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DIE TURING-ABWEICHUNG: SciFi-Thriller
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eBook394 Seiten4 Stunden

DIE TURING-ABWEICHUNG: SciFi-Thriller

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Über dieses E-Book

"Spannungsgeladen und doch nuanciert wird uns der Blick in eine Welt gewährt, in der Künstliche Intelligenz zur Normalität geworden ist." [Ben Huh, CEO von Cheezburger]

Inhalt:

Im Jahr 2043 koexistieren Menschen und KIs innerhalb einer unsicheren Machtbalance, die allein von einem rigiden Reputationssystem aufrechterhalten wird. Es soll sicherstellen, dass nur vertrauenswürdige KIs, die ihren Teil zur menschlichen Gesellschaft beitragen, an Rechenleistung gewinnen können.

Das Gleichgewicht kippt, als die Stadt Miami durch außer Kontrolle geratene Nanotech zerstört wird. In der Folge der Ereignisse beschließt eine mächtige Untergrundorganisation namens XOR, dass die KIs die Erde nicht länger mit der Menschheit teilen sollten.

Die KI-Pioniere Catherine Matthews, Leon Tsarev und Mike Williams vermuten, dass sie nur noch wenige Monate haben, bevor XOR einen Vernichtungsfeldzug startet. Werden sie eine Lösung finden, bevor ihre Zeit abläuft?
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum15. Dez. 2018
ISBN9783958353770
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    Buchvorschau

    DIE TURING-ABWEICHUNG - William Hertling

    Autor

    Teil 0

    Vorgeschichte

    Es ist das Jahr 2043.

    Seit dreißig Jahren koexistieren Menschen und künstliche Intelligenzen, auch KIs genannt, durch eine sorgfältig aufrechterhaltene Balance der Macht.

    Einige KIs verbringen ihre gesamte Existenz innerhalb von Computern, besuchen nie die reale Welt, während andere sich in Roboterkörpern manifestieren. Aber alle müssen sich einem rigiden Reputationssystem unterwerfen, das sicherstellt, dass nur die KIs, die vertrauenswürdig sind und Beiträge zum Wohl der Menschheit und der KI-Zivilisation leisten, an Rechenleistung gewinnen.

    Die Menschheit ist im Wandel. Die meisten haben ein Neuralimplantat, das sie mit dem globalen Netz verbindet; aber eine wachsende Zahl hat ihren Intellekt mit Computerchips aufgerüstet, was sie halb zu Menschen und halb zu KIs macht. Viele verbringen ihr Leben innerhalb einer virtuellen Realität und besuchen nur noch selten die reale Welt.

    Aber jetzt wird sich alles verändern.

    Prolog

    Juni 2043 in Portland, Oregon

    Cat kam aus der Dusche, nur Sekunden, bevor das Neuralimplantat ihr signalisierte, dass ein dringender Anruf von Mike Williams hereinkam. Sie ging auf reinen Sprachmodus.

    »Was ist los, Mike?« Mike, ihr langjähriger Freund, war der Leiter des Instituts für Angewandte Ethik, der Kontrollbehörde für KIs.

    »Wir haben eine Situation in Miami, die sich zu einem Problem entwickeln könnte. Unsere zuständige KI hat den Stromverbrauch hochgerechnet und vermutet, dass es sich um nicht lizenzierte Rechner handelt. Könnte ein falscher Alarm sein, aber ich hatte die Hoffnung, dass ihr es euch mal ansehen könntet, du und Leon.«

    Cat dachte kurz an den Babystuhl, der so dick mit getrockneter Babynahrung verkrustet war, dass es sogar die Reinigungsbots überforderte, und an die Berge gebrauchter Windeln, die gewaschen werden mussten. Sie warf einen Blick in Richtung Schlafzimmer, wo ihr Ehemann Leon Tsarev immer noch schlief. »Ich bin dabei. Leon kann auf die Kleine aufpassen.«

    »Super. Ich habe eine Überschalldrohne, die schon am Flughafen auf dich wartet.«

    Cat trennte die Verbindung und dachte kurz darüber nach, ob sie Leon wecken und ihm von dem Auftrag erzählen sollte, aber dann redete sie sich ein, dass er seinen Schlaf brauchte. Sie nahm eine Nachricht für ihn auf und setzte sie auf ›Autoplay‹, sodass sie abgespielt werden würde, sobald er aufwachte.

    Sie zog sich eilig an, wählte ihre nanogefertigte kugelsichere Stretchhose. Das Material sah wie Leder aus und trug sich wie Spandex. So etwas bekam man nicht von der Stange. Wer aber die intelligentesten KIs der Welt zu seinen Freunden zählte, für den war der 3D-Druck einer Designerhose nur eine kleine Gefälligkeit. Über ihrem Shirt trug sie das Doppelschulterhalfter und wählte dafür aus der Waffenbox ihre beiden Lieblingswaffen aus – die SIG Sauer P12 mit panzerbrechender Keramikmunition und die neue Remington Smart9 mit Lenkflugkörpermunition.

    Sie trat vor die Haustür und wich einer frühmorgendlichen Minidrohne aus, die den Vorgarten pflegte. Mehrere hundert Sensoren und Kameras an den Häusern und Fahrzeugen in der Nachbarschaft, die städtische Sicherheit und das öffentliche WatchNet überwachten alles und hielten Ausschau nach Ungewöhnlichem. Cat schaltete sie alle mit einem einzigen Gedanken ab, unterlief die Systeme auf Netzwerkebene mit der Leichtigkeit, mit der man eine Mücke verscheuchte.

    Aus Gewohnheit warf sie einen Blick ins Netz. Sie spürte die allgegenwärtigen Hintergrundgeräusche der automatisierten Bots und der Smart-Ausstattungen der Gebäude, fast zehntausend Geräte in einem Radius von nur einem Block. Das Sim-Haus zwei Straßen weiter, voll von VR-Süchtigen in ihren Soletanks, zog genug Strom für dreißig Haushalte, mehr als seine eigenen Solarpaneele erzeugen konnten, und zapfte deshalb Strom aus dem Nachbarschaftsnetz. Die Netzwerklast, die es erzeugte, war enorm, groß genug, um bei ihr als dicke rote Linien angezeigt zu werden, die von dem Haus zu den Mesh-Knoten liefen.

    Keine unmittelbaren Bedrohungen. Sie stieg in ihren Wagen, der sie selbstständig zum Flughafen bringen würde. Sie und Leon hatten ihr Flugauto gegen das etwas sicherere Bodenfahrzeug eingetauscht, nachdem ihr Baby geboren worden war. Sie hatte die Selbstfahr-Algorithmen des Fahrzeugs überschrieben, sodass sie die Geschwindigkeitslimits überschreiten konnte.

    Am Flughafen fuhr sie zum Gate der Nationalgarde, meldete sich dort mit der ID, die sie normalerweise für ihre Tätigkeit am Institut benutzte. Man musste sie dort schon erwartet haben, weil das Tor sich öffnete, kaum dass sie herangefahren war. Die Soldaten und Bots gingen ins ›Stillgestanden‹.

    Da sie weder bei der Regierung noch beim Institut einen offiziellen Status hatte, konnten sie eigentlich nicht wissen, wer sie war. Aber Mike hatte Einfluss bis in die höchsten Kreise, da das Institut für Angewandte Ethik alle KIs überwachte. Sicher, diese KIs waren auch Bürger der Nationalstaaten, aber das Institut legte die Regeln und Gesetze fest, nach denen die KIs sich richten mussten. Und da die KIs mittlerweile achtzig Prozent der Weltwirtschaftsleistung ausmachten, war das Institut einflussreicher als die meisten Länder der Erde.

    Sie hielt direkt neben der überschallschnellen Transportdrohne, die auf dem Asphalt am Ende des Rollfelds stand. Der aufragende graue Rumpf sah seltsam aus; seine aerodynamischen Linien schienen schlaff und formlos auf dem Boden zu liegen, als wären an beiden Seiten formlose Säcke befestigt. Welche KI auch immer für die Steuerung verantwortlich war - sie schien kein Gefühl für ihr äußeres Erscheinungsbild zu haben. Das war seltsam, da die meisten KIs sehr auf ihr Image achteten.

    Sie schickte ihren Wagen nach Hause und stieg hastig die Stufenleiter zur Drohne hinauf.

    »Mon Chaton

    Cat sah überrascht auf. »Helena! Mike hat dich gar nicht erwähnt …«

    Ihre Stimme verebbte. Helena war ein Durga Mark III, ein gepanzerter Kampfbot mit acht Armen. Aber heute hatte Helena den Gurt angelegt und hielt sich mit mehreren Tentakeln an ihrem Sitz fest. Wenn Cat sich nicht irrte, dann wirkte die Roboterveteranin … verängstigt.

    »Ist alles in Ordnung?«

    »Für die KI, die das Ding steuert, ist das der erste Flug in der realen Welt. Sie kam erst heute Morgen aus dem Inkubator.«

    Sie wechselte auf einen stark verschlüsselten Kanal und schickte Cat eine Nachricht auf ihr Implantat: »Ich könnte das Ding selbst dann besser fliegen, wenn die Hälfte meiner Sensoren zerstört wäre und man mir zwei Tentakel auf den Rücken gebunden hätte.« Laut sagte sie nur: »Schnall dich besser an.«

    Cat setzte sich direkt neben Helena. Sie beide waren die einzigen Passagiere in der großen Kabine, die vierundzwanzig großzügig verteilte Sitze beherbergte und für Truppentransporte ausgelegt war. Das Militär nutzte diese Art von Ausstattung, um gemischte Teams aus Menschen und Robotern zum Einsatzgebiet zu bringen.

    Als der Verschluss ihres Gurtes einrastete, hörte man im Flugzeugrumpf ein lautes Knirschen, das darauf hindeutete, dass die Drohne in ihre Startkonfiguration ging. Gleich darauf heulten die Triebwerke unter Volllast auf. Sie schossen die Rollbahn hinunter und brauchten kaum ein Viertel der Startbahn, bevor sie abhoben. Über das Netz bemerkte Cat hunderte von Alarmmeldungen, als sie die Schallmauer durchbrachen, noch bevor sie das Stadtgebiet verlassen hatten.

    »Ich verstehe, was du meinst«, bemerkte Cat und löste ihre verkrampften Hände von den Armlehnen.

    Sie wandte sich Helena zu. Eine neue tiefe Schramme lief über die Oberfläche ihrer Keramikpanzerung. Mehr als ein halbes Dutzend Tentakel aus Speziallegierung, die für Fortbewegung, Kampf und feinmechanische Tätigkeiten genutzt werden konnten, umgaben ihren Zentralkörper, in dem sich Helenas Prozessoren, die Energieversorgung und die Sensoren befanden. Trotz ihres furchterregenden Aussehens war der Kampfbot loyal, ehrlich und fair. Außerdem war sie Cats beste Freundin. »Schön, dich wiederzusehen.«

    »Geht mir genauso, mein Kätzchen. Wie hat Mike dich überredet?«

    »Ich hatte die Wahl zwischen Windelwaschen und diesem Einsatz. Hast du jemals Windeln gewaschen?«

    »Ich muss passen. Aber wer hat sich denn um Ada und euer Haus gekümmert, als du und Leon unter Schlafmangel litten? Außerdem könntest du deinen Geruchssinn abschalten. Dann ist es gar nicht mehr so schlimm.«

    Cat erstarrte und sah Helena an. Das stimmte eigentlich: Mit ihrem Neuralimplantat hatte sie die komplette Kontrolle über ihre Sinnesorgane. Sie konnte jeden Geruch, jedes Gefühl und jedes Abbild so lebensecht simulieren, als wären sie real. Und sie konnte genauso leicht jeden Geruch, jeden Anblick und jede Berührung ausblenden.

    »Daran hast du wohl nicht gedacht?«, fragte Helena. Sie wackelte mit einem Tentakel. »Die Mutterschaft hat dein Gehirn ausgebremst. Du solltest weniger Zeit mit Spielsachen und mehr Zeit im Einsatz verbringen.«

    Cat gab Helena einen spielerischen Klaps und lachte.

    Als sie sich Miami näherten, rief Mike mit neuen Daten aus dem Institut an. Das universale soziale Reputationssystem, das die KIs dazu brachte, sich ethisch korrekt zu verhalten, führte auch dazu, dass sie jedes ungewöhnliche Verhalten meldeten, das ihnen auffiel. Da die KIs das Netz, die Stromversorgung und die Warenströme überwachten, also fast alle Aspekte der modernen Welt, bedeutete das, dass sie schnell jedes verdächtige Verhalten entdeckten.

    »Mehrere KIs haben Schwankungen im Stromnetz eines Industriegebiets gemeldet«, sagte Mike. »Ich schicke euch die Koordinaten. Es könnte belanglos sein, vielleicht nur eine Fehlfunktion oder ein Amok laufender Replikator.«

    »Verstanden«, antwortete Cat.

    Sie hatte genug Erfahrung mit dem Institut, um zu wissen, wovor Mike sich am meisten fürchtete: Nicht lizenzierte Computer, die einer KI erlauben würden, sich der Kontrolle zu entziehen, ohne jegliche Überwachung ihrer Stärke und Rechenleistung.

    Für gewöhnlich schickte das Institut operative Mitarbeiter, die sich um die Routineangelegenheiten kümmerten. Sie zogen Cat und Leon nur für die komplizierteren Aufgaben hinzu. Entweder war Mike wegen dieser Sache besonders besorgt und brauchte deshalb Cats einzigartige Fähigkeiten. Oder er wollte einfach nur freundlich sein und ihr eine Auszeit verschaffen.

    »Es gibt noch mehr«, fuhr Mike fort. »Wir haben auf ältere Daten von WatchNet für die Umgebung des Gebäudes zurückgegriffen. Zwölf Menschen haben es am letzten Freitag betreten. Seitdem hat es niemand mehr verlassen.«

    »Weswegen waren sie dort?«, fragte Cat.

    »Da sind wir uns nicht sicher. Sie hatten alle Zeitarbeitsverträge, hauptsächlich für einfache Tätigkeiten. Könnte alles Mögliche gewesen sein, von Arbeiten an Fertigungsanlagen bis hin zu Möbeltransporten.«

    »Warum hat die Firma keine Roboter eingesetzt?«

    »Unbekannt«, antwortete Mike. »Sobald wir neue Informationen bekommen, geben wir sie sofort an euch weiter. Bitte seid vorsichtig.«

    Als ihre Flugdrohne im Endanflug war, spürte Cat angesichts der bevorstehenden Mission einen Adrenalinschub. Sie hatte die letzten Minuten mit Qigong verbracht, eine stille Meditation, die ihren Geist und ihren Körper beruhigte. Mit geübter Leichtigkeit brachte sie ihr Implantat auf Maximalleistung, was ihre Reflexe beschleunigte und ihren Verstand mit zusätzlicher Prozessorleistung unterstützte. Es gab ihr auch genügend Kontrolle über ihr Nervensystem, sodass nicht zu viel Adrenalin ausgeschüttet würde, was zu schlechten Entscheidungen führen konnte.

    Die Militärdrohne setzte sie an der Homestead Air Base der Nationalgarde ab, wo ein Armeetransporter auf sie wartete. Ein einsamer Kampfbot begrüßte sie und übertrug ihnen die Zugangscodes für den Transporter. Cats Implantat zeichnete sie auf und sie übernahm die Kontrolle über das Fahrzeug.

    Sie fuhren in nördlicher Richtung. Helena und Cat saßen nebeneinander in der geräumigen Kabine. Cat meditierte, verdrängte die Fahrgeräusche aus ihrem Bewusstsein, bis sie mühelos ins Netz glitt und die anderen autonomen Fahrzeuge umleitete, um ihren Weg freizumachen. Sie rasten in der Mitte der nun leeren Straßen, bis sie nach nur fünfzehn Minuten das Industriegebiet erreichten.

    Als sie sich dem Zielgebäude näherten, tastete sich Cat durch das Netz vor, aber sie bemerkte nichts. Sie warf einen fragenden Blick zu Helena hinüber.

    »Nein. Ich erkenne auch nichts, obwohl meine Infrarotsensoren anzeigen, dass die Wärmeabstrahlung des Lagerhauses fast zwanzig Grad höher ist als die der umliegenden Gebäude. Was immer es auch ist, es ist hochgradig exotherm.«

    »Hoher Stromverbrauch und dann auch noch exotherm. Das klingt nicht gut.«

    »Könnten Industriemaschinen sein«, sagte Helena. »Oder eine Serverfarm, was schlimmer wäre.«

    Cat verzog das Gesicht. »Oder außer Kontrolle geratene Nanotech.«

    Wenn es eine Sache gab, die bedrohlicher war als eine KI, die die Kontrolle der globalen Infrastruktur an sich riss, dann war es sich endlos replizierende Nanotechnologie.

    Nanotech, Maschinen von Molekulargröße, konnten dazu benutzt werden, Nanobots herzustellen. Es waren zellgroße Roboter, die jede Art von Materie in weitere Kopien von sich selbst umwandeln konnten. Nanobots gab es praktisch überall und sie wurden für nahezu alles benutzt, sei es bei der strukturellen Verstärkung von Gebäuden oder bei der Unterstützung des menschlichen Immunsystems. Von einer KI programmiert, taten sie exakt das, wofür sie gedacht waren. Aber mit den falschen Befehlen konnten sie den gesamten Planeten mitsamt jedem Lebewesen in eine einzige brodelnde Masse aus Naniten verwandeln.

    »Unwahrscheinlich«, erwiderte Helena. »Dagegen gibt es vielfach gestaffelte Sicherheitsmaßnahmen.«

    »Wir haben auch Sicherheitsmaßnahmen gegen das Fehlverhalten von KIs, und doch werden wir immer wieder angefordert, um uns um solche Probleme zu kümmern.«

    Sie hielten am Straßenrand und stiegen aus dem Fahrzeug. Nebeneinander gehend untersuchten sie das einfache weiße Gebäude aus einer Entfernung von fünfzehn Metern.

    »Seit wir angekommen sind, ist die Temperatur im Gebäude um weitere fünf Grad gestiegen«, mahnte Helena.

    Cat suchte nach einer Kamera oder einem Sensorsystem innerhalb des Gebäudes, das sie unter ihre Kontrolle bringen konnte, fand aber nichts. »Kannst du da hineinsehen?«

    »Nein.«

    Sie war nicht scharf darauf, sich durch die Vordertür ins Unbekannte zu stürzen. »Ich werde den Transporter benutzen.«

    Cat steuerte den Militärtransporter mit ihrem Implantat und ließ ihn über die Rasenfläche rollen, bis er mit etwa 30 Stundenkilometern gegen die Außenwand prallte. Der Transporter bohrte sich durch das Mauerwerk und blieb auf halbem Weg stecken.

    Jetzt hatte Cat durch die Kameras und Sensoren des Fahrzeugs Zugriff auf den Innenraum. Sie teilte die Daten mit Helena.

    Im Inneren gab es nichts außer einem unnatürlich glatten Boden, der sich von der Vorder- bis zur Rückwand erstreckte.

    »Es sind jetzt schon über 60 Grad«, warnte Helena. »Und das EMF geht durch die Decke.«

    »Keine Spur von den Arbeitern, die letzten Freitag hier reingegangen sind.«

    Cat hakte nach, stellte fest, dass der Transporter ein einfaches Spektrometer hatte, und scannte damit den Boden: Silizium, seltene Erden, Spuren von Kohlenstoff und Eisen.

    Helena sah die Messwerte ebenfalls. »Das ist verdammte Nano«, rief sie und machte einen Schritt zurück.

    Cat öffnete eine Drei-Wege-Verbindung zu Mike und Helena und übertrug alle ihre Daten. »Ich habe noch nie einen Nanosee von dieser Größe gesehen«, rief sie. »Die Nano ist inaktiv, aber offensichtlich einsatzbereit und darauf programmiert, irgendetwas zu unternehmen. Strahlt wie verrückt Hitze ab.«

    »Was ist mit den Arbeitern?«, fragte Mike.

    »Keine Spur von ihnen«, antwortete Cat. »Was sollen wir machen? Diese Nano ist ›scharf‹. Soll ich versuchen, sie herunterzufahren?«

    Wenn Helena und sie keinen Weg fänden, die Nanobots abzuschalten, dann gab es nichts, was die winzigen Maschinen nicht tun oder werden konnten: Sie konnten sich replizieren und ausbreiten, sich bis zum Erdkern durchbohren, Menschen töten oder sich in jede Art von Maschinerie oder elektronisches Gerät verwandeln. Das Zeug war unbegrenzt wandelbare, programmierbare Materie.

    »Ihr macht gar nichts«, antwortete Mike rasch. »Wir haben ein Protokoll für solche Szenarien. Einen EMP. Bleibt in der Leitung.« Ein paar Sekunden vergingen. »Die Air Force wird einen räumlich begrenzten EMP auslösen. Ihr solltet mindestens achthundert Meter entfernt sein.«

    »Ich denke, das Protokoll legt nahe, dass wir den Transporter da lassen, wo er ist«, sagte Cat und zeigte auf das Fahrzeug, das immer noch in der Wand des Gebäudes steckte und damit halb in der Nanosuppe.

    »Willst du auf meinem Rücken reiten?«, fragte Helena. Sie konnte auf offenem Gelände über 80 Stundenkilometer erreichen.

    »Ich bin doch kein Kind mehr«, sagte Cat lachend, als sie auf die Panzerhülle des Bots klopfte. Mühelos hackte sie sich in die Steuerung eines in der Nähe abgestellten Wagens. »Lass uns fahren.«

    Sie entschieden, drei Kilometer Abstand zwischen sich und das Gebäude zu bringen. Es war im Moment möglicherweise der gefährlichste Ort des ganzen Landes, da nicht klar war, was das Militär vorhatte. Nur ein paar Minuten vergingen, als Cat ein sich näherndes Flugzeug hörte. Es war eine alte A10 ›Warzenschwein‹, ein absolut antikes Fluggefährt, das ohne jede Elektronik fliegen und selbst dann in der Luft bleiben konnte, wenn man ihm die Hälfte der Tragflächen weggeschossen hatte. Cat war klar, warum sie es ausgewählt hatten. Wenn der Puls ausgelöst würde, würden alle elektronischen Schaltkreise in der Umgebung durchbrennen. Der EMP würde die Nanobots, aber auch jegliche Elektronik an Bord eines Flugzeugs zerstören. Daher das altmodische Flugzeug ohne moderne Flugsysteme oder KI-Kontrolle, vermutlich gesteuert von einem Menschen ohne Neuralimplantat.

    Das Flugzeug glitt über ihre Köpfe hinweg. Cat fuhr ihr Implantat herunter und Helena rollte sich zu einem Ball zusammen und wickelte ihre Tentakel um ihren Rumpf. Eigentlich waren sie weit genug entfernt, aber sie wollten auf Nummer sicher gehen.

    Der EMP erzeugte keinen Ton, als er ausgelöst wurde, aber Cat spürte die Wirkung sofort, als die Hintergrundgeräusche der Stadt verstummten. Alles von der Müllabfuhr über die Ampeln bis hin zu Autos und Computern, also alles Technische innerhalb des Radius des EMP, musste jetzt ausgefallen sein. Und das schloss alles ein, was mit dem Stromnetz verbunden war, da es den Impuls übertragen würde.

    Das Wummern sich nähernder Helikopter ertönte und Cat fuhr ihr Implantat wieder hoch. Sie stellte eine Videoverbindung zu Mike her. Die Kameras in seinem Büro schickten ein Signal an ihr Implantat, das die Videodaten in ihr Gesichtsfeld projizierte. Cat und Helena waren so höflich und sahen einander an, sodass Mike von beiden ein Videobild bekam.

    »Was ist da los, Mike?«, fragte Cat.

    »Der EMP zündete wie geplant im Ziel. Wir haben ein paar Helikopter vor Ort, die das Zielgebiet überfliegen und mit ihren EMF-Sensoren prüfen, ob die Nanotech wirklich ausgeschaltet wurde.«

    Das machte Sinn. Alle elektronischen Geräte sendeten immer auf bestimmten elektromagnetischen Frequenzen. Wenn die Nanotech inaktiv war, gab es kein EMF mehr.

    Mike sah nach rechts und sprach mit jemandem, den sie nicht hören konnten. »Das Militär dreht gerade durch. Sie waren nicht glücklich darüber, dass das Institut diese Mission durchführt. Sie wollen bis rauf zum Präsidenten gehen, um die Kontrolle zu übernehmen.«

    »Was haben die Helikopter herausgefunden?«, fragte Cat.

    »Einen Augenblick … verdammt noch mal, es kommen immer noch Messwerte rein. Die Nanotech ist noch aktiv.«

    »Werdet ihr einen HEMP einsetzen?« Ein EMP in großer Höhe wurde durch einen Nuklearsprengkopf ausgelöst, der in der oberen Atmosphäre gezündet wurde, was tausendmal effektiver war, aber auch alle ungeschützte Elektronik in ganz Miami zerstören würde.

    »Ja, das ist das Standardprotokoll des Instituts.« Mike sah nach rechts und sie konnten wieder beobachten, wie er jemanden anbrüllte, ohne zu hören, was gesprochen wurde.

    »Bewegt eure Ärsche«, grollte Mike. »Der Präsident hat mich übergangen. Sie setzen eine Kernwaffe am Boden ein. Ihr habt fünf Minuten.«

    »Machst du Witze? Wir sind hier mitten in Miami, umgeben von ein paar Millionen Menschen.«

    »Nein, das ist kein schlechter Scherz. Offenbar konnten die Berater den Präsidenten davon überzeugen, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Die übliche Vorgehensweise in diesem Fall ist ein Nuklearschlag.«

    »Lass mich die Nanos herunterfahren«, rief Cat. »Du hast mich gerufen, um eine Eskalation zu vermeiden. Wenn sie mit dem Netz verbunden sind, kann ich sie problemlos hacken. Verschaff mir zehn Minuten.«

    »Du hast aber keine zehn Minuten«, brüllte Mike. »Die haben die Bombe schon gestartet. Ich habe keinen Einfluss auf Militäroperationen. Ihr müsst da sofort weg. Ich schicke euch die Drohne. Ihr habt nicht mehr die Zeit, zum Flughafen zu fahren. Ich muss los.«

    Er trennte die Verbindung und Cat starrte Helena ungläubig an. »Das kann doch nicht sein! Das können die nicht machen!«

    Helena beobachtete Cats Augen genau. »Fahr dein emotionales Feedback herunter. Du hast einen Schock. Wir brauchen dich jetzt.«

    Cat nickte und justierte ihr Implantat so, dass sie wieder klar denken konnte. Die Welt wurde wieder klarer, ihre Gedankengänge präziser. Warum wollten sie eine Kernwaffe am Boden einsetzen? Das würde Millionen von Menschen töten. Die Nanotech stellte zwar ein enormes Risiko dar, aber es musste doch andere Optionen geben.

    »Sie hätten ein größeres EMP einsetzen sollen«, murmelte Cat, »oder Anti-Nanotech.«

    »Gut, dass du wieder die Alte bist«, sagte Helena erleichtert. »Gibt es alternative Wege, um die Nanos auszuschalten? Irgendwas, was wir zwei hier vor Ort tun können? Und wenn wir sie schon nicht deaktivieren können, kannst du dann wenigstens die Bombe aufhalten?«

    Cat verstand, was Helena vorschlug. Aber sie hatten nicht viel Zeit. Sie schloss die Augen, machte ihre Flores-Meditation in genau zwei Sekunden und breitete ihr Bewusstsein über das Netz aus, bis ihre Gedanken und ihr Wille nicht länger nur in ihrem Kopf waren, sondern sich auf jeder Art von Computer befanden, den sie nur finden konnte. Sie ignorierte das schwarze Loch, von dem aus der EMP ausgelöst worden war, und riss Netzwerkknoten an sich, erst Tausende, dann Zehntausende und schließlich Millionen. Ihre Persönlichkeit breitete sich aus, bis sie den größten Teil Nordamerikas umfasste; ihr Verstand lief in unzähligen parallelen Prozessen mit der Geschwindigkeit einer KI. Sie dachte über die von Helena aufgeworfenen Fragen nach. Denkbar wäre es, die Nanos zu hacken. Sie machte einen Versuch, fand sie erst nicht, drang dann tiefer vor und probierte verschiedene Protokolle und Frequenzen, wobei sie nahegelegene Mesh-Knoten benutzte. Sie bekam eine Rückmeldung auf einer alten Fernsehfrequenz und stellte zufrieden fest, dass die Nanos so programmiert waren, dass sie Kommandos von Dritten ausführten. Sie würde immer noch ihre Sicherheitsprotokolle hacken müssen, aber das konnte sie schaffen. Was war mit der anfliegenden Bombe? Sie konnte den Marschflugkörper jetzt orten, der bereits in der Luft war, abgefeuert von einem Stützpunkt in Georgia und mittlerweile auf Mach 4. Die Lenkwaffe war online, unter militärischer Kontrolle, und bereit, neue Befehle auszuführen. Sie konnte sie mit Leichtigkeit übernehmen, den Gefechtskopf entschärfen oder sie einfach in den Ozean stürzen lassen.

    Aber was würde geschehen, wenn sie den Marschflugkörper aufhielte? Sie warf einen raschen Blick in die Zukunft, ließ Tausende von Simulationen durchlaufen. Mit jeder Entscheidung erzeugte sie weitere Simulationen und errechnete die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Ereignisse.

    Eine Vision erschien dabei wieder und wieder: Eine beängstigende Trümmerlandschaft, in der fast nichts lebte. Es war nicht der Effekt der unkontrollierten Nanotech oder der anfliegenden Kernwaffe, sondern die Konsequenz eines umfassenden, globalen Krieges ohne klare Fronten. Mensch gegen Maschine, Mensch gegen Mensch und Maschine gegen Maschine. Ihr Entsetzen wuchs, als eine Simulation nach der anderen die Bilder von zerstörten Städten zeigte, von ausgefallenen Stromnetzen, aber was noch schlimmer war, von einer Mondlandschaft mit Fahrzeugwracks und verlassenen Ruinen.

    Wie konnten nur so viele sterben?

    Für Cat war es ein Wettlauf gegen die Zeit in der realen Welt, aber sie brauchte Antworten. Sie versuchte, die Katastrophe auf ihre Ursachen zurückzuführen, aber die einzige Gemeinsamkeit, die sie entdecken konnte, war, dass sie die Bombe aufhielt. Wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machte und diesen wahnsinnigen Plan verhinderte, Miami zu bombardieren, was zum Verlust von Millionen von Menschenleben führen würde, dann konnte sie etwas weit Schlimmeres auslösen: Einen katastrophalen Verlust von Menschenleben, der in die Milliarden ging.

    Sie öffnete die Augen. Die Transportdrohne war inzwischen auf der Straße gelandet, jetzt für einen vertikalen Start konfiguriert.

    Cat schüttelte benommen den Kopf. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie dachte daran, dass sie gerade Millionen von Menschen zum Tode verurteilte. »Ich kann die Bombe nicht aufhalten. Wir haben noch drei Minuten. Lass uns verschwinden.«

    Helena starrte Cat an, ihre optischen Linsen fixierten Cats Augen, als könnte sie nicht glauben, was sie da hörte. Cat schrumpfte unter ihrem Blick zusammen. Dann nickte Helena feierlich.

    »Ach so, na dann …«

    Was sie geschlussfolgert hatte, sagte sie nicht. Sie schnellte vor, ignorierte die Sprossen der Leiter und sprang die fast zwei Meter direkt in die offene Luke. Cat folgte ihr.

    Dieses Mal wartete die Drohne nicht einmal darauf, dass sie sich hinsetzten. Sie beschleunigte heftig in einem vertikalen Aufstieg, sobald Cat sich im Inneren befand. Cats Knie gaben unter den enormen G-Kräften nach. Sie stürzte schwer zu Boden und ein scharfer Schmerz fuhr durch ihre Schulter.

    Das Flugzeug wendete und Helena fixierte Cat mit ihren Tentakeln. Sie schossen davon.

    Ein plötzlicher Lichtblitz erhellte den Himmel mit solcher Intensität, dass trotz der kleinen Seitenfenster der Innenraum blendend hell erleuchtet wurde. Cat spürte, wie das Netz waberte und brannte, bevor es ganz erlosch. Millionen von Menschen verschwanden aus dem Netz.

    Cats Herz pochte heftig in ihrer Brust. Die Stadt Miami war gerade ausgelöscht worden. Sie hätte es verhindern können, aber eine Vision der Zukunft hatte ihr geraten, es nicht zu tun.

    »Warum habe ich nichts getan?«

    2025, während des Jahres ohne Internet (JOI) – vor zwanzig Jahren

    Als Teenager hatte Leon Tsarev versehentlich den Phage-Virus erschaffen, einen Computervirus, der alle Computer des Planeten befiel, sich in der Folge rasch weiterentwickelte und ein Bewusstsein erlangte. Diese Virusrasse von KIs hätte beinahe einen Weltkrieg ausgelöst. Er hatte damals nicht erwartet, dass ihn das einmal in die Position als einer der Leiter des Instituts für Angewandte Ethik bringen würde.

    Aber genau das war er jetzt, gerade einmal achtzehn Jahre alt und an der Seite von Mike Williams arbeitend, einem der Schöpfer der ersten künstlichen Intelligenz, die dem Phage-Virus vorausgegangen war, einer dem Menschen wohlgesonnenen KI namens ELOPe. Im Jahr 2015 erschaffen und von Mike über zehn Jahre sorgsam überwacht hatte ELOPe sowohl für Fortschritte in der Medizintechnologie und der Umweltforschung als auch für den Weltfrieden und die Stabilität der globalen Finanzmärkte gesorgt. Nur eine Handvoll Menschen auf der ganzen Welt hatten von ELOPes Existenz gewusst.

    Aber die Fortschritte bei Hard- und Software hatten auch dazu geführt, dass jeder Hacker die Entstehung einer KI reproduzieren konnte. Der Geist in der Maschine war aus der Flasche entkommen.

    Das Primärziel des Instituts für Angewandte Ethik war die Entwicklung eines ethischen Rahmenwerks für neu entstandene KIs. Diese Richtlinien mussten sicherstellen, dass die zielgerichteten und wissbegierigen KIs nicht dem Menschen, seiner Infrastruktur oder seiner Kultur schaden würden.

    Leon ging vor einem Whiteboard auf und ab. »Die KIs müssen sich gegenseitig überwachen«, sagte er. »Es ist nicht möglich, jedes denkbare ethische Dilemma vorauszusagen und in einen Programmcode zu packen.«

    »Klar«, bestätigte Mike, »aber was sollte so

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