven Wechselwirkung zueinander. Mit dem Herzen glauben wir.²¹

    So wünsche ich Ihnen und auch mir für das Jahr 2017, dass auch uns Gott, der Herr ein neues Herz und einen neuen Geist geben möge, wie es uns die Jahreslosung verspricht. Bleiben Sie das neue Jahr behütet vor allem Bösen und von allem Unheil verschont! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


    ¹ Predigt zur Jahreslosung Ez 36,26, gehalten im Gottesdienst in der Lukaskirche in Grießen am 22. Januar 2017, 10.00 Uhr (3. Sonntag nach Epiphanias).

    ² Vgl. weiterführend Christian Staas, Das entzauberte Herz. Wie William Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs die Medizin revolutionierte, in: DIE ZEIT Geschichte Nr. 2/2008: Die Geburt der modernen Medizin. Wie Europas Heilkunst ein neues Bild vom Menschen entwarf, 52-55.

    ³ Vgl. Die Zeit Doctor. Alles, was der Gesundheit hilft, in: DIE ZEIT Nr. 46 v. November 2016, 4.

    ⁴ Vgl. SÜDKURIER v. 20.1.2017, 2.

    ⁵ Vgl. weiterführend Siddhartha Mukherjee, Der König aller Krankheiten. Krebs – eine Biografie (amerik.: The Emperor of all Maladies: A Biography of Cancer, New York 2010), Köln 2015. Der Autor, der für sein Buch den begehrten Pulitzer-Preis erhielt, ist Krebsforscher und praktizierender Onkologe in New York.

    ⁶ Zur Bekämpfung des schnellen Todes finden regelmäßig Aufklärungswochen der Deutschen Herzstiftung statt, in deren Rahmen Vorträge von Ärztinnen und Ärzten zu Bluthochdruck, Diabetes, Cholesterin u. a. gehalten und Herz-Seminare sowie Telefon- und Onlineaktionen veranstaltet werden. Etwa 20 Millionen Bundesbürger leiden an Bluthochdruck, etwa 4,6 Millionen an Diabetes. Viele wissen nicht einmal etwas von ihrer Erkrankung, weil sie sich fit fühlen. Vgl. weiterführend http://www.herzstiftung.de/ (aufgerufen am 21.1.2017).

    ⁷ Zu neuen medizinischen Erkenntnissen im Blick auf Herz-OPs vgl. DIE ZEIT Nr. 39 v. 15.9.2016, 38.

    ⁸ Empfehlenswert ist die iPhone-App `Heartbeats´, erhältlich im App-Store.

    ⁹ Vgl. SÜDKURIER v. 18.1.2017, 14+15.

    ¹⁰ Vgl. dazu Focus Nr. 47 v. 15. November 2004: Der große Herz-Check, 80100 (mit einem Ranking von deutschen Kardiologen).

    ¹¹ Viele Lieder handeln deshalb vermutlich vom Herzen, vgl. beispielsweise `My heart will go on´, die Titelmelodie aus dem bekannten Titanic-Film, gesungen von der kanadischen Popsängerin Celine Dion (geb. 1968), oder `You´ll be in my heart` aus dem Tarzan-Film, gesungen von Phil Collins (geb. 1951): https://www.youtube.com/watch?v=DNyKDI9pn0Q und https://www.youtube.com/watch?v=JIVaUcE4kAM (aufgerufen am 20.1.2017).

    ¹² Vgl. Wolfgang Schmidbauer, Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle, Hamburg 2011, 14ff.

    ¹³ Im Alten Ägypten etwa galt das Herz über die Gefühlswelt hinaus als Sitz des Verstandes und der Entscheidungen.

    ¹⁴ Auch bei Napoleon Bonaparte (1821), seinem Sohn Napoleon Franz (1832) und dessen Mutter Marie-Louise (1847) wurden Herz, Gehirn und Eingeweide entnommen und getrennt bestattet. Zur Herzbestattung vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Getrennte_Bestattung (aufgerufen am 21.1.2017).

    ¹⁵ Ein berühmtes Beispiel ist die Bestattung von Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa (um 1122-1190), der auf dem Dritten Kreuzzug im Fluss Saleph in Kleinasien, der heutigen Türkei, ertrank. Sein Herz und seine Eingeweide wurden in Tarsos beigesetzt, während sein durch das Verfahren des `mos teutonicus´ konserviertes Fleisch in der Peterskirche von Antiochia beigesetzt wurden. Seine Knochen wurden von seinem Sohn Friedrich V. von Schwaben bis nach Tyrus mitgeführt, um sie in Jerusalem zu bestatten. Ein anderes Beispiel ist Richard I. Löwenherz (1157-1199), dessen Körper zwar in der Ahnengruft der Anjou in der Abtei Fontevrault bestattet liegt, dessen Herz aber in die Kathedrale von Rouen und dessen Gehirn in die Abtei Charroux verbracht wurden.

    ¹⁶ In der im 17. Jahrhundert erbauten Kapuzinergruft am Wiener Neuen Markt unter dem Kapuzinerkloster liegen 138 Personen bestattet, darunter Franz I. Stephan (HRR, 1708-1765) mit weiteren 11 Kaisern und Maria Theresia (1717-1780) mit weiteren 18 Kaiserinnen. Außerdem ist sie Ruheort von vier Herzurnen. Während das gemeine Volk in Deutschland bis heute dem Friedhofszwang unterliegt, hat der Adel das Recht, seine Verstorbenen in Grüften, z. T. auf eigenem Grund und Boden, zu bestatten. Die Grablege erfolgt nach einem bestimmten Ritus, zu dem dreimaliges Anklopfen an die Pforte der Kapuzinergruft gehört.

    ¹⁷ zitiert nach: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Otto_von_Habsburg (aufgerufen am 21.1.2017). Das Herz seiner bereits 2010 verstorbenen Ehefrau, Regina von Sachsen-Meiningen, blieb nach der Überführung ihrer sterblichen Überreste in die Kapuzinergruft 2011, wo sie an der Seite ihres verstorbenen Mannes beigesetzt wurde, auf der Veste Heldburg.

    ¹⁸ Seelische Erkrankungen haben im Allgemeinen in den westlichen Industriegesellschaften, insbesondere bei Jugendlichen, in letzter Zeit zugenommen, vgl. dazu GEO Wissen Nr. 48: Was die Seele stark macht, Hamburg 2011.

    ¹⁹ In einigen Kliniken werden – weil man erkannt hat, dass Vorgespräche positive Auswirkungen auf die psychische und die körperliche Bewältigung einer Herzoperation haben – heute Psychologinnen und Psychokardiologen eingesetzt, die auf die Erforschung und Behandlung der Wechselwirkungen von Herz und Seele spezialisiert sind, vgl. Josephina Maier, Das schaffe ich!, in: DIE ZEIT Nr. 3 v. 12.1.2017, 35.

    ²⁰ Für die Tatsache, dass ein neuer Geist nicht nur mit politischen Verbesserungen in Verbindung gebracht werden kann, steht die Wahl des Rechtspopulisten Donald Trump (geb. 1946), Mitglied der Republikanischen Partei, der in den USA zum 45. Präsidenten gewählt worden ist.

    ²¹ Vgl. Röm 10,10

    2. „… der Vorhang des Tempels riss…" (Lk 23,45) Zur Kreuzigung Jesu

    ²²

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Sohn Jesus Christus. Das vorgeschlagene Wort für die Predigt steht heute beim Evangelisten Lukas im 23. Kapitel, Verse 33-49:

    „Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. (…) Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles." (Lk 23, 33-49)

    Liebe Gemeinde! Am Anfang steht ein Kuss. Der Kuss des Verrats, der Kuss des Verräters, der Judaskuss. Ein Kuss am Anfang.²³ Am Ende steht Rot: Wunden, Blut, Schmerzen, Verlassenheit, der Tod. End-Rot, Rot-Ende. Jesus ist allein und stirbt am Kreuz. Am Anfang stand nur ein Kuss.²⁴

    Das Bild, das Sie heute in Händen halten, stammt von Andreas Richert aus Berlin. Der Künstler ist uns allen gut als Zauberkünstler und Akrobat und frecher Kinder- und Erwachsenenunterhalter Orlando von Godenhaven²⁵ bekannt. Auf zwei Familien-Open-Airs hat er gespielt, uns damals blendend unterhalten. Andreas Richert ist aber in seinem bürgerlichen Beruf, wenn man denn bei einem Künstler von einem bürgerlichen Beruf überhaupt sprechen darf, Bildhauer und Maler. So hat er bei seinem Besuch bei uns in der Woche vom 3.-7. April 2017 eine der Reformationsbänke bemalt und uns ein Bild zu Thomas Müntzer dagelassen.²⁶ Und dann, beim Abendessen bei uns zu Hause, drei weitere Bilder: Meine Tochter Gloria spielte ihm auf der Geige ihre Interpretation des Stücks `Nigun´ von Ernest Bloch²⁷ vor, das sie gerade im Abitur gespielt hatte, und er malte dazu dieses Bild, das Sie in Händen halten.²⁸ Deshalb stehen übrigens unten rechts im Bild die Worte „zu Gloria´s Geige 2017". Das Stück `Nigun´ von Ernest Bloch ist ein sehr gefühlsbetontes Stück, es geht dramatisch über alle Saiten in alle Lagen, rauf und runter, die Geige schluchzt dabei. Nigun, diese eigentlich zwecklose Melodie der osteuropäischen Chassidim, wahrlich kein fröhliches Stück, vereint das Leid des gesamten jüdischen Volkes und es ruft Bilder in einem hervor, bei einem, der zuhört.

    Dem Künstler Andreas Richert, der genau zuhörte, fiel die Hinrichtungsszene von Jesus von Nazareth ein. Ihm fiel Rot ein. Warum? Was bedeutet Rot in unserem Kulturkreis? Blut ist rot: jenes Elixier, dessen Anblick Leute in Panik versetzt, in ihnen Alarmstufe Rot hervorruft. Blut: das Element von Leben und Tod. Rot: die Farbe der Liebe und des Schmerzes. Blut ist ein Lebenselixier, jedoch mit einem denkbar schlechten Image. Es fließt in unseren Adern – und wehe, es tritt aus ihnen heraus ans Tageslicht! Verletzungen, Blutentnahmen, Blutproben, die Monatsregel – wir haben Respekt, wenn wir Blut sehen. Denn wir wissen: Schnell kann es dann mit uns auch vorbei sein, können wir eine Blutvergiftung bekommen. An der Sepsis, so heißt der lateinische Fachbegriff für die Blutvergiftung, sterben auch in unseren Zeiten trotz Medikamenten noch scharenweise Leute. „Blut ist ein ganz besondrer Saft"²⁹, hat schon Mephisto in Goethes `Faust´ gesagt. Blut erinnert uns an unsere eigene Endlichkeit. Wenn Blut fließt, kann es mit uns ganz schnell vorbei sein. Das wissen wir und darum haben wir Respekt. Aber dieses schlechte Image hat Blut zu Unrecht, oder? Spätestens, wenn unsere Blutwerte okay sind nach der letzten Blutprobe beim Besuch beim Arzt, wenn wir nicht unter Bluthochdruck oder Hypotonie leiden, sind wir froh – wenn unser Blutdruck stimmt, wenn die roten und die weißen Blutkörperchen im Gleichgewicht sind. Wir sind froh, wenn unsere Herzfrequenz beim Joggen in Ordnung ist oder beim Skilanglauf, wenn wir uns ein Wettrennen mit dem sonnengegerbten achtzigjährigen Schweizer in Leggins auf der Loipe leisten – dann nämlich, wenn nach großer Anstrengung das Blut durch unsere geweiteten Adern rauscht. Unser Blut kommt in Wallung, wenn wir uns aufregen, oder unser Herz klopft, wenn wir den geliebten Menschen in unserer Nähe wissen. Dann ist uns wohl. Dann sorgt unser Blut dafür, dass uns wohlig warm zumute wird. Da hat sich das Image des Blutes dann schlagartig verbessert. Blut ist vermutlich neben unserem Herzen das wichtigste Organ des Körpers. Es versorgt unseren Organismus mit Sauerstoff. Es ist nicht sichtbar – ein stiller Riese in Sachen Leben.

    Das Leben ist schnell vorbei, wenn ein massiver Blutverlust droht, bei inneren oder äußeren Verletzungen. Dann verbluten wir. Ist die Wunde offen, tritt das Blut aus den Arterien pulsierend aus, das Blut aus der Vene kontinuierlich. Es kommt dann zum Abfall des Blutdrucks, die Herzfrequenz erhöht sich, der Puls wird schwächer. Werden lebenswichtige Organe nicht mehr durchblutet, ist Kreislaufstillstand die Folge, dann der Tod. Kleben jedoch die Blutzellen zusammen und es bildet sich ein Blutpfropf – dann ist der Herzinfarkt oder der Schlaganfall die Folge dieser Durchblutungsprobleme.

    Im jüdischen Glauben ist Blut der Sitz des Lebens. (vgl. 5. Mose 12) Gott, der das Leben einst gegeben hat, wacht darüber, dass es nicht angetastet wird, auch nicht das Blut von Tieren. Deshalb darf dem jüdischen Glauben zufolge kein Blut gegessen werden. Wer das Blut von Menschen vergießt, vergreift sich an Gott selbst und Gott wird sich folglich auch an ihm rächen. Blutschuld fällt auf ihn. Beim Apostel Paulus hängen das Blut und die Heilstat Jesu eng zusammen. Für Paulus steht der blutige Tod Jesu im Zentrum der Versöhnung. (vgl. 1. Kor 1) Brachte man in der Zeit vor Jesus Gott noch Opfer dar, so tritt nun an die Stelle der Opfertiere der Sohn Gottes.

    Wirft man einen Blick auf die Kreuzigung, dann weiß man, dass das die Todesstrafe der Römer für Schwerverbrecher gewesen ist. Vermutlich ist die Kreuzigung von den Persern erfunden worden, vermutlich von Alexander dem Großen (356-323 v. Chr.) – Genaueres weiß man nicht. Über die Punischen Kriege kam sie im dritten Jahrhundert v. Chr. zu den Römern. Der Überlieferung zufolge säumten die antike Via Appia, die Haupteingangsstraße nach Rom, nach dem Spartakus-Aufstand über 6000 Kreuze bis nach Capua. Römische Bürger durften übrigens in der Regel nicht gekreuzigt werden. Gekreuzigt wurden alle anderen wegen Raubes, Mordes, Brandstiftung, Fahnenflucht, Hochverrat, Anstiftung zum Aufruhr, schweren Landesverrats und Majestätsbeleidigung. Letzteres soll übrigens auf Jesus zutreffend gewesen sein: Er wurde angeklagt, der König der Juden zu sein – INRI stand auf seinem Kreuz: Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum. Im Tod der Spott der Feinde und dazu noch der Schwamm mit Essig gegen den Durst – eine furchtbare Geschichte! Kaiser Konstantin hat dann im Jahr 315 die Kreuzigung endlich abgeschafft, nachdem er selbst Christ geworden war. Erst unter Kaiser Konstantin übrigens wird das Kreuz zum verbreiteten Symbol des Christentums – bis heute ist das Kreuz das Zeichen der Christenheit.

    Das Bild von Andreas Richert ist rot, blutrot. Seine Farbe verdankt das Blut, wie wir alle wissen, den roten Blutkörperchen, genauer: dem eisenhaltigen Farbstoff Hämoglobin. Männer haben von den roten Blutzellen mehr als Frauen, zwischen 4,2 und 6,2 Millionen Zellen pro Kubikmillimeter! Durchschnittlich hat der Mensch 30000 Milliarden davon – würde man sie aneinanderreihen, so würden sie fünfmal um den Äquator reichen. 45 Prozent des Blutvolumens bestehen aus Blutzellen, 55 Prozent aus Plasma, dem flüssigen Anteil des Blutes. Leute, die unter Blutarmut leiden, unter Anämie, haben eine verringerte Zahl an roten Blutzellen im Körper und sehen entsprechen fahl im Gesicht aus.

    Rot, nicht schwarz, ist die eigentliche Farbe des Karfreitags. Leiden und Tod stehen heute im Zentrum des Tages. Deshalb finden heute auch keine Tanzveranstaltungen statt, dürfen vom Gesetzgeber aus nicht stattfinden. Wir denken heute an die Orte, an denen Menschen gedemütigt und erniedrigt, ermordet und hingerichtet werden wie Jesus – unter anderem auch, weil sie sich zu ihm und dem christlichen Glauben bekennen. Jesus stirbt mit auf den elektrischen Stühlen in Texas. Jesus stirbt mit im Irak, wenn Bomben fallen. Jesus stirbt mit in Israel, wenn sich palästinensische Selbstmordkommandos in die Luft sprengen. Jesus stirbt mit, wenn in Saudi-Arabien im Jahr 2017 eine Ehebrecherin zu Tode gesteinigt wird.

    Die Kreuzigung Jesu ist vor knapp 2000 Jahren geschehen. Sie ist gut bezeugt, es gibt viele historische Quellen auch außerhalb der Bibel, die davon berichten. Aber die Kreuzigung geht darüber hinaus. Sie ist heute noch aktuell in der Welt. Das Kolosseum in Rom, in dem so viele Christinnen und Christen unter Kaiser Nero gekreuzigt wurden, wird heute mehrere Tage beleuchtet, wenn wieder einmal ein Staat auf der Welt die Todesstrafe abgeschafft hat. Die Italiener und die Römer sind da heute eindeutig – ja, man kann sagen, sie haben sich im Vergleich zur Antike um 180 Grad gedreht! Wegen ihres Glaubens werden überall auf der Welt auch heute noch Christinnen und Christen verfolgt, gedemütigt, diskriminiert und umgebracht. An sie denken wir besonders an diesem heutigen Karfreitag 2017.

    Am Anfang stand nur ein Kuss. Der Kuss des Verrats, der Kuss des Verräters – der Judaskuss. Ein Kuss am Anfang, am Ende war Rot: Wunden, Blut, Schmerzen, Verlassenheit, der Tod. End-Rot, Rot: Ende, Aus, Fertig. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


    ²² Predigt zu Lk 23, 33-49, gehalten im Gottesdienst in der Lukaskirche in Grießen am 14. April 2017, 10.00 Uhr (Karfreitag). Wichtige Anregungen erhielt ich durch chrismon. Das evangelische Magazin 04/2004, 13-20. Die Anwesenden erhielten jeweils ein Bild des Berliner Künstlers Andreas Richert ausgehändigt, auf das in der Predigt Bezug genommen wird.

    ²³ Vgl. weiterführend Alain Montandon, Der Kuß. Eine kleine Kulturgeschichte, Berlin 2006, bes. 130.

    ²⁴ Von maßlosen, irrtümlichen und innigen Küssen, sieben bedeutungsvollen Küssen der Literaturgeschichte von Marguerite Duras bis Heinrich von Kleist, handelt das Buch von Peter von Matt, Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur, München 2017.

    ²⁵ https://www.youtube.com/watch?v=NQ3pT0pRhrA&spfreload=10 (aufgerufen am 13.4.2017).

    ²⁶ Vgl. dazu den Hintergrundbericht von Heidrun Glaser, Das letzte Abendmahl aus Künstlersicht, in: Hochrheinanzeiger v. 19.4.2017, 13.

    ²⁷ Ernest Bloch (1880-1959) war ein schweizerisch-US-amerikanischer Komponist, dessen Werk von der Spätromantik und dem Impressionismus beeinflusst wurde.

    ²⁸ Vgl. weiterführend: http://www.ernestbloch.com (aufgerufen am 13.4.2017).

    ²⁹ So die Worte des Mephistopheles in Goethes `Faust I´, die er beim Abschluss des Teufelspakts dem Gelehrten Faust entgegnet. Der Teufel besteht darauf, dass Faust den Vertrag mit Blut unterschreibt. Nur dann ist er bereit, dem vom Leben frustrierten Faust zu einem neuen Leben zu verhelfen, vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, v1740, in: ders., Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 3: Dramatische Dichtungen I. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz, München 1998, 58.

    3. „Fürchtet euch nicht!" (Mt 28,10) Wider die Angst

    ³⁰

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Das vorgeschlagene Wort für den heutigen Ostersonntag steht beim Evangelisten Matthäus im 28. Kapitel. Dort geht es um `Jesu Auferstehung´:

    „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen." (Mt 28,1-10)

    Liebe Gemeinde! Am Anfang stand ein Kuss.³¹ Der Kuss des Judas, der Kuss des Verräters.³² Am Anfang stand nur ein Kuss. Dann folgte die Gefangennahme Jesu, seine Verurteilung durch Pontius Pilatus und die Kreuzigung Jesu in Golgatha. Wir kennen die Geschichte, die uns die Evangelien erzählen. An jedem Karfreitag erinnern wir uns an diese Geschichte, in der ein Unschuldiger hingerichtet wird. In keiner mir bekannten Geschichte hat ein anfänglicher Kuss solche Folgen gehabt! Auch in diesem Jahr haben wir am Karfreitag an die Orte auf der Erde gedacht, an denen noch immer Unschuldige sterben müssen, bei uns und anderswo. Das Ende der biblischen Geschichte ist bekanntlich offen. Die Botschaft von Jesu Auferstehung, wie wir sie heute gehört haben, gibt dieser tragischen und brutalen Geschichte noch einmal einen anderen Schliff, auch eine andere Zielrichtung, sozusagen ein Happy End. Die Auferstehung verwandelt die Kreuzigungsgeschichte in eine Geschichte der Hoffnung, in eine Hoffnungsgeschichte.³³ Dafür steht Ostern – für die Hoffnung!³⁴ Am Anfang der Ostergeschichte stand ein Kuss.³⁵ Immer wieder ist diese Hoffnungsgeschichte Gegenstand der Medien, so auch im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL von dieser Woche. Schon der Titel, der Aufmacher, verspricht Hoffnung. Dort heißt es reißerisch: „Ewiges Leben – demnächst für alle! Wie der Mensch den Tod besiegen will".³⁶ Und dann geht es um den Traum, der so alt ist wie die Menschheit selbst: das Altern zu verhindern, den Tod zu besiegen und Unsterblichkeit zu erlangen.³⁷ Ich fand den Bericht bemerkenswert, obwohl es mich ein bisschen gegruselt hat, als ihn gelesen habe: Denn in dem Bericht werden neueste medizinische Versuche beschrieben, mit Blut den Alterungsprozess aufzuhalten. Mäuse und Nacktmulle müssen als Versuchstiere herhalten – Nacktmulle, weil sie, obwohl fast blind und hässlich, bis zu 30 Jahre alt werden und damit bei ähnlicher Größe zehnmal so alt wie Mäuse. Wegweisend ist heute in der Wissenschaft ein Verfahren, das Parabiose genannt wird. Dabei werden alte und neue Mäuse aneinandergenäht, natürlich mit Betäubung und mit den Mitteln der ärztlichen Kunst. Im Zuge der Wundheilung wachsen die Adern von beiden Mäusen zusammen, das Blut wird von zwei Herzen durch den Doppelkörper gepumpt, die miteinander verwachsenen Mäuse fressen zusammen, schlafen zusammen, bewegen sich zusammen. Die Frage ist nun: Altern sie auch zusammen? Die Gerontologen, die Altersforscher, haben entdeckt, dass, wenn man parabiotische Mäuse zusammennäht, die jüngeren Tiere auf die älteren wie eine Verjüngungskur wirken. Die alten Mäuse bekommen ein glänzendes Fell, straffe Muskeln, ein kräftiges Herz. Das Lernvermögen der Alten steigert sich. Im Blut der jungen Mäuse gibt es offensichtlich ein Wundermittel, das die Lebensuhr rückwärts laufen lässt. Stellen Sie sich also bitte vor: Sie werden mit jemandem jüngeren zusammengenäht und verjüngen sich! Schöne Vorstellung, oder? Was haltet Ihr Konfis davon? [Heiterkeit bei Jung und Alt!]

    Schon gibt es in Amerika erste Tests mit Menschen: Alzheimer-Patienten wird das Blutplasma junger Spender injiziert in der Hoffnung, dass ihr Gedächtnis wiederkehrt. Besonders unter Computerexperten und Internetfreaks scheint die Sehnsucht nach Unsterblichkeit groß zu sein – weil dem Computer und dem Netz keinerlei Grenzen gesetzt sind, soll auch die Endlichkeit des Lebens aufgehoben werden. Silicon-Valley-Milliardäre wie Google-Mitbegründer Sergej Brin³⁸, Paypal-Mitgründer Peter Thiel³⁹ und Oracle-Gründer Larry Ellison⁴⁰ sind bereits auf den Zug aufgesprungen und haben Milliarden dafür gespendet. Erste Menschen haben sich bereits nach ihrem Tod in flüssigem Stickstoff verwahren lassen, mit der Bestrebung, sich wieder auftauen zu lassen, nachdem das Altern von der Wissenschaft besiegt worden ist. Kryonik nennt man dieses Verfahren, das mit der Hoffnung spielt, später wieder auferstehen zu können. Allerdings nicht ganz billig: 28000 USD lassen sich Anhänger dieses Verfahrens kosten. `Mind uploading´ ist ein weiterer Versuch, sich der Unsterblichkeit mit Hilfe der IT-Branche anzunähern: Damit soll angesichts des Sterbens des menschlichen Ichs der Inhalt des Gehirns hochgeladen werden – ein Aufstieg der Seele in den digitalen Himmel. Der 69jährige Cheffuturist von Google, Ray Kurzweil⁴¹, schwört darauf und hofft, dass er diesen technischen Fortschritt noch erleben wird. Es stimmt allerdings nicht, wenn der SPIEGEL schreibt, dass Christen ins Reich Gottes aufgenommen würden, um am Tag des Jüngsten Gerichts, gekleidet in ihren alten Körper, wieder aufzuerstehen und damit die Endlichkeit des Lebens mit dem Tod geleugnet werde. In unserem christlichen Glauben ist eines klar, im Unterschied zum Buddhismus oder zum Hinduismus: Wir leben nur einmal auf Erden! Und wenn es um die Auferstehung der Toten geht, so ist das unsere Hoffnung! Es ist das Versprechen gegen die Angst, im Nichts zu enden und es ist in erster Linie eine kulturelle Verortung!⁴² Das scheint der SPIEGEL-Journalist nicht ganz verstanden zu haben, wenn er einen künstlichen Graben aufreißt zwischen der modernen, aufgeklärten Wissenschaft und Technik und einem angeblich antiquierten christlichen Glauben – als wären wir Christinnen und Christen Doofe!⁴³

    Für mich ist die zentrale Botschaft des Evangeliums, der Evangelien überhaupt dieses „Fürchtet euch nicht!" (Mt 28,10) Habt keine Angst!⁴⁴ Diese Botschaft kommt auch in unserem biblischen Wort für heute im Matthäusevangelium vor: „Fürchtet euch nicht!" (Mt 28,10)

    Die meisten von uns sprechen in der Regel immer – unkritisch – vom Mittelalter als einem Zeitalter der Angst. Aber leben wir heute nicht in einem Angst-Zeitalter? Sind wir alle nicht angstbesetzt?⁴⁵ Haben wir nicht Angst davor, dass das Atomkraftwerk in die Luft fliegt wie einst in Tschernobyl oder in Fukushima und die Heimat dann verstrahlt wird und unbewohnbar ist? Haben wir nicht Angst davor, dass wir den Strahlen des Mobilfunks ausgesetzt sind und von unserem WLAN oder von dem des Nachbarn gegrillt werden?⁴⁶ Haben wir nicht Angst, dass wir plötzlich

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