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Praxis der Achtsamkeit: Schlüsselbegriffe der Care-Ethik
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eBook862 Seiten9 Stunden

Praxis der Achtsamkeit: Schlüsselbegriffe der Care-Ethik

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Über dieses E-Book

Der Spruch "yes, we care" zeigt: Gesellschaftlich gibt es ein großes Interesse an Achtsamkeit, Sorge und Verantwortung. Dennoch lässt die philosophische Ethik diese scheinbar privaten Themen meist unberücksichtigt. Das Buch eröffnet neue Perspektiven, indem es die in verschiedenen europäischen Ländern entwickelte Ethik der Achtsamkeit und Sorge - "Ethics of Care" - transdisziplinär präsentiert. Im Zentrum stehen die Fragen, wie Versorgung gelingend zu gestalten ist und wie der Umgang mit menschlicher Verletzbarkeit und Abhängigkeit unser politisches Zusammenleben bestimmt.
Mit Beiträgen unter anderem von Marian Barnes, Sophie Bourgault, Mieke Grypdonck, Helen Kohlen, Sandra Laugier, Christoph Rehmann- Sutter, Andrew Sayer, Christina Schües, Hilal Sezgin und Helena Sensöta.
SpracheDeutsch
HerausgeberCampus Verlag
Erscheinungsdatum13. Okt. 2016
ISBN9783593435442
Praxis der Achtsamkeit: Schlüsselbegriffe der Care-Ethik

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    Buchvorschau

    Praxis der Achtsamkeit - Andries Baart

    Elisabeth Conradi, Frans Vosman (Hg.)

    Praxis der Achtsamkeit

    Schlüsselbegriffe der Care-Ethik

    Campus Verlag

    Frankfurt/New York

    Über das Buch

    Der Spruch „yes, we care zeigt: Gesellschaftlich gibt es ein großes Interesse an Achtsamkeit, Sorge und Verantwortung. Dennoch lässt die philosophische Ethik diese scheinbar privaten Themen meist unberücksichtigt. Das Buch eröffnet neue Perspektiven, indem es die in verschiedenen europäischen Ländern entwickelte Ethik der Achtsamkeit und Sorge – „Ethics of Care – transdisziplinär präsentiert. Im Zentrum stehen die Fragen, wie Versorgung gelingend zu gestalten ist und wie der Umgang mit menschlicher Verletzbarkeit und Abhängigkeit unser politisches Zusammenleben bestimmt.

    Mit Beiträgen unter anderem von Marian Barnes, Sophie Bourgault, Mieke Grypdonck, Helen Kohlen, Sandra Laugier, Christoph Rehmann- Sutter, Andrew Sayer, Christina Schües, Hilal Sezgin und Helena Sensöta.

    Vita

    Elisabeth Conradi ist Professorin für Philosophie und Gesellschaftstheorie an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart und lehrt auch am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Frans Vosman ist Professor für »Ethics of Care« an der Universität für Humanistische Studien in Utrecht.

    Inhalt

    Vorwort

    Frans Vosman und Elisabeth Conradi: Einleitung – Schlüsselbegriffe der Care-Ethik

    Schlüsselbegriffe im europäische Diskurs

    Das Gelingen als ›ethico-politische‹ Dimension des Sorgens

    ›Praxis der Achtsamkeit‹ jenseits des Buddhismus

    Europäische Forschung: Disziplinenübergreifend präsentiert

    Strukturierung des Diskurses durch das vorliegende Buch

    Ideenhistorische, disziplinäre und methodologische Erwägungen

    Präsenz und Achtsamkeit im Kontext von Pflege und Medizin

    Fürsorge und Beziehung in Sozialer Arbeit und Philosophie

    Verantwortung im Kontext von Zivilgesellschaft und Politik

    Verbindungslinien innerhalb des europäischen Diskurses

    ›We receive care!‹ – Eine zweifache Verschiebung der Perspektive

    I. Ideenhistorische, disziplinäre und methodologische Erwägungen

    Frans Vosman: Kartographie einer Ethik der Achtsamkeit – Rezeption und Entwicklung in Europa

    Entstehung der Care-Ethik: Dekolonisierung der moralischen Erfahrung

    Einsichten der ersten Generation

    Epistemologie

    Konkrete Fragen im Alltag

    Die Weiterentwicklung zu einer politischen Ethik

    Neue Bereiche: von der Alltagssorge zur globalen Reichweite

    Methode: Konzeptuell und qualitativ empirisch

    Laufende Diskussionen: Zwischen Kodifikation und Weiterentwicklung

    Unterschiedliche Denktraditionen: Schwächen und Herausforderungen

    Elisabeth Conradi: Die Ethik der Achtsamkeit zwischen Philosophie und Gesellschaftstheorie

    Eine verbindliche ›Minimalethik‹ für alle, aber Hilfspflichten bloß für einige?

    Schwierigkeiten des Problemzuschnitts

    Die Unterbestimmtheit der Pflicht, situationsverbessernd zu handeln

    ›Mitmenschlichkeit‹ bei Martin Buber und Hermann Cohen

    Der Begriff vom Menschen als dem Nächsten

    Die räumliche Nähe: Menschen im eigenen Wirkungskreis helfen

    Rezeptionsbarrieren und die De-Thematisierung der Zuwendung

    Der Ansatz Carol Gilligans im Kontext der Außenseiter-Philosophie

    Gesellschaftstheoretische Moralkritik der 1980er Jahre

    Die Hausarbeitsdebatte als Kontext der Gilligan-Rezeption

    Die hochambivalente frühe Gilligan-Rezeption durch Frigga Haug

    Für ›care‹ und gegen Ethik: Feministische Gesellschaftstheorie

    Missverständnis? Die Ethik der Achtsamkeit ist keine ›konventionelle Moral der Güte‹

    Paralleldiskurse um Sorgearbeit und Care-Ethik

    Strategien der Transformation

    Andrea Maihofers ›Strategie der Differenz‹

    Disziplinen und Professionen

    Politische Theorie, Ethik und die ›Praxis der Achtsamkeit‹

    Micha Brumlik: Die Heilung der Welt – Tikkun Olam

    Lurianische Kabbala

    Schelling

    Bloch und Jonas

    Catrin Dingler: Relationale Subjektivität – Zur Theoriegeschichte der Care-Ethik

    Das weibliche Subjekt in der Fürsorgeethik

    Jenseits der Geschlechtermoral

    Jenseits des Subjekts

    Subjektivität in neoliberalen Care-Regimen

    Helen Kohlen: Sorge als Arbeit und Ethik der Sorge – Zwei wissenschaftliche Diskurse

    Zum Verständnis der Begriffe

    Sorgearbeit als Reproduktionsarbeit

    Reproduktionsarbeit als Last, Lust und Liebe

    Ethik der Sorge

    Einflüsse der Sorgeethik auf die Sorgearbeitsdebatte

    Sorgearbeit als Anliegen der Ökonomie und Ethik

    Sorgearbeit als fürsorgliche Praxis und Selbstsorge

    Institutionelle Sorgearbeit und Emotionen in Sorgebeziehungen

    Sorgearbeit und sorgeethische Merkmale

    Andries Baart und Guus Timmerman: Plädoyer für eine empirisch begründete Ethik der Achtsamkeit, Präsenz und Sorge

    ›Theoretische Empirie‹ und ›Empirische Ethik‹

    ›Theoretische Empirie‹

    ›Empirische Ethik‹

    Empirisch fundierte normative Ethik

    Varianten normativer Ethik

    Plädoyer für eine empirisch fundierte normative Ethik

    Ertrag einer empirisch fundierten Ethik der Achtsamkeit, Präsenz und Sorge

    Handlungsspielräume der Akteure – Teilnehmende Beobachtung

    Gemütsbewegungen – Diskursanalyse

    Fazit und Ausblick

    II. Präsenz und Achtsamkeit im Kontext von Pflege und Biomedizin

    Claire Marin: Reflexionen über Krankheit – Ein Plädoyer für die Perspektive der ersten Person

    Der Kranke als Person: an der Pflege beteiligt?

    Welcher Platz gebührt der kranken Person?

    Die Idee einer Ordnung und das Problem der eigenen Position

    Veränderung des Identitätsempfindens

    Niemand mehr sein, weit von sich entfernt sein: der Identitätsverlust

    Die Krankheit in der zweiten Person leben

    Die Person pflegen – Fazit

    Christoph Rehmann-Sutter: Wünsche am Lebensende wahrnehmen – Ethische Impulse palliativer Versorgung

    Annas Wunsch-Geschichte

    Ethische Probleme palliativer Versorgung aus einer care-ethischen Perspektive

    Ist Palliative Care praktizierte Care-Ethik?

    Wünsche am Lebensende, Sterbewünsche und die Erfahrung von Ambivalenz

    Reflexion über die ›Arbeitsbeziehungen‹ der Ethik

    Guus Timmerman und Andries Baart: Präsentische Praxis und die Theorie der Präsenz

    Empirische, care-ethische Theoriebildung

    Eine präsenztheoretische Perspektive auf beziehungsorientierte Arbeit

    Die ›präsentische Herangehensweise‹

    Arbeitsprinzipien

    Die präsentische Herangehensweise und die ethischen Elemente des Prozesses engagierter Sorge

    Relevanz und Reichweite der ›präsentischen Herangehensweise‹

    Präsenz und Fürsorge, die Präsenztheorie und die Ethik der Achtsamkeit

    ›Präsenz‹ als Programm

    Ausblick

    Merel Visse: Wessen Verantwortung? Auf dem Weg zu einem dialogischen Begriff

    Care und Verantwortung

    Eine care-ethische Sichtweise der Verantwortlichkeit

    Alltägliche Narrative

    Zwei narrative Vignetten über interpersonelle Verantwortung in der Palliativversorgung

    Diskussion

    Praktische Konsequenzen

    Fazit

    Linus Vanlaere, Madeleine Timmermann und Mieke Grypdonck: Pflegehandeln am eigenen Körper erfahren – ›Ausgesetztsein‹ in simulierten Situationen

    Care-ethisches Handeln als Lernziel

    Care-Ethik ist eine Frage des Handelns

    Die Kompetenz des ›care-ethischen Handelns‹ und ihre fünf Teilkompetenzen

    ›Ausgesetztsein‹ als Lehrmethode

    Die Bedeutung des ›Ausgesetztseins‹ in der Präsenztheorie von Andries Baart

    Eigenschaften, Effekte und Formen des ›Ausgesetztseins‹

    Veranstaltungen zum Einfühlen im care-ethischen Laboratorium

    Über das ›Ausgesetztsein‹ im Rahmen der sTimul-Projekts

    Wie sTimul-Teilnehmer ihre Erfahrungen des ›Ausgesetztseins‹ beschreiben

    Das ›Ausgesetztsein‹ im Rahmen der sTimul-Projekts führt zu einem anderen Wissen

    Schlussfolgerung

    Vom Wissen zur Reflexion zum Sehen, Sein und Tun

    Effekte des ›Ausgesetztseins‹

    III. Fürsorge und Beziehung in Sozialer Arbeit und Philosophie

    Christina Schües: Ethik und Fürsorge als Beziehungspraxis

    Positionen der Care-Ethik

    Psychologischer Ansatz mit politischer Wendung

    Vorbild der Mutter-Kind-Beziehung? Dyadische und triadische Beziehungsmodelle

    Auf Andere ausgerichtet

    Die relationale Praxis der Care-Ethik mit unterschiedlichen Beziehungsbegriffen

    Bezogenheit als grundsätzliche Struktur und die konkrete Beziehung

    Konkrete Beziehungen

    Care-Praxis und die Beurteilung ihrer Beziehungsstrukturen

    Sophie Bourgault: Bedürfnisinterpretation und Fähigkeitenansatz in care-ethischer Perspektive

    Martha Nussbaums Fähigkeitenansatz: Schlüsselbegriffe und Kontroversen

    Nancy Fraser und die ›Politik der Bedürfnisinterpretation‹

    Bedürfnisse oder Fähigkeiten: eine falsch gestellte Frage?

    Sandra Laugier: Verletzlichkeit und Verantwortung – Über das Alltägliche in der Ethik

    Verletzlichkeit des Alltäglichen

    Verletzlichkeit der Stimme

    Verletzlichkeit des Bürgerstatus

    Susanne Pohlmann: Altruismus und Fürsorge – Von der Schwierigkeit zu sorgen, ohne sich zu verlieren

    Das Altruismusdilemma

    ›Annehmen‹ und Altruismus bei Nel Noddings

    Altruismus und ausgeglichene Zuwendung bei Tove Petterson

    Bewertung und Ausblick

    Marian Barnes: Kontext und Erfahrung – Gelebte Praxis sorgender Beziehungen

    Von der Abstraktion zum gelebten Leben

    Sorge und sorgende Beziehungen

    Netzwerke und ›ineinander verschachtelte Abhängigkeiten‹

    Gesellschaftliche und temporale Dimensionen von Sorge

    Freundschaftliche Sorge

    Fazit

    IV. Verantwortung im Kontext von Zivilgesellschaft und Politik

    Andrew Sayer: Zugewandte Unterstützung und anteilnehmende Sorge als Weltverhältnis

    Ein anteilnehmend-sorgendes Verhältnis zur Welt

    Die Tatsache-Wert-Familie der Dichotomien

    Weitere Hindernisse im Verständnis unseres Verhältnisses zur Welt der Anteilnahme und Sorge

    Zum Abschluss: Implikationen für die Organisation von Zuwendung und Unterstützung

    Jorma Heier: Relationale Verantwortung – Vergangenheitszugewandte und zukunftsbezogene Sorge

    Verantwortung – über welche Distanzen hinweg?

    Relationale Verantwortung

    Die Bedeutsamkeit von Beziehungen und des Bezugsgewebes menschlicher Angelegenheiten

    Schilderung der ›Forschungslandschaft‹ und der Elemente relationaler Verantwortung

    1. Das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten

    2. Gemeinsames politisch-moralisches Handeln

    3. Sprechen-Mit statt Sprechen-Über

    4. Die fehlerhafte Annahme, es gäbe eine akzeptable Grundordnung

    5. Epistemische Ignoranz

    6. Moralische Verlassenheit

    7. Die Hintergrundbedingungen beurteilen

    8. Rückwärtsgewandte und zukunftsorientierte Verantwortung

    Care-ethische relationale Verantwortung für eine verwobene Welt

    Praktisch-gesellschaftlich-politische Konsequenzen und Ausblick

    Anne Cress: Zivilgesellschaftliche Transformation durch Achtsamkeit und gemeinsam gestaltete Praxis

    ›Radical rethinking‹ als Ausgangspunkt

    ›Caring democracy‹ – der Entwurf einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft

    Eine ›unwiderstehliche Vision‹?

    Transformation Politischer Theorie

    Eine care-ethische Theorie gesellschaftlichen Wandels

    ›Achtsame Zuwendung‹ und ›Interrelationalität‹ als Schlüsselbegriffe

    Theorien der Zivilgesellschaft und die Ethik der Achtsamkeit

    Fazit

    Helena Stensöta Olofsdotter: Achtsames Verwaltungshandeln – Plädoyer für eine Care-Ethik des öffentlichen Dienstes

    Begrenzungen und Herausforderungen ethischer Konzepte

    Wie sehen die Begrenzungen früherer Diskurse über die Care-Ethik aus?

    Die Care-Ethik des öffentlichen Dienstes – Grundgedanken

    Ontologie: Interdependenz begründet die Bedeutsamkeit von Beziehungen

    Ziel: Beziehungen aufbauen, pflegen und schützen

    Verantwortungsübernahme und kontextbezogene Beurteilungen und Entscheidungen

    Zur Relevanz der Care-Ethik des öffentlichen Dienstes

    Direkter und indirekter Einfluss auf die Beziehungen der Bürger_innen untereinander

    Die Care-Ethik des öffentlichen Dienstes: eine lohnende Verbindung

    Hilal Sezgin: Die Verwandtschaft der Fürsorge – Unsere Verbindung mit nicht-menschlichen Tieren

    In Richtung der Care-Ethik: Gemeinsame Wurzeln

    Vernunftkritik und Menschenbild

    Korrekturvorschläge

    Körperliche Wesen, nicht Dinge

    In Richtung der Tierethik: Gemeinsame Anwendungen

    Asymmetrie

    Aufmerksamkeit

    Missverständnisse

    Die Ablehnung von Rechten

    Kritik des Identitätsdenkens

    Visionen

    Negative und positive Pflichten

    Vom Antagonismus zur Verbundenheit

    Care als verbindende Praxis

    Literatur

    Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

    Register

    Vorwort

    Wer ›Europa‹ hört, denkt wahrscheinlich keineswegs zuerst an die Wissenschaft, und Lesenden, die auf das Wort ›care‹ stoßen, fällt vermutlich kaum Europa ein. Hingegen möchte das vorliegende Buch dazu einladen, über ›care‹ in der Wissenschaft nachzudenken und europäische Stimmen der Care-Ethik in ihrer disziplinären Vielstimmigkeit zu vernehmen.

    Der Band präsentiert gemeinsame Schlüsselbegriffe der niederländischen sowie flämischen Zorgethiek, deutschsprachigen Ethik der Achtsamkeit, französischen éthique du care, italienischen ethica della cura und der schwedischen Omsorgsetik. In dem Vorhaben, die innereuropäische wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Care-Ethik voranzubringen und gleichzeitig ihren Status quo in Form von Schlüsselbegriffen zu dokumentieren, waren einige Schwierigkeiten zu meistern: Das Buch hat eine längere Entstehungsgeschichte. Sie begann mit einem Telefongespräch von Utrecht nach Stuttgart zu Beginn des Jahres 2010. Seither gab es eine Reihe wissenschaftlicher Kooperationen, die zur Gründung eines Netzwerkes von Forschenden im Gebiet der Ethics of Care beitrugen, das eine eigene Website betreibt.¹ Forschende aus mehreren europäischen Ländern führten lange Gespräche via Skype und trafen sich regelmäßig zur Diskussion aktueller Forschungsergebnisse. So fand im Jahr 2012 an der Universität Utrecht in den Niederlanden eine Konferenz statt, die der Diskussion und Vernetzung diente.² In dessen Folge entstand ein von Per Nordtvedt und Frans Vosman verantwortetes Themenheft der Zeitschrift Nursing Ethics (Nortvedt/Vosman 2014). Einige Mitglieder des Netzwerkes fanden im selben Jahr Gelegenheit, Forschende aus verschiedenen Kontinenten auf der von Marian Barnes an der University of Brighton mitorganisierten internationalen Tagung zu treffen. Aus dieser Tagung resultierte das Buch Ethics of Care. Critical advances in international perspective (Barnes u. a. 2015). Anlass zu weiterem Austausch bot im Jahr 2013 eine Tagung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart.³ Diese mündete in einer Sonderausgabe des Journals Ethics & Social Welfare (Barnes/Conradi/Vosman 2015).⁴

    Überdies fand an der Universität Oxford im Herbst 2014 eine Ringvorlesung mit dem Titel Care practices: towards a recasting of ethics statt, deren Vorträge im Internet abrufbar sind.⁵ In Oxford trugen mehrere Forschende aus Frankreich, Deutschland und den Niederlanden vor, die auch im vorliegenden Buch publizieren. Viele der zu diesem Band Beitragenden trafen sich ferner im November desselben Jahres in Stuttgart zu einem Fachforum mit nachfolgender Theoriewerkstatt.⁶ Hier gewann das Vorhaben, ein Buch mit europäischen Stimmen in deutscher Sprache zu publizieren, klarer an Kontur. So wurden insbesondere deutschsprachige care-ethische Begrifflichkeiten umrissen und in ein Verhältnis zueinander gesetzt. Für die Entstehung dieses Bandes war das gemeinsame Nachdenken im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen in den vergangenen Jahren von zentraler Bedeutung. Sie boten Anlass, die Ethik der Achtsamkeit weiterzuentwickeln.

    Unser Dank gilt der ehemaligen Stiftung Stichting Zorgethiek.nu und der jetzigen Stiftung Stichting Critical Ethics of Care (beide: Utrecht, Niederlande), deren finanzielle Mittel die Übersetzungen einer Reihe von Artikeln ermöglichte. Denn die Hälfte der Beiträge dieses Bandes wurde aus dem Englischen, Flämischen, Niederländischen und Französischen übersetzt, sei es durch die Autoren selbst (Guus Timmerman, Frans Vosman), durch professionelle Übersetzerinnen (Deborah Hunsmann, Gudrun Wolfrath), durch Literaturkenner und Schreibexpertinnen (Amata Schneider-Ludorff, Henry Hardt, Katalin Bolyhos, Anne Gessler) oder über Versorgung Forschende (Annekatrin Skeide).

    Unser Dank gilt auch Lea Heidenreich und Lea Klasen für akkurat und kompetent durchgeführte lektorierende Tätigkeiten sowie Sibylle Hasse für Endkorrekturen. Wir danken ebenso Judith Wilke-Primavesi und Isabell Trommer vom Campus Verlag für ihr Vertrauen in unser Projekt und ihre Geduld gegenüber den auftretenden Schwierigkeiten.

    Wir danken Klaus Grunwald für kollegialen Beistand. Ausdrücklich gedankt sei auch Hans-Peter Kunz für seine tatkräftige Unterstützung und seinen versierten Rat. Catrin Dingler, die als Autorin dieses Buch bereichert hat, danken wir für ihr gekonntes Redigieren und Lektorieren mancher Artikel. Ganz besonderer Dank gilt Anne Cress, die ebenfalls nicht nur selbst als Autorin eines Beitrages in diesem Buch vertreten ist, sondern durch ihre sorgfältige Lektüre mehrerer Vorfassungen vieler Artikel sowie ihre Kommentare und Vorschläge auch maßgeblich zum Gelingen des Buches beigetragen hat.

    Juli 2016

    Frans Vosman, Utrecht, und Elisabeth Conradi, Stuttgart

    Einleitung – Schlüsselbegriffe der Care-Ethik

    Frans Vosman und Elisabeth Conradi

    ›Yes, we care!‹ – Dieser Spruch bringt die aktuelle Stimmung vieler Menschen in Europa gut zum Ausdruck. Sie offenbaren, dass sie für andere sorgen, behutsam mit ihnen umgehen und engagiert Beziehungen pflegen. Der Ausspruch thematisiert alltägliche Interaktionen, die bisher nur selten Gegenstand der öffentlichen Debatte wurden. Wer diesen Satz sagt und damit die Stimme erhebt, macht helfende Tätigkeiten publik und setzt sie auf die Agenda.

    Das Satzgefüge erinnert an den Slogan »yes, we can«, den Barack Obama 2008 in seinem Wahlkampf verwendete, um zu betonen, dass Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden denkbar und möglich seien. Damit eröffnet sich eine weitere Bedeutungsdimension: Diejenigen, die ›yes, we care!‹ sagen, widerstehen nicht nur einer möglichen Ignoranz gegenüber ihrem Tun, sondern bewerten darüber hinaus auch das eigene und das kollektive Handeln. Dabei ist weder von einer Verpflichtung, noch von einer zukünftig erst zu übernehmenden Aufgabe die Rede. Vielmehr wird der Vollzug pflegend-sorgender Interaktionen selbstbewusst gutgeheißen und die Identität der Tätigen entschlossen bekräftigt. Überdies positionieren sich hier Menschen als solche, die Verantwortung übernehmen und sich dabei in guter Gesellschaft wissen. Auf diese Weise übermittelt ›yes, we care!‹ mehr als eine bloße Information: Der Ausspruch verweist auf eine normative Dimension, die wir als ›ethico-politische‹ bezeichnen. Denn es ist von hoher Bedeutung, ob Menschen überhaupt geholfen wird und wer die Verantwortung dafür trägt.

    Schlüsselbegriffe im europäische Diskurs

    Neben der Ungewissheit, ob Menschen überhaupt Hilfe erhalten, und abgesehen von der ebenfalls normativ bedeutsamen Frage, wer für Unterstützung sorgt, spielt vor allem ein drittes Thema im vorliegenden Band eine besondere Rolle. Wir fragen nach der Art und Weise, wie Versorgungsprozesse gestaltet werden, womit deren Gelingen in den Mittelpunkt rückt. Entsprechend erwägen wir einerseits Gütekriterien, entlang derer Unterstützung als gelingend oder misslingend zu bewerten ist. Weiter denken wir andererseits auch darüber nach, wie misslingende Interaktionen der Hilfe zu verbessern und umzugestalten sind.

    Das Gelingen als ›ethico-politische‹ Dimension des Sorgens

    Damit ist die dritte ›ethico-politische‹ Dimension der Versorgung, Pflege und Unterstützung (ethico-political dimension of care) benannt. Die Frage nach der Gestaltung, Bewertung und Veränderung von Hilfe-, Pflege- und Versorgungsprozessen reicht nämlich über das, was üblicherweise zum Bereich der Ethik zählt, weit hinaus. Zur Beantwortung der Frage nach dem Gelingen der Hilfe (care) sind entsprechend auch organisatorisch-institutionelle, strukturelle und politische Rahmenbedingungen sozialer Interaktionen in die Reflexion einzubeziehen. Folglich erörtert die Ethik der Achtsamkeit (ethics of care) integrierend, was sonst oft getrennt voneinander gedacht wird: Individuum und Kollektiv, Organisation und Gesellschaft, Ethik und Politik, Theorie und Praxis, individuelles gemeinsam mit kollektivem Handeln.

    Die Alltäglichkeit der Beziehungspflege und Bezogenheit, der Sorge für andere und der Selbstsorge, täuscht leicht über deren ›ethico-politische‹ Dimension hinweg. Diese tritt oft erst dann ins allgemeine Bewusstsein, wenn Unterstützung fehlt oder misslingt und etwa zu bitteren Enttäuschungen oder womöglich zu Erniedrigungen führt. Indes besteht die Herausforderung nach wie vor darin, die Kriterien des Gelingens zu benennen. Dieses Buch umreißt und entfaltet Schlüsselbegriffe, die eine Debatte über Gütekriterien fundieren können. Indem wir Bewertungsmaßstäbe thematisieren, plädieren wir zugleich für einen induktiven Denkansatz, der die Eigenschaften gelingender Interaktionen aus der sozialen Praxis herauskristallisiert und sie zum Gegenstand der Theoriebildung werden lässt: Es ist gerade die Praxis der Achtsamkeit selbst, die darüber aufklärt, was Menschen wohltut.

    Der vorliegende Band präsentiert eine Reihe care-ethischer Schlüsselbegriffe, deren Benennung und Bestimmung je nach theoretischer Position durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Innerhalb der europäischen Wissenschaft ist gleichwohl unstrittig, dass dies zentrale Topoi sind: Verbundenheit und Bezogenheit, Präsenz und achtsame Zuwendung, Kontextualität und Erfahrung, Verletzlichkeit, Subjektkritik und Relationalität, Empathie und Selbstsorge, Berücksichtigung von Bedürfnissen, tätige Hilfe und Verantwortung, Versöhnung und Transformation. In der präziseren Bestimmung der Schlüsselbegriffe erhält die ›ethico-politische‹ Dimension der Achtsamkeit und Sorge Konturen.

    ›Praxis der Achtsamkeit‹ jenseits des Buddhismus

    Das Buch trägt die Wendung ›Praxis der Achtsamkeit‹ im Titel. Auch wenn das Einige an das aufmerksame Innehalten im Rahmen der buddhistischen Meditation denken lassen mag, so unterscheidet sich dieses Innehalten jedoch grundlegend von der care-ethischen ›Praxis der Achtsamkeit‹.

    Die buddhistische Meditation, so heißt es, werde meist im Sitzen, aber auch im Gehen, Stehen und Liegen geübt; im Mittelpunkt stehe das Atmen (Buchheld/Wallach 2001: 70). Es drehe sich vieles darum, »im Kontakt mit dem gegenwärtigen Augenblick zu sein« (Heidenreich/Michalak 2003: 265), nicht über die Vergangenheit zu grübeln oder sich Sorgen um die Zukunft zu machen. Der amerikanische Genforscher und Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn meint, durch die buddhistische Meditation könnten Qualitäten des aufmerksamen Innehaltens (mindfulness) ausgebildet werden (Kabat-Zinn 2003: 145), die einen besseren Umgang mit Stress ermöglichen. Ein wichtiges Element der »mindfulness« sei der Verzicht auf Wertung: »Nicht wertend ist die Haltung, weil die auftretenden Bewusstseinsinhalte nicht kategorisiert (positiv oder negativ, angenehm oder unangenehm), sondern einfach bewusst wahrgenommen werden sollen.« (Heidenreich/Michalak 2003: 265)

    Als Übersetzung von »mindfulness« wird im Deutschen gelegentlich von Achtsamkeit gesprochen (Heidenreich/Michalak 2003: 264). Im Unterschied zur »mindfulness« in der buddhistischen Meditation handelt es sich bei der ›Praxis der Achtsamkeit‹ in der Care-Ethik jedoch gerade darum, zu bewerten: Gelingendes wird von misslingendem Handeln unterschieden. Erst durch die Bewertung kann eine Wahl stattfinden, eine Entscheidung getroffen werden. Amtsmissbrauch, Mobbing und Gewaltausübung müssen bewertet werden, damit sie gemindert oder sogar verhindert werden können. Um eine angemessene Entscheidung treffen zu können, ist es oft erforderlich, zurückzuschauen. In der ›Ethik der Achtsamkeit‹ wird eine vollzogene Praxis nachträglich beurteilt. Aber auch die vorausschauende Überlegung ist wichtig, um zu wissen, wie auf geeignete Weise gehandelt werden kann. Diese Ethik schließt einen verantwortungsvollen Umgang mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein.

    Die meditierende Person ist vor allem sich selbst gegenüber aufmerksam, auch wenn gelegentlich von »Geisteszuständen« die Rede ist, die sich auf andere Menschen beziehen (Buchheld/Wallach 2001: 69). Insofern meint »liebevolle Güte (metta)« (ebd.: 69) im Buddhismus ein Bewusstsein der eigenen Sanftheit sowie Flexibilität, und sogar die Kultivierung des Mitgefühls steht letztlich für eine Selbstkultivierung. Es handelt sich höchstens um ein einfühlendes Interesse (empathic concern), das eine Person in sich trägt (Sweet/Johnson 1990: 19) und das als innere Haltung nur indirekt zwischenmenschliche Auswirkungen hat.

    Die ›Ethik der Achtsamkeit‹ (ethics of care) stellt indes eine interaktive Praxis in den Mittelpunkt: Menschen beziehen sich sorgend auf andere, lassen sich tatsächlich aufeinander ein, pflegen Beziehungen und eine gewisse Verbindlichkeit im Miteinander. In diesem Sinne ist die ›Praxis der Achtsamkeit‹ mehr als eine Haltung der Empathie, sie spielt sich auch nicht bloß in der Innenwelt einer Person ab. Schließlich bedeutet Achtsamkeit auch, die Antwort auf Unterstützung abzuwarten: zu hören, wie die Zuwendung angekommen ist und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen.

    Europäische Forschung: Disziplinenübergreifend präsentiert

    So begrüßenswert es ist, dass Menschen öffentlich über sich selbst als Handelnde, über Sorgetätigkeiten und Verantwortung sprechen, so bedauernswert ist es, dass dies derzeit beinahe ausschließlich in englischer Terminologie griffig und überzeugend gelingt. Der vorliegende Band möchte dazu beitragen, dass die ›ethico-politische‹ Dimension der Unterstützung und Versorgung besser in deutscher Sprache reflektiert werden kann. Er regt deshalb einerseits eine Intensivierung der innereuropäischen Rezeption an, damit sich die entsprechenden wissenschaftlichen Diskussionen nicht länger auf die transkontinentale Rezeption US-amerikanischer Publikationen beschränken. Andererseits lautet der Vorschlag, gemeinsam eine einleuchtende Terminologie auszubilden. Denn obwohl die Forschung über die ethico-politische Dimension fürsorglicher Praxis in Europa bereits vor dreißig Jahren begann, findet auch in der Wissenschaft mehrheitlich das englische Wort ›care‹ Verwendung. Für Forschende stellt es jedoch eine beachtenswerte Schwierigkeit dar, dass der Begriff sowohl alltagssprachlich als auch disziplinär eine ausgesprochen hohe Mehrdeutigkeit hat, die erhebliche Theoriebildungsschwierigkeiten mit sich bringt, denn auf der begrifflichen Ebene führt das zu Vagheit und Unschärfe (siehe dazu der Beitrag von Frans Vosman im vorliegenden Band). Insofern ist es ein wesentliches Anliegen, die Schlüsselbegriffe der Forschung klarer zu umreißen, so dass der hiesige Diskurs an Tiefe gewinnt und die innereuropäische wissenschaftliche Auseinandersetzung um carein der Verwendung der Fachtermini noch mehr Präzision erlangt.

    Mit dem Beginn der Forschung über Beziehungspflege und Versorgung (care) in den achtziger Jahren entwickelten sich zwei unterschiedliche Forschungszweige. Das Gros der deutschsprachigen Forschung thematisiert versorgende Tätigkeiten (care work) in einer gesellschaftstheoretischen Perspektive und erörtert vor allem die Frage, warum manche Gruppen von Menschen eher als andere reinigend, unterstützend und pflegend tätig sind. Dagegen widmet sich eine Minderheit der deutschsprachigen Forschenden dem Anliegen, die Ethik der Achtsamkeit (ethics of care) weiter zu entwickeln. Zugleich gibt es jedoch einen lebendigen europäischen Diskurs zur Ethik der Achtsamkeit (zorgethiek, Omsorgsetik, éthique du care, etica della cura, ethics of care), der sich explizit der ›ethico-politischen‹ Dimension pflegend-sorgender Interaktionen (care) widmet. Das vorliegende Buch versammelt diese europäischen Stimmen zu einem gemeinsamen Konzert. Dieses bleibt durchaus vielstimmig, denn die Diskussionen über die Care-Ethik finden je nach Land oder Sprache in unterschiedlichen Disziplinen statt: Während die Zorgethiek in den Niederlanden vor allem in der Pflegewissenschaft, den Sozialwissenschaften, der Philosophie sowie Medizin zu finden ist und in Flandern auch im Kontext einer theologischen Anthropologie erörtert wird, hat die deutschsprachige Ethik der Achtsamkeit in Pädagogik, Geschlechterforschung, Medizinethik und Pflegewissenschaft ihren Platz, reicht aber auch in die Politikwissenschaft und Sozialphilosophie hinein. Die ethics of care in Großbritannien und die Omsorgsetik in Schweden etablierten sich vor allem in den Sozialwissenschaften, während die éthique du care in Frankreich sowie die etica della cura in Italien wiederum im Fach Philosophie verankert sind. Ungeachtet der disziplinären Vielstimmigkeit und länderspezifischen Variationen besteht indes, wie erwähnt, über die Grundzüge der Care-Ethik unter den wissenschaftlich Publizierenden eine weitgehende Übereinstimmung.

    Strukturierung des Diskurses durch das vorliegende Buch

    Gegliedert in vier Teile gibt der vorliegende Band einen Einblick in den europäischen Diskurs, die Theoriearchitektonik und die Terminologie der Care-Ethik. Der erste, einführende Teil (I.) präsentiert ideenhistorische, disziplinäre sowie methodologische Erwägungen, während der zweite Teil (II.) eine Reihe von Diskussionen über die Schlüsselbegriffe umreißt und Verbindungen zwischen ihnen darstellt. Dabei wird deutlich, wie fundamental sich das Denken ändert, sobald das versorgende und umsorgte Tätigsein (care) auf der sozialen wie der politischen Ebene als eine Linse der Wahrnehmung von Handlungen und Strukturen fungiert, die der Mikro- und Makroanalyse des Zusammenlebens dient. Im dritten (III.) und vierten Teil (IV.) legt dieser Band Argumente vor, mit Hilfe derer verschiedene Positionen der Forschung verteidigt werden. Es geht um brisante Fragen, die sowohl im gesellschaftlichen Alltag wie in der disziplinären Reflexion bedeutsam sind: Woher kommen die Impulse, zu helfen? Wie lässt sich Verantwortung beschreiben und worauf ist sie gerichtet? In welchen Domänen entfaltet sie Wirkung? Es zeigt sich, dass es die europäische Care-Ethik im Plural gibt.

    Ideenhistorische, disziplinäre und methodologische Erwägungen

    Zu Beginn skizziert Frans Vosman mit seinem Artikel Kartographie einer Ethik der Achtsamkeit – Rezeption und Entwicklung in Europa die aktuelle Situation des internationalen care-ethischen Diskurses und berücksichtigt in seinen Überlegungen auch dessen Theoriegeschichte. Vosman führt ›Beziehung‹, ›Emotion‹ und ›Kontext‹ als drei Schlüsselbegriffe einer ersten, vor allem feministisch geprägten Phase der Care-Ethik in den 1980er-Jahren ein und bedenkt die Frage, wie deren anschließende Entwicklung zu charakterisieren sei. Er skizziert unterschiedliche Denktraditionen und spricht sich dafür aus, diese in Zukunft verstärkt in einen kritischen Austausch miteinander treten zu lassen. In der Darstellung der europäischen Wissenschaft legt er besonderes Gewicht auf die ›ethico-politische‹ Dimension des Sorgens für andere. Die Rezeption und Entwicklung der politisch verstandenen Ethik der Achtsamkeit begreift Vosman nicht nur im Sinne einer normativen Theorie, sondern betont auch ihre erkenntnistheoretischen Aspekte. Dabei erkundet er, warum gemeinhin das Wissen des handelnden Subjekts, also die Sicht der ersten Person, für weniger überzeugend gehalten wird, als ein unabhängiger Standpunkt. Weiter erörtert Vosman die terminologische Vielfalt des Begriffes ›care‹ sowie die mit ihr verbundenen Übersetzungsprobleme in verschiedene europäische Sprachen.

    Elisabeth Conradi profiliert die ›Ethik der Achtsamkeit‹ indem sie diese in der deutschsprachigen Wissenschaft verortet. Ihr Beitrag Die Ethik der Achtsamkeit zwischen Philosophie und Gesellschaftstheorie zeigt ein Spannungsverhältnis auf, denn die Care-Ethik ist geradezu ›zwischen die Stühle‹ geraten. So wird Unterstützung in der Philosophie üblicherweise als Hilfspflicht angesehen. Als problematisch erscheint es, dass dieser Ansatz individuell argumentiert und der Lebenswirklichkeit derjenigen Menschen kaum gerecht wird, die jenseits der akuten Not dauerhaft für andere sorgen. Conradi erörtert religionsphilosophische Ansätze, die den Bedarf im eigenen Wirkungskreis für relevant halten und geht auf gesellschaftstheoretische Positionen ein, die ›soziale Nähe‹ zwischen helfendem und hilfebedürftigem Menschen als Kriterium ablehnen. Die feministisch inspirierte Gesellschaftstheorie legt zwar eine komplexe Problemanalyse vor, entzieht sich allerdings einer theoretischen Erörterung konkret problemlösender Aspekte. Durch die Abgrenzung gegenüber beiden Disziplinen tritt das spezifische Profil einer ›Ethik der Achtsamkeit‹ klarer zutage: Sie reflektiert, wie Interaktionen alltäglicher Sorge zwischen Individuen gelingend zu gestalten sind und spürt Veränderungspotentiale in deren Lebenspraxis auf.

    Die Verantwortung für eine ›Reparatur‹ (repair) des zerrissenen Bezugsgewebes menschlicher Angelegenheiten (siehe den Artikel von Jorma Heier in diesem Band) und das Verständnis von ›caring‹ als einer Herstellung und Erneuerung (repair) der Welt (Tronto 1993: 103), haben innerhalb der Care-Ethik ein wichtige Bedeutung. Die Vorstellung, es sei die Welt zu heilen oder zu reparieren, findet sich möglicherweise bereits in der Spätantike, wird jedoch sicher in der spätmittelalterlichen jüdischen Mystik mit dem Begriff ›Tikkun Olam‹ bezeichnet: Micha Brumlik beschreibt in seinem Artikel Die Heilung der Welt – Tikkun Olam, wie dieser Begriff auf verschlungenen Pfaden seinen Weg bis in die idealistische Philosophie, den historischen Materialismus und schließlich in die moderne Ethik gefunden hat. Brumlik bezieht sich auf die Lurianische Kabbala sowie die Schelling-Rezeption durch Jürgen Habermas, auf Ernst Bloch und Hans Jonas. Er weist darauf hin, dass Ansätze, die ›Tikkun Olam‹ in ihr Zentrum stellen, eine große Reichweite haben. Denn es geht, so Brumlik, beim hebräischen Wort »Olam« um nicht mehr und nicht weniger als um die ›ganze Welt‹.

    Auf ganz andere Weise bezieht sich Catrin Dingler auf das komplexe Netzwerk an Beziehungen, indem sie Dimensionen einer relationalen Subjektivität innerhalb bestimmter Varianten der Care-Ethik skizziert. In ihrem Artikel Relationale Subjektivität. Zur Theoriegeschichte der Ethics of Care bringt sie einerseits die feministische Kritik an der modernen philosophischen Vorstellung vom souveränen Subjekt in Erinnerung und zeichnet andererseits die Debatten über Differenz in den verschiedenen Strömungen des Feminismus nach. Als Alternative zur Vorstellung der Intersubjektivität schlägt sie das Konzept der ›Interrelationalität‹ vor, von dem her das Politische neu zu denken wäre. Dingler zufolge täte die Care-Ethik gut daran, den differenz-feministischen Ansatz relationaler Subjektivität erneut aufzugreifen und weiterzuentwickeln sowie dessen gesellschaftsveränderndes Potential auszuschöpfen.

    In ihrem Beitrag Sorge als Arbeit und Ethik der Sorge – Zwei wissenschaftliche Diskurse stellt Helen Kohlen die Entwicklung der wissenschaftlichen Debatte über Sorgearbeit (care work) im deutschsprachigen Raum dar und setzt sie in ein Verhältnis zur Ethik der Sorge (ethics of care). Kohlen erörtert, wie der wissenschaftliche Sorgearbeitsdiskurs verstärkt auf normative Aspekte eingeht und entsprechend auch ethische Fragen bedenkt. Sie stellt dar, wie deutschsprachige Autorinnen care-ethische Impulse aus den USA aufgreifen und weiterentwickeln, etwa indem sie den Begriff der ›fürsorglichen Praxis‹ explizit in die deutschsprachige Debatte einführen, die zuvor stark durch Begrifflichkeiten wie ›Reproduktion‹ und ›Hausarbeit‹ geprägt war. Zunehmend werden Selbstsorge, die Qualität institutioneller Sorgearbeit sowie deren gerechtere Verteilung debattiert und Fragen der Staatbürgerschaft sowie der Sozialpolitik thematisiert. Jüngst gerät auch die Beziehungsdimension von Sorgearbeit sowie die Frage nach der Verantwortung für entsprechende Tätigkeiten stärker in den Blick. Insofern konstatiert Helen Kohlen, dass normative Forderungen, sowie Begriffe und Grundgedanken der Sorgeethik in die Sorgearbeitsdebatte Einzug gehalten haben.

    Andries Baart und Guus Timmerman schließen mit ihrem Artikel Plädoyer für eine empirisch begründete Ethik der Achtsamkeit, Präsenz und Sorge den ersten Teil des Bandes ab. Sie betonen, wie wichtig ein Realitätsbezug für die theoretische Ethik sei. Die Care-Ethik habe einen solchen Realitätsbezug, denn ihre Einsichten seien historisch fundiert und gesellschaftlich inspiriert. Baart und Timmerman ermitteln, auf welche Weise moralische und moralrelevante Erfahrungen am besten erfasst und substantiell einbezogen werden können. Sie fragen danach, wie es gelingt, insbesondere Perspektiven von verletzbaren und verletzten Menschen adäquat zu berücksichtigen. Die Autoren zeigen auf, was qualitative Forschung diesbezüglich beizusteuern vermag. Es geht ihnen darum, mit Hilfe von Grounded Theory-Verfahren die Normativität der Care-Ethik im Wechselspiel zwischen Theorie und Empirie einer empirischen Korrektur zu unterziehen.

    Präsenz und Achtsamkeit im Kontext von Pflege und Medizin

    Für die Care-Ethik ist es von enormer Bedeutung, aus welcher Perspektive Pflege, Versorgung, Begleitung oder Unterstützung wahrgenommen werden. Denn es macht einen Unterschied, ob eine Patientin, ein Arzt, eine Politikerin oder eine Krankenkasse über die Praxis des Sorgens spricht. Die französische Philosophin Claire Marin legt eben dies in ihrem Artikel Reflexionen über Krankheit – Ein Plädoyer für die Perspektive der ersten Person argumentativ dar. Damit eröffnet sie jenen Themenkomplex, welcher der Präsenz und Achtsamkeit im Kontext von Pflege und Biomedizin gewidmet ist. Marin entfaltet die Perspektive der ersten Person. Sie möchte der verletzten Person Stimme verleihen und Gehör schenken. Obwohl Marin sich selbst nicht als Care-Ethikerin versteht, thematisiert sie dennoch ein zentrales Anliegen der Care-Ethik: Nämlich wie die Stimme gerade der Person, die Hilfe empfängt, allergrößte Relevanz erhalten kann und sie zu derjenigen Stimme wird, die entscheidet, ob das Sorgen wohltuend oder verletzend ist. Marin erläutert, warum es angesichts dessen, dass die Krankheit die erkrankte Person verfremdet, unangebracht ist, mit der weithin üblichen Idee von der Autonomie des Patienten zu arbeiten. Gerade die Verletzbarkeit der erkrankten Person gebietet das Zuhören.

    Christoph Rehmann-Sutter befasst sich in seinem Beitrag Wünsche am Lebensende wahrnehmen – Ethische Impulse palliativer Versorgung mit den Wünschen von lebensverkürzend erkrankten Menschen, in Bezug auf ihr Leben sowie Sterben und spricht sich dafür aus, diese in ihrer temporalen und relationalen Komplexität ernst zu nehmen. Anhand eines Fallbeispiels zeigt Rehmann-Sutter auf, welche normativen Fragen in der Praxis palliativer Versorgung entstehen und wie sich etwa ›Wünsche‹ in einer von der Care-Ethik inspirierten Zugangsweise neu erschließen. Damit verdeutlicht Rehmann-Sutter zugleich, weshalb sich die Palliativmedizin stärker als bisher mit care-ethischen Perspektiven auseinandersetzen sollte. Zwar steht die Palliativmedizin dem Anliegen der Care-Ethik nahe, referiert aber dennoch vorwiegend auf andere Ansätze, wie beispielsweise die Pflichtenethik. Eine care-ethische Perspektive könnte dazu verhelfen, Wünsche am Lebensende stärker kontextbezogen zu verstehen und deren Widersprüchlichkeiten angemessen zu würdigen.

    In dem Artikel Präsentische Praxis und die Theorie der Präsenz gehen die Autoren auf eine care-ethische Theorie der Präsenz und die von Andries Baart empirisch fundierte und theoretisch ausgearbeitete ›präsentische Herangehensweise‹ ein. Dieses Konzept beansprucht Antworten darauf zu geben, was ›gute Sorge‹ auszeichnet und auf welche Weise diese sichergestellt und gefördert werden kann. Die Autoren verdeutlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den vier Stadien der ›präsentischen Herangehensweise‹ bei Andries Baart und den fünf Phasen ›engagierter Sorge‹ von Joan Tronto. Guus Timmerman und Andries Baart legen dar, dass die Reichweite der Präsenztheorie keineswegs auf ihren Entstehungszusammenhang im Feld der Stadtteilseelsorge beschränkt ist, sondern sich beispielsweise auch im Krankenhaus, der Psychiatrie, Jugendhilfe oder in Pflegeheimen als relevant erweist. Jede dieser Domänen erfordert eine jeweils unterschiedliche Art der Präsenz, die in diesen Bereichen auch entwickelt wurde. Entsprechend wird die Theorie der Präsenz also nicht ›angewandt‹, sondern ständig erweitert, indem empirische Forschung und normativ-reflexive Ideen Hand in Hand entstehen.

    Merel Visse zeigt in ihrem Artikel Wessen Verantwortung? Auf dem Weg zu einem dialogischen Begriff anhand zweier narrativer Vignetten auf, wie ›Verantwortlichkeiten‹ zwischen Menschen ausgehandelt, von ihnen wahrgenommen, übernommen, abgewiesen, ihnen zugewiesen oder von ihnen abgelehnt werden. Visse möchte den care-ethischen Schlüsselbegriff ›Verantwortung‹ (responsibilization) als eine Praxis verstanden wissen, in der Menschen Verantwortlichkeiten dialogisch entwickeln, d. h. danach fragen, wer verantwortlich zu machen ist. Ihr Anliegen ist es, die Dynamiken solcher Prozesse nachvollziehbar und verständlich zu machen. Visse ist der Ansicht, dass Verantwortlichkeiten nur im Rahmen von Interaktionen in Erfahrung gebracht werden können und entwirft einige Leitfragen, die ein gemeinsames Lernen im Sinne eines Ermittelns von Verantwortlichkeiten unterstützen sollen.

    In ihrem Beitrag Pflegehandeln am eigenen Körper erfahren: ›Ausgesetztsein‹ in simulierten Situationen? verdeutlichen Linus Vanlaere, Madeleine Timmermann und Mieke Grypdonck, am Beispiel eines Fortbildungsangebotes, dass es möglich ist, durch Simulation von Krankheit und Pflege die Selbstreflexion von Pflegekräften zu stimulieren. Auf der Grundlage care-ethischer und präsenztheoretischer Überlegungen wurde speziell eine Lernumgebung entwickelt, in der die Teilnehmenden in die Rolle einer pflegebedürftigen Person schlüpfen und sich damit der Erfahrung aussetzen, von Auszubildenden gepflegt zu werden. Das Fortbildungsprogramm ›sTimul‹ wurde 2008 im flämischen Teil Belgiens entwickelt, wird mittlerweile auch in den Niederlanden durchgeführt und findet bei Pflegepersonal aus ganz Europa Anklang. Vanlaere, Timmermann und Grypdonck erläutern, wie diese Form des ›Ausgesetztseins‹ spezifische care-ethische Lernprozesse ermöglicht und dass dieses ›Laboratorium der Erfahrung‹ auch für die wissenschaftliche Forschung relevant ist.

    Fürsorge und Beziehung in Sozialer Arbeit und Philosophie

    Christina Schües erörtert in ihrem Beitrag Ethik und Fürsorge als Beziehungspraxis, wie ›Beziehung‹, ›Verbundenheit‹ und ›Bezogenheit‹ innerhalb der Care-Ethik gefasst werden. Schües zufolge zeichnen sich die vielfältigen Varianten der Care-Ethik gegenüber anderen Beziehungsethiken durch ihren besonderen Praxisbezug aus. Sie erörtert, inwiefern die Praxis der Achtsamkeit von symmetrischer, nicht-symmetrischer oder asymmetrischer Gestalt ist. Des Weiteren skizziert Schües das Konzept des ›Beziehungsraums‹ und verweist damit auf die Notwendigkeit, das in den Blick zu nehmen, was im Vollzug der Care-Praxis entsteht und was Arendt als eine Art ›Zwischen‹ begreift. Schließlich setzt sich Schües damit auseinandern, wie eine als relationale Praxis verstandene Fürsorge (care) im Hinblick auf ihr Gelingen oder Misslingen beurteilt werden kann.

    Sophie Bourgault bringt in ihrem Beitrag Bedürfnisinterpretation und Fähigkeitenansatz in care-ethischer Perspektive beide Ansätze miteinander ins Gespräch. Sie fragt danach, ob die ›Politik der Bedürfnisinterpretation‹ (need interpretation), wie sie von Nancy Fraser gefordert wird, in den Mittelpunkt der Care-Ethik rücken sollte, oder ob die Care-Ethik eher mit dem Fähigkeiten-Ansatz (capabilities approach) von Martha Nussbaum und Amartya Sen vereinbar sei. Bourgault erläutert, wie die ›Politik der Bedürfnisinterpretation‹ das care-ethische Denken beeinflusst hat und erläutert, inwiefern Nussbaums Universalismus in einem spannungsreichen Verhältnis zur partikularistischen Orientierung der Care-Ethik steht, findet aber auch eine eigene, dritte Position. Bourgault konstatiert, dass die Frage ›Bedürfnisse oder Fähigkeiten‹ unter Umständen auch mit ›Bedürfnisse und Fähigkeiten‹ beantwortet werden könnte; denn letztlich entscheidend sei, auf welche Weise diese jeweils zu interpretieren sind.

    Sandra Laugier verdeutlicht in ihrem Artikel Verletzlichkeit und Verantwortung – Über das Alltägliche in der Ethik die ethico-politische Bedeutung dieser beiden Schlüsselbegriffe und beleuchtet deren Verhältnis zueinander. Besonders bedeutsam ist für sie der Umstand, dass die Care-Ethik vom ›Alltäglichen‹ ausgeht, das ansonsten in der praktischen Philosophie weitgehend vernachlässigt wird. Sie bezieht sich auf die Ansätze von Ludwig Wittgenstein, Stanley Cavell sowie Veena Das und stellt heraus, dass Angewiesenheit und Verletzlichkeit tief in die Grundstruktur des Alltäglichen eingelassen sind. Laugier verbindet diese Erkenntnis mit dem Konzept der ›Lebensform‹, wie es im deutschen Sprachraum etwa von Rahel Jaeggi ausgearbeitet wurde (Jaeggi 2013). Verletzlichkeit ist jedoch für Laugier nicht bloß ein individueller Zustand. Sie erwähnt die Entwicklung eines Konzepts der Bürger_innenschaft auf der Grundlage von Verletzlichkeit und möchte mit Hilfe der Ethik der Achtsamkeit (ethics of care) ein neues Verständnis von ›Verantwortung‹ entwickelt sehen, das in Zeiten des Wandels kosmopolitische Perspektiven eröffnet.

    Susanne Pohlmann greift in Altruismus und Fürsorge – Von der Schwierigkeit zu sorgen, ohne sich zu verlieren die Frage auf, ob die Care-Ethik, mit ihrer Betonung von Zuwendung dem Altruismus nahesteht. Pohlmann erörtert die care-ethischen Bestrebungen ›Fürsorge‹ und ›Altruismus‹ klar voneinander abzugrenzen und zeigt auf, dass es sich dabei keineswegs um ein leichtes Unterfangen handelt. Care-ethischen Altruismuskritik, so Pohlmann, ist Sozialkritik, die geschlechtsspezifische Privilegierung und Unterdrückung zum Gegenstand hat. Die Autorin vergleicht die Denkansätze zweier Care-Ethikerinnen, Nel Noddings und Tove Petterson, die das Verhältnis von Selbstsorge (care) und Sorge für andere (care) unterschiedlich bestimmen. Weder Nel Noddings’ Konzept des ›Annehmens‹ (receiving) noch Tove Pettersons Konzept der ›ausgeglichenen Zuwendung‹ (mature care), vermag vollumfänglich zu überzeugen. Pohlmann kommt zu dem Schluss, dass Fürsorgebeziehungen unweigerlich durch ein Spannungsverhältnis zwischen ›othercentredness‹ und Selbstsorge gekennzeichnet sind. Vor diesem Hintergrund ist die eigentlich entscheidende Frage, wie mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen ist und wie ein dafür geeigneter politischer und sozialer Kontext aussieht.

    Marian Barnes entfaltet in Kontext und Erfahrung – Gelebte Praxis sorgender Beziehungen eine care-ethische Beziehungsontologie und deren Implikationen für die Wahrnehmung alltäglicher Praktiken des Gebens und Empfangens von Sorge (care giving and receiving). Barnes misst den gelebten Erfahrungen derjenigen, die in solche Praktiken involviert sind, einen besonderen Stellenwert bei. Ethik ist ihr zufolge auf empirische Forschung angewiesen. Marion Barnes bezieht sich in ihrer Argumentation auf Margaret Urban Walker und Andrew Sayer, die Ethik und Empirie in ähnlicher Weise in ein Verhältnis setzen. Die Autorin untersucht sodann Sorge (care) und sorgende Beziehungen in unterschiedlichen Kontexten und legt dabei einen Schwerpunkt auf die freundschaftliche Sorge. Barnes spricht sich für ein Verständnis sorgender Beziehungen aus, das auch die Sorgebedürftigen als am Sorgeprozess aktiv Partizipierende begreift und sie nicht auf die Rolle von ohnmächtig-passiven Empfänger_innen (care receiver) reduziert. Außerdem hebt sie die Bedeutung von Sorge-Netzwerken hervor.

    Verantwortung im Kontext von Zivilgesellschaft und Politik

    Andrew Sayer trägt in seinem Beitrag Zugewandte Unterstützung und anteilnehmende Sorge als Weltverhältnis die These vor, dass das Verhältnis von Menschen zueinander und zur Welt durch anteilnehmende Sorge (concern) gekennzeichnet ist. Diese anteilnehmende Sorge (concern) sollte im Zentrum der sozialwissenschaftlichen und philosophischen Theoriebildung stehen. Sayer zeigt, wie traditionelle Oppositionen des Denkens dem im Wege stehen und begründet gleichzeitig, warum diese denkerischen Hürden zu überwinden sind. So sind etwa Begriffe wie ›Praxis‹, ›soziales Sein‹ und ›Körperlichkeit‹ zu de- und rekonstruieren. Wenn der anteilnehmenden Sorge (concern) mehr Raum gegeben wird, rückt bislang Vernachlässigtes in den Blick, wie beispielsweise die Atmosphäre des menschlichen Miteinanders, die sich in der Realität des Sorgens für die Welt und die Mitmenschen (care) als entscheidend erweisen kann. Schließlich erwägt Andrew Sayer Schlussfolgerungen für die Organisationen von Sorgebeziehung (relation of concern).

    In dem Artikel Relationale Verantwortung – Vergangenheitszugewandte und zukunftsbezogene Sorge wird ein sorgeethisches (care ethical) Konzept relationaler Verantwortung im Lichte der von Hannah Arendt entwickelten Vorstellung eines Bezugsgewebes menschlicher Angelegenheiten entfaltet. Jorma Heier erörtert, wie dieses Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten zu flicken (repair) wäre, sofern es durch Akte der Gewalt und Verletzung (harm) zerrissen ist. Als Antwort auf die Frage, wer für eine solche Reparatur zuständig ist, zeichnet Heier anhand von acht Elementen das Bild einer relationalen Verantwortungsübernahme. Gerade das gemeinsame politisch-moralische Handeln birgt das Potential, die Zuweisung von Verantwortung, aber auch deren Übernahme, neu zu verhandeln. Hierzu ist es notwendig, dass Akte der Gewalt und Verletzung (harm) als Unrecht anerkannt werden. Beispielhaft greift Heier den von der sozialen Bewegung geflüchteter Menschen in Deutschland geprägten Satz »Wir sind hier, weil Ihr unsere Länder zerstört« auf. Heier verdeutlicht, dass eine sorgeethische Beziehung zwischen den geflüchteten und den bereits zuvor in Deutschland lebenden Menschen besteht, die begründend für Verantwortungsübernahme wirkt.

    In ihrem Beitrag Zivilgesellschaftliche Transformation durch Achtsamkeit und gemeinsam gestaltete Praxis bearbeitet Anne Cress das Thema der gesellschaftlichen Transformation und entfaltet Überlegungen zu einer care-ethischen Theorie gesellschaftlichen Wandels. Cress erörtert nicht weniger als eine umfängliche Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse und diskutiert, inwiefern die Ethik der Achtsamkeit diesen emanzipatorischen Ansprüchen gerecht werden kann. Sie fragt nach der ›ethico-politischen‹ Dimension und bejaht den Anspruch der Care-Ethik kritisch und transformativ wirken zu können. Da ein grundlegender Wandel nicht von einzelnen Individuen realisiert werden kann, greift Anne Cress Konzepte der Zivilgesellschaft auf und verbindet sie gekonnt mit der Ethik der Achtsamkeit. Damit weitet sie die in mancherlei Hinsicht konventionell verengte Sicht auf die Ethik und fundiert die Ethik der Achtsamkeit als eine emanzipatorische Theorie.

    In Achtsames Verwaltungshandeln – Plädoyer für eine Care-Ethik des öffentlichen Dienstes stellt Helena Stensöta Olofsdotter Überlegungen zur Tätigkeit von öffentlich Bediensteten an und verdeutlicht, dass die Care-Ethik insbesondere für das Verwaltungshandeln im Bereich der Sozialpolitik (care-oriented policy areas) hilfreiche Konzepte für die Ausgestaltung von Ermessensspielräumen zur Verfügung stellen kann. Insofern vermag die Care-Ethik das zu leisten, wozu Konzepte und Theorien der öffentlichen Ethik bislang nicht in der Lage waren. Stensöta präsentiert Grundgedanken einer Care-Ethik des öffentlichen Dienstes und verdeutlicht deren Praxisrelevanz. Es handelt sich dabei um eine Ethik der Verwaltungskräfte, die im Gegensatz zu einer entsprechenden Berufsethik nicht in erster Linie an der Beziehung zwischen Verwaltungsfachkraft und Bürger_in ansetzt, sondern das Amt der öffentlich Bediensteten und insbesondere deren professionelles Handeln stärkt und sogar positiv auf die Beziehungen der Bürger_innen untereinander Einfluss nehmen kann.

    In Die Verwandtschaft der Fürsorge – Unsere Verbindung mit nicht-menschlichen Tieren stellt Hilal Sezgin einige Leitgedanken der Care-Ethik in ein Verhältnis zur Tierethik und hinterfragt, weshalb sich das Sorgen (care) auf Menschen beschränken solle. Sie arbeitet Ähnlichkeiten und Schnittstellen beider Ansätze heraus und zeigt auf, wo sie einander bereichern könnten. Sowohl die Care-Ethik als auch die Tierethik kritisieren Dichotomien, analysieren asymmetrische Machtverhältnisse und rücken die Bedeutung der Sorge um den Körper ins Zentrum. Sezgin kritisiert die Care-Ethik dafür, dass sie Tierrechten bisher zu wenig Beachtung geschenkt hat und plädiert für eine Praxis der Verbundenheit mit Tieren sowie für eine Anerkennung der Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier. Die Tierethik wiederum könnte in der feministischen Care-Ethik überzeugende Antworten auf einige von ihr gestellte Fragen finden. Sezgin akzentuiert, dass Rechte sich einem performativen Handeln verdanken, durch das Menschen sich darauf einigen oder dazu verpflichten, etwas zu tun oder anderen etwas zubilligen. Entsprechend sei es sehr wohl denkbar, Pflichten gegenüber Tieren mit einer Ethik der Sorge zu verbinden.

    Verbindungslinien innerhalb des europäischen Diskurses

    Die chronologische Darstellung gewährt einen Einblick in die Gliederung des vorliegenden Bandes und führt skizzenhaft in die Beiträge ein. Auf diese Weise zeigt sich die Vielgestaltigkeit der Schlüsselbegriffe deutlich. Gleichwohl erörtern die Autorinnen und Autoren die Schlüsselbegriffe in je anderen diskursiven Zusammenhängen. So steht in diesem Band etwa die ›Verletzlichkeit‹ im Kontext einer von Ludwig Wittgenstein beeinflussten Philosophie der Alltagssprache (Laugier) und ›Beziehung‹ wird durch das Antworten auf den Anderen bei Emmanuel Lévinas erhellt (Schües). Dadurch gelingt zweierlei: Die Schlüsselbegriffe werden innerhalb des geteilten care-ethischen Diskurses verortet und zugleich werden Verbindungen zu vielfältigen sozialwissenschaftlichen oder philosophischen Denkrichtungen verdeutlicht.

    Zudem lässt dieser Band vorhandene Divergenzen innerhalb des care-ethischen Diskurses erkennen. Einige Care-Ethiker_innen verstehen ›Verletzlichkeit‹ als einen anthropologisch-ontologischen Wesenszug menschlichen Seins, der als gegeben anzusehen ist. Andere deuten ›Verletzlichkeit‹ hingegen als einen gesellschaftlich geprägten und veränderbaren Zustand. Entsprechend interpretieren manche ›Verbundenheit‹ als ein von Natur angelegtes Gefühl, das womöglich insbesondere Frauen gegenüber ihren engsten Verwandten entwickeln, während andere ›Verbundenheit‹ als einen Lebensstil ansehen, den Menschen vielerlei Geschlechts gemeinsam mit Wahlverwandten gestalten. Dieser Band geht auf ausgewählte innereuropäische Kontroversen ein und bezieht in ihnen Stellung: Die Beiträge von Frans Vosman und Elisabeth Conradi greifen etwa einerseits die Frage auf, ob die europäische Care-Ethik eher einer Gesellschaftstheorie, einer Sozialontologie oder einer politischen Anthropologie bedarf und erörtern andererseits, ob die ethische Dimension helfenden Tätigseins als interaktive Praxis, Haltung, Tugend oder gar als Pflicht zu fassen ist.

    Gleichermaßen ist es lohnenswert, die Zusammenhänge der einzelnen Beiträge zu betrachten. Ein Blick auf die Verbindungen verdeutlicht, dass viele der in diesem Band präsenten Ansätze im Namen der Achtsamkeitsethik (ethics of care) ein doppeltes Anliegen verfolgen: Einerseits beanstanden sie enggeführte Theorien und schlagen deren Retheoretisierung vor. Andererseits formulieren sie ihre Kritik an bestehenden Strukturen sowie gelebter Praxis und drücken ihren Wunsch nach einer grundlegenden Transformation des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus. Trotz der Gemeinsamkeiten in der eingeschlagenen Denkrichtung gibt es gleichwohl erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Verankerung der Kritik: Sie reicht von theoretischen Entwürfen, die durch das Nachdenken über gelingende Beratung, Begleitung und Unterstützung – etwa in der katholisch geprägten Seelsorge im Stadtteil – beflügelt werden bis zu gesellschaftstheoretisch inspirierten feministischen Denkansätzen. Obwohl diese Denkrichtungen in ihrer Kombination durchaus spannungsreich sind, gibt es gleichwohl einiges Verbindendes, etwa wenn es um den Zusammenhang theoretischer Erwägungen mit praktischen Veränderungen geht. Denn innerhalb Europas wird in der Care-Ethik ein bestimmtes Verhältnis von Theorie und Praxis vorgeschlagen, wonach das Besondere der Praxis das Allgemeine der Theorie bereichert (Conradi 2001: 204–217). Die europäische Care-Ethik steht damit für einen induktiven Denkansatz, der die Eigenschaften gelingender Interaktionen aus der sozialen Praxis herauskristallisiert und sie zum Gegenstand der Theoriebildung werden lässt. Das sonst eher übliche Verfahren der Deduktion, nach dem Ideale erst ›anzuwenden‹ wären, scheint vielen demgegenüber weniger angemessen.

    Der Gedanke, das Besondere der Praxis möge das Allgemeine der Theorie ergänzen und verbessern, spricht erstens für eine Bereicherung der Ethik durch empirische Forschung (Baart/Timmerman) sowie zweitens für ein Verständnis der ›ethico-politischen‹ Dimension helfend-versorgender Interaktionen ausdrücklich auch auf der Grundlage von Erfahrung, etwa wenn es um palliative Versorgung geht (Rehmann-Sutter). Betont wird drittens, dass care-ethische Praxis als Alltagserfahrung aber auch breit vorhanden ist (Barnes, Sayer), und als solche viertens zugleich spezifische Ressourcen für den Umgang mit Spannungen und Konflikten zur Verfügung stellen kann (Barnes, Conradi).

    Der Gedanke, das Besondere der Praxis möge das Allgemeine der Theorie ergänzen und verbessern, scheint ferner fünftens auch im Vergleich zwischen der im deutschsprachigen Raum sehr präsenten Sorgearbeitsdebatte und der Achtsamkeitsethik auf (Kohlen) sowie beim Versuch, die Ethik der Achtsamkeit als Bezugspunkt für die Ermessenspielräume von Verwaltungsfachkräften im öffentlichen Sektor einzusetzen (Stensöta Olofsdotter).

    ›We receive care!‹ – Eine zweifache Verschiebung der Perspektive

    Anhand des Ausspruchs ›Yes, we care!‹ wurde zu Beginn erörtert, wie Menschen zugewandt versorgend Verantwortung übernehmen. Der Gedanke, das Besondere der Praxis möge das Allgemeine der Theorie bereichern, verändert diesen Horizont der ethischen Theoriebildung und veranlasst einen zweifachen Perspektivwechsel. Einerseits richtet sich der Blick der Forschung nun nicht mehr bloß auf die Situation der helfenden Person, er löst sich von der Position der versorgenden Hilfe (care-giving). Auch die Außenperspektive einer reflektierend-beobachtenden Person erscheint nunmehr als unzureichend, um zu verstehen, wie achtsam-sorgende Zuwendung gelingen kann. Stattdessen wird es zum Anliegen, die Stimme derjenigen Menschen zu vernehmen, welche sich über Pflege und Unterstützung aus einer nehmend-beteiligten Position (care-receiving) äußern. Demgemäß erscheint es lohnenswert, die Erfahrung von Krankheit und Pflege in der grammatikalischen Form der ersten Person zu reflektieren (Marin, Vanlaere/Timmermann/Grypdonck). In Abgrenzung zu dem eingangs erwähnten Diktum könnte der Spruch dieser Menschen lauten: ›We receive care!‹.

    Die zweite Verschiebung der Perspektive lenkt andererseits die Aufmerksamkeit auf das, was im helfend-versorgenden beziehungsweise im nehmend-beteiligten Handeln ›zwischen‹ den Menschen geschieht (caring interactivities). In diesem Zusammenhang erscheint etwa ›Verletzlichkeit‹ als Ausgangspunkt der Selbstsorge (Pohlmann) und die Frage tritt auf, inwiefern der Umgang mit menschlicher Abhängigkeit die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmt (Laugier). ›Relationalität‹ wird einerseits in ihrer Bedeutung als Beziehungspraxis erörtert (Schües) und andererseits im Sinne relationaler Verantwortung entwickelt (Heier) sowie beispielhaft erläutert (Visse).

    Die vorgeschlagene zweifache Verschiebung der Perspektive gilt darüber hinaus auch für den Bereich der Politik. Zunehmend erhalten Möglichkeiten der Partizipation nehmend beteiligter Menschen (care receiver) und die Verortung von Achtsamkeit (care) innerhalb politischer Willensbildungsprozesse Bedeutung, ebenso wie Wertmaßstäbe, Praktiken und gesellschaftliche Prioritäten, die diese gestalten (Bourgault, Laugier, Heier). Dabei werden politische Veränderungsmöglichkeiten in Bezug auf institutionell-organisatorische Bedingungen, gesellschaftliche Verhältnisse und die Übernahme von Verantwortung durchdacht (Sayer, Sezgin, Cress). Das Anliegen dabei ist, einerseits die ethico-politische Dimension helfend-versorgender Interaktionen als kritische Theorie weiterzuentwickeln (Dingler) und andererseits ihre Relevanz für eine ›kritische Praxis‹ aufzuzeigen.

    I. Ideenhistorische, disziplinäre und methodologische Erwägungen

    Kartographie einer Ethik der Achtsamkeit – Rezeption und Entwicklung in Europa

    Frans Vosman

    Seit ihren Anfängen in Nordamerika hat die ›ethics of care‹ auch in Europa Anklang gefunden. Dabei entwickelte sich eine terminologische Vielfalt, da sich in vielen europäischen Sprachen die Übersetzung von ›care‹ als problematisch erwies. Fünf kurze Darstellungen sollen die sprachlichen Probleme illustrieren, die mit der Polysemie des Begriffes ›Sorge‹ (care) zusammenhängen. Im Deutschen weckt das Wort ›Fürsorge‹ infolge der nationalsozialistischen Institutionen, die im Namen der ›Fürsorge‹ die Tötung von Menschen rechtfertigten, besonders negative Assoziationen. Zudem gibt es ein Verständnis der Fürsorge als ›caritas‹, der unterstellt wird, sie würde bevormundend wirken. Von einer ›Ethik der Fürsorge‹ zu sprechen, ist daher nicht unproblematisch, wenngleich die Bezeichnung weiter Verwendung findet. Mittlerweile wird die Care-Ethik im Deutschen jedoch häufiger als ›Ethik der Sorge‹ oder, zur Betonung der achtsamen Zuwendung, die das Sorgen erfordert, als ›Ethik der Achtsamkeit‹ (Conradi 2001) bezeichnet. Die niederländische Sprache kennt zwar den Begriff zorg(care). Jedoch hat ›zorg‹ gesamtgesellschaftlich ein wesentlich breiteres Bedeutungsspektrum als der in der nordamerikanischen Ethikliteratur verwendete Begriff ›care‹: In den Niederlanden meint ›zorg‹ in der Alltagssprache heutzutage nicht mehr in erster Linie die alltägliche Sorge (beispielsweise das Baby baden und die Windeln wechseln, Kochen, Putzen, von der Tochter ins Krankenhaus begleitet werden, die demenzkranken Eltern mitbetreuen), sondern verweist vor allem auf das Gesundheitssystem und die soziale Hilfe. Die Care-Ethik möchte die alltägliche Sorge und die professionellen sowie institutionellen Dienstleistungen zusammen betrachten, also keine Berufsethik losgelöst von der alltäglichen Sorge formulieren. Da der Terminus ›zorg‹ inzwischen vor allem auf das Gesundheitssystem (Organisation, Dienstleistungen, Politik) bezogen ist, geht die alltägliche Sorge im Niederländischen sprachlich nahezu verloren. Im Französischen sind die Übersetzungsprobleme wiederum so groß, dass das englische Wort ›care‹ verwandt wird, statt auf ein Konglomerat französischer Wörter zurückzugreifen, das notwendig wäre, um die Bedeutungsvielfalt der Sorge um (souci), der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit (attention) sowie der Sorge für andere und der Fürsorglichkeit (sollicitude) zum Ausdruck zu bringen. So lautet auch der Titel des in Frankreich und Quebec weitverbreiteten Einführungsbuches: Le souci des autres. Éthique et politique du Care (Paperman/Laugier 2011). Im spanischen Sprachbereich ist ›ética del cuidado‹ gebräuchlich; José Maria Muňoz Terrón verwendet jedoch ›ética del care‹, da ihm cuidado zu häuslich klingt. Im Italienischen spricht man von der ›etica della cura‹. Das führt zu ähnlichen Missverständnissen wie im Spanischen, insofern sich ›cura‹ in der Alltagssprache ausschließlich auf die häusliche und private, weiblich konnotierte Arbeit bezieht, in der Wissenschaft jedoch auch politische Aktivitäten gemeint sind: der öffentliche Bereich gehört zu ›care‹ (Brotto 2013; Viafora/Zanotti/Furlan 2007). Wir werden in diesem Band derartigen terminologischen Problemen noch oft begegnen, die – so wird sich herausstellen – nicht nur auf der Ebene der Übersetzung, sondern auch auf der inhaltlich-ethischen Ebene, im kulturellen und im politischen Bereich reflektiert

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