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Der Augustputsch 1991: Das Staatskomitee zur Rettung der Sowjetunion. Acht Akteure erinnern sich
Der Augustputsch 1991: Das Staatskomitee zur Rettung der Sowjetunion. Acht Akteure erinnern sich
Der Augustputsch 1991: Das Staatskomitee zur Rettung der Sowjetunion. Acht Akteure erinnern sich
eBook270 Seiten3 Stunden

Der Augustputsch 1991: Das Staatskomitee zur Rettung der Sowjetunion. Acht Akteure erinnern sich

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Über dieses E-Book

1991 stand die Sowjetunion am Rand des politischen Kollapses. Das Baltikum hatte sich abgespalten und andere Republiken wollten nachziehen. Staatspräsident Gorbatschow agierte hilflos gegen die zerstörerischen Kräfte. Wie könnte das weitere Auseinanderdriften der Unionsrepubliken verhindert werden?
Der 19. August 1991 begann in Moskau mit einer Lüge: Ein »Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der UdSSR«, hinter dem sich führende Funktionäre aus der KPdSU, der Armee, dem Innenministerium und dem KGB verbargen, verkündete im Rundfunk, der Staatspräsident müsse die Amtsgeschäfte »krankheitsbedingt« ruhen lassen. Die Wahrheit: Michail Gorbatschow befand sich in Foros auf der Krim, wo er in der Staatsdatscha bewacht und festgehalten wurde. Panzer rollten in die sowjetische Hauptstadt ein. Es war der Auftakt zu einem Staatsstreich, der die Welt drei Tage lang den Atem anhalten ließ.
Im vorliegenden Buch kommen die wichtigsten »Verschwörer« jener Tage zu Wort, unter ihnen der Verteidigungsminister, der KGB-Chef sowie der Vizepräsident der UdSSR. Sie erklären ihre Ziele und Motive und warum sie trotz aller Entschlossenheit, die Union zu retten, vor dem Einsatz von militärischer Gewalt zurückscheuten. Über sie ist bisher nur aus westlicher Sicht berichtet worden, nun erzählen die Putschisten aus erster Hand, was sie in diesen Augusttagen bewegte.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Berolina
Erscheinungsdatum2. Juni 2016
ISBN9783958415263
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    Buchvorschau

    Der Augustputsch 1991 - Edition Berolina

    www.buchredaktion.de

    Appell des Staatskomitees­­ für den Ausnahmezustand

    in der UdSSR an das

    sowjetische Volk

    Landsleute! Bürger der Sowjetunion!

    In dieser für die Geschicke unseres Vaterlandes und unserer Völker schwierigen und kritischen Stunde wenden wir uns an Euch! Über unserer großen Heimat schwebt eine tödliche Gefahr! Die auf Initiative von M. S. Gorbatschow eingeleitete Reformpolitik, die als ein Mittel zur Sicherung der dynamischen Entwicklung des Landes und der Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens angelegt war, ist aus verschiedenen Gründen in eine Sackgasse geraten. Anfänglicher En­thusiasmus und Hoffnungen schlugen um in Misstrauen, Apathie und Verzweiflung. Die Machtorgane haben auf allen Ebenen das Vertrauen des Volkes verloren. Politikastertum hat im öffentlichen Leben die Sorge um das Schicksal des Vaterlandes und der Bürger ersetzt. Alle staatlichen Institutionen werden nur noch bösartig verhöhnt. Das Land ist im Grunde unkontrollierbar geworden.

    Die gewährten Freiheiten missbrauchend und die Keime der Demokratie niedertretend, machten sich extremistische Kräfte auf den Weg, die Sowjetunion zu vernichten, den Staat zu zerstören und die Macht um jeden Preis an sich zu reißen. Die Ergebnisse des landesweiten Referendums über die Einheit des Vaterlandes wurden mit Füßen getreten. Die zynische Spekulation mit nationalen Gefühlen ist lediglich ein Deckmantel für die Umsetzung von machtpolitischen Ambitionen einiger. Weder die heutigen Sorgen ihrer Völker noch deren Zukunft beunruhigen diese politischen Abenteurer. In einer Atmosphäre des moralisch-politischen Terrors verbergen sie sich hinter dem Schutzschild öffentlichen Vertrauens und vergessen dabei, dass sich die Bindungen, die sie verurteilen und zerreißen, auf der Grundlage einer weitaus breiteren Unterstützung durch das Volk etabliert und zudem im Verlauf der Geschichte eine jahrhundertelange Bewährung erfahren haben. Heute sollen jene, die faktisch den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung forcieren, vor den Müttern und Vätern den Tod vieler Hunderter Opfer der zwischennationalen Konflikte verantworten. Auf ihrem Gewissen lastet das grausame Schicksal von mehr als einer halben Million Flüchtlingen. Ihretwegen haben Dutzende Millionen Sowjetbürger ihre Ruhe und Lebensfreude verloren; noch gestern haben sie in einer einträchtigen Familie gelebt, und heute sind sie Ausgestoßene im eigenen Haus.

    Über die Gesellschaftsordnung soll das Volk entscheiden, aber es wird versucht, ihm dieses Recht zu nehmen.

    Anstatt sich um die Sicherheit und das Wohlergehen eines jeden Staatsbürgers und der gesamten Gesellschaft zu sorgen, nutzen oftmals Menschen, die an die Macht gelangten, diese volksfern als Mittel der prinzipienlosen Selbstbestätigung. Redeschwalle, jede Menge Erklärungen und Versprechungen unterstreichen lediglich die Dürftigkeit und die Schäbigkeit ihres praktischen Handelns. Die Inflation der Macht zerstört schlimmer als jede andere Inflation unseren Staat und unsere Gesellschaft. Jeder Bürger spürt die wachsende Ungewissheit des kommenden Tages sowie die tiefgreifende Beunruhigung über die Zukunft seiner Kinder.

    Die Machtkrise hat sich katastrophal auf die Wirtschaft ausgewirkt. Der chaotische, spontane Übergang zur Marktwirtschaft bewirkte eine Explosion von Egoismen auf regionaler, institutioneller, persönlicher und Gruppenebene. Der Krieg um die Gesetze und die Unterstützung zentrifugaler Strömungen führten zur Zerstörung des einheitlichen Volkswirtschaftsmechanismus, der in Jahrzehnten aufgebaut worden war. Resultat dessen ist ein rapider Verfall des Lebensstandards der überwiegenden Mehrheit der Sowjetbürger, Schwarzhandel und Schattenwirtschaft breiten sich aus. Es ist schon längst an der Zeit, den Menschen die Wahrheit zu sagen: Wenn nicht sofort und entschlossen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft getroffen werden, dann sind in kürzester Frist eine Hungersnot und eine Spirale der Verarmung unausweichlich, von denen es nur ein Schritt zum massenhaften Ausbruch spontanen Unmuts mit verheerenden Folgen ist. Nur verantwortungslose Menschen können auf Hilfe aus dem Ausland vertrauen. Keine Almosen werden unsere Probleme lösen – die Rettung liegt in unseren eigenen Händen. Es ist an der Zeit, das Ansehen eines jeden Menschen und jeder Organisation am direkten Beitrag zur Wiederherstellung und Entwicklung der Volkswirtschaft zu messen.

    Seit Jahren hören wir von allen Seiten Beschwörungen zum Schutz der Interessen der Persönlichkeit, zur Wahrung ihrer Rechte und ihrer sozialen Unversehrtheit. Tatsächlich aber wird der Mensch erniedrigt, in seinen wirklichen Rechten und Möglichkeiten beeinträchtigt und zur Verzweiflung gebracht. Vor unseren Augen verlieren alle demokratischen Institutionen, die durch des Volkes Willensäußerung geschaffen worden sind, an Bedeutung und Effizienz. Das ist ein Ergebnis zielgerichteter Handlungen derer, die grob das Grundgesetz der UdSSR missachten, faktisch einen verfassungswidrigen Umsturz vollziehen und nach einer exzessiven persönlichen Diktatur streben. Präfekturen, Bürgermeistereien und andere gesetzwidrige Strukturen lösen zunehmend eigenmächtig die vom Volk gewählten Sowjets ab.

    Angetastet werden die Rechte der Werktätigen. Die Rechte auf Arbeit, Bildung, Gesundheitsschutz, Wohnraum und Erholung sind in Frage gestellt.

    Immer mehr gerät auch die elementare persönliche Sicherheit der Menschen in Gefahr. Die Kriminalität wächst schnell, organisiert und politisiert sich. Das Land sinkt tief in den Abgrund von Gewalt und Gesetzlosigkeit. Nie zuvor in der Geschichte des Landes erreichte die Propaganda von Sex und Gewalt eine solche Dimension, dass die Gesundheit und das Leben künftiger Generationen bedroht sind. Millionen Menschen fordern Maßnahmen gegen die Krake der Kriminalität und der ungeheuerlichen Sittenlosigkeit.

    Die zunehmende Destabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Sowjetunion untergräbt unsere Positionen in der Welt. Mancherorts sind revanchistische Töne zu hören, die eine Revision unserer Grenzen fordern. Man vernimmt sogar Stimmen, die sich für die Aufgliederung der Sowjetunion aussprechen und die Möglichkeit, einige Einrichtungen und Regionen des Landes unter internationale Aufsicht zu stellen, in Betracht ziehen. So ist die bittere Realität. Gestern noch fühlte sich ein Sowjetbürger im Ausland als ein würdevoller Bürger eines einflussreichen und geachteten Staates. Heute wird er oftmals als ein Ausländer zweiter Klasse angesehen und geringschätzig und mitleidvoll behandelt.

    Stolz und Ehre des Sowjetbürgers sollen vollständig wiederhergestellt werden.

    Das Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der UdSSR erkennt die Tiefe der Krise, die unser Land befallen hat, übernimmt die Verantwortung für das Schicksal der Heimat und ist fest entschlossen, die entschiedensten Maßnahmen für die schnellstmögliche Überwindung der Krise in Staat und Gesellschaft zu ergreifen.

    Wir versprechen, den Entwurf des neuen Unionsvertrages ausführlich mit allen Völkern zu erörtern. Jeder wird das Recht und die Möglichkeit haben, diesen äußerst wichtigen Akt in Ruhe zu überdenken und sich zu positionieren, denn von der Gestaltung der künftigen Union wird das Schicksal zahlreicher Völker unserer großen Heimat abhängen.

    Wir beabsichtigen, unverzüglich Gesetz und Ordnung wiederherzustellen, das Blutvergießen zu beenden, der Welt des Verbrechens einen gnadenlosen Krieg zu erklären und schändliche Erscheinungen auszumerzen, die unsere Gesellschaft diskreditieren und die Sowjetbürger entwürdigen. Wir werden die Straßen unserer Städte von kriminellen Elementen reinigen und der Willkür bei Plünderungen von Volkseigentum ein Ende setzen.

    Wir treten für wahrhaft demokratische Prozesse und für eine konsequente Reformpolitik ein, die zur Erneuerung unserer Heimat und zu wirtschaftlicher und sozialer Blüte führt. Das wird es ihr ermöglichen, einen würdigen Platz in der Weltgemeinschaft der Nationen einzunehmen.

    Die Entwicklung des Landes darf nicht auf einer Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung basieren. In einer modernen Gesellschaft ist die ständige Steigerung des Wohlstands aller Bürger das Maß der Dinge.

    Ohne in der Sorge um die Stärkung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte nachzulassen, legen wir das Augenmerk auf den Schutz der Interessen breitester Bevölkerungsschichten, und zwar jener, die am meisten unter Inflation, Desorganisation der Produktion, Korruption und Kriminalität zu leiden hatten. Wir werden einen vielfältigen Charakter der Volkswirtschaft entwickeln und dabei auch das private Unternehmertum unterstützen, indem wir die erforderlichen Möglichkeiten zur Entwicklung der Produktion und des Dienstleistungssektors bieten.

    Unsere primäre Aufgabe wird die Lösung des Lebensmittel- und Wohnraumproblems. Alle verfügbaren Kräfte werden zur Befriedigung ebendieser vordringlichen Bedürfnisse der Bevölkerung mobilisiert.

    Wir rufen Arbeiter, Bauern, die werktätige Intelligenz, alle sowjetischen Menschen auf, innerhalb kürzester Frist Arbeitsdisziplin und Ordnung wiederherzustellen, das Produktionsniveau zu erhöhen und danach entschlossen voranzuschreiten. Davon hängen unser Leben und die Zukunft unserer Kinder und Enkel sowie das Schicksal des Vaterlandes ab.

    Wir sind ein friedliebendes Land und werden strikt alle übernommenen Verpflichtungen einhalten. Wir hegen keinerlei Ansprüche gegen irgendwen. Wir wollen mit allen in Frieden und Freundschaft leben. Aber wir erklären uns auch fest entschlossen, dass niemals und niemandem gegenüber eine Verletzung unserer Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Inte­grität toleriert werden wird. Alle Versuche, mit unserem Land in einer Sprache des Diktats zu sprechen, von wem auch immer diese ausgehen mögen, werden entschlossen zurückgewiesen.

    Unser multinationales Volk lebte jahrhundertelang voller Stolz auf seine Heimat. Wir haben uns nicht unserer patriotischen Gefühle geschämt und halten es für natürlich und gesetzeskonform heutige und folgende Generationen von Bürgern unseres großen Landes in diesem Geist zu erziehen.

    Tatenlosigkeit in dieser für das Schicksal des Vaterlandes kritischen Stunde würde bedeuten, eine schwere Verantwortung für tragische und tatsächlich unabsehbare Folgen zu übernehmen. Jeder, dem unsere Heimat teuer ist, wer in Ruhe und Zuversicht leben und arbeiten will, wer die Fortsetzung der blutigen zwischennationalen Konflikte nicht akzeptieren kann, wer sein Vaterland in Zukunft unabhängig und blühend sehen will, muss die einzig richtige Wahl treffen. Wir fordern alle echten Patrioten, Menschen guten Willens auf, der heutigen wirren Zeit ein Ende zu setzen.

    Wir rufen alle Bürger der Sowjetunion auf, ihre Pflicht gegenüber der Heimat zu erkennen und das Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der UdSSR bestmöglich bei dem Bemühen um einen Ausweg aus der Krise zu unterstützen.

    Konstruktive Vorschläge von gesellschaftspolitischen Organisationen, Arbeitskollektiven und Bürgern werden dankbar als Äußerung ihrer patriotischen Bereitschaft anerkannt, sich aktiv an der Wiederherstellung der jahrhundertealten Freundschaft in der einträchtigen Familie der Brudervölker und am Wiederaufbau des Vaterlandes zu beteiligen.

    Gennadij Janajew

    Gennadij Iwanowitsch Janajew (* 26. August 1937;

    † 24. September 2010), Fachmann für Landwirtschaft, wurde in Perewos, Gebiet Gorki, geboren. Er trat 1962 der KPdSU bei und begann seine Parteilaufbahn als Komsomolfunktionär in der Oblast Gorki, wo er die Funktion des Zweiten (1963–1966) und später des Ersten Sekretärs des Gebietskomitees des Komsomol (WLKSM) innehatte. 1968 wurde er zum Vorsitzenden des Komitees der Jugendorganisationen der UdSSR ernannt. Ab 1980 war er Stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums der Vereinigung sowjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Beziehungen zu anderen Ländern.

    Im Verlauf der »Perestroika« bekleidete Janajew einen bedeutenderen Posten, den des Sekretärs des Allunionszentralrats der Gewerkschaften (WZSPS) für internationale Aufgaben (1986–1989), anschließend übernahm er das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden des All­unionszentralrats der Gewerkschaften (1989–1990). Von April bis Juni 1990 leitete er den WZSPS als Vorsitzender. Auf dem XXVIII. Parteitag der KPdSU wurde er zum Mitglied des Zentralkomitees (ZK) gewählt (1990–1991); dieses wiederum bestätigte Janajew als Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK für Internationale Beziehungen (14. Juli 1990). Am 27. Dezember 1990 verhalf ihm Präsident M. S. Gorbatschow zum Posten des Vizepräsidenten der UdSSR. Zeitnah nach der Wahl (durch den Kongress der Volksdelegierten der UdSSR) beendete Janajew die Arbeit im Politbüro und im Sekretariat des ZK (31. Januar 1991).

    Am 19. August 1991 proklamierten er und sieben andere hohe sowjetische Führungskräfte die Bildung des Staatskomitees für den Ausnahmezustand und verkündeten die Machtübernahme im Land durch das Komitee. Es wurde bekanntgegeben, dass Präsident Gorbatschow aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage wäre, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Janajew übernahm die Vollmachten des Präsidenten der UdSSR. Die schlecht geplante Machtergreifung scheiterte am dritten Tag. Janajew wurde am 22. August 1991 festgenommen und wegen Landesverrats angeklagt. Die Gerichtsverhandlung über Janajew und elf andere politische Funktionäre zog sich bis zum Mai 1993 hin. Im Februar 1994 nahm die Staatsduma der Russischen Föderation den Gesetzesentwurf über eine Amnestie an, somit wurde die Strafverfolgung beendet.

    Gennadij Iwanowitsch, in Ihren Monologen, Antworten auf Fragen unzähliger Interviews, in handschriftlich verfassten Notizen erwähnen Sie sehr oft Gorbatschow. Das könnte bei schlecht informierten Menschen den Eindruck erwecken, auf Ihnen laste eine tiefe persönliche Kränkung, eine echte innere Feindseligkeit gegen ihn.

    Das Wort »Kränkung« passt hier augenscheinlich nicht. Was die persönliche Feindseligkeit betrifft, habe ich, wie jeder normale Mensch, auf so etwas ein volles Recht. Haben Sie etwa schon viele Menschen getroffen, die absolut frei von einem solchen Gefühl sind? Kaum. Ja, ich empfinde Abneigung gegenüber Gorbatschow und versuche nicht, es zu verbergen. Aber dies ist, wie ich denke, nicht hinderlich für die richtige Erörterung, Bewertung all dessen, was in unserem Land in den achtziger bis neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts passiert ist. Die Schuld Gorbatschows am Zusammenbruch der UdSSR ist unstrittig, und keinerlei persönliche Abneigung kann das Verständnis für diese einfache Wahrheit mindern.

    Gorbatschow war der erste und letzte Präsident der UdSSR. Sie waren der erste und letzte Vizepräsident der UdSSR. Es wäre eine logische Vermutung, dass auch Sie in bekanntem Maße schuld am Zerfall des Staates sind.

    Es wäre auch logisch anzunehmen, dass wir alle, auch ich, auch Sie und andere ehemalige Sowjetbürger, die den Zerfall nicht verhindern konnten oder wollten, schuldig sind, aber … In Wahrheit ist doch aber die Schuld, die Verantwortung für eine hausgemachte globale Katastrophe immer personifiziert. Anders würden wir zum Beispiel wenig an Hitler erinnern, sondern würden über die »schlimmen Deutschen« reden, die unzähliges Leid über die Menschheit gebracht haben. Das wäre nicht richtig, denn sogar unter den Offizieren der Hitlerarmee fanden sich welche, die eine Liquidierung des Führers anstrebten. Und unsere Zeitgenossen stehen bekanntlich eher positiv zu ihnen … Sie haben sicher den bemerkenswerten amerikanischen Film, ein Gleichnis, Einer flog über das Kuckucksnest gesehen. Dort versuchte der Hauptdarsteller in einer psychiatrischen Anstalt ein schweres Waschbecken aus dem Fußboden herauszureißen. Selbstverständlich gelang ihm das nicht, aber er wandte sich mit einem Gefühl der erfüllten Pflicht an seine Leidensgenossen und sagte: »Ich habe es wenigstens versucht.«

    Ihnen könnte entgegnet werden: Sie sind zu lange »zum Waschbecken« gegangen. Warum haben Sie nicht eher versucht, es loszureißen?

    Zum Ende der achtziger, zu Beginn der neunziger Jahre war ich schon über fünfzig. Und in diesem Alter sind die Chancen gering, sich augenblicklich in einen Che Guevara zu verwandeln. Wie hat Churchill gesagt: »Wer in der Jugend kein Radikaler war, der hat kein Herz, wer im Alter kein Konservativer ist, der hat keinen Verstand.« Unter »reifem Konservatismus« verstehen wir nicht nur eine politische Richtung, sondern den uns eigenen Konformismus (wenn man so will, eine gewisse Analogie zum Selbsterhaltungstrieb), ein Abwenden von radikalen Handlungen und der Wunsch nach Bewältigung der dringendsten Probleme nicht auf revolutionärem Weg, sondern durch ausgewogene, klar durchdachte Entscheidungen. Ja, manchmal ist ein solcher »Konservatismus« äußerst kontraproduktiv für den Staat und die Gesellschaft, aber dagegen kann man nichts machen. So ist nun einmal die Welt, wie man so sagt … Noch dazu sind wir mehrheitlich geneigt, unsere eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu überschätzen. Mir erschien es in der Nähe von Gorbatschow zum Beispiel so, als ob ich auf die eine oder andere Weise Einfluss auf seine Politik nehmen und damit dem Land nützlich sein könnte. Das gelang nicht, die Illusionen sind verflogen. Jetzt stehe ich nicht in ihren Diensten und kann unvoreingenommen viele Dinge neu bewerten.

    Gennadij Iwanowitsch, erzählen Sie bitte kurz über Ihre »prägnantesten« Eindrücke im Gefängnis. Und berichten Sie auch kurz über den zweiten Bestandteil eines bekannten Sprichworts – über Ihren »Bettelstab«. Im Vergleich zur überwiegenden Mehrheit der früheren sowjetischen Elite sind Sie doch, man kann es so sagen, arm. Kein Auto, keine Villa, keine anderen Lifestyle-Attribute eines »abgesicherten Lebens« …

    Ich beginne mit der Antwort auf den zweiten Teil der Frage und sage eine banale Sache: Das Glück liegt nicht beim Geld. Tatsächlich verfüge ich über keines der erwähnten Dinge, keine Bankkonten, keine Scheckhefte, keine Firmenaktien. Meine Ehefrau und ich verfügen über eine gewöhnliche »sowjetische« Wohnung und eine einfache Datsche auf 600 Quadratmetern in einer kooperativen Gartengenossenschaft. Das genügt mir vollkommen. Wir hatten es auch schon schlechter. Zum Beispiel als ich aus dem Gefängnis kam, konnte ich »aus verständlichen Gründen« nirgendwo Arbeit finden. Und dann schließlich bot mir Walerij Aleksandrowitsch Kwartalnow (bereits verstorben), Rektor der Internationalen Tourismusakademie, im Jahr 2002 die Stelle eines Dozenten an der von ihm gegründeten Hochschule an. Seitdem arbeite ich dort und bin diesem wunderbaren Menschen bis an mein Lebensende dankbar dafür.

    Zum Gefängnis. Ja, man kann dort existieren. Es hat mich weder gebrochen noch demoralisiert. Die, wie Sie es ausgedrückt haben, »prägnantesten«, die unvergesslichsten Eindrücke verbinde ich mit der Haft und den ersten Tagen der Gefangenschaft. Am 22. August um sechs Uhr morgens erschien der Generalstaatsanwalt der RSFSR Stepankow in Begleitung von zwei operativen Einsatzkräften in meinem Kremlarbeitszimmer. Sie brachten mich in die Staatsanwaltschaft der Republik (obwohl die der Union noch existierte), und man übergab mich in die Hände der Ermittlergruppe. Es folgte ein langes Verhör – bis zum späten Abend. Die Ermittler erwiesen sich als umgängliche Menschen, liefen während des Verhörs hinaus, kehrten mit einem Körbchen Brot zurück und gaben mir zu essen. Um neun Uhr abends wurde ich wieder weggebracht – wohin und warum sagte man mir nicht. Bei der Ankunft erfuhr ich es: in die Kaschinskijer Untersuchungshaft­anstalt im Gebiet Twer. Ich teilte meine Zelle mit einem Schutzgelderpresser, scheinbar kein schlechter Junge.

    Am 26. August nachts brachte man mich zur »Ma­trosskaja tischina« (»Matrosenruhe«). Dort befanden sich bereits die anderen Gekatschepisten [Mitglieder des Staatskomitees für den Ausnahmezustand, Anm. ­d. Ü.]. Man wies mir gemeinsam mit einem »Informanten« eine Zelle zu, der sich als »Vergewaltiger« ausgab – ein altes, erprobtes Verfahren bezüglich derjenigen, von denen man »Geständnisse« brauchte. Danach brachte man noch einen weiteren Inhaftierten in die Zelle, der jedoch nicht lange blieb. Dafür brachte man Jura, der gegen ein Bestechungsgeld in Höhe von dreitausend Rubel Feuer gelegt hatte … Zu Beginn zogen mich die Verhältnisse etwas herunter: das grelle Licht der am Tag und in der Nacht eingeschalteten Lampen, der harte Gefängnisalltag und anderes. Aber ich konnte mich etwas daran gewöhnen …

    In Ihren früheren Gesprächen mit Journalisten haben Sie nicht nur einmal Zweifel darüber geäußert, dass sich B. K. Pugo erschossen hat. Was hat Sie veranlasst, am Wahrheitsgehalt der offiziellen Version zu zweifeln?

    Vor der Verhaftung, als allen bereits klar war, dass »unser Lied gesungen war«, habe ich in einem ruhigen (um nicht zu sagen »fröhlichen«) Telefongespräch mit Boris Karlowitsch so gewitzelt – etwa neun Uhr am Abend des 21. August. Ich fragte ihn vom Kreml aus: »Hast du die Tasche schon gepackt? Glaub mir, schon morgen kommen deine Kollegen und ›bitten‹ uns, ihnen zu folgen.« Und er, der sich in seiner Wohnung befand, antwortete: »Ja, Walitschka sucht schon immer die Sachen zusammen. Ich habe es nur nicht geschafft, Cracker zu trocknen – zu schnell ist doch alles zu Ende gegangen.« Die am nächsten Morgen in den elektronischen Medien verbreitete Nachricht darüber, dass sich Boris und Walentina Pugo erschossen haben, traf mich wie ein Schlag auf den Kopf. Und natürlich haben mich auch die Umstände der Verhaftung verwundert. Dass ranghohe Funktionäre des KGB [Komitees für Staatssicherheit, Anm. d. Ü.], MWD [Innenministeriums, Anm. d. Ü.] und der Staatsanwaltschaft zur Verhaftung eines Innenministers der UdSSR erscheinen, ist eher normal. Doch was hatte bei dieser »Aufführung« eine Privatperson namens Jawlinskij zu suchen?

    Nun, wer Schuld am Zerfall der UdSSR hat, haben wir im Allgemeinen erörtert. Und trotzdem werden Ihre Argumente die Anhänger von Jelzin und Gorbatschow kaum überzeugen. Sie werden trotzdem zu der übereinstimmenden Annahme kommen und eindringlich wiederholen: »Und was wäre, wenn das GKTschP die Unterzeichnung des Unionsvertrags nicht sabotiert hätte, dann wäre es gelungen, die UdSSR, wenn auch vielleicht in einer anderen Ausgestaltung und in einer anderen Qualität, zu erhalten.«

    Wir haben wahrscheinlich die Unterzeichnung dieses berüchtigten Vertrags irgendwie verhindert. Aber nur am 20. August 1991. Obwohl, und da wiederhole ich mich, selbst die Unterzeichnung schon ein Kreuz auf den Unionsstaat gesetzt hätte. Nehmen wir einmal

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