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Hasta la vista, baby: Roman
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eBook232 Seiten3 Stunden

Hasta la vista, baby: Roman

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Über dieses E-Book

Was wäre, wenn Arnold Schwarzeneggers Leben ganz anders verlaufen wäre? Wenn er als Bodybuilder erfolglos geblieben wäre und sich als Hippie-Privatdetektiv durch das Los Angeles der frühen Siebziger hätte schlagen müssen?
Wolfgang Pollanz' souveräner Roman geht von dieser fiktiven Annahme aus und ist zeitlich angesiedelt im Februar 1971, kurz vor dem großen San-Fernando-Valley-Erdbeben, die Aufbruchstimmung der Sechziger ist vorbei, der Vietnam-Krieg in vollem Gange, und Charles Manson steht vor Gericht.
Schwarzenegger – finanziell abgebrannt und hochmotiviert, dies zu ändern – wird in einen Fall von Heroinschmuggel verwickelt, gerät Drogendealern in die Quere und versucht auf seinem irrlichternden Weg durch ein Los Angeles der Popmusik und der Filmbranche den Stoff irgendwie zu Geld zu machen.
Der berühmte Österreicher Arnold Schwarzenegger feiert am 30. Juli 2017 seinen siebzigsten Geburtstag. Und dieser atmosphärisch dichte Roman zeigt, dass in seinem Leben alles auch ganz anders hätte kommen können.
SpracheDeutsch
HerausgeberMilena Verlag
Erscheinungsdatum31. Juli 2017
ISBN9783903184091
Hasta la vista, baby: Roman

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    Buchvorschau

    Hasta la vista, baby - Wolfgang Pollanz

    1966)

    1

    Den ersten Erdstoß spürte er ziemlich genau um 6 Uhr, als sie das, was El Cid beschönigend ihre kleine Transaktion nannte, schon hinter sich gebracht hatten. Es fühlte sich an, als würde einer dieser tonnenschweren Trucks neben ihm auf der Straße fahren und den Boden in Bewegung bringen. Es war noch fast dunkel, nur Richtung Osten, hinter den Bergen des Angeles National Forest, war schon ein Anflug von Tagesbeginn zu erahnen. Wären die Umstände andere gewesen, hätte er sich wahrscheinlich auf den Sonnenaufgang und einen entspannten und relativ milden Vorfrühlingstag gefreut. An dieser Autobahnunterführung, wo die Interstate 5 auf die Interstate 210 trifft, angekommen, hatte er versucht, ein wenig zu entspannen, während er auf die Typen wartete, die er hier noch vor Sonnenaufgang treffen sollte. Die Erdstöße waren die ersten des sogenannten San-Fernando-Valley-Erdbebens vom 9. Februar 1971, das nur 12 Sekunden dauerte, aber mehr als sechzig Menschen das Leben kostete und dessen Epizentrum jenseits der San Gabriel Mountains in mehr als 8000 Metern Tiefe lag, nur wenige Meilen von dem Platz entfernt, an den ihn die Ereignisse der letzten drei Tage genau um diese Uhrzeit geführt hatten. Eigentlich hatte Arno – in Wahrheit hieß er Arnold, aber sein früherer Promoter hatte ihm verboten, den Namen zu verwenden, weil es schon einen Bodybuilder ähnlichen Namens gab – Weissenegger gehofft, dass nach all den mageren Monaten als erfolgloser Privatdetektiv, die er hinter sich hatte, mit diesem Deal sein Leben die entscheidende Wende zum Besseren nehmen würde. Aber es war dann doch alles anders gekommen.

    Er war eine halbe Stunde zu früh bei dem Treffpunkt gewesen, weil er nach allem, was passiert war, einerseits aufgedreht war, als hätte er tagelang nicht geschlafen, andererseits auch nicht genau hatte abschätzen können, wie lange er um diese frühe Uhrzeit für die Strecke von Santa Monica herauf brauchen würde. Als er den San Diego Freeway erreichte, stand der Erdtrabant noch groß über dem Pazifik, und es sah ein wenig gespenstisch aus, weil es wie so oft um diese Jahreszeit an der Küste nebelig war. Für den späten Abend war eine totale Mondfinsternis angekündigt und es fiel ihm ein, dass er Tamara ein romantisches Dinner versprochen hatte, mit Kerzenlicht, ein paar Joints und eisgekühltem Mateus Rosé. Dass es nach alledem aber noch dazu kommen würde, war wirklich unwahrscheinlich. Ganz sicher war sie stinksauer und wütend, weil er sie in diese Situation gebracht hatte, und es war wohl das Ende ihrer Beziehung, zumindest der Beginn davon. Im Autoradio seines Volkswagens hatte er während der Fahrt gehört, dass Apollo 14 schon wieder auf dem Rückweg vom Mond zur Erde war, der Astronaut Alan Shepard hatte dort oben sogar Golf gespielt, aber die Bilder davon interessierten die Amerikaner überhaupt nicht mehr, sie waren nach der Euphorie der ersten Mondlandung wieder in der Wirklichkeit angekommen und es plagten sie ganz andere Sorgen. Auch ihm war das alles völlig egal, denn er hoffte nur noch, der Alptraum der letzten Tage würde endlich ein Ende haben. Eigentlich konnte er froh sein, dass er noch am Leben war, dass es ihm nicht wie diesem chinesischen Pfandleiher ergangen war, dessen Leichnam seit drei Tagen in der Hall of Justice in der West Temple Road lag. Wer dort landete, so hieß es in Los Angeles, hatte wohl auch im Leben nicht viele Freunde gehabt. Seit einigen Stunden leistete ihm, auch wenn die beiden höchstwahrscheinlich keine richtigen Kumpel gewesen waren, der Unglücksrabe Stevie Boy dort Gesellschaft, wobei die Umstände von dessen Tod wohl ein wenig andere gewesen waren. Er selbst hatte jedenfalls nicht die Absicht, dort im Kühlraum auch noch stummer Gast zu werden. Nein, er würde sich vorsehen, denn Leichtsinn konnte in dieser verdammten Stadt und in dieser verdammten Angelegenheit tödlich sein.

    An der Unterführung angekommen, die man ihm beschrieben hatte, stellte er den Motor ab, schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen zu einer Stelle unterhalb der neu gebauten Autobahnbrücke ausrollen, von der er, sollte das Treffen eine unschöne Wendung nehmen, so schnell wie möglich flüchten konnte. Das Radio stellte er zuerst leiser und suchte dann noch eine Station, die um diese Zeit Musik spielte. Das einzige Licht im Wagen kam jetzt vom orange schimmernden Display, das die Tasche mit dem Heroin und die Walther Automatic, die entsichert und griffbereit auf dem Beifahrersitz daneben lag, spärlich beleuchtete. Um seine Zweifel und seine Ängste zu beschwichtigen, vergewisserte er sich kurz, ob Camarillas Tarotkarte noch in seiner Brusttasche steckte. Er wusste, sie würde ihm Glück bringen, und deshalb legte er sie wie einen Talisman auf das Armaturenbrett. Bevor er sich zurücklehnte, um ein wenig lockerer zu werden, sondierte er noch diesen seltsamen und völlig abgelegenen Ort, an den man ihn bestellt hatte. Ein wenig Bauschutt lag herum und irgendwelche Holzteile, die wohl auch von der Baustelle stammten, lehnten an einer Mauer. Auf einem blechernen Mistkübel, der an der Straße stand, hatte jemand zwischen den Buchstaben des Wortes WASTE Punkte eingefügt, so als stünden diese für irgendeine Abkürzung. Eine geheime Botschaft vielleicht, kam es ihm in den Sinn, so etwas wie We All See The End, möglicherweise das Motto einer dieser durchgedrehten Endzeit-Sekten, die nicht erst seit den Manson-Morden von Nordkalifornien bis runter nach Mexiko ihr Unwesen trieben; er selbst allerdings hätte es gerne gelesen als die ihn betreffende ultimative Frage: Will Arno Save The Earth?, als Hinweis auf seinen Job als Privatdetektiv, der Los Angeles, die USA und die ganze Welt vor dem Bösen retten würde, und es kam ihm der Gedanke auszusteigen und den Buchstaben ein Fragezeichen hintanzusetzen. Aber eigentlich ging es jetzt nur darum, seine Freundin und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wie konnte er nur auf so dumme Ideen kommen? Die Welt war sowieso nicht zu retten. Zumindest nicht von einem unbedeutenden Typen wie ihm.

    Als nach einiger Zeit, und auch um einiges früher als vereinbart, der fremde Lieferwagen mit der Aufschrift Cienfuegos Import und mit einer Nummerntafel, von der er nur den Buchstaben T und die Zahl 800 erkennen konnte, auf der anderen Seite der Straße auftauchte, kam aus dem Radio eine alte Nummer von Buffalo Springfield, deren erste Textzeile ihm danach immer und immer wieder im Kopf herumging, so lange, bis sie alles hinter sich gebracht hatten und sein Mädchen endlich neben ihm saß, die Erdstöße begannen und sie sich schleunigst aus dem Staub machten, bevor die Autobahnbrücke zusammenstürzte: Something is happening here, what it is ain’t exactly clear …

    2

    Drei Tage vorher überquerte Arno Weissenegger zeitig am Morgen auf dem Weg zu Zucky’s Delikatessen, wo er seine Freundin Tamara treffen und frühstücken wollte, den Wilshire Boulevard. Für den 6. Februar war es relativ warm, tagsüber würden es vielleicht sogar 60°F werden, hatte er während des Aufstehens den Moderator in der Morning Show von Radio KDAY sagen gehört. Diese Amerikaner mit ihren Fahrenheit, dachte er, wie sollte er sich nur daran gewöhnen, 60 Grad klangen verdammt heiß, doch wenn er es sich richtig gemerkt hatte, waren das gerade mal 15 Grad Celsius. Kalifornien hatte er sich zu Hause in Europa immer wärmer vorgestellt, von endlosen Sommern, von Sonne, Strand und Meer geträumt. Aber immerhin, es war nicht wirklich kalt; gerade war er an einem Manzanita-Strauch vorbeigekommen, der mitten im kalifornischen Winter rosa Blüten trug, die ihn an die Blumen im Garten seiner Mutter erinnerten. In dem Dorf, in dem seine Eltern lebten, hatte es wahrscheinlich gerade Minusgrade, ein eisiger Wind fegte durch das Tal, der See in der Nähe seines Heimathauses war zugefroren und die Kinder aus der Nachbarschaft spielten jetzt dort mit den Eisstöcken, so wie er und sein Bruder es im Winter immer gemacht hatten. Einen richtigen Eisstock hatten sie sich nie leisten können, ein großer, glatter Stein tat es auch. Einmal hatten sie sogar versucht, einen Griff anzubringen, er wollte ein Loch bohren, um einen Holzstecken zu befestigen, aber der Stein brach auseinander und sein Bruder nannte ihn daraufhin einen ungeschickten Tölpel, der zwar stark sei, aber sonst nichts auf die Reihe bringe. Bis heute ärgerte er sich darüber, dass Reinhard ihn stets besiegt hatte. Bei allem hatte er ihn geschlagen, bei den Brettspielen, in den schulischen Leistungen, sogar beim Sport; auch deswegen hatte der Vater den Älteren stets bevorzugt, egal wie sehr der Jüngere sich anstrengte. Dass er auch beim Schilaufen der Bessere war, das konnte er verschmerzen. Überhaupt konnte er auf jede Art von Wintersport gerne verzichten, die kalte Jahreszeit in Europa hatte er nie wirklich gemocht und das Getue um die Schiläufer in seiner Heimat überhaupt nicht verstanden. Die wurden dort wie Helden verehrt, waren Fernsehstars und die Lieblinge aller Österreicher, doch Leute wie er, die genauso viel geleistet hatten und nicht auf den Schipisten trainierten, sondern zum Bodybuilding gingen, wurden nur schief angeschaut. Aber selbst das war jetzt vorbei für ihn, mit dem Trainieren hatte er abgeschlossen, es interessierte ihn nach dem Unfall nicht mehr, auch weil ihm klar geworden war, dass es hier in den Staaten dabei nur um Eitelkeit, Steroide und zweideutige Fotos für billige Magazine ging. Und dann noch dieser saublöde Name. Arnold Big hätte er auf der Bühne heißen sollen, das hatte ihm sein Promoter Jack Ryder geraten, weil die Amerikaner seinen für sie fremd klingenden Namen einfach nicht aussprechen konnten. Aber er war und blieb ein Weissenegger, ein echter Weissenegger, und mit seinem richtigen Namen hätte er gerne seinen Vater beeindruckt, um ihm zu beweisen, dass er kein Versager war, dass er auch etwas auf dem Kasten hatte, auch wenn er anders war als sein stets bevorzugter Bruder. Der dumme Autounfall jedoch hatte dann alles ganz, ganz anders kommen lassen.

    Er war gerade einmal eine Woche in den USA gewesen, als ihm einer seiner neuen Bodybuilder-Freunde am Venice Beach sein Auto für eine kleine Spritztour lieh. Und was für ein großartiges Auto! Einen Pontiac GTO mit über 300 PS, so einen unglaublichen Wagen war er noch nie gefahren und er hatte damals in Deutschland schon mit einigen sehr schnellen Autos die Straßen unsicher gemacht. Die Strafzettel, die er zu jener Zeit erhielt, waren meist im Papierkorb gelandet, es war ihm einfach egal gewesen, weil er von all dem Zeug, das er damals schluckte, um seine Muskeln aufzubauen, aufgedreht und meistens auf hundert war – und das nicht nur beim Autofahren. Eigentlich schämte er sich heute dafür, besonders vor Tamara, die aus ihm einen völlig anderen Menschen gemacht hatte. Ihr davon zu erzählen, vermied er tunlichst, auch wenn sie ihn immer wieder damit löcherte, mit all den Geschichten aus seinem früheren Leben herauszurücken; wie er sich auf dem Oktoberfest geprügelt hatte, wie er einer alten Dame in einem Lokal ihren Pudel weggenommen und die Frau zu Tode erschreckt hatte, weil er so tat, als wolle er nach all den Schnitzeln und Würsten auch noch den Hund verspeisen; leid tat ihm heute auch dieser Verehrer und Bewunderer aus Graz, der unbedingt so wie er werden wollte, bei dem aber alles Training nichts half. Er hatte nur Spaß gemacht und ihm scherzhaft geraten, täglich einen Löffel Salz und Nüsse zu sich zu nehmen, am ersten Tag einen, am zweiten Tag zwei, am dritten drei, und das dreißig Tage lang, dann werde er Muskeln bekommen. Der Idiot hatte ihm das geglaubt und war nach zwei Wochen mit Bluthochdruck und einer Salzvergiftung im Spital gelandet. Noch heute verstand er nicht, wie jemand so dumm sein konnte. Und dann noch dieser blutjunge Anfänger in Putzigers Hercules-Studio in München. Der war Bergsteiger und hatte ihn gefragt, wie man im Studio anerkanntes Mitglied werden konnte, und er hatte ihm geantwortet, er müsse aus dem zweiten Stock runter auf die Straße klettern, dann sei er voll dabei. Dass auch der Bergsteiger ihn beim Wort nahm und sich dabei nicht das Genick brach, war Glück gewesen. Dachte er heute darüber nach, wie sehr er sich damals über Menschen lustig gemacht hatte, war ihm das mehr als unangenehm. Der Sarkasmus jener Tage war ihm längst vergangen, in Amerika war man geradlinig, und alle wirkten immer irgendwie ehrlich, auch wenn sie es oft gar nicht waren. Noch konnte er das alles nicht richtig einschätzen, diese Unverbindlichkeit, dieses ewige Gut-drauf-Sein und Dauerlächeln der Kalifornier, egal ob es Hippies waren oder Geschäftsleute. Eines allerdings war ihm ganz schnell klar geworden: Diese speziell österreichische Art von derbem Humor, die ihn in Graz und München seine Späße hatte aushecken lassen, verstand hier in Kalifornien keiner.

    All die Raufereien, die durchzechten Nächte, die Autofahrten von München nach Salzburg waren glimpflich abgegangen, doch die Sache mit dem GTO gab ihm den Rest. Es war, als wäre der Unfall die Vergeltung gewesen für all den Unsinn, den er bis dahin in seinem Leben getrieben hatte, als wären die Warnungen des Vaters doch wahr geworden, genauso wie die Ängste seiner Mutter. Eigentlich hatte er nur so schnell wie möglich hinauf zu Vince’s Gym in Studio City fahren wollen, um dort zu trainieren, weil der gute Vince Gironda ganz eigene Ideen hatte und sogar die Hollywood-Bosse ihre Stars dorthin schickten, wenn ein bisschen Erfolg sie faul und nachlässig werden ließ. Es war ein kühler und nebeliger Oktobermorgen, und was er erst schmerzhaft lernen musste, war, dass die Straßen in Kalifornien bei Nieselwetter sehr glatt sein können. In Europa war er selbst bei Schneefall und Glätte beim Fahren sehr sicher gewesen, wenn er etwas gut konnte, dann Autofahren. Das dachte er bis dahin zumindest; sogar der Gedanke, vom Bodybuilding zum Rennsport zu wechseln, war ihm schon gekommen. Gut gelaunt und noch immer aufgeregt, weil er jetzt endlich im Land seiner Träume angekommen war, fuhr er über den Ventura Boulevard Richtung Osten, vorbei an Sherman Oaks, wo er auf der langen Geraden richtig aufs Gas stieg, um die 350 PS zu testen. Er spürte wie der V8-Motor mit seinen 6500 Kubik seinen Körper zum Vibrieren brachte und in ihm nicht zum ersten Mal das Gefühl einer Unverletzlichkeit aufsteigen ließ, etwas, das – so dachte er damals – aus ihm etwas Besonderes, etwas Auserwähltes machte. So hätten ihn sein Vater und sein Bruder sehen sollen, wie er in diesem Auto mit den blitzenden Chromstoßstangen durch Los Angeles fuhr, ihnen wäre die Spucke weggeblieben, und keiner hätte mehr vom jüngeren Sohn als nichtsnutzigem Versager gesprochen. Aus dem Autoradio kam Jeannie C. Riley mit Harper Valley PTA, der Song war die Woche zuvor die Nummer Eins in den Charts gewesen, und er erinnerte sich, dass er ihn schon in der Umkleidekabine gehört hatte, als er in Atlantic City bei diesem lächerlichen Contest aufgetreten war, seinem ersten in den USA, bei dem nichts, absolut nichts geklappt hatte und er sich neben all den braungebrannten amerikanischen Muskelmännern wie eine bleiche bayrische Weißwurst vorgekommen war. Die Scheinwerfer waren grell gewesen wie auf einer Fleischbeschau und er hatte dadurch noch weißer gewirkt. Marshmallow hörte er jemanden über ihn sagen an diesem Tag. Erst später, als er endlich in Santa Monica und am Muscle Beach angekommen war, traute er sich Jack Ryder zu fragen, was das Wort bedeutete. Dies alles würde er wettmachen, war er in jenen ersten Tagen in den Staaten überzeugt, so leicht wollte er sich nicht unterkriegen lassen, immerhin war er in Paris Mr. Muscle geworden und hatte Ehrgeiz und den Willen, es auch in Amerika zu schaffen. Gerade hatte er die Kreuzung zum Laurel Canyon Boulevard passiert, als er noch einmal die Geschwindigkeit erhöhte. Dann wurde im Radio eine neue Nummer der Beatles angekündigt, Hey Jude, die er aber gleich langweilig fand, weil sie so gar nicht zu diesem unglaublichen Wagen und seinem Tempo passte. Also versuchte er einen anderen Sender zu finden, den richtigen Soundtrack zu dieser Fahrt. Dadurch abgelenkt bemerkte er erst im letzten Moment eine Kurve und griff instinktiv zum Schalthebel, weil der GTO anders als die meisten amerikanischen Autos kein Automatik-Getriebe hatte. Dass der Pontiac der hohen Geschwindigkeit und seines leichten Gewichtes wegen dazu neigte, die Bodenhaftung zu verlieren, wusste er nicht. Der Wagen schleuderte und drehte sich wie wild, zwei- oder dreimal, ganz genau konnte er sich nicht mehr daran erinnern, er geriet auf die Gegenfahrbahn, noch immer war es nebelig und feucht, und nicht nur weil die Sicht schlecht war, rammte ihn ein VW-Käfer auf der Beifahrerseite, dann krachten noch ein paar Autos in den Volkswagen und die Massenkarambolage keine fünfzig Meter von Vince’s Gym entfernt war perfekt. Fünfzig Meter! Bis heute wusste er nicht, was er sich dabei gedacht hatte. Hatte er am Studio vorbeirasen wollen, um seine Kollegen dort zu beeindrucken, hatte er sich nicht mehr genau an die Adresse oder an das Gebäude erinnert, obwohl er am Tag vorher schon dort gewesen war? Panisch kletterte er aus dem Wagen, sah, dass sein rechtes Knie blutete. Die Konsole zwischen den beiden Sitzen war zertrümmert und ein großer Plastiksplitter steckte in seinem Oberschenkel. Verwirrt lief er rüber zum Gym und bat dort um Hilfe; doch weil er in seinem Schock und in seiner Verwirrung Deutsch und das bisschen Englisch, das er damals konnte, vermischte, verstand ihn keiner; nur einer der Bodybuilder erkannte ihn, riet ihm, sofort zurück zum Auto zu gehen, egal, wie sehr er humpelte, egal, welche Schmerzen er hatte, weil er sonst wegen Fahrerflucht belangt werden könne. Richtig verstand er das alles erst später, doch die Polizisten waren freundlich und Bill Drake, der

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