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Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg: Eine himmlische Staatskonstuktion
Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg: Eine himmlische Staatskonstuktion
Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg: Eine himmlische Staatskonstuktion
eBook258 Seiten3 Stunden

Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg: Eine himmlische Staatskonstuktion

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Über dieses E-Book

„Die Macht Deutschlands ist groß, aber so, dass man sich ihrer nicht bedienen kann“, sagte 1508 Niccolo Macciavelli, der große italienische Machttheoretiker.
Gab es ein Zuwenig an nationaler deutscher Machtentfaltung? Warum und bis wann hat das gegolten?
Was war heilig, was war römisch, was war deutsch am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und warum hieß es nicht einfach „Deutsches Reich“?
Was hat die Traumdeutung des Propheten Daniel aus dem Alten Testament mit dieser Namensgebung und dem „himmlischen deutschen Sonderweg“ zu tun?
Hat das Haus Habsburg im Dreißigjährigen Krieg das Volk verraten? Warum?
Was hat der Ablasshandel der römischen Kirche mit dem Strukturvertrieb heutiger Wall-Street-Derivate gemein?
Wurde die Deutsche Hanse auf dem Altar kaiserlicher Romhörigkeit geopfert?
Hat der Prophet Daniel die Globalisierung und die heutigen Flüchtlingsströme vorhergesehen?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum9. Feb. 2017
ISBN9783743132375
Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg: Eine himmlische Staatskonstuktion
Autor

Klaus Dreessen

Klaus Dreessen studierte Volkswirtschaft in Münster und Hamburg und promovierte mit einem Thema über die DDR (erschienen 1973 bei J.C.B. Mohr, Tübingen). Er ist Autor mehrerer Sachbücher und befasst sich seit vielen Jahren mit der Frage nach den Ursachen des deutschen Sonderwegs in der Geschichte. Wie schon in seinem ersten Buch mit dem Titel Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg geht der Autor auch hier der Frage nach der geschichtlichen Identität Deutschlands nach. Klaus Dreessen gehört keiner politischen Partei oder Gruppierung an. Er schreibt für ein breites Publikum, das sich dafür interessiert, weshalb Deutschland heute da steht, wo es steht, weshalb es siebzig Jahre nach Kriegsende immer noch als ein von Neurosen geplagtes Volk ist. Auch dieses Buch ist keine trockene Kost für Historiker, sondern eine überaus spannende, unterhaltsam geschriebene und lehrreiche Erzählung der Geschichte und zugleich eine Aufzeichnung von guten Gründen, die es nahelegen, im Vertrauen auf eine grundsolide, tausendjährige deutsche Geschichte neurotische Anwandlungen ad acta zu legen und den notwendigen Schritt in die erlösende Normalität zu tun.

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    Buchvorschau

    Spurensuche - auf der Fährte zum deutschen Sonderweg - Klaus Dreessen

    Inhalt

    »Die Macht Deutschlands ist groß, aber so, dass man sich ihrer nicht bedienen kann.«

    Ein deutsches Reich, das römisch sein und heilig werden sollte

    Der Modergeruch Roms setzt die Völker in Bewegung

    Der Blick eines Giganten auf eine zerfallende Welt

    Die Reichsverfassung als Krone auf dem Haupt des Kaisers

    Von den frühen Verfehlungen der Päpste

    Der Beginn des deutschen Sonderwegs

    Die Kirche stiehlt dem Kaiser die Macht

    Ein Staatsstreich der Kirche gegen die Welfen

    Heinrich der Löwe ist heimlicher König der Deutschen

    Die Verlegenheitslösung mit den Habsburgern

    Mit der Goldenen Bulle gegen die Willkür der Päpste

    Die Mogeleien der Habsburger

    Martin Luther bekämpft päpstliche Derivate

    Erste Zeugen einer Moderne in Deutschland

    Kaiser und Kirche verraten ihr Volk

    Dänische Träume

    Wallensteins Träume

    Schwedische Träume

    Frankreichs Träume

    Christoffel von Grimmelshausen berichtet als Zeitzeuge

    Der Albtraum des Krieges endet nicht im Westfälischen Frieden

    Vom Nutzen der himmlischen Staatsverfassung

    »Die Macht Deutschlands ist groß, aber so, dass man sich ihrer nicht bedienen kann.«

    Niccolò Machiavelli

    Man hätte die Katastrophe kommen sehen können, eigentlich müssen, die Deutschland von 1618 bis 1648 überrollte. Die Kurfürsten als die tragenden Säulen des Reiches hätten nur genau hinsehen und auch zuhören müssen, was andere über Deutschland sagten. Ein Italiener, im Jahre 1508 zu Besuch in Deutschland, sah es sofort. Der große Staatstheoretiker Niccolò Machiavelli hielt sich in diplomatischer Mission für seine Heimatstadt Florenz im Reich auf. In seinem Bericht über den »Politischen Zustand Deutschlands« hielt er fest:

    »Die Macht Deutschlands ist groß, aber so, dass man sich ihrer nicht bedienen kann.« Einerseits sei es unbestritten, dass »an der Macht Deutschlands […] niemand zweifeln« dürfe, da es »Überfluss an Menschen, Reichtümern und Waffen« habe. Andererseits sah er die große »Uneinigkeit der Fürsten und Städte«, deren Ursache »in dem vielfach entgegengesetzten Streben« liege, »das man in diesem Lande findet«.

    Ein großes Maß an Macht und Menschen, Reichtümern und Waffen, derer man sich nicht bedienen kann. Das musste die Nachbarn in Versuchung bringen. Denn von Clausewitz wissen wir heute jedenfalls: Ins Vakuum zieht der Feind ein. Wie konnte es dazu kommen? Warum war das Land so völlig anders organisiert als seine Nachbarn, warum war es so machtlos und die Bevölkerung so hilflos dem Schicksal ausgeliefert?

    »Was war heilig, was war römisch, was war deutsch am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und warum hieß es nicht einfach Deutsches Reich

    Ein deutsches Reich, das römisch sein und heilig werden sollte

    Es waren gewichtige Gründe aus dem Bereich der Religion gewesen, die dazu geführt hatten. Und die Entscheidung darüber lag zur Zeit Machiavellis schon 500 Jahre zurück. Am Beginn des Reiches um das Jahr 900 war sie getroffen worden. Und schon hier in grauer Vorzeit wurden die Grundlagen für das gelegt, was man tausend Jahre später einmal als den deutschen Sonderweg bezeichnen sollte. Eine Prophezeiung des Propheten Daniel, festgehalten im Alten Testament, hat Pate gestanden. Dort steht geschrieben, dass der König Nebukadnezar, der 600 v. Chr. über das Babylonische Reich herrschte, einen Traum hatte, den keiner seiner Weisen im Lande deuten konnte. Da erbot sich der jüdische Prophet Daniel, das zu tun. In diesem Traum war Nebukadnezar ein gewaltiges Standbild erschienen. Es war groß und von außergewöhnlichem Glanz, aber auch furchtbar anzusehen. Das Haupt war aus Gold, Brust und Arme waren aus Silber, der Leib und die Hüfte aus Bronze. Die Beine waren aus Eisen, die Füße teils aus Eisen, teils aus Ton. Dann sah Nebukadnezar, wie ohne menschliches Zutun sich ein Felsbrocken vom Berg löste und dem Standbild auf die eisernen und tönernen Füße stürzte und sie zermalmte. Und nicht nur Eisen und Ton, sondern auch Bronze und Silber und Gold zerfielen zu Staub. Wie Spreu auf dem Dreschplatz wurde er spurlos vom Wind davongetragen. »Der Stein aber, der das Standbild getroffen hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde.« Im Buch Daniel ist zudem aufgeschrieben, wie Daniel dem König diesen Traum deutet. Er sagt zu ihm:

    »Du, König, bist der König der Könige; dir hat der Gott des Himmels Herrschaft und Macht, Stärke und Ruhm verliehen.

    Und in der ganzen bewohnten Welt hat er die Menschen, die Tiere auf dem Feld und die Vögel am Himmel in deine Hand gegeben; dich hat er zum Herrscher über sie alle gemacht: Du bist das Goldene Haupt.

    Nach dir kommt ein anderes Reich, geringer als deines; dann ein drittes Reich, von Bronze, das die ganze Erde beherrschen wird.

    Ein viertes endlich wird hart wie Eisen sein; Eisen zerschlägt und zermalmt ja alles; und wie Eisen alles zerschmettert, so wird dieses Reich alle anderen zerschlagen und zerschmettern.

    Die Füße und Zehen waren, wie du gesehen hast, teils aus Töpferton, teils aus Eisen; das bedeutet: Das Reich wird geteilt sein; es wird aber etwas von der Härte des Eisens haben, darum hast du das Eisen mit Ton vermischt gesehen.

    Dass aber die Zehen teils aus Eisen, teils aus Ton waren, bedeutet: Zum Teil wird das Reich hart sein, zum Teil brüchig.

    Wenn du das Eisen mit Ton vermischt gesehen hast, so heißt das: Sie werden sich zwar durch Heiraten miteinander verbinden; doch das eine wird nicht am anderen haften, wie sich Eisen nicht mit Ton verbindet.

    Zur Zeit jener Könige wird aber der Gott des Himmels ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er keinem anderen Volk überlassen. Es wird alle jene Reiche zermalmen und endgültig vernichten; es selbst wird aber in alle Ewigkeit bestehen.

    Du hast ja gesehen, dass ohne Zutun von Menschen ein Stein vom Berg losbrach und Eisen, Bronze, Ton, Silber und Gold zermalmte. Der große Gott hat den König wissen lassen, was dereinst geschehen wird. Der Traum ist sicher und die Deutung zuverlässig.«¹

    Diese Prophezeiung galt es nun zu deuten. Und die mittelalterlichen Mönche und Weisen um das Jahr 1000 kamen zu folgendem Ergebnis: Das erste von Daniel erwähnte Reich war zweifellos das Babylonische, das zweite musste das Persische und das dritte das Reich Alexanders des Großen gewesen sein. Diese drei Reiche waren – wie von Daniel prophezeit – entstanden und wieder untergegangen. Für die christlichen Weisen war allein dies schon ein untrügliches Zeichen für die Richtigkeit der Prophezeiung. Das vierte von Daniel erwähnte Reich konnte nur das Römische Reich sein. Und dieses sollte zum Teil auf eisernen, zum Teil auf tönernen Füßen stehen, zu einem Teil hart, zum anderen Teil brüchig sein. »Das bedeutet«, sagt der Prophet in der Bibel, »das Reich wird geteilt sein.« Und tatsächlich war das Römische Reich zu seinem Ende hin geteilt gewesen in das Oströmische in Byzanz und das Weströmische in Rom. Und zur Zeit der Könige dieses vierten, mithin Römischen Reiches wird nun also »der Gott des Himmels ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er keinem anderen Volk überlassen. Es selbst wird aber in alle Ewigkeit bestehen«. Und wie zur endgültigen Bestätigung der Richtigkeit dieser Prophezeiung hatte der Gott des Himmels genau zur Zeit dieses vierten Reiches seinen Sohn Jesus Christus auf die Erde entsandt.

    Die Aussage war glasklar: Zwischen dem vierten weltlichen und dem ewigen göttlichen Reich gab es keinen Platz für ein weiteres fünftes, weltliches Reich. Stattdessen sollte sich aus dem vierten Reich ein göttliches entwickeln, das dann in alle Ewigkeit bestehen würde. Die Gründung eines deutschen Reiches war im göttlichen Plan mithin nicht vorgesehen. Die deutschen Kaiser waren also gut beraten, wenn sie gar nicht erst versuchen würden, ein solches zu errichten, sondern sich stattdessen einer viel größeren Aufgabe widmeten und als Gottes Diener dem Herrgott bei der Errichtung seines ewigen göttlichen Reiches zur Hand gingen. Das vierte, das Römische Reich, das im Westen im Jahr 480 bereits untergegangen war, in Byzanz aber als Oströmisches Reich noch bestand, musste in der Form eines Heiligen Römischen Reiches in alle Ewigkeit verlängert werden. »Deutsch« fiel dann eben als Name weg. Namen waren ohnehin nur Schall und Rauch. Hier ging es um eine wichtige Angelegenheit. Und um dieser willen musste man Zugeständnisse machen. Das haben die Deutschen dann tausend Jahre lang geübt. Eine Sache um ihrer selbst willen tun, wie Heinrich Heine es als typisch für den Deutschen ansah. Und das darf man getrost als Kompliment betrachten in einer Zeit, in der die Menschen sich in ihrem Verhalten zuallererst am eigenen Nutzen orientieren.

    Dieses Konzept musste den deutschen Königen und Kaisern zweifelsfrei als das modernste und zukunftsträchtigste Konzept erscheinen, das denkbar war. Niemals zuvor war ein Reich sozusagen im direkten Auftrage Gottes und auf die Ewigkeit ausgerichtet aufgebaut worden. Die deutschen Kaiser hielten mit dem Zepter gewissermaßen einen göttlichen Regierungsauftrag in Händen. Freilich erforderte diese Aufgabe auch ein hohes Maß an Pflichtbewusstsein und Disziplin sowie einen weitgehenden Verzicht auf Eitelkeiten und auf ein Machtstreben um der Macht und des eigenen Vorteils wegen. Die Macht des Kaisers musste zuvörderst in den Dienst des Heiligen Reiches gestellt werden. Die Historiker geben Beispiele dafür, dass nach diesen Anforderungen auch gehandelt wurde. Die Belange der eigenen Dynastie hatten zurückzustehen hinter den Belangen des Reiches.

    Bis in die Zeit der Reformation hinein war die Idee vom heiligen Reich noch in den Köpfen präsent. Von Thomas Müntzer, Reformator und Rebell, wissen wir, dass er in einer Predigt vor seinem sächsischen Landesherrn diesen zum Übertritt zum evangelischen Glauben überreden wollte mit dem Hinweis darauf, dass nunmehr das vierte Reich aus dem Buch Daniel an sein Ende gekommen sei und das fünfte, göttliche begänne. Das war siebenhundert Jahre nach Karl dem Großen. Diese Staatsidee war kein Trick.

    Einen Zweifel an der Seriosität dieser Prophezeiung konnte es nicht geben. Auch der Einwand, dass für die Christen das Neue Testament und nicht das Alte gelte, überzeugt nicht, weil für die Christen ursprünglich sogar ausschließlich das Alte Testament die Heilige Schrift gewesen ist. Es hat lange gedauert, bis das Neue Testament, wie wir es heute kennen, von der Kirche überhaupt anerkannt wurde. Alles sprach dafür, dass die Prophezeiung Daniels göttlichen Ursprungs war und deshalb auch in der Heiligen Schrift niedergelegt wurde. Der Umstand, dass die katholische Kirche ihr Zentrum ausgerechnet in Rom errichtete, lässt darauf schließen, dass sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar schon als Teil des prophezeiten ewigen göttlichen Reiches sah.

    Allein die Tatsache, dass diese Traumdeutung schriftlich fixiert worden war, gab ihr einen hohen Stellenwert in einer Zeit des Analphabetentums ohne Bücher. In dieser Zeit, in der fast alles nur mündlich überliefert wurde, war der des Schreibens Kundige schon ein Weiser, und das geschriebene Wort erhielt göttlich-überirdische Bedeutung. Vom geschriebenen Wort ging ein Zauber aus, und ihm galt blindes Vertrauen auf seine Richtigkeit. Diese Zauberwirkung des Schriftlichen, zumal wenn es obendrein sehr alt und von weit her aus der Zeit in die Gegenwart gelangt war, hat sich zum Teil bis heute erhalten. Die ältesten schriftlichen deutschen Dokumente aus der Zeit vor der Christianisierung Deutschlands wurden in der Merseburger Domstiftsbibliothek gefunden und stammen aus dem Jahr 750 n. Chr. Sie sind trotz eines auf den ersten Blick eher banalen Inhalts sogleich als »Merseburger Zaubersprüche« etikettiert worden und heißen auch heute noch so. Und wenn der Pfarrer in der Kirche sagt: »Es steht geschrieben«, dann weiß der Gläubige, dies heißt im Klartext: »Dies ist die Wahrheit.«

    Zum Zauber des Schriftlichen aus alttestamentarischer Zeit kam die alles dominierende Bedeutung des christlichen Glaubens in jenen Jahren hinzu. In einer dunklen Zeit ständiger Kriege, Hungersnöte, Krankheiten und täglicher Gefahren waren die Schrecken der Völkerwanderung mit den durchziehenden Horden in der kollektiven Erinnerung noch präsent. Da war die Religion mit der Versicherung der Existenz eines gütigen Gottes, der seine Schäfchen im Auge behält und Wohlverhalten durch Nächstenliebe im Himmel belohnt, wie ein Licht in der Finsternis, das den Menschen die Hoffnung geben konnte, dass das Leben nicht sinnlos war. Ein Leben ohne Sinn auf ewige Zeiten wäre ihnen unmöglich gewesen. Deshalb konnte es nicht falsch sein, einem Kaiser zu folgen, der dieser Idee der Nächstenliebe zum Durchbruch verhelfen wollte, auf dass sie nicht wieder untergehen würde im Gewühl animalischer Triebe. Denn die Idee der Nächstenliebe war flüchtig und immer in Gefahr, von den alten Mächten des auf Rache ausgerichteten Kampfes zertreten zu werden, wieder zu versinken, ohne eine Spur zu hinterlassen. Eine Idee stirbt mit dem Letzten, der von ihr wusste. Man musste sie nicht nur in Buchstaben zu Papier bringen, man musste sie in Stein hauen und ihr in Kirchen und Klöstern einen Raum schaffen, in dem jene leben konnten, die diese Idee in sich trugen. Das Römische Imperium bot mit seinen für die Ewigkeit in die Welt gesetzten Bauten und mit seinen zivilisatorischen Fundamenten am ehesten die Voraussetzungen dafür, etwas so Flüchtiges zu domestizieren und seinen Bestand mit dem kraftvollen Schutz durch die weltliche Macht zu sichern.

    Für diesen Schutz kam nur der stärkste Arm infrage. Die strategische Devise lautete: Der Kaiser als Garant für die Sicherheit des Lebens auf Erden – der Papst als Garant für die Sicherheit des ewigen Lebens im Himmel. Der Kaiser stellte die Truppen, der Papst lieferte den Segen dazu und arbeitete an der Durchsetzung der göttlichen Idee von der christlichen Güte in den Herzen und Köpfen seiner ihm anvertrauten Schäfchen. Das war eine wunderbare Symbiose von physischer Macht und geistiger Kraft, von Körper und Seele. Es ging für den Kaiser nicht um den Kampf für mehr Land, für zusätzliche Reichtümer, zusätzliche Untertanen, zusätzliche Sklaven und andere Schätze. Es ging um den Erhalt und die Ausweitung des christlichen Lebens in einer wilden Zeit. Das war eine politische, eine militärische und eine religiöse Aufgabe. Freilich war, um das tun zu können, auch die Aufrechterhaltung des eigenen irdischen Reiches der Deutschen eine notwendige Bedingung. Aber noch ahnte niemand, welche Widrigkeiten sich dem Führungspersonal dieses Gebildes auf seinem langen Marsch in die Heiligkeit in den Weg stellen sollten. Zunächst überwog zwangsläufig der Zauber des Neuen, des Guten und des himmlischen Auftrags, ein Reich nach einem göttlichen Plan zu errichten.

    Der Zyniker und kaltblütige Machtstratege Machiavelli hätte diese Aufgabe anders angepackt, so viel ist wohl gewiss. Ihm muss es bei seinem Besuch in Deutschland geradezu in den Fingern gejuckt haben, ein solches Potenzial an Macht und Möglichkeiten ungenutzt brachliegen zu sehen. Was hätte er damit anstellen können! Welch ein Reich hätte er damit aufrichten können, wenn einer wie er mit seinen Fähigkeiten im Machterwerb, im Machterhalt auf den Schild gehoben worden wäre. Ein Reich, unabhängig von klerikalen Mitwirkungsrechten geführt; die Macht in seinen Händen gebündelt, vom Vater auf den Sohn vererbt; ein Staat, wie es ihn in Frankreich und England schon gab, nur größer und mächtiger als diese wäre er gewesen. Aber die Deutschen schienen das Mächtige eines solchen Monolithen nicht zu vermissen, solange man sie in Ruhe ließ. Sie kannten es nicht anders, und für eine gute Sache wie das Christentum zu sein hatte auch seinen Reiz, auch wenn die kollektive Erfahrung einer existenziellen Bedrohung in den Jahrhunderten der Völkerwanderung noch in den Köpfen präsent war.


    1 Altes Testament, Buch Daniel, 2. Kapitel.

    Der Modergeruch Roms setzt die Völker in Bewegung

    Es war eine Zeit der Bedrohung durch eine neue, aggressive Religion. Der Islam hatte sich 632 von Arabien übers Mittelmeer auf den Weg nach Europa gemacht. In Spanien hatte er sich festgesetzt. In Frankreich hatte der Merowinger Karl Martell ihn 732 zurückgeschlagen. Sein Enkel Karl machte sich daran, ein Bollwerk gegen diesen Eindringling zu errichten und gegen jeden möglichen anderen auch. Die Zeit des Völkersturms war noch nicht vorüber. Seit zweihundert Jahren schon strömten unvorstellbare Menschenmassen aus dem Osten und dem Norden Richtung Süden. Als hätten ihre Führer den Modergeruch des untergehenden riesigen Römischen Reiches wahrgenommen, strömten sie gen Rom. Niemand wusste, wann das ein Ende nehmen würde. Die meisten dieser Völker waren gekommen, hatten mit Mord und Totschlag Fuß fassen wollen, waren wieder vertrieben worden und schließlich untergegangen. Ein Segen, dass nicht unsere eigenen Altvorderen es waren, die mitgezogen sind. Hätten sie das damals getan, dann säßen wir heute nicht hier, wo wir jetzt sitzen. Es waren die Hunnen aus den asiatischen Steppen, die Vandalen aus dem Raum des heutigen Weißrussland, die Goten von der damals noch nicht deutsch besiedelten Ostsee, die Langobarden, die östlich der Elbe gefroren hatten, als sie sich nach Norditalien auf den Weg machten. Sie alle sind durch das, was heute Deutschland ist, genauso wild mit Mord und Totschlag hindurchgestürmt, wie sie durch Gallien, Italien und Spanien gestürmt sind. Was immer während der Völkerwanderung geschah, unsere auf dem heutigen Gebiet Deutschlands lebenden Vorfahren haben ebenso darunter gelitten wie die Menschen in Gallien und anderswo.

    Sie hatten 500 Jahre zuvor die römischen Eindringlinge unter dem Cheruskerfürsten Hermann aus dem Land gejagt, sie hatten auch schon mal Generäle und Heerführer in den römischen Dienst gestellt und ganz zum Schluss sogar den römischen König. Aber das Volk blieb daheim. Es spricht sogar einiges dafür, dass unsere Vorfahren ganz besonders bodenständig waren. Wissenschaftler in Göttingen haben soeben in einer Höhle im Harz in der Nähe von Osterode 39 Skelette aus der Bronzezeit gefunden. 3000 Jahre alt und so gut erhalten, dass sie deren DNA ermitteln konnten. Sie wurde mit der DNA der heute im gleichen Ort lebenden Menschen vom Stamm der Niedersachsen verglichen, und man fand dabei zwei Männer, deren DNA genau mit der der 3000 Jahre alten Höhlenbewohner übereinstimmt. Die beiden Männer verfügen damit über den ältesten Stammbaum der Welt und bezeugen eine Sesshaftigkeit und Ortsgebundenheit, die für Völkerwanderungen gänzlich ungeeignet wäre.

    Anders hatte das bei dem Franken Chlodwig ausgesehen, der um das Jahr 500 aus den heutigen Niederlanden mit seinem Stamm der Salfranken nach Gallien aufgebrochen war. Ziel war auch für ihn Rom, Gallien nur als Durchgangsstation gedacht. Sie wollten damals alle nach Rom. Und sie liefen sich fast alle irgendwann und irgendwo bei ihrem Sturm auf diese Stadt über den Weg, zerfleischten sich dann gegenseitig beim Kampf um ein Stück Land, nachdem sie die Ewige Stadt entweder doch nicht erreicht hatten oder wieder hinausgeworfen worden waren. Und gingen dann als Volk unter, wurden assimiliert von der jeweiligen Stammbesatzung. Zum Teil vollbrachten sie auf ihrem Weg über den Kontinent Großtaten, wie die Vandalen, die sich nach ihrem erfolglosen Sturm auf Rom in Südgallien festsetzen wollten, dort aber von den Westgoten vertrieben wurden. Diese hatten sich schon vor ihnen dort niedergelassen, waren auch schon in Rom gewesen, hatten die Stadt erobert und in Angst und Schrecken versetzt. Aber weil kein Volk auf Dauer glücklich wird durch das Verbreiten von Angst und Schrecken, aus einem mobilen Heerlager heraus, in dem die Kinder schreien und die Frauen sich nach Sicherheit und einer Bleibe mit einem Acker hinter der Hütte sehnen, auf dem sie ihr Gemüse ziehen können, hatten sie sich acht Jahre nach ihrem Überfall von den Römern eben dort im Südwesten Galliens ansiedeln lassen, wo nun die Vandalen ankamen.

    Aber die Westgoten hatten die Vandalen auf ihrem langen Weg nach Westen schon einmal vor sich

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