Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Endlich abgedreht!: Ein satirischer Roman
Endlich abgedreht!: Ein satirischer Roman
Endlich abgedreht!: Ein satirischer Roman
eBook319 Seiten4 Stunden

Endlich abgedreht!: Ein satirischer Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ralf Krupsch ist Oberstudienrat, mit Rita verheiratet, Vater eines Gymnasiasten und stolzer Hausbesitzer. Was will er mehr? Noch weiß er es nicht. Aber eines Tages flattert ihm ein Zettel und im Anschluss ein ganzes Filmteam ins Haus. Es wird gedreht und sein Alltag ist nicht mehr wie zuvor...

Was passiert, wenn eine ahnungslose Familie im Strudel von Film-Dreharbeiten untergeht?
Wer sind die Verantwortlichen für das dabei produzierte, tödlich langweilige TV-Programm?
Wohin verschwinden die Abermillionen aller abgabegezwungenen deutschen GEZ-Gebührenzahler?
SpracheDeutsch
HerausgeberEbozon Verlag
Erscheinungsdatum13. Okt. 2017
ISBN9783959634632
Endlich abgedreht!: Ein satirischer Roman
Autor

Günter Klebingat

Günter Klebingat arbeitete von 1981 bis 2008 als Aufnahme- und Produktionsleiter für deutsche Fernsehproduktionen öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten im In- und Ausland. Parallel baute er zusammen mit seiner Frau nach dem Mauerfall in der ehemaligen DDR einen Landwirtschaftsbetrieb auf, der 2012 - ausgezeichnet in der regional-touristischen Vermarktung an der Ostsee etabliert - erfolgreich verkauft wurde. Mit der Auswanderung im selben Jahr siedelten sich die Ehepartner als »landwirtschaftliche Wiedereinrichter im EU-Ausland« auf den kanarischen Inseln an und bewirtschaften seitdem eine klassische kleine Bergbauern-Finca in Selbstversorgung. Der Ostsee-Krimi »Kein Land in Sicht« ist Günter Klebingats erste Veröffentlichung im Ebozon Verlag und ist im Spätsommer 2017 als eBook erschienen. Im Herbst 2017 folgte nun »Endlich abgedreht!«, ein satirischer Roman.

Ähnlich wie Endlich abgedreht!

Ähnliche E-Books

Sozialwissenschaften für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Endlich abgedreht!

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Endlich abgedreht! - Günter Klebingat

    Leibniz

    STAB:

    Produktion:

    Elegant Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft mbH, Leibniz

    Buch:

    Günter Klebingat und Dietrich Dietrichsen

    Redaktion:

    Paul Anders

    Produzent:

    Heinz Heiner Bonert

    Geschäftsführung:

    Leif Lund

    Producer:

    Jon Schmuse

    Herstellungsleitung:

    Michael Kitt

    Produktionsleitung:

    Aaron Aumann

    Produktionssekretariat:

    Kirsten Seitenast

    Aufnahmeleitung:

    Michael Mücke

    Regie:

    Hans Jochen Mieß

    Regieassistenz:

    Matti Hantelmann

    Kamera:

    Charly Brügge

    Licht:

    Neffe, Rainer, Gregor

    Ton:

    Andreas Leihmann, Detlef Tanner

    Ausstattung:

    Reinhard Meyer

    Requisite:

    Henry Koburski

    Baubühne:

    Kall, Bernte, Hans, Hassan

    Kostüm:

    Wencke Joppe

    Maske:

    Unser Udo, Chrissi Wagner

    Schnitt:

    Juliane Birnstamm, Andrea Kurschus

    Pressearbeit:

    Elena Orlosska

    Standfotos:

    Jost Vulkanon

    Technik:

    Cintec, Martin Albers

    BESETZUNG:

    Obermeier:

    Ralf Krupsch

    Herr Lehmann:

    Mario del Monte

    Frau Lehmann:

    Iris Behrenfeld

    in weiteren Rollen:

    Rita Krupsch

    Robert Krupsch

    Anton Schmidtkowski

    Eleonore Bach

    Georg Götze

    Wolfram Schulte

    Jacob Blauberg

    Frank Herzthal

    Martha Lösch

    Fernando Mbangotubila

    Wladimir Medinow

    Zivko Zamic

    Lionel Randman

    Chiel de Bure

    Kevin Umland

    Carmen Lieblich

    Marcus Lächelmann

    Bill Wilson

    Ed Briggis

    John King

    Leo Zahl

    John Don Long

    Wung Lee

    Taktak

    u.v.a.

    Es war ein Zettel, der unter unserer Haustür durchgeschoben wurde. Mit dem fing alles an:

    »Die Elegant Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft sucht für eine neue Serie das Hauptmotiv. Wir haben Ihr Haus ausgewählt. Um einen Besichtigungstermin zu vereinbaren, werden wir uns in den nächsten Tagen bei Ihnen melden.«

    So, so, dachte ich und vergaß das Briefchen. Im Flur auf unserem kleinen Schuhschrank fand es später mein Sohn Robert.

    Hätte ich den Zettel sofort weggeworfen, dann wären mir viele Erfahrungen entgangen und auch erspart geblieben. Mein Leben wäre nicht derartig aus der Bahn geraten, wie ich es mir zu jenem Zeitpunkt nicht in den kühnsten Träumen hätte vorstellen können.

    Ich bin Gymnasiallehrer. Anfang Fünfzig. Sehe aber deutlich jünger aus! Ich bin Einsachtzig groß und leider zweiundneunzig Kilo schwer. Mit meiner bisherigen Lebensleistung bin ich sehr zufrieden und kleide mich gern in englischen Kombinationen. Um nicht noch weiter zuzunehmen, fahre ich Rad. Meine Frau Rita hat mir davon abgeraten, einen Bart wachsen zu lassen. Das Argument, der Bart würde mich älter erscheinen lassen als ich bin, hat mich letztendlich überzeugt. Bei meinem Sohn ist es genau umgekehrt. Robert ist Vollbartträger und will unbedingt älter wirken. Und er ist ein echter TV-Junkie. Zu meinem Bedauern kommt auch noch das Internetfernsehen hinzu. Da weiß man nicht mehr, ob er für die Schule arbeitet, auf YouTube Videos guckt oder sich die neueste Scripted Dokusoap auf seinem Multimediacomputer reinzieht.

    Beim Abendessen zaubert er – Überraschung! – das Stück Papier aus der Tiefe seiner Hosentasche und liest es seiner Mutter vor. Rita ist begeistert.

    Meine Frau ist ja immer so schnell zu begeistern, wenn es um ihren lieben Sohn geht.

    »Das ist doch unheimlich wichtig für den Jungen, so eine Erfahrung zu machen! Du willst doch auch, dass er seine künstlerischen Talente entwickeln kann. Wann hat er solch eine Chance denn noch einmal?«

    Robert tutet in dasselbe Horn: »Genau. Rita hat absolut recht. Vielleicht will ich ja zum Fernsehen. Als Schauspieler, oder so. Ist doch wahnsinnig spannend, mal live zu sehen, wie ein Film gedreht wird. Voll fett, so die Schauspieler hier zu haben. Da sieht man auch, wie die privat sind, oder so.«

    Jetzt kennt Ritas Begeisterung keine Grenzen mehr. Ich wollte, sie wäre mal wieder von mir so begeistert. Ohne diese Harry-und-Sally-Vorführung.

    »Ralf, das Fernsehen gehört doch heutzutage zum Kulturgut. Und dann auch noch bei uns, in unserem Haus! Die Chance müssen wir einfach nutzen. So etwas passiert doch echt selten. Ich kenne niemanden, bei dem zu Hause schon einmal ein Film gedreht worden wäre. Das liest man sonst nur in der Zeitung. Wenn in einem Schloss oder in einem Museum gedreht wird, erscheinen manchmal Artikel über die Filmaufnahmen. Und jetzt wollen die zu uns kommen, um in unserem Haus zu drehen. Wahnsinn – ich glaube es kaum!«

    Ich bin tolerant und aufgeklärt. Sagen wir: ein Kumpeltyp als Vater, weshalb Robert nicht Papa sagt, sondern einfach: Ralf. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Jedenfalls weitestgehend.

    Also ganz der Allesversteher: »Ok, überredet. Wir lassen die Besichtigung erst einmal zu. Ob dann überhaupt bei uns gedreht wird, ist ja gar nicht sicher. Die haben bestimmt noch viele andere Häuser zur Auswahl.«

    Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Zwei Tage später meldet sich ein sogenannter Aufnahmeleiter. Michael Mücke ist die Liebenswürdigkeit in Person. Sein Charme tropft durch das Telefon.

    »Das ist ja nur ein erster Termin, völlig unverbindlich. Ich schaue mir alles an und mache ein paar Fotos, so wie Sie es mir genehmigen. Alle Fotos in Absprache und nie, niemals ohne zu fragen.«

    Wie angekündigt steht er um Punkt Elf am nächsten Tag vor der Tür.

    Rita bittet ihn herein. Er ist zuvorkommend und charmant. Ein schlanker Tanzlehrertyp, dessen Collegesakko perfekt sitzt und gut zu seinen Bluejeans passt. Ein junger Mann, dem man auch gerne das neue Auto mit diesem einmaligen Sonderrabatt abkaufen möchte.

    »Ihr Haus ist unter hunderten ausgewählt worden und wirklich ganz etwas Besonderes. Es ist immer sehr schwer, in der Realität das zu entdecken, was in einem Drehbuch beschrieben wird. Oft vergehen Monate, bis die richtige Location für ein Hauptmotiv gefunden wird.«

    Natürlich ist Rita sehr angetan. Auserwählt.

    »Schauen Sie sich alles in Ruhe an, Herr Mücke. Darf ich Ihnen etwas anbieten, einen Kaffee vielleicht?«

    Michael Mücke hat seinen Scanner-Blick aufgesetzt und macht sich eifrig Notizen.

    »Das ist ausgesprochen nett von Ihnen. Über einen Kaffee würde ich mich sehr freuen, aber nur, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet.«

    Rita eilt dienstbeflissen in die Küche. Mücke wirft einen Blick in alle Zimmer und schaut sich dann den Garten an. Auf der Terrasse serviert Rita den Kaffee und sie nehmen gemeinsam Platz.

    »Dass hier eine glückliche Familie lebt, merkt man sofort an der ganzen Ausstrahlung Ihres Heimes. Diese geschmackvolle und auch sehr liebevolle Einrichtung besticht mit jedem Detail.«

    Rita lächelt geschmeichelt.

    »Wir haben uns mit der Renovierung viel Mühe gegeben und bei der Einrichtung alles aufeinander abgestimmt.«

    Mücke nippt an der Kaffeetasse.

    »Eine gelungene Mischung aus Antik und Modern. Es sieht alles fantastisch aus. Sind Sie Innenarchitektin?«

    Rita errötet leicht.

    »Nein, ich habe bloß ein paar Semester Kunstgeschichte studiert, bin aber nach Roberts Geburt zu Hause geblieben. Es war halt die traditionelle Aufgabenteilung in einer Ehe: der Mann geht arbeiten und die Frau kümmert sich um Kind und Heim. Dadurch hab ich leider den beruflichen Anschluss verloren. Robert ist jetzt siebzehn. Der wird bald seiner eigenen Wege gehen, spätestens nach dem Abitur. Wissen Sie, er träumt von einer Filmkarriere.«

    Um ein Haar hätte Rita gefragt, ob Mücke etwas für Robert tun könnte.

    Aber der kennt diese Geschichten bereits zur Genüge und kommt ihr zuvor. Er beugt sich gekonnt vertraulich zu seinem Opfer.

    »Unter uns gesagt: bei Ihrer Begabung für Ausstattung werden wir mit Sicherheit Ihren Rat einholen, sollten wir hier drehen. Und vielleicht kann ihr Sohn erst einmal als Kleindarsteller mitwirken. Aber ich will ehrlich sein – wir müssen noch mindestens zwei weitere Häuser besichtigen. Hans Jochen Mieß, der Regisseur, will generell aus drei Möglichkeiten wählen können. Das macht er bei jedem Motiv so und manchmal sogar bei den Rollen. Da lässt der für jede Rolle drei Darsteller vorsprechen und entscheidet sich erst danach.«

    Mücke wird verschwörerisch.

    »Wenn es nur nach mir ginge, wäre der Fall klar, liebe Frau Krupsch. Aber so oder so müssen wir noch einen großen Besichtigungstermin mit den wichtigsten Köpfen des Teams vereinbaren. Erst danach ist eine endgültige Entscheidung möglich. Aber glauben Sie mir: ich bin von Ihrem Haus überzeugt und ich drücke beide Daumen, dass die anderen im Team es genauso sehen.«

    Als ich von der Schule nach Hause komme, ist Rita völlig von der Rolle.

    »Die kommen am Freitag nochmal, am frühen Nachmittag, mit großer Besetzung! Dann bist Du ja schon wieder zu Hause und Robert auch und wir können den Filmleuten alles gemeinsam zeigen. Stell Dir vor: wir sind in der engeren Wahl! Herr Mücke sagte aber, dass noch zwei weitere Häuser besichtigt werden müssen, weil der Regisseur immer Alternativen sehen will.«

    Ich ziehe mir die neuen, furchtbar engen Schuhe aus und habe eine Eingebung.

    »In den nächsten Tagen rufe ich mal den Paul Anders an. Der arbeitet doch als Redakteur beim Fernsehsender Unser Osten. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Der soll mal sagen, was da auf uns zukommen kann mit diesen Dreharbeiten.«

    Aber in der Schule sind mal wieder Konferenzen und Unterricht so eng terminiert, dass ich nur von Raum zu Raum hetze und die Filmleute einfach vergesse.

    So geht alles sehr schnell.

    In dieser Woche ruft immer wieder irgend jemand von der Elegant Film an. Einer fragt nach Stromanschlüssen, ein anderer interessiert sich für die Parksituation in unserer Straße oder die Entfernung zum Wohnhaus auf dem Nachbargrundstück. Noch bevor die große Besichtigung durchgeführt wird, haben wir mit etlichen Filmleuten offen über unsere persönliche, allgemein häusliche und direkte nachbarschaftliche Lebenssituation gesprochen.

    Dann ist es soweit: wie angekündigt klingelt es am frühen Freitagnachmittag an unserer Haustür. Rita hat sich herausgeputzt und dezent aufgebretzelt. Sie ist eine sehr sportliche kleine Frau von siebenundvierzig Jahren, die sich heute in knallenge Jeans gezwängt hat, um mit einem körperbetonten Stretchtop und aufgesteckten Haaren als Enddreißigerin durchzugehen.

    Warum wollen wir ab einem bestimmten Alter immer jünger erscheinen, als wir sind?

    »Hallo! Schön, dass Sie gekommen sind!«

    Michael Mücke ist an der Spitze der Besatzungstruppe.

    »Hallo, Frau Krupsch, darf ich Ihnen unser Team vorstellen? Allen voran unser Regisseur, Hans Jochen Mieß. Sie haben ja bestimmt schon von ihm gehört!«

    Herr Mieß zwingt sich ein kurzes Lächeln ab, gibt eine schlaffe Hand und geht weiter mit dem Satz: »Wo sind wir ?«

    Einer kennt die Antwort.

    »Motiv Eins auf der Liste.«

    Herr Mücke stellt die anderen Filmleute vor. Der Ausstatter Reinhard Meyer ist ein drahtiger, nervöser Mensch, dem die Haare zu Berge stehen.

    »Sagen Sie einfach Meyer, großes M und keine Eier – also Ypsilon.«

    Herr Mieß verdreht die Augen, die anderen grinsen peinlich berührt. Mücke nennt weitere Namen und die jeweilige Funktion. Von Beruf ist keine Rede. Alle lächeln symphatisch, geben artig die Hand und sind ausgenommen freundlich.

    Robert kommt betont cool die Treppe herunter, wie fast immer ganz in Schwarz gekleidet. Durch seinen Vollbart und die langen Haare wirkt er wie ein Student der Achtundsechziger Zeit.

    »Hi, folks!«

    Mücke gibt Robert Fünf, mit zweimal Faust.

    »Der Junior, zukünftiger TV-Star!«

    Die anderen begrüßen Robert auf eine sonderbar vertraute Art, als würden sie ihn schon länger kennen. Dann ich. Ich trete vom Arbeitszimmer kommend in gemessener Eile auf, die Lesebrille auf der Nasenspitze, den Rotstift noch in der Hand. Was gibt es überhaupt Wichtigeres in dieser unserer Welt des allgemein Profanen, als Abiturklassenarbeiten zu korrigieren?

    Mücke kommt mir entgegen.

    »Ah, der Hausherr! Oberstudienrat Krupsch.«

    Händeschütteln, Lächeln.

    Ich zeige mich von meiner geduldigen und wohlwollenden Seite, denn Schüler sind oft aufgeregt, wenn ein neuer Lehrer den Klassenraum betritt. Aber die Filmleute haben ihre Schulzeit wohl schon lange vergessen und zeigen sich unbeeindruckt. »Na, dann schauen Sie sich mal in Ruhe um, meine Frau wird Ihnen alles zeigen. Ich bin mitten im Korrekturstress. Die Arbeiten meiner Abiklasse.«

    Kehrt marsch und zurück in mein Arbeitszimmer. Hans Jochen Mieß blickt mir verdutzt nach. Am Auffallendsten an ihm sind diese wulstigen, aufgeworfenen Lippen.

    Ich schließe die Tür und lausche.

    Michael Mücke heizt erst einmal die Stimmung an:

    »Wundervolles Haus und so geschmackvoll eingerichtet! Mit einem paradiesischen Garten. Und dann diese Lage! Praktisch Waldesruhe. Und das mitten in der Stadt!«

    Der Regisseur schaut Mücke angewidert an.

    »Tempo bitte, wir haben noch ein paar andere Motive auf dem Zettel für heute.«

    Das ist ein klares Signal. Schluss mit lustig. Hier sagt nur einer, wo es langgeht. Der Ausstatter Meyer strafft sich und holt den Skizzenblock aus seiner Umhängetasche.

    »Also im Grunde müssten wir die Wand zwischen Küche und Esszimmer rausreißen, weil wir das sonst nicht wie im Buch beschrieben bespielen können. Die Küche ist zu klein.«

    Das ist für mich das Stichwort, die Besichtigung besser doch nicht aus den Augen zu lassen. Ich schleiche mich wieder aus meinem Arbeitszimmer. Meyer führt weiter aus.

    »Aber – wir haben ja ein sehr begrenztes Budget. Geht also nicht. Deshalb schlage ich vor, das Wohnzimmer zum Esszimmer mit großem Tisch und Platz für die ganze Familie Lehmann zu machen. Das jetzige Esszimmer wird zur Küche und hinter die kleine Originalküche bauen wir den Wintergarten. Wir tapezieren und nehmen Gelb als Grundfarbe. Die Möbel räumen wir komplett aus. Da in die Ecke kommt der Flügel. Die Treppe nach oben decken wir mit einer Stellwand ab und machen daraus einen Flur. Die Haustür bauen wir aus und montieren ein spitzes kleines Vordach an die Fassade.«

    Ich glaube, ich höre nicht richtig: Haustür ausbauen? Tapezieren und streichen? Treppe weg und Stellwand davor? Vordach?

    Sind diese Leute noch bei Sinnen? Ich verspüre den unbändigen Impuls, die ganze Bande sofort hinauszuwerfen.

    Meyer läßt noch einmal seinen Dreihundertsechziggradblick schweifen.

    »Alles in allem ein perfektes Motiv. Was meinst Du, Hans Jochen?«

    Hans Jochen schaut nachdenklich zur Decke.

    »Könnte sein. Vielleicht. Sieht irgendwie so aus. Aber ich weiß nicht ... Ich kann noch keine ‚Lehmanns‘ fühlen. Was meinst Du, Charly?«

    Der Kameramann Charly Brügge, von Herrn Mücke als Charly macht die Kamera vorgestellt, wiegt den Kopf nachdenklich hin und her.

    »Irgendwie könnte das schon funktionieren, aber gelbe Wände? Geht gar nicht! Das ist einfach Scheiße. Grau ist gut. Gut für mich. Gut für das Licht. Gut für die Darsteller. Keine Reflexionen, aber viel mehr Tiefe.«

    Henry Koburski, ein korpulenter Ringertyp und Außenrequisiteur, bezieht seine Position schützend neben Meyer, der jetzt rot anläuft. Es bricht wie Vulkanasche aus dem Ausstatter heraus, als er explodiert.

    »Alles grau anstreichen, ja? Und graue Möbel? Graue Kostüme, ja? Alles, alles scheißgrau, ja? Ja?«

    Hans Jochen Mieß schaut derweil grübelnd auf den Teppich im Wohnzimmer.

    »Kinder, Kinder. Ich habe vor dreißig Jahren den Film ‚Gelbe Sonne‘ gemacht. Das war ein Riesenerfolg, wie Ihr sicher wisst. Die Farbe Gelb spielte eine zentrale Rolle und ich zitiere gerne aus meinen früheren Werken.«

    Charly wechselt sofort die Spur.

    »Natürlich kann auch Gelb eine sehr schöne Farbe sein! Gibt so etwas Offenes, Warmes und könnte auch gut zu unseren ‚Lehmanns‘ passen.«

    Henry will einmal Ausstatter werden, Ausstattung machen wie Mücke sagt, und er wittert die Chance, sich durch einen klugen Beitrag profilieren zu können.

    »Meyer hat doch den soziokulturellen Status der Protagonisten allein durch seine Colourstrategy auf den Punkt gebracht.«

    Das ist nun auch Charly völlig klar.

    »Also, Gelb sollte unbedingt die Main Colourline der Farbkomposition des Filmes bestimmen, der Look ist dann absolut mainstreamig.«

    Während Meyer nun in seinem Stolz anschwillt, grübelt Hans Jochen weiter.

    »Oder Weiß lassen ... Aber wenn ich so in den Garten schaue ... Habt ihr schon mal über Lindgrün nachgedacht?«

    Matti, der Regieassistent und schönlinghafte Modeltyp, beschließt, bei seinem Herrn und Meister Punkte zu machen. »Genial! Lindgrün als Synonym für Hoffnung und Wachstum. Heilung für die Familie in einer Farbe ausgedrückt.«

    Ich glaube, genug gehört zu haben. Das ist ja wie in einer meiner freestyle Improvisationsstunden, wenn die Schüler den Unterricht selbst gestalten sollen ...

    Da muss ich eingreifen:

    »Meine Herren, hier ist alles Weiß und ich denke, das wird auch so bleiben!«

    Mücke ist alarmiert.

    »Lieber Herr Krupsch, Sie können sich darauf verlassen, dass alle potentiellen Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden. Wir verlassen einen Drehort immer genau so, wie wir ihn vorgefunden haben. Das heisst, er wird professionell in den Ursprungszustand zurückversetzt. Mein Ehrenwort! Das steht auch im Motivvertrag. Ist auch alles versichert. Sie werden sogar von allen Ansprüchen Dritter freigestellt. Sie bekommen von uns sozusagen das Rundumsorglospaket!«

    Ich bin etwas verlegen wegen meines kleinlichen Einwandes und in Mückes Stimme schleicht sich etwas Flehentliches. »Alles genauso wie vorher, Herr Krupsch. Versprochen!«

    Hans Jochen Mieß sieht mich mit einem angriffslustigen Funkeln in den Augen an.

    »Immerhin wollen wir noch zwei weitere Häuser anschauen und da könnte eines dabei sein, das mir mehr ‚Lehmann‘-Gefühl gibt ...«

    Rita sieht ihre Träume zerplatzen. Schade, schade. Sie tritt nah an Hans Jochen heran, so nah, dass der alternde Regisseur ihren Parfümduft inhalieren kann.

    »Verehrter Herr Mieß, ich bin ein großer Fan Ihrer Filme. Sie sind doch einer der wenigen wirklichen deutsche Filmkünstler. Sie dürfen hier natürlich alles machen, was Sie wollen.«

    Das klingt in meinen Ohren merkwürdigerweise wie: Sie können mit mir alles machen, was Sie wollen.

    Rita setzt nach:

    »Verändern Sie das Haus ganz nach Ihren Vorstellungen! Unsere ganze Familie freut sich so sehr auf Ihre Dreharbeiten.«

    Meyer, der schon die ersten Kulissenentwürfe zeichnet, blickt von seinem Skizzenblock auf.

    »Aber Sie werden doch gar nicht hier sein.«

    Jetzt bin ich echt schockiert.

    »Nicht hier sein?«

    Das rutscht mir viel zu laut heraus und meine ansonsten geübte Stimme überschlägt sich leider. Meyer versucht mich sanft zu belehren.

    »Üblicherweise werden die Bewohner eines Hauptmotives für die Dauer der Dreharbeiten in einem Hotel untergebracht.«

    Robert ist enttäuscht.

    »Da kriegen wir ja gar nix mit.«

    Mücke muss löschen.

    »Meyer, das habe ich diesmal anders geplant.«

    Er zwinkert Rita und Robert verschwörerisch zu.

    »Die Familie Krupsch wird oben im ersten Stock wohnen. Wir bespielen doch nur das Erdgeschoss. Sie können dann die Dreharbeiten jederzeit beobachten.«

    Mücke wendet sich direkt an mich:

    »Aber wenn Sie wollen, können Sie selbstverständlich auch in ein Hotel ziehen.«

    Ich überlege kurz, ob ich fragen soll, wie es denn mit den Seychellen oder Mauritius aussähe, aber vielleicht führt das ja in eine falsche Richtung.

    »Also, wir bleiben in jedem Fall in unserem Haus. Ich bin Lehrer und arbeite naturgemäß sehr viel zu Hause. Ein eigenes Arbeitszimmer ist für mich unverzichtbar.«

    Meyer bleibt skeptisch.

    »Das organisierst du, Mücke. Ich brauche jedenfalls freie Bahn. Für den Vorbau habe ich ja nur vier Wochen.«

    König Hans Jochen beobachtet die Situation zwischen Mücke und Meyer mit Genuss und gibt plötzlich – ohne Vorwarnung– seine erlösende Entscheidung bekannt:

    »Das hier ist mein Hauptmotiv! Die Besichtigungstour ist beendet. Die anderen Häuser brauchen wir nicht mehr zu sehen. Danke.«

    Rita fällt Herrn Mieß spontan um den Hals und Robert reckt die Faust in die Luft wie ein Handballer, der ins Tor getroffen hat. Alle sind überrascht von der unerwartet schnellen Entscheidung des Meisters und Mücke fühlt sich wie der Eroberer einer als uneinnehmbar geltenden Festung.

    »Ich ruf gleich unseren Produktionsleiter an! Der wird sich ärgern,weil er nicht mitfahren konnte, und jetzt ist alles ohne ihn entschieden.«

    Hans Jochen, Charly, Meyer, Henry, Matti und Mücke verabschieden sich höflich und gehen zu dem wartenden Minibus.

    Rita und ich stehen wie betäubt in unserer Haustür und winken zum Abschied wie Oma und Opa, denen nach dem schönen Tagesausflug eine Heizdecke, zwei Pfannen und ein Porzellanservice sagenhaft günstig angedreht worden sind.

    Am nächsten Tag rufe ich endlich Paul an. Er ist entsetzt:

    »Was hast Du vor? Dein Haus als Drehort? Weisst Du überhaupt, was da auf Euch zukommt? Da sind im Nachhinein schon Prozesse geführt worden.«

    Ich bin erschrocken. Paul fragt im Stakkato weiter.

    »Welche Filmfirma? Wie ist der Titel des Filmes? Wie heißen die Leute, die bei Dir waren?«

    Ich werde kleinlaut und unsicher.

    »Der Regisseur heißt Hans Jochen Mieß und der Film ‚Unsere Lehmanns‘, glaube ich.«

    Stille.

    »Paul?«

    »Heißt die Produktionsfirma Elegant Film?«

    »Ja genau, so hat der sich vorgestellt. Michael Mücke von der Elegant Film.«

    Plötzlich ist ein anderer Paul an der Strippe.

    »Oh, das ist ja für uns ... Das ist natürlich etwas ganz anderes! Kein Grund zur Sorge. Das sind ganz seriöse Leute, mit denen Du da zu tun hast. In dem Fall kann ich nur gratulieren. Wenn Dein Haus tatsächlich als Hauptmotiv ausgewählt wurde, habt Ihr Euch unter Hunderten von Bewerbern durchgesetzt. Normalerweise werde ich ja auch noch in solch eine wichtige Entscheidung miteinbezogen, aber in diesem Fall sage ich: Topp! Supergut!«

    Ich höre schon den Titel ‚Deutschland sucht das Superhaus‘, bin aber durch Pauls anfängliche Reaktion noch etwas verunsichert.

    »Also kann man das bedenkenlos zulassen? Dreharbeiten?«

    Der Euphoriker am anderen Ende der Leitung läuft jetzt richtig zur Höchstform auf.

    »Absolut, absolut! ‚Unsere Lehmanns‘ und Unser Osten. Das ist unser wichtigstes Projekt. Heimatverbundenheit, Vergangenheitsbewältigung, Familienzusammenführung und Zukunftsglauben in einer Familienserie, die hier bei uns, in unserer Stadt, in unserem Bundesland, unter unseren Menschen spielt und unsere einzigartige Mentalität zum Ausdruck bringt!«

    Paul legt noch eine große Schaufel nach, um mir die letzten Zweifel zu nehmen.

    »Wollte Dein Sohn nicht mal ein Praktikum in der Redaktionsabteilung beim Fernsehen machen? Ich kann da was deichseln. Frag ihn mal.«

    »Mensch Paul, da würde sich der Robert aber richtig freuen.«

    »Das Beste für die Besten im Osten – alles klar?«

    Paul gefällt mir. Diese Fernsehleute gefallen mir. Auf die kann man sich wirklich verlassen. All meine Bedenken haben sich in Luft aufgelöst.

    Der nächste von der Elegant Film,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1