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Diplomaten
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eBook337 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Dr. Franz Xaver Windmüller ist ein weltberühmter Gentleman-Detektiv, den die Legende mit dem Nimbus umgibt, dass für ihn keines Rätsels Lösung unmöglich ist. Schon lange hat der Jurist seinen trockenen Beruf an den Nagel gehängt, um sich ganz der interessanteren Berufung zuwenden zu können. Psychologisches Gespür, schauspielerische Fähigkeit, sein breites Universalwissen und vor allem sein logisches Denkvermögen brachten Ruhm und Ehre und versetzten ihn zudem in die angenehme Lage, ein bescheidene Häuschen in Rom sein Eigen zu nennen. Nur noch ganz außergewöhnliche Fälle halten ihn von seinem römischen Hobby, der Archäologie, ab. Und so einer scheint vorzuliegen, als Windmüller unverhofft Besuch bekommt: Dem Minister des Auswärtigen Amts steht die Angst ins Gesicht geschrieben, als er seine Begleitung, Leutnant Freiherr von Greifensee, vorstellt. Dieser sollte der Verlobten des Königs ein Präsent überreichen, ein aus unzähligen Diamanten gefertigter Taillenschmuck, dessen besonderer Wert noch durch den "Emir al Omra" gesteigert wird. Doch für Windmüller ergibt der Raub eines unverkäuflichen Diamanten keinen Sinn. Und tatsächlich befindet sich in dem gestohlenen Schmuckkasten ein weitaus kostbareres Kleinod, ein gefährliches Dokument, das auf keinen Fall in falsche Hände geraten darf. Schon ist Franz Xaver mitten in seinem nächsten Fall, der höchste Diskretion von ihm verlangt. Doch Windmüller hat ein feines Gespür für falsche und echte Diplomaten ...Der Kauz mit Sherlock-Holmes-Qualitäten – ein höchst vergnüglicher Krimi aus dem Jahr 1910!Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem (1854–1941) war eine deutsche Schriftstellerin, die um 1900 zu den beliebtesten deutschen Unterhaltungsschriftstellerinnen zählte. Sie war eine der wenigen deutschen Autorinnen des 19. Jahrhunderts, die ihre Werke nicht unter einem Pseudonym verfasste. Ihr erstes Werk "Die Nichten des Kardinals" veröffentlichte sie bereits mit 17 Jahren 1871 unter ihrem Geburtsnamen Eufemia Gräfin Ballestrem. Es folgten Gedichte, Novellen, Humoresken und über 40 Romane. Etwa ab 1910 legte sich die Autorin ganz auf das Schreiben von Romanen und Belletristik fest und veröffentlichte in der Regel einen Roman pro Jahr. Ihre wichtigsten Romane sind zweifelsohne die sogenannten "Windmüller"-Romane um den Gentleman-Detektiv Dr. Xaver Windmüller, die meist in aristokratischen Kreisen spielen. Mit den Romanen "Falkner vom Falkenhof", "Trix" und "Die weißen Rosen von Ravensberg" lieferte sie für die damalige Zeit außerordentliche Bestseller, von denen bis zu 120 Auflagen erschienen.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum14. Apr. 2016
ISBN9788711517611
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    Buchvorschau

    Diplomaten - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

    www.egmont.com

    Doktor Franz Xaver Windmüller sass im Wohnzimmer seines Absteigequartiers in der Haupt- und Residenzstadt X. und putzte eine alte, silberne, herzförmige Dose holländischer Arbeit, indem er dabei hin und wieder einen Schluck aus einer neben ihm stehenden Tasse Tees nahm oder einen Bissen von den Sandwichs auf der zierlich angerichteten Platte. Mit diesen unschuldigen Beschäftigungen in dieser friedlichen Umgebung verkörperte Doktor Windmüller ein Idyll bei Lampenlicht, denn es war Abend.

    Das mässig grosse Zimmer mit den weissen Musselinvorhängen und der einfachen Einrichtung von altersdunklen Mahagonimöbeln im Empirestil, den Silhouetten an den Wänden, den Wachsblumen unter Glasglocken auf der Kommode, auf der eine säulengetragene Alabasterpendule tickte, war an sich schon ein Idyll inmitten einer Millionenstadt, in der man solche „möblierte Zimmer" vergeblich suchen würde, schon weil man dort ihre Existenz gar nicht für möglich hielte. Aber auch Grossstädte besitzen noch stille Winkel inmitten des lebhaften Treibens, Gärten hinter haushohen Mauern und darin altmodische Häuser. In solch einer Oase im Besitz eines jener Originale, die im Aussterben begriffen sind, fand Doktor Franz Xaver Windmüller eine ruhige Zufluchtstätte, so oft seine Geschäfte ihn aus seinem römischen Tuskulum nach X. führten, und das geschah nicht eben selten, denn in den Fällen, wo die Fäden einer Affäre gar zu unentwirrbar erschienen, wo das Dunkel ganz undurchdringbar dünkte, da rief man nach dem weltberühmten Gentleman-Detektiv, den die Legende mit dem Nimbus umgab, dass für ihn keines Rätsels Lösung unmöglich sei. Sein eigentümlicher Beruf, zu dem ihn eine phänomenale Begabung und Enthusiasmus aus der juristischen Karriere herausgedrängt, zu dem ihn psychologische Studien, universale Kenntnisse, schauspielerisches Genie und logisches Denken geradezu prädestinierten, hatte ihn längst in die angenehme Lage versetzt, sein eignes Nest zu bauen, und zwar in einem bescheidenen Häuschen in Rom, in dem er aus Mangel an einer Frau, denn zum Heiraten hatte ihm schlechterdings die Zeit gefehlt — seine Antiquitätensammlung zur Herrin gemacht, wo er sich gern als archäologische Autorität suchen und finden liess. Denn seit sein Beruf nicht mehr nach Brot zu gehen brauchte, übte er ihn nur noch in aussergewöhnlichen, in sozusagen Elitefällen aus, die seinen Ehrgeiz reizten und ihn selbst interessierten. Ein solcher Fall hatte ihn wieder einmal nach X. geführt, und er hatte eine Nuss geknackt, an der sich viele vor ihm die Zähne ausgebissen.

    Seinen Beruf hätte ihm übrigens keiner angesehen, und wer ihn so in dem heimischen, altmodischen Stübchen erblickte, wie er mit dem Lederlappen in den schlanken, wohlgepflegten Händen mit den konischen Fingerspitzen über der silbernen Dose herumputzte, der hätte ihn eher für einen Gelehrten, als für einen — Bluthund gehalten, mit welchem Ehrentitel man den Kriminalisten bezeichnete, vor dessen Spürsinn das Verbrechen vergeblich einen Schlupswinkel suchte. Im Alter zwischen vierzig und fünfzig, gross, sehnig, schlank, unvermutete Körperkräfte verbergend, das glattrasierte Gesicht mit dem frappanten Moltke-Profil und dem kleinen, wohlgeformten Schädel mit spärlichem Haarwuchs — also gestaltet beugte er sich fast liebevoll über den letzten Erwerb für seine Sammlung, und die Augen, die so zärtlich auf das Silberschmiedszeichen auf dem Boden der grossen Dose herabblickten, schienen kaum fähig, bis in die Tiefen der Seele und die verborgenen Falten schuldbeladener Herzen dringen zu können. Schienen — für oberflächliche Beobachter freilich nur, denn wer näher hinsah, der entdeckte wohl allerlei Unerwartetes in diesen Augen: stahlharte, durchbohrende Lichter, Bezwingendes, eine geistige Überlegenheit, vor der mancher schon die Waffen gestreckt.

    Doktor Windmüller betrachtete mit schiefem Kopfe seine Dose, befriedigt, mit dem stillen Glücke des Sammlers; dann hüllte er sie sorgsam in das Putzleder ein, schob sie zur Seite, trank seinen Tee aus, wählte noch eines der appetitlich aussehenden Brötchen und trug darauf die Platte mit dem frugalen Nachtessen, das seinen einfachen Gewohnheiten völlig genügte, hinüber auf die Kommode.

    „Erst acht Uhr! konstatierte er mit einem Blick auf die Pendule. „Soll ich noch ausgehen und mir in der Hofoper ein paar Akte der ‚Götterdämmerung‘ anhören — was seine Reize hat, sintemalen man in Rom doch keinen Wagner auf der Bühne zu hören bekommt, oder ist es weiser in Anbetracht der morgigen frühen Abreise, daheim zu bleiben und mit den Hühnern schlafen zu gehen? Ach was — weise braucht der Mensch nicht alle Tage zu sein — Torheit ist’s, die erfrischt! Also gehen wir zusehen, wie Hagen den Siegfried erschlägt.

    Doktor Windmüller trat ins Nebenzimmer, wo ein schweres Mahagonibett mit weissen Musselinvorhängen und ein mit grüner Seide drapierter Toilettetisch, wie die Königin Luise ihn gebraucht haben konnte, eher eine Dame in Empiretracht zu erwarten schienen, als einen modernen Detektiv, mochte er auch aussehen wie ein hyperfeiner Privatgelehrter. In diesem anheimelnden Stübchen, in dem ein fast fertig gepackter Koffer stand, wusch Doktor Windmüller seine Hände in einem rosenbemalten Becken, nahm den Hut vom Tisch vor dem spindelbeinigen Sofa, den Überzieher aus dem eingelegten Kleiderschrank, bürstete einige imaginäre Stäubchen von seinem tadellosen Rock und trat dann zurück ins Wohnzimmer. In diesem Augenblick wurde an der Haustür die altmodische Glocke gezogen, dass der Doktor, mit allen Sinnen auf dem „Qui vive", aufhorchte — er hatte sich ein feines Ohr angewöhnt für die Töne der Hausglocken und konnte genau sagen, ob der Läutende Eile oder Musse hatte, ob er aufgeregt oder ruhig war, ob er als Bittender oder Befehlender, zaghaft oder sicher kam. Aus diesem Glockenzug aber meinte Doktor Windmüller geradezu einen Notschrei herauszuhören, ein Vibrieren aller Nerven der Hand, die an dem Draht riss, als könnte dies die Tür rascher öffnen.

    „Gottlob, dass mich das nichts angeht, murmelte der Detektiv, nach seinen Handschuhen greifend; doch der fromme Wunsch war verfrüht, denn das feine Ohr des Doktors hatte unten an der Haustür in dem Durcheinander männlicher Stimmen mit dem etwas schwerhörigen Faktotum des Hauses einen bekannten Klang zu hören vermeint. Dann kamen Schritte die Treppe herauf, es wurde an die Tür geklopft, und auf das halb resignierte, halb erwartungsvolle „Herein des Doktors betraten zwei Herren das Zimmer, von denen der zuerst eingetretene einen besonderen Eindruck machte, denn der Doktor warf den schon zum Anziehen bereitgehaltenen Paletot auf den nächsten Stuhl und ging seinem Besuch lebhaft entgegen.

    „Wie? Sie, Exzellenz?" rief er erstaunt.

    „Ja, ich! erwiderte der schmächtige, kleine, ältere Herr mit dem bedeutenden Kopfe — Seine Exzellenz der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten, Herr v. Worb. „Welches Glück, dass ich Sie noch treffe, mein verehrter Herr Doktor! Nachdem Sie unsre Angelegenheit gestern schon in so unendlich dankenswerter Weise mit der nur Ihnen eignen Intelligenz geordnet — bitte, kein Protest, ohne Sie sässen wir noch im Dunkeln — da hielt ich es für reine Glückssache, Sie noch in X. anzutreffen. Um durch eine vorherige Anfrage in Ihrem gewohnten Quartier keine Zeit zu verlieren, denn mein Wagen stand für den Besuch der Oper vor der Tür, da fuhr ich lieber selbst direkt hierher. Das war ein guter Gedanke, denn ich sehe, Sie waren im Begriffe, auszugehen —

    „Auch in die Oper, Exzellenz," erwiderte der Doktor, der den Blick nicht von dem undurchdringlichen Diplomatengesicht des Ministers gewendet hatte und darin las, was andern einfach gar nicht aufgefallen wäre: eine trotz aller äussern Ruhe gewisse nervöse Spannung und — Angst.

    „Ah, also nicht auf dem Kriegspfade, um so besser, machte Exzellenz sichtlich erleichtert. „Ich komme nämlich, Sie zu bitten, mein hochverehrter Herr Doktor, einen neuen — hm — Fall für uns zu übernehmen.

    Doktor Windmüller zögerte einen Moment.

    „Ich wollte morgen früh nach Rom zurückkehren, wo ich halb und halb versprochen hatte, mein Gutachten über die Echtheit eines Kaufobjektes abzugeben, sagte er. „Indes, das könnte verschoben werden, wenn der Auftrag Eurer Exzellenz sehr dringend wäre, was ich wohl nach Ihrem persönlichen Erscheinen annehmen darf.

    Der Minister machte eine Handbewegung.

    „Ich wusste, dass Sie das verstehen würden, sagte er. „Ja, ich fürchte, die Sache ist ebenso dringend wie ernst. Lassen Sie uns Ihnen den Fall darlegen — wir sind doch hier gänzlich ungestört und vor allem unbelauscht?

    „Mein Wirt und Gastfreund lebt, als Invalide an den Rollstuhl gefesselt, in den Parterreräumen. Sein Diener, Gärtner und Faktotum, ist reichlich schwerhörig, und die alte Köchin, seine Frau, ist im Hochdeutschen etwas schwach, aber nicht neugierig. Diese Wände hier haben keine Ohren, und das macht sie mir besonders wertvoll als Absteigequartier."

    „Um so besser, nickte der Minister befriedigt. „Ich wollte, ich könnte vom Auswärtigen Amte auch behaupten, dass es keine Ohren hätte — leider hat es aber sogar auch noch Augen, Argusaugen! Deshalb ist es doppelt gut, dass ich zu Ihnen kam mit meinem Begleiter, den ich Ihnen ja noch nicht einmal vorgestellt — Leutnant Freiherr von Greifensee, kommandiert zum Auswärtigen Amt — Herr Doktor Windmüller, lieber Greifensee, der Mann, bei dem Sie Hilfe suchen und finden werden, denn die Schlachten, die er schlägt, die er zu schlagen übernimmt, gewinnt er immer!

    „O, Exzellenz übertreiben," rief Windmüller abwehrend. „Ich bin schon mehr als einmal ruhmlos geschlagen worden — zuletzt durch ein hessisches Stubenmädchen, das etwas oberflächlich aufzuräumen beliebte.¹) Hat mir aber viel Spass gemacht, diese verlorene Schlacht! Doch zur Sache! Wollen die Herren Platz nehmen?"

    Während der Doktor sprach, hatte er den Begleiter des Ministers scharf ins Auge gefasst — es war ein auffallend hübscher, grosser, ja hünenhafter junger Mann in der kleidsamen Uniform der Leibgardehusaren, deren lichtblau-goldene Attila seinem hellen, nordischen Typus besonders gut stand; aber das offene, sympathische Gesicht des Offiziers war blass vor innerer Aufregung, ja fast verzerrt, und in seinen Augen kam eine Aufregung zum Ausdruck, die er nur mit Anstrengung bemeistern konnte.

    Der war’s, der die Glocke gezogen, dachte der Doktor, und kaum hatte der Minister sich gesetzt, da liess Herr v. Greifensee sich auf den Stuhl fallen, und die Arme über den Tisch ausstreckend, rief er, ein völlig gebrochener Mann:

    „Es ist aus mit mir — ich bin ruiniert!"

    Der Minister wechselte einen Blick mit Doktor Windmüller.

    „Nehmen Sie sich zusammen, Greifensee, sagte er freundlich, aber nicht ohne eine gewisse Schärfe, die stimulierend wirken sollte. „Wir wollen doch erst mal hören, was der Herr Doktor hier sagt, ehe wir die Büchse ins Korn werfen! Wir, lieber Greifensee, denn wenn der Doktor unsern Fall für hoffnungslos erklärt, dann gehen wir zwei zusammen, wie mir scheint!

    „Das ist’s ja eben," stöhnte der Attaché, aber er hob den Kopf wieder in die Höhe, und in dem Blick, den er dabei auf den Minister richtete, fand Doktor Windmüller einen so knabenhaft-jugendlich herzlichen Ausdruck, dass es ihm ganz warm dabei wurde. Und wenn Windmüller sich für einen Klienten erwärmte, dann entwickelte sein Geist gleich die doppelte Schwungkraft.

    „Es ist schon so mancher zu mir gekommen mit der Einleitung, dass er ruiniert sei, und hat mich, alle Taschen mit frischen Hoffnungen vollgestopft, wieder verlassen, sagte er mit leisem Lächeln. „Exzellenz hat recht: Lassen Sie mich erst hören, um was es sich handelt, zum Klagen ist nachher noch viel Zeit!

    „Ach, es hat mich ja nur momentan so umgeworfen, rief Herr v. Greifensee, sich gewaltsam fassend. „Also —

    „Halt! fiel der Minister ein. „Unser Doktor ist ein Mann der Methode — ich kenne ihn, und methodisch wollen wir ihm daher auch den Fall vortragen. Bei mir fängt die Geschichte an, daher will ich auch beginnen; inzwischen sammeln Sie sich, um fortzufahren, wo ich einhalten muss.

    Doktor Windmüller stimmte dem Plan zu; er setzte sich an den Tisch, zog sein Notizbuch hervor und, den Bleistift in der Hand, sah er den Minister erwartungsvoll an.

    „Also hören Sie, begann dieser. „Seine Majestät der König, der, wie Sie wissen, mit der Prinzessin Hildegard, Tochter des Kaisers von Nordland, verlobt ist, hat als ein Geschenk für seine hohe, schöne Braut einen eigenartigen Schmuck anfertigen lassen, den er ihr durch einen speziellen Abgesandten überreichen lassen wollte —

    „Wozu in solchen Fällen gewöhnlich ein hoher Hofbeamter ausersehen wird," warf Doktor Windmüller ein, ohne den Blick von dem Minister zu wenden.

    Dieser hustete leicht.

    „Meist, ja, gab er zu. „Indes, interne Rücksichten und besondere Umstände waren in diesem Falle die Veranlassung, eine andre Persönlichkeit zur Überbringung des königlichen Geschenkes zu wählen — die Gründe, die hierfür massgebend waren, gehören aber gar nicht zur Sache —

    „Ah, fiel Doktor Windmüller abermals ein, „das zu beurteilen sind wir noch nicht weit genug vorgeschritten —

    „Gar nicht zur Sache, wiederholte der Minister, die Silben skandierend. „Kurz, ich erhielt den Auftrag, unter dem Personal des Auswärtigen Amtes eine Persönlichkeit zu finden, die den Allerhöchsten Auftrag auszuführen geeignet sei. Ich ermutige gern meine jüngeren Attachés und gebe ihnen, wo ich kann, die Chancen für einen Orden, der in seiner dekorativen Wirkung die Augen auf sich zieht, und weil Herr von Greifensee hier eine solche Chance noch nicht hatte, so brachte ich ihn in Vorschlag. Heut’ nachmittag zwischen drei und vier Uhr war ich denn in der Lage, Herrn von Greifensee mit seiner Mission bekannt zu machen. Ich gab ihm den Befehl, heut’ mit dem Nachtzuge zehn Uhr dreissig abzureisen, indem ich ihm zugleich das Objekt, den Schmuck, mit den nötigen Instruktionen übergab. Ehe ich diese meine Einleitung aber schliesse, möchte ich den Schmuck mit einigen Worten beschreiben, was wohl das Wesentliche meines Berichtes sein dürfte, da unser Besuch bei Ihnen, mein hochverehrter Herr Doktor, wie Sie längst erraten haben werden, sich um dieses Wertobjekt dreht —

    Windmüller verbeugte sich leicht.

    „Es scheint so, meinte er trocken. „Wenn wir nur erst die Scheibe haben, so wird das Zentrum sich auch schon finden.

    „Sie wollen damit sagen —"

    „Später, Exzellenz, später! bemerkte Windmüller mit Gleichmut. „Bitte, beschreiben Sie den Schmuck — ich bin ganz Ohr!

    Der Minister richtete einen prüfenden Blick auf das undurchdringliche Gesicht des Detektivs.

    „Also, sagte er mit einer Erregung im Ton, die nur Windmüller zu seinem geheimen Triumph heraushörte, „also dieser Schmuck ist als eine sogenannte ‚Korsage‘, das heisst, als eine Taillendekoration gedacht und hat die Form einer doppelten, sehr graziös geknüpften Schleife, deren fünfzehn Millimeter breites Band von tafelförmig geschliffenen, ausserordentlich schönen Diamanten gebildet wird. Der Zackenrand des Bandes sowie dessen Kehrseite, wo die Schlingung der Schleife sie sichtbar werden lässt, bestehen aus Perlen, aber dieser an sich schon kostbare Schmuck ist nur der Träger für das Juwel, das von der Schlinge der Schleife an beweglichem Gliede herabhängt und wohl ein Unikum im Reiche der Edelsteine ist: nämlich ein Rubin von der Grösse und Form eines Kiebitzeies und von so hell rosenroter Farbe, wie eine La Franee-Rose, wenn Sie sich eine solche mit einem Feuer und einem Glanze vorstellen können, der dem eines Diamanten nichts nachgibt —

    „Mit einem Worte, dies Juwel ist der ‚Emir al Omra‘," fiel Doktor Windmüller ein.

    „Was — Sie kennen den Stein?" rief der Minister perplex.

    „Es gehört zu meinem Berufe, jeden Edelstein zu kennen, der sich durch Grösse, Farbe, Schliff, Gewicht und — durch seine Geschichte auszeichnet, erwiderte Windmüller mit einer Bescheidenheit, die einen Debütanten geziert hätte und bei dem Experten mit fortriss. „Der Emir al Omra, was so viel heisst als ‚Häuptling der Fürsten‘, wurde in den sechziger Jahren in den Rubinenminen von Afghanistan gefunden. Der Emir liess ihn erst roh in ein Diadem fassen, und als er Geld brauchte, was bei ihm ein chronischer Zustand war, verkaufte er ihn an einen holländischen Juwelenhändler, der den Stein seiner Form entsprechend schleifen liess, wonach er ihn auf den Markt brachte. Spinelle von dieser Grösse und Farbe aber erfordern reiche Käufer; die amerikanischen Trustmilliardäre aber waren damals noch nicht erfunden, und so blieb der Emir al Omra länger eine angebotene Ware, als dem Händler lieb war bis er einen Abnehmer in der Person eines mächtigen westeuropäischen Monarchen fand, der ihn seiner schönen Gemahlin verehrte. Diese aber fand, dass der rosige Stein zu ihrem rotgoldnen Gelock schlecht passte und trug ihn nie, und als die vordem so mächtige Dynastie abgesetzt wurde, kam der Emir al Omra mit den andern Juwelen der schönen Monarchin zur Versteigerung. Dort liess ihn der König, Ihr hochseliger Herr, Exzellenz, für sich ankaufen — man behauptete, um ihn einer — Zirkuskönigin zu Füssen zu legen. Aber das Gerücht muss wohl erdichtet gewesen sein, da der köstliche Balas-Rubin nun die Königsbraut schmücken soll. Nun, Prinzess Hildegard ist eine aschblonde Schönheit — der Emir al Omra wird sie bezaubernd kleiden!

    „Würde sie bezaubernd kleiden, lieber Herr Doktor, wenn sie ihn erhielte! rief der Minister, während der Attaché laut stöhnte und der Detektiv leise lächelte. „Doch lassen Sie mich zum Schlusse kommen. Die Diamantenschleife also mit dem Emir al Omra war in einen rechteckigen Kasten gebettet, der innen mit weissem Samt ausgepolstert und aussen mit rosa Seidenplüsch bezogen war, in Silber das künstlerisch gearbeitete Monogramm der Prinzess auf dem Deckel trägt, das mit Brillanten, sogenannten Rosen, inkrustiert ist. Zum Schutz war dieses etwa fünfzig Zentimeter im Quadrat messende Etui in einen zweiten Kasten von lederbezogener Pappe gesetzt und dieser wieder in eine Schutzhülle von braunem Segeltuch mit Handhaben gesteckt, denn bei dem hohen Werte des Objekts sollte der Überbringer es wie eine Art Reisetasche bei sich führen. In diesem Zustande und nachdem ich Leutnant von Greifensee überzeugt, dass der Schmuck sich in dem Kasten befand, übergab ich ihm denselben, liess ihm eine Droschke holen und sah ihn selbst vom Fenster aus darin fortfahren. Wie ihm dann der Kasten samt dem Schmuck abhanden gekommen ist, mag er Ihnen selbst erzählen.

    Der unglückliche junge Mann, der zusammengesunken auf seinem Stuhl gesessen hatte, richtete sich auf.

    „Ich —" begann er, aber Doktor Windmüller winkte mit der Hand ab.

    „Das hat Zeit, ich höre das später, sagte er ruhig. „Erst müssen Exzellenz schon noch die Güte haben, mir zu sagen, was in dem Kasten war.

    „Aber, mein verehrter Herr Doktor, ich habe Ihnen den Schmuck doch eben auf das genaueste beschrieben!" rief der Minister anscheinend leicht befremdet.

    Der Detektiv lachte gerade heraus.

    „Um eine Handvoll tafelförmig geschliffener Diamanten wiederzufinden und einen einfach unverkäuflichen Stein von der Qualität des Emir al Omra, dazu würde dieselbe genaue Beschreibung auf dem nächsten Polizeibureau genügen, sagte er trocken. „Dazu brauchen Exzellenz mich nicht.

    Der Minister schüttelte mit dem Kopfe, zuckte mit den Achseln und rückte nervös in seiner Sofaecke hin und her.

    „Ich verstehe wirklich nicht," begann er, aber Windmüller unterbrach ihn ohne Komplimente.

    „Doch, Exzellenz verstehen ausgezeichnet. Genau so gut, wie ich es verstanden habe, warum man zur Überreichung des königlichen Geschenkes keinen Hofbeamten gewählt hat."

    „Sollten Sie da nicht mehr verstanden haben als ich?" erwiderte der Minister leise lächelnd.

    „Das wäre Überhebung, entgegnete Windmüller ebenso. „Der Kasten mit dem Schmuck war die Maske für den Export eines — nun, sagen wir, eines Dokumentes, dessen Inhalt andre Leute so neugierig macht und so interessiert, dass man nicht wagte, es der üblichen Beförderung durch einen Kurier anzuvertrauen. Die Abordnung eines hohen Hofbeamten musste andrerseits auch bemerkt werden und auffallen — wenn man also einen jungen Attaché vom Auswärtigen Amte, der erst seit kurzer Zeit dahin kommandiert war und den niemand kannte, reisen liess, als ob er auf Urlaub ginge, so war das der einfachste und relativ sicherste Weg zur Beförderung eines Schriftstückes, an dem so und so viele andre Personen ein derartiges Interesse haben, dass jedes Mittel zu seiner Erlangung geboten und erlaubt schien. Ist diese meine Hypothese korrekt, Exzellenz?

    Der Minister hatte sozusagen mit gespitzten Ohren zugehört, ohne den Blick von dem ihn ebenso scharf beobachtenden Detektiv zu verwenden.

    „Mein lieber Herr Doktor —" begann er zögernd, doch Windmüller hob abwehrend die Hand.

    „Exzellenz hätten sich diese Probe auf meine Intelligenz füglich sparen können, sagte er lächelnd. „Ich wäre doch wirklich meinen Ruf nicht wert, wenn Ihre persönliche Begleitung des Herrn Leutnants zu mir mich die ‚deep waters‘ in dieser Affäre nicht sehen liesse.

    Der Minister nickte.

    „Gewiss, gewiss! sagte er, angelegentlich seine Fingerspitzen betrachtend. „Es war vorauszusehen, dass Sie durch meine Begleitung des Herrn von Greifensee Schlüsse ziehen würden, die aber vielleicht doch ein wenig — übertrieben sind. Indes, der Schmuck ist tatsächlich von einem Schriftstück begleitet. Das Polster, auf dem der Balas-Rubin an seiner kostbaren Schleife ruht, lässt sich aufheben, und zwischen ihm und dem Boden der Kassette liegt, oder leider wohl lag ein geschlossenes Kuvert.

    „Und das Kuvert enthält —?" fragte Windmüller sichtlich amüsiert.

    „Ein eigenhändig geschriebenes Gedicht Seiner Majestät an Allerhöchst Seine hohe Braut," erwiderte der Minister mit Nachdruck und mit einem Ernst, in dem er sich aber total verrechnet hatte, denn der Detektiv brach in ein Lachen aus, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen.

    „Exzellenz, stöhnte er, sich die Augen wischend, „es ist sehr erfrischend, wenn man in meinem Alter und im Hinblick auf meinen Beruf und die darin errungenen Erfolge noch für einen derartigen Grünschnabel gehalten wird, der auf einen solchen Leim geht. Ein Gedicht! Nein, es ist ja zum Begraben! Man hat mir einmal zugemutet, eine Schneiderquittung zu suchen, aber damit war man doch wenigstens ganz im Ernste, weil man den Posten nicht zweimal bezahlen wollte!

    „Aber, lieber Herr Doktor, fiel nun der Minister ein, sich sichtlich bezwingend, „bedenken Sie doch, wie unangenehm es für Seine Majestät wäre, wenn Allerhöchst Seine Verse in unrechte Hände fielen —

    „Wenn die Verse gut sind, was ich bei dem notorischen Talente des hohen Herrn annehme, dann wär’s kein so grosses Unglück, um so weniger, als Seine Majestät zweifellos die Verse nicht extempore niedergeschrieben haben, sondern sie in der Urschrift besitzen dürften, entgegnete Windmüller prompt. „Und nun, Exzellenz, zur Sache, fuhr er scharf fort. „Das Vorwort war lustig und entspricht ganz Ihrem mir wohlbekannten und geschätzten Sinn für Humor, aber die Zeit vergeht darüber, und die Minuten sind vielleicht kostbarer als der Emir al Omra. Nun zum eigentlichen Drama, wenn ich bitten darf!"

    Der Minister sah finster vor sich hin — er kämpfte offenbar mit seiner verletzten Würde, die ihn aufstehen und gehen hiess, und mit der bittern Notwendigkeit, die ihn zwang, sich an den Mann zu wenden, der einfach über das lachte, was er ihm mitzuteilen für ausreichend gehalten.

    „Herr Doktor, sagte er nach einer Weile kühlen Tones, „Sie weigern sich also, den abhanden gekommenen Kasten mit dem Ihnen beschriebenen Inhalt seinem hohen Besitzer zurückzuschaffen?

    „Ich halte meine Mitwirkung dabei einfach für eine überflüssige Kraftprobe, entgegnete Windmüller ruhig. „Die Polizei Ihres Landes und die Ihnen zur Verfügung stehenden Agenten sind dazu vollkommen ausreichend, wenn es sich um einen gewöhnlichen Diebstahl der Juwelen handelte. Aber darum handelt es sich nicht, dafür bürgt mir Ihr Besuch.

    Herr v. Worb, der nervös mit den Fingern auf der Tischplatte getrommelt hatte, schlug nun mit der flachen Hand darauf.

    „Herr Doktor, rief er nicht ohne eine endlich zum Durchbruch gelangende Erregung, „ich bitte um Ihre Entschuldigung für mein Zögern, das Ihnen wie eine Kränkung erscheinen müsste, wenn Sie nicht so gut begriffen. Tout comprendre c’est tout pardonner. Nichts für ungut denn! Ja, Sie haben vollkommen richtig gefolgert: der Schmuck und das Gedicht — sie waren nur die Maske für ein Dokument von so hoher diplomatischer Wichtigkeit, dass alles davon abhing, es ungefährdet an seinen Bestimmungsort zu befördern. Wir wissen, dass hundert Schlingen gelegt sind, dieses Dokument abzufangen, dass hundert verborgene Augen darauf lauern, es zum mindesten zu lesen. Der Entwurf, von dem keine Kopie existierte, ist von mir an meinem eignen Leibe verwahrt worden, mit dem ich in meinem eignen Bette nicht mehr sicher war an der Seite meiner Frau, die natürlich ahnungslos ist, dass sie neben mir durchaus nicht ungefährdet war — und ist. Denn wir sind nicht eher über den Berg, als bis das Dokument an seinen Bestimmungsort angelangt ist. Die Beurlaubung eines harmlosen, eben erst kommandierten Hilfsarbeiters schien wirklich der einzige Ausweg, der Schmuck die beste Maske. Herr von Greifensee hat allein bei mir in meinem Arbeitskabinett das Dokument abgeschrieben — ich habe das Original dann in den Kasten getan und ihm diesen ohne weitere Vorsichtsmassregeln übergeben, denn nur so hoffte ich die Wachsamkeit der Interessenten abzulenken, vorausgesetzt, dass diese von der ganz verborgen gehaltenen Überreichung eines Geschenkes an die königliche Braut Wind bekommen hatten. Man vertraut jungen Attachés, die man noch nicht genügend kennt, Schriften von so hoher Wichtigkeit nicht an — mit der anscheinenden Harmlosigkeit unsres Boten hatten wir also gerechnet. Der Kasten ist eigens zu diesem Zwecke aus einer durchaus zuverlässigen Werkstätte hervorgegangen und der Vorsicht halber für eine andre, scheinbar ganz unbeteiligte Person gearbeitet worden — in facto für einen unsrer Geheimagenten, der ihn ungesehen bei mir eingeschmuggelt hat. Das eigentliche Geheimfach darin ist nicht das, welches das bewusste Gedicht enthält, sondern es befindet sich in dem Deckel, zwischen dem weisssamtnen Futter und der starken, leicht gewölbten Decke. Es ist nur dazu zu gelangen, wenn man das Geheimnis kennt: die Verschiebung des aufgelegten silbernen Monogramms, welche die Klammern auslöst, die Deckel und Futter zusammenhalten. Selbstredend musste Herr von Greifensee lernen, wie der Mechanismus arbeitet, um ihn an Ort und Stelle spielen zu lassen — er war, neben dem Verfertiger, dem Besteller und mir selbst, der einzig notgedrungen Eingeweihte. So, nun wissen Sie alles, Herr Doktor — hoffentlich genügt es Ihnen, den Fall zu übernehmen.

    Windmüller hatte mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört.

    „Und was enthielt das Dokument?" fragte er statt einer Antwort.

    Der Minister fuhr empor wie gestochen — er war dunkelrot geworden.

    „Ist diese — indiskrete Frage notwendig für Ihr Geschäft?" sagte er hochmütig.

    „Es scheint so — sonst hätte ich sie kaum getan, für den Diskretion nicht nur die etwas breitgetretene Ehrensache, sondern die Grundbedingung jeglichen Erfolges ist," entgegnete der Doktor ebenso scharf. „Wozu mit Worten fechten, Exzellenz? Entweder Sie setzen volles Vertrauen in mich oder gar keines — ein Mittelding existiert hier einfach nicht. Wie kann ich ein Schriftstück suchen, wenn mir die Augen verbunden werden, so dass ich die Spuren nicht sehen kann? Wenn ich nicht weiss, wer ein Interesse

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