Flüchtlinge im Handwerk integrieren und beschäftigen: Potzeniale erkennen / Chancen nutzen / Perspektiven schaffen
Von Anouschka Wasner
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Buchvorschau
Flüchtlinge im Handwerk integrieren und beschäftigen - Anouschka Wasner
Anouschka Wasner
Flüchtlinge im Handwerk
integrieren und beschäftigen
Potenziale erkennen | Chancen nutzen | Perspektiven schaffen
Diese Publikation wurde mit äußerster Sorgfalt bearbeitet, Verfasser und Verlag können für den Inhalt jedoch keine Gewähr übernehmen.
1. Auflage 2016
© 2016 by Holzmann Medien GmbH & Co. KG, 86825 Bad Wörishofen
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, fotomechanischen Wiedergabe und Übersetzung, nur mit Genehmigung durch Holzmann Medien.
Das Werk darf weder ganz noch teilweise ohne schriftliche Genehmigung des Verlags in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm, elektronische Medien oder ähnliches Verfahren) gespeichert, reproduziert oder sonst wie veröffentlicht werden.
Lektorat: Achim Sacher, Carmen Kirchner, Holzmann Medien | Buchverlag
Herstellung/Satz: Markus Kratofil, Holzmann Medien | Buchverlag
Bildquelle Umschlag: Tim Wegner | handwerk magazin
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN (Print): 978-3-7783-1168-4 | Artikel-Nr.: 1551.01
ISBN (E-Book): 978-3-7783-1169-1 | Artikel-Nr.: 1551.99
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
während wir in diesen Tagen die letzten Korrekturen an diesem Buch vornehmen, wurde die Reporterin und Publizistin Carolin Emcke mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Dazu hat sie in der Frankfurter Paulskirche eine viel beachtete Dankesrede gehalten. Sie stellte darin Dinge klar, von denen man im Augenblick befürchten muss, dass sie einige Menschen in diesem Land scheinen vergessen zu haben.
Sie sagte „Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft." Sie erinnerte uns daran, auf was wir uns alle einmal geeinigt haben. Denn so steht das alles bereits im Grundgesetz. Asyl ist als Grund- und Menschenrecht dort verankert.
Ich erinnere mich, wie wir im Herbst 2015 unsere erste Umfrage in der Handwerksorganisation machten, wie Kammern und Verbände die Integration der Menschen unterstützen, die in jenem Tagen zu Zehntausenden unser Land erreichten. Ich erinnere mich an die ersten Recherchen, Hintergrundgespräche und Interviews.
Wir schrieben damals in der Titelgeschichte der November-Ausgabe: „Überall in Deutschland starten Handwerkskammern zusammen mit Betrieben und Behörden praxisorientierte Projekte und Initiativen, um Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung zu bringen. Das Engagement ist riesig. Die Schlagzeile lautete „Das Handwerk handelt!". Was uns in den unzähligen Gesprächen und Mails mit Betrieben, Politikern und Funktionären entgegenkam, war genau diese Haltung, die Carolin Emcke in ihrer Rede beschreibt.
Für dieses Buch haben wir eine zweite große Umfrage in der Handwerksorganisation durchgeführt. Mehr als 45 Kammern wirkten mit. Das Engagement ist nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Und es wird immer noch gespeist von der gleichen Haltung.
Dieses Buch ist ein Ratgeber, wie Sie einen Geflüchteten in Ihrem Betrieb beschäftigen können, was Sie beachten müssen und wie Sie so ein Projekt angehen können. Es gibt aber auch einen Überblick – den ersten überhaupt – was die Handwerksorganisation in ganz Deutschland für die Integration in die Betriebe auf die Beine gestellt hat. Es sagt Ihnen, wo Sie Rat, Unterstützung und Hilfe bekommen. Und das wollten wir aufschreiben.
München, im November 2016
Olaf Deininger
Chefredakteur „handwerk magazin"
Was wir mit diesem Praxisratgeber erreichen möchten!
Wer Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, in seinem Betrieb beschäftigen möchte (oder es bereits tut), kann sich der Idee aus verschiedenen Gründen genähert haben: Möglicherweise haben Sie jemanden kennengelernt und wollen genau diesem Menschen eine Chance geben, sich ein neues Leben aufzbauen. Oder Sie haben Schwierigkeiten, für Ihr Unternehmen geeignete Mitarbeiter/Fachkräfte zu finden, und möchten auf diesem Weg versuchen, Ihr betriebliches Problem zu lösen.
Vielleicht ist es Ihnen aber auch wichtig, etwas beizutragen zu einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung, indem Sie Geflüchtete in die Arbeitswelt unseres Landes integrieren. Dann wird Sie die Öffentlichkeit als ein weltoffenes und engagiertes Unternehmen wahrnehmen.
Häufig ist es vermutlich eine Mischung aus verschiedenen Motiven, die den Anstoß gibt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Konkret stehen Sie möglicherweise gerade vor einer dieser Überlegungen:
Ich kenne jemanden, den ich beschäftigen möchte, und möchte in Erfahrung bringen, ob und wie ich das Beschäftigungsverhältnis gestalten kann. Oder:
Ich überlege, welche Möglichkeiten mein Betrieb bietet, und möchte dann eine geeignete Person aus dem Kreis der Geflüchteten finden. Oder:
Ich habe bereits eine Idee, wie das Beschäftigungsverhältnis gestaltet werden kann, möchte aber Tipps und Erfahrungswerte sammeln, wie man möglichen Schwierigkeiten begegnen kann.
Für jeden dieser Ausgangspunkte werden Sie in unserem Ratgeber wichtige Informationen, Hilfen, Tipps und Anregungen finden. Sollten Sie dabei einige wenige Inhalte doppelt vorfinden, so liegt das daran, dass wir versuchen, alle wichtigen Informationen zu einem Thema zusammenzustellen – manche Informationen sind deswegen an mehreren Stellen notwendig.
Dabei befindet sich sowohl die Gesetzeslage wie auch die Realität in sehr dynamischen Prozessen, die sich durch große Komplexität und damit auch Unübersichtlichkeit auszeichnen. Nicht umsonst wird von Akteuren in den entsprechenden Bereichen immer wieder gefordert, doch zumindest die Gesetzeslage und die Fördermöglichkeiten überschaubarer zu machen und sie realtitätsnäher zu gestalten. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich noch während des Zusammentragens der aktuellen Sachlage juristische und verwaltungstechnische Rahmenbedingungen schon wieder geändert haben oder neue Initiativen entstanden sind. Denn nach langen Jahren des Wegschauens ist die Dringlichkeit, mit der neue Wege gesucht werden müssen, jetzt auch in der Politik und in den wirtschaftlichen und sozialen Institutionen angekommen. Heute gibt es immer mehr – wenn auch auf den ersten Blick unsortierte und unübersichtliche – regionale und überregionale, institutionelle und private Förderinitiativen: von der finanziellen Unterstützung für Betrieb und Geflüchtete über die Hilfe zur Alltagsbewältigung bis hin zur Traumatherapie. Alles bis vor Kurzem keine Selbstverständlichkeit.
So wurde während unserer Recherchephase u. a. das Integrationsgesetz verabschiedet, das an vielen einzelnen Stellen auf die Inhalte einwirkt, die wir mit diesem Ratgeber vermitteln wollen. Was die Integration der Geflüchteten in die Arbeitswelt betrifft, scheint das Gesetz, das im August 2016 in Kraft getreten ist, die Weichen in eine positive Richtung zu stellen. So macht z. B. die sogenannte „3+2-Regelung", die Betrieben und geduldeten Flüchtlingen den Aufenthalt während einer Berufsausbildung sowie zwei Jahre im Anschluss an die Ausbildung zusagt, eine betriebliche Planung möglich und gibt den Geflüchteten etwas Boden unter den Füßen, damit sie sich besser auf ihre Ausbildung konzentrieren können.
Leider muss aber auch erwähnt werden, dass das Integrationsgesetz neben diesem Lob auch Kritik von Akteuren in der Flüchtlingshilfe erhalten hat, da es über die im Gesetz enthaltenen Sanktionsandrohungen den Anschein erweckt, als wollten sich Flüchtlinge generell nicht integrieren. Auch sehr kritisch gesehen wird, dass verschiedene Personengruppen unterschiedlich behandelt werden: Während Geflüchtete mit statistisch guten Bleibechancen gute Integrationshilfen angeboten bekommen, sind Menschen, die aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland stammen oder rechnerisch keine guten Bleibeperspektiven haben, von Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen - dabei berücksichtigt eine statistische Chance nicht den Einzelfall, dem damit oft das Schicksal zugeschrieben ist, jahrelang nicht nur mit der Angst vor Abschiebung, sondern auch ohne Integrationshilfen wie Sprachkurse oder Fördermaßnahmen zur Beschäftigungsaufnahme leben zu müssen. Gesellschaftliche Teilhabe wird damit sehr schwierig.
Der vorliegende Ratgeber kann nicht auf alle Konstellationen von Aufenthaltstiteln, länder- und kommunenspezifischen Regelungen, betrieblichen Bedingungen und persönlichen Merkmalen der Geflüchteten eingehen. Trotz aller Sorgfalt und Bemühungen lässt es sich auch nicht verhindern, dass in diesem Ratgeber eventuell Inhalte zu finden sind, die kurz nach Drucklegung bereits nicht mehr ganz aktuell sind. Insofern erhebt er keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir empfehlen Ihnen deshalb, auch nach lokalen bzw. neuen Angeboten zu recherchieren, die wir hier nicht erfassen konnten. Als erster Ansprechpartner bieten sich dazu Ihre Handwerkskammer, die Agentur für Arbeit und die lokalen Flüchtlingsräte an.
Für Politik und Institutionen bringt die bestehende Undurchsichtigkeit weiterhin den Auftrag mit sich, mehr Planungssicherheit und Tranzsparenz für die Betriebe und die Geflüchteten herzustellen, was Aufenthalt, Arbeitserlaubnis und Ausbildungsförderung betrifft. Ebenso ist die Politik dazu aufgefordert, so viele Hebel wie möglich in Gang zu setzen, damit alle Menschen, die in diesem Land leben, hier auch ihren Platz finden können.
In erster Linie wollen wir Sie mit diesem Ratgeber ermutigen. Wir möchten zeigen, dass es unter verschiedenen Aspekten herausfordernd sein kann, Geflüchtete zu beschäftigen. Wir hoffen, dass die zusammengetragenen Informationen und Erfahrungen erkennen lassen, wo es Komplikationen geben kann – insbesondere jedoch, dass es Wege und Hilfen gibt, damit konstruktiv umzugehen.
Unser Ratgeber soll also helfen, eventuelle Schwierigkeiten realistisch einzuschätzen, aber gleichzeitig und vor allem eine Aufforderung sein, die großen Chancen und Potenziale zu nutzen, die in der Beschäftigung von Geflüchteten im Handwerk liegen – für die Geflüchteten, für unsere Betriebe und für die Gesellschaft.
Wenn Sie Anregungen, Fragen oder Tipps haben, freuen wir uns sehr über Ihre Rückmeldung an redaktion@handwerk-magazin.de.
Wiesbaden, im November 2016
Anouschka Wasner und
Holzmann Medien
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Flüchtlinge im Handwerk – eine Win-win-Situation?
1.1 Wer ist das eigentlich – der „Flüchtling"?
1.2 Was motiviert das Handwerk, die Chance zu nutzen?
1.3 Migration bereichert unsere Arbeitswelt und Ihr Unternehmen
1.4 Diversity – Unterschiede als Ressource erkennen!
1.5 Was spricht aus unternehmerischer Sicht für die Beschäftigung von Flüchtlingen im eigenen Betrieb? zilulfzuuilui iholp
2. Wann darf ein Geflüchteter beschäftigt werden?
2.1 Grundlagen für die Beschäftigungserlaubnis
2.2 Was gilt für Geflüchtete mit Aufenthaltstitel?
2.3 Was gilt für Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel?
2.4 Die 3+2-Regelung für Geduldete in einem Ausbildungsverhältnis
2.5 Was gilt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge?
2.6 Das Integrationsgesetz in Kürze
3. Den geeigneten Bewerber finden und einschätzen
3.1 Ist eine handwerkliche Ausbildung immer das Mittel der Wahl?
3.2 Alternativen erwägen, Überforderung vermeiden
3.3 Wie viel integrative Kapazitäten hat Ihr Unternehmen?
3.4 Bewerber mit Potenzial finden – mögliche Wege und Beratungsstellen
3.5 Bleibeperspektive einschätzen
3.6 Sprachniveau einschätzen und den Spracherwerb fördern
3.7 Berufsabschlüsse aus dem Ausland anerkennen
4. Fördermöglichkeiten für Betriebe und Geflüchtete
4.1 Wer hat Zugang zu Unterstützungen der Bundesagentur für Arbeit?
4.2 Zugang zu Arbeitsmarktmitteln für Geflüchtete und beschäftigende Betriebe
4.3 Zugang zu Arbeitsmarktmitteln für Geflüchtete
4.4 Programme zur beruflichen Bildung
5. Auf gute Zusammenarbeit!
5.1 Interkulturelle und soziale Kompetenz
5.2 Was ist ein Trauma, was eine posttraumatische Belastungsstörung?
5.3 Was braucht der neue Mitarbeiter, damit der Einstieg gelingt?
5.4 Was brauchen Vorgesetzter und Team, damit der Einstieg gelingt?
5.5 Was tun, wenn sich Mitarbeiter oder Kunden diskriminierend verhalten?
6. Initiativen der Handwerkskammern
7. Hilfe im Netz
7.1 Links mit mehrsprachigen Angeboten für Ihren neuen Mitarbeiter
7.2 Links zu unternehmerischen Organisationen, die sich für Flüchtlinge engagieren
7.3 Weitere nützliche Links
8. Glossar
Literaturverweise
Die Autorin
Stichwortverzeichnis
1. Flüchtlinge im Handwerk –
eine
Win-win-Situation
?
1.1 Wer ist das eigentlich – der „Flüchtling"?
An wen denken Sie, wenn Sie sich einen „Flüchtling" vorstellen? An den 20-jährigen schlaksigen Jungen mit dunkler Haut und Baseballkappe oder an die ältere Frau mit Kopftuch, die nur wenige Worte Deutsch spricht? An den bescheiden wirkenden Lehrer aus Syrien oder an das traumatisierte minderjährige Mädchen, das alleine aus Äthiopien nach Deutschland geflohen ist und viel zu schüchtern ist, um mit Ihnen zu sprechen?
Auch wer versucht, sich von Vorurteilen fernzuhalten, muss erkennen: Es gibt wenige Lebensrealitäten, die in unserer Gesellschaft so über einen Kamm geschoren werden, wie das Phänomen „Flüchtling". Dabei sind es unendlich viele Personengruppen, die auf ihrer Suche nach Zuflucht nach Deutschland kommen: Frauen, Männer, Kinder aller Alterstufen, aus allen gesellschaftlichen Schichten, mit den verschiedensten Ansichten zu Religion, mit den unterschiedlichsten schulischen und beruflichen Ausbildungen und Fähigkeiten, politischen Hintergründen und Erfahrungen, auf dem Land oder in der Stadt Sozialisierte – und jede und jeder von ihnen ist wie alle Menschen mit den unterschiedlichsten individuellen Erfahrungen und Eigenschaften ausgestattet.
Menschen, die nach Deutschland flüchten, haben nur eine Gemeinsamkeit: Sie suchen Schutz vor etwas so Bedrohlichem, dass sie sich entscheiden, ihre Heimat, ihre Existenz sowie Familie und Freunde zu verlassen, um die beschwerliche, oft lebensgefährliche Flucht nach Europa anzutreten. Keiner flüchtet freiwillig. Äußere Umstände, die die Freiheit, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit bedrohen, zwingen dazu. Flüchtlinge suchen Schutz, weil sie Angst davor haben, Opfer von Ermordung, Folter, Vergewaltigung, Inhaftierung, Versklavung oder Hunger zu werden.
Das ist auch aus Sicht der aufnehmenden europäischen Staaten die entscheidende Gemeinsamkeit geflüchteter Menschen. Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als eine Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Überzeugung begründete Furcht vor Verfolgung hat. Dabei kann der Geflüchtete nicht mit dem Schutz durch sein Heimatland rechnen. Nicht alle in Deutschland Zuflucht Suchenden erhalten auf dieser juristischen Grundlage ihren Schutzstatus (dazu an anderer Stelle mehr), gemeinsam ist jedoch allen mit Schutzstatus, dass sie sich bei Rückkehr in ihre Heimat in einer lebensbedrohlichen