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Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management
Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management
Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management
eBook469 Seiten5 Stunden

Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management

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Über dieses E-Book

Städte versinken im Meer, Vulkane zerstören weite Landschaften, Tsunamis vernichten ausgedehnte Küstenregionen und Erdbeben legen ganze Metropolen in Trümmer. Was klingt wie eine Horrorvision, hat sich tatsächlich zugetragen. Nicht zeitgleich zwar, aber praktisch vor unserer Haustür, im Mittelmeerraum, in einem Zeitraum von 900 Jahren. Der Althistoriker Holger Sonnabend, Spezialist für die historische Geografie der antiken Welt, stellt in diesem Buch die verheerendsten Naturkatastrophen der Antike dar, schildert ihre Auswirkungen und den Umgang der Zeitgenossen mit ihnen. Wie nahmen die Menschen das urplötzlich hereinbrechende Unglück war, wie deuteten sie es? Sahen sie die Götter am Werk oder fanden sie rationale Erklärungen? Nach der Katastrophe, so zeigt der Autor, bewies die antike Zivilisation eine erstaunliche Hilfsfähigkeit, deren Management meist Sache der höchsten politischen Ebene war. Die antiken Chronisten berichten auch über zahlreiche weniger schwere Katastrophen. Sie führen den Autor zu einer Reihe weiterer Aspekte der Katastrophenbetrachtung. Mitunter sahen die Zeitgenossen die Auswirkungen der zerstörerischen Naturereignisse sogar positiv: Mal entschied ein Erdbeben den Kampf gegen den Feind, einem anderen fiel ein Usurpator zum Opfer. All dies beleuchtet der Wissenschaftler Holger Sonnabend auf breiter Quellenbasis, gleichzeitig detailgetreu und im Stil eines Erzählers und sorgt so für ein ebenso informatives wie anregendes Leseerlebnis.
SpracheDeutsch
Herausgeberred.sign Medien
Erscheinungsdatum15. Apr. 2013
ISBN9783944561011
Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management
Autor

Holger Sonnabend

Prof. Holger Sonnabend, geboren 1956, lehrt Alte Geschichte an der Universität Stuttgart. Er ist Spezialist für die historische Geografie der antiken Welt. Neben rein wissenschaftlichen Arbeiten publiziert er regelmäßig auch für ein breiteres Publikum Bücher zu althistorischen Themen. Dazu zählt auch der Nachfolgeband zu vorliegendem Titel – „Wie Nero das Chanson erfand“ – der den antiken Trendsettern in Kunst und Kultur gewidmet ist.

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    Buchvorschau

    Naturkatastrophen in der Antike - Holger Sonnabend

    Coverfoto: Satyr, Pompeji (iStockphoto/Danilo Ascione)

    Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

    Sonnabend, Holger:

    Naturkatastrophen in der Antike: Wahrnehmung – Deutung – Management / Holger Sonnabend. –

    Stuttgart 2013

    ISBN 978-3-944561-01-1

    Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verfielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    © 2013 red.sign media, Stuttgart

    I. Naturkatastrophen in der Antike

    Helike: Eine Stadt versinkt im Meer (373 v.Chr.)

    Eine bedeutende Stadt in Achaia

    Die Katastrophe

    Nach der Katastrophe

    Die Deutung der Katastrophe

    Helike-Forschung heute

    Kampanien: Der Vesuv zerstört ein Paradies (79 n.Chr.)

    Glückliches Kampanien

    Die Katastrophe

    Ein Augenzeugenbericht

    Ein späterer Bericht

    Die Opfer

    Nach der Katastrophe

    Deutungen der Katastrophe

    Neues Leben in Kampanien

    Pompeji heute

    Östliches Mittelmeer: Eine kosmische Katastrophe (365 n.Chr.)

    Weltstadt Alexandria

    Die Katastrophe

    Eine kosmische Katastrophe

    Eine kosmische Katastrophe? Die Antwort von Archäologie und Geologie

    Eine kosmische Katastrophe? Die Antwort der Geschichtswissenschaft

    Antiochia: Ein Erdbeben zerstört die ›Krone des Ostens‹ (526 n.Chr.)

    Leben mit dem Erdbeben

    Eine christliche Stadt

    Die Katastrophe von 526

    Nach der Katastrophe

    Deutung der Katastrophe

    Das Unglück kehrt zurück

    II. Moderne Naturkatastrophen, antike Naturkatastrophen

    Alarmierende Zahlen

    Hazard-Forschung

    Naturkatastrophen und Geschichte

    Naturkatastrophen und Antike

    III. Die Wahrnehmung von Naturkatastrophen

    Katastrophenerlebnisse und Katastrophenreaktionen

    Moderne Katastrophenpsychologie

    Eine ignorierte Katastrophe

    Eine nicht bemerkte Katastrophe

    Keine Lust mehr auf Katastrophen

    Furcht, Schrecken und Panik als Reaktionen auf Katastrophen

    Antiochia 115 n.Chr.

    Nikomedia 358 n.Chr.

    Das kampanische Erdbeben von 62 n.Chr.

    Panik in Rom

    Angstszenarien

    Rettungsstrategien

    Schaulustige

    Reaktionen auf Überschwemmungen

    Wahrnehmung von Mond- und Sonnenfinsternissen

    Zwischenfazit

    In der Katastrophe etwas Gutes sehen

    Ein Tsunami beseitigt den Usurpator

    Christliche Katastrophen-Apologetik

    Schwierigkeiten der Interpretation

    Naturkatastrophen als Helfer im Krieg

    Erdbeben als politische Helfer

    Erdbeben schaffen neue Landschaften

    Naturkatastrophen schützen Heiligtümer

    Hilfe für Schatzsucher

    Mit der Katastrophe Geschäfte machen

    Zu früh gefreut

    Zwischenfazit

    Schleichende Naturkatastrophen

    Antikes Umweltbewusstsein?

    Platon und die Wälder Attikas

    Im Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Naturzerstörung

    Raubbau an der Natur durch Abholzungen

    Der Bergbau und die Natur

    Der Mensch als Produzent von Überschwemmungen

    Zwischenfazit

    Naturkatastrophen im Mythos

    Eine Naturkatastrophe nimmt den Frauen ihre Rechte

    Funktionen des Mythos

    Funktionen von Naturkatastrophen im Mythos

    Naturkatastrophen bei Götterschlachten

    Antike Sintflut-Erzählungen

    Deukalion – ein griechischer Noah?

    Zwischenfazit

    Und Atlantis?

    IV. Die Deutung von Naturkatastrophen

    Moderne Seismologie und antike Deutungen von Naturkatastrophen

    Erdbebenforschung heute

    Moderne Vulkanforschung

    Annäherungen an die Deutung von Katastrophen in der Antike

    Zwischenfazit

    Die religiöse Deutung von Naturkatastrophen

    Volksglaube

    Antike Religiosität und Auffassungen von Naturkatastrophen

    Der Erdbebengott Poseidon

    Poseidon in den Epen Homers

    Poseidon bei den Spartanern

    Poseidon, das Schlafzimmer der Timaia und der Streit um die Königswürde in Sparta

    Konkurrenz für Poseidon

    Religiöse Deutung bei den Römern

    Die Naturkatastrophe als Vorzeichen

    Der Herrscher und die Naturkatastrophe

    Opfer von Naturkatastrophen — ein religiöses Tabu?

    Zwischenfazit

    Die wissenschaftliche Deutung von Naturkatastrophen

    Zwei Erdbeben werden vorhergesagt

    Voraussetzungen naturwissenschaftlicher Katastrophendeutung

    Die Anfänge

    Die Forscher

    Wissenschaftliche Erkenntnis als Therapie

    Eine Lösung im Streit zwischen Religion und Wissenschaft

    Zwischenfazit

    V. Katastrophenmanagement

    Antikes und modernes Management

    Professionelle Betroffenheit

    Probleme der Präsenz vor Ort in der Antike

    Moderne Hilfsaktionen

    Moderne Initiativen zur Katastrophenvorbeugung

    Pannen im modernen Katastrophenmanagement: Das Beispiel Süditalien 1980

    Das Ausmaß der Betroffenheit bestimmt die Gebefreudigkeit

    Zwischenfazit

    Nach der Katastrophe – das klassische Griechenland

    Eine goldene Zeit?

    Katastrophenmanagement: Fehlanzeige

    Autonomie bremst Solidarität

    Nach der Katastrophe – das hellenistische Griechenland

    Ein Paradebeispiel: Katastrophenmanagement auf der Helios-Insel (Rhodos 227 v.Chr)

    Der Zwang zum Helfen

    Hilfreiche Könige

    Hilfreiche Städte

    Innerstädtisches Katastrophenmanagement

    Zwischenfazit

    Nach der Katastrophe – das Römische Reich

    Caligula kann nicht helfen

    Keine Katastrophenhilfe in der Republik

    Die Wende unter Kaiser Augustus

    Die Pflicht des Kaisers zum Helfen

    Kaiser Tiberius und das Zwölf-Städte-Beben von 17 n.Chr

    Die Hilfe geht weiter

    Das Reich in der Krise: Das Katastrophenmanagement wird fortgesetzt

    Selbsthilfe

    Zwischenfazit

    Vor der Katastrophe

    Moderne Katastrophenvorsorge

    Ein Projekt des Kaisers Tiberius scheitert

    Religiöse Bedenken

    Vorsorge politisch nicht erwünscht?

    Erdbebensicheres Bauen

    Zwischenfazit

    VI. Fazit: Bewältigung von Naturkatastrophen in der Antike

    Bibliografischer Anhang

    Ausgewählte Literatur

    Helike: Eine Stadt versinkt im Meer (373 v.Chr.)

    Eine bedeutende Stadt in Achaia

    Schauplatz einer der größten Naturkatastrophen der antiken Geschichte war die Stadt Helike in der nördlichen Peloponnes am Golf von Korinth. Wegen seiner Auswirkungen erschütterte das Unglück Zeitgenossen und spätere Generationen über alle Maßen und führte zu erregten Debatten über die Ursachen. Noch Jahrhunderte später, in der römischen Kaiserzeit, fiel regelmäßig der Name Helike, wenn Menschen von Naturkatastrophen sprachen.

    Die Katastrophe zerstörte eine der bedeutendsten und ältesten Städte in der Landschaft Achaia. Bereits Homer hatte Helike in seiner Mas erwähnt. Siedler aus Helike waren bei der großen griechischen Kolonisation dabei gewesen und hatten die Stadt Sybaris auf Sizilien gegründet. Ganz in der Nähe von Helike befand sich das Homarion, ein Heiligtum des Zeus, das als Versammlungsort des Achaiischen Bundes diente. Zu den Attraktionen gehörte auch der Tempel des Meeresgottes Poseidon, dessen Ruf bis zu den Ioniern in Kleinasien reichte. Und die große Handelsstraße von Korinth nach Patras führte direkt an der Stadt vorbei. Doch stolze Vergangenheit und glorreiche Gegenwart zählten nichts mehr, als ein Erdbeben und eine Flutwelle Helike ins Meer rissen.

    Die Katastrophe

    Das Unglück ereignete sich in einer Winternacht des Jahres 373 v.Chr. Was genau passierte, ist nur aus späteren Quellen bekannt. Sie beruhen jedoch auf früheren Berichten. Die ausführlichste Version vom Untergang Helikes liefert der griechische Historiker Diodor, der im 1. Jahrhundert v.Chr. eine Universalgeschichte geschrieben hat. »Niemals zuvor«, so eröffnet er seinen Bericht, »sind griechische Städte von einer solchen Katastrophe betroffen worden, und niemals zuvor sind ganze Städte samt ihren Einwohnern verschwunden.« Und er fährt fort: »Das Ausmaß der Zerstörung wurde noch vergrößert durch den Zeitpunkt. Denn das Erdbeben kam nicht am Tage, als es für die Opfer möglich gewesen wäre, sich selbst zu helfen, sondern es geschah in der Nacht. Daher, als die Häuser durch die Gewalt des Erdbebens einstürzten, waren die Menschen wegen der Dunkelheit und der unerwartet eingetretenen Gefahr nicht in der Lage, sich zu retten. Die meisten waren in den zusammengefallenen Häusern eingeschlossen und wurden getötet.« Als die Schreckensnacht vorbei war, sollte es, so Diodor, noch viel schlimmer kommen: »Einige Überlebende stiegen aus den Trümmern ihrer Häuser hervor und glaubten, der Gefahr entronnen zu sein. Da aber traf sie ein größeres und noch unglaublicheres Unglück. Das Meer türmte sich zu einer immensen Höhe, und eine riesige Flutwelle überschwemmte alle mitsamt ihrer Heimatstadt.«

    Weitere Nachrichten über die Katastrophe liefert der griechische Historiker und Geograf Strabon, der etwas später als Diodor schrieb und sich bei seinen Ausführungen auf die Angaben eines Zeitzeugen des Unglücks beruft. Jener Herakleides, aus dem nördlichen Kleinasien stammend, später ein Schüler Platons und ein bekannter Wissenschaftler, war zum Zeitpunkt des Untergangs von Helike gerade 17 Jahre alt. Zwar hat er das Unglück nicht selbst miterlebt, doch verschaffte er sich später genauere Informationen. So erfuhr er, dass die Katastrophe die Menschen in der Nacht überrascht hatte, was auch Diodor bestätigt. Die Stadt habe immerhin zwölf Stadien vom Meer entfernt gelegen. Das entspricht einer Distanz von etwas mehr als zwei Kilometern. Und doch sei dieser ganze Raum zusammen mit der Stadt im Meer verschwunden. In einem wichtigen Detail korrigiert Strabon die Version Diodors: Zwischen Erdbeben und Flutwelle lag nicht eine Nacht, sondern beide Ereignisse traten gleichzeitig ein.

    Im 2. Jahrhundert n.Chr. kam der griechische Reiseschriftsteller Pausanias in jene Gegend, in der gut 500 Jahre zuvor Helike untergegangen war. »Hier lag einst«, so sagt Pausanias fast ehrfürchtig, »die Stadt Helike, sie war das heiligste Heiligtum der Ionier, das des Poseidon mit dem Beinamen Helikonios.« Über die Katastrophe teilt Pausanias mit: »Ein Erdbeben warf ihnen die Gebäude zu Boden und ließ zugleich mit den Häusern sogar den Boden der Stadt für immer verschwinden.« Wie Strabon legt Pausanias Erdbeben und Flutwelle zeitlich zusammen: Zugleich mit dem winterlichen Erdbeben »drang das Meer weit in ihr Land ein und umspülte Helike ringsum. Und auch den Hain des Poseidon überschwemmte die Flut so hoch, dass nur noch die Spitzen der Bäume sichtbar blieben.« Das traurige Ende fasst der Reiseschriftsteller in die Worte: »Die Flutwelle verschlang Helike mitsamt seinen Einwohnern.«

    Eine merkwürdige Begebenheit schildert der römische Autor Aelian, der an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert n.Chr. schrieb: Fünf Tage vor der Katastrophe, so teilt er mit, beobachtete man den gemeinsamen Auszug von Mäusen, Katzen, Schlangen, Tausendfüßlern, Käfern und anderen Kleintieren aus Helike, die sich entschlossen auf den beschwerlichen Weg ins Landesinnere, in die 800 Meter hoch gelegene Bergstadt Keryneia, machten. Seinen mit solchen Phänomenen nicht vertrauten Lesern erläutert Aelian, dass diese Tiere Unheil vorausahnen können. Die Menschen von Helike aber hätten mit dem deutlichen Zeichen kommenden Unheils nichts anfangen können: »Sie wunderten sich, aber sie waren nicht in der Lage, den Grund zu erraten.« Bei der folgenden Katastrophe versanken auch, wie Aelian zusätzlich mitteilt, zehn Schiffe aus Sparta, die an der Küste vor Anker lagen.

    Von derselben Katastrophe betroffen wurde auch Helikes Nachbarstadt Bura. Dieser Ort lag nicht an der Küste, sondern etwa sieben Kilometer vom Meer entfernt im Gebirge, in einer Höhe von 500 Metern. Strabon sagt lapidar, Bura »wurde durch ein Erdbeben verschluckt«. Etwas ausführlicher ist Pausanias: Als Helike vom Erdboden verschwand, »da suchte auch Bura ein heftiges Erdbeben heim, sodass nicht einmal die alten Statuen in den Heiligtümern übrigblieben.« Alle Einwohner müssen damals ums Leben gekommen sein: »Nur die, die damals gerade wegen eines Kriegszuges oder aus einem sonstigen Grund abwesend waren, blieben von den Bewohnern Buras übrig.«

    Nach der Katastrophe

    Was nach dem Unglück geschah, ist nur spärlich überliefert. Auf den Zeitgenossen Herakleides geht die Information zurück, dass die benachbarten achaiischen Städte sofort eine Hilfsaktion organisierten. 2000 Helfer wurden zum Ort der Tragödie geschickt. Die Größe der Rettungsmannschaft könnte ein Hinweis auf die Zahl der Opfer sein, über die sonst nichts bekannt ist. Die Stadt Helike aber war verschwunden und es gelang den Rettungsmannschaften nicht einmal, die Toten zu bergen. Dann ging man pragmatisch vor: Das verlassene Territorium von Helike wurde unter den Nachbarstädten aufgeteilt. Am meisten profitierte Aigion, das nun auch das Erbe Helikes als Sitz des achaiischen Bundes antrat. In Bura hingegen machten sich die Bewohner, die während der Katastrophe nicht in der Stadt gewesen waren, an den Wiederaufbau, und so gab es in der kleinen Bergstadt bald wieder Leben.

    Der spektakuläre Untergang von Helike weckte bei vielen Menschen den Wunsch, den Ort der Tragödie selbst in Augenschein zu nehmen. Einheimische Fischer wurden bei dem nun einsetzenden Katastrophen-Tourismus zu begehrten Ansprechpartnern. Über 100 Jahre nach dem verhängnisvollen Ereignis von 373 v.Chr. erschien der berühmte, in Alexandria tätige Gelehrte Eratosthenes, der wegen seiner Erdkarte und der nahezu präzisen Berechnung des Erdumfangs in die Annalen der Geografiegeschichte eingegangen ist, am Unglücksort. Ihm erzählten die Fischer, dass sich am Meeresgrund eine bronzene Poseidonstatue befinde und dass das Seepferd, das der Gott in den Händen halte, eine Gefahr für die Fischernetze darstelle. Ebenso will Pausanias Spuren des versunkenen Helike entdeckt haben, als er die Stätte besuchte: »Auch die Reste von Helike sind noch erkennbar, aber nicht mehr so gut, da sie vom Salzwasser entstellt sind.« Zuvor hatten bereits römische Autoren, wenn auch nicht aus eigener Anschauung, die Überzeugung verbreitet, dass man von Helike noch etwas sehen könne. Mit zunehmender zeitlicher Distanz ließ man dabei auch gleich Bura noch mit am Meeresgrund liegen. Aber da waren Helike und Bura längst zu einem Mythos geworden, von dem man gerne Spuren haben wollte. In seinen Metamorphosen schreibt der römische Dichter Ovid am Ende des 1. Jahrhunderts v.Chr.: »Wenn du Helike und Bura suchst, die achaiischen Städte – du wirst sie finden unter der See, und noch heute zeigen Schiffer gern die geneigten Mauern der versunkenen Städte.« Und der Naturforscher Plinius vermerkt im 1. Jahrhundert n.Chr.: »Pyrrha und Amissa am Mareotischen See sind vom Pontus verschlungen, Helike und Bura vom Korinthischen Meerbusen, deren Spuren noch in der Tiefe sichtbar sind.« Ganz in dieser Tradition behauptete noch am Ende des 18. Jahrhunderts der italienische Reisende Xavier Scrofani, der 1794 und 1795 Griechenland besuchte, im Meer die Ruinen von Helike entdeckt zu haben: »Von einem kleinen Kahn aus sehe ich auf dem Grund des Meeres die Reste von Helike. Das Meer hat einen großen Teil der Mauern dieser Stadt, ebenso seine Häuser und seine Tempel beschädigt, aber man erkennt noch eine Straße, eine Ecke des Theaters und ein anderes großes Gebäude, das man für das Senatslokal hält. Welch traurige Eindrücke bereitet uns dieser Anblick!«

    Die Deutung der Katastrophe

    Die Katastrophe von Helike hat die antiken Menschen nicht nur erschüttert. Man fragte sich auch: Wie konnte es zu einem solchen Unglück kommen? Diodor hat die Diskussionen auf den Punkt gebracht. Auf der einen Seite gab es die ›Physiker‹, die nach rationalen naturwissenschaftlichen Erklärungen forschten. Und dann gab es die gottesfürchtigen Menschen, die die Katastrophe als Rache der Götter für begangenes Unrecht interpretierten. Die Zahl der Physiker scheint dabei erheblich geringer gewesen zu sein als die Anhänger der Rache-Theorie. Zu dieser Letzteren bekannte sich auch bereits der gelehrte Zeitgenosse Herakleides, und dies, obwohl er sich in seinen Werken viele Gedanken über die Erklärung der Welt und der Atome gemacht hatte. Wie Strabon bekundet, war für Herakleides die Katastrophe von Helike auf den Zorn des Poseidon zurückzuführen. Aber woran mag sich der Ärger des Gottes entzündet haben? Man forschte nach und fand heraus, dass der Grund das Verhalten der Bewohner von Helike gegenüber einer Delegation aus Ionien gewesen sein musste. Diese hatte, aufgrund alter Beziehungen zu den Achaiern, in Helike um die Statue aus dem Poseidon-Tempel oder wenigstens um ein Modell des Tempels für ihre eigene Kultstätte in Kleinasien gebeten. Die Heliker weigerten sich, und die Ionier wandten sich in dieser Angelegenheit an die Bundesversammlung der Achaier. Das Gremium votierte positiv, doch die Einwohner von Helike weigerten sich immer noch, dem Gesuch nachzukommen. »Im darauffolgenden Winter,« so referiert Strabon die Deutung des Herakleides, »geschah das Unglück, und die Achaier gaben den Ioniern, wonach sie verlangten.«

    Ähnlich werden die Dinge von anderen antiken Autoren beschrieben, wobei das Vergehen der Heliker mit zunehmender zeitlicher Entfernung vom Ausgangsereignis immer drastischer dargestellt wurde. Laut Diodor beriefen sie sich bei ihrer ablehnenden Haltung auf eine alte Prophezeiung: Sollten sie Ioniern erlauben, ihrem Poseidon zu opfern, würde ihnen Gefahr drohen. Die Ionier wiederum, gestützt auf einen Orakelspruch des Apollon von Delphi und das Votum der achaiischen Versammlung, betraten den Tempel des Poseidon, um dem Gott ihre Reverenz zu erweisen. Daran wurden sie aber von den Helikern gewaltsam gehindert, die ihre heiligen Gerätschaften zerstörten und sie aus dem Tempelbezirk vertrieben. Damit machten sie sich, wie Diodor betont, des Vergehens der asebeia schuldig – des Frevels und der Gottlosigkeit. Und dann referiert der Autor eine im Zusammenhang mit der Einschätzung der Katastrophe von Helike offenbar verbreitete Auffassung: »Wegen dieser Vorgänge, so sagt man, brachte Poseidon in seinem Zorn Zerstörung durch das Erdbeben und die Flutwelle.« Als Beweis für die Urheberschaft des Poseidon führt Diodor an, dass Erdbeben und Flutwellen in den Zuständigkeitsbereich dieses Gottes fallen und dass die Peloponnes die Heimat dieses Gottes sei und er hier besonders verehrt werde.

    Noch übler erging es den Ioniern nach den Ausführungen des Pausanias: Sie wurden von den Helikern aus dem Heiligtum vertrieben und getötet, ein ungeheurer Frevel, den Poseidon mit der Entsendung der verheerenden Naturkatastrophe bestrafte. Und bei Aelian schließlich töteten die Heliker die Ionier gleich an Ort und Stelle, vor dem Altar des Gottes.

    Die Gruppe der ›Physiker‹, die sich von der großen Helike-Katastrophe zu intensiven naturwissenschaftlichen Forschungen anregen ließ, wird von Aristoteles angeführt, in dessen frühe Jugend (er wurde im Jahr 384 v.Chr. geboren) das Unglück fiel. Der große Universalgelehrte brachte das Ende von Helike mit dem Warnsignal des Auftauchens eines Kometen in Verbindung. Einen Zusammenhang zwischen dem Untergang von Helike und anderen Naturphänomenen und seismischen Vorgängen stellte auch der Aristoteles-Schüler Kallisthenes her, dessen Geburt etwa in die Zeit der Katastrophe fiel: »Unter den vielen wunderbaren Erscheinungen, durch die die Vernichtung der beiden Städte Bura und Helike angekündigt wurde, waren die merkwürdigsten eine ungeheuer große Feuersäule und ein Erdbeben auf Delos.«

    Sein Erklärungsmodell für die dramatischen Ereignisse der Winternacht 373 v.Chr. hat Aristoteles etwa 40 Jahre nach dem Ereignis in einer Schrift über meteorologische und astronomische Vorgänge vorgestellt. Nach seiner Meinung waren die Winde für das gemeinsame Auftreten von Erdbeben und Flutwelle verantwortlich: »Wo aber mit dem Erdbeben zugleich eine Überflutung kommt, da ist die Ursache das Widerspiel der Winde. Dies tritt ein, wenn derjenige Wind, der die Erde erschüttert, das von einem anderen Wind herangedrückte Meer nicht völlig zurücktreiben kann, es jedoch vor sich hertreibt und durch den Druck auf dieselbe Stelle eine große Wassermenge zusammenbringt. Dann muss ja schließlich, wenn dieser Wind unterliegt, die ganze Wassermasse unter der Wirkung des anderen Windes durchbrechen und die Überschwemmung verursachen. So geschah es auch mit Achaia: Außen herrschte Südwind, im Lande selbst Nordwind. Als sich dieser legte und der Seewind einströmte, kam die Flut mit dem Erdbeben zugleich, umso mehr, als das Meer dem vom Land wehenden Wind keinen Durchlass gab, sondern ihm den Weg versperrte. Und weil beide Kräfte gegeneinander kämpften, rief der Wind das Erdbeben hervor und die Wogenansammlung dagegen die Überflutung.«

    Wie Kallisthenes die Dinge sah, hat der Römer Seneca, Autor einer Abhandlung über Erdbeben, so wiedergegeben: »In den Büchern, in denen er beschreibt, wie Bura und Helike vom Meer verschlungen wurden – denn man fragt sich, weshalb sie im Meer versanken oder das Meer sie überflutete –, erwähnt er die schon oben von mir gegebene Erklärung. Die Luft dringt durch unsichtbare Öffnungen in die Erde ein, wie überall, so auch unter dem Meeresspiegel. Wenn dann der Weg, auf dem sie gekommen ist, nachher versperrt ist, weil das Wasser hinter ihr mit seinem Widerstand den Rückweg versperrt hat, strömt sie erst hin und her, stößt mit sich selbst zusammen und bringt so die Erdkruste ins Wanken. Daher sollen vor allem in der Nähe des Meeres gelegene Landstriche von dieser Art Erdbeben getroffen werden. Das ist auch der Grund,« – und damit belehrt der Naturwissenschaftler abschließend die große Gruppe derjenigen, die in Naturkatastrophen das Werk von Göttern sah – »dass dem Poseidon die Macht zuerkannt wurde, das Meer auf diese Weise aufzuwühlen. Ein Kind, das anfängt, lesen und schreiben zu lernen, weiß schon, dass er bei Homer ›Erderschütterer‹ heißt.«

    Auch Pausanias rekurriert offenbar auf solche Theorien, wenn er seiner Darstellung der Helike-Katastrophe einen Exkurs über Erscheinungsformen von Erdbeben anfügt, Helike zum Opfer der gefährlichsten Art werden lässt und zur Veranschaulichung einen Ausflug in die menschliche Physiognomie unternimmt: »Die verheerendste Form kann man mit dem Phänomen vergleichen, bei dem die Luft im Menschen durch anhaltendes Fieber verdichtet und mit großer Gewalt nach oben getrieben würde – das zeigt sich an anderen Stellen des Körpers und besonders an den Händen unter beiden Handgelenken. Ebenso sagt man also, dränge auch das Erdbeben gerade unter die Gebäude und schleudere die Fundamente hoch, wie auch die Maulwurfhaufen aus dem Erdinneren aufgeworfen werden. Nur diese Art der Bewegung lässt nicht einmal mehr Wohnspuren auf der Erde zurück. Damals soll also diese Art von Erdbeben, die den Boden umwälzt, über Helike hereingebrochen sein.« Mit diesen Darlegungen ist der gottesfürchtige Reiseschriftsteller jedoch nicht in die Reihe der ›Physiker‹ gewechselt: Letztlich war es selbstverständlich Poseidon, der entschied, mit welcher Art von Erdbeben frevelhafte Menschen bestraft werden sollten.

    Wie man die Katastrophe von Helike in der Antike aber auch immer gedeutet hat – sie hat einen festen Platz in der Erinnerung der Menschen behalten. Als sich 550 Jahre nach dem Ereignis der römische Kaiser Mark Aurel in seinen Selbstbetrachtungen Gedanken über die Vergänglichkeit des Seins machte, notierte er: »Wie viele Städte sind in ihrem ganzen Umfang sozusagen gestorben, Helike und Pompeji und Herculaneum und unzählige andere!«

    Helike-Forschung heute

    In der Gegend des antiken Helike gibt es auch heute noch intensive seismische Aktivitäten. Immer wieder kommt es zu mehr oder minder starken Erdbeben, das letzte ereignete sich im Jahr 1995. Verantwortlich dafür ist die topografische und geologische Situation der Landschaft, die durch eine wenig stabile Tektonik gekennzeichnet ist. Helike lag in einer Ebene, die sich auf einer Distanz von zwölf Kilometern entlang des Golfes von Korinth ausbreitet und von drei hier ins Meer mündenden Flüssen durchquert wird. Das Gebirgsmassiv fällt an der Küste sehr steil ins Meer: In weniger als fünf Kilometern Entfernung vom Land erreicht das Meer bereits eine Tiefe von 500 bis 700 Metern. So befindet sich die Küstenebene auf ihrem felsigen Untergrund in einer sehr labilen und anfälligen Lage.

    Im Dezember 1861 ereignete sich hier eine Naturkatastrophe ganz nach dem Muster des von den antiken Autoren beschriebenen Helike-Dramas. Den Wissenschaftlern bot sich die Möglichkeit, auch Rückschlüsse auf die antike Katastrophe zu ziehen. Hier wie dort gab es eine Kombination von Erdbeben und einem Tsunami, wie man, mit einer Anleihe aus dem Japanischen, solche Flutwellen heute üblicherweise bezeichnet. Das geophysikalische Szenario von 373 v.Chr. lässt sich danach so rekonstruieren: Ein heftiges Erdbeben erschütterte den Küstenstreifen um Helike, wodurch ein Tsunami ausgelöst wurde. Die Flut überschwemmte das Land und erfasste die Gebirgshänge, die ins Rutschen gerieten und die Stadt und ihre Einwohner mit sich ins Meer rissen.

    Wo ist das antike Helike geblieben? Gibt es eine Chance, die Stadt wiederzuentdecken? Moderne Unterwasserforschungen haben zu keinen konkreten Ergebnissen geführt. Doch liegt Helike heute überhaupt noch im Meer, wie antike Zeugen für ihre Zeit zu wissen vorgaben? Durch die Akkumulation der Ablagerungen, die die drei Gebirgsflüsse mit sich führen, hat sich der Küstenverlauf seit der Antike verändert. Vielleicht ist das antike Helike heute von Land bedeckt. Jüngst durchgeführte geoarchäologische Erdbohrungen haben an der Küste antike Siedlungsspuren nachweisen können. Aber handelt es sich dabei wirklich um die Reste von Helike? Das Rätsel bleibt bis auf Weiteres ungelöst.

    Kampanien: Der Vesuv zerstört ein Paradies (79 n.Chr.)

    Glückliches Kampanien

    Es war am Vormittag des 24. August 79 n.Chr., als die Region um den Golf von Neapel von einem verheerenden Ausbruch des Vesuv heimgesucht wurde. Der Vulkan zerstörte eine der fruchtbarsten und reichsten Landschaften Italiens.

    Campania felix – glückliches Kampanien – nannten die Römer diese dicht besiedelte Gegend mit ihren Weinbergen, den üppigen Getreidefeldern, den Thermalquellen, den schmucken Städten wie Pompeji und Herculaneum und den luxuriösen Villen der Reichen. »Die Ebenen um Capua«, so hatte bereits im 2. Jahrhundert v.Chr. der griechische Historiker Polybios notiert, »sind vor allen anderen durch Fruchtbarkeit und Schönheit ausgezeichnet, durch ihre Lage unmittelbar am Meer und durch Häfen, die fast aus der ganzen Welt angelaufen werden.« Etwa 100 Jahre später schwärmte der Geograf Strabon: »Der ganze Golf ist übersät mit Städten, Gebäuden, Plantagen, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie den Eindruck einer einzigen großen Stadt machen. Dies alles beherrscht der Berg Vesuv, selbst bedeckt mit den schönsten Gefilden bis an den Gipfel.«

    Bis zu jenem verhängnisvollen Augusttag 79 n.Chr. bereitete der Vulkan den Bewohnern der Region weder Angst noch Schrecken. Eher fürchtete man die häufig auftretenden Erdbeben – das letzte lag gerade 17 Jahre zurück und hatte einige Zerstörungen angerichtet, von denen man sich noch immer nicht ganz erholt hatte. Die Stadt Pompeji etwa glich nach wie vor einer großen Baustelle. Doch eine Eruption des Vesuv hatte es schon seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben, seine vulkanische Natur war, außer bei einigen Gelehrten, in Vergessenheit geraten. Ein Fresko, das man in Pompeji fand, zeigt einen bis zum Gipfel mit Weinreben bebauten Berg, der nichts Bedrohliches an sich hat, der vielmehr von dem Weingott Bacchus beherrscht wird.

    Die Katastrophe

    Am 24. August 79 n.Chr. war es mit der Idylle schlagartig vorbei. Aufgrund zeitgenössischer Berichte und eines Vergleichs mit dem ähnlich verlaufenen Ausbruch des Mt. Pelée auf der Antilleninsel Martinique (1902) konnten Geologen und Archäologen den mutmaßlichen Ablauf der Katastrophe rekonstruieren. Demnach vollzog sich die Eruption des Vulkans in zwei Hauptphasen. Zunächst gab es eine gewaltige Explosion, durch die Unmengen von vulkanischem Gestein aus dem Krater kilometerhoch in die Luft geschleudert wurden. Sie formten sich zu einer mächtigen, pinienartigen Wolke und machten den Tag zur Nacht. Begleitet wurde der Ausbruch von zahllosen Erdstößen. Dann ging auf die Stadt Pompeji ein Hagel von Lapilli nieder – Vulkangestein, das der Wind herangetrieben hatte. Der Steinhagel hielt bis tief in die Nacht hinein an, begrub die Häuser von Pompeji unter einer meterhohen Schicht, unter deren Last die meisten von ihnen einstürzten.

    Noch gefährlicher sollte die zweite Phase werden, die in den frühen Morgenstunden des 25. August einsetzte. Als tödliche Bedrohung zogen aus feinen Ascheteilen zusammengesetzte Feuerwolken (surges) heran, mit einer Geschwindigkeit bis zu 250 Metern in der Sekunde. Wer ihnen nicht entkam, war zum qualvollen Tod durch Ersticken verurteilt. Auf Pompeji ging eine neue Asche- und Bimssteinschicht nieder, sodass die Stadt bald unter einer fünf Meter hohen Schicht begraben lag. Auf die Nachbarstadt Herculaneum wälzte sich dagegen ein Strom aus flüssigem Magma und glühender Lava zu. Nachdem die Schlammschicht sich verhärtet hatte, war die Stadt von einer dicken Tuffsteinverpackung eingehüllt.

    Ein Augenzeugenbericht

    Etwa 20 Jahre nach der verheerenden Katastrophe wurde der römische Schriftsteller Plinius der Jüngere von einem Kollegen, dem Historiker Tacitus, gebeten, ihm den Hergang des Unglücks von 79 n.Chr. zu schildern. Tacitus wollte das Material für ein Geschichtswerk, die Historien , verwenden. Da dieses Werk nur fragmentarisch erhalten ist, liegt der entsprechende Bericht nicht vor. Es gibt nur einen kurzen Hinweis im Vorwort: »Verschlungen oder verschüttet wurden ganze Städte, zerstört wurde die sehr fruchtbare Küste Kampaniens.« Die beiden Briefe des Plinius an Tacitus sind dagegen komplett erhalten – Plinius hat sie im Rahmen einer Sammlung seiner Korrespondenz publiziert. Minutiös schildert er darin rückblickend das Drama vom August 79. Plinius war ein kompetenter Informant: In jenem Sommer hielt sich der damals 18-Jährige etwa 30 Kilometer westlich auf, in der römischen Flottenstation Misenum, im Hause seines gleichnamigen Onkels, der Kommandant dieser Flotte und darüber hinaus ein renommierter Naturforscher war.

    Im ersten Brief schildert Plinius, wie sein Onkel auf eine ungewöhnliche Wolke in der Ferne aufmerksam wurde, die die Gestalt einer Pinie aufwies. Getrieben von naturwissenschaftlichem Interesse beschloss der ältere Plinius, sich die Sache aus der Nähe anzusehen. Als er ein Boot bereitstellen ließ, erhielt er die Nachricht einer Bekannten namens Rectina. Diese besaß wie viele andere am Fuße des Vesuv ein Haus – ein Beweis für die Sorglosigkeit, mit der man bis dahin dem Vulkan begegnet war. Nun aber bestand keine Möglichkeit mehr zur Flucht. Plinius änderte seine Pläne und beschloss, der Frau zu helfen, sie und andere aus dem Katastrophengebiet zu evakuieren. Man charterte ein größeres Schiff, und während seine Begleiter zitterten, diktierte der furchtlose Plinius einem Sekretär alle Beobachtungen, die er anstellte. Dann aber begann das wahre Inferno: »Schon fiel die Asche auf die Schiffe, immer heißer und dichter, je näher sie herankamen, bald auch Bimsstein und schwarze, halbverkohlte, vom Feuer geborstene Steine, schon trat das Meer plötzlich zurück, und das Ufer wurde durch Felsbrocken vom Berge her unpassierbar.« Notgedrungen steuerte Plinius nun – an Umkehr wollte er nicht denken, getreu der Devise ›Dem Mutigen hilft das Glück‹ – auf Stabiae zu, am anderen Ende des Golfs von Neapel. Dort ging man an Land, und Plinius traf auf seinen völlig verängstigten Freund Pomponianus. Wieder demonstrierte er stoische Ruhe, nahm ein Bad und eine Mahlzeit. Die Flammenherde auf dem Vesuv versuchte er seiner erschreckten Umgebung damit zu erklären, dass Bergbauern vergessen hätten, ihre Herdfeuer zu löschen, sodass ihre Hütten in Flammen stünden. Dann legte er sich anscheinend völlig unbeeindruckt schlafen und unterstrich seine Seelenruhe durch ein weithin hörbares Schnarchen. Inzwischen aber hatte die Asche- und Bimssteinschicht vor dem Haus eine bedrohliche Höhe angenommen. Also weckte man ihn wieder, und man beriet, ob man im Haus bleiben oder sich ins Freie begeben sollte, »denn infolge häufiger, starker Erdstöße wankten die Gebäude und schienen, gleichsam aus ihren Fundamenten gelöst, hin- und herzuschwanken. Im Freien wiederum war das Regnen von allerdings nur leichten, ausgeglühten Bimssteinstücken gefährlich, und doch entschied man sich beim Vergleich der beiden Gefahren für das Letztere … Sie stülpten sich Kissen über

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