Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Jossa und die Junggesellen: Roman
Jossa und die Junggesellen: Roman
Jossa und die Junggesellen: Roman
eBook209 Seiten2 Stunden

Jossa und die Junggesellen: Roman

Von Seidel

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Schwabing-Roman, heiter, satirisch, um den großen Bibliophilen C. G. von Maaßen, in einer Neuausgabe

Das E-Book Jossa und die Junggesellen wird angeboten von Emig, Günther und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Schwabing, Bibliophilie, Schlüsselroman, Bohéme, E.T.A.Hoffmann, Carl Georg von Maassen
SpracheDeutsch
HerausgeberEmig, Günther
Erscheinungsdatum26. Mai 2014
ISBN9783921249840
Jossa und die Junggesellen: Roman

Ähnlich wie Jossa und die Junggesellen

Ähnliche E-Books

Historienromane für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Jossa und die Junggesellen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Jossa und die Junggesellen - Seidel

    Brüder.

    Das Wohnungsamt und Herr von Uzbach

    Das besonders Aufreizende an Herrn von Uzbach nun war, daß er eine geräumige Wohnung besaß und daß es einen derartigen Tumult ergab, als er sie mit andern weitaus nützlicheren Leuten, soliden Schräubchen der Staatsmaschine, teilen sollte, – ein solches Zetermordio und Gepoche auf geistige Güter, daß er den Staat breitschlug. Der Staat zog sich denn auch nach einem papiernen Ansturm von ihm zurück. Unser Freund hatte gesiegt: ein Individuum gegen die schauerlich geschlossene Front: die Beamtenorganisation. Ein Haufe von alten Büchern hatte gesiegt. Die einzugslüsternen Herren hatten Büchern weichen müssen, Büchern verdächtigen, durchaus nicht immer moralischen Inhalts, die nur den einen fragwürdigen Vorzug hatten, sogenannte Erstausgaben zu sein. – Wenn nun Herr von Uzbach Dankbarkeit gezeigt, wenn er nur mäuschenstill sein spärliches Brot weitergeknabbert hätte! Aber im Gegenteil! Er trieb es so wie bisher, nun fühlte er sich erst recht zu Hause in seiner unverantwortlichen Sphäre; er saß auf seinen finster erworbenen Privilegien wie ein Gockel und ließ den billigen Kamm noch höher schwellen, sozusagen.

    Dies freche Verhalten bemäntelte er mit hergeholten Spitzfindigkeiten, die ein tüchtiger Beamter nachzukontrollieren sich gar nicht die Zeit nehmen durfte. Er faselte nämlich von der »Verpflichtung des Staates ideellen Werten gegenüber«, von Kultur, Tradition und sonstigem Schnickschnack. Er behauptete, auch er falle unter das Wesen der Tradition, indem er dem Volke geistige Güter der Vergangenheit lebendig erhalte. Wenn überhaupt als Argument verwendbar, war dies ein Standpunkt, der das Ressort in Frage, das Wohnungsamt, eigentlich gar nicht betraf. Nach einem liebreichen Briefwechsel versuchte man ihm mündlich klarzumachen, daß die betreffenden Einwände gar wohl mit den beiden ruhigen Aftermietern zur Harmonie verschmolzen werden könnten. Was tat aber er? Mit aktenaufwirbelnder Vehemenz räusperte er sich und erklärte mit schneidender Schärfe (wobei er dem Vater Staat verächtlich auf die eiserne Uhrkette schielte), man »mache seine Forschungen unmöglich«.

    »Welcher Natur denn«, fragte man tastend den Privatgelehrten, »seine Forschungen seien?« Er erwiderte: »Er beschäftige sich mit Grabbe. Es sei sein Lebenswerk.« Aus allerhand Gründen ließ man es auf sich beruhen, was es mit diesem Grabbe für eine Bewandtnis habe. Nach einer Pause inquirierte man weiter: »Ob er nicht irgendeinen Beweis – eine gedruckte Ausfertigung – eine Legitimation dafür erbringen könne, – daß er sich mit – solchen Studien beschäftige?« Worauf von Uzbach gewissermaßen unbotmäßig durch die verstopfte Nase schnob und dem Wohnungsamt anheimstellte, »sich auf die zwanzigbändige Grabbeausgabe, die einzige, die wissenschaftlich in Frage komme, zu abonnieren. Die ersten sechs Bände seien bereits erschienen, und wenn Gott ihm das Leben schenke, werde er sie zu Ende führen.«

    Die am Schalter angesammelten Herren besprachen sich leise miteinander in ihrer Mundart und teilten ihm dann mit, daß sie »zwar nicht die Absicht hätten sich zu abonnieren, der gewünschte Beweis aber immerhin als erbracht gelten könne. Ob aber nicht vielleicht ein einzelner Untermieter Platz finde? Wenn er seine Bücher zusammenrücke…«

    »Sie wollen mir also zumuten«, sagte er, »meine Bücher umzustellen. Fünfzehntausend Bücher, meine Herren. Ein unrettbares Chaos, meine Herren. Wo bleibt dann die systematische Forschung? Sie wird zur Farce. Schon die Vorstellung treibt mich zum Selbstmord. – Gut! Gut! Schicken Sie Ihren Mann. Schicken Sie Ihren Schützling.«

    »Der Ausdruck Schützling ist absolut unziemlich.«

    »Also Ihren Herrn… Gewiß einen biederen, ruhigen… o Gott! Auf den Trümmern meines Lebenswerkes wird er sein kümmerliches Behagen finden. Wenn er das Zimmer bezieht, so geht es über meine Leiche.«

    Man habe ihn von Amts wegen vorgeladen. Er solle nicht so verstiegen daherreden.

    Herr von Uzbach hielt nun die Zeit für gekommen, seinen Trumpf auszuspielen. »Sie wissen vielleicht nicht alles, meine Herren«, sagte er eintönig. »So zum Beispiel wissen Sie nicht, daß meine Bibliothek so wertvoll ist, daß selbst die Machthaber der Rätezeit ein Einsehen hatten. Daß sie zwei Soldaten zum Schutz vor meine Wohnung postierten. Wollen Sie Beweise? – Was selbst die Jakobiner nicht anzutasten wagten…«

    Hier gab es eine erschrockene Pause. »Wenn sich das so verhält, Herr von Uzbach«, beeilte man sich darauf zu versichern, »so fällt Ihre Wohnung selbstverständlich auch heute noch unter Denkmalschutz. Warum haben Sie das nicht schon längst erwähnt?«

    »Na, sehen Sie«, sagte der Privatgelehrte, »sehen Sie…« Dies klang stark provozierend und hinterließ eine Mischung von Verblüfftheit und dicker Luft.

    Die soeben geschilderte dramatische Szene trägt dazu bei, daß man begreift, wie es zuging, daß unser Held den Zeitenstürmen getrotzt hatte. Ja: sein Selbstbewußtsein erfuhr durch ein vollgerüttelt Maß von Nackenschlägen eher noch einen Zuwachs. Andere wären wohl kopflos geworden. Aber seine Persönlichkeit, in zarter Jugend schon eine Nuß hart zu knacken, schärfte sich mit dem Alter und wurde zu wetterfester Originalmischung, – auf die Flasche einer Körperlichkeit gezogen, die unverwüstlich schien. So reifte sie und läuterte, relativ gesprochen, ihre Würze. Nur Bosheit oder enttäuschte Weiblichkeit konnten es über sich bringen, das köstlich Konservative, das in seinen Lastern und Tugenden lag, mit einem Kaktus oder Flederwisch zu vergleichen. Nur billige Oberflächlichkeit, seichtes Mitläufertum im Sensationstrubel unserer Zeit, konnte verkennen, daß man es hier mit einer seltenen Erscheinung zu tun hatte. Er war ein ruhender Pol, um den sich alle sammelten, die einen dumpfen Widerwillen spürten gegen das Heute; eine Heimatstätte für allerlei begabtes Gelichter, ein strenger Mentor für wurzellose Seelen, und ebenso ein Zechkumpan für bürgerlich Gefestigte, die sich »einen netten Abend« machen wollten.

    Beide Typen zusammenzubringen, Gegensätze zu schüren und dann mild versöhnend seine Hand über das Gebrodel zu strecken, – das behagte ihm ungemein und war sein eigentliches Element. In dieser geistigen Luft fand auch die Erotik ihr Heimatrecht. Sie wurde bejauchzt als Zufallstreffer, als Wortspielerei beschmunzelt, – unter Umständen als Situation genossen. Da sie nun mit demselben Ernst gepflegt wurde wie alles andere, so wurde irgendwie das achtzehnte Jahrhundert wieder beschworen – das verliebte und gleichzeitig ironische…

    Ein schlichtes Gemüt, (wie wir bald sehen werden) konnte wohl verblüfft dabei aufbrausen. Aber wir müssen Herrn von Uzbach zugute halten, daß auch ein Zötchen Daseinsberechtigung hat, wenn seine Augenblickseltern Witz und Geschmack heißen. Selbst bei einem kapitalen Schwips, wo andere nicht umhinkonnten sich verwildert auszudrücken, gab es bei ihm noch eine gewisse Zierlichkeit, zum mindesten Komik.

    Die Grenze zwar, wo diese Komik unfreiwillig wurde, schwankte. Sie blieb sein und seines hoch geschätzten Freundes Schweikhardt Gundermann ehernes Privatgeheimnis. Daher kam die dauernde Unruhe der Mädchen, weil sie seine Achillesferse nicht fanden und nie wußten, wann sie mit gutem Gewissen über ihn losplatzen durften oder wann dies hinter die hohle Hand gehörte. So erhielt er sie alle in gemäßigtem Frohsinn, die lieben unentbehrlichen Schelme.

    Intimeres

    Aber der Verfasser schweift ab und greift gleichzeitig vor, denn er hat ja zuerst die etwas rhetorische Frage aufgeworfen: Wo gibt es noch eine Behausung wie diese? – rhetorisch deshalb, weil es ja möglicherweise ähnliche Wohnungen gibt, besonders in diesem Deutschland der Käuze und schrullenhaften Personen. Zwei Punkte immerhin verdienen Hervorhebung: das Rätsel des vierten Zimmers und das Geheimnis der beiden ewig geschlossenen Fenster.

    Zuvor muß man feststellen, daß die Wohnung in einer gleichgültigen Straße Münchens liegt, in dem Stadtteil Schwabing, der schon immer den nachdenklichen Ruf genossen hat, es gehe in ihm zu wie bei Murger. Wobei die Leute, die das nachschwatzen, weder eine Ahnung von Murger haben, noch wie es bei ihm zuging. Jedenfalls scheint es, daß darauf angespielt werden soll, sogenannte »Bohèmefiguren« seien dort häufiger anzutreffen als in anderen Vierteln. Fernerliegende Stammtische, besonders in der Provinz, wollen wissen, man könne dort Leute in Sammetjäckchen und mit Spitzbärten rudelweise auf der Straße in ihren Sitten und Gebräuchen beobachten. Mit Murgers abgeklappertem Begriff verbindet man in diesem Fall aber auch Kopfarbeiter. Es mag ja seine Richtigkeit haben, daß man in entlegenen Vorkriegszeiten, etwa um 1900 herum, besonders viele junge Leute mit knatternden Radmänteln hier umherstürmen sah, besonders in der Nachbarschaft des Klein-Hesseloher Sees, jenes Teiches mit »Seecharakter«. Oft traf man sie auch barhaupt fürbaß schreitend, oder zuchtlos singend.

    Die Häufung dieser Erscheinungen kam meiner Schätzung nach lediglich dadurch zustande, daß in diesem Viertel besonders viel arme Studenten wohnten und daß Havelocks und Radmäntel sowohl Mode als auch billig waren. Sparte man doch auch bisweilen Hemden durch sie. Den gleichen Dienst leisteten in der Nachkriegszeit russische Blusen, und deshalb ist es nur äußerlich, wenn die Genialität sich verschieden gab. Aber Schwabing wurde seinen Ruf nicht los, und der Zufall will es ja auch, daß wir die Bekanntschaft seltsamer Leute bei Herrn von Uzbach machen.

    »Wie typisch für dies Viertel!« wird man vorlaut rufen. Aber man irrt. Die Leute haben zum Teil lange Trambahnreisen zu machen, wenn sie sich als »charakteristisches Philosophenvölkchen« zusammenfinden wollen, und schätzen sich gegenseitig auch nur bedingt. –

    An der Wohnung war zunächst nichts Auffallendes, außer daß man vielleicht im Korridor über einen Turm von leeren Zigarrenschachteln stolperte, die als Anheizmaterial für »Momus«, das Öfchen, dienten. Es war ein Allerweltskorridor; auch die Bilder von Bayros, die neben dem Spiegel hingen, muteten noch ziemlich zahm an. Herr von Uzbach war seinen Schwächen treu, denn wenn man ihn fragte: »Was?! Den hängen Sie noch auf?! Den sammeln Sie wohl gar?« dann konnte er den Naseweis äußerst steif dahin berichtigen, die Frage sei die eines Rhinozerosses; eine Antwort erübrige sich. Denn hier hatte der Betreffende in einen Komplex hineingefaßt: nämlich in das »Frou-Frou«, das neben dem forschen Paradeschritt einer verschollenen Epoche seidig einherzurascheln pflegte. Wenn Herr von Uzbach auch sehr mit kniefreien Röcken einverstanden war (kurz mit Vereinfachung solch hübscher und wichtiger Sachen), so konnte ihn doch die Vorstellung von Gekräuseltem, Plissiertem und vierfach Übereinandergeschichtetem immer noch träumerisch stimmen. Und dies raschelnde Märchen (wie ein halbvergessenes Arpeggio aus der Lustigen Witwe) war streng verknüpft mit dem Wiener Aufguß Beardsleys, der sich Marquis de Bayros nannte – genau wie mit der Spitzenwäsche und dem Rotlicht Rezniceks. Auch pflegte Herr von Uzbach zu betonen (und bei Nahestehenden fand er grübelndes Verständnis), es sei ihm jedesmal ein gräßlicher Schock, mit welcher Schnelligkeit die Mädchen sich heutzutage entblätterten. Damals habe es mindestens eine Zigarre lang gedauert. Und das sei eine Zeitspanne gewesen, die sich habe sehen lassen können: seien doch damals für ihn nur die langen Holländer oder eine gelegentliche mächtige Upmann à vier Mark, »L’Africana«, in Frage gekommen.

    Angesichts solch beiläufiger Äußerungen mutet die Schlußfolgerung, Herr von Uzbach sei früher angenehm wohlhabend gewesen, nicht allzu hergeholt an. In der Tat schien es, als habe er Zeiten gekannt, wo er gut und gern Modell hätte stehen können für einen der befrackten Herren Rezniceks, die sich über Gouvernantenbetten beugen. (Es ergeben sich später noch mehr Hinweise auf früheres Wohlleben.) Augenfälliger Rest davon war seine selbstverständliche Großzügigkeit in Anschauungen und Bedürfnissen. – Dinge, die eben der Kleingezeugte nicht hat, er mag sich auf den Kopf stellen. Denn wenn der Kleingezeugte »Frou-Frou« wittert, so verrät er sich durch plumpe Gier (besser steht es ihm dann schon, sich des Knatterns der Roten Fahne zu erfreuen). Es ist schwerer, den Kitsch zu veredeln, als ihm zu unterliegen. Stilvoll zu flirten ist mühsamer als Generalurteile abzugeben. Diese letzteren Betrachtungen sind die unseres Helden, wie überhaupt diese Darstellung bemüht ist, seine Brille zu wählen, ihn leidlich getreu zu kommentieren und eigenen eitlen Autorensenf zurückzuhalten.

    — — — — — — — — — — — — — — — — —

    Das Zimmer, das man zunächst betrat, berührte den Unbefangenen seltsam, denn dieser große Raum hatte keine Fenster. Im ersten oberflächlichen Stimmungsrausch, im schwachen Tageslicht aus der nächsten Zimmertür, hielt man ihn für bräunlich austapeziert, bis man mit einer leichten Gänsehaut erkannte: die Tapete war gar keine Tapete.

    Es waren Bücherrücken, unendliche Bücherrücken. Mit goldenen Buchstaben oder Schmuckstempeln bedruckt. Diese Bücher, in mindestens zwanzig Reihen, türmten sich bis an die Decke. Ja, sie schmiegten sich noch an diese schwarzgeschmauchte Decke, bildeten eine kompakte Masse, fraßen jeden leeren Fleck, krochen auf Borten über die Türen, – ein einziges, mächtiges, unerhörtes Gewimmel von Titeln. Berühmt, verschollen, absurd oder schlicht. In Goldpressung, auf Leder, oder geklebt auf marmorierte Pappe. Mit grünen, blauen oder gelben Nummernschildchen phantastisch sorgsam beklebt…

    Man war parterre, und das war gut so. Schauerlicher Gedanke, diese Lawine etwa über sich, im ersten Stock, zu wähnen. Letzte Nervenfolter, den Inhalt dieses und des Nebenzimmers über angstschweißgebadetem Scheitel zu fühlen. Wenn daher Herr von Uzbach seinen Bericht von der Bataille im Wohnungsamt, was er nicht ungern tat, ausschmücken wollte, so fügte er noch hinzu: »Und was passiert, meine Herren, wenn ich meine Bücher zusammenrücke? – Das Parkett sackt ein. Es sackt einfach ein. Die Feuerwehr kommt zu spät. Und ich habe gerade eine Weinsendung bekommen; ich stehe gerade im Keller und prüfe. Plötzlich ein donnernder Krach. Ein Erdbeben. Ein Bergsturz von Literatur… Ein schöner Tod, aber noch zu früh, meine Herren. Viel zu früh. Noch ist die Grabbe-Ausgabe nicht vollendet, und Sie wollen mir mit einer derartigen Katastrophe die Feder aus der Hand schmettern?!«

    In der Mitte dieses Raums, dieses einzigartigen Versteckes, streng geschützt vor jedem Sonnenstrahl, – in ewiger brauner geistdurchwebter Nacht also befand sich der historische Tisch, eine ausladende Mahagoniaffäre, einsam ragend aus dem niedergegangenen Zettelgestöber zweier Jahrzehnte.

    Es war der jenem Christian Friedrich Grabbe geweihte Altar; nichts anderes vollzog sich darauf als die Andacht zu diesem genialischen Wirrkopf. Tausende beschriebener Papierchen, teils zu wackelnden Pyramiden getürmt, teils unmutig in die Gegend hineingekehrt mit nervös suchendem Finger, teils in Kartonkäfterchen gepackt, mit Merkzungen gebändigt, fanden sich auf und unter diesem Tisch… Auf den Stühlen, auf dem Diwan, auf, unter, neben und hinter jedem Gegenstand, selbst unter dem Fuß der Messinglampe, die einen grünen Spitzhut aus Glas trug, durchbohrt von einem bräunlich angeblakten Zylinder (es war nämlich eine gute alte Petroleumlampe, Gott segne sie).

    »In ihrem mildgoldenen Licht«, pflegte Herr von Uzbach passend hervorzuheben, »gedeiht das historische Denken. Nur Gegenwartsberäucherer verkennen das und glauben, eine grelle Birne wäre das Wahre und all der haarscharfe Krimskrams, den man so der Seele entkleidet. Man gebe mir die Dämmerung, die zerfließende; sie allein ist das Symbol für Unendlichkeit. Kann man sich den Geschmackspapst von Weimar vorstellen, vom eigenen dröhnenden Diktat durchs Zimmer getrieben wie eine fruchtschwere Fregatte, daß er sich unterbricht und sagt: ›Knips’ Er mal die Beleuchtung an, Eckermann‹? – Nein, er wird höchstens gesagt haben: ›Hat Er, mein Bester, für alle Fälle die Dochtschere

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1