Lust und Last des Korrigierens: Einblicke in ein unbeachtetes Aufgabenfeld des Lehrerberufs
Von Bernd Hauck
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Über dieses E-Book
Was „erleben“ korrigierende Lehrkräfte und welche psychosozialen Prozesse treiben sie an und um?
Mit der Hinwendung zu den verschiedenen Facetten der alltäglichen Korrekturarbeit von Lehrern und Lehrerinnen möchte das vorliegende Buch nicht nur eine Lücke in der pädagogischen Fachliteratur schließen, sondern informative und vergnügliche Lektüre-Erlebnisse auch für ein breiteres Publikum ermöglichen.
Bernd Hauck
Dr. Bernd Hauck, geboren 1954 in Alsfeld (Oberhessen), lebt nach fast zwanzigjähriger Tätigkeit als Didaktischer Leiter der Integrierten Gesamtschule Peine als Autor von wissenschaftlichen und literarischen Texten in Lengede (Niedersachsen).
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Buchvorschau
Lust und Last des Korrigierens - Bernd Hauck
Dieses Buch widme ich den vielen tollen
Schülerinnen und Schülern, die ich an
verschiedenen Gesamtschulen
unterrichten durfte.*
*
Integrierte Gesamtschule Franz' sches Feld,
Braunschweig;
Integrierte Gesamtschule Peine
Vorwort
Wie gehen die Lehrkräfte im Alltag mit dem Widerspruch um, die Korrekturarbeit trotz ihrer offenkundig zweifelhaften pädagogischen Sinnhaftigkeit, des enormen Zeitaufwands sowie ihrer praktischen Folgenlosigkeit für die Lernentwicklung der Schüler dennoch immer wieder neu erledigen zu müssen?
Als Lehrer für Deutsch und Politik habe ich inzwischen sicherlich mehrere tausend Klassenarbeiten und Klausuren korrigiert. Die Korrekturarbeit habe ich dabei fast immer als belastend und fordernd, oft aber auch als interessant, aufschlussreich und anregend empfunden.
Der Titel „Lust und Last des Korrigierens" soll diese Ambivalenz meiner Korrekturerfahrungen zum Ausdruck bringen und neugierig machen auf eine Reise in die Erfahrungswelt korrigierender Lehrerinnen und Lehrer.
Sie, liebe Leserinnen und Leser, finden im vorliegenden Buch sowohl essayhafte Texte mit wissenschaftlichem Anspruch wie auch nicht ganz ernst zu nehmende satirische Exkurse über mehr oder minder kuriose Aspekte der Korrekturarbeit.
Gemeinsam ist allen Texten der Anspruch, die Korrekturarbeit konsequent aus der Perspektive der agierenden Lehrkräfte, ihrer Arbeitsstrategien, Befindlichkeiten und Emotionen zu analysieren.
Informationen zu meinem gleichnamigen Veranstaltungs- und Lesungsprojekt finden Sie unter:
www.lust-und-last-des-korrigierens.de
Kontakt: hauckabc@aol.com
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Die Klassenarbeit als Ritual
Einblicke in die Geschichte der Korrekturarbeit
Blick hinter die Kulissen (I)
Die Farbe Rot: Schülerängste und erkrankte Lehrer
„Wer korrigiert denn da?"
Korrekturarbeit im Spiegel empirischer Untersuchungen
Korrigieren: Monotone Sisyphusarbeit oder
spannende Entdeckungsreise?
Blick hinter die Kulissen (II)
Die Lehrkraft als Polizist und Detektiv
Zeitmanagement oder: Nach der Klausur ist vor der Klausur
Die Klassenarbeit als Blackbox:
Riskantes Spiel mit offenem Ausgang
Blick hinter die Kulissen (III)
Nicht witzig: Hinterlassenschaften
Gefangen!
Über den schwierigen Umgang mit einem nicht einlösbaren Anspruch
Blick hinter die Kulissen (IV)
„Machen Sie das eigentlich gerne?" Beunruhigende Einblicke in die Psyche der Korrigierenden
„Gott oder Kumpel?"
Der steinige Weg der Notenfindung
„So ein blöder Fehler!"
Über die emotionalen Seiten des Korrekturprozesses
Blick hinter die Kulissen (V)
Orte und Ambiente
Versuch, eine ketzerische Frage zu beantworten
Der „Fehlerengel" - über die neue Lust am Korrigieren
Ein Reisebericht aus Absurdistan:
Korrekturarbeit im Zeitalter des Zentralabiturs
Versuch eines Fazits
Statt eines Nachworts: Ein Fallbeispiel als Plädoyer für die Abschaffung benoteter Klassenarbeiten
Literatur
Lust und Last des Korrigierens
Einleitung
Warum ein Buch über das Korrigieren?
In der Selbstwahrnehmung von Lehrerinnen und Lehrern stellt die Korrekturarbeit neben dem Kerngeschäft des Unterrichts sowie seiner Vor- und Nachbereitung die quantitativ umfänglichste Teilaufgabe ihres professionellen Handelns dar. Eine im Auftrag der Bertelsmann-, Bosch-, Mercator- und Telekom-Stiftung durchgeführte repräsentative Befragung unter Lehrkräften der Sekundarstufe I aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass pro Schulwoche fünf Stunden der Arbeitszeit von durchschnittlich 42,8 Stunden für das Korrigieren von Schülerarbeiten verwendet werden (Braunschweiger Zeitung 2016).
Auch im öffentlichen Bewusstsein gehört das Bild der im häuslichen Arbeitszimmer vor einem Heftstapel sitzenden, Klassenarbeiten einsammelnden oder korrigierte Hefte austeilenden Lehrkraft zum festen Repertoire unserer durch autobiographische Erfahrungen und filmische Inszenierungen geprägten Vorstellungswelt über den Lehrerberuf.
Um so erstaunlicher ist, dass das Thema „Korrigieren" in der pädagogischen Fachliteratur kaum vorkommt und sowohl in der ersten wie auch in der zweiten (praxisbezogenen) Phase der Lehrerausbildung eine eher randständige Rolle spielt. Offenbar gehen alle Beteiligten unausgesprochen davon aus, dass entgegen dem in den letzten Jahrzehnten vorherrschenden Trend zur Verwissenschaftlichung und Professionalisierung der Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern die Korrekturtätigkeit keiner spezifischen Schulung und kritisch-reflexiven Durchdringung bedarf.
Dabei böte allein der Begriff „Korrektur" bereits Anlass zu kritischen Nachfragen:
Der Fachbegriff „Korrigieren" ist im pädagogischen Diskurs semantisch positiv besetzt, denn er verweist auf die Existenz eines sinnvollen Zirkels aus Fehlerdiagnose, Einsicht in die Fehlerursachen und daraus resultierenden Lernanstrengungen und -fortschritten der Schülerinnen und Schüler.
Im Hausaufgabenformat der 'Berichtigung' einer Klassenarbeit materialisiert sich gleichsam die Hoffnung auf die positiven pädagogischen Effekte dieser durch die Korrekturarbeit der Lehrkräfte initiierten Lernzirkel.
Auch die für die Korrekturarbeit eingesetzten nicht unerheblichen Zeitressourcen legitimieren sich im Bewusstsein der im schulischen Handlungskontext agierenden Menschen (Lehrkräfte, Eltern, Schüler, Kultusbürokratie) vordergründig durch diesen Glauben an die gleichsam heilsame, nämlich nachweisbare Lernfortschritte bewirkende Funktion korrigierter Klassenarbeiten.
Im Mittelpunkt der Korrekturpraxis steht aber etwas ganz Anderes: Klassenarbeiten werden korrigiert, um sie zu bewerten! Der Korrekturvorgang erfüllt also weniger die Aufgabe der Feststellung von Wissens- und Kompetenzdefiziten oder gar der Organisation von Lernfortschritten für Schülerinnen und Schüler. Über die Vergabe von Noten und in deren Konsequenz Abschlüssen und Berechtigungen ist die Korrektur von Klassenarbeiten vielmehr primär Ausdruck der Selektionsfunktion der Schule als gesellschaftlicher Institution.
Die allgemein verbreitete Dominanz des Begriffs „Korrigieren gegenüber der eigentlich zutreffenderen Formulierung „Bewerten
sollte vor diesem Hintergrund Anlass zu ideologiekritischen Betrachtungen sein und erhebliche Zweifel am pädagogischen Sinn und Ethos der vorherrschenden Korrekturpraxis aufkommen lassen.
Die enge Verzahnung des Korrigiervorgangs mit Prozessen der Leistungsmessung und -bewertung öffnet den Blick auf weitere interessante Aspekte des Themas:
Im Akt der Korrektur, der in die Vergabe einer Note mündet, manifestiert sich nämlich der Herrschaftsanspruch der einzelnen Lehrkraft gegenüber Schülern und Eltern. Zwar führen erlassliche und curriculare Vorgaben, ein für alle einsehbarer Erwartungshorizont sowie lerngruppenübergreifende Parallel- oder zentrale Vergleichsarbeiten zu einer weitgehend standardisierten und damit objektiven Bewertungspraxis – dennoch eröffnet jede Korrektur einer Schülerarbeit Handlungs- und Interpretationsspielräume, die der korrigierenden Lehrkraft Entscheidungen abverlangen bzw. ermöglichen, die innerhalb einer gewissen Bandbreite der Notenskala unterschiedliche Bewertungen zulassen.
Psychologisch betrachtet erwächst die im Titel behauptete „Lust" am Korrigieren vor allem aus diesen Handlungs- und Bewertungsoptionen, die (bewusst oder unbewusst) Bedürfnisse nach Machtausübung befriedigen und dem eigenen Tun Bedeutsamkeit und gesellschaftliche Anerkennung verleihen.
Eine positive Einstellung gegenüber der Korrekturtätigkeit entwickeln viele Lehrkräfte aber auch noch aus einem anderen Grund: