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Der weiße Fleck: DDR, Hohenschönhausen
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Der weiße Fleck: DDR, Hohenschönhausen
eBook452 Seiten3 Stunden

Der weiße Fleck: DDR, Hohenschönhausen

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Über dieses E-Book

Aus dem Vorwort:
Von März bis Dezember 2017 traf und fotografierte ich ehemalige politische Gefangene in der Gedenkstätte und in ihrem privaten Umfeld und ließ sie ihre
Geschichten erzählen. Dokumentarische Aufnahmen des Sperrgebiets HSH geben einen Eindruck über die Räume, in denen die Gefangenen in Isolationshaft
saßen und von der Staatssicherheit (Stasi) verhört wurden.
Die Fotos von heute zeigen das, was damals unsichtbar war. Auf den Stadtplänen zur Zeit der DDR war an der Stelle des Sperrgebiets ein weißer Fleck.
Die Mitarbeiter/innen der Stasi waren darin geschult, die Insassen psychisch zu brechen.
Auch diese Seite beleuchte ich in meinem Buch. Ich traf ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und besuchte die ehemalige
Minister-Etage der Zentrale des MfS. Mit diesem hatte die DDR einen der am stärksten ausgebauten Überwachungsapparate der Geschichte.
Ich erhielt Einblicke in einige Stasi-Akten politisch Inhaftierter und war erschrocken über das Ausmaß und die Ausführlichkeit der Überwachungsvorgänge.
Sie sind Ausdruck der Entwicklung zu einem Regime, das individuelle Freiheit für die eigene Staatsideologie opferte.
Ich möchte die Lesenden dazu einladen, sich ein eigenes Bild von dem zu machen, was ich in diesem Buch zusammengetragen habe.
SpracheDeutsch
HerausgeberHirnkost
Erscheinungsdatum15. Jan. 2018
ISBN9783945398982
Der weiße Fleck: DDR, Hohenschönhausen

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    Buchvorschau

    Der weiße Fleck - Ivanka Penjak

    Schmidt

    Henry Leuschner

    Zur Person

    Geboren bin ich im März 1962 in Leipzig und dann in Jena aufgewachsen.

    Ich habe die 10. Klasse absolviert, war aber nicht in der FDJ und auch nicht in irgendeiner anderen Jugendorganisation. Ich bin nicht aufgenommen worden, da ich lange Haare hatte.

    Ganz anders als all die anderen Jugendlichen da drüben.

    1978 habe ich dann in der DDR ein neues Fach bekommen: Wehrsportkundeunterricht.

    Da musste man mit Maschinenpistolen und Handgranaten durch den Wald rennen.

    Habe ich den Arsch offen? Natürlich nicht!

    Da habe ich gesagt: Das mache ich nicht mit. So bin ich von der Schule geflogen.

    Da gab es dann nur die Wahl zwischen Pest und Cholera:

    Es gab nur Dachdecker oder Maurer. Ich habe mich für die Firma entschieden, die näher dran war. So konnte ich länger schlafen.

    Ich bin Dachdecker geworden. Scheiß Idee, reine FDJ-Firma. Also musste ich als Einziger die Dachziegel hochtragen.

    1978 habe ich einen Lehrstreik organisiert. Was ich natürlich nicht wusste, war, dass der letzte Streik 1958 war. Ich habe Freunde aktiviert, Plakate gemalt usw. Es kam kein Schwein, habe ich also alleine gestreikt.

    Ein Streik bleibt ein Streik.

    Dann kam ich in Jena in den Knast, da hat mich mein Vater, Gott sei Dank, wieder rausgeholt. Der war Oberstaatsanwalt in Algerien gewesen. Er hat in der DDR studiert, war Widerstandskämpfer gegen die Franzosen und hat dann ’62 eine Professorenstelle bekommen und ’75 das Land verlassen.

    Der hat mich jedenfalls rausgeholt, das habe ich aber erst durch die Stasi-Akten erfahren. Ich habe über 1650 Seiten Stasi-Akten.

    Mit 17 Jahren haben sie mich zur nationalen Volksarmee von der Stasi gebracht. Die wollten mich mustern. Da wollte ich aber nicht hin, wurde mir gedroht, wenn ich nicht zur Armee gehe, muss ich in den Knast. Das wollte ich natürlich nicht, also habe ich einen Antrag auf Bausoldat gestellt. Das habe ich auch alles begründet, warum ich da hingehen will. Fünf oder sechs Tage später wurde ich wegen dem Schreiben abgeholt.

    Ich habe schon mit 16, 17 Jahren einen PM-12 bekommen, einen Spezialausweis mit zwei Seiten. Ich durfte die Stadt nicht verlassen, hatte Platzverbot, Umgangsverbot, Meldepflicht und den ganzen Scheiß. Ich war ein feindlich eingestufter Bürger, der wegen Landesverrat, feindlicher Hetze, Fluchtgefahr bedrohlich war, und vor allem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

    Blaue Haare hatte ich damals. Ich war aber kein Punk, ich hatte auf der Autobahn jemanden getroffen, der war kein Punk und auch kein Hippie. Das war ein schwuler Friseur, der kam vom Tunten-Festival. Da dachte ich, hier geht doch was, habe meine Haare abgeschnitten und blau gefärbt.

    Den Spezialausweis habe ich mir dann drei Tage später um den Hals gehängt, damit ihn jeder sieht. Das fanden die dann total scheiße und haben mir den Ausweis abgenommen. Dann hatte ich überhaupt keinen Ausweis mehr.

    Bei uns in der Stadt gab es einen Typ, Peter der Bulle. Der totale Schwachmat. Extrem fett, extrem dumm, hatte eine Uniform gehabt.

    Als sie mir damals den Ausweis abgenommen haben, habe ich gesagt, wenn ihr das macht, gehe ich einen Schritt zurück. Und wenn ich einen Schritt zurückgehe, komme ich nicht mehr zurück. Das haben die bloß nicht verstanden, was ich damit meine.

    Genau an meinem 18. Geburtstag, 1980, bin ich zur Stasi gegangen und habe gesagt: „Hier ist mein Ausreiseantrag und meine Geburtsurkunde, ich will hier raus!"

    Beim Rausgehen habe ich gesagt, ich warte ein Jahr, dann haue ich ab.

    Das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war Androhung einer Straftat.

    Ich habe ein Jahr und 7 Tage gewartet, nicht länger. Am 1. April bin ich dann zu meinem Kumpel gegangen: „Dietzi, hör mal zu, kurze Rede langer Sinn, Schluss mit lustig, heute ist Deadline! Kommst du mit oder nicht?"

    Da sind wir auf den Zug aufgesprungen Richtung Plauen Oelsnitz. Im Zug bekam ich dann mit, dass wir beobachtet werden, dann sind wir aus dem fahrenden Zug abgesprungen.

    Das Dumme war: auf der falsche Seite. Noch mal für das Protokoll: Wir wollten in den Westen abhauen, wir schreiben den 1. April. Wir wissen nicht, wo der Westen ist. Fängt nicht gut an.

    Dann haben wir uns zwischen den Bäumen versteckt. Nach einer Stunde waren die weg, ich sehe am Horizont ein Licht, dachte: Da muss der Westen sein.

    Was wir nicht wussten: Es war die bestgesichertste Grenze der Welt — Panzersperren, Elektrozäune, Stacheldraht, Scharfschützen, das ganze Programm.

    Rechts waren Hunde, also rannten wir nach links. Warum da keine Hunde waren, haben wir erst später erfahren. Das war ein ganz bestimmter Grund. Da war die CSSR.

    Da ist mein Freund losgerannt, bekommt einen massiven Elektroschlag, bleibt im Todesstreifen liegen. Den konnte ich natürlich nicht liegen lassen und habe gewartet, bis die Scheinwerfer weg sind. Ich bin in den Wald gerannt, habe eine Astgabel abgebrochen, habe daran den Draht hochgedrückt und bin durchgesprungen.

    Was wir damals aber nicht wussten, ist, dass wir auf einem Minenfeld gewesen sind.

    30 Meter weiter war ein Schild, da sind wir hingekrochen, da stand tatsächlich drauf:

    „Minenfeld! Betreten Lebensgefahr!" Da kam allgemeine Freude auf!

    Was macht man nicht auf einem Minenfeld? Man geht niemals zu zweit drüber. Also haben wir uns getrennt, aber auf der anderen Seite standen die SM-70, die Fleischfresser, die Selbstschussanlagen. Die habe ich angefasst, berührt, aber nichts passiert. Hoch- und runterbewegt, ist nichts passiert. War eine Attrappe. Wir wussten ja nicht, dass die Dinger erst bei 40 kg losgehen. Festgehalten und hochgezogen, es gab eine mörderische Explosion.

    Von der einen Seite kamen 150 Schuss und von der anderen Seite auch 150 Schuss.

    Alles total zersiebt, meine scheiß Knochen waren komplett weggewesen, überall Blut; am Boden liegend schießt ein Grenzpolizist noch in meinen Oberschenkel rein.

    Ich lag im Sterben. Ich habe hier Steckschüsse überall. Die sind richtig böse, wenn du da drübergreifst, spürst du ein richtiges Loch.

    Wir mussten im Dreiländereck die deutsch-deutsche Grenze um wenige Meter verpeilt haben. Deshalb waren keine Hunde zu hören gewesen. Und trotzdem standen dort Selbstschussanlagen — an einer Grenze zum befreundeten Ausland.

    Ich hatte mehrere Operationen, im Westen wie im Osten.

    Das war es gewesen.

    Wäre das nicht passiert und ich wäre in den Westen gekommen, ohne Verletzungen, wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Ich hätte einen anderen Freundeskreis, alles wäre anders. So eine Scheiße passiert keinem. Für mich ist wichtig, dass es so ist, wie es ist.

    Man sieht sich immer zweimal im Leben:

    13 Jahre später habe ich die Schützen getroffen, in Erfurt zu dem Mauerschützen-Prozess.

    Ich kam gerade aus Indien und wollte wissen, warum die geschossen haben, auf Leute, die schon am Boden lagen.

    „Konntet ihr auf die Entfernung sehen, ob da eine Frau oder ein Kind liegt? Wer hat euch den Auftrag gegeben, wieso habt ihr geschossen? Ich will nicht, dass ihr in den Knast geht, sondern wissen, warum ihr geschossen habt! Wenn ihr in den Knast geht, denkt ihr, ihr habt eure Strafe abgesessen, das wäre für alle blöd. Für mich, für euch, für die Mutti. Geht zur Mutti, heult euch aus! Die Entscheidung liegt sowieso beim Richter, nicht bei mir."

    Ich bin dann nach Hohenschönhausen gekommen, nach den ganzen Operationen. Die Verhöre waren meistens nach einer Operation.

    Was sollte ich machen? Ich galt als Staatsfeind. Ich bin kein Staatsfeind, wieso sollte ich? Feinde nehme ich für voll. Ich konnte die gar nicht für voll nehmen. Das ging da rein und da raus. Ich habe ein Jahr probiert, hier legal rauszukommen, ihr habt mich nicht rausgelassen. Jetzt bin ich hier gefangen. Illegal aus meiner Sicht. Ich komme früher oder später hier raus.

    Ich habe dann einen neuen Namen von der Staatssicherheit bekommen: „Der Philosoph". Der Philosoph beeinflusst das Wachpersonal, er manipuliert die Häftlinge.

    Leuschner ist gerissen, Leuschner wird jetzt überwacht. 350 Seiten dick. IMs waren auch auf mich angesetzt. Ich habe die ganzen Jahre abgesessen und kam dann nach Untermaßfeld.

    Das ist kein Knast, um nach Westen zu kommen. Da habe ich mich drauf vorbereitet, ich war drei Tage im Osten frei, steht ein Typ neben mir: „Gegen dich läuft ein neues Verfahren, die wollen dich noch mal einsperren, wegen Geheimnisverrat. Du hast jemanden erzählt, wie die Bombe aussieht."

    „Natürlich habe ich das gemacht. Und weiter?"

    „Das war gefährlich gewesen."

    Dann war er weg.

    Kurz nachdem ich aus dem Knast draußen war, habe ich eine Gruppe mit Freunden gegründet, die nannte sich „Der weiße Kreis". Das war eine Bürgerrechtsbewegung, die parallel mit der Friedensbewegung lief.

    Ich meinte: „Warum geht es nur um Frieden und nicht um Freiheit? Freiheit gehört zur Demokratie dazu!"

    Dazu muss man erst mal wissen, was Freiheit eigentlich ist: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit. Es gibt viele Arten von Freiheit. Freiheit heißt, logisch übersetzt, Verantwortung übernehmen zu können und zu dürfen. Nur die meisten haben Schiss, das zu machen: Verantwortung zu übernehmen. Das war eine Verantwortung gewesen: Ich wusste genau, ich gehe in den Knast, aber ich wollte raus aus dem Osten. Ich war politisch aus meiner Sicht, aus deren Sicht kriminell.

    Ich hatte nichts gegen die DDR-Bürger, ich wollte einfach nur raus und reisen. Die Welt und die Menschen kennenlernen. Die erzählen mir da irgendwas im Osten über das Weltbild. Was ist denn das für ein scheiß Weltbild?

    Ihr wollt mir erzählen, wie die Franzosen, die Engländer und Amerikaner leben? Ich will es selbst sehen. Ihr wart noch nie dort, also macht euch kein Urteil über die Leute, die ihr gar nicht kennt. Dann glotzt ihr heimlich Westfernsehen, tragt heimlich Jeans, kaut Kaugummi und holt euch einen runter. Genau so sieht es nämlich aus! Der Rest ist Blödsinn.

    Dann steht hier: „Am 22.02.1983 haben sich mehrere Oppositionelle im Dunstkreis des Leuschners bewegt, der als Sprachrohr gilt. Leuschner trat als besonders massiv feindlich auf, hat negative Äußerungen gegen die sozialistische Gesellschaft gemacht."

    Sie haben mich im September abgeholt und ich kam dann ganz kurz nach Berlin und dann haben sie mich in den Westen abgeschoben.

    Ich war frei. Ich war nicht mehr tragbar.

    Drei Tage später kam eine schwere Erschütterung. Ich erhielt die Nachricht, dass sie meine Mutter in den Knast gesteckt hatten.

    Die kam nach Hoheneck für 2½ Jahre und mein Bruder kam ins Kinderheim. Die beiden wollten mich noch einmal sehen, bevor ich in den Westen gehe, das haben sie nicht zugelassen. Meine Mutter hatte demonstriert. Wegen öffentlichem Ärgernis und Widerstand ist sie in den Knast gekommen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens.

    Was ich natürlich nicht wusste, dass es einen Bericht über mich in der Zeitung gab, im Westen. Rein zufällig war da ein Bundestagsabgeordneter, der für die Freikäufe von politischen Gefangenen zuständig war. Der liest den Bericht einmal, zweimal und behauptet: Der Bericht kann gar nicht stimmen.

    Sagte ich: „Wieso denn?"

    „Weil dieser Typ auf dem Foto seit ’82 bei uns im Westen sein müsste, wir haben nämlich für den bezahlt."

    Jetzt kommt es raus: Der Westen hat mich freigekauft. Der Osten hat das Geld genommen und hat mich nicht rausgelassen. Das nennt man Gefangenendiebstahl. Das Wort gibt es tatsächlich.

    Franz Joseph Strauß hat damals diesen 1,4-Milliarden-Deal gemacht: Ihr wollt Geld haben für die Wirtschaft, dann baut die SM-70 aus und gebt uns fünf Gefangene, die ihr wollt.

    Thomas Kretschmar, Henry Leuschner, Monika Satzen usw.

    Nachdem das bekannt wurde, mussten sie mich rauslassen.

    Ich habe dann einen neuen PM-12 bekommen. Den haben sie vergessen mir bei der Ausreise abzunehmen. Der hängt jetzt bei Checkpoint Charlie. Da sind noch Einschüsse drin gewesen. Das war mein erstes Geschäft, das ich im Westen gemacht habe; Rainer Hillebrand habe ich ihn damals verkauft, für 2000 DM. Was sollte ich machen? Ich brauchte das Geld. Durch den Weißen Kreis wurde ich dann bekannt. Es sind noch mehr Leute, die sie unterschlagen haben. Geld regiert die Welt. Ohne den Westen hätte der Osten nicht existieren können. Der Westen hat alles bezahlt. Autobahn, Häftlinge, Straßenbau, Güterverkehr, Transportwege, selbst die Bahn. Und Medikamente haben sie auch geliefert.

    Das Problem ist: Die Unterlagen sind die nächsten 25 Jahre unter Verschluss. Wir dürfen nicht wissen, was für Medikamente wir hier bekommen haben.

    In meiner Akte steht drin: „Wenn Henry Leuschner sich hier das Leben nimmt, wird er zum Märtyrer. Leuschner ist eine Gefahr. Leuschner weiß nicht, dass er Schussverletzungen hat, wo Splitter drin sind." Ich wusste es ja wirklich nicht.

    Erst 1983, durch die Röntgenaufnahmen, kam das hier raus.

    Ich hätte es bis heute nicht gewusst, ich spüre es doch gar nicht. Das sind Dum-Dum-Geschosse. Die wurden ab 1975 auf der Menschenrechtskommission verboten.

    Ich bin ein lebendes Beweismittel, dass es die SM-70 mit verbotener Munition noch gibt. Deshalb war der ganze Scheiß gewesen. Ich habe es aber nicht gewusst. Ich kann ja nicht reingucken, ich habe das nicht gespürt.

    Dann bin ich im Westen gewesen.

    Ich ging in die USA, auf den Spuren der Hippies. Woodstock. Woodstock war vorbei, ich kam zu spät, wusste ich vorher schon.

    In San Francisco bin ich wegen illegaler Arbeit erwischt und des Landes verwiesen worden.

    Ich flog nach Hongkong und weiter nach Indonesien. 1986 kehrte ich über Goa nach Deutschland zurück.

    1989 ist die Mauer gefallen. Da habe ich zuerst meine Mutter und meinen Bruder Mike begrüßt. Meinem Bruder ging es gar nicht gut, mittlerweile immer noch nicht.

    Meine Mutter ist voll gut drauf, spielt immer noch Bassgitarre. Sie ist eine wunderbare Frau. Ich habe dann im Tresor angefangen zu arbeiten. Mit Dimitri Hegemann zusammen habe ich den Tresor Park aufgebaut.

    Dann kam Motte mit der Love Parade. Erst mal waren wir 250, dann waren es 1,5 Millionen Menschen. Dann war die Party auch schon wieder vorbei.

    Wie sind Sie mit der tristen Gefängnisroutine umgegangen?

    Ganz normal. Ich habe viel gelesen, weil ich zu lesen hatte.

    Ich habe viel selbst aufgeschrieben. Ich habe jedes Schriftstück wiederbekommen.

    Ich lese mal kurz was daraus vor:

    Man merkt sich zwei Dinge über das Gefängnis. Den Tag der Inhaftierung und den Tag der Entlassung. Ich wusste nicht, wie ich reingekommen bin, ich war ja schwer verletzt gewesen. Dazwischen liegt nur Leere. Routine, Wiederholung, Hoffnung, Resignation, Tür auf, Tür zu, jeden Tag dieselbe Scheiße. Der Geruch von Sperma, von Wichsern, meine befindet sich natürlich auch da. Es waren viele Wichser-Zellen, die ich getroffen habe. Ich habe manchmal das Gefühl gehabt, ich war voll der Wichser. Wichser von den Wichsern.

    Jetzt weiß ich auch, warum mir die Zeit dort so bedeutungslos vorkam.

    Mein Name war im Osten „Heckebie" gewesen. Ich bin kein Staatsfeind, das bin ich nie gewesen. Ein schiefer Baum kann umgehauen werden, seine Wurzeln ausgerottet werden, man kann ihn verbrennen, ihn also bluten lassen, ihn an eine Schaukel hängen — das ist eine gute Idee, eine Schaukel. Möglich, dass wer an ihm Gefallen findet und ihm einen Namen gibt. Man könnte ihm auch Querulant tief in die Rinde reinschneiden. Aber niemals, niemals wird er seine schiefe Bahn zurücknehmen. Er ist und er bleibt. Lichtwärts wird er sich beugen. Und so war mein Gedanke, mein Blick aus dem Knast rauszukommen. Ich habe die Augen niemals verschlossen. Mein Glück heißt, nicht blind zu sein.

    Darum werde ich nicht schweigen und meinen Unmut zeigen. Ich will kein Dasein, ohne da zu sein.

    Ich lebe das Alphabet in anderen Farben. Du musst kein unscharfes Bild von dir geben.

    Leb bewusst und stolz.

    Stolz zu bewahren ist so unglaublich wichtig hier.

    Abkapseln! Da waren ja viele Vollidioten drinnen, das waren Kriminelle. Ich war der einzige Politische, der wegen Republikflucht eingesperrt war. Die meiste Zeit bin ich in Einzelzelle oder im Arrest gewesen.

    Da vergeht die Zeit natürlich anders: Bleiern, langsam.

    Du denkst, du bist ein ewiger Gefangener. Aber sie vergeht. Ein Jahr hat nur 8760 Stunden, 365 mal 24, da muss man schon was anfangen. Das ist wenig, kann aber auch viel sein. Gerade wenn du in so einer Einzel- oder Arrestzelle bist, kriegst du eine Macke.

    Beschreiben Sie die Gefühle, die Sie damals hatten.

    Wut, Hass, Hoffnung.

    Man ist kopfmäßig mehr draußen als drinnen. Du hast kein Radio, kein Fernseher, gar nichts. Du lebst in alten Erinnerungen, wie was gewesen ist.

    Du lebst von Besuch zu Besuch. Alle zwei Monate. Bei mir haben sie den Besuch meistens schon während der Besuchszeit abgebrochen. Wegen Respektlosigkeit oder falscher Aussagen. Ich war mehr im Arrest als in meiner Zelle. Das hat mich natürlich geprägt. Alles zusammen 123 Tage. Nicht am Stück, aber immer längere Zeit.

    Untermaßfeld, eine alte Wasserburg, das älteste Gefängnis der Welt. Wurde 1050 im Mittelalter gegründet. Zu dem Zeitpunkt, als ich drin war, war es halb abgebrannt. Ich war zum Glück schon im Arrest, sonst hätten sie mir noch die Scheiße in die Schuhe geschoben. Aber ich kam aus der Zelle nicht raus, ich war ja fixiert und festgebunden.

    Der Arrest war im Haus unterirdisch, ganz wenige, kleine Glasbausteine und zusätzlich war noch ein Gitter in der Zelle. Ist scheiße da drinnen!

    In meiner Zeit war es immer noch wie in Hitlers Zeiten. Die DDR hat ja alle Gefängnisse von Hitler genutzt.

    Hohenschönhausen ist das letzte Gebäude, das die DDR 1961 gebaut hat. Alles andere gab es schon. Brandenburg, Schwarze Pumpe, Cottbus. Die haben sie nur übernommen.

    Ich konnte am Tag 13—15 Minuten raus, in so einen Freiganghof. Und dann kam ich wieder rein.

    Beschreiben Sie die Gefühle, die Sie gegenüber Wächtern oder Vernehmern hatten.

    Ach, unterschiedlich. Mein Erzieher war ein richtiges Stück Scheiße. Der hat mich auch beleidigt, der wollte, dass ich mich an die Wand stelle usw. Das war ein Wichser, der lebt in Suhl.

    Und Suhl war Zuliefererbetrieb für Jagd- und Schusswaffen. Ich sollte Teile für Maschinenpistolen bauen, aber ich kam immer wieder in den Arrest, weil ich mich weigerte.

    Da wirst du zum Geheimnisträger, wenn du da drin bist.

    Emotionslos. Ganz einfach. Deppen, die auf- und zuschließen. Da hast du ja nicht viel Verantwortung, oder?

    Welche Parallelen erkennen Sie zur Gegenwart?

    Diktatur existiert überall.

    Die Türkei ist viel schlimmer als die DDR. Dort herrscht Islamfaschismus.

    Die Gefängnisse sind noch schlimmer als hier. Damals, 1981/82, gab es in der Türkei einen Putsch. Wir sind hier in Mitteleuropa, da herrschen noch Gesetzmäßigkeiten. Bei den Türken herrscht ja überhaupt gar nichts mehr.

    Da gab es damals 80.000 Tote, 100.000 Verhaftungen. Jetzt genau dasselbe: 160.000 Menschen sitzen im Knast. Frauen, Kinder, alles Mögliche. Ganz schlimm.

    Die Welt ist aus den Fugen geraten.

    Die Leute vergessen, dass wir im Zweiten Weltkrieg 12,5 Millionen Sudetendeutsche, 7,5 Millionen Vollwaisen und Kinder, 100.000 KZ-Häftlinge, 100.000 Zwangsarbeiter, 100.000 Menschen ohne Arme und Beine hatten.

    Das war eine Herausforderung!

    Nicht den Scheiß, den wir heute haben. Und trotzdem entsteht hier heute Rassismus und Faschismus. Weil viele Leute nicht akzeptieren, dass wir in einer Demokratie leben.

    Die checken es einfach nicht.

    Ich habe gestern ein Interview gesehen, mit so einer Araberin, die schreibt für die Washington Post. Du kommst allein, so hieß ihr Buch.

    Der arabische Frühling, da haben wir alle gehofft: „Oh, es gibt Demokratie." Sie wissen ja gar nicht mit der Demokratie umzugehen. Das ist einfach so. Das sind vielleicht eine Handvoll Leute, die eine Frau wertschätzen.

    Aber die Tradition und Erziehung ist ganz anders. Die wissen das gar nicht zu schätzen. Das ist das Problem.

    Schau dir mal die Jungspunde an. Die wollen nicht für ihr Land kämpfen, das ist denen scheißegal, die wollen hier schön leben. Das ist legitim, aber hier entstehen Spannungen. Da krieg ich einen Hals!

    Ich bin nicht mehr Gutmensch, das war ich mal. Ich verhalte mich danach, wo ich gerade bin.

    Und wenn ich Scheiße baue, gehe ich in den Knast und werde ausgewiesen. In jedem Land der Welt ist das normal, bloß hier nicht.

    Da wird dann gesagt: „Ach, der ist jung, der hat ein Trauma. Der hat eine schwere Jugend gehabt."

    Was ist das für ein Scheiß. Willst du mich verarschen oder was?

    Die kriegen Hilfe. In keinem Land der Welt kriegst du so viel als Flüchtling.

    Warum gehen sie nicht zu ihren Brüdern nach Saudi-Arabien? Da herrscht Frieden, die haben genug Geld und Öl. Nein, die haben selbst genug Sklaven, aus Singapur, Malaysia und den Philippinen, die für sie arbeiten. Das ist die Wahrheit. Das ist ein verlogenes Pack, mehr nicht.

    Was halten Sie vom politischen Bewusstsein der heutigen Generation?

    Die sind doch viel zu viel auf ihr scheiß Handy konzentriert.

    Die kriegen überhaupt nichts mehr mit.

    Was willst du wählen? CDU oder SPD ist eh derselbe Scheiß. Also ich wüsste nicht, wo da der Unterschied ist. Alles die gleichen Themen, Veränderung ist nicht da und die Jugend von heute ist frustriert.

    In der Schule wird viel zu wenig gebildet. Respekt ist das Wichtigste. Bildung und Respekt. Das ist das Wichtigste. Das wird in der Schule aber nicht gelernt. Hier in Berlin sind Typen dabei, die würden dir nicht die Hand geben, weil du eine Frau bist. Wie willst du denn da politisches Bewusstsein aufbauen?

    Die Lehrer sind frustriert, die Klasse ist frustriert. Da ist kein Weiterkommen. Die haben Milliarden für Rüstung ausgegeben, aber ganz wenig für Bildung. Das ist doch das Thema.

    Personal details

    I was born in Leipzig in March 1962 and then grew up in Jena. I finished the tenth grade but I wasn’t in the FDJ or any other youth organization. I wasn’t let in because I had long hair. Totally different from all the other young people over there.

    Then, in 1978, I got a new subject in the GDR: paramilitary sports. You had to run through the forest with machine guns and hand grenades. Was I insane? Definitely not! Then I said that I wouldn’t do that. And that’s how I ended up leaving school.

    Then I had to choose between cholera and the plague. There were only roofers or masons. I chose the company that was closer by. That way I could sleep longer.

    I became a roofer. Terrible idea, a total FDJ company. I was the only one who had to carry the roofing tiles up there.

    In 1978 I organized a student strike. What I of course didn’t know was that the last strike had been in 1958. I got friends involved, made posters, etc. No one came, so I went on strike by myself. A strike is a

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