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Die Kuchener Fekundation: Das sexuelle Trainingslager
Die Kuchener Fekundation: Das sexuelle Trainingslager
Die Kuchener Fekundation: Das sexuelle Trainingslager
eBook672 Seiten10 Stunden

Die Kuchener Fekundation: Das sexuelle Trainingslager

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Über dieses E-Book

Es kommt im Jahre 68 zu einem temperamentvollem Handgemenge zwischen zwei Brüdern und ein wenig zuvor schon zu einem überflüssigen Fußballverbot als Liebesbeweis. Es fängt also das Buch skurril an und so setzt es sich auch fort. Im Herbst des gleichen Jahres ist es dann einmal mehr der Vater der Braut, der Tyrann der Carl Gustav Jungstraße, welcher die ersehnte Hochzeit des Brautpaares verhindert. Man sieht sich vor dem Familiengericht wieder und hier kommen die beweiskräftigen Fakten auf den Tisch. Gewiss fehlt es dem Paar nicht an respektablen Argumenten, gleich mehrere Beweisführungen, die insbesondere für die junge Braut ein deutlich besseres Leben versprechen, werden diesbezüglich von dem boykottiertem Paar dem Richter vorgelegt, welcher sich Gedanken macht und scheinbar am Überlegen ist, doch umso ernüchternder ist das gnadenlose Urteil. Das Brautpaar sieht sich gedemütigt, ja regelrecht hinters Licht geführt. Ein wahrhaft einschneidender und bedeutungsvoller Grund liegt laut des Richters Worten nicht vor. Entschuldigung Herr Richter, so der Bräutigam, ich möchte nur gern diese eine Frage beantwortet haben: Was ist Ihrer Meinung gemäß ein wirklich achtenswertes Motiv, um tatsächlich vor dem hohen Gericht hier, aus unserer Sicht, die Zustimmung zum Heiraten zu bekommen? Zum Erstaunen des jungen Paares und trotz der ruppigen Vortragsweise des jungen Heiratswilligen, das dem Richterspruch geschuldet ist, wendet sich der Richter prompt an den Bräutigam, nimmt mit der Rechten seine Lesebrille von der Nase um schließlich zu antworten: Also ein wirklich anerkennungswürdiges und respektables Fundament, welches unumstößlich sein wird und allen Stürmen standhält, wird dann akzeptiert, wenn die Braut nachweislich vom Gynäkologen bestätigt bekommt, dass definitiv eine Schwangerschaft vorliegt. Danke Herr Richter, so sprudelt es aus dem enttäuschten Bräutigam, mehr wollten wir nicht wissen und hören. Wir haben es anfangs bedachtsam und besonnen versucht, wollten die wirtschaftlichen Gründe als das Wichtigste herausheben. Unsere Logik ist nicht identisch mit der des Gerichts, echt schade drum. Durch dieses Urteil allerdings werden wir umdenken müssen. Wir werden gleich nach dieser Komödie hier uns aufmachen und werden ab sofort ins sexuelle Trainingslager uns begeben, mit dem einen Ziel am Himmel unserer Wünsche, möglichst bald ein Kind zu kreieren. Und die Braut merkt an: Ach Jean, wären wir doch lieber gleich nach Gretna Green gefahren!
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. Sept. 2017
ISBN9783744862998
Die Kuchener Fekundation: Das sexuelle Trainingslager
Autor

Jean Lupo

Jean Lupo ist ein Kind eines Bergmanns. Er genoss eine spartanisch harte Erziehung in einer hart zu ertragenen Zeit, da Deutschland in Trümmern lag. Er durchlief eine Handwerkslehre, war der beste Schüler seines Jahrgangs, war auch danach sehr erfolgreich und stieg bald schon zum jüngsten Betriebsmeister in einer renommierten Chemiefabrik auf. Außerdem heiratete er auch ziemlich schnell, da seine Frau von ihrem Vater auf schrecklichste Weise geknechtet wurde. Die beiden gingen sogar vor das Familiengericht, um die geplante Heirat zu erzwingen. Der Richter aber war der Meinung, dass eine vorzeitige Hochzeit nur dann stattfinden könne, die Braut war zum Zeitpunkt der Hochzeit neunzehn Jahre alt und konnte von Rechts wegen deshalb nicht heiraten, weil man in unserem Land vor dem Jahr 1975 dafür tatsächlich einundzwanzig Jahre alt sein musste, wenn ein Kind unterwegs sei. Aber sie gingen ihren Weg und es war dies ein Weg der gepflastert war mit allerhand Gefahren und Abenteuern. Während dem Zeitpunkt dieser Handlung war der Autor am Anfang 26 und am Ende 28 Jahre alt. Hier gab er seinen Beruf zwischenzeitlich auf, nach dieser Zeit aber fand er wieder in die Chemie zurück, wo er eine erstaunliche Laufbahn ablegte. Heute natürlich ist er ein Rentner und nebenbei ein erfolgreicher Schriftsteller.

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    Buchvorschau

    Die Kuchener Fekundation - Jean Lupo

    Vater.

    1. Kapitel

    Ein vergiftetes Gemüt saugt Gift aus den

    süßesten Blumen

    Jeremias Gotthelf

    - oder -

    Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil

    Sprichwort

    Alles lief in den erdachten und erhofften Bahnen, gleichwohl es in der Tat diffizil war, nach dem hässlichen Fußballverbot ein geeignetes Lebens-Konstrukt zu finden, in welchem das Erdachte und Erhoffte entlang gleiten sollte. Ein Fußballverbot ist für mich kein harmloses oder bedeutungsloses Präludium, im Gegenteil, meine Sensibilität war bis aufs Blut getroffen, ja bis auf die Wurzeln erschüttert und die Sensomotorik lahmgelegt. Wie kommt man über die Zeit, die endlos scheint und doch nur temporär ist, wenn man nicht das Liebste ausüben darf, nämlich gegen einen Ball zu kicken, einem Mitspieler den Ball zuzupassen, möglichst in den freien Raum, in die Tiefe, um ihm eine Torchance zukommen zu lassen. Ist ein halbes Jahr tatsächlich wenig? Für mich war es real gesehen eine Ewigkeit. Irgendwie gegen Ende Mai oder Anfang Juni war die Saison gelaufen, ohne meine Mithilfe, das Verliebt- und Verlobt-Sein war einer Zerreißprobe ausgesetzt, die Liebe auf dem Prüffeld der Extremität, doch nun, nachdem die Pflichtspiele ausgetragen waren, folgte die Erleichterung. Hätte ich den ganzen Ablauf als Zuschauer oder besser noch als Zeuge erlebt, wie einem anderen meiner Mitspieler dieses Missgeschick passiert, dass ihm die Freundin oder die Frau das Fußballspielen verbietet, so hätte ich selbst, quasi als oberster Richter, die Meinung vertreten, dass wenn mir eine Frau solch ein Ultimatum stellt, dass ich diese Schlange in die Wüste schicken würde, doch wenn einem das am eigenen Leib widerfährt, so sieht alles ganz anders aus. Aber, wie im letzten Kapitel oder im letzten Buch erwähnt - ich werde nochmals darauf eingehen, denn nicht jeder hat mein letztes Buch gelesen - gab es ein wunderschönes Versöhnt-Sein, in dem wir die Erfahrung machten, dass das Versöhnt-Sein mit dem geliebten Mensch an der Seite ein famoser Zustand gegen eine drohende Abspaltung sein kann. Die Beziehung wurde wieder inniger, sie wurde wahrhaftig zu einem Reichtum, ein Reichtum für Gila und ein Reichtum für mich, ein beiderseitiger Reichtum der bewirkte, dass wir, wie im romantischen Teil unserer Liebe, wieder selbst innig zu lieben und innig geliebt zu werden verstanden, wir gehörten wieder aufs Neue zusammen, so wie vor dem Konflikt. Obschon das Wort Konflikt sich viel zu grausig anhört, es waren eben zwei Personen mit zwei verschiedenen Meinungen, aber dennoch ist was Wahres dran an der soeben getätigten Einschätzung, das gegenseitige „Sich-Lieben und das Geliebt-Werden" entflammte ein zweites Mal und wir konnten noch einmal Geborgenheit schöpfen, welche zuvor verloren schien, wobei das auch nicht ganz stimmt, nein auch dieses Empfinden war nur einseitig, doch wie heißt es so schön, der Klügere gibt nach. Nun also sind wir wieder frei, können wieder mehr miteinander gestalten, was wir freilich auch in der Konfliktzeit taten, aber eben anders, vielleicht mit weniger Intensität, weil irgendwas schien immer gelähmt, zumindest traf dies bei Gila zu, weil sie sich als das fünfte Rad am Wagen vorkam. Der Fußballverzicht war für mich eine Empfindung ganz besonderer Art, so als sei ein naher Freund verstorben, gleichwohl ich zuweilen, wie früher schon, meine Waldläufe machte, um mich weitestgehend in Form zu halten, so gut es eben ging. Als Sportler, insofern man seinen Sport engagiert angeht, will man gewiss nicht einrosten, aber auch das war und ist einseitig, weil Gila eine andere Meinung vertrat. Nun aber, da sie den Kleinkrieg gewonnen und ich mein Schicksal wie ein echter Sportler hingenommen hatte, denn man kann nicht immer nur gewinnen, gibt es wieder tiefere Gefühle der beiderseitigen Freude, der Zufriedenheit, ein hinreichend gutes und gepflegtes Selbstwertgefühl, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich endlich meinen Führerschein wieder hatte, längst aber noch kein Auto.

    Wer meinen Worten bis hierhin folgte, dem oder all denen möchte ich hiermit eine Art Offenbarungseid ablegen. Da ich keinesfalls davon ausgehen kann, dass jeder, der dieses Buch in die Hand bekommt, zuvor meine anderen oder eines meiner Bücher gelesen hat, für all die möchte ich hiermit eine kurze Einleitung schreiben, um es sich besser vorstellen zu können, wie das Zuvor ausgesehen hat. Der Leser soll also in Kürze darüber informiert werden, um welche Personen hier berichtet wird. Wie es auf den vorigen Seiten zu entnehmen war, geht es um eine Lovestory und Gila und ich, also Gila Räuschle und Jean Lupo, sind die in der Hauptrolle sich befindenden Personen.

    Beginnen möchte ich bei Gila. Gila hatte eine sehr leidvolle Kindheit. Noch in ihrem ersten Lebensjahr begann die Misere, sie hatte sich bei ihren ersten Gehversuchen, fast unbemerkt, ein Bein gebrochen. Die Ärzte diagnostizierten Rachitis. Bei Rachitis handelt es sich um eine Krankheit des Knochenstoffwechsels, welche hauptsächlich im Kindesalter auftritt. Die Krankheit führt zu einer Demineralisation der Knochen. Das vergleichbare Krankheitsbild bei Erwachsenen bezeichnet man als Osteomalazie. Die häufigste Ursache für das Auftreten der Rachitis ist ein Mangel an Vitamin D, infolge mangelhafter Sonnenexposition in Kombination mit nicht durchgeführter Vitamin-D-Prophylaxe und/oder inadäquater Ernährung. So viel kann ich dem Doktorbuch entnehmen.

    Ob nun diese Krankheit gemäß der heutigen Lage der Medizin und der Forschung den gleichen Schaden wird anrichten können als sie dies in den Nachkriegsjahren tat, das möchte ich mir nicht anmaßen beurteilen zu können. Nur was mit dem Kind damals geschah und was mir von der aufgeschlossenen Mutter oftmalig berichtet wurde, nur das kann ich hier weitergeben. Noch bevor Gila das erste Lebensjahr vollendet hatte, brach sie sich erstmals das rechte Bein. Es folgte eine schmerzhafte Odyssee, mit vielen Brüchen stets am gleichen Bein und dem Wachstumsmangel an selbigem, was jedes Mal eine Operation nach sich zog. Und wenn ich hier anfüge, dass sie nach vierzehn oder fünfzehn Jahren sage und schreibe zwanzig Operationen hinter sich hatte, dann kann der Leser mitfühlen, was das arme Kind hat durchmachen müssen. Zum Schluss hin sahen sie, also die Ärzte kaum mehr eine Möglichkeit, um das lädierte Bein wieder herstellen zu können, es sollte amputiert werden. Dagegen wehrte sich hauptsächlich der Vater auf vehemente Weise, seine einzig gute Tat in seinem Leben, wie es sowohl die Tochter als auch die Mutter empfand. Lange zuvor schon hatten die Ärzte einen penetrant qualvollen Eingriff vorgenommen. Um das kranke Bein dem gesunden wieder anzupassen, mussten sie, damit das Kind überhaupt wieder gehen wird können, aus den Hüften rechts und links Knochenspäne heraus meißeln, die dann in das Bein eingepflanzt wurden. Nun aber war an der Hüfte nichts mehr wegzunehmen, nirgendwo am Körper bot sich was an, um dies dem Bein zuzufügen. Da die Amputation vom Vater ausgeschlossen worden war - versucht alles nur Mögliche um das Bein des Kindes zu retten, so sahen seine Argumentationen aus - gingen sie ein hohes Risiko ein, indem sie in das Bein einen Kalbsknochen einpflanzten, was zuvor nie ausprobiert worden war. Auf wundersame Weise war dies die Rettung, das Mädchen lernte wieder normal zu gehen, was freilich nicht ganz gelang, doch wer von ihrem Leid nichts wusste, der sah ihr das nicht an. Aber, wie gesagt, fügte der Vater dem Mädchen psychologische Qualen zu. Beim Sonntagsspaziergang, wenn denn Gila tatsächlich mal zu Hause war, zwischen den Operationen, musste sie jeweils sieben oder acht Meter vor dem Rest der Familie gehen und musste dann die Kritik des Vaters über sich ergehen lassen. „Kannst du Krüppel nicht normal gehen? Schaut euch diesen Krüppel an, schaut sie euch an, sie ist zu blöd um zu laufen. Jetzt streng dich mal an du Krüppel", so und ähnlich sahen seine Kommentare aus.

    Grundsätzlich und offensichtlich war es hier nicht so, wie es in einer normalen Familie zuweilen auszusehen hat. Während in unserer Familie so ziemlich alle Kinder gleichgestellt behandelt wurden, minimale Unterschiede wird es natürlich immer geben, war im Hause Räuschle eine deutliche Hierarchie klar ersichtlich. Am besten schnitt immer der Sohn Horatio ab. Von den vier Mädchen war Annabella auf der obersten Sympathiestufe. Und die jüngste, also Gesine wurde in eine völlig andere Welt hineingeboren. Sie wurde geboren, als die kompromisslose Strenge des Vaters schon enorm nachgelassen hatte, sie also spürte nicht mehr die umfängliche Unerbittlichkeit. Das dritte Kind, also Iliana hatte gewiss nichts zu lachen, sie sah sich einer Härte ausgeliefert die nicht salonfähig war. Auch wenn es bei den Räuschles keine Prügel gab, nicht so wie im Hause Lupo, worauf ich gleich noch zu sprechen kommen werde, so war es dennoch weltfremd und inhuman ja sowieso. Es ging den Mädchen tief in die Seele, anders kann man es leider nicht formulieren, denn selbst beim Essen wurden die Diskrepanzen sichtbar. Während der Sohn zum Vesper am Abend ein Kasseler sich einverleiben durfte, mussten sich Iliana und besonders Gila mit einer Schwarzwurst begnügen. Und doch war sie recht hübsch geworden, die Schönste von allen, insofern es nach meinem Geschmack eingestuft wird.

    Die Entstehung unserer Liebe war recht sonderbar. Das erste Mal sahen wir uns am Kinderfest 65, beziehungsweise am Samstag vor dem Geislinger Kinderfestes. Um sie herum hatten sich zwei Jünglinge geschart, die einen gravierenden Fehler begingen, sie drohten nämlich meinem Freund Edwin Eitel Schläge an. Edwin türmte daraufhin, rannte in die Richtung seines Elternhauses und somit rein zufällig mir entgegen. Er berichtete mir was bis dahin geschehen war, wollte mich ursprünglich aber daran hindern einzuschreiten, denn ich war erst wenige Tage zuvor aus dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Neuburg an der Donau entlassen worden. So lass uns mal die Unholde anschauen, hatte ich daraufhin gesagt und schon waren wir wieder unterwegs zum etwa dreihundert Meter entfernten Festplatz. Ich stellte die beiden Strolche, welche sich aber stark vorkamen und nun mich verprügeln wollten. Kurzerhand schlug ich einen nach dem anderen nieder und betrachtete die Gelegenheit als beendet, bis plötzlich ein junges Mädchen mir gegenüberstand und mir eine kräftige Ohrfeige verpasste. Du gefällst mir mein Mädchen, hatte ich gesagt, du hast im Gegensatz zu deinen Freunden Courage. Das sind nicht meine Freunde, hatte sie noch eingeschoben.

    Erst ein Jahr später hatte ich sie, wiederum zufällig, im Freibad angetroffen, welch ein Glück bin ich geneigt zu sagen, denn öfter war sie nicht hier, es war ihr einziger Besuch im Geislinger Wölkbad. Dabei hatte sie mir einen Ärzteroman ausgeliehen und sagte, dass sie ihn später aber zurück haben will, aber wie denn, hatte ich erwähnt, ich kenne ja nicht mal deinen Namen. Das würde keine Rolle spielen, sagte sie siegessicher, wir werden uns wiedersehen. Natürlich hatte ich diesbezüglich meine Zweifel, unsere Chancen auf ein Wiedersehen waren aus meiner Sicht mehr als gering, sahen wir uns doch erst zweimal in unserem gesamten Leben. Und selbst diese beiden Male waren so was von zufällig, dass die Chance eher als gering mir erschien, ja ich glaubte nicht daran.

    Aus ihrer Sicht freilich sah die Lage ganz anders aus. Sie hatte mich nicht nur, sondern schon zweimal angetroffen, in relativ kurzer Zeit. Kurz war die Zeit für sie aus dem Grund, weil sie persönlich ja ihren größeren Daseinsraum in einer Klinik verbracht hatte und jetzt, da sie offenbar endlich gesund sei, jetzt würde sie ja die Leute im Gesamten häufiger sehen als zuvor. Sie hatte, um das Leben zu bewerten, eine ganz andere Perspektive als ich.

    Wenige Wochen später spielte uns das Schicksal erneut vehement in die Karten, denn zum dritten Mal war es der pure Zufall, dass wir uns das gleiche Lokal ausgesucht und somit uns auf einem ganz neuen Weg wiedergesehen haben. Just in diesen Tagen, oder ein paar Wochen zuvor, wurde in der Bahnhofsnähe, besser gesagt zwischen dem Bahnhof und der alten Berufsschule, welche das Mädchen zwischenzeitlich besuchte, ein neues Lokal eröffnet. Sicherlich wussten es die Herren dieser Idee, die im Voraus nicht, welch eine Resonanz daraufhin ausgelöst wurde, ja die neue Kneipe war nach wenigen Jahren, für manche sogar schon nach wenigen Monaten zu einer Kultstätte geworden. Dieses Restaurant hat wie eine Bombe in Geislingen eingeschlagen, sie war der Hit für alle die unter der Dreißigermarke waren ganz gewiss, für Ältere nur gelegentlich. Und quasi von Anfang an waren wir dabei, hauptsächlich der Dicke und ich, womit ich den nächsten Protagonisten vorgestellt habe. Beim Dicken handelt es sich um einen etwas älteren Freund, vier Jahre trennten uns rein altersmäßig, doch in Wirklichkeit trennte uns, seit dem Wembley-Tor, so gut wie gar nichts, stets waren wir Seite an Seite. Der Dicke hat natürlich auch einen Namen, er hieß Petko Huspler.

    Zurück aber zu Gila. Es dauerte bis ins Frühjahr 67 hinein, dann erst, nach einem zähen Ringen, wurden wir ein Paar. Kurioserweise war unser wirklich erster Tag, nach wochenlangem Vorgeplänkel der vierte März 67, der Tag der kirchlichen Hochzeit meines Bruders Adam, womit auch schon die nächsten Personen anzukündigen sind, nämlich der um zwei Jahre und zwei Monate ältere Bruder Adam und seine Frau Sladjana. Eine in Slowenien geborene Frau, die als eine junge Gastarbeiterin nach Geislingen gekommen war.

    Des Weiteren möchte ich noch meine Mutter Anjuscha Alisa vorstellen, noch lebten wir alle vier unter einem Dach, was so auch wieder nicht richtig ist, denn seit dem fünfzehnten August siebenundsechzig mussten wir noch einen Bürger mehr hinzuzählen, er hieß Thaddäus und war der Sohn von Sladjana und Adam, der an dem eben genannten Datum das Licht der Welt erblickte. Alle anderen Personen die eine Erwähnung finden werde ich dann nach und nach vorstellen, so sie hier zum Einsatz kommen.

    Ich komme also zurück zum Anfangsthema, da ich anmerkte, den Führerschein zu haben, oder besser gesagt wieder zu haben, denn er war mir abgenommen worden, nachdem ich einen Verkehrsunfall hatte und zunächst davon ausging, keinen Fremdschaden verursacht zu haben. Ich habe sodann meine Fahrt fortgesetzt und wurde plötzlich von der Polizei gestoppt. Im Polizeiauto, als wir auf der Fahrt zur Wache waren, hörte ich die Funksprüche der Polizisten und es fiel mir und nicht nur mir, nein auch zwei meiner vorherigen Insassen, auf, dass ich anscheinend nicht nur ein bewegliches Hinweisschild der Baufirma Rapp umgefahren habe, was ich am Montag höchstpersönlich erledigen wollte, nein zeitgleich habe ich einen Zigarettenautomaten aus einer Hauswand herausgerissen, was aber von allen fünf oder sechs Insassen unbemerkt blieb, weil jeder auf das segelnde Schild, das auf eine Baustelle hinwies, achtete, welches drohte zur Windschutzscheibe hereinzufliegen. Alle hatten wir in Todesangst die Köpfe eingezogen, Gott sei Dank aber knallte das Verkehrsschild knapp oberhalb der Scheibe auf das Dach. Erwähnenswert ist fernerhin auch, dass ich die Kurve wegen zu hoher Geschwindigkeit nicht meisterte, ja es war eine Verfolgungsjagd vorausgegangen. Fünf Wüstlinge, Bad-Schüler aus dem nahen Bad Überkingen hatten während unserer Abwesenheit am Samstagabend aus rassistischen Gründen Rabatz in unserer Kneipe gemacht. Nur weil die neue Wirtin eine Chinesin war, hatten sie ein volles Bierglas hinter die Theke geworfen, es war ein erheblicher Sachschaden entstanden und wir kamen gerade noch recht, um die Wirtin und den Wirt zu schützen. Die Kriminellen wussten sofort was die Stunde geschlagen hat und es wurde eine Taxe gerufen, welche natürlich schnell vor Ort war, ist doch der Bahnhof nur einen Katzensprung entfernt. Die Strolche flüchteten in der Taxe, wobei der Fahrer gezwungen wurde Gas zu geben, und in der Stadt oben, in Höhe der damals noch dort stationierten MAG, also der Heidelberger Druckmaschinen, reichte es dem vor uns fahrenden Mercedes noch geradeso die Kurve zu kriegen, während es unseren Opel Rekord aus der Kurve hinaustrug und der Rest ist bekannt.

    Vor der Polizei angekommen stieg zunächst der Beifahrer aus. Er war der Chef der drei Polizisten. Einer der Beamten, der alte Wachtmeister und Siedlungsschnüffler Hodensee war in der Fabrikstraße geblieben, dort wo wir zuvor von der Polizei angehalten wurden. Der Oberwachtmeister der mir die Tür aufhielt, legte mir nahe nun ebenfalls auszusteigen, und meinem heimlich gefassten Entschluss entsprechend, stieß ich die Tür, an der dieser Polizist ganz leger lehnte, auf einen Schlag ganz auf, worauf der Polizist rücklings auf den Asphalt fiel. Daraufhin habe ich vor der Polizeiwache und vor den Augen der Polizei die Flucht ergriffen, war gerannt was das Zeug hielt, auch wenn einer der Beamten noch laut hörbar hinterher schrie: „Stehen bleiben oder ich schieße!"

    Unerschrocken tönte ich während des Laufens zurück: „Ich bin schneller als alle deine Kugeln!" Ja so dachte ich mir, eine Fahrerflucht habe ich somit ja ohnehin schon begangen, sie werden dich nicht auch noch wegen Alkohols am Steuer bestrafen können.

    Ich konnte mir nicht ganz und gar sicher sein, was bei einer infrage kommenden Alkoholprobe wohl herauskommen könnte, denn tagsüber waren wir mit mehreren Fahrzeugen in Dagersheim, wo wir, der gesamte Stammtisch, unsere alten Wirtsleute Alana und Areus aus der Kampf-Bier-Stube besuchten. Sie konnten in der Kampf-Bier-Stube nicht ihre eigenen Pläne verwirklichen, nicht so wie sie sich das wünschten, gute Vorschläge wurden von dem Besitzer und dessen Geschäftsführer strikt abgelehnt, somit die beiden schweren Herzens sich entschlossen, andere Wege zu gehen. Sie waren dann zum ersten April 1967 hin von Geislingen nach Dagersheim umgesiedelt, wo sie eine fast doppelt so große Gaststätte eröffneten. Natürlich wurde dort auch Bier getrunken und demnach sagte ich mir, sicher ist sicher. Die Flucht ist mir geglückt und ich narrte die Polizei drei Tage lang, führte sie ein ums andere Mal an der Nase herum. Ja ich drehte den Spieß immer um, nicht sie beobachteten mich, wie sie es freilich versuchten, o nein es war gerade andersrum, ich war es der mich gedanklich in sie hineinversetzt hatte und permanent die Jungs in der grünen Uniform beobachtete, sei es von einem Omnibus, also von einem öffentlichen Verkehrsmittel aus, oder vor dem Zuhause, das ich von einer rund zweihundert Meter entfernten Anhöhe selbst observierte, oder vor der oben erwähnten Stammkneipe, auch auf sie waren meine Augen immer dann gerichtet, wenn die Beamten ausund eingingen. Erst am dritten Tage, am späten Montagnachmittag ging ich dann zur Wache, um mich selbst zu stellen. Ich habe über all die Dinge ausführlich berichtet.

    Doch zurück, wie gesagt zu dem Zeitpunkt, da ich den Führerschein wieder hatte, längst aber noch kein Auto. Ich bin oder war auf jeden Fall nicht mehr das mitleiderregende Opfer der unglücklichen Umständewerde ich mich wieder und war auch kein Opfer des Lebens, o nein die Aussichten stan-den gar nicht so schlecht. Wie hatten wir heiß darüber diskutiert, über den Fußball, über die hinzugehörende Kameradschaft und das freudige Sin-gen und Saufen nach einer gewonnenen Schlacht, jeder legte seine persönliche Meinung mit Nachdruck auf die Waagschale und nach ewig langen Disputationen gab ich nach, ging auf die Bedingungen ein, die da hießen: Nach einem halben Jahr der strengen Askese werde ich mich wieder meinem geliebten Fußballspiel hingeben und ich werde auch wieder gemütlich ein Bier trinken können. Sie glaubte es nicht, dass ich von heute auf morgen damit aufhören könnte, doch ich habe es ihr und allen anderen bewiesen, habe Wort gehalten. Demnächst also werde ich wieder Fußball spielen, so die Sommerpause vorüber ist, dann nämlich werde ich endlich mein Comeback feiern. All das soeben geschilderte, auf was ich noch hinweisen möchte, waren faire Auseinandersetzungen, eine vernünftige Aussprache wo jeder so gut es ging zu Argumentieren versuchte, warum ausgerechnet ich oder sie im Recht sich befände. Inzwischen sah es Gila ein, sie wusste wie weh sie mir getan hat, doch der Erweis war erbracht, der Beweis des ``Nicht-Süchtig-Seins´´, eine Maßnahme die so überflüssig war wie ein Kropf. Es war eine Maßnahme die nur einen Sinn hatte, was mir frühzeitig schon bewusst worden war, sie wollte damit demonstrieren, dass die Beziehung nach ihrem Gutdünken gelenkt wird, so wie es ihr Kopf vorgibt. Jedoch auf dieselbe Weise kontra zu geben wäre aus meiner Sicht töricht gewesen, nein ich setzte auf die Heilkraft des Vertrauens, stets mit der Hoffnung verbunden, dass auch sie sich einer zartfühligen Einsicht anschließen möge.

    Aber auch ich hatte meinen Stolz, nein ich verzichtete auf Gilas Einsicht. Das halbe Jahr war noch nicht vorbei und wenn ich mein Versprechen bis hierhin gehalten habe, so werde ich auch noch die letzten Wochen und Tage widerstehen können, das war ich mir mittlerweile selbst schuldig. Ich selbst wollte es sehen und spüren, dass ich akkurat das wahrzumachen imstande bin, was ich zuvor angekündigt hatte, nämlich der Forderung Gilas Folge zu leisten. Nein um den Beweis zu bekräftigen, so dachte ich mir, wirst du gar noch ein paar Tage dranhängen, auf das kommt es jetzt auch nicht mehr an. Gila meinte wohl, schon drei Wochen vor dem Ablauf der Frist, dass ich wieder damit beginnen könne, dass sie mir meinen Sport gerne wieder zurückgeben möchte, sobald die Vorbereitung für die nächste Saison beginnt, könne auch ich wieder zu den Trainingsstunden gehen. Hier aber hatte sie meinen Ehrgeiz unterschätzt. Ich wartete bis zum Kinderfest, welches traditionell am Ende des Monats Juli stattfindet und stattfand, erst danach ging ich wieder zum Training und mit sorgfältiger Genauigkeit trank ich auch dort wieder mein erstes Bier. Sechs Monate und genau zwei Wochen waren seither ins Land gezogen, seit jenem Tag als ich mein Versprechen gab, was sich anfühlte wie eine Wette, die unbedingt gewonnen werden muss. Aber es war damals im Januar auch jener Tag, da Gila mir hoch und heilig versprach, mich allzeit Fußball spielen zu lassen, solange der begehrliche Wunsch in mir glüht, mit Leidenschaft und Herzenslust Fußball spielen zu wollen. Auf dieses Thema werde ich noch sehr oft zu sprechen kommen, etwas später allerdings, denn eigentlich bin ich chronologisch gesehen schon etwas zu weit vorangeschritten, es kam da noch ein weiterer erwähnenswerter Zwischenfall, der mit hinzugehört in meine Historie.

    Meine Geduld ohne jegliche Grenzen, ganz wie mein christlicher Glaube es vorgibt, und der Glaube an die ultimative Gerechtigkeit, sie wird zuweilen ausgenützt, worüber ich mir im Klaren war und bin. Aber nicht allein Gila war es, die dieses Verhalten von mir bewusst ausgenützt hatte. Gila hätte sich vermutlich niemals auf solch eine Kraftprobe eingelassen, doch sie kannte mich und wusste meine Gutmütigkeit mit Korrektheit einzuschätzen. So aber wie sie dazu in der Lage war, genau so gab es auch noch viele andere die diese Charakterschwäche ausnutzten, so zum Beispiel mein Bruder Adam, von dem noch zu sprechen sein wird, ja am besten ich fange gleich damit an, denn hier an dieser Stelle muss es festgehalten werden.

    Ich war der Ansicht, dass bald der Punkt erreicht sein wird, an dem der Jüngere, welcher jahrelang in der Unterdrückung gelebt hat, dass der sich innerlich selbst aufrufen würde, um diesem Machtgehabe Adams ein Ende zu setzen. Es ist an der Zeit, dem Familiengefüge einen wahrhaft ausgeglichenen und gleichberechtigten Charakter zu geben. Es ist an der Zeit, um gegen den Mangel des persönlichen Einsatzes und das Fehlen eines klar definierten Ziels sich einzusetzen. Ich werde seinen dreisten und impertinenten Sinnen entgegentreten. Er wird es zu spüren bekommen, drastischer kann ich es dem Älteren nicht verdeutlichen, dass die Stunde des Erwachens geschlagen hat. Welche Strategie werde ich verfolgen? Ich werde mich aus dem engen Rahmen der Kindheit befreien, befreien aus dem Rahmen, in welchen mich Adam immer hineinpferchen wollte, um permanent kleiner zu bleiben als er es ist, und nachdem er nicht bereit ist für konstruktive Diskussionen und er sich auch nicht öffnet, weder für seine noch für meine frommen Wünsche und dergestalt alles verhindert was zu konkreten Resultaten führen könnte ist der Moment gekommen, in dem es gilt, möglichst Effektivität zu beweisen. Seine Indoktrinierungen gingen stets in dieselbe Richtung, indem er nämlich seine eigenen Vorteile ins Licht zu stellen bestrebt war und ist und er glaubte im Ernst mich einseifen zu können. Noch immer will er mich unterwürfig halten, so wie es siebzehn Jahre lang war. Die Zeiten aber sind vorbei, er kann mich nicht zur Räson bringen, auch deshalb, weil ich inzwischen all seine Pläne durchkreuzt hatte, ja ich überschaute sein Spiel, da er sich siegesgewiss war. Es wird eine signifikante Gelegenheit sich ergeben, bei welcher ich ihm die Zähne zeigen werde. Er wird zwar wie immer, allein der Physiognomie zufolge, weil er eben nicht nur der Ältere und der Lebenserfahrenere sondern leider auch der physiognomisch Größere, der Breitere und der Kräftigere ist, als der Favorit in den Kampf ziehen, insofern es dazu kommt, aber gerade in meiner physiognomischen Bescheidenheit liegt dieses tiefe Selbstvertrauen, welches in tausend Kämpfen sich peu a peu gebildet hat, weil ich stets der von außen Unterschätzte, der engelsrein, treuherzig Unterentwickelte war und so, wie eine giftige Viper den Überraschungscoup landen konnte. Begabt und gesegnet mit einer unendlichen Geduld werde ich die Dinge abwarten können, denn nicht ich werde den Anfang machen in dem greifbaren Bruderzwist, obschon ich Grund genug hätte, denn sein freches Vorhaben, uns die Wohnung abzuluchsen, die brannte auf meiner Haut so wie die äquatoriale Sonne Afrikas und es schmerzte unsagbar, sodass mein akribisches, mein moralisch intaktes Empfinden fast von alleine aus den Fugen geriet. Nichtsdestotrotz sah ich dem nahenden Kampf mit einer geradezu sanften und stoischen Unerschrockenheit entgegen.

    Dem Leser will ich an dieser Stelle meine Familie vorstellen. Der Vater war ein Pfälzer und die Mutter kam aus Franken. Ich wurde als das elfte von zwölf Kindern geboren und da der nach mir geborene Bernhard nach etwa vierzehn Tagen verstarb, so war ich des Bergmanns Jüngster. Einer der Söhne, er war der Zweitälteste, war ebenso ein Bergmann, welcher im Stollen starb, eine Ladung Dynamit der vorangegangenen Schicht hatte eine Explosion ausgelöst, wobei insgesamt drei Bergmänner regelrecht zerrissen wurden. Er war einer meiner Lieblingsbrüder. Ein weiterer Lieblingsbruder starb quasi an meiner Seite, wir waren am elften Juni 1965 mit einem VW-Käfer verunglückt, dieser Bruder hieß Cosimo und war zum Zeitpunkt des Unglücks nicht mal ganz zweiundzwanzig Jahre alt, es fehlten ihm ungefähr sieben Wochen dafür. Wir wurden in dieser unglückseligen Nacht geborgen und in dem Operationssaal des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Neuburg an der Donau starb er noch bevor die Sonne wieder aufging. Ich selbst kam mit schweren Kopfverletzungen davon. Von der Riesenfamilie waren zur Zeit dieser hier beschriebenen Handlung nur noch Mutter, mein um zwei Jahre und zwei Monate älterer Bruder Adam und ich übriggeblieben und jene, die noch lebten waren verheiratet und weggezogen, in alle Winde verstreut. Wir wohnten in einer Dreizimmerwohnung in Geislingen an der Steige, was von Anfang an so gewollt war. Ein knappes Jahre später, 11 Monate nach dem Einzug in diese schicke Neubauwohnung heiratete dann aber Adam, es war im März siebenundsechzig. Da nun aber seine Frau Sladjana ebenfalls bei uns einzog und dazuhin im folgenden August einen Knaben gebar, wurde es selbstverständlich ein bisschen eng in der Wohnung, was freilich mehr aber auf die Zukunft bezogen ist, weil Adam in diesem Moment noch bei der Bundeswehr ist oder war.

    Es war ein Sonntag im April oder Mai des Jahres 68, als Gila und ich unterwegs waren, unser Ziel war das eben genannte Zuhause in der Gelertstraße. Wir kamen aus Gilas Herkunftsfamilie, am Sonntag nach dem Mittagessen, welches ich von der Hammer Oma serviert bekam, zubereitet allerdings von Gilas Mutter.

    An der Knappschaftsstraße in Richtung Siedlung entlanggehend, hieß unser auserwähltes Thema in der Hauptsache ``Adam´´. Wieder mal hatte ich am Abend zuvor im Saalbau das sonderbar anmutende Märchen gehört, dass Mutter und ich umziehen werden, sobald Adam seinen Dienst bei der Bundeswehr quittiert haben wird. Er wird die Wohnung für sich und Sladjana und für den kleinen Thaddäus in Anspruch nehmen, so die Berichterstatter des Stammtischs im Saalbau, womit für Mutter und mich auf Dauer kein Platz mehr sei. Man stelle sich nur mal theoretisch vor, was ist oder wäre die Siedlung danach noch wert, ohne diese so resolute Frau, die über drei Jahrzehnte hinweg, mit ihrer entschlossenen Beherztheit das Gesamtbild dieses Stadtteils doch auch mitgeprägt hat, eine undenkbare Vergegenständlichung. Selbst für den Dicken aus der Huspler-Ägide war sie eine Person, welche über die größte nur denkbare Hochachtung genoss.

    Solcherlei anmaßende Phrasen, wie sie eben hier beschrieben wurden, die brachten mich ein wenig in Rage, sie fanden keinen Platz in meiner Ratio, denn schließlich war es essentiell und dezidiert nur unsere Mutter, ja nur Mutter und keine andere Person war es, die mit der SBV anno sechsundsechzig einen Mietvertrag abgeschlossen hat, nur sie ist die unter Vertrag stehende Mieterin und keineswegs Adam. Alle Söhne und Töchter der Familie Lupo, alle die in der Vergangenheit sich zum Heiraten entschlossen haben, sie alle verließen infolge der Hochzeit die elterliche Wohnung und zogen hinaus in die Welt, um sich irgendwo nah oder fern eine eigene Existenz aufzubauen und noch nie in der gesamten Familiengeschichte kam jemand aus der langen Reihe der Geschwister auf den impertinenten Gedanken, diesen Spieß so mir nichts dir nichts umzudrehen, sodass die Mutter in der Pflicht sich befindet, nach einer neuen Wohnung Umschau zu halten. Allein der Gedanke an solch ein dreistes Vorgehen war für mich etwas hanebüchen Empörendes, eine himmelsschreiende Ungeheuerlichkeit die bekämpft werden muss. Auf diese Weise machte sich Adam selbst wieder mal zum Feindbild in mir, wie schon so oft in der Vergangenheit. Selbstverständlich nur für den Fall, dass solche Konzeptionen tatsächlich und authentisch in seinen Hirnzellen gereift waren oder dort entstanden sind. Von woher sonst aber soll so ein Gerücht herkommen? Wer sonst sollte ein Interesse daran haben, etwas Dementsprechendes hinauszuposaunen, wo am Ende nur Adam einen Nutzen haben kann? Solch ein Gemunkel entsteht nicht nur eben mal so aus dem Nichts heraus, ohne dass auch nur ein Funke Wahrheit dahintersteckt. Hat nicht jeder mehr oder weniger seine eigenen Sorgen? Und welchen Zweck sollte eine derartige Prophezeiung haben? Ist es nicht mehr schon, als nur ein Orakel? Pass nur gut auf die Mutter und ebenso auf dich selbst auf lieber Jean, so sinnierte und grübelte ich mich selbst anredend vor mich hin, eine solch dreiste Vorgehensweise passt eigentlich wie die Faust aufs Auge zu meinem Bruder Adam, es ist dies, insofern es der Wahrheit entspricht, ein über das Ziel hinausschießender Affront, ein skandalöser Eklat.

    Die Erinnerungen an heftige Kämpfe untereinander kamen wieder mal in mir hoch, ebenso wie auch solidarische Verbrüderungsstorys, die es anderen Jugendlichen gegenüber in effektvoller Art und Weise gab. Ich war in meinen Gedanken und in meinen Erzählungen, die ich momentan an Gila adressiert hatte, von polymorphen Gefühlsmischungen teilweise hin- und hergerissen, sah unsere Jugend, sah sie als das jüngste Geschwisterteil zurückschauend mit recht ambivalenten Emotionen. Alle bis dahin erlebten Elemente sah ich deutlich vor mir, gar viel Erlebtes davon war schlecht und doch war alles auch wieder gut. Es kann nicht anders sein, weil es einen Schöpfer, der über uns waltet, gibt. Und dennoch wusste ich haarfein, dass viele Dinge die in unserer Jugend ausgeführt wurden, die ich persönlich mit einem gewissen Unbehagen und mit sehr gemischten Gefühlen erlebte und die ich manchmal gar als schlecht betrachtete. Dass diese Gestaltungen und Ausführungen von meinen Brüdern als gut oder gerecht beurteilt wurden, dies konnte ich nur in den seltensten Fällen verstehen. Ganz offenbar war mein Empfinden über das Gute und das Böse dieser Welt ein anderes Charakterisieren, offenbar hatte ich andere Wertmaßstäbe mir zugrunde gelegt, andere als jene von meinen älteren Brüdern Cosimo und Adam. Und doch wiederum war das Geistesbild von Cosimo, der leider, wie ich schon eingangs erwähnte, im Operationssaal in der Klink der Barmherzigen Brüdern in Neuburg an der Donau neben mir verstarb, in den frühen Morgenstunden des elften Juni neunzehnhundertfünfundsechzig, eine viel friedliebendere Apperzeption als jene von Adam. Auf jeden Fall aber waren unsere Wahrnehmungen, also das jeweilige Empfinden und das Auffassen moralischer Handlungen und Ansichten, grundverschiedene Theorien. Das was für Adam recht und billig war, das nahm ich in der Regel so einfach nicht hin. Ich wusste, dass ich ein anderes Einfühlungsvermögen hatte bzw. habe. So hatte ich in der Regel ein viel sensibleres Gespür um zu urteilen, um zu urteilen über das Recht und Unrecht, sowohl im näheren als auch im weiteren Umfeld. Bei jenen Verrichtungen die die Brüder als gut durchgehen ließen, die sie wie auch immer akzeptierten, war ich oft schon sinngemäß am Überlegen und im Begriff, um mich bei den Geschädigten eventuell zu entschuldigen. Adam würde es anders bewerten, warum nur sollte ich auf solch eine närrische Idee kommen, würde er sagen, es lief doch alles zu unserem Vorteil, weshalb also sollten wir selbstkritisch einschreiten? Auch wenn wir unter derselben Knute groß gezogen wurden, da wir alle dem Vater Respekt zollten, und für alle waren auch die moralisch strengen Grenzen dieselben, so ist es doch verwunderlich, welch tiefe Gräben uns trennten. Ja ich hatte fürwahr ein anderes Rechtsgefühl, schaute demutsvoll auf alle Schichten, auf die Reichen so gut wie auf die Armen, auf die vom Schicksal Begünstigten wie auch auf die vom Schicksal Gezeichneten, welche eventuell ohne ein eigenes Verschulden arbeitslos wurden oder sind. Um ungerecht auf dieser Welt behandelt zu werden, das wusste ich aus eigener Erfahrung, dafür genügte in diesen Jahren oftmals allein die Angabe des Wohnsitzes. Einer der Straßennamen aus der Bergwerksiedlung, oder aus dem Soweto wenn man als Wohnsitz angab genügte, um fürs Erste theoretisch mal verurteilt zu sein oder zu werden.

    Ganz zu schweigen von den Contergankindern, die von Geburt an benachteiligt sind, die eigentlich aber die Pharmaindustrie zu verantworten hatte.

    Zurück zum Anfang meines Denkens. Gemeinsam hatten wir erfolgreiche Schlachten geschlagen, Adam und ich, Seite an Seite. So gesehen gab es freilich was Verbindendes. Aber es gab auch unzählige Wunden an oder auf der Seele, Wunden die durch Adams Raubeinigkeit entstanden sind, dem im Kampf alle Facetten recht waren, nur um sich durchzusetzen. Er hatte alle Fisimatenten drauf, auch um das jeweils Geschehene als etwas Belangloses darzustellen. Selbst wenn ich dem Sensenmann schon mein leises Servus angezeigt habe, als er mir den Hals zudrehte und ich dem Ersticken nahestand, er hätte mich getötet ohne mit der Wimper zu zucken, wäre da nicht die hilfreiche und rettende Mutter hinzugekommen. Solch einen Fauxpas leistete er sich mehrere Male, doch all mein Denken in diese Richtung sollte nun vergessen sein, aus und vorbei. Es ist dies alles nur noch Geschichte, fast jedenfalls. Nur mit einer dimensioniert angemessenen Distanz zwischen der Gegenwart und dem Vergangenen ist ein reales, ein faktisches Erkennen möglich, ich musste augenscheinlich damit rechnen, dass das im Saalbau Gehörte der Wahrheit entspricht, wenn auch noch niemand aus der Familie mit mir darüber gesprochen hat, nicht Mutter und nicht Sladjana und vor allem auch Adam noch nicht. Aber irgendwas ist im Kommen, schon mehrere Wochen knisterte es im Gebälk. Eine handfeste Krise zeichnete sich ab. Früher hatte er es einfach, da war er mir immer diese sechsundzwanzig Monate voraus und er schlug mich wie es ihm beliebte, wenngleich ich gar keinen Streit wollte. Siebzehn Jahre hatte sich dies hingezogen, immer war er der Stärkere und ich wartete und arbeitete auf diesen einen Tag hin, an dem Adam der Unterlegene sein wird. Drei Wochen vor meinem achtzehnten Geburtstag dann, zu einem Zeitpunkt da ich nicht damit rechnen konnte, da er mir schon über vier Jahre meine Ruhe ließ - er hatte es einen Tag vor dem Versterben des Vaters der Mutter in die Hand hinein versprochen - kam er in der Silvesternacht und griff mich an. Es war an dem Eck wo die Murrstraße in die Augustusstraße mündet, dort wo sich früher immer die Jugendlichen aus der ganzen Siedlung trafen. Mit den Sportkameraden aus der gleichen Jugendmannschaft in der auch ich spielte, kam er von der Knappenstube her und verkündete, da oben kommt mein Junger, dem hau ich jetzt die Gosche voll.

    Freilich wurde er von meinen Mitspielern gefragt, warum? Warum willst du ihn schlagen? Was hat er dir getan? Nichts, hatte er geantwortet, nichts hat er mir getan, aber trotzdem, ich hau ihm die Gosche voll. Gerne würde ich es anders ausdrücken, aber meine Kameraden bestätigten dies so, prägnant so hat er sich geäußert, so bekam ich es zu hören. Doch wie er zum ersten Schlag ausholt, blockte ich sein Vorhaben ab und ließ einen fürchterlichen Kinnhaken folgen. Er wurde regelrecht über den Gartenzaun der Frau Mogeleimer hinweg gerissen, war sofort k.o. gegangen. Nach einer kurzen Erholungsphase war er dann nach Hause gegangen, hatte in der Küche sein Metzgermesser gewetzt und war auf die Suche gegangen. Er wollte mich umbringen, stieß die ihn anflehende Mutter zur Seite und ging mit finsterer Miene in die Nacht hinaus, ja er wollte in dieser Nacht bewusst zum Mörder werden. Er hatte aber Pech, ich hatte alles gesehen, war ihm zuvor und auch danach wieder gefolgt. Durchs Küchenfenster habe ich zuschauen können, habe gesehen wie er wutentbrannt und wild entschlossen zu dem Messer griff, mit dem er vor wenigen Jahren noch das Fell der Kaninchen abzog und wie er zu der verzweifelten Mutter sagte: „Er wird heute Nacht sterben, der Tod lauert an jeder Ecke!"

    Am Neujahrstag dann, gut zehn oder elf Stunden später, hat er sich vor den Augen des Wirtes in der Knappenstube entschuldigt, doch wie sah seine Entschuldigung in Wirklichkeit aus? Er sagte lediglich: das heute Nacht war scheiße von mir!

    Sehr wahrscheinlich hatte man uns kommen gesehen, entweder durchs Küchenfenster oder durch das Schlafzimmerfenster von Sladjana und Adam, denn sie alle waren auf unser Kommen sehr gut vorbereitet. Keiner der Anwesenden saß im Wohnzimmersessel oder auf der Couch und auch Mutter hatte in der Küche scheinbar nichts mehr zu tun. Alle drei, Mutter, Adam und Sladjana hielten sich im Korridor auf, zwischen allen Zimmern und dem Bad sozusagen, dort wo auch die Garderobe war. Aber heute benötigte man keine Garderobe, die Frühlingsluft war so angenehm lau, dass man im leichten Frühlingshemdchen auf die Straße gehen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass man sich vielleicht erkältet, ja es war fast schon wieder zu warm geworden.

    Doch warum überhaupt standen Mutter, Sladjana und Adam im Flur. Es musste niemand beim Auskleiden geholfen werden und es gab nicht ein einziges Kleidungsstück, welches man auf einen der Bügel hätte hängen müssen. Dort wo der Korridor die größte Breite vorwies, wo man mit etwas Phantasie ein Rechteck ausmachen konnte, etwa drei auf zwei Meter, dort stand vor allem Adam so majestätisch da, wie ich es von ihm aus diversen Gelegenheiten kannte, wie ein stolzer Soldat, wie aus vielen brisanten Fällen der Vergangenheit es mir bekannt war. So als sei er ein Major, ein Leutnant oder was weiß ich für ein hohes Tier der Bundeswehr, so als sei er eine alles überragende Figur seiner Epoche. Nur es fand keine große Achtung in mir, spezifisch die Titel und die Rangordnung der Bundeswehrgrößen, ich hielt nicht viel von derartigen Kategorien einer Wehrmacht, die Geschichte hat bewiesen, außer der Schande blieb alles nur Schall und Rauch.

    Mit kerzengerader Haltung und einem strengen Augenausdruck versuchte er geifernd grenzenlose Autorität auszustrahlen, er versuchte möglichst anmaßend zu sein, auf glänzende und brillierende Art und Weise seiner Frau Sladjana zu imponieren, stolz wollte er aussehen, er wusste dass es seiner Frau gefiel wenn er als ein Mächtiger dastand, ihr gefiel dieses Imponiergehabe und sie glaubte permanent an ihn, glaubte er sei einer der Größten, wenn nicht gar der Größte überhaupt auf Erden. Seine Ausstrahlung implizierte die ihm eigene Unerbittlichkeit, involvierte seine unbeugsame Subjektivität und seine störrische Intoleranz, wenngleich er anscheinend auch ein Verfechter der Gewissensfreiheit war, jedoch speziell in diesem Fall mit Gewissheit nicht sozial denkend. Eher schien er ein sehr pragmatisch und rational denkender Egozentriker zu sein und sein Sinn für das Dämonische verdunkelte seine Züge auf unangenehme Weise, mit der nüchternen Beimischung von Spott und Überheblichkeit und so fiel er auch gleich mit der Tür ins Haus, indem er den Weg des Weitergehens disziplinartig versperrte und sagte: „Es gibt was zu besprechen zwischen dir und mir!"

    „So gibt es das? Und was wäre das?"

    „Es geht um die Wohnung!"

    „Also doch!", so kam es blitzartig aus mir heraus.

    „Es wird für alle Beteiligte das Beste sein, wenn Sladjana und ich die Wohnung hier in der Gelertstraße fünf übernehmen und ihr, also Mutter und du, dass ihr euch auf dem Wohnungsmarkt umschaut. Wir sind jetzt schon zu dritt und der kleine Thaddäus wird bald sein eigenes Zimmer bekommen. Zumal ist es nicht ausgeschlossen, dass eventuell noch ein zweites Kind geboren wird, man kann das ja nie so genau vorhersagen!"

    „Schon für deine abstrusen Gedanken wird es für alle Beteiligten hier das Beste sein, wenn du verschwindest. Allein du warst es der geheiratet hat und eine Familie gründete, was dir rechtlich auch zusteht, allerdings bist du gerade aus diesem Grund auch derjenige, welcher sich auf dem Wohnungsmarkt umzuschauen hat und nicht Mutter und auch nicht ich!"

    „Was glaubst du eigentlich wer du bist?, so der erzürnte Adam. Und er fuhr fort: „Das hast du doch nicht zu bestimmen, nochmal, wer glaubst du eigentlich wer du bist? Du bist absolut der Jüngste im Landtag und deine Stimme zählt am Wenigsten, außerdem ist sowieso schon alles gelaufen. Derweil ist es eh eine beschlossene Tatsache, ein Faktum das sozusagen schon seinen Stempel hat, ob es dir gefällt oder nicht. Du wirst, genau wie Mutter, hier die Fliege machen und ausziehen und diese Wohnung hier wird uns gehören, Sladjana und mir!

    ,,Nur über meine Leiche Adam, nur über meine Leiche! Das möchte ich gern sehen, wie du mich dazu zwingst hier rauszugehen! Und ebenfalls wie er, mich unnachgiebig provozierend in Position bringend, ja es war schon ein rebellisches Dagegenhalten, ohne jede Angst vor eventuellen Folgen fügte ich nun hinzu: ,,Niemals, hörst du, niemals. So wie alle unsre Geschwister vor dir, so kannst auch du die elterliche Wohnung verlassen und dir wo anders was aufbauen! Du hast nicht mehr Rechte wie eine Mia, wie Berna oder Alfrun, auch Hans ist diesen Weg gegangen und dir blüht das Gleiche! Nur das und nichts anderes ist die Wahrheit!

    Adam war nie ein Mann der großen Worte und schon gar nicht einer der guten Rhetorik und auch hier in dieser Angelegenheit fehlte es ihm an einer verbalen Kreativität, nein Wörter waren seiner Meinung nach genug gesprochen und zudem missfiel ihm meine selbstsichere Art, meine Gestik und meine brillante Gedankenführung, nicht nur in der jetzigen Situation. Er begriff wieder mal staunend, dass sein kleiner Bruder mit allen Fasern seiner Gesamtheit, mit Herz, Hirn und Seele und scheinbar guten Nerven selbst glaubt, was er hier drohend predigt. Doch dieses Drohen ließ er sich freilich nicht gefallen, und immer noch im Korridor der Wohnung stehend, griff er mich mit den bitterbösen Worten an: „wenn dir was nicht passt und wenn du nicht bereit bist zu hören, dann muss ich dir eben zeigen wer der Herr im Hause ist!", was er sogleich in die Tat umzusetzen gedachte.

    Es war dies von Anfang an sein Plan. Ihm ging es nicht nur allein um die Wohnung, nein er wollte fernerhin gezielt Revanche nehmen, Revanche für die Niederlage die er in den ersten Minuten des Jahres 66 hinnehmen musste, er wollte die Vergeltung, wollte sich rächen, nur um die einzige Niederlage, die er je bezog von mir, vergessen zu machen. Von Anfang an war seine Haltung, sein gesamter Habitus und seine anmaßend frostigen Wörter ohnehin, von Anfang an war es anhand seiner inhumanen Gesinnung geradezu abzulesen, deutlich sichtbar und spürbar war es ihm anzusehen, so deutlich wie das Bellen eines erregten Hundes, weswegen Gila und ich auch gar nicht erst in die Wohnung im eigentlichen Sinne eintreten konnten und schon vorab im Korridor gestellt wurden, gleich zu Beginn also war zu erkennen, dass er das Geschehen akkurat in diese Richtung zu lenken versuchte. Er wollte Recht behalten, wollte Mutter und mich aus der Wohnung verbannen und vor allem erschien ihm dies eine gute Gelegenheit zu sein, um sich zu rächen, weil die Niederlage von damals noch unter seinen Nägeln brannte. Und er wollte diesen Beweis vor den Augen Mutters, vor den Augen Gilas und vor allem vor den Augen seiner Sladjana antreten, ihn quälte noch immer die Abfuhr, die er sich einholte in der Neujahrsnacht, zwei Jahre und fünf Monate liegt dieses Geschehen nunmehr schon zurück. Und ich kannte seine Pläne, bestens war ich darauf vorbereitet und nichts, nichts unternahm ich um dem sich nahenden Konflikt auszuweichen. Soll er doch kommen, der große Bruder und mit ihm der direkte Widerstreit, nur um die Mutter und um Gila hatte ich Angst, die allzu nahe dabei standen.

    Blitzschnell artete sich der Konflikt aus. Aus dem mündlichen wurde ein körperliches Gefecht, was ich nicht anders erwartet hatte. Zu gut kannte ich meinen Bruder, wusste was sich hinter seiner Schädeldecke zuspitzte. Wie aus dem Nichts holte er weit aus und schlug nach mir. Erfolgreich konnte ich jedoch seinen Schlag abwehren und schlug meinerseits zu. Er wusste aber, dass er in einem fairen Faustkampf nicht erfolgreich sein wird, er hatte zwar mehr Kraft würde den Lukas auf dem Jahrmarkt weiter nach oben befördern als ich, doch die Flinkheit spricht oder sprach für mich. Und so konnte ich es nicht verhindern, dass aus dem Boxkampf plötzlich ein Ringkampf wurde, aber auch hier halfen mir die Flinkheit und die Wendigkeit. Er konnte keinen kraftvollen Griff anwenden, viel zu schnell konnte ich immer wieder geschickt ausweichen und kam ganz gut zurecht. Und nach einem minutenlangen hin und her wogenden Kampf sah sich am plötzlichen und unerwarteten Ende Adam als der Geschulterte. Wieder hatte er, den von beiden Seiten verbissen geführten Kampf, auf den er so viele Hoffnungen der Vergeltung, der Rache und Rückzahlung gesetzt hatte, verloren. Allerdings verzichtete ich selbstverständlich darauf, jetzt auch noch auf das geschulterte Opfer einzuschlagen, er ist besiegt und nur das zählt wenn man die Sache rein sportlich betrachtet, überdies ist es exakt so auch ein filigraner Siedlungsbrauch. Er muss mit der bitteren Schmach leben, mit der Schande gegen den kleineren Bruder verloren zu haben. Ich hatte auch gar keine Zeit mich mehr mit ihm zu beschäftigen, fix war ich wieder in der Senkrechten um Gila zu helfen, die zwischenzeitlich von Sladjana angegriffen worden war. Auch hier verzichtete ich auf jede Art von Gewalt, wollte einzig und allein nur Gila aus den Händen Sladjanas befreien und anschließend die inzwischen weinende Mutter trösten. Adam indes stand vom Boden auf und ging gesenkten Hauptes ins Wohnzimmer hinein, um sich dort im wahrsten Sinne des Wortes geschlagen auf die Couch zu legen, wo er minutenlang beschwerlich durchatmete und überwältigt von der Desavouierung an die Wohnzimmerdecke starrte. Der große Bruder geschlagen! Der mit eiserner Härte ausgebildete Soldat unterliegt dem Anhänger Jesu, dem friedliebenden Sportler und kleinerem Bruder! Doch noch immer hatte er keine Ruhe von mir, er musste noch meine Wörter schlucken, die ich ihm sozusagen bewusst an den Kopf schleuderte: „Ja großer Bruder, das Leben ist nicht in eine Adam-Form gepresst oder gegossen, auch du kannst dir nicht alles zurechtschneiden, weil gewisse Dinge einen nicht ausrechenbaren Lauf nehmen. Es genügt mir diesen Kampf gewonnen zu haben, du kannst also die Wohnung haben, insofern es Mutter recht ist, gleichwohl sie dir nicht zusteht. Sie steht dir deshalb nicht allein zu, weil ich hier bis heute meinen Lohn zu Hause abgegeben habe und alle Vorhänge sowie auch jeder Quadratmeter an Teppichböden, den du in Zukunft ohne uns begehst, von meinem Geld mit bezahlt wird. Es ist kein schönes Spiel, welches du wieder mal inszeniert hast, doch behalte alles und werde glücklich damit. Mutter und ich werden auch ohne dich und Sladjana und ohne diese Wohnung hier zurechtkommen. Komm Gila, komm wir gehen wieder. Ich habe genug für heute, kann den falschen Bruder nicht mehr sehen und ich kann dieses Trauerspiel nicht mehr mit ansehen, mir reicht es!"

    Als wir kurze Zeit später uns anschickten, um die Wohnung wieder zu verlassen, da lag Adam immer noch unverändert auf dem Sofa und rang mit seiner quittierten Enttäuschung, nun allerdings nicht mehr so tief sondern ruhig durchatmend, aber noch immer fassungslos an die Zimmerdecke starrend. Natürlich sorgte der denkwürdige Zwischenfall auch unterwegs noch für reichlich Gesprächsstoff, nicht zuletzt auch deshalb, weil Gila besonders gefährdet war, ihres schwachen Beines wegen. Ein Fußtritt von Adam oder auch von Sladjana hätte wahrscheinlich schon genügt, um dieses in Stuttgart so mühevoll zusammengeflicktes rechte Bein zu brechen, es war ihr Handicap, ihr Leben lang. Der letzte Bruch lag höchstens drei oder vier Jahre zurück. Die Ärzte, ich berichtete darüber, hatten in dem Stuttgarter Hospital einen Kalbsknochen ins Bein gesetzt, ein nie zuvor getätigter und verzweifelter Versuch wurde von den Spezialisten unternommen, der Gott sei Dank über einige Jahrzehnte hinweg halten sollte, dies aber war hier, zu diesem beschriebenen Zeitpunkt höchst ungewiss. In den Jahren davor waren schon Knochenspäne ihres eigenen Beckens eingesetzt worden, zwei riesige Narben rechts und links zeugten noch davon, deren obere Enden dann sichtbar waren, wenn sie in ihrem Bikini-Unterteil steckte. Sie selbst also hatte nichts mehr an Knochen herzugeben, konnte sich selbst nichts mehr spenden, sodass die Ärzte sich mehr oder weniger gezwungen sahen, den Versuch mit animalischem Gebein zu wagen. Dank sei Gott, Gilas Gewebe hat den Kalbsknochen akzeptiert, womit der Versuch am Ende doch vom Erfolg gekrönt und das Bein von der Amputation verschont geblieben war.

    Doch zurück zum Sonntagnachmittag, an welchem Gila stolz auf ihren siegreichen Helden und beiläufig auch Beschützer im wahrsten Sinne des Wortes war. Und selbst in mir erhob sich, umso mehr wir uns entfernten, so nach und nach ein hochbefriedigendes Gefühl des Stolzes, was mir in den Minuten des Kampfes versagt geblieben war. Sein großes Mundwerk war vorerst, vor den ungläubig schauenden Augen seiner Frau Sladjana, gestopft, ohne dass ich wirklich zur Ernsthaftigkeit oder zur Gemeinheit mich hinreißen ließ. Bilder aus früheren Tagen und Jahren sah ich im Geiste, eine schwierige Zeit, ein Rangeln und Ringen ohne Ende. Ach was machte ihm das jedes Mal einen herrlichen Spaß, wenn er mich endlos quälen konnte, essentiell dann wenn die Eltern nicht stören konnten oder wollten. Wenn wir uns auch in so manchem ähnlich sein mögen, so sind wir in der Hauptsache doch grundverschieden. Ich hoffte natürlich, dass ich mit dem heutigen Sieg für lange Zeit meine Ruhe vor ihm haben werde, ob es so kommen wird wusste ich sicherlich nicht, bei ihm konnte sich ja nie jemand sicher sein. Aber sein heutiges Drama wird ihm zu denken geben, dessen war ich mir sicher, nur stand die Frage im Raume, wie lange wird der Friede unter den Brüdern anhalten?

    Wenngleich auch so manche Rivalität unter Brüdern konstruktive und fördernde Aspekte aufweisen kann, so wie es scheinbar von etlichen Wissenschaftlern oder Psychoanalysten belegt wurde, so blieb mir doch nachhaltig was anderes im Gedächtnis. Nein es blieb mir das Destruktive und das Zerstörerische in Erinnerung, eine absurde Konkurrenz die Neid und Eifersucht auslöst, auch wenn die Eifersucht und der Neid einseitig verteilt waren, doch woran mag das alles gelegen haben? Lag es etwa an der Familiendynamik der Lupos oder an dem kulturellen Hintergrund? Ich weiß es nicht und vermag es trotz meiner Merkfähigkeit nicht beurteilen zu können. Nur das Eine ist mir gewiss, immer war es Adam der neidisch war und dies war auch schon Cosimo gegenüber so, als jener noch lebte. Und ich glaube, dass ich nicht zu weit gehe wenn ich behaupte, dass es bei Adam oftmals schon in einen regelrechten Hass ausuferte. Es war dies für mich ein bewiesenermaßen guter Grund dafür, niemals den Streit zu suchen, nicht im freundschaftlichen Bereich, wie zum Beispiel unter den Kameraden des Fußballs und natürlich auch nicht in der Liebe. Wer nur hat ihm diesen Neid eingepflanzt? Warum kann er sich nicht so verhalten, wie man es in einer echten, oder besser gesagt in einer idealen und gepflegten Freundschaft zu tun gedenkt? Beiderseits sollte es, nach meinem Dafürhalten, eine ermutigende, eine stärkende und permanent wohlwollende, zuweilen auch eine kritische Begleitung sein, bei der weder Begehren noch irgendeine Berechnung mitspielen dürften oder sollten. Allein die tiefe gegenseitige Verbundenheit und Gleichwertigkeit sollte unter Brüdern oder unter Liebenden zählen, doch allein es fehlt mir der Glaube, dass Adam jemals im Leben dazu fähig ist, aber warum nur? Mir fällt es doch entgegengesetzt auch nicht schwer, all diese Aspekte zu verwirklichen, sei es im Fußball oder in der Liebe oder auch im Umgang mit der eigenen Mutter, deren Verstand ich immer bewunderte, gleichwohl sie nie richtig das Lesen und

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