Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Rom - Band III
Rom - Band III
Rom - Band III
eBook303 Seiten4 Stunden

Rom - Band III

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Émile Édouard Charles Antoine Zola (* 2. April 1840 in Paris; † 29. September 1902 ebenda) war ein französischer Schriftsteller und Journalist. Von 1894-1898 schrieb er den Zyklus “Trois Villes” Lourdes, Rom und Paris. Zola gilt als einer der großen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts und als Leitfigur und Begründer der gesamteuropäischen literarischen Strömung des Naturalismus. Zugleich war er ein sehr aktiver Journalist, der sich auf einer gemäßigt linken Position am politischen Leben beteiligte. (Auszug aus Wikipedia)
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum31. Jan. 2016
ISBN9783958644403
Rom - Band III
Autor

Émile Zola

Émile Zola (1840-1902) was a French novelist, journalist, and playwright. Born in Paris to a French mother and Italian father, Zola was raised in Aix-en-Provence. At 18, Zola moved back to Paris, where he befriended Paul Cézanne and began his writing career. During this early period, Zola worked as a clerk for a publisher while writing literary and art reviews as well as political journalism for local newspapers. Following the success of his novel Thérèse Raquin (1867), Zola began a series of twenty novels known as Les Rougon-Macquart, a sprawling collection following the fates of a single family living under the Second Empire of Napoleon III. Zola’s work earned him a reputation as a leading figure in literary naturalism, a style noted for its rejection of Romanticism in favor of detachment, rationalism, and social commentary. Following the infamous Dreyfus affair of 1894, in which a French-Jewish artillery officer was falsely convicted of spying for the German Embassy, Zola wrote a scathing open letter to French President Félix Faure accusing the government and military of antisemitism and obstruction of justice. Having sacrificed his reputation as a writer and intellectual, Zola helped reverse public opinion on the affair, placing pressure on the government that led to Dreyfus’ full exoneration in 1906. Nominated for the Nobel Prize in Literature in 1901 and 1902, Zola is considered one of the most influential and talented writers in French history.

Ähnlich wie Rom - Band III

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Rom - Band III

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Rom - Band III - Émile Zola

    Zola

    XII.

    Es war zehn Uhr, als Pierre und Narcisse, nachdem sie im Café de Rome dinirt und dann dort in einem langen Geplauder der Zeit vergessen hatten, zu Fuß über den Corso gingen, um sich in den Palazzo Buongiovanni zu begeben. Sie hatten die größte Mühe, ans Thor zu gelangen. Die Wagen kamen in geschlossener Reihe an, und die Menge der Neugierigen, die trotz der Polizisten stehen blieben und den Fußweg überschwemmten, wurde so dicht, daß die Pferde nicht mehr vorwärts konnten. Aus den zehn hohen Fenstern des ersten Stockwerks in der langen, monumentalen Fassade loderte ein heller, weißer Schein, die Tageshelle der elektrischen Lampen, welche die Straße, die in der Menschenflut festgekeilten Wagen, die Schlagwelle der aufgeregten, leidenschaftlichen Leute inmitten des außerordentlichen Aufruhrs von Gesten und Schreien wie mit Sonnenlicht beleuchteten.

    Aber es war dies nicht nur die gewöhnliche Neugierde, Uniformen anzuschauen und Frauen in kostbaren Toiletten aussteigen zu sehen; Pierre hörte bald, daß diese Menge auf die Ankunft des Königs und der Königin warte, die ihr Erscheinen bei dem Festballe zugesagt hatten, den Fürst Buongiovanni zur Feier der Verlobung seiner Tochter Celia mit dem Lieutenant Attilio Sacco, dem Sohne eines Ministers Seiner Majestät, gab. Außerdem war diese Heirat eine Wonne für alle Welt, die glückliche Lösung einer Liebesgeschichte, die die ganze Stadt lebhaft anzog; die Erzählung von dem Blitzstrahl der Liebe, dem jungen und so schönen Paar, der hartnäckigen, alle Hindernisse besiegenden Treue unter romantischen Umständen ging von Mund zu Mund, feuchtete alle Augen und ließ alle Herzen klopfen.

    Diese Geschichte hatte Narcisse Pierre noch beim Nachtisch, während sie die zehnte Stunde abwarteten, erzählt. Er kannte sie teilweise. Man behauptete, wenn der Fürst nach einer letzten, schrecklichen Scene endlich nachgegeben habe, so hätte er es nur gethan, weil er befürchtete, Celia eines schönen Abends am Arme ihres Geliebten den Palast verlassen zu sehen. Sie drohte ihm nicht damit, aber in ihrer jungfräulich-unwissenden Ruhe lag eine solche Verachtung all dessen, was nicht ihre Liebe war, daß er sie für fähig hielt, in aller Naivität die schlimmsten Thorheiten zu begehen. Die Fürstin, seine Frau, eine phlegmatische, noch schöne Engländerin, die für das Haus genug gethan zu haben glaubte, indem sie ihm fünf Millionen Mitgift zubrachte und ihrem Gatten fünf Kinder schenkte, hatte das Interesse an der Sache verloren. Der Fürst, unruhig und schwach bei all seiner Heftigkeit, in der das alte, bereits von der Mischung mit einer fremden Rasse verdorbene Römerblut zu erkennen war, handelte nur mehr unter dem Druck der Furcht, sein bisher inmitten der angehäuften Ruinen des Patriziats unversehrt gebliebenes Haus und Vermögen zusammenbrechen zu sehen; indem er zuletzt nachgab, hatte er wohl dem Gedanken gehorcht, daß er sich durch seine Tochter ralliiren und im Quirinal festen Fuß fassen konnte, ohne sich trotzdem vom Vatikan zurückzuziehen. Zweifellos war es eine brennende Schmach und sein Stolz blutete über diese Verbindung mit den Saccos, diesen Nichtsmenschen. Aber Sacco war Minister und er war so rasch von Erfolg zu Erfolg geschritten, daß er auf dem Wege zu sein schien, noch höher zu steigen und nach dem Portefeuille des Ackerbaues noch das der Finanzen zu erobern, nach dem es ihm schon lange gelüstete. Wer es mit ihm hielt, besaß die sichere Gunst des Königs und einen gesicherten Rückzug nach jener Seite, wenn der Papst eines Tages unterging. Dann hatte der Fürst Erkundigungen über den Sohn eingezogen und ward von diesem so schönen, so tapfern, so gradherzigen Attilio, der die Zukunft, vielleicht das glorreiche Italien von morgen war, etwas entwaffnet. Er war Soldat, man konnte ihn zu den höchsten Graden poussiren. Die Welt fügte boshaft hinzu: der letzte Grund, der den Fürsten, der sehr geizig und ganz verzweifelt war, weil er sein Vermögen unter seine fünf Kinder zerteilen mußte, zum Nachgeben bestimmte, sei der glückliche Umstand, daß er Celia eine lächerliche Mitgift geben konnte. Und nun, nachdem er die Heirat einmal bewilligt hatte, war er entschlossen, die Verlobung mit einem glanzvollen Feste zu feiern, wie sie deren nur noch selten in Rom gegeben wurden. Die Thüren sollten aller Welt offen stehen, die Herrscher eingeladen werden und der Palast so strahlen, wie in den großen Tagen von einst. Mochte dabei auch viel von dem Gelde draufgehen, das er so grimmig verteidigte – aber er wollte aus Trotz beweisen, daß er nicht besiegt sei, daß die Buongiovannis nichts versteckten, über nichts erröteten. In Wirklichkeit behauptete man, daß dieser stolze Trotz nicht von ihm herrühre, sondern ihm, ohne daß er sich dessen bewußt sei, von Celia, der Ruhigen, Unschuldigen, eingeblasen worden war. Sie wünschte ihr Glück am Arme Attilios vor ganz Rom zu zeigen, das dieser, wie in den schönen Feenmärchen gut endenden Liebesgeschichte, Beifall klatschte.

    »Zum Teufel, wir werden nie hinaufkommen,« sagte Narcisse, den eine Woge der Menge festkeilte. »Sie haben ja die ganze Stadt eingeladen!«

    Pierre wunderte sich, als er einen Prälaten in seiner Karosse vorüberfahren sah.

    »O,« meinte Narcisse, »Sie werden mehr als einen treffen. Wenn auch die Kardinäle sich wegen der Anwesenheit der Souveräne nicht hinwagen, so wird doch sicherlich die ganze Prälatenschaft kommen. Es handelt sich um einen neutralen Salon, wo die schwarze und die weiße Gesellschaft sich verbrüdern können. Außerdem sind Feste nicht so zahlreich; man drängt sich hin.«

    Er erklärte Pierre, daß es mit Ausnahme der zwei großen Bälle, die der Hof jeden Winter gab, besonderer Umstände bedurfte, um das Patriziat zu solchen Galaabenden zu bestimmen. Zwei oder drei schwarze Salons öffneten wohl noch einmal, gegen Ende des Karnevals, ihre Salons, aber überall vertraten kleine, intime Tanzgesellschaften die prunkvollen Empfänge. Einige Fürstinnen hatten einfach ihren Jour, und was die wenigen weißen Salons betraf, so bewahrten sie eine gleiche, mehr oder minder gemischte Intimität; denn keine Hausfrau war die unbestrittene Königin der neuen Welt geworden.

    »Nun, endlich!« fuhr Narcisse fort, als sie auf der Treppe angelangt waren.

    »Bleiben wir beisammen,« sagte Pierre unruhig. »Ich kenne nur die Braut ein wenig und verlasse mich darauf, daß Sie mich vorstellen.«

    Aber die Menge der Ankommenden stieß sich derart auf der riesigen Treppe, daß das Hinaufsteigen abermals eine saure und lange Anstrengung war. Selbst in alten Zeiten, zur Zeit der Wachskerzen und Oellampen, hatte sie nie in solchem Lichterglanz gestrahlt. Elektrische Lampen, die büschelweise in den wunderbaren Bronzekandelabern brannten, mit denen die Treppenabsätze geschmückt waren, übergossen sie mit weißem Licht. Der kalte Stuck der Wände war unter einer Reihe von kostbaren, die Geschichte Psyches und Amors darstellenden Stickereien versteckt worden; diese Wunderwerke waren seit der Renaissance in der Familie geblieben. Ein dicker Teppich bedeckte die abgenützten Stufen, und Pflanzengruppen, Palmen, die so groß wie Bäume waren, zierten die Winkel. Ein neues Blut strömte zu und erwärmte das alte Haus, ein neu entstehendes Leben stieg mit der Flut der lachenden, wohlriechenden Frauen mit den nackten Schultern und funkelnden Diamanten empor.

    Als sie oben angelangt waren, bemerkte Pierre sogleich beim Eintritt in den ersten Salon den Fürsten und die Fürstin Buongiovanni, die neben einander stehend ihre Gäste empfingen. Der Fürst, ein schon ergrauender, großer und schlanker blonder Mann, besaß das energische Gesicht eines ehemaligen päpstlichen Feldherrn und die blassen nordischen Augen, die seine Mutter ihm vererbt hatte. Die Fürstin mit ihrem runden, zarten Gesichtchen schien keine dreißig Jahre alt zu sein, obwohl sie bereits das vierzigste überschritten hatte; sie war noch immer hübsch, besaß eine lächelnde Heiterkeit, die nichts außer Fassung brachte, und war in ihrer Selbstanbetung glücklich. Sie trug eine rosa Atlastoilette und strahlte in einem wunderbaren Schmuck aus großen Rubinen, die auf ihrer feinen Haut und in ihrem feinen blonden Haar kurze Flammen zu entzünden schienen. Von den fünf Kindern war, da der älteste Sohn sich auf Reisen befand und die drei anderen, noch zu jungen Mädchen noch im Pensionat waren, nur Celia anwesend – Celia im weißen Musselinkleidchen, ebenfalls blond, entzückend mit ihren Unschuldsaugen und ihrem reinen Munde. Bis ans Ende ihres Liebesabenteuers bewahrte sie das Aussehen einer großen, geschlossenen, in ihrem jungfräulichen Geheimnis undurchdringlichen Lilie. Die Saccos waren eben erst gekommen, und Attilio, der neben seiner Braut stehen geblieben war, trug seine einfache Lieutenantsuniform; aber er zeigte sein großes Glück so naiv, so offen, daß sein hübscher Kopf mit dem zärtlichen Munde, den tapferen Augen, davon in einem außerordentlichen Glanz der Jugend und Kraft strahlte. In diesem Triumph ihrer Leidenschaft Seite an Seite stehend, erschienen beide schon von der Schwelle aus wie die Freude, die Gesundheit des Lebens selbst, wie die unbegrenzte Hoffnung auf die Verheißungen des Morgen, und alle eintretenden Gäste, die sie so erblickten, konnten nicht umhin, zu lächeln, wurden gerührt und vergaßen ihre boshafte, geschwätzige Neugierde so weit, daß ihre Herzen diesem so schönen und so entzückten Liebespaar zuflogen.

    Narcisse war vorgetreten, um Pierre vorzustellen. Aber Celia ließ ihm keine Zeit dazu, sondern ging dem Priester einen Schritt entgegen und führte ihn ihren Eltern zu.

    »Herr Abbé Froment, ein Freund meiner lieben Benedetta.«

    Eine zeremoniöse Begrüßung folgte. Pierre ward von der Grazie des jungen Mädchens sehr bewegt.

    »Benedetta wird mit ihrer Tante und Dario kommen,« sagte sie dann. »Sie muß heute abend so glücklich sein! Und Sie werden sehen, wie schön sie ist«

    Pierre und Narcisse beglückwünschten sie nun. Aber sie konnten nicht langer stehen bleiben, denn die Flut trieb sie weiter. Der Fürst und die Fürstin hatten nur die Zeit, mit einem liebenswürdigen und fortwährenden Kopfnicken zu grüßen, dann wurden sie verschlungen, überschwemmt, und Celia mußte, nachdem sie die beiden Freunde Attilio zugeführt hatte, wieder ihren Platz als kleine Königin des Festes neben ihren Eltern einnehmen.

    Narcisse war mit Attilio ein wenig bekannt. Es gab abermaliges Beglückwünschen und Händeschütteln. Dann manöverirten beide aus Neugierde derart, daß sie einen Augenblick in diesem ersten Salon blieben. Das Schauspiel darin war wirklich der Mühe wert. Es war ein sehr großes, mit grünem, goldgeblümten Sammet ausgeschlagenes Gemach, das der Waffensaal genannt wurde und thatsächlich eine sehr bemerkenswerte Waffensammlung enthielt – Kürasse, Streitäxte, Degen, die fast alle im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert den Buongiovannis gehört hatten. Inmitten dieser derben Kriegsgeräte bemerkte man eine herrliche, mit den zartesten Vergoldungen und Malereien geschmückte Sänfte aus dem letzten Jahrhundert, in der sich die Urgroßmutter des gegenwärtigen Buongiovanni, die berühmte Bettina, eine legendenhafte Schönheit, in die Messe tragen ließ. Uebrigens befanden sich auf den Wänden nichts als historische Gemälde, Schlachten, Friedensunterzeichnungen, königliche Empfänge darstellend, bei denen die Buongiovannis eine Rolle gespielt hatten; dazu kamen die Familienporträts – lauter hohe, stolze Gestalten, Feldherren zu Wasser und zu Land, kirchliche Großwürdenträger, Prälaten, Kardinäle, unter denen auf dem Ehrenplatz der Papst, der mit der weißen Sutane bekleidete Buongiovanni, triumphirte, dessen Thronbesteigung die lange Nachkommenschaft bereichert hatte. Zwischen diesen Waffen nun, neben der galanten Sänfte, unter diesen antiken Porträts, waren auch die Saccos, Mann und Frau, wenige Schritte von den Herren des Hauses entfernt, stehen geblieben und nahmen ihren Teil an den Glückwünschen und Begrüßungen entgegen.

    »Sehen Sie!« hauchte Narcisse Pierre ganz leise zu, »das sind die Saccos – da drüben, uns gegenüber. Der kleine schwarze Mann und die Dame in malvenfarbener Seide.«

    Pierre erkannte Stefana, der er bei dem alten Orlando begegnet war, an ihrem hellen Gesicht mit dem artigen Lächeln, den kleinen Zügen, die ein beginnendes Embonpoint verschwamm. Aber vor allem interessirte ihn der Gatte. Er war braun und ausgetrocknet, besaß große Augen in einem gelbsüchtigen Teint, ein hervorstehendes Kinn, eine Geierschnabelnase, kurz, die lustige Maske eines neapolitanischen Hanswursts. Dabei tanzte und schrie er und war von so überwältigend guter Laune, daß die Leute ringsum sofort gewonnen wurden. Er besaß eine außerordentliche Redseligkeit und vor allem eine Stimme, die ein unvergleichliches Bezauberungs- und Eroberungswerkzeug war. Bloß wenn man sah, wie er in diesem Salon so leicht die Herzen gewann, begriff man seine vernichtenden Erfolge in der brutalen und so mittelmäßigen Welt der Politik. Bezüglich der Heirat seines Sohnes hatte er mit seltener Geschicklichkeit manöverirt; er heuchelte gegen Celia, selbst gegen Attilio ein übertriebenes Zartgefühl und erklärte, daß er seine Einwilligung verweigere, weil er fürchte, man könne ihn beschuldigen, eine Mitgift und einen Titel zu stehlen. Er hatte erst nach den Buongiovannis nachgegeben und vor allem die Ansicht des alten Orlando einholen wollen, dessen hohe, heldenhafte Redlichkeit in ganz Italien sprichwörtlich war; er that dies um so eher, als er seiner Billigung sicher war, denn der Held scheute sich nicht, ganz laut zu wiederholen, daß die Buongiovannis sich glücklich schätzen müßten, seinen Großneffen, einen schönen Jungen mit einem gesunden und braven Herzen, in ihre Familie aufzunehmen. Er würde ihr erschöpftes, altes Blut regeneriren, indem er ihrer Tochter schöne Kinder gab. Und Sacco hatte sich bei der ganzen Angelegenheit bewundernswert den legendenhaften Namen Orlandos zu nutze gemacht, indem er die Verwandtschaft mit ihm ausposaunte, für den glorreichen Begründer des Vaterlandes eine kindliche Ehrfurcht bekundete und keinen Augenblick ahnen zu wollen schien, wie sehr ihn dieser verachtete und verwünschte. Denn Orlando war über seinen Ausstieg zur Macht verzweifelt und überzeugt, daß er das Land dem Ruin und der Schande zuführen würde.

    »O, das ist ein geschmeidiger, praktischer Mann, den die Ohrfeigen nicht stören,« fuhr Narcisse, zu Pierre gewendet, fort. »Wie es scheint, sind solche skrupellose Leute in Staaten, die in Not geraten sind, die politische, finanzielle und moralische Krisen durchmachen, vonnöten. Es heißt, daß dieser mit seiner unerschütterlichen Zuversicht, seinem scharfsinnigen Geist, seinen unendlichen, vor nichts zurückschreckenden Widerstandsmitteln vollständig die Gunst des Königs erobert hat ... Aber sehen Sie nur, sehen Sie nur! Könnte man ihn nicht inmitten dieser Flut von Höflingen, die ihn umgibt, schon für den Herrn dieses Palastes halten?«

    In der That häuften sich die Gäste, die grüßend an den Buongiovannis vorübergingen, um Sacco an; denn er bedeutete die Macht, gute Stellen, Pensionen, Orden, und wenn auch der Anblick des magern, schwarzen, unruhigen Mannes zwischen den großen Ahnen des Hauses noch ein Lächeln hervorrief, so umschmeichelte man ihn als die neue Macht – jene demokratische, noch so unklare Macht, die von überall, selbst aus diesem alten römischen Boden, aufstieg, auf dem das Patriziat in Trümmer lag.

    »Wein Gott, welche Menge!« murmelte Pierre. »Wer sind denn alle diese Leute?«

    »O, sie sind schon sehr gemischt,« antwortete Narcisse. »Die Leute gehören weder der schwarzen noch der weißen Gesellschaft mehr an, sondern der grauen. Die Evolution war verhängnisvoll; die Intransigenz eines Kardinals Boccanera kann nicht die einer ganzen Stadt, eines Volkes sein. Der Papst allein wird immer »nein« sagen und unwandelbar bleiben. Aber alles um ihn schreitet vorwärts und verwandelt sich unaufhaltsam. So wird Rom, trotz allen Widerstandes, in einigen Jahren italienisch sein. Sie wissen, wenn von jetzt ab ein Fürst zwei Söhne hat, so bleibt der eine beim Vatikan und der andere geht zum Quirinal über. Man muß doch leben, nicht wahr? Die großen Familien besitzen in der Todesgefahr nicht den Heldenmut, den Starrsinn bis zum Selbstmord zu treiben... Auch habe ich Ihnen ja schon gesagt, daß wir hier auf neutralem Boden sind; denn der Fürst Buongiovanni hat als einer der ersten die Notwendigkeit der Versöhnung begriffen. Er fühlt, daß sein Vermögen tot ist, wagt es weder in der Industrie noch in Geschäften aufs Spiel zu setzen, sieht es schon unter seine fünf Kinder zerstückelt, die es ihrerseits zerstückeln werden und hat sich darum auf Seite des Königs gestellt, ohne daß er dabei, aus Vorsicht, mit dem Papst brechen will. Sie sehen daher in diesem Salon das genaue Abbild des Zusammenbruches, des Mischmasch, der in den Ideen und Ansichten des Fürsten herrscht.«

    Er unterbrach sich, um Pierre die Namen der eintretenden Personen zu nennen.

    »Sehen Sie, da ist ein General, der seit seinem letzten afrikanischen Feldzug sehr beliebt ist. Wir werden heute abend sehr viele Militärs sehen; man hat alle Vorgesetzten Attilios eingeladen, um dem jungen Manne eine glorreiche Umgebung zu bereiten. Und sehen Sie, dort ist der deutsche Botschafter. Man darf annehmen, daß fast das gesamte diplomatische Corps wegen der Anwesenheit Ihrer Majestäten kommen wird. Und zum Gegensatz ... sehen Sie den dicken Mann da unten? Der ist ein sehr einflußreicher Abgeordneter, ein Reichgewordener aus dem neuen Bürgertum. Vor dreißig Jahren war er nichts als ein Pächter des Fürsten Albertini, einer jener mercanti die campagna, die in hohen Stiefeln und im weichen Hut die römische Campagna durchstreiften. Und nun, sehen Sie sich den Prälaten an, der eben eintritt ...«

    »Diesen kenne ich,« sagte Pierre. »Es ist Monsignore Fornaro.«

    »Ganz richtig, Monsignore Fornaro, eine Persönlichkeit. Allerdings, Sie haben mir erzählt, daß er der Berichterstatter in dem Prozeß Ihres Buches ist. Ein entzückender Prälat! Haben Sie bemerkt, mit welcher Verbeugung er eben die Fürstin grüßte? Und was eine edle Haltung, was für eine Anmut er in feinem lila Seidenmantelchen hat!« Narcisse fuhr fort, in dieser Weise das unglaublichste Tohuwabohu von Fürsten und Fürstinnen, Herzogen und Herzoginnen, Politikern und Funktionären, Diplomaten und Ministern, Bürgerlichen und Offizieren aufzuzählen – die Fremdenkolonie, Engländer, Amerikaner, Deutsche, Spanier, Russen, das alte Europa und Nord- wie Südamerika gar nicht eingerechnet. Dann kam er plötzlich wieder auf die Saccos, die kleine Frau Sacco zurück und erzählte von den heldenhaften Anstrengungen, die sie, in der guten Absicht, die ehrgeizigen Bestrebungen ihres Gatten zu unterstützen, gemacht hatte, indem sie einen Salon eröffnete. Diese sanfte, so bescheiden aussehende Frau war eine sehr geriebene Person und besaß die gediegensten Eigenschaften, eine echt piemontesische Geduld und Widerstandskraft, Ordnungsliebe und Sparsamkeit. Sie stellte daher im Hause das Gleichgewicht her, das der Gatte durch seinen Kraftüberschuß in Gefahr brachte. Er verdankte ihr sehr viel, ohne daß jemand etwas davon ahnte. Aber bisher war ihre Absicht, den letzten der schwarzen Salons einen weißen, tonangebenden Salon entgegen zu stellen, gescheitert. Sie versammelte immer nur Leute ihres eigenen Kreises, nicht ein Fürst war erschienen, und an ihren Montagen wurde getanzt, so wie in zwanzig anderen kleineren, bürgerlichen Salons, ohne Glanz und Macht. Der wirkliche weiße Salon, der die Menschen und die Dinge leitete, der Herr von Rom war, befand sich noch im Zustand der Chimäre.

    »Betrachten Sie nur ihr Lächeln, während sie alles hier besieht,« fuhr Narcisse fort. »Ich bin ganz überzeugt, daß sie daraus Belehrung schöpft und daß sie Pläne entwirft. Vielleicht hofft sie endlich die gute Gesellschaft bei sich zu sehen, jetzt, da sie mit einer fürstlichen Familie verschwägert sein wird.«

    Die Menge in dem doch so großen Raum wurde so dicht, daß sie erstickten, gestoßen und gegen eine Wand gedrückt wurden. Der Gesandtschaftsattaché führte den Priester weg, indem er ihm Näheres über das erste Stockwerk des Palastes erzählte. Dieser war einer der prunkvollsten von Rom und wegen der Pracht seiner Empfangsräume berühmt. Getanzt wurde in der Bildergalerie, einem zwanzig Meter langen, königlichen, von Meisterwerken überströmenden Saal, dessen acht Fenster auf den Corso gingen. Das Büffet war im Antikensaal aufgestellt; es war ein Marmorsaal, in dem sich eine in der Nähe des Tibers aufgefundene Venus befand, die mit der des Kapitols rivalisirte. Dann kam eine Reihe wunderbarer, noch in der Pracht von einst strahlender Salons; sie waren mit den seltensten Stoffen ausgeschlagen und enthielten von der einstigen Einrichtung noch einige unvergleichliche Stücke, auf die die Antiquitätenhändler in der Hoffnung auf den künftigen, unvermeidlichen Ruin lauerten. Unter diesen Salons war besonders einer, der kleine Spiegelsaal, berühmt; es war ein rundes Gemach im Stil Louis XV., gänzlich mit Spiegeln in geschnitzten, köstlichen Rokolorahinen von außerordentlicher Kostbarkeit ausgestattet.

    »Sie sollen sogleich alles sehen,« sagte Narcisse. »Aber lassen Sie uns hier eintreten, wenn wir ein wenig aufatmen wollen. Hieher hat man für die schönen Damen, die sich niedersetzen, gesehen und geliebt werden wollen, die Fauteuils aus der Nebengalerie getragen.«

    Der Salon war sehr groß und mit dem wunderbarsten Genueser Sammet, den man sehen konnte, ausgeschlagen; es war jener alte Sammet mit blassem Atlasgrund und leuchtenden Blumen, deren Grün, Blau und Rot aber göttlich verblichen ist und den weichen, welken Ton alter Liebesblumen angenommen hat. Auf den Pfeilertischen, in den Glasschränken befanden sich die kostbarsten Kunstgegenstände des Palastes: elfenbeinerne Kästchen, gemalte und vergoldete Holzschnitzereien, Silbersachen – eine Anhäufung von Wunderdingen. Auf die zahlreichen Sitze hatten sich thatsächlich schon Damen zurückgezogen, die die Menge flohen; sie saßen in kleinen Gruppen umher und lachten und plauderten mit den wenigen Männern, die diesen anmutigen Winkel der Galanterie entdeckt hatten. Es gab keinen lieblicheren Anblick als in dem lebhaften Licht der Lampen diese Fließe von seidenweichen, nackten Schultern, diese geschmeidigen Nacken, über die sich blondes und braunes Haar wand. Die nackten Arme stiegen wie lebendige Blumen aus Fleisch und Blut aus dem reizenden Gewirr zarter Toiletten hervor. Die Fächer bewegten sich langsam, wie um das Feuer der kostbaren Steine zu steigern, und verbreiteten bei jedem Wehen einen weiblichen Duft, gemischt mit einem vorherrschenden Veilchenparfüm.

    »Ei, unser guter Freund, Monsignore Nani!« rief Narcisse. »Er begrüßt dort unten die österreichische Botschafterin.«

    Sobald Nani den Priester und seinen Gefährten erblickte, ging er auf sie zu und alle drei traten in eine Fensternische, um einen Augenblick in Muße zu plaudern. Der Prälat lächelte, von der Schönheit des Festes entzückt, bewahrte aber inmitten aller dieser prangenden Schultern die heitere Ruhe einer dreifach mit Unschuld gepanzerten Seele, als hätte er sie nicht einmal gesehen.

    »Ah, mein Sohn, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!« sagte er zu Pierre. »Nun, was sagen Sie zu unserm Rom, wenn es sich mit Festegeben befaßt?«

    »Monsignore, es ist herrlich!«

    Der Prälat sprach gerührt von der hohen Frömmigkeit Celias und stellte sich, als sehe er bei dem Fürsten und der Fürstin nichts als Getreue des Vatikans, um dem letzteren mit diesem prunkvollen Feste die Ehre zu geben. Er schien nicht einmal zu wissen, daß der König und die Königin kommen sollten. Dann sagte er plötzlich:

    »Mein lieber Sohn, ich habe den ganzen Tag an Sie gedacht. Ja, ich habe erfahren, daß Sie Seine Eminenz den Kardinal Sanguinetti in Angelegenheit Ihres Prozesses besucht haben. Nun, wie hat er Sie empfangen?«

    »O, sehr väterlich. Anfangs gab er mir zu verstehen, in welcher Verlegenheit er sich als Beschützer von Lourdes befinde, aber als ich fortging, war er reizend. Er hat mir förmlich seine Hilfe versprochen – mit einem Zartgefühl, das mich sehr rührte.«

    »Wirklich, mein lieber Sohn! Uebrigens wundert mich das nicht. Seine Eminenz ist so gut!«

    »Und ich muß gestehen, Monsignore, daß ich mit leichtem Herzen und voll Hoffnung zurückgelehrt bin. Mir scheint, daß mein Prozeß von nun an zur Hälfte gewonnen ist.«

    »Das ist sehr natürlich. Ich verstehe das.«

    Nani lächelte noch immer. Ein Anflug von Ironie verschärfte sein seines, geistreiches Lächeln, aber so diskret, daß man den Stich nicht fühlte. Nach einem kurzen Schweigen fügte er sehr einfach hinzu:

    »Ein Unglück nur, daß Ihr Buch vorgestern von der Indexkongregation verdammt worden ist. Sie hatte sich auf eine Berufung des Sekretärs hin eigens versammelt und das Urteil wird sogar übermorgen Seiner Heiligkeit zur Unterzeichnung vorgelegt werden.«

    Pierre blickte ihn betäubt an. Wenn der alte Palast über seinem Haupte zusammengebrochen wäre, so hätte es ihn nicht mehr niedergeschmettert. Es war also aus! Die Reise, die er nach Rom unternommen, das Experiment, das er dort versuchen wollte, lief also auf diese Niederlage aus, die er so plötzlich, inmitten dieses Festes erfuhr! Und er hatte sich nicht einmal verteidigen können, er hatte seine Zeit verloren, ohne jemand zu finden, mit dem er sprechen, vor dem er seine Sache hätte vertreten können! Der Zorn stieg in ihm auf und er konnte nicht umhin, halblaut und bitter zu sagen:

    »Ah, wie man mich zum Narren gehalten hat! Dieser Kardinal, der noch heute vormittag zu mir sagte: ›Wenn Gott mit Ihnen ist, wird er Sie retten,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1