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Der Ether-Song
Der Ether-Song
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eBook419 Seiten6 Stunden

Der Ether-Song

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Über dieses E-Book

Koffein- und nikotinhaltig. Mystery (59%), Thriller (21%), surreale Fantasy (10%), Selbstfindungstripp (10%). Enthält Spuren von Punkrock und abgedrehtem Kram.

Die punkige Straßenmusikerin Lauren hat die Schnauze voll von London. Um zu sich selbst zu finden, kappt sie alle Kontakte und nimmt einen Job in einem abgelegenen walisischen Schloss an. Zuerst wundert sie sich nur über die exzentrische Schlossherrin Mrs Devinport. Dann ergreifen surreale Träume auf beängstigende Weise Besitz von Laurens Denken und wirken sich sogar auf ihren Körper aus. Nahezu als handle es sich um eine zweite Realität, in der sie einer düsteren Bestimmung folgen muss.

Während Lauren ihrem Tagebuch, dem Tage-Dude, Bericht erstattet, leisten Exfreund Adam und Schwester Abi - eher dilettantische - Detektivarbeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum4. Jan. 2017
ISBN9783743157385
Der Ether-Song
Autor

Samara Summer

Samara Summer ist Freelance-Autorin und arbeitet hauptberuflich als Journalistin und Texterin. Bereits seit der Kindheit begeistert sie sich für Geschichten und bringt ihre eigenen Storys zu Papier. Besonders angetan hat es ihr der Spannungssektor. Wenn sie mal nicht auf die Tastatur einhämmert, zockt die Autorin Videospiele (besonders gerne Souls, Horror und Cozy), macht Musik oder ist draußen unterwegs.

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    Buchvorschau

    Der Ether-Song - Samara Summer

    EPILOG

    I. HIGH & LOW

    Mittwoch 15. Juni, London

    Lauren Peterson rannte. Ihre Augen schreckgeweitet. Die Kapuze wurde ihr vom Kopf gerissen. Der tosende Sturm zerrte an den leuchtend roten Strähnen ihres Haares.

    Glitzernder Staub wirbelte herum und brannte in ihren Augen. Sie rannte die breite Straße entlang. London Camden Town. Bunte Hausfassaden. Sie verblichen. Der Asphalt unter ihr veränderte sich. Gelbe Pflastersteine. Gelbe Pflastersteine? Das Dröhnen des Windes manifestierte sich in ihrer Magengrube. Formte ein pochendes Geschwür. Netzartige Bündel aus trockenen Zweigen. Wurden ihr entgegengeschleudert. Wie Bälle. Lauren nahm schützend die Hände hoch. Wilder Westen. Merkwürdig. Ihre eigene Stimme verzerrt. Wie ein Vogellaut. Sie sah sich um. Lief dabei weiter. Vor ihr ein offener Haus-Schlund. Dunkel, sicher. Gott, verdammt. Diese gute Dunkelheit! „Ich muss sie erreichen. Sie kühlt mich", dachte Lauren.

    Doch da begannen die Pflastersteine zu glühen. Der Erdboden warf sich auf. Direkt vor den Spitzen ihrer Chucks. Lauren kam gerade noch stolpernd zum Stehen. Sie taumelte. Kämpfte um ihr Gleichgewicht. Wäre beinahe gefallen. In den gähnenden Krater, der sich vor ihr auftat. Der Boden warf Falten wie ein Teppich. Oder wie zähe Lava.

    Lauren warf sich auf den Rücken. Stille. Auf einmal herrschte völlige Stille. Dann hörte sie ein leises Knacken. Alles war hell. Und so still. Sie sah sich um. Gelbe Pflastersteine. Doch dann spürte sie es. Knack. Unter ihren Fingern bildeten sich Risse. Ein lautes, klirrendes Geräusch. Der Erdboden, die ganze Welt, barst wie Glas. Und Lauren stürzte ins Bodenlose.

    Sie schlug hart rücklings auf dem Waldboden auf. Keuchte, hustete. Ihr Rücken schmerzte. Aber dickes, feuchtes Moos hatte den Sturz abgefedert. Farn wuchs zwischen alten, hohen Baumstämmen. Die Luft schmeckte nach Wassertropfen. Sie war fasziniert. Folgte mit den Augen den Stämme gen Himmel.

    Baumwurzeln statt Baumkronen. Die Bäume streckten ihre Wurzeln statt Ästen in den Himmel. Das war schön. Diese Welt war so weich und schön. Lauren rappelte sich auf. Sie spürte keine Schmerzen mehr. Ihre Schritte fühlten sich auf dem Moosteppich ganz weich, ganz leicht an. Sie hüpfte, federte. Flugphase. Schweben.

    Am Waldrand stand ein Haus. Ein sehr einfaches Haus. Kalksteinmauern. Schönes Moos wuchs auf dem Dach. Die Tür stand offen. In einem Schaukelstuhl eine Frau. Alt. Mit weißem Haar. Nein. Weißes Haar. Aber jung und schön. Alt in Erfahrung höchstens. Sehr erfahren. Sehr klug. Sehr weise. Nicht viel in ihrem Haus. In der Ecke aber ein Stück sehr tiefes Dunkel. Ein schwarzes Loch, dessen Ränder blau leuchteten. Ein Tier. War das ein dunkles Tier? Ein Lebewesen? Nein, es war ein Loch. In der Wand. Leuchtend dunkel. Und lebendig. Irgendwie. Ein Gesichtsloser trat ins Bild und versperrte Lauren die Sicht.

    „Nein. Hey!", wollte Lauren sagen. Aber sie konnte nicht sprechen. Ihre Lippen waren zu schwer. Der Mann trug einen dunkelroten Umhang. Schwere Stiefel. Polternde Schritte. Er griff die Frau. All das Schöne. All der Frieden. Dahin. Er hatte sie beim Hals gepackt. Zog sie hoch wie eine Puppe. Ihre Füße baumelten über dem Boden. Sie würgte, keuchte. Seine zweite Hand mit der ledernen Stulpe zog etwas unter dem Umhang hervor.

    „Nein", dachte Lauren. Im selben Moment wusste sie, dass der Gegenstand in seiner Hand ein Dolch war. Und dass das Schicksal unumgänglich war. Sie spürte seinen Griff um ihren eigenen Hals. Sie keuchte. Der Verhüllte schnitt mit dem Dolch ihre Kehle durch. Die Kehle der weißhaarigen Frau. Laurens Kehle. Die Kehle. Das Blut sprühte. Eine Fontäne aus Blut. Oder aus Dunkel. Lauren hustete. Würgte. Kämpfte. Blut in ihrem Rachen. Ersticken sicher. Tod. Dunkel. Kampf. Husten.

    Sie spuckte. Sie spuckte; das Gesicht dicht über dem Boden. Was war das, was sich da vor ihren müden Augen unscharf abzeichnete? – Eine Lache. Erbrochenes. Es verteilte sich wässrig über den Dielenboden, kroch in die Bodenritzen. Ohne dass Lauren es schaffte oder auch nur auf die Idee kam etwas dagegen zu unternehmen. Denn es war alles egal. Immer deutlicher drang in ihr Bewusstsein was soeben geschehen war. Das Geschehnis blähte sich zu seiner vollen, bedrohlichen Größe auf. Lauren keucht. Kalte Schweißperlen rannen über ihre Haut. Ihre Finger tasteten nach der Kehle, die sie kaum fühlen konnte. Sie hustete immer noch und konnte nicht aufhören. Und in ihrem Schädel war dieses Surren und Zischen. Ein Pochen, das ihren Kopf erschütterte sobald sie sich nur ein Quäntchen bewegte.

    Sie konnte den Raum lediglich schemenhaft wahrnehmen. Die Luft wurde von Schlieren durchzogen. Schlieren, die sich durch die Luft bewegten wie Tintenfäden in einem Wasserglas. Dunkelblau und leuchtend. Glänzend.

    Nachdem Lauren mehrmals mühevoll geschluckt hatte, ließ der Hustenreiz endlich nach. Mühevoll zog sie sich zurück auf die Couch, von der sie heruntergehangen war und blieb rücklings auf den Polstern liegen. Nun, da ihr eigenes Keuchen verstummt war, konnte sie das Surren und Zischen deutlicher hören. Und auf einmal meinte sie darin Stimmen zu erkennen. Ein helles, kristallen flüsterndes Durcheinander. Ein Chor aus Worten, von denen sie nicht eines verstehen konnte. Die Schlieren in der Luft waren wurmartige Schattenwesen, die ihre Kreise über Lauren zogen und in einer fremdartigen Sprache debattierten. Laurens Geist war noch nicht wieder zurück aus der Schattenwelt. Ihr Körper wie gelähmt. Sie konnte nichts als liegen, beobachten, lauschen.

    Erst als helle Sonnenstreifen durch die halbgeschlossenen Jalousien fielen, lösten sich die Schattenwesen in Luft auf und ihre Stimmen verstummten. Das Pochen in Laurens Schädel blieb allerdings. Es war ihr eigener Herzschlag der ihren gebeutelten Kopf in regelmäßigen Abständen erschütterte. Ihre Kehle war staubtrocken, ihre Glieder schwach. Und als ihr Verstand vollkommen zurückgekehrt war, setzten zuerst Reue und dann Scham ein.

    Nun, da alles Mystische gewichen war, hinterließen die banalen, erbärmlichen Fakten einen bitteren Nachgeschmack:

    Das Wohnzimmer stank erbärmlich nach Kotze. Laurens Kotze. Am Abend zuvor hatte sie mit Adam erst getrunken, dann etwas eingeworfen. Etwas von dem harten Zeug, das er schon monatelang unter Verschluss hielt und von dem er gesagt hatte, wenn sie es überhaupt probieren wolle, dann nur unter seiner Aufsicht. Wenn er auf sie aufpassen konnte. Diesen Vorsatz hatte er anscheinend – betrunken – in den Wind geschossen. Sie hatten das Zeug einfach ohne Verstand beide geschluckt. Ohne dass einer von ihnen im entferntesten dazu imstande gewesen wäre auf den anderen aufzupassen.

    Lauren musste dann irgendwann auf der Couch eingeschlafen sein. Im Schlaf hatte sie sich erbrochen und wäre dann beinahe daran erstickt. Wenn sie nicht im letzten Moment zu sich gekommen wäre und alles auf den Boden gespuckt hätte.

    Adams Schnarchen war aus Richtung des Schlafzimmers zu vernehmen. Lauren griff nach einem Sofakissen und drückte es in ihr Gesicht.

    „Was für eine Scheiße, Lauren. Warum bist du so beschissen blöde?", murmelte sie.

    Dann rappelte sie sich hoch. Ihr dünner, hochgewachsener Körper war nur bekleidet mit einem ausgeleierten, schwarzen Schlüpfer und einem Nirvana-Shirt, von dem sie einen Ärmel abgeschnitten hatte um es punkiger und sexier aussehen zu lassen. Lauren war ein ausgesprochen britischer Typ; von der hübschen Sorte: Extrem bleiche Haut, schmale blasse Lippen. Ihr Haar war von Natur aus glatt und kupferblond. Einmal hatte sie probiert es grün zu färben, aber gemischt mit dem natürlichen Rotstich hatte sich ein seltsam Farbton ergeben. Weil sie sich aber mit der blassen Originalfarbe ihres Haares auch nicht abfinden wollte, färbte sie es seither konsequenterweise knallrot. Dazu trug sie einen fransigen abgeschrägten Pony. Ihre Augen, die an diesem Morgen sehr wässrig aussahen, waren grün und ihre kleine, sommersprossige Nase wirkte massiver durch ein Septumpiercing.

    Aus dem Shirt lugte auf der freien Schulter eines ihrer Tattoos hervor: Ein Pin-Up-Spinnen-Girl in einem feingliedrigen Netz. Ihr erstes Tattoo waren allerdings die Blumenranken am Unterarm gewesen. Hinzugekommen war noch ein „So What"-Schriftzug unterhalb ihres gepiercten Bauchnabels.

    Das war Lauren. Lauren Peterson, die inzwischen 26 war, sich aber in diesem Moment fühlte wie ein dummes Kind. Ein dummes, unvernünftiges Kind, das nur zu oft gewarnt worden war. Das aber beim Spielen auf der Straßen trotzdem nicht aufgepasst hatte.

    Die Gedanken in ihrem Kopf jagten sich: Diese Erscheinungen, die blauen Schlieren. Seltsam! Und sie hatte das Gefühl, dass sie auch einiges geträumt hatte. Aber was so genau? Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft und eigentlich wollte sie sich nicht erinnern. Die offene Wohnküche war ein sprichwörtlicher Schweinestall, den sie keines Blickes würdigte. Ihr Interesse galt einzig und allein dem Wasserhahn und dem kühlen, frischen Nass. Sie hängte sich unter den Hahn, trank und wusch sich das Gesicht. Dann fühlte sie sich imstande Kaffee zu kochen. Ihr war nicht danach Adam zu wecken. Stattdessen machte sie sich daran Beweise verschwinden zu lassen:

    Sie befeuchtete eine große Menge Klopapierstreifen während der Kaffee durchlief und wischte damit notdürftig den Kotzefleck vom Boden. Am Ende trocknete sie nach. Ebenfalls mit Klopapier. Danach nahm sie mit ihrer Kaffeetasse an dem runden, zerschlissenen Esstisch Platz, in den so viele Leute über die Jahre ihre Namen und Botschaften eingeritzt hatten. Sie zog die letzte Kippe aus einer offenen Schachtel, zündete sie an und trank schwarzen Kaffee. Danach saß sie einfach nur. Für wie lange genau? - Lange. Als sie Adams nackte Füße über den Dielenboden platschen hörte, war es Lauren als sei sie um Jahrhunderte gealtert.

    „Gibt‘s Kaffee?", war seine erste, so unverschämt banale Frage.

    „Ist kalt", murmelte Lauren und sah ihn nicht an.

    „Egal… Ist Kaffee", nuschelte Adam, prüfte die leere Zigarettenschachtel und fluchte leise.

    Er war nur mit Boxershorts bekleidet und präsentierte seinen dünnen Oberkörper, der ganz und gar von asiatischen Tattoos bedeckt war. Unter seinen leuchtend blauen Augen mit den langen Wimpern lagen dunkle Schatten. Sein Gesicht mit den feinen Zügen wirkte völlig übermüdet. Den stechenden Geruch im Wohnzimmer schien er gar nicht wahrzunehmen. Er strich über die dunklen 1-mm-Stoppeln, die auf seinem Kopf wuchsen und gähnte laut.

    „Ich wäre fast gestorben, sagte Lauren. Adam hielt in einer Streckbewegung inne, nicht sicher ob er richtig verstanden hatte. „Was?!

    „Ich wäre fast verreckt!, rief Lauren laut und vorwurfsvoll. Sie sprang von ihrem Stuhl auf. „Krepiert, erstickt an meiner eigenen Kotze! Tränen schossen aus ihren blutunterlaufenen Augen.

    „Hey L., ganz ruhig, ganz ruhig", beschwichtigte Adam und schlang die Arme um sie.

    „Ruhig?, rief Lauren und machte sich von ihm los. „Gooott! Verstehst du nicht wie erbärmlich das ist? Wie erbärmlich wir sind? Was hätte wohl auf meinem Grabstein gestanden? - Blöd wie sie war, ging sie in den Tod. Rest in Puke? Adam verschränkte die Arme.

    „Es tut mir unglaublich Leid, L. Das war meine Schuld. Ich habe versprochen, wenn wir das Zeug jemals anrühren, pass ich auf dich auf."

    „Nein, Adam. Das ist nicht der Punkt, widersprach Lauren. „Es hätte gar nicht so weit kommen dürfen. Du musst nicht auf mich aufpassen. Ich muss aufhören Scheiße zu bauen. Ich muss erwachsen werden und einfach mal… Ach, was weiß ich… Adam kratzte sich am Kinn, wo er ein kleines Grübchen hatte, über dem die selben Stoppeln wuchsen wie auch auf seinem Kopf und sah kleinlaut zu Boden.

    „Ich weiß nicht was ich sagen soll, sagte er. „Du hast einfach Recht. Lauren warf ihm einen überraschten Blick zu. Doch dann sagte er nur: „Weißt du, früher habe ich nie zu irgendetwas *nein* gesagt. Weil nichts mehr zählte als alles auszuprobieren. Aber jetzt mit dir, gibt es etwas, das ich schützen möchte. Und ich hätte die Finger von dem harten Scheiß lassen sollen. Das werde ich in Zukunft. Ich möchte dich zu nichts anstiften." Lauren seufzte. Nein, er hatte nichts kapiert. Er sah nur diesen einen Aspekt. Dieses eine Missgeschick, das ihr die Augen für das große Ganze geöffnet hatte. Sie musste deutlicher werden.

    „Ich sagte, *Wir sind erbärmlich* - Und ich meinte es so", sagte Lauren leise.

    „Woah, woah, L.. Jetzt mal ganz langsam, erwiderte Adam. „Was passiert ist, ist scheiße. Das hätte nicht passieren dürfen. Und ich verstehe, dass du wütend bist. Und geschockt. Und durcheinander. Das darfst du auch sein. Am besten du schlägst mich! Er bat ihr die Wange an „Aber bitte sag sowas nicht. Du kannst nicht alles verallgemeinern."

    „Du kapierst es nicht, murmelte Lauren und hob die blanken Handflächen in die Luft „Es ist eben mal alles allgemein scheiße hier. Bruchbude – scheiße. Duschen ohne Warmwasser – scheiße. Dann… was weiß ich. Sofa mit Brandlöchern – akzeptabel bis scheiße. Jeden Tag die gleichen Songs spielen – scheiße. Immer die gleichen ignoranten Arschlöcher, die zuhören – scheiße. Jeden Tag auf die scheiß Pennys hoffen, die sie uns in den Hut schmeißen, damit sie sich wie scheiß Gutmenschen fühlen können – scheiße. Tiefkühlpizza – scheiße, Gras – scheiße, Whiskey – scheiße. Diese verfickte Nahtoderfahrung – beschissene Scheiße! Sie hat mir gezeigt, dass unser Leben ein Fail ist! Kapierst du das oder muss ich noch deutlicher werden?

    „Nein. Ich glaube, das war genug *scheiße*, sagte Adam ruhig „Alles in dir ist gerade negativ. Das verstehe ich. Du kannst mich gerne für ein paar Stunden hassen. Oder auch für ein paar Tage, weil ich das zugelassen habe. Aber bitte zieh nicht alles in den Dreck was wir haben. Denn was wir haben ist eigentlich gut.

    „Was daran ist gut?, fragte Lauren und konnte nicht verhindern, dass erneut Tränen aus ihren Augen schossen. „Wir können nie Urlaub machen, einfach wegfliegen. Palmen, Strand und Meer. Ich hab seit Jahren nichts mehr gesehen außer Londoner Asphalt.

    „Okay, erwiderte Adam. „Ich verstehe.

    „Was verstehst du?", fragte Lauren weinend.

    „Du bist ausgelaugt und angepisst. Du brauchst dringend eine Pause, mutmaßte er „Und ich werde dir eine beschaffen. Es ist vielleicht kein Ausgleich für das, was du gerade durchgemacht hast, aber naja… Ich suche mir einen Job in einer Fabrik. Drei Monate Fließband als kleine Sühne. Und von dem Geld verreisen wir. Wir machen‘s uns irgendwo gemütlich und reden über das Leben.

    „Oh Adam, du bist süß", schluchzte Lauren und schlug die Hände vor die Augen.

    „Das… klingt schon viel besser, flüsterte Adam und umarmte sie. „Das ist es ja…, sagte Lauren. „Das reicht einfach nicht."

    „Wie?", fragte Adam.

    „Dieses Erlebnis…, begann Lauren „… du hast Recht, es hat mich beeinflusst. Ich weiß nicht wie ich es erklären soll… Es war der Horror. Aber kein Horrortrip. Es war was Größeres. Vielleicht eine Art Vision.

    „Eine Vision?", fragte Adam.

    „Was da passiert ist, war strange, Adam. Wirklich Strange. Ich habe Dinge erlebt, die irgendetwas in mir ausgelöst haben, das ich nicht verstehe. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie irgendetwas bedeuten. Und irgendetwas… in mir verändert haben."

    „Das kann gut sein, murmelte Adam und seufzte „Ich wollte das Zeug eigentlich letzte Woche im Klo runterspülen. Weil ich genau sowas befürchtet habe. Das Zeug ist glaube ich nicht das Richtige für dich.

    „Achja, jetzt bin ich zu sensibel oder was?", fuhr Lauren ihn an. Adam schloss die Augen:

    „Ja. Vielleicht. Aber das ist nichts Negatives. Dieses Zeug kann viel in einem auslösen und du warst in letzter Zeit ja etwas…"

    „Was?", rief Lauren gereizt und verschränkte die Arme. Adam zog die Brauen hoch:

    „Etwas gereizt, Lauren. Willst du über den Trip sprechen?", fragte Adam.

    „Nein, ich weiß nicht, wie ich‘s erklären soll. Ich muss es erst selbst durchdringen, sagte Lauren „Das ist… ich glaube, es ist eine sehr persönliche Erfahrung.

    „Du bist nicht so erfahren in diesen Dingen, L., meinte Adam „Und es tut mir wirklich Leid, dass du diese Erfahrung so machen musstest. Das war falsch und das könnte den stärksten Typen umhauen.

    „Ja, sagte Lauren und verstellte ihre Stimme „Ich bin ja aber nur ein kleines, unerfahrenes Mädchen und deine tollen, versifften Kumpels wissen es alle viel besser.

    „Meine versifften Kumpels?", fragte Adam.

    „Ja, antwortete Lauren „Eben manche von den Typen, mit denen du abhängst. So wie dein Bruder und die Band mit der er letzten Monat hier war. Loser und Junkies.

    „Okay Lauren, sagte Adam nachdenklich „Du willst mich gerade verletzen, alles infrage stellen und mich auf jede erdenkliche Art kritisieren. Brodelt das schon länger in dir? Ich habe gemerkt, dass du angespannt warst und nicht bei der Sache. Lauren, bist du unglücklich? Sie seufzte.

    „Ich weiß es nicht, sagte sie dann leise „Ich weiß es wirklich nicht. Wenn ja, dann hab ich‘s wohl noch nicht richtig kapiert.

    Adams Blick fiel auf Laurens Handy. Ein altmodisches Tasten-Modell, das sie mit Nagellack grün angemalt hatte.

    „Hast du gestern vielleicht mit Abigail gesprochen?, wollte er wissen. „Abi?, fragte Lauren „Gooott, Adam. Ziehst du sie jetzt mit rein? Was? Denkst du, sie hat mich gegen dich aufgehetzt oder was? „Nicht wirklich, erwiderte Adam „Aber alles, was dich beschäftigt bevor du was einwirfst, kann den Trip beeinflussen. Und du klingst heute Morgen wirklich nach Abigail."

    „So schlimm?, fragte Lauren. Ihre Tränen waren inzwischen getrocknet. Von einem Moment auf den anderen legte sich der Sturm, der in ihr getobt hatte und sie fühlte sich ganz ruhig. Weil sie eine Entscheidung getroffen hatte. Ohne es Adam wissen zu lassen. „Vielleicht klinge ich ja wie Abi, meinte sie nun „Ihr Geburtstag war vor fünf Tagen."

    „Ja richtig, ich erinnere mich", sagte Adam sofort, obwohl Lauren sicher war, dass er log.

    „Ich hab sie aber nicht angerufen, fuhr Lauren fort „Seit wir den Streit hatten, haben wir nicht gesprochen.

    „Vermisst du sie?", fragte Adam. Lauren zuckte die Schultern:

    „Klar, manchmal. Aber ist ja nicht das erste Mal. Das ist nur eine Schlacht. Den Krieg gibt‘s schon immer."

    „Möchtest du ihr Blumen senden?, fragte Adam „Als Geste? Wir haben noch Geld in der Sparkasse. Vielleicht tut es dir gut Frieden zu schließen. Lauren nickte:

    „Ja, das ist bestimmt gut für mich. Und weißt du was? Ich habe einen Bärenhunger und im Kühlschrank herrscht gähnende Leere. Würde es dir was ausmachen einzukaufen?"

    „Nein, ich zieh‘ mir was an und gehe sofort", erwiderte Adam und verschwand im Schlafzimmer, um die Klamotten aufzuklauben, die er am Vortag in eine Ecke des Zimmers geschleudert hatte. Lauren spürte, dass er froh war eine Aufgabe erhalten zu haben. Sie kannte ihn gut. Er spielte so gern den Beschützter. Und er war so verständnisvoll. Sein Verstand war messerscharf. Trotzdem saßen sie hier fest. Es war ihr bisher nicht so vorgekommen. Doch jetzt fühlte sie sich wie eine Gefangene. Gezwungen von einem Tag in den nächsten zu leben. Denn sie hatte ja für ihn alles weggeschmissen. Und in diesem Moment hasste sie ihn dafür. So sehr wie sie ihn auch eigentlich liebte.

    II. ABIGAIL

    Mittwoch, 15. Juni, London

    Seit Adam sie erwähnt hatte, verspürte Lauren das dringende Bedürfnis ihre Schwester anzurufen und nachdem er die Wohnung verlassen hatte, wählte sie umgehend ihre Nummer. Ihre recht tiefe und etwas harte Stimme meldete sich mit:

    „Peterson Immobilien, Sie sprechen mit Abigail Wittley, Marketing. „Hey Abi, ich bin‘s, sagte Lauren verstohlen „Kannst du… äh… Kannst du mich kurz zurückrufen…?"

    „Mein Guthaben ist gleich leer", sprachen beide Schwestern im Chor, weil Abigail diesen Satz nur allzu gut kannte.

    „Ja gleich, ich muss nur noch eine E-Mail versenden. Wir hören uns in zwei Minuten, sagte Abigail und legte auf. Sie war diejenige Schwester, die es vorgezogen hatte mit dem Strom zu schwimmen und sich die Vorteile des elterlichen Konzerns zu Nutze zu machen. Abigail war zielstrebig und ehrgeizig, hatte ausgezeichnete Schulnoten gehabt und sich immer für Sport begeistert. Ihr Studium des „Kommunikations-Designs hatte sie mit einem exzellenten Bachelorabschluss beendet. „Nur" Bachelor weil bereits die Position der Marketing-Chefin des Peterson-Konzerns gewunken hatte. Im Unternehmen dirigierte sie zwei Mitarbeiterinnen. Zuhause ihren Ehemann George Wittley.

    Ihn hatte sie beim Surfen auf Hawaii kennengelernt und dann geheiratet nachdem er mit einem 67er-Mustang um ihre Hand angehalten hatte. Lauren hielt George für ein verwöhntes Söhnchen ohne Mumm. Doch er schien geradezu verrückt nach Abigail zu sein und sah ziemlich gut aus. Braungebrannter Surf-Boy mit schulterlangem, blonden Haar. Kein typischer Brite. Er hätte Australier sein können. Oder so etwas. Abi selbst hatte schon immer die Ausstrahlung der großen Schwester besessen, obwohl sie zwei Jahre jünger war als Lauren. Ihr Gesichtsausdruck war zumeist ernst. Sie war kleiner als Lauren und nicht so dünn. Eher drahtig, muskulöser und kurviger. Ihre Schultern waren breiter als Laurens, ihre Brüste zwei Körbchengrößen draller. Ihre Lippen voller. Ihr Haar trug sie im Gegensatz zu Lauren natürlich blond mit Rotstich, seitlich gescheitelt und oft zu einem Knoten zusammengefasst. Erfolg war für sie immer das übergeordnete Ziel gewesen, das für Lauren die Rebellion gewesen war. Die größte Gemeinsamkeit zwischen den beiden waren ihre katzenhaften Augen und ihre Sturheit.

    Wenige Minuten später klingelte Laurens Handy. Abigails Nummer erschien auf dem Display, denn wie üblich, hielt sie ihr Versprechen.

    „Hi Laurie, wie geht es dir?", fragte sie und Lauren konnte am Klang ihrer Stimme hören, dass sie nicht ganz bei der Sache war und wahrscheinlich nebenbei eine E-Mail oder ein arbeitsrelevantes Magazin las.

    „Du bist nicht mehr sauer", stellte Lauren fest.

    „Nein, weißt du die Bürotüre steht offen. Ich kann deine Worte also nicht wiederholen. Aber ich wurde schon als Schlimmeres bezeichnet", erklärte Abigail.

    „Abi, ich…", begann Lauren, wurde aber von ihrer Schwester unterbrochen:

    „Schon gut. Ich hab den Streit satt und ich habe keinen Bock auf Versöhnung und den ganzen Mist."

    „Okay", sagte Lauren und räusperte sich:

    „Ehrlich gesagt, rufe ich an, weil ich mit irgendjemandem… nein, eigentlich mit dir reden muss… Weil du vielleicht die Einzige bist, die mich versteht. Ich hatte ein krasses Erlebnis und mir ging es echt dreckig, aber jetzt habe ich eine Entscheidung getroffen und…"

    „Äh, warte…, sagte Abigail und Lauren konnte hören, wie eine Türe geschlossen wurde. „Okay, jetzt – Was ist los, Laurie? Was ist passiert? Ich komme nicht ganz mit, meinte Abigail.

    „Ich hatte eine Nah… eine Vision… Ach, zu kompliziert, stammelte Lauren „Alles was zählt ist, dass ich was verstanden habe: Ich muss mein Leben ändern. Du hattest Recht.

    „Laurie. Jetzt mal ganz langsam, erwiderte Abigail „Vielleicht war ich etwas zu penetrant bei unserem letzten Gespräch. Ich habe das doch nur so gesagt, weil du mich provoziert hast. Und weil du ja sowieso nicht auf mich hörst. Ich hatte kein Recht mich so einzumischen.

    „Warum nicht?, fragte Lauren „Du bist ja wohl die Schwester, die alles richtig gemacht hat. Sie hörte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung.

    „Oh Mann, Laurie. So fühlt es sich überhaupt nicht an. Ich hab eigentlich eher das Gefühl, dass du Recht hattest. Ich trete nur mein Rädchen in der Sklavenmühle. Ich ertrinke in Arbeit. Und willst du noch was wissen? - Ich fühle mich völlig untervögelt. Vergiss George in letzter Zeit, erklärte Abigail und ihre Stimme war kaum mehr als ein eindringliches Wispern. „Fühlt sich nicht an, als könnte ich jemandem gute Ratschläge geben, fuhr Abigail fort „Vielleicht haben wir ja beide den Mittelweg verpasst. Aber was zur Hölle ist mit dir auf einmal los? Was ist passiert?"

    „Ich kann es nicht wirklich erklären, sagte Lauren „Ich glaube, ich habe auf einmal erkannt, dass ich unglücklich bin. Oder zumindest ein Teil von mir. Adam ist so zuckersüß. Aber ich glaube, er meint es einfach zu ernst mit dem Minimalismus. *Wir brauchen nichts außer uns selbst, um glücklich zu sein* Ich glaube, ich kann das doch nicht. Nicht auf Dauer. Aber ich möchte auch nicht, dass er sich jemals ändert.

    „Das klingt…", setzte Abigail an.

    „…ekelhaft?", fragte Lauren.

    „Nein, gar nicht, erwiderte Abigail. „Es klingt traurig. Auch wenn ich es natürlich verstehen kann.

    „Traurig…", murmelte Lauren.

    „Ja, bestätigte Abigail „Für mich warst du immer so eine Art Fee in einer Traumwelt, Laurie. Mit einem dunklen, aber supersexy Prinzen, erklärte Abigail.

    „Ernsthaft? So hast du das aber nie gesagt", stellte Lauren fest.

    „Natürlich nicht, antwortete Abigail „Ich mache mir ja auch gleichzeitig Sorgen um dich. Vor allem darum wie das mit der Straßenmusik auf Dauer funktionieren soll. Aber in manchen Momenten beneide ich dich. Dein Leben kommt mir einfach so vor wie ein Traum. Im Guten wie im Schlechten.

    „Es ist wohl Zeit aus dem Traum aufzuwachen, sagte Lauren, dann fügte sie nachdenklich hinzu „Ich weiß auch gar nicht, warum ich dich anrufe. Versteh‘ das nicht falsch. Ich bitte dich nicht um Hilfe. Und halt Mum und Dad da raus. Und George, den faulen Arsch. Abigail lachte.

    „Na klar, Laurie. Ehrenwort. Ich schweige. Aber es ist gut, dass du mich angerufen hast. Wir haben sehr lange nicht mehr geredet. Ich meine wahrhaftig geredet. Und vielleicht hilft es ja. Lauren seufzte: „Ich habe das Gefühl, das Einzige, was wirklich helfen würde, wäre eine Höhle.

    „Eine Höhle?", fragte Abigail verwundert.

    „Ja, so wie diese Felshöhlen. Weißt du, die Einsiedler-Mönche ziehen sich dorthin zurück, um zu sich und zu ihrem Schöpfer zu finden. Ich hab das in einer Doku gesehen: Die sind einfach ganz weit weg, wo man alles hinter sich lässt, keine Ablenkung. Einfach die Gedanken ordnen. Abgeschiedenheit, Einsamkeit."

    „Abgeschiedenheit, wiederholte Abigail nachdenklich. „Lustig, dass du das sagst. So etwas habe ich erst gelesen. Gerade in der London Times. Laurie, das ist wirklich ein komischer Zufall. Lauren hörte Papier rascheln.

    „Ich habe ja schon gesagt, dass ich gerade auch nicht sehr glücklich bin. Da habe ich es gewagt ein bisschen in den Jobangeboten zu blättern und da war was echt Skurriles: *Zuverlässige, tüchtige Hausdame für einen sehr abgelegenes Schloss in schöner Naturlage gesucht. Entlohnung: Quartier, Verpflegung und eine erfüllende Tätigkeit. Voraussetzungen: Alleinstehend, in Vollbesitz der körperlichen Kräfte. Die Stellung wird auf ein Jahr vergeben. Mrs Devinport* Ich dachte einen Moment darüber nach alles hinzuschmeißen und mich selbst zu bewerben. Aber nein. So mutig bin ich nicht. Aber du vielleicht?"

    „Naja, da stand ja nichts vom Vollbesitz der „geistigen Gesundheit, erwiderte Lauren. Abigail lachte.

    „Willst du die Nummer?, fragte sie „Nein, wahrscheinlich nicht, was? Das ist zu freaky. Allein schon das Wort *Hausdame*. Und dann keine Bezahlung, aber eine sinnvolle Tätigkeit. Ist ja Lohn genug, was? Achso und außerdem muss man alleinstehend sein.

    „Bin ich", sagte Lauren.

    „Was?", fragte Abigail. Sie hörte Lauren seufzen.

    „Okay Abigail, so gut wie. Ich habe doch gesagt, ich brauche eine Veränderung. Aber er nicht. Er soll so bleiben, wie er ist."

    „Oookay, machte Abigail langgezogen „Dann soll ich dir wirklich die Nummer diktieren?

    „Nein, warte, warte, warte, rief Lauren. „Ich muss erst was zu Schreiben finden. Zwei Minuten später hatte sie einen Kugelschreiber ausfindig gemacht und notierte die Nummer auf einem Stück Klopapier, das noch von der halbherzigen Putzaktion auf dem Küchentisch lag. Dann verabschiedete sie sich von Abigail und legte auf.

    Vor dem Anruf hatte Lauren das Guthaben ihrer Prepaid-Karte gecheckt: Es waren 1,25 Pfund. Könnte ausreichen für einen kurzen Anruf á la: „Hallo, hier ist Lauren Peterson. Wohin mit meinen Bewerbungsunterlagen? Oder gefällt Ihnen meine Stimme sowieso nicht?" Anderseits wäre es sehr peinlich, wenn sich das Gespräch ausführlicher gestalten würde und mittendrin abbräche, da das Guthaben ausgegangen war. Aber was hatte sie schon zu verlieren? Wollte sie diese Stelle wirklich? Sie war sich dessen nicht einmal sicher. Sie wollte nur raus aus London. Und eine Pause von allem was sie hier hatte. Allem, was sie seit dem einen miesen Dienstag vor zwei Jahren gehabt hatte.

    Es war ein warmer Sommertag gewesen, regenfrei. Laurens Rebellion war noch etwas halbherzig gewesen. Sie hatte sich darauf beschränkt Patches auf ihren Rucksack zu nähen, sich tattoowieren zu lassen, mit Skatern und Punks rumzuhängen und zu trinken anstatt mehr für die Prüfungen zu lernen. Doch immerhin hatte sie an einem der anständigen Colleges studiert und damit dem Wunsch ihrer Eltern entsprochen, was sich nie richtig angefühlt hatte.

    An diesem Dienstag hatten selbstgerechte Professoren und speichelleckende Kommilitonen sie wieder einmal zur Weißglut getrieben. So hatte Lauren beschlossen die Nachmittagsvorlesung zu schwänzen und sich stattdessen in Frustshopping zu verlieren. Nach zwei Stunden hatten sich in ihrer Einkaufstüte in der einen Hand ein fast schon unverschämt kurzer karierter Rock befunden und in ihrer anderen Hand ein Pistazieneis. Als sie damit durch eine Gasse geschlendert war, hatte ein Straßenmusiker sie innehalten lassen. Zunächst hatte er sich ihre Aufmerksamkeit mit der Performance verdient. Denn er hatte einen Soundgarden-Song gespielt, den Lauren sehr gerne mochte. Und das wirklich gut. Seine Gitarrenkünste waren umwerfend, der Gesang eher passabel aber sehr markant. Alles in allem fesselnd.

    Als Lauren ihm weiter gelauscht hatte, war ihr zunehmen bewusst geworden, dass sie ihn leckerer fand als das Pistazieneis. Darum hatte sie den Rest davon entsorgt, um beim Waffelknabbern nicht dämlich auszusehen. Immer wieder waren Passanten stehengeblieben, hatten ein wenig gelauscht, sich zu einem Nicken verleiten lassen oder eine Münze in den Hut geworfen. Doch Lauren hatte schnell bemerkt, dass seine Blicke nur ihr gegolten hatten. Als er einen Song beendet hatte und gerade niemand außer ihr vor ihm gestanden war, hatte sie etwas verlegen und auch etwas unbeholfen geklatscht. Er hatte sich verbeugt mit den Worten:

    „Vielen Dank. Das weiß ich zu schätzen. There‘s no money in Rock ‘N‘ Roll."

    „Oh, ich hab bestimmt noch ein paar Pennys, hatte Lauren gestammelt „Du spielst coole Songs.

    „Verschwende dein Geld lieber nicht an mich, hatte er grinsend geantwortet „Du siehst aus wie eine Studentin.

    „Ertappt. Aber ernsthaft. Was du da machst, ist wirklich was wert. Das war das erste Gute, was ich heute gehört habe…", hatte Lauren gesagt und sich dann über ihre eigene Offenheit gewundert.

    „Scheißtag?, hatte er sofort geschlussfolgert und ihr zugezwinkert. Lauren hatte nicht gewagt mehr von sich preiszugeben und er hatte hinzugefügt: „Versteh schon… Wie heißt du?

    „Abigail, hatte Lauren automatisiert geantwortet. Es war die Standard-Taktik, um sich Fremde vom Leib zu halten. Sie gab sich als ihre Schwester aus. Doch dann hatte sie sich besonnen und gesagt: „Nein, eigentlich stimmt das nicht. Ich heiße Lauren. Ich sag das nicht jedem, aber ich denke, du bist okay.

    „Danke, hatte er nickend geantwortet. „Lauren ist aber auch ein sehr vernünftiger, unglaublich erwachsener Name.

    „Dann passt er wohl nicht allzu gut zu mir, hatte Lauren erwidert „Ich bin Adam, hatte er erklärt.

    „Wow, das ist aber auch ein ziemlich biblischer, uralter Name", hatte Lauren geantwortet.

    „Pf, hatte Adam gemacht „Das ist jetzt sehr hart.

    „Äh, sorry, war nicht so gemeint. Du bist bestimmt kaum älter als ich", hatte Lauren gesagt..

    „29 und du bist – 20?", hatte er geschätzt.

    „24, hatte Lauren korrigiert „Aber ich werde immer jünger geschätzt.

    Ihr Blick hatte die Leadsheets gestreift, die in seinem Gitarrenkoffer verstreut lagen und waren schließlich an „Roadside hängengeblieben. Den Song kannte sie gut. „Roadside?, hatte sie also gesagt „Du spielst Roadside?"

    „Nicht der beste Song von Rise Against. Aber Balladen kommen besser an", hatte Adam erklärt.

    „Vielleicht ist es nicht der beste, aber… Sie hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen „ich liebe ihn und ich habe ihn ganz gut drauf. Kann ich vielleicht die Zweitstimme singen? Das wäre gut… an so einem Scheißtag.

    „Nope, hatte Adam geantwortet. „Ich finde deine Stimme klingt nicht, als könnte man viel damit anfangen.

    „Achso…, hatte Lauren gestammelt. „Na dann vergiss es. Sie hatte gerade schon weitergehen wollen, als Adam in Lachen ausgebrochen war.

    „Du bist ja nicht gerade standhaft, Lauren. Wo bleibt dein Kampfgeist?"

    „Den hab ich wohl zwischen

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