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Konfessionskunde: Handbuch der Ökumene und Konfessionskunde
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eBook724 Seiten8 Stunden

Konfessionskunde: Handbuch der Ökumene und Konfessionskunde

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Über dieses E-Book

Ökumene lebt von der Begegnung mit Christen anderer Konfessionen. Damit Ökumene gelingen kann, ist es notwendig, das Selbstverständnis der anderen Christen kennenzulernen, sich mit ihrem Glauben, ihrer Identität und ihrer Lebensweise auseinanderzusetzen. Dies zu ermöglichen, ist Aufgabe und Ziel der Konfessionskunde. Das vorliegende Buch geht diese Aufgabe aus der Perspektive der einzelnen Kirchen an, insofern weitgehend Autoren, die selbst in dieser Tradition aufgewachsen sind, über ihre Konfession schreiben. Dabei werden nicht nur die "klassischen" Konfessionsfamilien (Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner, Lutheraner, Reformierte), sondern auch christliche Gemeinschaften mit einer kürzeren Geschichte (vor allem aus dem freikirchlichen und charismatischen Bereich) in den Blick genommen. Ausgangspunkt ist jeweils die gegenwärtige Situation, die sodann im Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung, durch die Darstellung der Besonderheiten in der Ausprägung der Glaubenslehre und die Beschreibung identitätsstiftender Momente des Glaubenslebens erklärt wird. Die Einstellung der verschiedenen Kirchen zur Ökumene und ihr Engagement in diesem Bereich kommen ebenfalls zur Sprache. Diese neue Konfessionskunde ermöglicht einen authentischen Einblick in die Vielfalt der christlichen Kirchen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Juni 2017
ISBN9783897107458
Konfessionskunde: Handbuch der Ökumene und Konfessionskunde

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    Buchvorschau

    Konfessionskunde - Bonifatius Verlag

    Werke.

    KAPITEL 1

    DIE KATHOLISCHE KIRCHE

    Johannes Oeldemann

    Wenn im deutschsprachigen Raum von der katholischen Kirche die Rede ist, denken die meisten Menschen an die „römisch-katholische Kirche, also an jene Glaubensgemeinschaft, zu deren Identitätsmerkmalen die Verbundenheit mit dem Bischof von Rom zählt. Aus Sicht der säkularen Gesellschaft und der Medien ist der Papst ohne Zweifel die „Stimme oder das „Gesicht der katholischen Kirche und prägt daher ihre Wahrnehmung im außerkirchlichen Bereich. Dennoch denken viele Katholiken, wenn sie über „ihre Kirche sprechen, nicht zuerst an den Papst im fernen Rom, sondern eher an ihre Heimatgemeinde oder vielleicht an die Diözese, zu der diese Gemeinde gehört.

    Wenn man katholische Christen fragt, was ihr Katholischsein ausmacht, dann werden sie – bei allen Nuancen im Detail – in der Regel drei wesentliche Aspekte nennen, an denen sich ihre katholische Identität festmacht: An erster Stelle dürften bestimmte Gottesdienstformen stehen, die durch das Hineinwachsen in die Gemeinde vertraut sind (die sonntägliche Eucharistiefeier, Erstkommunion und Firmung als bewusst gefeierte Initiationssakramente, Kreuzweg und Fronleichnamsprozession als verbreitete Formen der Wallfahrt); an zweiter Stelle steht das Bewusstsein, seinen Glauben mit einer weltweiten Glaubensgemeinschaft zu teilen (was sich besonders bei Reisen zeigt, bei denen ein Katholik sich praktisch in jedem Land der Erde heimisch fühlen kann, weil der Sonntagsgottesdienst derselben Grundstruktur folgt, was aber auch durch die Weltjugendtage oder Partnerschaften mit Gemeinden auf anderen Kontinenten im Bewusstsein der Gläubigen verankert ist); schließlich, aber für die meisten Katholiken wohl erst an dritter Stelle, spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass der Papst in Rom ein gemeinsamer Bezugspunkt für alle Katholiken weltweit ist (was durch seine Rolle bei Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, für die Gläubigen aber primär durch den an Ostern und Weihnachten gespendeten Segen „urbi et orbi", Pilgerreisen nach Rom sowie die aufmerksam verfolgte Papstwahl erfahrbar wird und erst sekundär durch Lehrschreiben des Papstes und Verlautbarungen der päpstlichen Kurie). Die Feier der Liturgie, der weltkirchliche Horizont und die Verbundenheit mit dem Papstamt zählen somit zu den identitätsstiftenden Merkmalen der katholischen Kirche.

    Bevor wir näher auf die Bedeutung dieser drei Aspekte eingehen, muss zunächst noch die Frage geklärt werden, was mit dem Begriff „katholisch gemeint ist. Wenn Katholiken sich im Apostolischen Glaubensbekenntnis zur „heiligen katholischen Kirche bekennen, ist damit nicht die römischkatholische Kirche im Sinne einer konfessionell bestimmten Glaubensgemeinschaft gemeint, sondern die „allumfassende Kirche Jesu Christi – die „Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten, wie es der Ökumenische Rat der Kirchen einmal umschrieben hat. Das griechische Wort „katholikos bezeichnet den Anspruch der Kirche, „für alle da zu sein, und steht für die Gemeinschaft „mit allen, die an Christus glauben. Die Katholizität der Kirche gründet im umfassenden Heilswillen Gottes, der die ganze Menschheit in Christus mit sich versöhnen und dadurch die Gemeinschaft aller mit Christus und untereinander begründen will. Der Begriff „katholisch hat also sowohl eine qualitative Bedeutung (im Blick auf die von Gott in Christus angebotene Fülle des Heils) als auch eine geografische Bedeutung (im Blick auf die universale Sendung der Kirche). Weil es schwierig ist, beide Bedeutungsebenen mit einem deutschen Begriff adäquat wiederzugeben, verwenden Katholiken in Deutschland im Glaubensbekenntnis das Wort „katholisch". Das ist aber nur dann legitim, wenn den Gläubigen zugleich katechetisch nahegebracht wird, dass damit keine Konfessionsbezeichnung gemeint ist.

    Die Verwendung des Wortes „katholisch im Sinne einer Konfessionsbezeichnung ist eine konfessionelle Engführung des Begriffs, die sich nur auf dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung (s. u.: Abschnitt 2) erklären lässt. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die „katholische Kirche immer mehr mit der „römischen Kirche gleichgesetzt. Dass damit zugleich den anderen christlichen Kirchen ihre „Katholizität abgesprochen wurde, ist eine Tatsache, die erst im Zuge der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert problematisiert wurde. Heute sprechen wir von der römisch-katholischen Kirche als einer der großen Konfessionsfamilien, wobei Katholiken davon überzeugt sind, dass die Kirche Jesu Christi in ihr gegenwärtig ist und eine konkrete geschichtliche Gestalt gefunden hat. Diesen Anspruch erheben allerdings auch die anderen Konfessionen. Was das für die Verhältnisbestimmung zwischen der katholischen Kirche und den anderen christlichen Kirchen bedeutet, wird noch zu bedenken sein (s. u.: Abschnitt 3). Aus katholischer Sicht besteht jedenfalls ein unlösbarer Zusammenhang zwischen der im Glaubensbekenntnis bekannten Katholizität der Kirche und der konkreten Sozialgestalt der römisch-katholischen Kirche.

    In ihrer konkreten Sozialgestalt umfasst die katholische Kirche nicht nur die Katholiken des lateinischen (westlichen) Ritus, sondern auch Katholiken, die in den (mit Rom) „unierten Ostkirchen verschiedenen östlichen Ritusfamilien angehören. Dies führt uns zu einer weiteren begrifflichen Differenzierung: Mit „römisch-katholisch werden im Folgenden die Katholiken bezeichnet, die dem westlichen (lateinischen, von der römischen Liturgie geprägten) Ritus folgen. Das Wort „griechisch-katholisch bezeichnet die katholischen Ostkirchen, die dem griechisch-byzantinischen Ritus angehören. Unter dem Begriff „orientalisch-katholisch werden schließlich die katholischen Ostkirchen zusammengefasst, die aus den verschiedenen orientalischen Ritusfamilien (äthiopisch, armenisch, koptisch, ostsyrisch, westsyrisch) hervorgegangen sind. Diese innerkatholische Vielfalt ist vielen Christen – auch den meisten Katholiken – in Deutschland kaum bekannt. Daher beginnt der Überblick über die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche mit einem Überblick über die weltweite Verbreitung, bevor anschließend die kirchlichen Strukturen im deutschsprachigen Bereich beschrieben werden.

    1.GEGENWART

    Weltweit stellen die Katholiken mit ca. 1,23 Milliarden Gläubigen (Stand: 2014) die größte christliche Konfessionsfamilie dar. Die römisch-katholische Kirche, die alle Katholiken des lateinischen Ritus umfasst, ist heute eine „Weltkirche", der ca. 1,21 Milliarden Gläubige auf allen Kontinenten angehören. Sie ist untergliedert in mehr als 3.000 Diözesen, die jeweils von einem Bischof geleitet werden. Verbindende Elemente sind die Glaubenslehre der katholischen Kirche (s. u.: Abschnitt 3) und der römische bzw. lateinische Ritus, der eine einheitliche Grundstruktur der Gottesdienste und sakramentalen Feiern gewährleistet, obwohl die Liturgiesprache heute in der Regel die Landessprache ist. Daneben gibt es eine große Vielfalt in den Formen der Verkündigung, der Glaubensvermittlung, des diakonisch-karitativen Engagements und der Präsenz in der Gesellschaft.

    Trotz dieser innerkirchlichen Vielfalt hat die römisch-katholische Kirche es verstanden, ihre Einheit weitgehend zu bewahren. Eine besondere, einheitsstiftende Kraft kommt dabei dem Bischof von Rom zu, der als Papst an der Spitze des Bischofskollegiums der katholischen Kirche steht und damit die Kirche in und gegenüber der Welt repräsentiert. Die geschichtlich gewachsene Bedeutung des Papsttums (s. u.: Abschnitt 2) wurde im 20. Jahrhundert durch die Globalisierung und die Fixierung der Medien auf wenige Führungspersönlichkeiten noch einmal verstärkt. Auch wenn die Stimme des Papstes heute praktisch weltweit gehört werden kann, wird das konkrete Glaubensleben weiterhin meistens durch den Pfarrer vor Ort (weltweit gibt es mehr als 414.000 katholische Priester) bzw. den Ortsbischof (weltweit gibt es ca. 5.100 katholische Bischöfe) geprägt. Eine wichtige Rolle spielen in der katholischen Kirche neben den Pfarreien und Diözesen auch die Ordensgemeinschaften: Weltweit gibt es ca. 134.000 Ordenspriester, ca. 55.000 Ordensbrüder (männliche Ordensangehörige, die nicht die Priesterweihe empfangen haben) sowie ca. 700.000 Ordensschwestern. Auch Laien wirken in vielen katholischen Diözesen in der Seelsorge mit – größtenteils als ehrenamtliche Katechetinnen und Katecheten (weltweit gut drei Millionen), im deutschsprachigen Raum auch als hauptamtliche Pastoral- oder Gemeindereferentinnen und -referenten.

    Überblick: Die römisch-katholische Kirche weltweit

    In Europa liegt der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung bei knapp 40 % mit großen, historisch bedingten Unterschieden von Land zu Land. So zählen die Katholiken in Italien, Polen und Spanien auch heute noch jeweils über 90 % der Bevölkerung. In Frankreich, Irland, Litauen, der Slowakei und Slowenien sind um die 75 % der Bewohner katholisch. Dagegen beträgt der Anteil der Katholiken in Großbritannien und Rumänien nur knapp 10 %, in Skandinavien und Griechenland liegt er unter 2 %.

    In Deutschland leben 24,2 Millionen Katholiken (Stand: 2013), d. h. etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung gehört der katholischen Kirche an. Kirchlich gliedert sich die katholische Kirche in Deutschland in 27 Diözesen, die in sieben Kirchenprovinzen mit den Erzdiözesen Bamberg, Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln, München-Freising und Paderborn zusammengeschlossen sind. Die größte Diözese ist mit ca. 2 Millionen Katholiken das Erzbistum Köln, die kleinste mit ca. 29.000 Gläubigen das Bistum Görlitz. Was den Anteil der Katholiken an der Bevölkerung betrifft, gibt es große regionale Unterschiede: Im Norden und Osten Deutschlands bilden die Katholiken eine Minderheit (ca. 7 % im Erzbistum Hamburg, ca. 3 % im Bistum Dresden-Meißen), während sie im Süden in der Regel die Mehrheit stellen (im Bistum Passau 89 %, im Bistum Regensburg 70 % der Bevölkerung). Durchschnittlich nehmen 10,8 % der Katholiken in Deutschland regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teil – mit deutlichen regionalen Unterschieden (20,1 % im Bistum Görlitz, 8,3 % im Bistum Aachen). Die Zahl der Pfarreien (11.085) und der Priester (14.490, davon 12.336 Diözesanpriester und 2.154 Ordenspriester) ist in den letzten Jahren zurückgegangen, während die Zahl der – in der Regel verheirateten – Ständigen Diakone (3.210), der Pastoral-referentinnen und -referenten (Laien im pastoralen Dienst, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Theologie haben: 3.140) sowie der Gemeindereferentinnen und -referenten (Laien im pastoralen Dienst, die an einer Fachhochschule studiert haben: 4.470) leicht gestiegen ist. In allen deutschen Diözesen stehen derzeit größere oder kleinere Strukturreformen an, durch die auf die zurückgehende Zahl der Gläubigen und Seelsorger reagiert werden soll.

    Im Unterschied zu Deutschland stellen die 5,3 Millionen Katholiken in Österreich nach wie vor die Mehrheit der Bevölkerung (ca. 65 %), auch wenn sowohl die absoluten Zahlen als auch der relative Anteil in den letzten Jahren gesunken sind. In Österreich gibt es zwei Erzbistümer (Salzburg und Wien), denen die übrigen sieben Diözesen des Landes zugeordnet sind: Zur Salzburger Kirchenprovinz gehören die Diözesen Feldkirch, Graz-Seckau, Gurk und Innsbruck, zu Wien die Diözesen Eisenstadt, Linz und St. Pölten. In den 3.051 Pfarreien Österreichs (Stand: 2013) sind 2.218 Weltpriester und 656 Ständige Diakone tätig. In den österreichischen Klöstern leben 1.525 Ordenspriester, 504 Ordensbrüder und 4.241 Ordensschwestern. Der Anteil der Gottesdienstteilnehmer liegt in Österreich bei durchschnittlich 11,4 %.

    In der Schweiz liegt der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung bei ca. 38 %, wobei es große Unterschiede zwischen traditionell katholischen Kantonen (z. B. Freiburg, Wallis), primär reformierten Kantonen (z. B. Bern, Zürich) und ursprünglich paritätischen Kantonen (z. B. Aargau, Graubünden) gibt. Die 3,2 Millionen Schweizer Katholiken gehören zu sechs Diözesen (Basel, Chur, Lausanne-Genf-Freiburg, Lugano, Sitten, St. Gallen) und zwei Territorialabteien (Einsiedeln und Saint-Maurice). In den Schweizer Diözesen spielen neben den 1.503 Diözesanpriestern und 246 Ständigen Diakonen viele Pastoralreferentinnen und -referenten eine große Rolle in der Seelsorge in den insgesamt 1.635 Pfarreien (Stand: 2012). Vergleichsweise hoch ist die Zahl der Ordensangehörigen in der Schweiz mit 1.445 Ordensmännern (davon 1.007 Ordenspriester) und 5.042 Ordensfrauen. Eine statistische Erfassung der Gottesdienstteilnehmer liegt für die Schweiz nicht vor. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die Zahlen in einer ähnlichen Größenordnung wie in Deutschland und Österreich bewegen – mit einer fallenden Tendenz in den letzten Jahrzehnten.

    Eine umgekehrte Entwicklung ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten in den mit Rom unierten Ostkirchen zu beobachten. Hier ist die Zahl der Gläubigen wie auch der Priester fast überall gestiegen, zum Teil bedingt durch das Ende der kommunistischen Herrschaft in vielen Staaten Osteuropas, zum Teil als Folge aktiver Missionstätigkeit, vor allem in Indien. Diese katholischen Ostkirchen sind im Laufe der Kirchengeschichte entstanden, weil sich entweder Rom um Unionsabschlüsse mit einzelnen orthodoxen Kirchen bemüht hatte, um die zerbrochene Einheit zwischen den Kirchen in Ost und West wiederherzustellen, oder weil diese Kirchen von sich aus um eine Union mit Rom nachsuchten, von der sie sich eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung erhofften. Beim Abschluss der Union wurde diesen Kirchen in der Regel gestattet, ihren eigenen Ritus beizubehalten, so dass diese Kirchen ihre Gottesdienste bis heute in derselben Form feiern wie die orthodoxen Kirchen, aus denen sie hervorgegangen sind. Mit Billigung Roms befolgen diese Kirchen auch das östliche Kirchenrecht, das beispielsweise die Weihe verheirateter Männer zu Priestern erlaubt. Auch wenn diese Kirchen damit ein positives Zeichen für die innerhalb der katholischen Kirche mögliche Vielfalt setzen, bilden sie in ökumenischer Hinsicht zugleich einen Stein des Anstoßes. Das liegt daran, dass in fast allen Fällen (eine Ausnahme bildet die Maronitische Kirche) sich jeweils nur ein Teil der Gläubigen der betreffenden Ortskirchen dem Römischen Stuhl anschloss, so dass die Unionsbemühungen letztlich nicht zur Wiederherstellung der Einheit, sondern zur Errichtung paralleler Kirchenstrukturen führten. Bis heute steht beinahe jeder orthodoxen oder orientalisch-orthodoxen Kirche auch eine mit Rom unierte Ostkirche gegenüber. Letztere sind oft erheblich kleiner als die orthodoxen Kirchen, die in der Regel die Kultur des Landes geprägt haben (z. B. in Rumänien, Armenien oder Ägypten), teilweise sind sie heute aber auch größer als ihre orthodoxen Schwesterkirchen (dies ist z. B. bei den Chaldäern im Irak oder bei der Syro-Malabarischen Kirche in Indien der Fall). Ein tabellarischer Überblick verdeutlicht die Vielfalt der katholischen Ostkirchen (Zahlenangaben nach dem „Annuario Pontificio" 2014):

    Überblick: Die katholischen Ostkirchen

    Weltweit gibt es somit etwa 17 Millionen Katholiken, die einer dieser Kirchen angehören. Die zahlenmäßig größte ist heute die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (ca. 4,5 Mill. Gläubige), die auch in Deutschland mit einem Bischof (mit Sitz in München) vertreten ist. Alle katholischen Ostkirchen sind Kirchen eigenen Rechts („ecclesiae sui iuris), für die ein eigenes Kirchenrecht gilt (der „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, kurz CCEO). Einige von ihnen haben den Status eines Patriarchats, weil beim Abschluss der Union ein Patriarch an der Spitze dieser Kirche stand, andere sind als Großerzbistum oder Metropolie (mit eigener Synode) verfasst, die kleineren haben nur den Status eines Bistums (Eparchie) oder eines Apostolischen Exarchats und sind damit der römischen Kongregation für die Ostkirchen unterstellt. Aufgrund von Migration leben viele Gläubige dieser Kirchen inzwischen außerhalb ihrer angestammten Heimat. Teilweise wurden für sie eigene Kirchenstrukturen errichtet; wo das nicht der Fall ist, sind sie dem lateinischen Ortsbischof unterstellt.

    2.GESCHICHTE

    Die 2000-jährige Geschichte der Kirche lässt sich nicht auf wenigen Seiten beschreiben. Daher können in diesem Abschnitt nur einige identitätsstiftende Momente benannt werden, die für die Entwicklung der katholischen Kirche von großer Bedeutung waren und zum Teil bis heute sind. Damit in diesem Überblick nicht nur die institutionelle Seite der Kirche in den Blick genommen wird, werden im Folgenden vier Themenkreise erörtert: die Geschichte der Konzile, die Geschichte des Papsttums, die Geschichte der Orden und die Geschichte der Heiligen. Diese vier unterschiedlichen Perspektiven verdeutlichen die Vielfalt der kirchengeschichtlichen Entwicklung, aus der die Prägung des Selbstverständnisses der katholischen Kirche als einer „allumfassenden" Kirche resultiert. Aufgrund der Fülle des historischen Materials können in jedem Themenkreis nur einige ausgewählte Ereignisse bzw. Personen exemplarisch benannt werden. Das erste Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung wird dabei mit in den Blick genommen, weil hier zum Teil wegweisende Entscheidungen getroffen wurden, auch wenn diese Entwicklung nicht nur die römisch-katholische Kirche geprägt hat.

    2.1Konzile

    Der Glaube der Kirche wurde maßgeblich geprägt durch die Konzile, auf denen Vertreter verschiedener Ortskirchen den rechten Glauben – meist in Abgrenzung von bestimmten Irrlehren – zu definieren suchten. Da die Beschlüsse der Konzile auf die Entwicklung der katholischen Glaubenslehre einen größeren Einfluss hatten als die Entscheidungen einzelner Päpste, werden sie hier an erster Stelle behandelt. Im Blick auf die Geschichte der Konzile sind zunächst die sieben Ökumenischen Konzile des ersten Jahrtausends zu erwähnen, in denen grundlegende Entscheidungen in den christologischen und trinitätstheologischen Debatten der frühen Christenheit getroffen wurden. Von fundamentaler Bedeutung sind insbesondere die Entscheidungen des ersten (Nizäa 325) und des zweiten (Konstantinopel 381) Ökumenischen Konzils im Blick auf die Gottheit Jesu Christi und des Heiligen Geistes, die im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel ihren Niederschlag gefunden haben, das bis heute die Christen aus allen Konfessionen miteinander verbindet. Nach der schon nicht mehr unumstrittenen Entscheidung des dritten Ökumenischen Konzils (Ephesus 431) über die Gottesmutterschaft Mariens begann bereits nach dem vierten Ökumenischen Konzil (Chalkedon 451) die Geschichte der Trennung der Christenheit, weil ein großer Teil der damaligen Christen – die später die Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen bildeten – die Beschlüsse des Konzils bezüglich des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus ablehnte. Das letzte die Kirchen aus Ost und West verbindende Konzil der römischen Reichskirche war das siebte Ökumenische Konzil (Nizäa 787), das die Legitimität der Bilderverehrung bestätigte.

    Besonderheiten in der Lehrentwicklung der westlichen Christenheit zeichnen sich erstmals in den Entscheidungen des 4. Laterankonzils (1215) ab, das über 70 Dekrete erließ, in denen es u. a. um die Sakramente (die jährliche Beichte und Kommunion werden vorgeschrieben; der Begriff „Transsubstantiation wird erstmals auf die Eucharistie angewandt; finanzielle Abgaben für Sakramente werden verboten), um die Sicherung der Qualität der kirchlichen Lehre (Predigt nur mit „missio canonica; an jeder Metropolitankirche soll es einen studierten Theologen geben) sowie um die Durchführung von Reformen in der Kirche (jährliche Provinzialsynoden, regelmäßige Ordenskapitel) ging. Zu den bedeutendsten Konzilen des Spätmittelalters zählt sicher das Konzil von Konstanz (1414-18), dem es einerseits gelang, das Papstschisma (drei parallele Amtsinhaber) zu überwinden, das aber andererseits durch die Verurteilung von Jan Hus ein deutliches Signal gegen die aufkommenden Reformbewegungen setzte und damit indirekt den Weg zur „Reformation" und Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts bereitete.

    Auf die Herausforderung der Wittenberger Reformbewegung, die mit den Namen Martin Luther und Philipp Melanchthon verbunden ist und die zunächst eine innerkirchliche Reform anstrebte, reagierten Papst und Bischöfe mit dem Konzil von Trient (1545-63), das allerdings zu spät einberufen wurde, um den Bruch zwischen den deutschen und schweizerischen Reformatoren und den mit Rom verbundenen Bischöfen noch verhindern zu können. Das Trienter Konzil verurteilte einerseits in seinen Kanones bestimmte Lehrmeinungen der Reformatoren, bot aber andererseits in seinen Lehrkapiteln auch eine positive Darlegung der „katholischen Glaubenslehre. Die nachtridentinische Apologetik bezog sich leider oft nur auf die Kanones, die auf Abgrenzung zur reformatorischen Lehre bedacht waren, während die Lehrkapitel nur unzureichend rezipiert wurden. Durch die Schaffung einer einheitlichen Liturgie („Missale Romanum, 1570 => tridentinischer Ritus), einer verbindlichen Lehrgrundlage („Trienter Katechismus) und die Errichtung von Priesterseminaren in allen Diözesen, in denen beides vermittelt wurde, entstand nach dem Konzil von Trient allmählich eine „katholische Identität in Abgrenzung von den anderen Christen, die zumindest als Schismatiker, zuweilen auch als Häretiker betrachtet wurden. Das Trienter Konzil prägte damit für mehrere Jahrhunderte das Selbstverständnis der katholischen Kirche.

    Als Reformkonzil hatte sich Trient vor allem mit den von den Reformatoren aufgeworfenen Fragen der Gnaden- und Sakramentenlehre befasst. Eine tiefere Reflexion über die Ekklesiologie, also das Wesen der Kirche und das theologische Fundament der Kirchenverfassung einschließlich der Rolle des Papstes und der Bischöfe, setzte erst in nachtridentinischer Zeit ein. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) standen daher erstmals Fragen der Ekklesiologie auf der Tagesordnung eines Konzils. Im Wesentlichen ging es bei diesem Konzil um die Auseinandersetzung mit einer als kirchenfeindlich empfundenen neuzeitlichen Welt, der gegenüber das Konzil die Vernunftgemäßheit des Glaubens und die Souveränität des Papstes betonte. Die in der Konstitution „Pastor aeternus – gegen den Widerstand einer namhaften Minderheit des Konzilsväter – definierte Unfehlbarkeit des Papstes sowie sein Jurisdiktionsprimat sollten die Unabhängigkeit der Kirche vor staatlicher Einflussnahme und die Einheit der Kirche nach innen sichern. Diese „Papstdogmen erfuhren nach dem Konzil eine sehr einseitige Interpretation: zum einen, weil sie aufgrund des vorzeitigen Abbruchs des Konzils (wegen der Annexion des Kirchenstaates durch Italien) ohne die eigentlich vorgesehene Ergänzung um Ausführungen zur Bedeutung des Bischofsamtes verabschiedet wurden und damit ohne „theologisches Korrektiv" blieben, zum anderen, weil in der kirchenrechtlichen Rezeption eine maximalistische Interpretation der Papstdogmen dominierte, die nicht der in der Konzilsaula vorgetragenen Interpretation der Definition entsprach.

    Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) konnte mit einer ausführlichen Darlegung des Selbstverständnisses der katholischen Kirche in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium die Lücke füllen, die das unvollendete Erste Vaticanum hinterlassen hatte. Allerdings geschah dies nun unter veränderten Vorzeichen. Die Kirche wird nicht mehr im Gegenüber zur „sündhaften Welt beschrieben, sondern als pilgerndes Volk Gottes in der Welt, das auch Sünder umfasst und daher auf dem Weg zum Reich Gottes einer „ständigen Reformation bedarf. Die Konzilsväter griffen den Appell von Papst Johannes XXIII. zu einem „Aggiornamento, einer Verheutigung des Glaubens auf. Dies führte nicht nur zu einer theologischen Neubestimmung der „Kirche in der Welt von heute (in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes), sondern auch zu einer in der Liturgiekonstitution grundgelegten und von Papst Paul VI. nach dem Konzil konsequent umgesetzten Liturgiereform, die den Reformwillen des Konzils auch für die Gläubigen vor Ort konkret erfahrbar werden ließ. Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils prägen auch heute noch, 50 Jahre nach dem Ende des Konzils, den Glauben und das Leben der Katholiken in aller Welt. Selbst wenn manche richtungsweisenden Beschlüsse des Konzils bis heute kontrovers diskutiert werden, legt dieses Konzil damit ein beredtes Zeugnis dafür ab, wie stark der Einfluss der Konzile auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche ist.

    2.2Papsttum

    Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der katholischen Kirche hatten neben den Konzilen aber auch einzelne Bischöfe. Dazu zählen einerseits herausragende Theologen wie Irenäus von Lyon, Cyprian von Karthago, Ambrosius von Mailand oder Augustinus von Hippo, andererseits aber auch eine ganze Reihe der Inhaber der fünf altkirchlichen Patriarchatssitze (Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem). Dass der Bischof von Rom in dieser „Pentarchie an erster Stelle stand, hatte zunächst mit der historischen und politischen Bedeutung der Stadt Rom zu tun, wurde aber sehr bald auch theologisch begründet mit dem Martyrium der beiden Apostel Petrus und Paulus in Rom. Die römischen Bischöfe sahen sich nicht nur als Nachfolger Petri (diesen Anspruch erhoben z. B. auch die Bischöfe von Antiochien), sondern als Hüter der apostolischen Tradition der beiden „Apostelfürsten Petrus und Paulus. Die Autorität Roms in Fragen der Lehre wurde auch von den anderen Patriarchaten anerkannt, wie das Konzil von Chalkedon (451) zeigt, das ein Schreiben Papst Leos I. (440-461) als authentischen Ausdruck des apostolischen Glaubens anerkannte („Petrus hat durch Leo gesprochen). Die im 9. Jahrhundert entstandenen „Pseudo-Isidorischen Dekretalen versuchten, auch die jurisdiktionellen Vollmachten des Papsttums zu legitimieren und führten zu einer Autoritätssteigerung des Papsttums (zumindest im Abendland), die im „Dictatus Papae (1075) Papst Gregors VII. und der Bulle „Unam Sanctam (1302) Papst Bonifatius‘ VIII. ihren Höhepunkt erreichte. Diese päpstlichen Lehrschreiben sind vor dem Hintergrund des Investiturstreits (Einsetzung von Geistlichen durch weltliche oder kirchliche Autoritäten) und den damit verbundenen Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen von Rom und den weltlichen Herrschern zu sehen, in denen der „Gang nach Canossa König Heinrichs IV. (1077) eine symbolträchtige Episode bildet. Dass es zumindest Papst Gregor VII. (1073-85) dabei nicht nur um weltliche Machtansprüche, sondern um eine innerkirchliche Reform und die Freiheit der Kirche von weltlicher Bevormundung ging, verdeutlicht die ebenfalls mit seinem Namen verbundene „Gregorianische Reform, die sich gegen Simonie (Kauf geistlicher Ämter) richtete und Wert auf die Bildung des Klerus legte.

    Gut einhundert Jahre später steht mit Innozenz III. (1198-1216) eine der prägendsten Papstgestalten des Mittelalters an der Spitze der römischen Kirche. In ihm zeigt sich die ambivalente Seite einer ganz auf den römischen Bischofssitz ausgerichteten Kirchenstruktur: Einerseits vermochte Innozenz gerade durch seine exponierte Stellung innerkirchliche Reformbewegungen (Franz von Assisi) zu fördern, andererseits zeigen seine Konflikte mit den weltlichen Herrschern in Deutschland und England sowie die Kreuzzugsbewegung, vor allem die Eroberung Konstantinopels durch lateinische Kreuzfahrer (1204), die negative Seite eines auch im weltlichen Machtgefüge agierenden Papstes. Im 14. und 15. Jahrhundert verlor das Papsttum durch das „Exil in Avignon, den Streit zwischen konkurrierenden Amtsinhabern und die Auseinandersetzung mit dem Konziliarismus an Einfluss, bevor es nach dem Konzil von Trient (1545-63) und durch die von ihm initiierte und von den nachfolgenden Päpsten vorangetriebene „Katholische Reform einen neuen Aufschwung erlebte. Im Gefolge der Reformation bildete sich allmählich ein konfessionelles Bewusstsein der „Katholiken heraus, die dem Papst die Treue hielten. Die Orientierung an Rom förderte zugleich die Zentralisierung der nun „römisch-katholischen Kirche, wie sie durch die verpflichtende Einführung der „Ad-limina-Besuche der katholischen Bischöfe in Rom, die Einrichtung ständiger Nuntiaturen oder die Gründung der „Propaganda fide (1622), einer römischen Kongregation, die die weltweiten missionarischen Aktivitäten koordinierte (und kontrollierte), zum Ausdruck kam.

    Die Auseinandersetzung mit dem staatlichen Absolutismus, den antipäpstlichen Affekten der Aufklärung und den Unabhängigkeitsbestrebungen des französischen Gallikanismus förderte im 19. Jahrhundert den immer engeren Zusammenschluss der Papsttreuen in der „ultramontanen Bewegung. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Definition der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats des Papstes durch das Erste Vatikanische Konzil (1869/70), mit der die Bischöfe – gerade angesichts des Zusammenbruchs der weltlichen Macht der Kirche (Auflösung des Kirchenstaats) – die innere Geschlossenheit der katholischen Kirche zu sichern versuchten. Das 20. Jahrhundert war vom Ringen um die rechte Verhältnisbestimmung der Kirche zur modernen Welt (vom „Antimodernisteneid unter Papst Pius X. bis zum „Aggiornamento unter Papst Johannes XXIII.) und der Auseinandersetzung mit den totalitären Regimen (Kommunismus und Faschismus) geprägt. Am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert steht das Papsttum – einerseits bedingt durch die Entwicklung der modernen Medien, andererseits gefördert durch „medienaffine Päpste wie Johannes Paul II. (1978-2005) und Franziskus (seit 2013) – wie nie zuvor im Fokus der Öffentlichkeit und prägt damit das Bild der katholischen Kirche.

    2.3Orden

    Die Geschichte der katholischen Kirche ist immer noch unvollständig erfasst, solange wir nur die Entscheidungen der Konzile und das Handeln der Päpste und Bischöfe in den Blick genommen haben. Für die Spiritualität und das kirchlichen Leben (s. u.: Abschnitt 4) spielen geistliche Bewegungen – sowohl die klassischen Orden als auch die neuzeitlichen Kongregationen und die erst in jüngster Zeit entstandenen geistlichen Gemeinschaften – eine weitaus bedeutendere Rolle als die kirchliche Hierarchie. Seit der frühen Kirche war das Mönchtum eine Art Gradmesser für die Vitalität des geistlichen Lebens in der Kirche. Neben den Einsiedlern entwickelten sich schon früh koinobitische (gemeinschaftliche) Lebensformen. Die Entwicklung des Mönchtums im Abendland ist eng mit dem Namen des hl. Benedikt von Nursia (480-547) verbunden. Die Benediktinerklöster waren Zentren der Liturgie und der Gelehrsamkeit und galten als Vorbild eines gemeinschaftlichen Lebens aus dem Geist. Viele Reformbewegungen in der Kirche gingen aus dem Umfeld der Klöster hervor, wie beispielsweise die von Cluny ausgehende benediktinische Klosterreform im 10./11. Jahrhundert. Neben den klassischen Mönchsorden (Benediktiner, Zisterzienser, Trappisten, Kartäuser) hatten auch die sogenannten Regularkanoniker (Augustiner, Prämonstratenser), deren Ursprünge im gemeinschaftlichen Leben der Kleriker an Kathedral- und Stiftskirchen liegen, einen maßgeblichen Einfluss auf die katholische Spiritualität. Dies gilt nicht minder für die unter dem Begriff „Bettelorden" zusammengefassten Gemeinschaften (Dominikaner, Franziskaner, Karmeliten), die im 13./14. Jahrhundert als Gegenbewegung gegen einen in weltliche Belange verstrickten Klerus entstanden und wesentlich zur Erneuerung des geistlichen Lebens in der abendländischen Kirche beitrugen. Dennoch waren diese innerkirchlichen Reformbewegungen nicht so stark, dass sie die Reformation des 16. Jahrhunderts und damit die Spaltung der abendländischen Kirche hätten verhindern können.

    In der nachreformatorischen Zeit spielten Ordensgemeinschaften eine wichtige Rolle bei der innerkatholischen Reform. Von zentraler Bedeutung war insbesondere die von Ignatius von Loyola (1491-1556) gegründete „Societas Jesu". Die Jesuiten unterschieden sich von den klassischen Orden nicht nur durch das zusätzliche Gelübde des Papstgehorsams, sondern auch durch den Verzicht auf einen Ordenshabit, das gemeinsame Chorgebet und die Klausur. Nach der Anerkennung der Jesuiten durch Papst Paul III. im Jahr 1540 widmeten sie sich Predigt und Katechese, Exerzitien und Volksmissionen sowie dem Unterricht in höheren Schulen und der theologischen Ausbildung. Von großer Bedeutung für die nachreformatorische Entwicklung der katholischen Kirche waren neben den Jesuiten auch die Kapuziner, ein Zweig der franziskanischen Ordensfamilie. Während die Jesuiten vor allem Kollegien in größeren Städten gründeten, verfolgten die Kapuziner einen anderen Weg, indem sie bisweilen sehr kleine Konvente in möglichst vielen Dörfern gründeten. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert entstanden darüber hinaus zahlreiche Ordenskongregationen, die sich je nach Ausrichtung entweder dem Unterricht, der Krankenpflege oder der Fürsorge für Waisen und Behinderte widmeten.

    Der Unterschied zwischen einem Orden und einer Kongregation besteht in der Ablegung der feierlichen bzw. der einfachen Gelübde sowie in der Betonung eines Lebens in Abgeschiedenheit von der Welt (die „Klausur bei den klassischen Orden) oder des Dienstes in der Welt (bei den Kongregationen). Da jedoch sowohl Ordensangehörige als auch Mitglieder von Kongregationen die drei klassischen Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ablegen, die auch als „Evangelische Räte bezeichnet werden, hat das neue katholische Kirchenrecht von 1983 diese Unterscheidung aufgehoben und spricht in Anknüpfung an das 6. Kapitel von „Lumen gentium über die Ordensleute (LG 43-47) von „Instituten des geweihten Lebens. Zu den bekanntesten Kongregationen zählen Redemptoristen und Salesianer (für Männer) sowie Ursulinen und Franziskanerinnen (für Frauen). Aufgrund der zahlreichen Berufungen spielten Ordensleute über Jahrhunderte hinweg im Leben der Katholiken eine bedeutende Rolle. In beinahe jeder Familie gab es in der näheren oder entfernteren Verwandtschaft Ordensangehörige und in fast jeder Gemeinde gab es zumindest einen kleinen Schwesternkonvent.

    Eine neue Form geistlicher Gemeinschaft stellen die erst im 20. Jahrhundert entstehenden Säkularinstitute dar. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder sich einerseits auf ein Leben nach den Evangelischen Räten verpflichten, andererseits aber als Laien oder Priester weiterhin mitten in der Welt leben, um auf diese Weise Einfluss auf Kultur und Gesellschaft zu nehmen. Das bekannteste und aufgrund seiner Tendenz zur Geheimhaltung auch umstrittenste Säkularinstitut ist sicherlich das „Opus Dei. Daneben gibt es aber auch ökumenisch aufgeschlossene Säkularinstitute wie beispielsweise das mit der Una-Sancta-Bewegung verbundene Christkönigs-Institut in Meitingen. Einen nochmals anderen Weg der Pflege einer gemeinschaftlichen Spiritualität stellen die sogenannten „neuen geistlichen Gemeinschaften dar. Zu ihnen zählen etwa die Fokolar-Bewegung und die Schönstatt-Bewegung, die sich jeweils noch einmal in zahlreiche Untergruppen aufgliedern. Die von Rom ausgehende „Gemeinschaft von Sant’Egidio und die ebenfalls im italienischen Kontext entstandene Bewegung „Comunione e Liberazione verbinden das gemeinsame Gebet mit dem Einsatz für sozial Benachteiligte. Mehr auf die Stärkung des eigenen Glaubens ausgerichtet sind der Cursillo und die Neokatechumenale Bewegung. Schließlich gibt es die an einer bestimmten Ordensspiritualität ausgerichteten Laiengemeinschaften wie die Dominikanische Gemeinschaft oder die Franziskanische Gemeinschaft. Allen geistlichen Gemeinschaften gemeinsam ist das Bemühen um eine persönliche Erneuerung des Glaubens in Verbindung mit einer Vertiefung der Glaubensgemeinschaft. Sie sind damit eine Art Gegenbewegung zu den neuzeitlichen Trends der Säkularisierung und Individualisierung und bemühen sich, durch die gemeinschaftliche Glaubenserfahrung zu einer Änderung des persönlichen Lebensstils und damit zu einer neuen Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses in der Welt beizutragen.

    2.4Heilige

    Zeugen des christlichen Glaubens in der Welt sind insbesondere jene prägenden Gestalten der Kirchengeschichte, die die katholische Kirche als Heilige verehrt (nicht „anbetet!). Die Geschichte der Heiligen eröffnet einen vierten Zugang zum Verständnis der katholischen Kirche als einer „allumfassenden, verschiedene Spiritualitäten und Denkschulen, Lebensformen und Lebenszeugnisse integrierenden Gemeinschaft der Glaubenden. Zu den Heiligen der katholischen Kirche zählen Päpste und Bischöfe, Mönche und Nonnen, Kleriker und Laien, Männer und Frauen, Gebildete und Ungebildete, weltliche Herrscher und von den weltlichen Herrschern Verfolgte. Es ist unmöglich, an dieser Stelle eine Auswahl der „wichtigsten" Heiligen zu benennen und ihren Einfluss auf das Selbstverständnis der Katholiken zu beschreiben. Um das breite Spektrum der Heiligen zu verdeutlichen, seien beispielhaft genannt:

    -Augustinus und Thomas von Aquin als Vertreter zweier „Denkschulen", die die Entwicklung der Theologie nachhaltig geprägt haben;

    -Bonaventura und Teresa von Avila als zwei Heilige, die als „Kirchenlehrer" proklamiert wurden, um ihre Bedeutung für die kirchliche Lehre zu unterstreichen;

    -Kaiser Konstantin und Kaiser Heinrich II. als zwei Herrschergestalten, die einen maßgeblichen Beitrag zur Christianisierung geleistet haben;

    -Franz von Assisi und Antonius von Padua als zwei Heilige, die in der Volksfrömmigkeit eine große Rolle spielen;

    -Ignatius von Loyola und Angela Merici als zwei Heilige, die durch die von ihnen gegründeten Orden wesentlich zur Bildung des Volkes beigetragen haben;

    -Elisabeth von Thüringen und Giovanni (Don) Bosco als zwei Heilige, die sich vor allem für die Benachteiligten in der Gesellschaft eingesetzt haben;

    -Maximilian Kolbe und die Lübecker Märtyrer als Glaubenszeugen, die beispielhaft für die vielen stehen, die als Märtyrer für ihren Glauben den Tod erlitten haben.

    Die historische Entwicklung der katholischen Kirche spiegelt sich in der Geschichte ihrer Heiligen, die dafür Zeugnis ablegen, dass Gott Menschen ganz unterschiedlichen Charakters in die Nachfolge Jesu beruft, um den Menschen das Evangelium nahezubringen.

    Päpste und Konzile, Orden und Heilige haben die Geschichte der katholischen Kirche auf je eigene Art und Weise geprägt. Die genannten Beispiele können nur einige wichtige Facetten der 2000-jährigen Kirchengeschichte beleuchten, die für katholische Christen bis heute eine identitätsstiftende Bedeutung haben. Sie stehen im Hintergrund, wenn im Folgenden typische Grundzüge des katholischen Glaubens sowie wichtige Aspekte des kirchlichen Lebens der Katholiken benannt werden.

    3.GLAUBE

    In diesem Abschnitt sollen Charakteristika des Glaubens der katholischen Kirche in konfessionskundlicher Perspektive beschrieben werden, wobei die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils als maßgebliche Bezugsgröße dienen.¹ Es geht also weder um eine umfassende Darlegung der katholischen Glaubenslehre², die den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, noch um eine dogmengeschichtliche Abhandlung, in der die historische Entwicklung der katholischen Glaubenslehre nachgezeichnet werden müsste, sondern um Schlaglichter auf verschiedene theologische Traktate, in denen es unterschiedliche Akzentsetzungen in den verschiedenen christlichen Traditionen gibt und die daher auch im ökumenischen Dialog eine wichtige Rolle spielen. Da das Bekenntnis zum dreieinen Gott zum gemeinsamen Fundament aller Christen zählt, kommt die Gotteslehre im engeren Sinn nicht zur Sprache. Fragen der Christologie, die im Dialog mit den orientalisch-orthodoxen Kirchen diskutiert wurden, werden im Abschnitt über die Ökumene (s. u.: Abschnitt 5) angesprochen.

    Ein zentrales Merkmal des Glaubens der katholischen Kirche ist sein „katholischer, das heißt – in Anknüpfung an die griechischen Wortwurzeln – sein „allumfassender Charakter. Das bedeutet, dass sich das katholische Glaubensverständnis darum bemüht, unterschiedliche Zugänge zum christlichen Glauben, verschiedene Denkansätze der Theologie und unterschiedliche Ausdrucksformen des Glaubens miteinander zu verbinden. Ein Grundprinzip des Katholischen ist das „et – et (sowohl – als auch), nicht das „aut – aut (entweder – oder). Es geht nicht um Exklusivität, sondern um Inklusivität. Das führt dazu, dass auch scheinbar Gegensätzliches miteinander verbunden wird. Unterschiedliche Traditionen werden als komplementär, als einander ergänzend erachtet. Das markanteste Beispiel dafür in der Theologiegeschichte ist der sogenannte „Gnadenstreit, bei dem an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert Dominikaner und Jesuiten über das Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit stritten. Während die Dominikaner den Akzent auf die Wirksamkeit der göttlichen Gnade legten, betonten die Jesuiten die menschliche Freiheit. Der Streit beschäftigte fast 25 Jahre lang (1582 bis 1607) zahlreiche Theologen und mehrere vom Papst eingesetzte Kommissionen und endete mit einer bemerkenswerten Entscheidung: Papst Paul V. (1605-21) verfügte, dass keine der beiden Theologenschulen verurteilt werden dürfe. Beide Positionen seien als legitime Lehrauffassungen innerhalb der katholischen Glaubenslehre zu betrachten. Hinter der Auffassung, dass es in bestimmten Glaubensfragen verschiedene Antworten (et – et / sowohl – als auch) geben kann, steht die Überzeugung, dass unsere menschlichen Worte die Fülle des Göttlichen letztlich nie adäquat auszudrücken vermögen. Verschiedene Zugänge können als legitime Versuche bewertet werden, das göttliche Geheimnis zu erfassen. Daher versucht die katholische Kirche, unterschiedliche Zugangsweisen in ihre Glaubenslehre zu integrieren, um dadurch ihre Katholizität im Sinne eines „allumfassenden Glaubens zu bewahren. Dies lässt sich an unterschiedlichen Themenbereichen exemplifizieren.

    3.1Offenbarung (Schrift, Tradition, Lehramt)

    Ein erster, grundlegender Themenkomplex ist das Verständnis der göttlichen Offenbarung und damit die Frage nach den Quellen unseres Glaubens. Lebensgeschichtlich beruht unser Glaube auf dem, was wir darüber von unseren Eltern, Paten, Lehrern, Katecheten und Seelsorgern erfahren haben. Kirchengeschichtlich beruht der Glaube der Kirche auf dem, was eine Generation von der jeweils vorhergehenden (in Annahme oder auch Ablehnung bestimmter Ausprägungen des Glaubens) „gelernt hat. Diese „Tradition reicht zurück bis zu den ersten Zeugen des christlichen Glaubens in der nachösterlichen Zeit. Der Glaube der apostolischen Kirche findet sich insbesondere in den Schriften des Neuen Testaments, die zusammen mit den heiligen Schriften des Judentums die christliche Bibel bilden. Sie ist für alle Christen als „Heilige Schrift bleibender Maßstab des Glaubens, an dem sich alle Glaubenstraditionen, die sich im Laufe der Kirchengeschichte entwickelt haben, messen lassen müssen. Die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition ist in der theologischen Debatte virulent, seit die Reformatoren des 16. Jahrhunderts mit dem Schlagwort „sola scriptura (allein die Schrift) bestimmte kirchliche Bräuche und Traditionen infrage stellten. Katholische Kontroverstheologen betonten demgegenüber, dass der Glaube der Kirche aus zwei „Quellen schöpfe: der Heiligen Schrift und der apostolischen Tradition. Das ökumenische Gespräch hat zu der Erkenntnis geführt, dass eine Gegenüberstellung von Schrift und Tradition der Sache nicht gerecht wird, weil die Schrift einerseits selbst ein „Produkt der (apostolischen) Tradition ist, andererseits aber eine bleibende kriteriologische Funktion hat: Der Glaube der Kirche muss immer „schriftgemäß" sein.

    Die katholische Kirche spricht heute nicht mehr von „zwei Quellen der Offenbarung, sondern betont – mit den Worten der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum (= DV) des Zweiten Vatikanischen Konzils –, dass Schrift und Tradition „demselben göttlichen Quell entspringen (DV 9). Beide bilden „den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes (DV 10). Dieses Wort Gottes ist in der Schrift „lesbar und in der Tradition „erfahrbar, wird aber in der Regel durch konkrete „Zeugen des Wortes vermittelt. Entscheidend sind dabei nicht allein die „amtlichen Zeugen des Glaubens (Bischöfe, Priester, in der Seelsorge tätige Laien), sondern vielmehr diejenigen, die im persönlichen Umfeld ein überzeugendes Beispiel gelebten Glaubens geben. Dementsprechend benennt das Zweite Vatikanische Konzil im Blick auf die Faktoren, die zum „Fortschritt im Verständnis der Offenbarung beitragen, an erster Stelle das „Nachsinnen und Studium der Gläubigen, an zweiter Stelle die „innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, und erst an dritter Stelle „die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben (DV 8). Die letzte Formulierung verdeutlicht, dass in der katholischen Kirche dem bischöflichen Lehramt eine besondere Verantwortung für die Bewahrung und die Weitergabe des Glaubens zukommt. Allerdings betont das Konzil: „Das Lehramt ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist" (DV 10). Damit ist die Bindung des kirchlichen Lehramtes an den in Jesus Christus ein für allemal offenbarten Glauben deutlich unterstrichen.

    Dieser Grundsatz gilt auch für das Lehramt des Papstes. Seine vom Ersten Vatikanischen Konzil definierte „Unfehlbarkeit wird oft missverstanden. Der Papst kann nicht einfach eine neue Glaubenslehre als „unfehlbar definieren, sondern ist dabei an bestimmte formale und inhaltliche Kriterien gebunden. Zu den Letzteren zählt, dass der definierte Glaubenssatz von Anfang an zu dem oben zitierten „einen Schatz des Wortes Gottes gehört. Der Papst kann also nicht etwas Neues „offenbaren, sondern nur das bereits Offenbarte in neue Worte fassen. Er bringt damit zum Ausdruck, was nach katholischer Auffassung schon immer „der Glaube der Kirche war. Damit wird deutlich, dass es aus katholischer Sicht ein „Wachstum im Verständnis der Offenbarung gibt. Das betrifft auch jene Glaubenswahrheiten, die in der katholischen Theologie als „Dogmen" bezeichnet werden. Die Dogmen formulieren verbindlich, was Lehre der Kirche ist. In der Regel tun sie das zur Abgrenzung von bestimmten Irrlehren. Insofern ist ihre Formulierung stets kontextabhängig. Ihr Inhalt zählt zwar zur verbindlichen Glaubenslehre, bedarf aber der Interpretation³, damit ihr Sinn sach- und zeitgemäß erschlossen wird. Diese Aufgabe der Interpretation der Lehre und damit auch das Urteil, ob geschichtlich „gewachsene Traditionen der Kirche „dem einen Quell der göttlichen Offenbarung entspringen, obliegt in der katholischen Kirche letztlich den Bischöfen, die sich dabei jedoch am „Glaubenssinn der Gläubigen (vgl. LG 12) und an der Heiligen Schrift als dem unhinterfragbaren Kriterium rechten Glaubens (der „norma normans non normata) zu orientieren haben. Auch der Glaube der katholischen Kirche hat somit stets den Anspruch, „schriftgemäß" zu sein.

    3.2Anthropologie (Rechtfertigung, Gnade und Freiheit)

    Dass dem kirchlichen Lehramt dabei zugetraut wird, das rechte Urteil darüber zu treffen, ob eine bestimmte Lehre in der Offenbarung grundgelegt und somit schriftgemäß ist, liegt nicht an einem besonderen Vertrauen der katholischen Christen in die „Institution Kirche", sondern ist in dem positiven Menschenbild begründet, das die Anthropologie der katholischen Kirche prägt. Aus katholischer Sicht ist der Mensch ein Ebenbild Gottes – und bleibt es auch in seiner Sündhaftigkeit. Die Sünde vermag die Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht so zu zerstören, dass es ihm völlig unmöglich ist, sich wieder Gott zuzuwenden und für das Gute zu entscheiden. Hier unterscheidet sich die katholische Anthropologie vom Menschenbild der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, was Johann Adam Möhler (1796-1838) dazu veranlasst hat, den eigentlichen Differenzpunkt zwischen reformatorischer und katholischer Theologie in der Anthropologie auszumachen.⁴ Auch wenn die These Möhlers umstritten ist, lässt sich festhalten, dass die reformatorische Tradition stärker von der augustinischen Erbsündenlehre geprägt ist, der zufolge der sündige Mensch sich nicht von sich aus Gott zuwenden kann. Aus katholischer Sicht ist der Mensch zwar ebenfalls auf die Gnade Gottes angewiesen, wird aber gerade durch die Gnade dazu befähigt, diese von sich aus anzunehmen. Dieses Vertrauen darauf, dass sich der Mensch in all seiner Freiheit letztlich doch für das Gute entscheidet, gründet im Glauben an das schöpferische Handeln Gottes, der sich selbst treu bleibt und den Menschen nie ganz aus seiner Hand fallen lässt.

    Wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts im Blick auf den „Gnadenstreit deutlich wurde, zählt das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit zu den umstrittensten Themen der Theologiegeschichte. Es steht auch im Hintergrund der Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts um das Verständnis der „Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Nachdem die kontroverstheologische Polemik der nachreformatorischen Zeit die gemeinsamen Wurzeln katholischer und protestantischer Soteriologie lange Zeit verdeckt hatte, gelang erst in den ökumenischen Dialogen des 20. Jahrhunderts wieder eine Annäherung, die schließlich 1999 zur Verabschiedung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (GER) führte, die ein Verständnis der uns in Jesus Christus geschenkten Erlösung beschreibt, das Katholiken, Lutheraner und Methodisten verbindet.⁵ Der in der GER festgehaltene „Konsens in den Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre kann heute als Maßstab katholischer Soteriologie gelten. Demnach liegt die Initiative zur Rettung des in Sünde gefangenen Menschen ganz auf Seiten Gottes: Rechtfertigung geschieht „allein aus Gnade, denn der Mensch „ist unfähig, sich von sich aus Gott um Rettung zuzuwenden oder seine Rechtfertigung vor Gott zu verdienen oder mit eigener Kraft sein Heil zu erreichen (GER 19). Das Erlösungshandeln Gottes geschieht in voller Souveränität, unabhängig vom Wollen und Tun des Menschen. Die katholische Glaubenslehre betont jedoch, dass der Mensch das Heilsangebot Gottes annehmen muss, weil ansonsten die ebenfalls von Gott stammende (in seinem Schöpfungshandeln begründete) Freiheit des Menschen infrage gestellt wäre. Diese „personale Zustimmung zu Gottes Heilshandeln ist aber „selbst eine Wirkung der Gnade und kein Tun des Menschen aus eigenen Kräften (GER 20). Hier zeigt sich noch einmal sehr deutlich der komplementäre Grundansatz katholischer Theologie im Blick auf das Verhältnis von Gnade und Freiheit. Dieser Grundansatz hat auch Auswirkungen auf das Verständnis des zum Glauben gekommenen und damit „gerechtfertigten Menschen. Während die lutherische Theologie ihn als „gerecht und Sünder zugleich bezeichnet, lehnt die katholische Glaubenslehre eine unterschiedslose Bezeichnung aller Getauften als „Sünder ab. Sie erkennt zwar an, dass es auch bei gläubigen Christen eine unleugbare „Neigung zur Sünde gibt, doch aus katholischer Sicht kann ein Mensch nicht allein aufgrund seiner „Neigung zur Sünde als Sünder bezeichnet werden, sondern erst dann, wenn er willentlich eine Sünde begangen hat. Auch hier nimmt die katholische Theologie die Freiheit des Menschen sehr ernst.

    3.3Ekklesiologie

    In der Heiligen Schrift werden diejenigen, die die Rechtfertigung in Jesus Christus im Glauben angenommen haben, also die getauften Christen, als „Heilige bezeichnet, weil sie in Taufe und Eucharistie Anteil „am Heiligen erhalten haben. Daran anknüpfend wird die Gemeinde der Gläubigen von den Kirchenvätern als „Gemeinschaft der Heiligen bezeichnet. Sie bilden die Kirche (griech. ekklesia), die aus der Welt herausgerufene und vor Gott versammelte Gemeinde. Im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, das bis heute das gemeinsame Glaubensfundament aller christlichen Kirchen ist, wird diese Kirche als „eine, heilige, katholische und apostolische qualifiziert. Diese vier Wesensmerkmale kennzeichnen die Kirche Jesu Christi. Doch schon das erste Wesensmerkmal, die Einheit der Kirche, wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen der „geglaubten Kirche (als einer von Gott gestifteten Realität und damit einer theologischen Größe) und der Vielfalt der heute existierenden „verfassten Kirchen (als Gemeinschaft einer – größeren oder kleineren – Zahl von Gläubigen und damit einer soziologischen Größe) auf. Lange Zeit hat die katholische Kirche für sich in Anspruch genommen, dass die geglaubte Kirche mit der verfassten römisch-katholischen Kirche deckungsgleich sei. Dieser Exklusivitätsanspruch entwickelte sich erst durch die ökumenische Öffnung, die die katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen hat, zu einer inklusiven Sichtweise.

    3.3.1Kirchenverständnis

    Das heutige Selbstverständnis der katholischen Kirche ist dokumentiert in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium (= LG) des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Konzilsväter setzen darin im Rückgriff auf die altkirchliche Tradition neue Akzente in der Lehre von der Kirche sowie in der Bestimmung des Verhältnisses von Amt und Gemeinde. Dabei werden die Lehraussagen früherer Konzile nicht verworfen, sondern in eine umfassendere Sicht integriert. Darin zeigt sich die Überzeugung der katholischen Kirche, dass der christliche Glaube in veränderten historischen Kontexten immer wieder neu verkündet werden muss, seinem Inhalt nach jedoch unverändert bleibt, da die Offenbarung Gottes in und durch Jesus Christus ein für alle Mal abgeschlossen ist. Ausgangspunkt der katholischen Ekklesiologie ist die Überzeugung, dass die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit ist (LG 1). Die Kirche hat aus katholischer Sicht einen „sakramentalen, d. h. auf Gottes Heilshandeln verweisenden Charakter, ist aber nicht selbst „Sakrament (Heilszeichen), sondern nur „gleichsam ein Sakrament („veluti sacramentum, LG 1). Das analoge Verständnis der Sakramentalität der Kirche ist unbedingt zu beachten, um ein Missverständnis dieses sakramentalen Ansatzes der katholischen Ekklesiologie zu vermeiden: Die Kirche setzt sich nicht an die Stelle Gottes, sondern ermöglicht den Menschen, das göttliche Heilswirken in Raum und Zeit zu erfahren.

    In ihrem ersten Kapitel beschreibt die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils die „Kirche als Mysterium, das im Heilshandeln Gottes, in der Menschwerdung des Sohnes und der Sendung des Geistes gründet. Die Kirche ist daher „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk (LG 4). Kirche ist somit aus theologischer Sicht die nach dem Vorbild der trinitarischen Gemeinschaft in Gott gestaltete Gemeinschaft der Glaubenden. Gemeinschaft (latein. „communio") ist der entscheidende Leitbegriff der Lehre von der Kirche, wie sie in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils dargelegt wird. Er bezeichnet die Gemeinschaft mit Gott und die daraus erwachsende Gemeinschaft der Menschen untereinander. Ausführlich widmet sich die Kirchenkonstitution den biblischen Bildern für die Kirche (vgl. LG 6 und 7), um den theologischen Kern des Kirchenverständnisses zu beschreiben: Kirche ist Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des

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