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Weites Land: Anregungen für werdende Wildnisgeher
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Weites Land: Anregungen für werdende Wildnisgeher
eBook807 Seiten8 Stunden

Weites Land: Anregungen für werdende Wildnisgeher

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Über dieses E-Book

Gar viele Menschen träumen davon, wenigstens einmal die große Wildnistour im Norden zu wagen und nur wenige verwirklichen diesen Traum. "Weites Land – Anregungen für werdende Wildnisgeher" will Mut machen, aus dieser Sehnsucht eine konkrete Erfahrung werden zu lassen. Mut machen will es dabei auf zweierlei Art und Weise. Zum einen liefert es eine umfassende Menge an Sachinformationen. Es werden praktisch alle Fragen behandelt, die dem werdenden Wildnisgeher auf den Nägeln brennen: Wo gibt es auf dieser Erde überhaupt noch ausgedehnte, unberührte Gebiete, die sich für echte Wildnisreisen eignen? Soll ich eine Querfeldeintour mit dem Rucksack planen oder doch lieber eine lange Paddeltour? Welche Ausrüstung – angefangen von Schlafsack und Zelt bis hin zu Messer und Gewehr – soll ich einpacken? Welche und wieviel Lebensmittel muss ich mitnehmen? Wie sollte ich mich auf eine Wildnistour vorbereiten? Wie schaut es mit gefährlichen Tieren aus und wie schütze ich mich vor ihnen? Wie entkomme ich einer echten Notsituation? Aber auch weitergehende Themenbereiche wie der Bau von Hütten, Wildnisreisen mit Kindern oder Großwildjagden mit Einheimischen werden behandelt. Auf der anderen Seite besteht "Weites Land" aber gut zur Hälfte aus Erfahrungsberichten und Fotographien, die nicht nur einen bestimmten inhaltlichen Punkt beleuchten, sondern auch immer etwas von der "Faszination Wildnis" transportieren.
"Weites Land" will also im doppelten Sinne "anregen" – sowohl die Sehnsucht im Herzen des werdenden Wildnisgehers als auch seinen planerischen Verstand.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Nov. 2018
ISBN9783746090443
Weites Land: Anregungen für werdende Wildnisgeher
Autor

Friedrich Gotthard Böbel

Friedrich Gotthard Böbel rückte mit 16 Jahren das erste Mal von zuhause aus, um mit einem Freund durch das korsische Gebirge zu wandern. Auf dem Gipfel des Muvrella verzichteten sie auf den Gebrauch eines Kompasses, stiegen folglich in das falsche Tal ab und mussten sich drei Tage lang erst 70 Grad steile Felswände entlanghangeln und dann durch ein unberührtes, wegloses Hochgebirgstal kämpfen. Seitdem hat ihn die Faszination für die Wildnis nicht mehr losgelassen. Mit 17 durchquerte er querfeldein mit zwei Freunden Schwedisch-Lappland, und paddelte mit 19 allein 1000 km über den kanadischen Schild, baute mit einem Freund eine Blockhütte in die Berge Nordwestkanadas und führte mit ihm die Erstbefahrung des Arctic Red River durch. Immer wieder hat es ihn in die Wildnis des Nordens gezogen, meistens mit dem Rucksack, oft aber auch im Kanu oder Kajak. Die Reisen gingen nach Skandinavien, meistens aber in die Weiten Nordamerikas. Seitdem Russland für Individualreisende offensteht sind auch Touren im europäischen Russland und Sibirien dazugekommen. 2012 baute er mit seiner ältesten Tochter Lena auf einer unbewohnten Insel im nördlichen Lake Superior eine Hütte, die der Familie seitdem als Wildnisrefugium dient. Friedrich Böbel ist 56 Jahre alt und seit 35 Jahren mit seiner Frau Eva liiert, mit der er zwei erwachsene Töchter hat.

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    Buchvorschau

    Weites Land - Friedrich Gotthard Böbel

    Für alle Menschen,

    die die Wildnis im Herzen tragen –

    ob sie es nun wissen oder nicht.

    Disclaimer

    Die meisten Informationen in diesem Buch basieren auf meiner eigenen Erfahrung. Wenn dem nicht so ist, dann habe ich mir Mühe gegeben, mit Sorgfalt zu recherchieren. Gerade deshalb versteht es sich von selbst, dass jegliche Haftung bezüglich der sachlichen Richtigkeit des Inhalts ausgeschlossen ist.

    Geht man in die Wildnis, so tut man dies in jedem Fall auf eigene Gefahr und ist für alle seine Handlungen selbst verantwortlich. Wer sich nach der Möglichkeit sehnt, anderen die Konsequenzen seines Verhaltens juristisch aufzubürden, der möge bitte von dem Gedanken Abstand nehmen, durch die Wildnis streifen zu wollen. Wildnis ist etwas für eigenständige Charaktere, die willig die Verantwortung für eigene Entscheidungen auf sich nehmen – oder anders ausgedrückt: für Männer, egal welchen Geschlechts!

    Inhalt

    Danksagung

    Einleitung Warum dieses Buch?

    TEIL I

    Kapitel 1 Was ist ein Wildnisgeher?

    Kapitel 2 Was ist das eigentlich – Wildnis?

    Kapitel 3 Wildnis – wo find ich die?

    Kapitel 4 Querfeldein

    Kapitel 5 Gefährliche Tiere

    TEIL II

    Kapitel 6 Ausrüstung für das Lagerleben

    Kapitel 7 Überleben

    Kapitel 8 Feuerwaffen und Munition

    Kapitel 9 Kanu, Kajak, kaltes Wasser

    Kapitel 10 Lebensmittelplanung

    TEIL III

    Kapitel 11 Voraussetzungen

    Kapitel 12 Vom Lande leben

    TEIL IV

    Kapitel 13 Hütten oder Wildnis ganzjährig

    Kapitel 14 Wildnis mit Kindern

    TEIL V

    Anhang A Ausrüstungslisten

    Anhang B Waffen für die Großwildjagd

    Anhang C Waffenscheine und Jagdlizenzen

    Anhang D Detailplanung des Kalorienbedarfs

    Danksagung

    Dieses Buch ist die Summe aus 40 Jahren Wildnisbegeisterung. Im Sommer 1977 verbrachte ich als 15-Jähriger mit einer Jugendgruppe drei Wochen in der Hardangervidda Norwegens, und seitdem hat mich der Norden nicht mehr losgelassen. Doch ist es nicht nur ein Ergebnis meiner Faszination für die Wildnis, sondern viele Menschen haben daran direkten und indirekten Anteil. First and foremost: Eva. Es ist nun über 37 Jahre her, dass wir in der Fränkischen Schweiz das erste Mal zusammen gewandert sind und vor genau fünf Wochen kamen wir von unserer vorerst letzten gemeinsamen Tour aus Sibirien zurück. Ohne sie hätte es viele Reisen und damit viele Inhalte in diesem Buch nicht gegeben. Ich könnte zum Beispiel nicht von den Herausforderungen eines langen Hüttenwinters und den Qualen beim long distance hiking berichten und auch nicht über die Besonderheiten, die man bei Wildnistouren mit Kindern im Auge behalten sollte. Aber meine größte Dankbarkeit gehört ihr für etwas anderes: Beruf, Familie und Wildnis unter einen Hut zu bringen, gelingt nur den Wenigsten. Mit ihr ist es gelungen.

    Lediglich ein Dutzend Touren habe ich alleine unternommen. Große Dankbarkeit empfinde ich deshalb gegenüber all den Wander- und Paddelfreunden, ohne die viele Wildnisreisen nicht Realität geworden wären. Neben Eva waren dies: Frank, Christian, Randolf, Nick, Daniel, Anne, Lena und Jürgen, dem ein besonderer Dank gebührt, weil er zu diesem Buch nicht nur – so wie Eva, Daniel und Lena auch – einige Fotos, sondern auch die Zeichnungen in Kapitel 11 beigesteuert hat.

    Auch gilt mein tief empfundener Dank denjenigen, die mich in jungen Jahren wider alle Vernunft haben losziehen lassen, nämlich Pfarrer Heinz Schuster und meinen Eltern Fritz und Heike Böbel. Dr. Christoph Ballin schließlich hat seit 2012 das gemeinsam gegründete Unternehmen alleine weitergeführt und mir so ermöglicht, mit 50 Jahren aus dem Berufsleben auszusteigen, um Zeit für ein paar letzte, große Wildnistouren zu gewinnen.

    So haben viele an diesem Buch mitgewirkt, und ich hoffe, es macht ihnen keine allzu große Schande.

    Friedrich Gotthard Böbel

    Eurasburg, den 10. November 2017

    EINLEITUNG Warum dieses Buch?

    Menschen, die das ganz große Abenteuer suchen, fühlen sich von einsamer, unberührter Wildnis unwiderstehlich angezogen. Sie erscheint ihnen als das ultimative Ziel, als ein Ort, an dem sich all ihre Träume und Sehnsüchte erfüllen. Und meistens liegen sie damit nicht so falsch. Denn weit ab von jeglicher Zivilisation erwarten uns Situationen, die den ganzen Menschen herausfordern, die den Einsatz all unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten verlangen. Dieser Einsatz wird meistens hoch entlohnt. Es gibt wenig, was den Menschen in seiner Entwicklung so stark voranbringt wie eine Reise in die Wildnisse dieser Welt.

    Menschen, die in die Wildnis gehen, heißen Wildnisgeher. Wildnisgeher sind Individualisten, sie lassen sich schwer als einheitliche Gruppe beschreiben. Nicht nur ihre Motivationen und Ziele unterscheiden sich, sondern auch ihre Art, die Wildnis zu bereisen. Der eine setzt sich einen Rucksack auf und streift vier Wochen lang querfeldein durch Lappland. Eine andere paddelt ein paar Monate lang über die nordamerikanischen Fluss- und Seensysteme. Ein Pärchen dritter verbringt den Winter in einer Blockhütte jenseits des Polarkreises. Dann gibt es die Schatzsucher, die auf Jagdtrophäen, Felle oder Gold aus sind. Wiederum ganz Anderes haben die long distance hiker im Sinn, die in einem Sommer 3.000, 4.000 oder 5.000 km auf den großen Fernwanderwegen durch die Berge marschieren. Aber eine Gemeinsamkeit teilen sie doch: Sie alle werden getragen von einer starken, wenn auch oft diffusen Sehnsucht, die sie immer wieder in die Wildnis zieht und zu neuen Abenteuern drängt.

    Diese Sehnsucht ist kein Privileg der Wildnisgeher allein; sie erfasst auch viele Daheimgebliebene. Sehr viel mehr Menschen sehnen sich nach den Abenteuern der Wildnis, ohne jemals den entscheidenden Schritt zu tun. Und das ist sehr schade, denn sie bringen sich damit um die Chance einer wirklich prägenden Erfahrung. Aber warum bleibt die große Tour in die weite, unberührte Natur oft ein lebenslanger, heiß ersehnter Traum, der nie zum Leben erweckt wird?

    Der eigentliche Grund für diese Diskrepanz zwischen Sehnsucht und Verwirklichung dürfte wohl in der mangelnden Vertrautheit mit dem liegen, was uns in der Wildnis letztendlich erwartet. Im Grunde wissen wir gar nicht, was mit dem Wort „Wildnis" gemeint ist. Die vollständige Abwesenheit auch nur einer Spur menschlicher Zivilisation fehlt in unserem Erfahrungsschatz so vollkommen, dass wir auf unsere Phantasie angewiesen sind. So verklären wir einerseits Wildnis zum Erfüllungsort unserer Sehnsüchte, andererseits vermuten wir in ihr aber die Heimat unheimlicher Bedrohungen und Gefahren. Und das hindert uns daran, den entscheidenden Schritt zu tun: unseren Rucksack aufzusetzen und von den Wanderwegen abzubiegen, das Sicherheitsnetz der Zivilisation hinter uns zu lassen, um in eine neue, echte, ungefilterte Erfahrung einzutauchen.

    Dieses Buch will also Mut machen – Mut, diesen einen entscheidenden Schritt zu wagen und sich in das Abenteuer Wildnis zu stürzen. Mut machen will es auf zweierlei Art und Weise: Zum einen werden praktisch alle Fragen und Themenbereiche angesprochen, die einen Menschen umtreiben, der sich mit dem Gedanken trägt, es selbst einmal zu versuchen; es liefert also viele praktische Informationen. Zum anderen werden alle Themenbereiche mit Geschichten und Bildern unterlegt, die hoffentlich etwas von der Faszination des Wildnisgehens und der Begeisterung dafür transportieren, aber darüber hinaus auch immer einen ganz konkreten Punkt beleuchten. Weit über 90 % aller Geschichten, die sich in diesem Buch finden, habe ich selbst erlebt, und ein ebenso hoher Anteil der Fotos stammt von genau diesen Touren. Doch geht es hier nicht um die Schilderung meiner Reisen, sondern darum, Anregungen zu geben für diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen, selbst Wildnisgeher zu werden.

    „Weites Land will also in doppelter Hinsicht anregen, sowohl die Sehnsucht im Herzen des werdenden Wildnsigehers als auch seinen planerischen Verstand. Es beschränkt sich dabei notwendigerweise auf Formen von Wildnis, die ich selbst erlebt habe und kenne, und das ist die Wildnis des Nordens. Unter „Norden wird dabei eine Gegend verstanden, in der es einerseits einen ausgeprägten Winter gibt, andererseits im Sommer keine Wasserprobleme auftreten. Zu diesem Norden gehören folglich auch die Sierra Nevada oder Feuerland. Aber Reisen durch die Wüste oder den Dschungel werden nicht behandelt. Wir reden hier also im Wesentlichen von Touren nördlich des 40. Breitengrades (nördlicher Breite) und südlich des 40. Breitengrades (südlicher Breite). Der Schwerpunkt liegt auf Skandinavien, Russland inklusive Sibirien, Kanada, Alaska und dem Westen der USA.

    Ein Buch, das sich den verschiedenen Formen des Reisens in die nordische Wildnis im Detail und in der Tiefe widmet, gibt es nicht auf dem Markt. Diesem Mangel soll hiermit abgeholfen werden. Das Buch ist dabei so aufgebaut, dass die einzelnen Kapitel für sich stehen und auch alleine gewinnbringend gelesen werden können. Es lädt bewusst dazu ein, sich diejenigen Themen herauszupicken, die einen besonders interessieren.

    Zur Struktur: „Weites Land" gliedert sich in fünf Teile.

    Im ersten Teil geht es im weitesten Sinne um die Wildnis selbst und die verschiedenen Arten, sie zu bereisen. Es werden Fragen beantwortet wie: Was ist ein Wildnisgeher? Was ist eigentlich Wildnis? Wo auf diesem Globus kann man Wildnisse überhaupt noch finden? Und: Was erwartet uns in der Wildnis? Diese letzte Frage umfasst zum Beispiel die Herausforderungen der Weglosigkeit und gefährliche Tiere.

    Der zweite Teil behandelt die verschiedensten Aspekte der Ausrüstung, angefangen bei allen wesentlichen Gegenständen für das Lagerleben wie Schlafsack, Zelt, Messer, Kocher etc. bis hin zur Ausrüstung für Notsituationen wie Reparatur-Kit, Erste-Hilfe-Beutel und Survival-Kit. Ein eigenes Kapitel ist der Frage gewidmet, welche Waffen geeignet sind, um sich Fleisch aus der Natur zu beschaffen. Das darauffolgende Kapitel geht auf die richtige Auswahl von Booten für die verschiedenen Arten von Kajak- und Kanutouren ein, wobei auch die Frage behandelt wird, wie man bei einem Sturz in kaltes Wasser überlebt. Der zweite Teil schließt ab mit dem wichtigen Thema Reiseproviant. Neben einigen wichtigen Grundsätzen der Ernährungslehre bietet dieses Kapitel auch konkrete Vorschläge für die Zusammensetzung des Lebensmittelbeutels.

    Im dritten Teil des Buches werden notwendige Fähigkeiten für eine erfolgreiche Wildnistour betrachtet. Neben grundlegenden Voraussetzungen – wie der Fähigkeit, bei jedem Wetter ein Feuer entfachen zu können, Navigation, dem richtigen Verhalten bei Flussdurchquerungen und dem Bau von Notunterkünften – wird das notwendige Körpergewicht am Beginn einer Tour erläutert. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem living off the land und beschäftigt sich mit essbaren Pflanzen, Fischen und jagdbarem Wild.

    Der vierte Teil stellt zwei wichtige Sonderthemen ins Zentrum der Betrachtung: Den Bau von und das Leben in Wildnishütten sowie die Frage, ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen auch Kinder von Ferien in der Wildnis profitieren können.

    Der letzte Teil umfasst vier Anhänge. Erstens: umfangreiche Ausrüstungslisten für verschiedene Arten von Wildnistouren. Zweitens: Welche Waffen kommen für eine nordische Großwildjagd infrage. Drittens: Wie erhält man in welchem Land einen Waffenschein und eine Jagdlizenz. Viertens: detaillierte mathematische Modelle, um den genauen Kalorienbedarf für eine Tour zu berechnen.

    Zu den Inhalten im Einzelnen:

    TEIL I

    Kapitel 1 Was ist ein Wildnisgeher? Eine Antwort in fünf Begegnungen. Anhand von fünf persönlichen Begegnung werden fünf verschiedene Wildnisgeher und mit ihnen auch fünf verschiedene Arten des Wildnisgehens beschrieben: Wandertouren querfeldein, Wildnisjagden, long distance hiking, Bau von und Leben in Wildnishütten im Sommer wie im Winter sowie die großen Kanu- und Kajaktouren.

    Kapitel 2 Was ist das eigentlich – Wildnis? Ursprünglichkeit, Einsamkeit, mangelnde Erreichbarkeit: Das sind die drei Kriterien, die einen Landstrich zu einer möglichen Wildnis machen. Doch damit solch ein Stück unberührter Natur auch wirklich zur Wildnis wird, muss man sich ihr aussetzen. „Wildnis" wird hier also als etwas verstanden, das intakte Natur zum Menschen in einen erlebten Bezug setzt. Was nun Ursprünglichkeit, Einsamkeit und Unerreichbarkeit für die Psyche des Menschen bedeuten, wird in Kapitel 2 beschrieben.

    Kapitel 3 Wildnis, wo find ich die? Kapitel 3 beantwortet die vielleicht drängendste Frage aller werdenden Wildnisgeher: Wo auf dieser Welt gibt es denn überhaupt noch ausgedehnte Gebiete, die ursprünglich, einsam und schwer erreichbar sind? Und wie lassen sie sich finden? Die gute Nachricht sei vorweggenommen: Die nordische Wildnis wird jedes Jahr eher größer statt kleiner. Im Gegensatz zu den letzten wilden Gebieten in den Tropen und Subtropen, die immer mehr dem steigenden Bevölkerungsdruck zum Opfer fallen, entvölkert sich der Norden und die Wildnis wächst.

    In diesem Kapitel werden für Wildnistouren besonders geeignete Gebiete in Skandinavien, Kanada, Alaska, Russland inklusive Sibirien, Grönland sowie in den lower 48 states der USA im Detail vorgestellt. Zudem wird erklärt, wie man sie mithilfe welcher Methodik findet.

    Für die Detailplanung und die Durchführung einer Wildnistour sind schließlich topographische Karten in hoher Auflösung unabdingbar. Am Ende des Kapitels findet sich deshalb eine Auflistung, welche topograischen Karten von welchen Gebieten verfügbar sind und wo man sie erhält.

    Kapitel 4 Querfeldein. Die einfachste und auch billigste Form des Wildnisgehens besteht darin, von einem nordischen Wanderweg ins unbegangene Gelände abzubiegen und querfeldein zu laufen. Dabei wird man mit Schwierigkeiten konfrontiert, die man bereits auf den Wanderwegen kennenlernte. Schlechtes Wetter trifft zum Beispiel Wegewanderer und Wildnisgeher gleichermaßen wie auch die Schnakenplagen kurz nach der Schneeschmelze. An zwei Punkten unterscheidet sich aber eine nordische Querfeldeintour von einer nordischen Wandertour ganz erheblich und zwar bezüglich der Marschleistung und der Streckenführung. Aufgrund des unebenen Untergrundes und des teilweise sehr dichten Bewuchses sinkt die Marschleistung pro Stunde auf die Hälfte, oft sogar auf ein Drittel bis ein Viertel des Wertes, den man auf Wanderwegen erzielt. Der größte Unterschied dürfte allerdings in der Streckenführung liegen. Während der Wegewanderer den Weg nur finden muss, ist der Wildnisgeher gezwungen, ihn zu erfinden. Auf was man dabei achten sollte, erläutert Kapitel 4.

    Kapitel 5 Gefährliche Tiere. In der Wildnis ist der Mensch nur ein Gast. Sie gehört den Tieren. Nicht alle davon sind harmlos, allerdings sind sie meistens sehr viel weniger gefährlich, als wir gemeinhin glauben. Kapitel 5 beschreibt zum einen potenziell gefährliche Tiere und zum anderen, wie wir uns verhalten müssen, um einer Konfrontation aus dem Wege zu gehen bzw. eine Begegnung unbeschadet zu überstehen. Folgende Tierarten werden umfangreich behandelt: Wölfe, Braun-, Schwarz- und Eisbären, Wildschweine, Schlangen sowie große Raubkatzen wie Puma, sibirischer Tiger und Schneeleopard. Das Kapitel schließt mit einer Abhandlung über Schnaken sowie die wichtigsten viral und bakteriell bedingten Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden können, sogenannten Zoonosen, und wie man sich gegen sie schützt.

    Teil II

    Kapitel 6 Ausrüstung. Ausrüstung für Outdooraktivitäten ist inzwischen ein milliardenschweres Geschäft. Die Marketingabteilungen der beteiligten Firmen tragen dabei oft mehr zur Verwirrung der Kunden bei, als dass sie eine fundierte sachgerechte Entscheidungshilfe anbieten. Es herrscht eine Kakophonie von technisch anmutenden Abkürzungen und markenrechtlich geschützten Begriffen, die alle nur ein einziges Ziel verfolgen: Den Eindruck zu erwecken, dass man mit der „richtigen" Ausrüstung, also einer Ausrüstung, die die neuesten Gimmicks als Produktmerkmal enthält, praktisch jede Unbill in der Wildnis problemlos überstehen könnte. Dem ist nicht so. Ein erfahrener Wildnisgeher mit einfacher Ausrüstung wird immer besser fahren als ein Greenhorn, das für die neuesten Versprechungen der Outdoorindustrie viele 1.000 Euro hingeblättert hat – selbst wenn diese Versprechen eingehalten werden würden, was aber oft nicht der Fall ist. Kapitel 6 versucht deshalb, vor allem übergeordnete Kriterien anzubieten, anhand derer man seine Ausrüstung aussuchen sollte.

    Kaum eingegangen wird auf Kleidung. Auch bei Menschen, die sich überhaupt nicht für Outdoor interessieren, hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Funktionsunterwäsche, Gore-Tex-Jacken und Faserpelzpullis eine feine Sache sind. Das soll hier nicht wiederholt werden. Weniger bekannt dürfte dagegen sein, welche Stahlsorten für ein robustes camp knife in Frage kommen und welche nicht. Oder warum unter Wildnisgehern das als überholt verschriene Hausdachzelt sich immer noch großer Beliebtheit erfreut (es kann deutlich einafcher repariert werden als Tunnel- und Kuppelzelte). Oder warum die allermeisten Rucksäcke für Gewichte über 25 kg schlicht und ergreifend ungeeignet sind (sie sind auf Körperkontrolle und nicht auf Verwindungssteifigkeit hin konstruiert). Neben den Grundsätzen verschiedener Ausrüstungsphilosophien und übergeordneten Kriterien zur Ausrüstungswahl werden folgende Gegenstände im Detail diskutiert: Rucksack, Schlafsack, Isomatte, Zelt, Messer, Schuhe, Kocher. Komplette Ausrüstungslisten für drei verschiedene Arten von Wildnisreisen finden sich in Anhang A.

    Kapitel 7 Überleben. Wie vermeidet man echte Notsituationen? Und wenn sie doch eintreten: Wie rettet man sich erfolgreich zurück in die Zivilisation? Aber zuerst einmal: Was überhaupt ist eine echte Notsituation? Wir wollen darunter fünf verschiedene Ereignisse verstehen:

    Ernste Verletzungen, schwere Krankheiten oder Vergiftungen

    Verlust der Lebensmittel

    Verlust oder irreparable Beschädigung lebensnotwendiger Ausrüstungsgegenstände

    Schwere Unterkühlung (Hypothermie)

    Extreme Schlechtwetterperioden, frühe Wintereinbrüche etc.

    Im ersten Teil von Kapitel 7 geht es um die Frage, wie man Beschädigung oder Verlust von Ausrüstungsgegenständen reparieren bzw. ersetzen kann, sodass die Tour nicht abgebrochen werden muss. Im zweiten Abschnitt werden Verletzungen und Krankheiten thematisiert, die mit einem geeigneten Erste-Hilfe-Beutel so versorgt werden können, dass Komplikationen ausbleiben, die Heilung schnell eintritt und die Tour ebenfalls fortgeführt werden kann. Als Drittes werden kritische Notfallsituationen behandelt, das heißt Vorfälle, bei denen man auf schnelle externe Hilfe angewiesen ist, beispielsweise: Man rettet bei einer missglückten Flussüberquerung zwar sein Leben, aber der Rucksack geht verloren. Oder bei einem Sturz über eine Felsklippe zieht man sich einen offenen Knochenbruch zu. Oder eine Hantavireninfektion löst eine schwere Lungenentzündung aus etc. In solchen und ähnlichen Fällen kann es nur noch darum gehen, über Satellitenfunk möglichst schnell Hilfe anzufordern und den Zeitraum bis zum Eintreffen des Rescue Teams lebend zu überstehen. Davon handelt der letzte Teil von Kapitel 7.

    Kapitel 8 Feuerwaffen und Munition. Wer sich in der Wildnis nicht nur mit Fisch sondern auch mit Fleisch versorgen will, braucht eine Feuerwaffe. Alle anderen Methoden sollte man Survival Enthusiasten überlassen. Wildnisgeher, die mit dem Rucksack oder im Kanu durch die Wildnis streifen, sind im Allgemeinen „Kochtopfjäger", das heißt sie sind primär an allen Wildarten interessiert, die so ungefähr in ihren Kochtopf passen, also Fleisch für maximal zwei bis drei Tage abwerfen, sodass man sich keine Gedanken über die Konservierung des frischen Fleisches machen muss. Typische Wildarten umfassen Wald- und Schneehühner, Schneehasen, Gänse und Enten, Stachelschweine, Baum- und Erdhörnchen, Biber und Murmeltiere. Die Kochtopfjagd stellt an die Jagdwaffen völlig andere Anforderungen als zum Beispiel die Großwild- oder die Trophäenjagd, insbesondere was die Wildbretschonung angeht, aber auch die Reichweite, das Waffen- und Munitionsgewicht und die Vielseitigkeit. Kapitel 8 stellt geeignete Waffen und Munitionssorten für die Kochtopfjagd in der Wildnis vor.

    Kapitel 9 Kanu, Kajak, kaltes Wasser. Bootstouren haben gegenüber Wanderungen zwei Vorteile: Man benötigt weniger körperliche Fitness – denn die Last trägt ja das Boot! – und man kann deutlich mehr Lebensmittel mitführen und deshalb auch deutlich längere Reisen unternehmen. Allerdings braucht man für eine Kanutour auch etwas mehr Know-how, insbesondere über Boote, über das Paddeln und ganz allgemein über das Wasser. Kapitel 9 klärt darüber auf, für welche Touren Kanus und für welche Kajaks die geeigneteren Transportmittel sind und warum. Ebenfalls eingegangen wird auf sogenannte „Packrafts", aufblasbare Ultraleichtboote, die in den letzten Jahren den Bereich der Kombitouren – bei denen der Wanderer sein Boot im Rücksack mitträgt – revolutioniert haben. Ausführlich behandelt werden die verschiedenen Vor- und Nachteile der beim Bootsbau verwendeten Materialien. Das Kapitel schließt mit einer Abhandlung über die Gefahren kalten Wassers, als da wären: Kälteschock, Verlust sämtlicher Handfertigkeiten und Hypothermie. Wasser bringt in der Wildnis ein Vielfaches mehr an Menschen um als sämtliche wilden Tiere zusammen. Diese Gefahr ins Bewusstsein zu heben und zu erklären, wie man sich dagegen schützt, ist ebenfalls ein zentrales Anliegen von Kapitel 9.

    Kapitel 10 Lebensmittelplanung. Man kann in der Wildnis nur schwer schnell sterben. Wilde Tiere bringen kaum jemanden um und auch zu Tode stürzt sich fast niemand. Das Wasser hat noch die meisten Menschen auf dem Gewissen, aber eigentlich kann man auch in diesen Fällen nicht dem Wasser die Schuld geben, sondern nur dem Leichtsinn der Menschen, die zum Beispiel bei einer Flussüberquerung barfuß in die Flüsse steigen. Wenn Menschen in der Wildnis sterben, dann sterben sie meistens langsam, sie verhungern. Für eine erfolgreiche Tour ist deshalb eine wissenschaftlich fundierte Lebensmittelplanung einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Insbesondere wer länger als 20 Tage unterwegs ist, tut gut daran, den Inhalt dieses Kapitels bei seiner Planung zu berücksichtigen. Die ersten paar Tage kann praktisch jeder noch von seinen Reserven leben, wer aber drei Wochen oder länger im Energiedefizit läuft, wird die brutale Unerbittlichkeit des Energieerhaltungssatzes zu spüren bekommen. Die sich einstellenden Hungerattacken sind kein Spaß. Sie haben auch nichts mit den Botschaften eines leeren Magens zu tun. Am ehesten kann man sie noch mit schweren Schmerzen vergleichen, mit einem fordernden, brüllenden Schreien nach Nahrung. Entweder man hat dann gut geplant oder die Tour ist zu Ende. Kapitel 10 erklärt, was zu tun ist, damit das nicht passiert. Außerdem finden Sie hier Kalorientabellen für gängige und bewährte Wildnisnahrung sowie konkrete Vorschläge für die Zusammensetzung des Lebensmittelbeutels.

    TEIL III

    Kapitel 11 Voraussetzungen. Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Wer sich nun zum ersten Mal in die Wildnis begibt, kann diese Erfahrung nicht haben. Das liegt in der Natur der Sache. Deshalb empfiehlt es sich, in Deutschland ein paar Vorbereitungstouren zu unternehmen. Viele Herausforderungen, die einem in der Wildnis begegnen werden, wird man auch schon auf einer Wander- oder Bootstour in Mitteleuropa erleben. Es gibt allerdings vier Fähigkeiten, denen im Norden eine entscheidende Bedeutung zukommt, die man auf einer Deutschlandtour kaum lernt: Das betrifft die Fähigkeiten, zu Fuß Flüsse zu durchqueren, bei wirklich jedem Wetter ein Feuer entfachen zu können, sich nicht nur orientieren zu können, sondern auch das Navigieren zu beherrschen und mit einfachen Hilfsmitteln jederzeit eine Notunterkunft bauen zu können. Diese vier Grundfertigkeiten werden in Kapitel 11 ausführlich erläutert. Es schließt mit den notwendigen körperlichen Voraussetzungen für eine lange Tour, denn auch körperliche Leistungsfähigkeit und das richtige Startgewicht – wobei mehr oft besser ist als weniger! – gehören zu den wichtigen Erfolgsfaktoren für eine Reise durch die Wildnis.

    Kapitel 12 Vom Lande leben. Es gibt in der Wildnis reichlich Möglichkeiten, seinen Lebensmittelbeutel zu ergänzen: essbares Wildgemüse, Beeren, Pilze, Wildbret und Fisch. Nicht alles, was als essbar gilt, hat auch genügend Nährwert, um als Lebensgrundlage zu dienen. Kapitel 12 gibt deshalb nicht nur einen Überblick bezüglich der wichtigsten essbaren Pflanzen und der bedeutendsten Wild- und Fischarten im Norden, sondern behandelt auch ihre jeweilige Nährwertzusammensetzung. Ausführlich eingegangen wird auf die unterschiedlichen Methoden der Wildnisjagd und -angelei.

    TEIL IV

    Kapitel 13 Hütten oder Wildnis ganzjährig. Wer öfters in die Wildnis geht und sich immer wieder zu ähnlichen Orten hingezogen fühlt, kommt früher oder später ganz von alleine auf die Idee, sich in der Wildnis eine Hütte zu bauen. Damit hat man dann die Voraussetzungen geschaffen, um auch im Winter längere Zeit in der Wildnis zu verbringen. Kapitel 13 erläutert, wie man an geeignete Grundstücke herankommt, was bei der Grundstückswahl und beim Grundstückskauf zu beachten ist, welche unterschiedlichen Arten des Hüttenbaus es gibt und wie man bei ihrem Bau vorgehen sollte.

    Kapitel 14 Wildnis mit Kindern. Man kann auch mit Kindern durch die Wildnis streifen und wenn man ein paar grundsätzliche Regeln berücksichtigt, ergeben sich dabei für Kinder und Eltern oft gemeinsame Erlebnisse, die über viel Jahre tragen und verbinden. Die Erfahrungen, die ich mit meinen Töchtern Lena und Anne sowie meinem Patensohn Daniel diesbezüglich gemacht habe, werden in Kapitel 14 beschrieben.

    TEIL V

    Anhang A Ausrüstungslisten. Es werden detaillierte Ausrüstungslisten für drei verschiedene Arten von Wildnistouren vorgestellt: erstens für Querfeldeintouren mit dem Rucksack, zweitens für das long distance hiking, also das Wandern über oft mehrere 1.000 km während einer Saison, und schließlich für ausgedehnte Kajak- oder Kanutouren.

    Anhang B Waffen für die Großwildjagd. Diese Informationen sind nur für diejenigen Wildnisgeher relevant, die ihren Speiseplan nicht nur mit Kleinwild bereichern wollen, sondern nach einer geeigneten Waffe suchen, die auch für die Großwildjagd geeignet ist.

    Anhang C Waffenscheine und Jagdlizenzen. Dieser Anhang beschäftigt sich mit all den bürokratischen Hürden, die auf dem Weg zu Waffenschein und Jagdlizenz zu überwinden sind, und wie der Wildnisgeher sie in den verschiedenen Ländern am einfachsten meistert.

    Anhang D Detailplanung des Kalorienbedarfs. Hier wird das strukturierte Vorgehen für die Ernährungsplanung für eine Tour erläutert. Anhand der vorgestellten detaillierten mathematischen Modelle kann der Energiebedarf in Abhängigkeit von Strecke, Untergrundbeschaffenheit, Steigung bergauf und bergab, Rucksackgewicht, Körpergewicht und Reisedauer ermittelt werden. Ebenso werden mathematische Formeln für den Kalorienbedarf während einer langen Paddeltour entwickelt, unter Berücksichtigung von Bootstyp, Paddelgeschwindigkeit, Wind und Strömung.

    Selbst wenn die obige Inhaltsübersicht auf den ersten Blick halbwegs vollständig erscheinen mag, so muss man doch einschränkend sagen, dass in diesem Buch zwar viele wichtige Themen des Wildnisgehens angesprochen werden, aber bei Weitem nicht alles erklärt wird. Vor allem auf die Behandlung von Details, die an anderer Stelle eine gut verständliche und kompetente Einführung erfahren haben, wird verzichtet. So findet sich in diesem Buch zum Beispiel keine Abhandlung über den Gebrauch eines Kompasses, denn dazu gibt es zahlreiche gelungene Anleitungen in gedruckter Form oder im Internet. Aber wie man sich navigatorisch behilft, wenn einen der Flugzeugpilot am falschen See abgesetzt hat, das wird erklärt. Ebenso verzichte ich darauf, einen Anglerknoten, die Bedienung einer Spinnangel oder das Ausnehmen und Filetieren von Fischen zu erläutern, aber wie man nordische Weißfische mit einer Hegene fängt, Störe angelt oder die im Sommer sich ins tiefe Wasser zurückziehenden Seeforellen an den Haken bekommt, darauf wird eingegangen. Auch spare ich mir zu erläutern, wie man fachmännisch in ein Kanu oder Kajak steigt, aber wie viele Minuten man Zeit hat, sich zu retten, wenn man in eiskaltes Wasser gestürzt ist, das erfährt man in diesem Buch.

    Und so eigentlich bei alle Themen. Da wo ich der Meinung bin, dass grundlegendes Wissen bereits woanders kompetent, gut verständlich und leicht verfügbar dargestellt wurde, zitiere ich es und spare mir den Platz für weiterführende Themen, die in der Literatur nur schwer zu finden sind, obwohl sie wichtig sind. „Weites Land ist also kein „Handbuch des Wildnisgehens und schon gar keine „Wildnisbibel. Es soll vielmehr Anregungen liefern für diejenigen, die mit dem Gedanken schwanger gehen, sich in eines der letzten echten Abenteuer zu stürzen, die auf diesem Globus noch möglich sind. Wenn „Weites Land in dem einen oder anderen Fall dazu einen kleinen Beitrag liefert, dann waren meine Mühen nicht umsonst.

    Abbildung 0.1: Brotbacken am Mackenzie River, Nordwest-Territorien, Kanada.

    Abbildung 0.2: Lager oberhalb des Pieskehaure im weglosen Fjäll von Schwedisch-Lappland.

    Abbildung 1.1: Friedrich Böbel am 30. August 1981 in Tsiigehtchic nach der erfolgreichen Erstbefahrung des Arctic Red River, Nordwest-Territorien, Kanada.

    Abbildung 1.2: Eva Sommer am 17. August 1983 bei der Durchquerung des Karasjokka, Nordnorwegen.

    KAPITEL 1 Was ist ein Wildnisgeher?

    Eine Antwort in fünf Begegnungen

    Erste Begegnung: Harald

    Wir trafen ihn in Narvik. Er wollte auch nach Alta. Als er beim Beladen des Postbusses unsere Rucksäcke entdeckte, kam er gleich auf uns zu. Ein großer, freundlicher Mann. Seine Beine steckten in einer verwaschenen Armeehose, die aufgrund zahlreicher Gebrauchsspuren einen arg mitgenommenen Eindruck machte. Die Enden der Hosenbeine gingen in fast kniehohe Schnürstiefel über, deren mit viel Liebe aufgetragenes Schuhfett im eklatanten Gegensatz zu dem ansonsten wenig gepflegten Äußeren stand. Wenn er ging, kollidierte der obere Rand des rechten Schnürstiefels mit dem baumelnden Scheidenende eines grotesk überdimensionierten Finnenmessers. Oberhalb des Gürtels spannte ein erheblicher Bauch das grob karierte Hemd, aus dessen Kragen ein bärtiges, breit grinsendes Gesicht strahlte. Irgendetwas freute diesen Mann ganz gewaltig, und wir bekamen auch bald heraus was: Er war wieder im Norden und traf daselbst Menschen, die auch nichts sehnlicher als in den Norden wollten. Harald mochte wohl um die Mitte dreißig sein, war an der norwegischen Eismeerküste aufgewachsen und von Beruf Koch. Jahrelang hatte er in teuren Hotels und auf Kreuzfahrtschiffen gekocht. Aber was nützt all das Licht und die Wärme der Karibik, wenn es im Herzen kalt und dunkel bleibt, so fragte er sich. Und gab die Antwort gleich selbst, indem er kündigte und wieder zurückkam: Zurück in die Dunkelheit und Kälte des Winters, zurück in die Schnaken- und Fliegenplagen des Sommers, zurück in eine Welt der exorbitanten Lebenshaltungskosten und der kulturellen Armut. Aber auch: Zurück in die ewigen Weiten der Vidda, zurück zu den unberührten Seen und Flüssen, zurück zu Birkenbusch, Wildlachs und Schneehuhn. Er war sich ganz sicher, wieder in den Norden zu müssen. Er wäre sonst todunglücklich geworden: verkümmert an Leib und Seele.

    In Tromsö mussten wir umsteigen. Sein Rucksack lag im Gepäckraum des Busses vor meinem und rührte sich auch nach kräftigem Ziehen keinen Zentimeter. Da musste sich wohl der Hüftgurt verhakt haben. Als ich mich gerade anschickte, in den Gepäckraum zu krabbeln, um die Verhakung zu lösen, legte Harald mit väterlicher Geste seine Hand auf meine Schulter und sagte einen englischen Satz, der in meinen deutschen Ohren nach so etwas klang wie: „Lass mal, der ist zu schwer für dich. Lächerlich. Einfach lächerlich! Startgewichte über 30 kg waren für uns damals normal. Und sehr viel schwerer konnte Haralds Rucksack ja wohl auch nicht sein. Unwillig wischte ich seine Hand von meiner Schulter, krabbelte in das Gepäckfach, prüfte, ob auch alle Riemen und Gurte frei lagen und zog mit Wucht und auch ein bisschen Wut an dem zugegebenermaßen außergewöhnlich großen Teil. Es war einer jener 130 Liter Monsterrucksäcke, wie sie von Norröna für norwegische Eliteeinheiten hergestellt wurden. Als auch wiederholtes Ruckeln und Zerren nichts half, schob mich Harald sanft beiseite, zog mit einem Griff seinen Rucksack heraus und, weil er schon mal dabei war, auch noch meinen. Bevor er ihn auf den Boden stellte, bewegte er ihn mit einer Hand prüfend auf und ab, um das Gewicht besser abschätzen zu können und nickte mir, indem er ihn abstellte, bestätigend zu. „Nicht schlecht schien sein Gesicht zu sagen. Ja, ja, schon recht, „nicht schlecht, aber wohl eben auch nicht „gut, jedenfalls nicht gut genug, um in Haralds Liga mitspielen zu können. Nun war es an mir, Haralds Rucksackgewicht zu prüfen. Ich brachte ihn kaum vom Boden weg, und mein Ehrgeiz, ihn auf den Rücken setzen zu wollen, endete mit einem rechten Gewürge. „Harald, um Gottes willen, was wiegt dein Rucksack?. „Naja, wenn ich mit einer Tour beginne, ist er natürlich etwas schwerer, aber sehr viel weniger als 100 englische Pfund hab ich eigentlich nie auf dem Rücken. Ich denke so 55 kg. Abgesehen von der Tatsache, dass Rucksackgewichte von 55 kg komplett außerhalb meiner Vorstellungskraft lagen, wurde ich neugierig. Was muss man alles für eine Tour einpacken, um auf 55 kg Startgewicht zu kommen?

    „Da wären die zwei Gewehre, ein Kleinkaliber und eine Schrotflinte, je 100 Schuss Munition, meine Angelkiste, eine Fliegen- und eine Spinnrute, Filetiermesser, Schlafsack, Zelt, ein Tarp als Vordach, Isomatte, Kochgeschirr – naja, das gibt es auch leichter, aber als Koch hat man eben auch am Lagerfeuer so seine Ansprüche: zwei Töpfe, zwei Pfannen, Edelstahl mit Kupferboden, das Beste für eine gute Hitzeverteilung – dann Axt, Säge, 50 m Seil und das übliche Kleinzeug wie Mückenspray, Streichhölzer, Schuhfett, Karten, Kompass, Zahnbürste, Zahnpasta etc."

    Wie sich im weiteren Verlauf des Gesprächs herausstellte, befand sich unter „etc." auch ein handkoffergroßer Stereokassettenrekorder für Batteriebetrieb plus Ersatzbatterien sowie eine gewaltige Auswahl an skandinavischen Softpopkassetten. Dieses für Harald essenzielle Wildnisutensil wurde jeden Morgen genutzt, um – während er seinen Kaffee schlürfte – die nordische Einsamkeit zu beschallen. Mir wurde langsam klar, dass Harald nur deshalb die 55 kg halten konnte, weil er an anderer Stelle rigoros mit dem Gewicht knauserte. Seine Reiseapotheke zum Beispiel war ein echter Witz: ein paar Pflaster, etwas Desinfektionsmittel und ein paar Schmerztabletten. Ach ja, apropos Kaffee: Auch die Mitnahme von Lebensmitteln beschränkte sich bei Harald auf das Allernötigste, als da wären: 5 kg Mehl, Backpulver, Salz, reichlich Fett und Zucker sowie je 1 kg Marmelade und eben Kaffee. Damit verschwand er für sechs Wochen alleine in der Finnmarksvidda, trat am letzten Tag seiner Wanderung an Leib und Seele rundum erneuert und immer noch breit und glücklich grinsend auf die Verbindungsstraße zwischen Kautokeino und Karasjokka, streckte seinen Daumen raus und trampte zurück nach Alta, um dort als Bäcker in einer Pizzeria anzuheuern.

    Ich habe die Begegnung mit Harald an den Anfang dieses Buches gestellt, weil er in vielerlei Hinsicht den Prototyp des Wildnisgehers verkörpert. Dass er alleine geht, dass er in Gegenden unterwegs ist, die auch von der raueren Gattung nordischer Wanderer noch nicht genutzt werden – die also noch nicht einmal einen Wanderpfad aufweisen, von Hütten ganz zu schweigen – dass er außergewöhnlich lange Zeiten ohne jede zivilisatorische Infrastruktur auskommt, dass er große Strecken in wegloser Wildnis bewältigen und vor allem, dass er sich in seiner Lebensmittelplanung wirklich auf Gewehr und Angel verlassen kann, verweisen ihn in die extrem kleine Spitzengruppe reinrassiger, europäischer Wildnisgeher. Abgesehen von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten steht Harald aber vor allem wegen seiner Geisteshaltung hier am Anfang. Es ist die Liebe zur Wildnis und die Freude in ihr zu sein, die den reiferen Wildnisgeher auszeichnen. Wildnis ist für den Anfänger immer auch eine gehörige Portion Kampf. Die nicht enden wollenden Strapazen, die Erschöpfung, die Schnaken, die einem auch den schönsten Fischfang verderben können, so dass man genervt vom Lagerfeuer ins Zelt flüchtet, das launische Wetter, das einem auch im August mit Zelt zerreißenden Stürmen, langen Regenperioden oder gar Schneefall bedroht, die fehlende Ablenkung, die Eintönigkeit – an Herausforderungen herrscht im Norden wahrlich kein Mangel. Und oft sind es ja gerade die Schwierigkeiten und deren heldenhafte Überwindung, die uns anfänglich reizen, in die Wildnis zu gehen. Doch mit den Jahren tritt eine langsame Änderung ein. Man wird ein Freund der Wildnis. Man wird ein Teil von ihr. Dafür steht Harald. Und für noch etwas: Die großen Wildnisgeher können uns Inspiration und Anregung sein, aber nie Vorbild. Dazu sind sie viel zu individuell. Jeder Anfänger, der mit Blick auf Harald meint, ein dicker Bauch, ein zentnerschwerer Rucksack mit batteriebetriebener Hi-Fi-Anlage, ein bestenfalls spartanisch gefüllter Lebensmittelbeutel, keine nennenswerte Erste-Hilfe-Ausrüstung, aber dafür ein Macheten ähnliches Finnenmesser seien nun genau das Richtige, um in der Wildnis zu bestehen, wird voraussichtlich kläglich scheitern. Also: Inspiration ja, Vorbild nein. Oder anders ausgedrückt: Jeder, der in die Wildnis geht, muss seinen eigenen Weg und Stil finden. Eigene Erfahrung ist durch nichts, aber auch durch wirklich gar nichts zu ersetzen. Es gibt beim Streifen durch die Wildnis keine letzten Wahrheiten und keine Dogmen, nur Hinweise. Deshalb führt dieses Buch auch das Wort „Anregungen im Untertitel und nicht etwa „Handbuch des Wildnisgehens.

    Wenn Harald ein Beispiel für den Gipfel des Wildnisgehens ist, dann hat der Berg zu diesem Gipfel eine breite Basis. Skandinavier nennen diese Basis „Friluftsliv, im englischsprachigen Raum heißt sie „Outdoor. (Im Deutschen gibt es ein entsprechendes Wort nicht. Zu den „Frischluftaktivitäten zählen ja auch Jogging, Beachvolleyball oder Paragliding, aber das ist hier nicht gemeint, weshalb man im Deutschen den Begriff „Outdoor aus dem Amerikanischen entlehnt hat.) Beide Begriffe umfassen im weitesten Sinne alle Aktivitäten, die sich mit dem Leben und Überleben in Gottes freier Natur beschäftigen. Der Übergang zum Sport ist dabei fließend. Mountainbiken ist so ein Grenzfall. Es gibt Menschen, die fahren mit dem Rad zwei Wochen über die Hardangervidda. Das ist reines „Friluftsliv", keine Frage. Downhill Racing erscheint dagegen mehr als eine Fun- oder Extremsportart. Aber lassen wir die Feinheiten. Am Fuße des Berges ist man da tolerant. Für die Wanderfreunde unter den Outdoorenthusiasten erstreckt sich das Spektrum der Möglichkeiten von gemächlichen Ausflügen in die Fränkische Schweiz bis zu kräftezehrenden Querfeldeintouren nördlich des Polarkreises. Die Wassersportbegeisterten wählen irgendetwas zwischen einem gemütlichen Faltbootwochenende auf der Lahn und mehrmonatigen Seekajaktouren an den Fjordküsten dieser Welt. Die Alpinisten sind auf einer Gebirgshüttentour im Engadin oder beim Klettern in den steilen Wänden der Siebentausender zu finden. Pferdefreunde werden sich für eine Reitwoche in den Masuren oder die Durchquerung der Mongolei zu Pferde begeistern – um nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem Spektrum der Möglichkeiten zu nennen.

    Immer mehr Menschen in Mitteleuropa wollen sich „draußen in ihrer Freizeit betätigen und meinen dabei Aktivitäten, die ohne Bewaffnung auskommen. Ja, Sie haben richtig gelesen: „Bewaffnung. In Nordamerika liegt die Sache völlig anders. Wenn Sie da „Outdoor" sagen, verstehen 90 % der Amerikaner und Kanadier: Jagen und Fischen. In Geschäften, die outdoor equipment anbieten, können sie manchmal Zelte, aber immer Gewehre kaufen. Eine sportsperson ist in den USA jemand, der jagt und fischt, und nicht etwa ein Zehnkämpfer. Letzterer ist keine sportsperson, sondern ein athlete. Die Skandinavier bewegen sich so dazwischen. Einerseits sind die Norweger, Schweden und Finnen große Wandernationen, andererseits haben sie auch einen erheblichen Anteil an Jägern und Anglern. Was jedoch die kulturelle Bedeutung von Jagd und Angelei angeht, bleibt Nordamerika speziell. In den USA gibt es allein 34 Millionen registrierte Angler und wenn im Herbst die Jagdsaison beginnt, empfiehlt es sich nicht, einfach mal so durch die Wälder zu spazieren. Fast 14 Millionen Amerikaner kriechen dann durchs Unterholz, um einem rekordverdächtigem mule deer oder anderen Trophäen nachzustellen und schießen auf alles, was sich bewegt. Deswegen sind pro Jahr ca. 7.000 Verletzte und 600 Tote bei Jagdunfällen zu beklagen (Letzteres entspricht ungefähr dem Doppelten der jährlichen Mordrate Deutschlands). Der amerikanische Jäger, der sich bekanntermaßen nicht nur gerne von Kopf bis Fuß in perfektem Tarnfleck kleidet, sondern auch seine Ausrüstung bevorzugt in einer Ausstattung erwirbt, die das Wiederauffinden fast unmöglich macht, ist deshalb dazu übergegangen, sich eine knallorangene Mütze bei der Jagd aufzusetzen und eine entsprechende Signalweste anzuziehen. Zumindest gegenüber nicht farbenblinden Tierarten hebt das den Tarneffekt zwar geringfügig auf, erhöht jedoch die Sichtbarkeit für den Jagdgenossen und damit die eigenen Überlebenschancen erheblich.

    Was Jagen und Fischen den Amerikanern wirklich bedeuten, lässt sich einem Europäer nur sehr schwer vermitteln. Ich versuch es trotzdem mal: Wer angelt und jagt, ist charakterlich und moralisch ein besserer Mensch, anständiger, gradliniger, ehrlicher. Wer mit seinen Kindern Jagen und Angeln geht, ist der bessere Vater und der verantwortungsvollere, fürsorglichere Familienvorstand, denn er verplempert seine Freizeit nicht mit wenig wertschöpfenden Tätigkeiten, sondern ernährt mit seinen Hobbys die Familie – so in diese Richtung geht das. Jagen und Angeln sind ein zentraler Bestandteil der kulturellen Identität Amerikas. Diese starke Affinität der Amerikaner zu Jagd und Fischfang wird von den meisten Kanadiern geteilt, weswegen es in Nordamerika eine Form des Wildnisgehers gibt, die wir in Europa nicht haben: den Profi. Der europäische Wildnisgeher ist Idealist, ein Amateur im wahrsten Sinne des Wortes, ein „Liebhaber" der Wildnis also, denn das Wort „Amateur" kommt ja vom Lateinischen amare gleich „lieben". Einem europäischen Wildnisgeher erscheint es als pietätloser Verrat an der Unberührtheit und Reinheit der Natur, schickte er sich an, mit seinen Fähigkeiten Geld verdienen zu wollen. Dem Amerikaner ist dieser Konflikt zwischen Hobby und Beruf fremd. In Amerika gilt, dass man seine Brötchen am besten mit Tätigkeiten verdient, die man besser kann als alle anderen. Und das gilt eben auch für Wildnisgeher.

    Zweite Begegnung: Brad

    Gestern erst hatte uns ein Wasserflugzeug vom Tabasco Lake aufgelesen. Nun saßen Daniel und ich in der Lobby des Heritage Hotels und verdauten träge und glücklich das überreichliche Frühstück. Es war wenig los. Außer uns bevölkerten nur noch zwei weitere Gäste die Lobby. An ihrer Kleidung konnte man sie unschwer als Bergjäger erkennen. Allerdings nur an ihrer Kleidung; der Rest machte einen eher grünen Eindruck. Weder ihr Blick noch ihr Gang, weder Haltung noch Ausstrahlung wiesen sie als Wildnisjäger aus. Nun ja, zumindest der Ältere von den beiden hatte schon manches Stück Wild erlegt, drunten in Ohio, wo sie herkamen. Einmal war er sogar zum Wapitijagen nach Utah gereist, und im Herbst unterstützte er seinen Schwager bei der Koyotenjagd auf dessen Ranch in Arizona. Aber nichts von alledem hatte ihn auch nur ansatzweise auf das vorbereitet, was ihn hier erwartete. Und das spürte er wohl. Er ruckte in seinem Sessel unruhig hin und her und versuchte seine offensichtliche Nervosität mit aufgekratzter Heiterkeit zu überspielen. Der Jüngere, der wohl sein Neffe oder Sohn sein mochte, schaute in die Welt mit dem verlorenen Blick eines 14-Jährigen, der in ihr noch keine Heimat gefunden hatte. Vor unseren Augen entfaltete sich der Beginn eines uramerikanischen Initiationsritus: Die Generation Vater und die Generation Sohn waren gemeinsam unterwegs in das ganz große Jagdabenteuer. In diesem Falle also: Dall Sheep jagen in den Mackenzie Mountains.

    Ein schlanker, mittelgroßer Mann, der wohl Anfang dreißig sein mochte, trat durch den Eingang in die Lobby. In seinem ernsten Gesicht ruhten zwei wache Augen. Sein stiller Charakter passte gut in den Norden. Als Vater und Sohn ihn sahen, erhoben sie sich aus ihren Sesseln. Er ging auf sie zu und begrüßte sie mit einem zurückhaltenden Handschlag. Sein Gang atmete jene bescheidene, aber doch selbstbewusste Vorsicht, wie sie die besten unter den Jagdführern auszeichnet. Sie wissen, was sie können, aber sie wissen auch, dass sie im Angesicht der Wildnis ein Nichts sind. Das einzig Wuchtige an ihm waren seine Bergstiefel: traditionelle europäische Bergstiefel mit zwiegenähter Lederbrandsohle aus Juchtenleder sowie roten Schnürsenkeln. Nein, so etwas hatten wir in Kanadas hohem Norden noch nicht gesehen. Als er ihnen die Hand gegeben hatte, trat er einen Schritt zurück, um sie besser ganz ins Auge fassen zu können. Er hatte jetzt vielleicht eine Stunde Zeit, um zu entscheiden, ob das mit den beiden in den Bergen klappen könnte oder nicht. Eine Stunde, um über möglichen Erfolg oder mögliche Katastrophe zu befinden. Dann würde man sie alle drei samt Waffen und Ausrüstung in eine Helio Courier verstauen und in das Zentralmassiv der Mackenzie Mountains fliegen. Lediglich eine Geschwindigkeit von 35 Meilen pro Stunde benötigt eine Helio Courier um abzuheben. Kein in Serie gebautes Flugzeug braucht weniger. Bei 10 Meilen pro Stunde Gegenwind, muss sie also nur auf 25 Meilen pro Stunde beschleunigen, um sich in die Lüfte zu erheben. Im praktischen Jägerleben hat dies zur Konsequenz, das erfahrene Buschpiloten damit auf nur 100 m langen, ausgetrockneten Bachbetten in einem Hochtal zwischen 8.000 Fuß hohen Berggipfeln landen und die Jagdgesellschaft absetzen können.

    Nicht immer gehen solche waghalsigen Manöver gut. Brad, der nicht nur als Jagdführer sondern außerhalb der Jagdsaison auch als Buschpilot arbeitet, zeigte mir, als er mich zum Poacher Lake flog, aus der Luft ein zerschelltes Flugzeugwrack. Beim Starten war der Gegenwind wohl plötzlich abgeflaut und die Maschine nicht schnell genug hochgekommen. Es sind also nicht nur die Thermik und die vielen Luftlöcher, die einem bei einem Flug in die Berge ein flaues Gefühl bescheren. Manchmal geht auch wirklich etwas schief.

    Doch zurück zu Vater, Sohn und Brad. Sobald sie der Pilot sicher abgesetzt und der Motorenlärm sich mit der Maschine wieder entfernt hat, sind sie ganz allein auf sich gestellt, 200 km vom nächsten Fleckchen Zivilisation entfernt, mit nur einem Ziel im Herzen: ein Bergschaf zu schießen. Das kann vier Tage dauern oder sieben, spätestens nach zehn Tagen würden sie die Jagd abbrechen müssen, denn danach gingen ihnen die Lebensmittel aus. Also die Zeit will gut genutzt sein: Jeden Tag zehn Stunden Marsch und Pirsch im weglosen Hochgebirge mit schwerem Gepäck, jeden Tag mehr als 1.000 Höhenmeter hoch und auch wieder runter, jeden Tag durch mehrere kniehohe, manchmal hüfthohe Wildbäche, jeden Tag stundenlang die gegenüberliegenden Berghänge mit dem Fernglas nach Bergschafen absuchen, sie dann im weiten Bogen umgehen, nur um festzustellen, dass die Tiere auch diesmal Wind bekommen haben. Oft muss Brad bereits am zweiten Tag einen Teil des Gepäcks seiner Jagdgäste übernehmen und trägt dann mehr als 45 kg auf dem Buckel. Das ist ein Grund, warum sie bei echten Wildnisjagden immer nur einen Gast pro Jagdführer zulassen. Der andere: Sobald das erste Schaf in Schussweite kommt, gibt es unter den Jagdgästen meistens Streit darüber, wem es gehören soll. Streit in einer durch Jagdfieber und körperliche Erschöpfung aufgeheizten Atmosphäre kann in der Wildnis richtig gefährlich werden. Und so hat sich eben die Regel durchgesetzt: ein Gast pro Führer. Ausnahmen macht man nur bei Partien, bei denen man sicher sein kann, dass die hierarchische Rangordnung auch in emotional kritischen Situationen noch funktioniert. Und genau das musste Brad jetzt in der verbleibenden Stunde herausbekommen. Was, wenn der Alte dem Jungen versprochen hatte, dass ihm das erste Bergschaf gehören sollte, er es sich aber beim Anblick eines rekordverdächtigen Widders spontan anders überlegt? Würde der Sohn das akzeptieren oder würden schwer zu kontrollierende Konflikte aufbrechen? Menschen wie Brad müssen eben nicht nur große Wildnisgeher und Jäger sein, sondern auch begnadete Menschenkenner. Doch haben so schwierige Kunden auch ihr Gutes. Dass er seine Jagdgäste in Norman Wells abholen darf, ist nämlich die Ausnahme. Das passiert nur in kritischen Fällen, etwa wenn mehr als ein Jagdgast geführt werden soll. Normalerweise bringt der Pilot frische Lebensmittel und einen neuen Gast, wenn er den vorangegangenen samt Trophäe und Fleisch abholt. Brad bleibt dann oft acht Wochen am Stück in der Wildnis, manchmal auch die gesamte Saison. Nur die schwierigen Kunden ermöglichen ihm während der Jagdzeit eine warme Dusche.

    Der Job als Jagdführer in der Wildnis ist gut bezahlt. Zwischen 3.000 und 4.000 Dollar pro Woche bringen die jungen Männer nach Hause und das ist angesichts des Anforderungsprofils auch kein Wunder. Nicht nur müssen sie von außergewöhnlicher körperlicher Veranlagung sein und dazu noch in der Blüte ihrer Jahre stehen, sondern die Kraft der Jugend muss sich auch noch mit der Erfahrung des Alters, dem Blick eines Psychologen und der inneren Ausgeglichenheit eines Mönches paaren. Wer einen unerfahrenen Jagdgast in der Wildnis sicher zum Erfolg und auch wieder sicher nach Hause bringen will, braucht enorme Kenntnisse in der Gebirgsjagd und noch mehr Wildniserfahrung. Ein 25-jähriger Jagdführer sollte also ab seinem zwölften Lebensjahr, besser ab seinem zehnten regelmäßig auf Jagd gegangen sein, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Sie sind eine rare Elite, die Crème de la Crème ihres Fachs. Vielleicht ein paar Hundert Männer weltweit (und ein paar ganz, ganz wenige Frauen) eignen sich für dieses Geschäft. Die wenigsten halten länger als fünf Jahre durch.

    Als Brad 21 Jahre alt war, hatte er bereits jede in Alberta heimische Art von Großwild erlegt: Pronghorn-Antilope, Waldcaribou, Vielfraß, Bison, Wolf und Bighorn, Koyote, Elch, Mule Deer, Weißwedelhirsch, den mächtigen Wapiti, Grizzly und Puma. Er konnte also schon in jungen Jahren als erfahrener Jäger gelten. Aber das war nicht das wirklich Außergewöhnliche an ihm. Auch nicht, dass er mit seinen 21 Lenzen unter Eingeweihten bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, denn der fünftgrößte Puma, der jemals in Alberta geschossen wurde, stand auf seiner Trophäenliste. Unter seinen Freunden, die allesamt Jäger waren, galt er als schräger Vogel, weil er schon mit 16 Jahren als Nomade auf Jagd ging. „Nomade" meint, er jagte nicht, wie in Nordamerika üblich, von einem mit Generator, Satellitenfernsehen, mehrflammigem Benzinkocher und mobilem Kühlschrank ausgestattetem Jagdcamp aus, sondern packte sich seinen Rucksack, dazu manchmal auch ein Kanu, und verschwand für mehrere Wochen in der Wildnis. Auch ging er meistens allein, was ihn in den Augen seiner Kumpels vollends zu einem Exoten machte. Nur manchmal nahm er einen Gleichgesinnten mit, dem ebenso wie Brad die typisch nordamerikanische Jagdkameradschaft, bei der

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