Professionsethische Grundlagen und Reflexionen im Kontext der Sozial- und Gesundheitswissenschaften: Anthropologie - Angewandte Ethik - Philosophie
Von Markus Seibt
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Über dieses E-Book
Markus Seibt
Dr. Markus Seibt hat Philosophie, Theologie und Religionspädagogik an den Universitäten Passau, Tübingen und Eichstätt studiert und wurde an der renommierten Eberhard-Karls-Universität Tübingen promoviert. Er wurde mit dem Vospohl-Preis für innovative wissenschaftliche Arbeit und mit dem PNP-Stiftungspreis für ein interkulturelles Sozialprojekt ausgezeichnet. Seit 2008 hat er Lehraufträge an der Fakultät für Sozial- und Gesundheitswissenschaften der OTH Regensburg. Er lehrt 'Ethik in der Sozialen Arbeit' und 'Anthropologische und ethische Grundlagen' in Gesundheitsberufen.
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Buchvorschau
Professionsethische Grundlagen und Reflexionen im Kontext der Sozial- und Gesundheitswissenschaften - Markus Seibt
1. Soziale Arbeit als ethische Profession
Die Soziale Arbeit ist in ihrem Kern eine ethische Profession. Ziel der Sozialen Arbeit ist es, das Wohl und die Autonomie von hilfebedürftigen Menschen zu fördern. Dabei orientiert sie sich an humanistischen Werten wie Menschenwürde, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Dies erfordert von Sozialarbeiter*innen ein hohes Maß an reflexiver Praxis.
Ein wichtiger ethischer Kodex ist die transparente und vertrauensvolle Interaktion mit Klienten. Vertraulichkeit und Datenschutz sind zu wahren, es sei denn, dies steht im Konflikt mit dem Schutzbedürfnis Dritter. In Entscheidungsprozessen sind die Perspektiven aller Beteiligten einzubeziehen. Machtgefälle zwischen Sozialarbeiter*innen und Klient*innen sollten reflektiert und kritisch hinterfragt werden.
Häufig entstehen ethische Dilemmata durch Zielkonflikte, etwa zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge. Oftmals stehen ökonomische Zwänge einer optimalen Unterstützung der Klienten entgegen. Hier gilt es, im Einzelfall abzuwägen und die bestmögliche Lösung im Sinne der Klienten zu finden. Ethisch integer zu handeln bedeutet also, professionelle Werte zu verinnerlichen und im Arbeitsalltag immer wieder aufs Neue danach zu streben.
Die Soziale Arbeit definiert sich als wertegeleitete Profession, deren Handeln auf einem normativen Fundament basiert. Das Ziel sozialarbeiterischen Tuns ist es, benachteiligte und hilfebedürftige Menschen bei der Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe zu unterstützen. Dabei versteht sich die Profession als Partei der Schwächeren in der Gesellschaft. Die Beziehung zu den Klient*innen ist geprägt von Respekt, Wertschätzung und Vertrauen. Wichtig sind eine verlässliche, transparente Kommunikation sowie die Wahrung der Privat- und Intimsphäre. Entscheidungen werden idealerweise partizipativ getroffen, wobei unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt werden.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es einer kontinuierlichen kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis sowie der Weiterentwicklung ethischer Kompetenzen. Bereits in der Ausbildung müssen ethische Fragestellungen thematisiert werden. Fort- und Weiterbildungen sind ebenso wichtig wie ein offener Diskurs innerhalb der Profession sowie mit anderen Akteuren.
Die Professionsethik dient als Kompass, der Orientierung gibt, aber auch die Komplexität der Praxis widerspiegelt. Sie muss immer wieder an neue Bedingungen angepasst und mit Leben gefüllt werden. Auf diese Weise kann die Soziale Arbeit ihren Anspruch als ethische Profession stärken und ihr Handeln auf ein tragfähiges normatives Fundament stellen. Die Professionsethik ist damit integraler Bestandteil der Identität und des Kernauftrags Sozialer Arbeit.
Professionelles sozialarbeiterisches Handeln sollte folgendermaßen aussehen:
Rassismuskritisch und menschenrechtsorientiert: Sozialarbeiter*innen sollten wie die Menschenrechtsaktivistin und Professorin für Soziale Arbeit Prasad betont, Rassismus und Diskriminierung aktiv entgegentreten. Ihr Handeln sollte die universelle Gültigkeit der Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen.
Machtsensibel: Sozialarbeiter*innen müssen sich ihrer Machtposition gegenüber Klient*innen bewusst sein und diese reflektieren. Sie sollten ihre Macht zum Wohle der Klient*innen einsetzen und Machtasymmetrien vermeiden.
Intersektional: Verschiedene Diskriminierungsdimensionen wie Race, Class und Gender sollten in ihrer Wechselwirkung betrachtet werden, um intersektionale Benachteiligungen zu erkennen.
Diskriminierungsfrei: Weder direkte noch indirekte Diskriminierung oder ungerechtfertigte Bevorzugung sollten eine Rolle spielen.
Professionell: Sozialarbeiter*innen sollten über die nötige Fachkompetenz, Reflexivität und ein professionelles Selbstverständnis verfügen, um adäquat zu handeln.
Vorbildcharakter: Als Profession kommt Sozialer Arbeit eine gewisse Vorbildfunktion für antidiskriminierende und menschenrechtsorientierte Haltungen und Handlungen zu.
Die kontinuierliche kritische Reflexion des eigenen Tuns ist wichtig, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden und die Professionsethik weiterzuentwickeln. Als Sozialarbeiter*in gibt es verschiedene Möglichkeiten, um professionsethisch zu handeln:
Sozialpolitisches Engagement: Sich für gerechtere Rahmenbedingungen und Verbesserungen im Sozialbereich einsetzen, z.B. durch Demonstrationen, Petitionen oder die Mitarbeit in Verbänden.
Verletzungen der Professionsethik aufzeigen: Missstände und unethisches Verhalten benennen und öffentlich machen, ggf. auch mit Hilfe von Whistleblowing.
Kolleg*innen und Gesellschaft sensibilisieren: Über Ethik sprechen, für Werte wie Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit sensibilisieren.
Ziviler Ungehorsam: Bei unmoralischen Vorgaben und ungerechten Gesetzen über gewaltfreien zivilen Ungehorsam nachdenken.
Widersetzen gegen unethische Vorgaben: Illegitime und unmenschliche Anweisungen kritisch hinterfragen und ggf. verweigern.
Aneignung von Handlungswissen: Durch Studium und Fortbildungen ethische Grundlagen und Handlungskompetenzen erwerben.
Reflexion der eigenen Handlungen: Im kollegialen Austausch und durch Feedback ethische Urteilsbildung vollziehen.
Durch kritisches Hinterfragen, zivilcouragiertes Handeln und ethische Reflexion lässt sich Soziale Arbeit auf professionelle Werte zurückbesinnen.
2. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
Die Ziele und Aufgaben der Sozialen Arbeit leiten sich aus den grundlegenden Menschenrechten ab, wie sie etwa in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschrieben sind.
Soziale Arbeit hat den Auftrag, die Verwirklichung dieser Rechte für alle Menschen zu fördern – insbesondere für benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen.
Sozialarbeiter*innen sind sich der menschenrechtlichen Dimension ihrer Arbeit bewusst und beziehen eine explizit menschenrechtliche Perspektive ein. Das umfasst das Empowerment von Klient*innen zur Wahrnehmung ihrer Rechte, die Identifikation von Menschenrechtsverletzungen sowie Lobbyarbeit.
Soziale Arbeit als Profession ist dabei unabhängig und tritt ein für die universelle Gültigkeit der Menschenrechte. Menschenrechtliche Prinzipien wie Gleichheit, Partizipation, Inklusion und Nicht-Diskriminierung bilden den ethischen Kompass sozialarbeiterischen Handelns.
Wichtige ethische Leitlinien sozialarbeiterischen Handelns sind die Achtung der Selbstbestimmung und Würde jedes Einzelnen sowie die Förderung von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Versteht man Soziale Arbeit auf diese Weise, rücken Menschenrechte ins Zentrum der professionellen Identität.
3. Menschenwürde als Fundament Sozialer Arbeit
Die Menschenwürde hat eine lange philosophische Tradition, wurde aber erst im 20. Jahrhundert zu einem zentralen Bezugspunkt der Menschenrechte und des Rechtsstaats.
Bereits der römische Philosoph Cicero definierte Würde als angemessenes Verhalten gemäß der eigenen Rolle und Stellung. Im christlichen Mittelalter wurde die Würde aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen abgeleitet und mit moralischen Pflichten verbunden.
Erst in der Moderne wurde die Menschenwürde eng mit den Menschenrechten verknüpft. Während die Menschenrechte lange metaphysisch oder naturrechtlich begründet wurden, erfolgte eine Rückbindung an die Menschenwürde erst im 20. Jahrhundert. So findet sich der Begriff erstmals 1919 in der Weimarer Reichsverfassung.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1945 blieb der Bezug zur Menschenwürde noch unscharf. Für Kant gründet Menschenwürde in der Fähigkeit zum vernünftigen Handeln, die dem Menschen »unvergleichlichen Wert« verleiht.
In Deutschland wurde die Menschenwürde 1949 als unantastbar in Artikel 1 des Grundgesetzes verankert. Dies bildet die Grundlage eines auf Freiheit und Gleichheit basierenden Rechtsstaats.
Für die Soziale Arbeit ergibt sich daraus die ethische Verpflichtung, die Würde jedes Menschen zu achten und zu schützen. Die Orientierung an der Menschenwürde ist ein essentielles Merkmal professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit. Die Achtung vor dem Klienten als gleichwertigen Menschen auf Augenhöhe ist Grundlage der Beziehung. Die Menschenwürde hat heute Verfassungsrang und ist Kern der professionellen Haltung Sozialer Arbeit.
4. Ethikkodizes der Berufsverbände
4.1 Ethikkodex des DBSH
Der Berufsverband der Sozialen Arbeit, DBSH, hat einen Ethikkodex formuliert, der zentrale Werte und Prinzipien sozialarbeiterischen Handelns zusammenfasst:
Achtung der Würde und Autonomie von Klienten
Förderung von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität
Schutz der Privat- und Intimsphäre von Klienten
Gebot der Verschwiegenheit und des Datenschutzes
Verbot der Diskriminierung und parteiliche Parteinahme für Benachteiligte
Kontinuierliche fachliche Weiterentwicklung der eigenen Qualifikationen
Offenlegung und Reflexion dilemmatischer Entscheidungssituationen
Kritische Auseinandersetzung mit Strukturen und Verfahrensweisen der eigenen Institution
4.2 Ethikkodex des IFSW
Der Internationale Verband der Sozialarbeit (IFSW) hat ebenfalls einen international anerkannten Ethikkodex entwickelt:
Soziale Arbeit basiert auf den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechte, gemeinsamer Verantwortung und Achtung von Diversität.
Sozialarbeiter*innen unterstützen und befähigen Menschen, ein erfülltes Leben zu führen, und setzen sich für die Verbesserung sozialer Bedingungen ein.
Sie respektieren die Würde und Selbstbestimmung der Menschen, mit denen sie arbeiten.
Sie fördern sozialen Wandel und Problemlösungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene.
Sie entwickeln ihre fachlichen Kompetenzen kontinuierlich weiter und übernehmen Aufgaben für die sie qualifiziert sind.
Sie sind transparent, integer und verantwortlich im Umgang mit ihrer Macht und ihrem Einfluss.
Sie treten Ungerechtigkeit und Diskriminierung entgegen und setzen sich für soziale Inklusion ein.
Dieser Ethikkodex gibt internationale Mindeststandards vor, an denen sich Sozialarbeiter*innen orientieren sollen. Er ist Ausdruck des ethischen Selbstverständnisses des Berufsstandes weltweit.
5. Kontext Berufsethik
Im Kontext der Berufsethik sind Empathie, Mitgefühl, Nächstenliebe und Altruismus zentrale Aspekte. Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ihre Gedanken und Gefühle zu verstehen und nachzuempfinden. Sie ist eine wichtige Grundlage für soziale Berufe. Mitgefühl bedeutet, Anteil zu nehmen am Leid anderer und den Wunsch zu haben, dieses aktiv zu lindern. Es geht über bloßes Mitleiden hinaus.
Nächstenliebe meint die selbstlose Hinwendung und Hilfsbereitschaft gegenüber den Mitmenschen. In verschiedenen Religionen spielt sie eine zentrale Rolle.
Altruismus ist eine Weltanschauung, die das Wohl anderer über das eigene Wohl stellt und uneigennütziges Handeln propagiert.
Diese Konzepte bilden eine ethische Grundhaltung, die in helfenden Berufen unverzichtbar ist. Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit sollten Sozialarbeiter*innen auszeichnen. Sie stellen die Bedürfnisse der Klienten in den Mittelpunkt und handeln zum Wohl anderer. Deshalb führt der Weg zur Profession der Sozialen Arbeit nur über eine Berufsethik.
6. Wie kann ethisch gute Soziale Arbeit gefördert werden?
Die Soziale Arbeit ist eine Profession, die sich ethischen Grundsätzen verpflichtet hat. Ethische Überlegungen bilden die Basis für Werthaltungen, Prinzipien und Handlungsorientierungen in der Sozialen Arbeit. Zu den zentralen ethischen Prinzipien zählen:
Die Achtung der Menschenwürde und Selbstbestimmung der Klienten
Die Förderung von Gerechtigkeit und Solidarität
Verantwortung und Fürsorge für die Klienten
Diese Prinzipien sollen sicherstellen, dass die Soziale Arbeit den Bedürfnissen der Klienten gerecht wird und ihre Interessen wahrt. Allerdings gibt es auch Herausforderungen für die ethische Praxis, wie die Komplexität sozialer Probleme, Machtverhältnisse, Ressourcenknappheit und Wertekonflikte. Professionelle Fachkräfte in der Sozialen Arbeit müssen daher oft schwierige ethische Entscheidungen treffen.
Um ethisch gute Soziale Arbeit zu fördern, sind verschiedene Maßnahmen wichtig:
Fundierte ethische Ausbildung und Supervision der