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Hexen, Mörder, Henker: Eine Kriminalgeschichte
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Hexen, Mörder, Henker: Eine Kriminalgeschichte
eBook436 Seiten4 Stunden

Hexen, Mörder, Henker: Eine Kriminalgeschichte

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Über dieses E-Book

Die Kriminalgeschichte Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Welche Delikte waren früher mit dem Tode bedroht? Nach welchen Regeln wurden Angeklagte gefoltert und verurteilt? Wie sah das Alltagsleben der Henker aus?
Die Historikerin und Juristin DDr. Anna Ehrlich ging der Geschichte der Kapitalverbrechen und der Todesstrafe nach und beleuchtet damit eine unbekannte Seite der österreichischen Geschichte.

Die Ermordung der Familie Reisner
Das Blutgericht von 1310
Der Hostienfrevel von Enns und die große Geserah
Zwei Bürgermeister in den Händen des Freimanns
Schnapphähne und Heckenreiter
Zauberjackl, Lauterfresser und Blumenhexe
Teufelsaustreibung und Hexenverbrennung in Wien
Ein Teufel namens Hansl
Die Blockhäuser von Graz
Bauernaufstände und Strafgericht
Die Henker von Tirol
Die Hinrichtung eines Angolaners
Die Jakobinerprozesse
Ein Mörder aus gutem Haus
Der 14. Tote vom Galgenhof
NS Henker Reichhart und sein trauriger Rekord
Die Kremser Hasenjagd
Der Engel mit der Fleischmaschine
Waffennarren und Terroristen
u.v.a.

Neben spektakulären Prozessen und ihren Hintergründen erfährt der Leser Wissenswertes über Ehrenstrafen, Hinrichtungsarten, Gesetze, Kerker, Gerichtsgebäude, Polizei, Richter und Henker – und wird so manchen Ort in Hinkunft beim Vorübergehen mit Schaudern betrachten …

Mit einem Vorwort von Justizministerin a.D. Karin Gastinger
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum11. Okt. 2016
ISBN9783903083516
Hexen, Mörder, Henker: Eine Kriminalgeschichte

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    Buchvorschau

    Hexen, Mörder, Henker - Anna Ehrlich

    1. VOM WERGELD ZUR TODESSTRAFE

    Wergeld, Gottesurteil und landschädliche Leute

    Das Strafrecht war ursprünglich kein öffentliches Recht. Jede Sippe übte die Strafgerichtsbarkeit über ihre eigenen Mitglieder aus, der Hausherr und Familienvater übte die Strafgewalt über Ehefrau und Kinder aus, der Herr über seine Unfreien, der Schutzherr über seine Schutzbefohlenen. Delikte, die sich gegen einen Einzelnen richteten, waren Privatangelegenheit der Beteiligten, die Fehde das Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte. Kein König, Herzog oder Graf mischte sich da als Richter ein.

    Jeder Täter hatte Anspruch darauf, seine Schuld durch Sühnegeld, das »Wergeld« (wer, lat. vir, bedeutet Mann), an die beleidigte Sippe zu büßen, das heißt abzulösen. Das Geld konnte gerichtlich eingeklagt oder durch feierlichen Sühnevertrag, die Urfehde, außergerichtlich festgelegt werden. Eigene Bußkataloge bestimmten die Höhe. Nur wer ungehorsam war oder gar seine Tat verheimlichte, ein »Neidingswerk« beging, oder aber flüchtig oder »landschädlich« war, beziehungsweise wer Verbrechen gegen die Allgemeinheit verübte, durchschnitt damit das Sippenband und wurde geächtet. Niemand durfte einen solchen Verbrecher aufnehmen, »hausen und hofen«, jeder durfte ihn, den »Wer«wolf, töten. Wurde er vor Gericht gebracht, musste er mit der Todesstrafe rechnen.

    Der oberste Richter war stets der deutsche König, nur er konnte anderen Personen das Recht verleihen, über Leib und Leben zu richten, das heißt, er belehnte seine Fürsten und Richter mit dem »Blutbann«. Der österreichische Markgraf, ab 1156 der Herzog, genoss eine Sonderstellung: »der Markgraf dingt bei eigener Huld«. Der König hatte nicht das Recht, sich in die Rechtsangelegenheiten des neuen Herzogtums einzumischen.¹ Dreimal jährlich hielt der Markgraf beziehungsweise Herzog an den drei Gerichtsstätten Korneuburg, Tulln und Mautern das »Landtaiding« ab, bei dem unter seinem Vorsitz die »maiores et meliores terrae«, die Großen und Besten des Landes, als Urteilsfinder fungierten. Jedes Strafverfahren war damals öffentlich, wurde mündlich ausgetragen und folgte strengen Regeln.

    Auch der Beweis wurde in formaler Weise erbracht und es war Sache des Beklagten, seine Ehre durch den »Reinigungseid« wiederherzustellen. Seine »Eideshelfer«, meist Sippengenossen, hatten zu beschwören, dass der Eid des Beklagten rein sei. Sie setzten sich damit nur für dessen Glaubwürdigkeit als Person ein, ohne den Sachverhalt kennen oder seine Unschuld bezeugen zu müssen. Der Sachverhalt selbst wurde nicht erforscht. Nur im Falle, dass ein freier Mann bei der Begehung einer Tat festgenommen wurde, im »Handhaftverfahren«, hatte der Kläger den Beweis zu führen: auf sein »Gerüfte«, das Zetergeschrei, kamen Leute herbei, die damit seine »Schreimannen« wurden und seinen Eid vor Gericht beschworen.

    Der Zweikampf als Gottesurteil folgte bestimmten Regeln.

    Neben dem Eid war das Gottesurteil oder »Ordal« als Beweismittel zulässig: Die Götter oder Gott sollten die Unschuld des Beklagten erweisen, etwa durch die »Kreuzprobe«, bei der man einander mit ausgebreiteten Armen gegenüberstand. Wer die Arme früher sinken ließ, galt als schuldig. Auch ließ man den Beschuldigten ein »heißes Eisen« anfassen: heilten die Wunden rasch, war er unschuldig. Oder man warf ihn in reines Wasser: nahm es ihn auf, dann war er unschuldig, schwamm er hingegen, so galt seine Schuld als erwiesen. Die Kirche sah in den Gottesurteilen eine »Versuchung Gottes« und lehnte sie ab, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Jeder Ritter hatte das Recht, Verleumdungen und schwere Beschuldigungen durch Anrufung des Gottesgerichtes zurückzuweisen. In feierlicher Form wurden dann vor Zeugen die Bedingungen des Zweikampfes mit dem Kläger festgelegt. Kranke und kampfuntüchtige Ritter konnten ebenso wie adlige Frauen einen Stellvertreter bestimmen. Vor dem Kampf schworen beide Kämpfer auf ein Kreuz oder eine Reliquie, dass ihre Aussage der Richtigkeit entspreche. Wurde die Klägerpartei besiegt, galt die Unschuld der beklagten Partei als erwiesen. Den Kläger traf nun die gleiche Strafe, die dem Beschuldigten im Falle seiner Niederlage gedroht hätte.

    Ein weiteres Ordal war die »Bahrprobe«, bei der die Wunden des Opfers bluten sollten, wenn der Täter beim Schwur die Hand auf den Leichnam legte. Eine solche mittelalterliche Bahrprobe fand noch 1601 in Waidhofen an der Ybbs statt: Als die ledige Dienstmagd Margarete Krämer ein totes Kind geboren hatte, wurde sie des Kindsmords angeklagt. Da sie ihre Schuld selbst auf der Folter leugnete, wurde eine Bahrprobe auf dem Friedhof anberaumt. Man legte das tote Kind auf eine Bahre, die Mutter berührte mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand die entblößte Brust des Kindes und wiederholte dreimal mit lauter Stimme den Eid, den ihr der Stadtrichter Matthias Till vorsprach: »Ich Margaretha schwer zu Gott im Himel vnd allen Heiligen, daß ich Mutter am Todt dißes alda liegendten meinem Khindts nicht schuldig bin; da es nicht also ist, so well es ain Zeichen von sich geben, so war mir Gott helff vnd all seine heiligen.« Da kein Zeichen erfolgte, wurde die Magd für schuldlos erklärt. So berichtet das Ratsprotokoll von Waidhofen, das dort im Stadtarchiv aufbewahrt ist.

    Die Kriminalisierung des Strafrechts

    Bei der Durchsicht der Quellen über Hinrichtungen im österreichischen Raum fällt auf, dass im Mittelalter ganz andere Tatbestände als schwere Verbrechen galten als heute. Landesverrat, Heeresflucht, Homosexualität, Schadenszauber und Majestätsverbrechen an Gott oder am Herrscher galten als besonders strafwürdig. Hingegen verfielen Menschen, die nach heutiger Ansicht Verbrecher waren, keineswegs dem Henker. Blutige Warlords, wie Gamaret Fronauer, die über Jahre hinweg ganze Landstriche tyrannisierten, wurden zur »Befriedung« mit Burgen und Gütern belehnt und so vom Herzog in das herrschende System von Rechten und Pflichten eingebunden, für ihre Untaten also regelrecht belohnt. »Gewöhnliche« Mörder und Diebe wurden verbannt, »geächtet« und dadurch »elend«², aber hingerichtet wurden sie nicht. Hand in Hand mit der Bevölkerungszunahme und der aufkommenden Stadtkultur im Hoch- und Spätmittelalter stieg die Zahl der Hinrichtungen, denn immer mehr Tatbestände wurden zu todeswürdigen Verbrechen erklärt. Aus dem Vorgehen der Gemeinschaft gegen »landschädliche« Leute entwickelte sich die Verfolgung aller Straftäter »von Amts wegen«. Ein ausgeklügeltes System von Leibesstrafen trat an die Stelle des alten Wergelds.

    Gab es ursprünglich nur Freie und Unfreie, so wandelte sich die Gesellschaftsstruktur während des Hochmittelalters grundlegend, da Waffen sehr teuer waren und der Kriegsdienst, zu dem ursprünglich alle Freien verpflichtet waren, viel Zeit kostete. Viele Männer unterstellten sich daher dem bewaffneten Schutz eines Adeligen und traten in seine Grundherrschaft ein, womit sie ihre Freiheit aufgaben, ihr Waffenrecht verloren und sich seiner niederen, nicht für Leib und Leben zuständigen Gerichtsbarkeit gleich unfreien Hörigen unterwarfen. Hingegen trugen ursprünglich unfreie Knechte, die »Ministerialen« des hohen Adels, wegen ihrer persönlichen Kriegsdienste Waffen und verschmolzen mit dem alten Ritterstand zum neuen niederen Adel, der seine Ansprüche durch die Ritterfehde zu sichern verstand. Da die Bevölkerung sehr unter den Fehdehandlungen litt, veranlasste die Kirche deren Einschränkung durch beschworene Verträge, die »Gottesfrieden« (Treuga Dei). Wurden die darin festgelegten Regeln verletzt, so drohte dem Täter der Kirchenbann. Die »Landfrieden« der deutschen Könige verfolgten denselben Zweck. Den ersten Reichslandfrieden verkündete Kaiser Heinrich IV. 1103 auf vier Jahre. Er trug auch in Österreich Gesetzescharakter. Der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 legte für das gesamte Reich fest, dass die Fehde nur unter Rittern erlaubt, den Bauern jedoch strengstens verboten war und stets mit einer Ansage, der »diffidatio«, eröffnet werden musste. Ein gerichtlicher Sühneversuch sollte vorausgehen. Die Tötung des Gegners sowie Fehdehandlungen an bestimmten Festtagen, an Sonntagen und den drei letzten Wochentagen wurden verboten. Bestimmte Personen, Kaufleute, Juden, Kleriker, Bauern hinter dem Pflug, aber auch Orte, Plätze und Straßen standen unter einem Sonderfrieden, der »pax«. Wer die Bestimmungen missachtete, galt als Raubritter. Die Landfrieden der Herzöge übernahmen diese Bestimmungen, die somit auch in Österreich galten. So begann die Gesetzgebung das Gewohnheitsrecht allmählich zu verdrängen.

    Die Gesetze richteten sich vor allem gegen die zahlreichen Verbrecherbanden, die das ganze Land unsicher machten. Sie hatten ihre Schlupfwinkel im Wald und bei den »ehrlosen Leuten«, fanden aber auch bei den armen Bauern Unterstützung, ein Problem, das trotz aller Bestimmungen bis ins 19. Jahrhundert nicht zu bewältigen war. Eine der letzten berüchtigten Banden war die des »Räuberhauptmanns Hansjörgl«, von Johann Georg Grasel, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Waldviertel ihr Unwesen trieb.

    Aus dem alten Handhaftverfahren entwickelte sich das Festnahmerecht, das es im Frühmittelalter noch nicht gegeben hatte. Wurden »landschädliche Leute« vor Gericht gebracht, so verfuhr man gegen sie wie gegen handhafte Täter. Der Kläger brauchte nur mit sechs Eideshelfern im »Übersiebnungsverfahren« ihre Schädlichkeit und Gefährlichkeit zu beschwören, und schon war ihnen der Reinigungseid verwehrt. Dieses Verfahren war in Österreich üblich: »Die landrihter suln vrag haben schedelicher leute und swer ubersagt wirt, uber den sol man richten als recht ist.«³ Die neuen Gesetze drohten mit barbarisch harten Strafen, die aber keine abschreckende Wirkung hatten, sondern immer mehr Menschen in den Kreis der Gewohnheitsverbrecher trieben. Neben die Todesstrafe, für die – auch durch östlichen Kulturimport der »frommen« Kreuzfahrer angeregt – immer grausamere Formen entwickelt wurden, traten Leibes- und Verstümmelungsstrafen wie das Abhacken von Hand oder Fuß, das Ausreißen der Zunge, Ausstechen der Augen, Abschneiden von Nase oder Ohren, das Kastrieren und Brandmarken. Wer durch den Henker verstümmelt oder gebrandmarkt wurde, war gezeichnet und musste weitere Verbrechen begehen, um zu überleben, bis er letztlich am Galgen landete. Mit der immer häufigeren Verhängung von Todes- und Verstümmelungsstrafen, mit dem »Talionsprinzip« Aug’ um Auge, Zahn um Zahn, bekam das mittelalterliche Strafrecht seinen grausamen Charakter.

    Gemildert wurde es nur durch das »Asylrecht«: In Kirchen, Klöstern oder an anderen dafür bestimmten Plätzen waren Verbrecher vor der peinlichen Strafe geschützt, um ihnen den Abschluss eines Sühnevertrages zu ermöglichen – vorausgesetzt, sie verfügten über das nötige Vermögen. Da dadurch die Justiz stark behindert wurde, versuchten einige Landesfürsten das Asylrecht einzuschränken. Seit Herzog Rudolf IV. (reg. 1358–1365) war es in Wien nur noch auf dem Areal von Hofburg, Schottenkloster und Stephansdom gültig, doch erst Maria Theresia (reg. 1740–1780) schaffte es mit Patent vom 15. September 1775 völlig ab. Unter ihrem Sohn Josef II. (reg. 1780–1790) verschwanden die letzten Spuren dieses Rechts. In Wien erinnert nur der Name der Freyung noch daran.

    Der Mord am Münzmeister Schlom

    Der reiche Jude Schlom stand bei Herzog Leopold V. (reg. 1176–1194) in hoher Gunst, er hatte es bis zum Münzmeister, »super officium monetae«, gebracht. Durch seine weitreichenden Verbindungen war es ihm gelungen, den Transport des englischen Lösegeldes für König Richard »Löwenherz« nach Wien perfekt zu organisieren, woraufhin ihn der dankbare Herzog mit der Ausmünzung dieser 50.000 Silberbarren betraut hatte. Auch Leopolds Sohn Herzog Friedrich I. (reg. 1195–1198) schenkte ihm sein Vertrauen und bestellte ihn zu seinem Güterverwalter. Schlom war ein einflussreicher Mann, dessen Amt dem eines heutigen Finanzministers vergleichbar war. Er war sehr wohlhabend und besaß vier Grundstücke auf dem heutigen Areal Seitenstettengasse Nr. 4 bis 6, weitere Grundstücke vor der Stadtmauer im Bereich der heutigen Goethegasse sowie Weingärten in Baumgarten (heute 14. Bezirk). Dort, wo jetzt der Stadttempel in der Innenstadt steht, führte er ein großes Haus und beschäftigte neben jüdischen auch christliche Diener, was das 3. Laterankonzil schon 1179 verboten hatte. Der Kirche und vor allem den Wiener Patriziern war Schlom ein Dorn im Auge, denn der Jude nahm eine Stellung ein, die ihrer Meinung nach einem von ihnen, jedenfalls aber einem Christen gebührte.

    Wien glich im Jahre 1196 noch immer einem Ameisenhaufen. Kreuzfahrer aus aller Herren Länder hielten wie schon seit etwas mehr als einhundert Jahren hier längere Rast vor der Weiterreise nach Ungarn. Dabei kamen neben frommen Männern und Frauen auch andere: fanatische Mönche, mittellose Raufbolde, entlaufenes Gesinde(l) und Entwurzelte. Papst Urban II. (Odo de Chatillon, reg. 1088–1099) hatte nämlich bereits 1095 in Clermont gesagt: »Mögen diejenigen, die bis jetzt Räuber waren, Soldaten werden …, mögen diejenigen, die sonst Söldlinge waren um schnöden Lohn, jetzt die ewige Belohnung gewinnen«.⁴ Aufgestachelt durch Wanderprediger führten sich viele dieser ungebetenen Gäste sehr übel auf: man betete und soff abwechselnd, vor allem aber geiferte man gegen alle Ungläubigen, gegen »Ismaeliten« und gegen Juden, die »Gottesmörder«. So kam es in Wien zu folgendem Zwischenfall:

    Ein christlicher Diener Schloms bereute plötzlich, einem Juden unterstellt zu sein und nahm das Kreuz. Das Reisegeld »verschaffte« er sich von seinem Herrn, indem er ihm 24 Mark Silber stahl. Das waren etwa sechs Kilogramm Silber, was nach dem damaligen Wechselkurs dem Wert von einem Kilogramm Gold entsprochen haben dürfte. Keine geringe Summe! Schlom erhob daher Klage gegen ihn und ließ ihn einkerkern. »Der Jude hat den Christen in den Kerker geworfen«, heulte daraufhin die Frau des Diebes in die Menge der Kreuzfahrer. »Tötet den Juden!« Ihr Ruf wurde aufgenommen, von vielen Kehlen weitergetragen, schwoll an und riss das ganze Volk mit sich, voran und immer weiter, bis zum Haus des Schlom und dort hinein. Vergeblich trat der alte Jude mit beruhigender Geste den Tobenden entgegen, vergeblich weinten seine kleinen Enkel. Die ganze Familie und ihre Dienerschaft, insgesamt sechzehn Menschen, wurden in »heiligem Eifer« erschlagen. Dann fielen die Missetäter über Schloms Weinfässer her. Erst jetzt tauchten die Männer des Herzogs auf, zu spät für Schlom. Der Mob stob nach allen Seiten auseinander, aber ein Dutzend Betrunkene wurde vor den Herzog gebracht. Friedrich, vom rüden Benehmen und den vielen Unverschämtheiten der unwillkommenen »heiligen Touristen« seit langem genervt, schäumte vor Wut. Er machte mit den beiden Rädelsführern kurzen Prozess und ließ sie sofort enthaupten, was ihm natürlich Vorwürfe seitens der Kirche eintrug. Die anderen ließ er daher laufen.

    Der Fall Schlom war »Chefsache«, denn auf Grund des Judenregals waren die Juden des Herzogs persönliche Knechte und standen unter seinem besonderen Schutz, ganz wie seine anderen Diener auch. Sein Vorgehen war nicht nur eine Strafe für die Untat, sondern Warnung an alle. Denn dass Kreuzfahrer sich an Juden vergriffen, war damals nichts Neues mehr: schon hundert Jahre zuvor, anlässlich des Ersten Kreuzzugs von 1096, war es in den deutschen Städten Speyer, Worms und Mainz und auch in Prag zu schrecklichen Massakern gekommen. »Als sie nun auf ihrem Zuge durch die Städte kamen, in denen Juden wohnten, riefen sie untereinander: Sehet, wir ziehen den weiten Weg, um die Grabstätte aufzusuchen und uns an den Ismaeliten zu rächen, und siehe, hier wohnen unter uns die Juden, deren Väter ihn unverschuldet umgebracht und gekreuzigt haben! So lasset zuerst an ihnen uns Rache nehmen und sie austilgen aus den Völkern, daß der Name Israel nicht mehr erwähnt werde; oder sie sollen unseresgleichen werden und zu unserem Glauben sich bekennen«, berichtet der Zeitgenosse Orderic Vital. Die strenge Botschaft Herzog Friedrichs wurde verstanden, es kam während der Kreuzzüge in Wien zu keinen ähnlichen Ausschreitungen mehr.

    Gleiches Recht, doch nicht für alle

    Das Wiener Stadtrecht von 1221 ist uns erhalten geblieben, vermutlich war es die Neufassung eines älteren Privilegs. Neben zivil- und handelsrechtlichen Bestimmungen enthielt es auch solche strafrechtlicher Natur: als Verbrechen und Vergehen wurden Totschlag, Körperverletzung, Schläge, Beschimpfungen, Hausfriedensbruch (»Heimsuche«), Schändung, Gotteslästerung, falscher Eid sowie die Verwendung von falschem Maß und Gewicht angeführt. Zur Strafe war vorgesehen: bei den schwersten Verbrechen die Todesstrafe, bei Körperverletzungen Talion (spiegelnde Strafen), bei Gotteslästerung und falschem Eid Ausreißen der Zunge, ferner noch die Acht, also Stadtverweisung, und Geldstrafen. Der Beweis musste bei Totschlag durch das Gottesurteil des glühenden Eisens erbracht werden, was zu dieser Zeit schon recht altertümlich war. Im Ennser Stadtrecht von 1212 war hingegen bereits die Reinigung durch Eideshelfer vorgesehen.

    Von »gleichem Recht für alle« konnte damals keine Rede sein: zwischen Bürgern, Fremden und Knechten wurden Unterschiede gemacht, ebenso zwischen Reichen und Armen. Wer in Wien fünfzig, in Enns dreißig Pfund besaß, blieb selbst im Fall eines Totschlags auf freiem Fuß. Das Haus eines Bürgers galt als Freistatt, Hausfriedensbruch führte zu schweren Strafen, wobei neben dem Gottesurteil des heißen Eisens auch die Wasserprobe zulässig war. Fremde hatten natürlich mindere Rechte.

    Herzog Friedrich II. (reg. 1230–1246) erneuerte 1244 Wiens Privilegien, ersetzte das Gottesurteil durch den Zeugeneid, verschärfte die Bestimmungen gegen Notzucht und erleichterte die Heirat von Bürgerinnen mit Rittern. Gleichzeitig erweiterte er das Judenprivileg Kaiser Friedrichs II. von 1238. Die Juden sollten gut verdienen, um dem Herzog durch Abschöpfung Geld zu bringen. Sie sollten in erster Linie den Adel mit Darlehen gegen hohe Zinsen versorgen. Die Zinssätze betrugen zehn Prozent für längerfristige und acht Pfennige vom Pfund pro Woche für kurzfristige Anleihen. Als Gegenleistung für ihre ständigen hohen Abgaben an ihn gewährte der Herzog den Juden Schutz von Leib und Gut und auch vor der Zwangstaufe, gab ihnen Handelsrechte und verfügte die Einsetzung eines eigenen christlichen Judenrichters, der ihm direkt unterstand. Vergehen von Christen gegen Juden wurden mit harten Strafen belegt, was der babenbergischen Tradition entsprach. Noch unter Przemysl Ottokar II. (geb. 1233, gest. 1278) bekleideten zwei Juden das Amt des Kammergrafen, nach der Synode von 1267 blieben jedoch Ämter aller Art ausschließlich Christen vorbehalten. Das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Christen wurde seither durch zahlreiche Bestimmungen erschwert.

    Scheiterhaufen überall

    »Lamparten waere selten riche –

    Hiet si den Herrn von Osterriche –

    Der die Ketzer sieden kann. –

    Er vand ain schoene geriht daran –

    Er will nieht, daz der valant –

    zebreche sin zende sehant –

    swenner si ezze, davon heizzet er –

    Si siden unde braten er.«

    Herzog Leopold VI. von Österreich (reg. 1198–1230), später der »Glorreiche« genannt, entschloss sich als erster österreichischer Herrscher scharf gegen »Ketzer«⁶ vorzugehen, da er sich dafür vom Papst die Erhebung Wiens zum Bistum erhoffte. Die Ketzer »beleidigten« die Majestät Gottes und »verfälschten« das Wort des Herrn, daher sollten sie wie Majestätsverbrecher und Fälscher behandelt werden und ihre Vergehen im Feuer sühnen. Bei den Ketzern handelte es sich um »Waldenser«, eine christliche Laienbruderschaft, die der französische Kaufmann Petrus Waldes um 1170 in Lyon gegründet hatte. Sie hielten sich streng an das Evangelium, führten nach dem Vorbild Jesu ein Leben in Armut und predigten als Laien das Evangelium. Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1155–1190) und Papst Lucius III. (der Zisterzienser Ubaldo Allucingoli, reg. 1181–1185) beschlossen 1184 ein gemeinsames Vorgehen gegen alle Ketzer und legten mit der Bulle »Ab olendam« den Grundstein für die spätere Inquisition. Ketzer waren nun automatisch exkommuniziert und wurden auf eigenen »Ketzerkreuzzügen« massenweise getötet. Petrus Waldes selbst soll nach Böhmen geflohen sein, wo er zwischen 1184 und 1218 starb. Überlebende Anhänger mischten sich mit Resten der ebenfalls verfolgten Sekten der »Humiliaten« und »Katharer«, nach der Stadt Albi auch »Albigenser« genannt, und verbreiteten ihre Lehre über ganz Europa bis nach Österreich, wo 1210 Herzog Leopold VI. zahlreiche Ketzer in einer ersten Verfolgungswelle verbrennen ließ. Die Wirkung der Verfolgung war jedoch nicht groß: zwanzig Jahre später werden Ketzergemeinden in Wien und Wiener Neustadt erwähnt; nach dem Tod des letzten Babenbergerherzogs Friedrich II. (gest. 1246) sollen nicht weniger als vierzig Ketzergemeinden, waldensische »Leonisten«, aber auch »Ortlieber«, »Runcarier«, »Siegfrieder«, »Geißler« und »Brüder vom freien Geist« im heutigen Nieder- und Oberösterreich existiert haben.

    König Ottokar II. von Böhmen ging als Herzog von Österreich ebenso erfolglos gegen die Ketzer vor, nachdem sie den Pfarrer von Nöchling erschlagen hatten. Da er sich im Grunde bewusst war, dass die »Abtrünnigen« in mancher Hinsicht Recht hatten und es in der Amtskirche zahlreiche Missstände gab, setzte er verbrecherische Geistliche ab, wie etwa 1250 den Pfarrer Leopold von Wien. Diesem wurden der gleichzeitige Besitz zweier Pfründen, Totschlag, Ehebruch, Simonie, Meineid und Ketzerei vorgeworfen. Zum neuen Pfarrer ernannte der König seinen Vertrauten Gerhard, einen gebildeten Mann von untadeliger Lebensführung und großer Energie. Die Provinzialsynode von Wien 1267 sollte eigentlich Übelstände in der Kirche beseitigen, um den Zulauf der Menschen zu den Ketzern zu verhindern. Etliche ihrer Bestimmungen richteten sich stattdessen jedoch gegen die Juden. Nun wurde diesen eine eigene Kleidung vorgeschrieben und der Besuch der Gast- und Badehäuser verboten. Die Christen sollten in Zukunft ihren Hochzeiten fernbleiben und sie nicht zu Tisch laden. Wurde hingegen das Sakrament an jüdischen Häusern vorbeigetragen, so mussten deren Besitzer Fenster und Türen schließen. Während der christlichen Fasttage durften die Juden kein Fleisch über die Gasse schaffen, sie durften mit Christen weder über den Glauben disputieren noch kranke Christen besuchen oder gar kurieren. Den Pfarrern, in deren Gemeinde sie wohnten, hatten sie den »Zehnten« zu zahlen. Und sie sollten weder den Mauten vorstehen noch überhaupt ein Amt bekleiden.

    Die unwillkommenen Habsburger

    Durch König Ottokars Landfrieden wurde der Graben zwischen freien und unfreien Adeligen weitgehend eingeebnet, da nun für beide das Hofgericht zuständig war. Dies weckte den Widerstand der großen Grundherren. Der Landrichter Otto von Maissau verschwor sich mit dem unzufriedenen böhmischen Bruderpaar Baron Benesch und Baron Milota von Diedicz (Rosenberg) gegen Ottokar, weshalb dieser die Brüder 1265 köpfen ließ. Die »Erbbürger« Wiens waren Ottokar hingegen dankbar: sie waren nun den Rittern gleichgestellt und lehensfähig. Reiche Bürger traten an die Spitze der Landesverwaltung, wie Paltram Vatzo von Wien und Gozzo von Krems, sie verbanden sich Ottokar durch einen Treueschwur.

    Nach der Wahl Rudolfs von Habsburg (reg. 1273–1291) zum deutschen König verließen allmählich viele seiner Gefolgsleute den Böhmenkönig. Die Geheimagenten Rudolfs, Minoriten und Dominikaner, verbreiteten die Nachricht darüber gewissenhaft im ganzen Land, um auch die Übrigen zum Treuebruch zu bewegen. Einige dieser Mönche wurden von Ottokars Leuten abgefangen und als Spione gerädert oder gehängt. Bald hielt nur noch Wien, und da vor allem Paltrams Familie, die Vatzonen, treu zu Ottokar, und auch sein Schwiegersohn, der Landmarschall Heinrich von Kuenring, verriet ihn nicht. Erst nachdem sich König Rudolf verpflichtet hatte, die Stadt nicht für ihre Anhänglichkeit an den Böhmenkönig büßen zu lassen, sondern ihre alten Freiheiten zu bestätigen, öffnete Wien dem Sieger die Tore. Die Versöhnung Rudolfs mit Ottokar hielt aber nicht lange: In Wien arbeiteten die Vatzonen weiter für den Böhmenkönig, beim österreichischen Adel taten dies die Kuenringer, doch wurde die Verschwörung entdeckt. Nun wurden die Güter der Kuenringer und der Vatzonen konfisziert, Paltram, sein Bruder und seine sechs Söhne zum Tode verurteilt. Sie ergriffen jedoch rechtzeitig die Flucht. Da sich die Stadt von ihnen nicht zum Abfall hatte verleiten lassen, erneuerte Rudolf zum Dank ihre Privilegien im »Rudolfinum«, machte diese aber davon abhängig, dass in Hinkunft niemand mit der geächteten Familie Paltrams Verbindungen anknüpfte. Jeder Kontakt galt hinfort als Hochverrat. 1282 belehnte der König seine Söhne mit Österreich und verließ das Land für immer.

    Der neue Herzog, Rudolfs Sohn Albrecht I. (reg. 1282–1308), soll niemals gelächelt und sogar ausgesprochen grimmig ausgesehen haben, nachdem er eines seiner Augen verloren hatte. Er nahm die Wiener, die noch an den lebenslustigen und liebenswürdigen Ottokar gewöhnt waren, gar nicht für sich ein, und die Schwaben, die ihm nach Österreich gefolgt waren, machten sich ebenfalls rasch unbeliebt. So brach 1287 in der Stadt ein Aufruhr los, an dessen Spitze Konrad von Breitenfeld stand. Sogar der »Povel«, der Pöbel, war aufgewiegelt und rottete sich vor der Hofburg zusammen. Der Herzog zog sich in die Festung auf dem Leopoldsberg zurück und schnitt der Stadt die Versorgung ab, worauf die Handwerker die patrizische Partei zum Nachgeben zwangen. Am 18. Februar 1288 mussten sich Richter, Bürgermeister, Ratsherren und Geschworene und die ganze Gemeinde der Stadt Wien urkundlich verpflichten, dem Herzog Gehorsam zu leisten und jegliche Verschwörung zu unterlassen. Die 29 Führer der Bewegung, darunter etliche, die sich bereits 1281 zur Treue verpflichtet hatten – vor allem Verwandte Paltrams –, mussten besondere Treuebriefe ausstellen. Sie verzichteten damit auf die Reichsunmittelbarkeit der Stadt. Albrecht zeigte nun sowohl auf Grund der Bitten seiner Frau Elisabeth von Görz und des Schottenabtes Wilhelm II. als auch der eigenen Neigung und Vernunft folgend unerwartete und erstaunliche Milde: niemand wurde hingerichtet. Er verzichtete auf jede Rache, zerriss aber die alten Urkunden. Am 12. Februar 1296 erhielt Wien ein neues Stadtrecht, das bis 1526 die Grundlage der Stadtverfassung bildete. Wien war nicht mehr »des riches hauptstat in Osterrich«, sondern »ein houbet und ein behalterinne unseres fuerstentumes«. Kein Wunder, dass es insgeheim in der Stadt weiter gärte.

    Das Ende Albrechts I. erschütterte ganz Europa. Johann, der Sohn Rudolfs, des verstorbenen Bruders von Albrecht, fühlte sich um sein Erbe geprellt und erschlug gemeinsam mit vier anderen Unzufriedenen nach dem Flussübergang bei Brugg seinen Onkel. Heute steht dort das Kloster Königsfelden. Dem Königs- und Verwandtenmörder Johann, deshalb Parricida genannt, seinen Freunden Rudolf von Palm, Walter von Eschenbach und Konrad von Tegerfeld gelang die Flucht; die Habsburger, allen voran Albrechts Witwe

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