Inklusion vor Ort: Der Kommunale Index für Inklusion - ein Praxishandbuch
Von Lambertus-Verlag
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Buchvorschau
Inklusion vor Ort - Lambertus-Verlag
Einleitung
Inklusion – was ist das eigentlich?
Fragen über Fragen: der Index für Inklusion
Ich, du, wir, alle – die Kommune als lebendige Gemeinschaft
Inklusion – was ist das eigentlich?
„Inklusion heißt, Menschen willkommen zu heißen. Niemand wird ausgeschlossen, alle gehören dazu: zu unserer Gesellschaft, unserer Kommune, zu jeder kleinen oder großen Gruppe und Gemeinschaft. Alle werden anerkannt und alle können etwas beitragen. Unsere Gesellschaft wird reicher durch die Vielfalt aller Menschen, die in ihr leben. Das Wort Inklusion kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie „Einschließen
– im positiven Sinn von „Einbeziehen": Alle Menschen gehören dazu, jeder kann mitmachen. Inklusion bedeutet auch, nachzudenken und zu beobachten: Wo und warum werden Menschen noch ausgeschlossen? Wie können wir das ändern?
Inklusion als Menschenrecht
Inklusion ist auf der ganzen Welt ein wichtiges Thema. Die Organisation der Vereinten Nationen hält Inklusion inzwischen im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte für unverzichtbar. Sie hat dazu 2006 eine Konvention verabschiedet: die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.¹ Sie verlangt, dass alle Menschen gleich gut behandelt werden und die gleichen Rechte haben. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Auch andere Menschen sind damit gemeint, die oft weniger Chancen haben als andere: Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer sozialen Stellung benachteiligt werden.
Warum ist Inklusion wichtig?
Je unterschiedlicher und vielfältiger die Menschen einer Gruppe sind, desto mehr kann die Gemeinschaft und jeder Einzelne in ihr profitieren. Denn jeder Mensch hat etwas Besonderes, etwas, das andere weniger oder gar nicht haben. Das können z. B. persönliche, regionale, soziale, kulturelle oder andere besondere Eigenschaften, Erfahrungen und Fähigkeiten sein. Aber auch verschiedene Geschlechterrollen, ethnische Herkunft und Nationalitäten, Sprachen, Hautfarben oder soziale Milieus, Religionen und weltanschauliche Orientierungen, körperliche Bedingungen etc. Einfach alles, was einen Menschen ausmacht, kann für die Gemeinschaft interessant sein. Dabei sind die Möglichkeiten für Verschiedenheit unendlich.
Gelingt es einer Gemeinschaft, die in ihr vorhandenen Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und zu nutzen, wird sie erfahrener und kompetenter. Sicherheit und Lebensqualität werden erhöht, weil inklusive Kulturen Bedrohung und Ausgrenzung abbauen.
Für Kommunen kann Inklusion auch wirtschaftlich interessant werden: Wenn alle Bürger/innen sich gegenseitig achten und schätzen, können viele Strukturen und Angebote einer Kommune auch gemeinsam genutzt werden. Je weniger Ausgrenzung es gibt, desto mehr kann die Unterstützung von Wenigen auf alle verteilt werden. Der Aufwand für die Kommune nimmt ab, die Identifikation und das Engagement der Bürger/innen für ihren Lebensort nehmen zu. Das wird durch bereits erfolgte Inklusions-Projekte bestätigt (siehe hierzu auch die Praxisbeispiele in diesem Handbuch ab Seite 182).
Inklusion als Haltung
Inklusion kann überall anfangen, hört aber nie auf. Inklusion ist ein lebendiger Prozess, der von unterschiedlichen Standorten gestartet und weitergeführt werden kann. Inklusion ist eine Haltung, eine persönliche Einstellung, mit der jede/r im privaten oder beruflichen Umfeld immer wieder etwas Neues entdecken und bewirken kann.
Inklusion als Haltung zeigt sich in unserem Denken und Handeln. Auch in der Sprache kommt diese Haltung zum Ausdruck: sowohl im wörtlichen Sprechen als auch in der Körpersprache. Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung gegenüber anderen Menschen kann man auf vielen Wegen mitteilen. Deshalb bedeutet Inklusion auch, auf Menschen so zuzugehen, dass Kontakt und Austausch möglich werden, dass etwas Gemeinsames entsteht. Sprechen und Handeln ergänzen sich und können beide Inklusion ermöglichen.
Grundideen einer inklusiven Haltung
•Inklusion versucht, die Herausforderungen unserer Welt menschenwürdig anzunehmen.
•Inklusion will allen Menschen ermöglichen, am Leben teilzuhaben. Das bedeutet: anerkannt und wertgeschätzt zu sein, mitzuwirken, Kontakte und Freundschaften zu haben, gemeinsam voneinander zu lernen.
•Inklusion erkennt jede Person in ihrer Einmaligkeit an: Jede/r lebt in unterschiedlichen Situationen und hat andere Kompetenzen, Bedürfnisse und Stärken.
•Inklusion schätzt die Verschiedenheit von Menschen und versucht, sie aktiv zu nutzen.
•Inklusion sieht einen Menschen als Ganzes und wendet sich gegen Einteilungen, die der Vielfalt von Menschen nicht gerecht werden (z. B. „Deutsche und Ausländer, „Behinderte und Nichtbehinderte
, „Heterosexuelle und Homosexuelle, „Reiche und Arme
etc.).
•Inklusion wendet sich dagegen, Menschen an den Rand zu drängen. Inklusion stellt Brücken und „Sprungbretter" bereit, damit Menschen teilhaben können.
•Inklusion macht aufmerksam und hilft, Ursachen, Formen und schon kleine Anzeichen von Diskriminierung zu erkennen und abzubauen.
•Inklusion begegnet jedem Einzelnen mit Fairness, Offenheit und Respekt.
•Inklusion ist kein Ergebnis, sondern ein „Prozess". Selbst wenn inklusive Prozesse nie wirklich abgeschlossen sind, lohnt sich jeder kleine Schritt.
•Inklusion bietet viele Wege, um sich an diesem Prozess zu beteiligen – alle Ideen sind willkommen, wenn sie zu mehr Akzeptanz und Möglichkeiten führen.
Fragen über Fragen:
der Index für Inklusion
Das vorliegende Handbuch will vor allem eins: möglichst viele Menschen für das Thema Inklusion gewinnen. Es ist ein Praxisbuch, das viele Anregungen gibt, wie man sich aktiv an Inklusion beteiligen kann.
Im Mittelpunkt des Buches stehen keine Antworten, sondern Fragen: Der eigentliche Index für Inklusion ist ein Fragenkatalog, d. h. eine Sammlung von Fragen, mit denen man unterschiedliche Themen rund um das große Thema Inklusion bearbeiten kann – allein oder im Gespräch mit anderen.
Was bedeutet „Index"?
Der Begriff Index hat viele Bedeutungen: Hinweis, Verzeichnis, Referenz, Register, Stichwortverzeichnis, Liste etc. Im Anhang eines Buches kann ein Index z. B. wichtige Begriffe auflisten und auf die Seitenzahlen verweisen. Der Index für Inklusion listet eine Vielzahl von Fragen auf und ordnet sie nach Themengebieten. So findet sich jeder Mensch gut zurecht – wie in einem guten Verzeichnis. Als „Referenzrahmen" bietet der Index für Inklusion zugleich ein Gerüst von Empfehlungen und Anregungen. Er gibt Orientierung, ohne etwas vorzugeben. Jede/r kann dieses Verzeichnis und diesen Rahmen nutzen, um einen eigenen Weg zu finden und sich unterwegs immer wieder zu orientieren.
Warum Fragen?
Warum Fragen und nicht Antworten? Ganz einfach: Fragen öffnen Gespräche. Mit Fragen kommen wir in einen Dialog, Fragen regen das Nachdenken an. Die meisten der Fragen lassen sich nicht einfach mit „ja oder „nein
beantworten. Sie bilden vielmehr den Ausgangspunkt dafür, sich selbst und andere zum Nachdenken anzuregen. Ob persönlich oder im Rahmen eines Projekts am Arbeitsplatz, ist dabei gar nicht wichtig. Jeder Mensch kann sich und andere befragen, jeder kann über mögliche Antworten nachdenken. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, etwas Bestehendes zu verändern.
Woher kommt der Index für Inklusion?
Die Idee und der Titel kommen ursprünglich aus England: Die britischen Pädagogen Mel Ainscow und Tony Booth haben im Jahr 2000 den ersten Index for Inclusion herausgebracht: einen Fragenkatalog mit über 500 Fragen. Er sollte Schulen – und später auch Kindertagesstätten – dabei helfen, Aspekte wie Teilhabe und Vielfalt bzw. Ausgrenzung und Diskriminierung in der eigenen Einrichtung zu überprüfen.² Inzwischen ist dieser Index in viele Sprachen übersetzt und international im Einsatz. In Deutschland haben Ines Boban und Andreas Hinz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg den Text für Schulen übersetzt, an deutsche Verhältnisse angepasst und viel für seine Verbreitung und Weiterentwicklung getan.³ Die deutsche Fassung des Index für die Kindertagesstätten brachte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft heraus. Viele Schulen und Kindergärten im deutschsprachigen Raum arbeiten nun bereits mit dem Index.
Wie entstand der Kommunale Index für Inklusion?
Die Idee, den Index auch auf die Arbeit im Gemeinwesen anzuwenden, kommt ebenfalls aus England: Die britische Gemeinde Suffolk hat auf Basis des Index for Inclusion ein eigenes Handbuch für den kommunalen Bereich entwickelt. Diese Initiative war das direkte Vorbild für das vorliegende Handbuch. Der Fragenteil des Handbuchs aus Suffolk wurde übersetzt, bearbeitet und in Form eines ersten Arbeitsbuchs bereits in einer einjährigen Pilotphase getestet. Die Fragen und Ergebnisse aus dieser Phase waren dann die Basis für die Entstehung des Kommunalen Index für Inklusion.
An wen richtet sich das Handbuch?
An alle! An Mitarbeiter/innen der Kommune und kommunaler Einrichtungen genauso wie an Bürger/innen, Besucher/innen, Gäste – an jeden Menschen, der sich wünscht, von anderen offen und freundlich empfangen und behandelt zu werden und sich auch selbst so verhalten möchte. Inklusion lebt davon, dass möglichst viele Menschen und Einrichtungen sich gemeinsame Ziele setzen, sich vernetzen und austauschen.
Wie fängt man am besten an?
Diese Frage lässt sich entweder nur sehr lang oder sehr kurz beantworten. Sehr lang, weil es so viele verschiedene Möglichkeiten gibt – sehr kurz, weil jeder Weg in Richtung Teilhabe richtig ist. Im Kapitel „Veränderung planen und umsetzen gibt es jede Menge Ideen, Materialien, Hinweise und mehr, die zeigen, wie man auf die eine oder andere Art loslegen kann. Das Kapitel „Beispiele aus der kommunalen Praxis
zeigt, wie Menschen in Kommunen das bereits getan haben. Im Prinzip kann jede/r selbst entscheiden – es gibt keine festen Vorschriften oder Methoden. Man kann die Fragen der Reihe nach durchgehen, sich einzelne Fragen aussuchen oder einfach mit Freund/innen, Nachbar/innen oder bei der Arbeit mit Kolleg/innen