Der letzte Gig: Leo Dietz zweiter Fall
Von Rüdiger Woog
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Über dieses E-Book
Rüdiger Woog legt mit seinem neuen Krimi um den beliebten Hauptkommissar Leo Dietz einen ebenso spannenden wie nachdenklichen Roman vor, der intensiv aufzeigt, wie Täter und Opfer ein ganzes Leben lang von den Dämonen der Vergangenheit eingeholt werden.
Rüdiger Woog
Rüdiger Woog wurde 1971 in Eckernförde geboren. Er wuchs in einem kleinen Dorf am südlichen Rand des Altmühltals auf, studierte Germanistik und Romanistik und lebt heute mit seiner Familie in der Nähe von Ingolstadt, wo er als Schriftsteller, Sprachenlehrer, Lehrmittelautor und Werbetexter arbeitet. Woog erschrieb sich bereits mit seinem historischen Roman Die verwandelte Zeit“einen Namen. Mit seinen Krimis Der Einschläfer“ und Der letzte Gig“ machte er sich schließlich auch überregional bekannt. Im seinem neusten Roman Das hellgrüne Rentier”beweist er, dass er literarisch nicht nur in historischen oder kriminologischen Gefilden zu Hause ist.
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Buchvorschau
Der letzte Gig - Rüdiger Woog
Epilog
1. Kapitel
Es ist ziemlich kühl für den späten September. Der Fahrtwind fegt von allen Seiten über die hochgestellten, mit Schals zusammengehaltenen Krägen und zerzaust die Haare der beiden Cabriofahrer – seine braun, schulterlang und strubbelig, ihre glatt und honigblond. Im diffusen Herbstlicht scheint der Sportwagen über der schmalen Waldstraße zu schweben. Elisabeth hat ihre Handschuhe ausgezogen, sich bei Michael, der von allen nur Mike genannt wird, untergehakt und streicht mit den Fingerspitzen über die warme, glatte Oberfläche seiner Antiklederjacke. Sie lacht unentwegt und lässt ihren ausgestreckten Arm vom Wind tragen, wobei sie immer wieder die Hand öffnet und schließt, als wolle sie damit die Gräser, Wiesen und Bäume erst behutsam streicheln und dann festhalten, um so den Augenblick für immer einzufangen. Das Kassettendeck – CD-Player gibt es noch nicht – spielt Musik ab: Es ist Mikes Musik …
Welches Lied war es doch gleich? Elisabeth konnte sich nicht mehr entsinnen. Die Erinnerung schoss mit dem feuerroten Cabrio – und mit Mike – davon. Immer wenn sie an ihn dachte, taten sich in ihrem Gedächtnis dieselben Bilder auf: Mike auf der Bühne, hinter dem Mikrofon, mit durchgeschwitztem T-Shirt oder schwarzweiß kariertem Baumfällerhemd, oder in ölverschmiertem Overall, am Unterboden seines Cabrios herumschweißend, in seinem Zimmer unter dem Dach, wo er im Schneidersitz, die Gitarre auf dem Schoß, den Bleistift zwischen den Zähnen, Songs schrieb; wenn er morgens in seinem kindischen Superman-T-Shirt vor lauter Müdigkeit kaum aus den Augen sehen konnte; Mike an der Hand auf dem zugefrorenen Badeweiher beim Schlittschuhlaufen oder eben jene Autofahrt von Regensburg über Sinzing nach Kelheim. Sie hatten damals in Regensburg bei ihren Eltern übernachtet und waren unterwegs zu Mikes Mutter, die sie zum Essen eingeladen hatte. Eigentlich war das fast jedes Wochenende so, selbst wenn Mike einen Gig oder Elisabeth eine Klausur hatte. Dennoch war dies die glücklichste aller Erinnerungen, obwohl, oder vielleicht gerade weil an jenem Septembertag gar nichts Außergewöhnliches vorgefallen war.
Elisabeth musste unweigerlich kichern, als sie das bunte Fotoalbum aufschlug und die verrückten Aufnahmen betrachtete, die sie, Mike, Wolf, die anderen Jungs der Band und Bettine, ja auch Bettine, mit Elisabeths Polaroidkamera – ihrem ersten Fotoapparat – gemacht hatten. Die letzten eingeklebten Bilder waren von dem Openair-Konzert auf dem Michelsberg vor der Kelheimer Befreiungshalle, das war das letzte Konzert der Band; dann kam der leicht vergilbte Zeitungsartikel. Er war zweimal gefaltet, wodurch sich die Druckerschwärze einiger Lettern abgerieben hatte. Aber Elisabeth kannte den Artikel auswendig. Über die Jahre hinweg hatte sie ihn immer wieder gelesen und studiert. Sie hatte gehofft, irgendwo zwischen den Zeilen eine Spur zu entdecken, irgendetwas, vielleicht nur einen winzigen Denkanstoß, zu finden, das den Journalisten und der Polizei entgangen war. Doch sooft sie den Text, dessen unveränderte Beständigkeit sie als gnadenlos und hämisch empfand, auch durchgegangen war, war sie niemals fündig geworden. Wie vor einer körperlichen Anstrengung atmete sie tief ein und wieder aus. Dann entfaltete sie das dünne Blatt.
Mike strahlte ihr mit solch einer Lebensfreude entgegen, dass sie unweigerlich schluchzen musste, sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte und die Hände an ihrem schwarzen Rock abstreifte. Ein weiteres hoffnungsloses Mal fing sie an zu lesen.
Abendzeitung
AUS BAYERN 28.07.1995
Regensburg (mf).
Zehn Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden des damals einundzwanzigjährigen Michael Engl, genannt Mike, aus dem niederbayerischen Kelheim fehlt nach wie vor jede Spur des Vermissten. Das letzte Mal wurde Engl am späten Abend des 28. Juli 1984 zugleich von mehreren hundert Konzertbesuchern bei einer Openair-Veranstaltung in Kelheim gesehen, wo er mit seiner Hardrockband The Rebound auftrat. Bis heute ist nicht geklärt, ob der junge, beliebte Mann einem Verbrechen zum Opfer fiel oder von sich aus untergetaucht ist. Schon wenige Wochen nach dem Rockkonzert im Sommer 1984 kursierten bereits die ersten, zum großen Teil hanebüchenen Gerüchte. Zum Beispiel habe der Musiker bei einigen seiner Bandmitglieder hohe Spielschulden gehabt, die er nicht habe zurückzahlen können. Daraufhin habe er auf einem Frachtschiff mit Kurs auf Übersee angeheuert – scheinbar hatte Engl immer wieder betont, dass er eines Tages in die USA auswandern wollte. Aber den Nachforschungen bei der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde zufolge hat Michael Engl niemals – auf legale Weise – amerikanischen Boden betreten. Ebenso erwies sich ein angeblicher Eintritt in die Fremdenlegion als unwahr. Genauso unhaltbar war die Mutmaßung über einen großen Lottogewinn. »Michael hat niemals Lotto gespielt.«, äußerte Angelika Engl, die verwitwete Mutter Michaels, gegenüber der Presse. »Und selbst wenn er irgendwie zu viel Geld gekommen wäre, hätte er sich nicht einfach so damit aus dem Staub gemacht.«
Weshalb die Kriminalpolizei erst nach mehr als einem Monat eine Großfahndung herausgab, stellte Angehörige, Freunde und Öffentlichkeit vor ein Rätsel, das seitens der Regensburger Einsatzleitung nur ansatzweise erklärt wurde. Der damals verantwortliche ermittelnde Beamte war der sich mittlerweile im Ruhestand befindende Hauptkommissar Jörg Forster. Unser Redakteur Hans Staudter, der seit 1984 den Fall verfolgt und in der Abendzeitung darüber berichtet, hat mit dem inzwischen 70-Jährigen in seiner Regensburger Wohnung gesprochen.
Herr Forster, tagtäglich werden Menschen vermisst. Das ist traurige Realität. Was macht den Fall Engl so spektakulär?
Nun, spektakulär würde ich das nicht nennen. Aber einige Aspekte sind doch außergewöhnlich, was diesen Fall von anderen abhebt. Nehmen Sie zum Beispiel die Umstände des Verschwindens: Ein regional bekannter Musiker löst sich in der Nacht nach einem Rockkonzert förmlich in Luft auf. Niemand, absolut niemand, nicht seine Freundin, nicht seine Bandmitglieder und auch nicht seine Mutter wussten das Geringste über seinen Verbleib. Auch sonst wollte ihn niemand gesehen haben – wir haben damals im großen Umkreis Tankstellen, Diskotheken und andere Nachtlokale aufgesucht. Kein Mensch konnte sich an das Gesicht erinnern, das in jenen Tagen in allen Regionalzeitungen zu sehen war. Sogar im Fernsehen wurde ein Ausschnitt des Konzerts gebracht. Diesen Ausschnitt haben wir dann auch an überregionale Fernsehsender geschickt – wir erhielten keine einzige ernstzunehmende Reaktion.
Sie sagten, es gebe mehrere außergewöhnliche Aspekte.
Ja, das stimmt. Sie haben Recht damit, dass Leute tagtäglich verschwinden. Aber meist handelt es sich dabei um ältere, senile oder verwirrte Personen, was natürlich auf den jungen Engl nicht zutrifft. Und irgendwelche Schlepperbanden interessieren sich nicht für einundzwanzigjährige Männer.
Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Plattenvertrag. Die Bandmitglieder versicherten uns, dass sich ein renommiertes deutsches Label sehr für die Band interessierte und der Vertrag schon unterschriftsfertig auf dem Tisch lag. Die Plattenfirma konnte uns das ebenfalls bestätigen.
Da wäre es natürlich nicht sinnvoll, auszuwandern, so kurz vor dem Durchbruch. Gehen Sie also von einem Verbrechen aus?
Ich persönlich habe das immer vermutet. Nur gibt es, wie Sie wissen, ohne Leiche kein Verbrechen. Also haben wir alles ausgeschöpft, was wir neben der Fahndung an Suchmöglichkeiten hatten: verschiedene Hubschraubereinsätze rund um Kelheim, Bodensuchtruppen, Leichenhunde, Taucher und Wärmebildkameras. Das Ergebnis kennen Sie ja.
Noch eine letzte Frage: Warum hat es fast einen Monat gedauert, bis die Ermittlungen richtig ins Laufen kamen?
So kann man das nicht sagen. Wir haben von Anfang an intensiv ermittelt und uns dabei auf die Region Kelheim konzentriert. Auch im Nachhinein bin ich der festen Überzeugung – und die Ergebnisse der Großfahndung stützen diese Überzeugung –, dass dies die richtige Entscheidung war. Denn was immer in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1984 passiert ist, hat in oder bei Kelheim stattgefunden.
Angelika Engl lebt indes nunmehr in ständiger Unruhe und Zerrissenheit. »Oft wünsche ich mir einfach nur Klarheit und einen Ort, wo ich wenigstens sein Grab besuchen und für ihn beten kann. Und dann kommt wieder die Hoffnung: Manchmal wache ich nachts auf und meine, die Wohnungstür leise quietschen zu hören. Dann stehe ich auf, mache das Licht an und niemand ist da.«
Elisabeth faltete den Artikel wieder zusammen und legte ihn behutsam wie einen leblosen Schmetterling in das Fotoalbum zurück. Sie schreckte ein wenig auf, aber nicht so heftig, dass er es wahrnahm, als Martin sie von hinten berührte. Seine großen Hände waren wie immer warm, selbst durch die schwarze Leinenbluse hindurch, und lagen schwer und beschützend auf ihren schmalen Schultern.
»Komm«, sagte Martin, während er sich seine schwarze Krawatte hochschob, »es ist Zeit. Wir müssen gehen.«
2. Kapitel
Es gibt Menschen, dachte sich Hauptkommissar Leo Dietz, als er den Mann mit dem schütteren Haar in rot-blau kariertem Arbeitshemd und grüner Latzhose betrachtete, die ihre Mundwinkel immer so weit nach unten ziehen, als würden sie permanent einen bitteren Geschmack kosten. Wie kommt es, fragte er sich, dass manche Leute schon mit diesem gequälten Gesichtsausdruck aufzustehen scheinen und man befürchten muss, dass jedes an sie gerichtete Wort noch mehr Säuerlichkeit hervorrufen könnte?
Natürlich hatte der Mann kein leichtes Werk zu verrichten. Dicke Schweißperlen rannen ihm über das verbissene Gesicht, als er den Greifarm erneut in die dunkle, vom Schlamm aufgewühlte Wasseroberfläche tauchte. Er stand so weit vorne im Bug und beugte sich so weit dem Greifarm nach, dass Dietz, der schräg hinter ihm saß, schon befürchtete, er würde das Gleichgewicht verlieren und man müsste gar die beiden Taucher, die bereits ihre Neoprenanzüge abgelegt hatten, erneut losschicken, um ihn wieder herauszufischen. Während er noch darüber nachdachte, ob der Mann schwimmen könne oder nicht, tauchte der riesige stählerne Kopf wieder auf. Schilfgras und Algen hingen zwischen seinen Zähnen und anthrazitfarbener Schlamm triefte aus seinem Maul. Der Kranführer schwenkte den Greifarm über eine blaue, am Ufer ausgelegte Plane, auf der fünf Polizisten standen, drei davon in Uniform, zwei in weißen, mittlerweile ziemlich besudelten Overalls und ein Mann in Zivilkleidung. Er öffnete so vorsichtig er konnte die Schaufeln. Nicht vorsichtig genug, denn das abermalige Bespritzen der Beamten mit dem schwarzen Morast zog einiges an lauten Flüchen nach sich.
»Und?«, rief Dietz zu seinen Kollegen, die dabei waren, die verklebten Schlingpflanzen zu entwirren, hinüber.
»Ist was dabei?«
»Nein, Chef. Wieder nichts!«, kam es zurück.
»Scheiße!«, murmelte der Kommissar mehr zu sich als zu dem Kranführer. »Also dann noch einmal, jetzt etwas weiter hier drüben, ja … genau, da meine ich. Ganz vorsichtig bitte.«
Dann drehte er sich noch einmal zu den Männern auf der blauen Plane um.
»Und wenn wir den ganzen verdammten Weiher umgraben müssen, wir machen weiter! Stück für Stück!«
Wie zur Bestätigung ertönte plötzlich eine Sirene. Alle Köpfe wandten sich dem jungen Mann in Zivilkleidung zu, der sein Handy aus der Parkatasche zog und hektisch auf den Tasten herumtippte, um den Anruf abzulehnen.
»Tschuldigung.«, murmelte er mit hochrotem Kopf und steckte seinen langen, brünetten Pferdeschwanz in die Kapuze, während sich die anderen Beamten grinsend wieder über den Schlamm hermachten. Der junge Mann stand hinter ihnen und blickte auf ihre dreckigen Rücken. Nun musste er grinsen. Wie Kinder im Sandkasten. Jeder will als Erster den Schatz finden, dachte er, wobei er sich schnell abwandte, damit niemand seine plötzliche Belustigung bemerkte. Seit er dieses Praktikum absolvierte, war er bei den Kollegen – oder besser gesagt bei seinen vielleicht künftigen Kollegen – immer wieder in die Bredouille geraten. Sei es, dass sie sich über seine langen Haare und über seinen alten Käfer lustig machten oder dass er mit seiner ihm des Öfteren bescheinigten theoretischen FH-Klugscheißerei aneckte. Also hielt er es für das Beste, sich für den Moment aus der Affäre zu ziehen, indem er zu den Fahrzeugen ging, um sich noch einmal die Knochen anzusehen. Er öffnete den Kofferraumdeckel des VW-Busses und beugte sich über die große, orangefarbene Wanne. Die Knochen hatten so gar nichts Menschliches an sich. Sie waren nur notdürftig mit einem Pinsel gesäubert worden und muteten in ihrer dunkelbraunen, schwarz gefleckten Patina viel mehr wie morsches Holz oder schlecht präparierte Fossilien an. In der Mitte der Wanne lag ein Beckenknochen, dessen Ausmaße ihm ungewöhnlich groß vorkamen. Links daneben befanden sich drei Wirbel, von denen einer nur mehr zu einem Drittel bestand, und rechts des Beckens lag ein großer, glatter, schwarzer Knochen. Der Länge nach zu schließen musste es sich um einen Oberschenkelknochen handeln.
Das ist nun das Innerste des Menschen, dachte sich der Praktikant, ein hohles, brüchiges Material, vor dem einem graut. Anderen Rohstoffen, die ja auch im Inneren der Berge, in tausend Meter tiefen Minen oder zumindest in Rinde eingeschlossen sind, spricht man neben ihren energetischen und baulichen Qualitäten noch einen ästhetischen Wert zu. Doch hier stand er nun vor den Bruchstücken eines Lebens – ohne kleinste Fragmente, Erinnerungen, künstlerische Hinterlassenschaften oder wenigstens Überbleibsel beschrittener Lebenswege, die wiederum mit Ästhetik behaftet gewesen wären. Aus dem Kofferraum eines Polizeibusses grinste ihm durch das schwarze Gebein seine eigene Vergänglichkeit und Bedeutungslosigkeit entgegen.
Als man ihm von hinten auf den Rücken klopfte, fuhr er heftig zusammen – ganz so, als ob ihm die Bewusstheit, zu leben, mit einem Mal einen Schock versetzte.
Es war der Hauptkommissar.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, Herr Matuschek«, sagte er, und sein Blick schweifte, kaum merklich, als handelte es sich um ein nebensächliches Detail, über den offenen Kofferraum mit der orangen Wanne.
»Ich habe Ihnen vom Boot aus zugerufen. Aber Sie haben mich anscheinend nicht gehört. Schauen Sie: Wir haben wieder etwas.«
Dietz reichte Matuschek einen durchsichtigen Plastikbeutel mit einem knöchelhohen Stiefel, der so von schwarzem Schlamm durchtränkt war, dass er sich wie verfaultes Blattwerk ausnahm, das jeden Moment in sich zusammenfallen müsste.
»Er saß einen halben Meter im Schlamm, was Vor- und Nachteile hat. Günstig ist, dass der Schlamm außergewöhnlich gut konserviert – wie bei durch die Jahrhunderte erhaltenen Moorleichen. Schlecht wiederum ist, dass die von Badegästen, Fischern und vor allem dem Durchfluss des Donauseitenarms dort hinten ausgelösten Wasserbewegungen den Rest der Leiche und was immer mit ihr da unten ist wohl relativ tief vergraben haben. Wir haben einmal ein Auto aus der Donau gefischt, von dem nur noch das Dach aus dem Sand herausragte. So schlimm ist es natürlich in einem stehenden Gewässer nicht. Trotzdem macht dieser abartig stinkende Schlamm alles noch viel schwerer. Deswegen konnten auch unsere Taucher nichts ausrichten. Die haben da drin nicht einmal die Hand vor den Augen gesehen.«
»Mmh.« Matuschek nickte geistesabwesend. Er drehte den Beutel mit dem Stiefel in den Händen.
»Die guten alten Boots. Die hatte ich auch mal.«
Kommissar Dietz verstand nicht gleich. Doch dann lächelte auch er ein wenig melancholisch.
»Ja, ich auch; mit verschiedenfarbigen Schuhbändern. Das war damals das Allercoolste. Und dazu trugen wir abgewetzte 501-Jeans und Fischerhemden – natürlich aus der Hose, versteht sich.«
»Versteht sich!«, gab Matuschek gespielt trocken zurück.
»So in etwa zwischen 1984 und 1995 war diese Zeit. Meine damalige Freundin trug dazu immer noch so ein Palästinensertuch … Wie alt waren Sie damals eigentlich?«
Der Praktikant überlegte kurz, holte den Pferdeschwanz aus der Parkakapuze und sagte, etwas verlegen lächelnd
»Ich? Äh … minus zwei bis acht.«
Dietz blies die Luft aus den Lippen.
»Minus … äh … nun ja, klar … ich meine, Sie sind ja … äh …«
Für einen Moment starrte er unweigerlich in die Knochenwanne.
Zum Glück wurde er aus dieser kafkaesken Situation gerettet, da