Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Gotsbert (Deutsche Version): Der Schreiber Karls des Großen
Gotsbert (Deutsche Version): Der Schreiber Karls des Großen
Gotsbert (Deutsche Version): Der Schreiber Karls des Großen
eBook311 Seiten3 Stunden

Gotsbert (Deutsche Version): Der Schreiber Karls des Großen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Karl der Große und Waldo, sein Freund aus Kindertagen, förderten Gotsbert als einen ihrer bevorzugten Schreiber, der nicht nur die Heilige Schrift kopieren, sondern auch eine Hagiographie, eine Heiligenschrift, über ihren Lieblingslehrer Otmar schreiben sollte, welcher der erste Abt der Abtei St. Gallen, einem Benediktinerkloster im frühen Mittelalter, gewesen war.
Der fromme Otmar durchlief ein Leben voller frommer Taten und Wunder, während er seinem tragischen Ende entgegen sah.
In den Würzburger Archiven existiert noch heute ein Dokument, welches die Schenkung von Gotsbert, einer Kirche in Seeburg, einem kleinen schwäbischen Dorf, am 12. Oktober 777 Anno Domini, aufzeichnet.
In der Donatio Gotsberti steht auf Schafhaut geschrieben:
Ich bin in Gottes Namen Gotsbert und spende eine Kirche, vertraglich festgelegt, für das Heil meiner Seele, dem Heiligen Märtyrer Nazarius, der da ruht im Körper im Kloster Lorsch, wo der Abt Gundeland im Namen Roms verantwortlich ist, damit ich immer in der Kirche im alemannischen Dorf Seeburg präsent sein möge, welche zu Ehren der Heiligen Maria, Mutter Gottes, gebaut wurde. Ausgeführt für das Kloster Lorsch am 21. Oktober im 9. Regierungsjahr König Karls. (777)
Lassen Sie sich in das frühe Mittelalter entführen und erleben Sie die Intrigen zur Christianisierung der Alemannen.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum17. Mai 2016
ISBN9783740736255
Gotsbert (Deutsche Version): Der Schreiber Karls des Großen
Autor

Klaus D. Wagner

Geboren am 11. Juni 1952 in Esslingen Heimatstadt - Bad Urach Hochschule der Medien - Stuttgart K & E Preisträger (Kast & Ehinger Preis) Internationale Werbeagentur - Frankfurt Internationale Werbeagenturen - Sydney, Australien Wagner Business Development Pty Ltd - Sydney Bundesverdienstkreuz - von Bundespräsident Johannes Rau Wohnsitz - an den nördlichen Stränden von Sydney Bücher des Autors: Die Karolus Magnus Trilogie Waldo - Der Priester Karl des Großen Gotsbert - Der Schreiber Karl des Großen Karolus - Das Leben Karl des Großen SOUL - Thriller mit Koautor Roger McAuliffe Pure Sünde - Polemisch-romantische Tragödie Pures Feuer - Tragödie

Ähnlich wie Gotsbert (Deutsche Version)

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Gotsbert (Deutsche Version)

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Gotsbert (Deutsche Version) - Klaus D. Wagner

    enttäuschen...

    St. Gallen, 6. Dezember 777

    I

    Bodensee

    Der Nebel auf dem Wasser barg eine Ruhe, die genauso alt zu sein schien wie der See selbst. Die blasse Sonne auf dem schiefergrauen Himmel wirkte wie eine glühende Perle. Als sie zum Horizont hinuntersank, verschwand sie hinter herannahenden Sturmwolken, die vom Norden heranrollten und den Bodensee in tiefe Schatten hüllten.

    Die plötzliche Dunkelheit überraschte die nachtaktiven Tiere, die sich noch vor dem Tageslicht in Felsspalten und zwischen Bäumen versteckt gehalten hatten. Einige rührten sich nur widerwillig und krochen argwöhnisch in die sich ausbreitenden Schatten.

    Eine einsame Figur, die an dem Nordufer stand, starrte in die Finsternis über dem Bodensee. Das frühe Verschwinden der Sonne entmutigte ihn. Er fühlte sich als leichte Beute für die für die Seele gefährlichen Geister, die alle Arten von ominösen im Dunst herumwirbelnden Formen herbeizauberten.

    Er hörte wie seine eigene Stimme die Stille durchbrach: „ Und die Dunkelheit lag auf der Oberfläche der Tiefe … und das Gesicht Gottes stieg aus den Wassern auf."

    Er versank in einer schaurigen Stille, wie eine eisige Wolke. Aus einem entfernten Winkel seiner Erinnerung tauchten die Worte seines Mentors und Meisters Waldo von Reichenau auf, die im Dunst herum zu schweben schienen.

    Gott ist hier genau jetzt an unserer Seite. Wir können ihn im welligen Wasser, in den Vögeln in der Luft, im Boden, auf dem wir gehen, oder sogar im Gemüse in unserem Garten sehen. Trachtest Du danach, Gott zu finden, musst Du Dich nur umsehen.

    Oh, Gotsbert, schalt er sich selbst, Du schändest die göttliche Liebe und den Schutz des Allmächtigen mit Deiner kindischen Furcht vor dunklen Schatten und finsterem Dunst. Du bist von der Wanderung dieses Tages erschöpft und lässt Dich von Deiner Phantasie übermannen. Habe Gottvertrauen! Gott wird über Dich wachen, bis die Mönche in ihrem Boot ankommen. Der Allmächtige ist gnädig und allgegenwärtig.

    Genau in diesem Augenblick zeigte der Allmächtige seine Macht mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Sekunden später erleuchtete eine Reihe von beängstigenden Blitzen den See. Gotsbert glaubte im Leuchten kurz ein Boot auf dem Wasser zu sehen, bevor es wieder von der Finsternis verschluckt wurde.

    Hatte er wirklich ein Boot gesehen oder war dies nur eine Wunschvorstellung? Er starrte wieder in die Dunkelheit über dem See und versuchte angestrengt, Geräusche auszumachen.

    Ein zweites Donnerkrachen ließ die Erde erbeben und er fiel auf seine Knie, als wieder ein Blitz aufleuchtete. Er betete, dass die Mönche, die herbeiruderten, um ihn abzuholen, von dem Sturm gerettet würden.

    Als der Regen herniederprasselte und der Wind wieder zu wüten begann, rief er laut: Solange unser Herz ehrlich, unsere Absicht inbrünstig und unser Mut unerschüttlich ist und solange wir dem Herrgott in allen Belangen vertrauen, steuern wir sicher durch jeden Sturm.

    Manchmal lässt Gott einen Sturm abflachen, wenn man betet, aber manchmal lässt Gott den Sturm auch weiter wüten und beruhigt sein Kind anderweitig. Und manchmal tut Gott auch beides.

    Als Gotsbert mit gefalteten Händen kniete und wegen des starken Regens kaum aus den Augen schauen konnte, konnte er plötzlich einen kurzen Blick auf die majestätischen Alpen weit entfernt hinter dem Bodensee erhaschen.

    Zuerst dachte er, dies sei nur eine Vision, die er habe. Ich halluziniere, dachte er. Er stand auf und schützte seine Augen, um klarer sehen zu können. Er rang nach Atem, als er sah, dass sich eine Lücke zwischen den Wolken auftat, durch die er den schwachen Umriss der Berge sehen konnte. Gotsbert glotzte verwundert, während sich die Sturmwolken aufklarten und zarte Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Finsternis fochten. Dann bemerkte er, dass sich der Wind abschwächte und dass der Regen nachließ. Wenige Augenblicke später war er wieder nur von Dunkelheit und Ruhe umgeben.

    Das Geräusch der Ruder, die in das Wasser getaucht wurden, erreichte ihn zuerst, bevor der Umriss des Bootes im Nebel sichtbar wurde.

    Ein Mönch, der am Bug stand, winkte mit seinen Armen und schrie mit sich überschlagender Stimme: „ Gotsbert! Gotsbert! Ich sehe Dich! Es ist ein Wunder! Der Herr sei gepriesen!"

    Während die Stimme über dem See widerhallte, fiel Gotsbert auf die Knie und weinte.

    II

    Abtei von St. Gallen

    Das kleine Boot schob sich in völliger Dunkelheit zurück über den riesigen See. Es war bisher eine lange angsterfüllte Reise für Gotsbert, der die gesamte Zeit nichts sehen konnte. Zuguterletzt erreichten sie in Arbon das Ufer und er sah eine schemenhafte Figur, die mit einer hell leuchtenden Fackel winkte, welche die Ruderer zu einem langen hölzernen Anlegesteg lenkte.

    Als er aus dem Boot kletterte, näherten sich ihm zwei Mönche mit Kapuzen, die schwach leuchtende Lampen trugen.

    „Grüße von Bruder Waldo, Gotsbert, sagte einer. „Er hat uns gesandt, um mit Euch nach St. Gallen zu wandern. Ich bin Ambrosius und das ist Bero.

    „Ihr seid ein willkommener Anblick, Brüder, sagte Gotsbert. „Es war ein langer und erschöpfender Tag.

    „Ihr werdet Euch jetzt etwas ausruhen, sagte Ambrosius. „Wir werden heute Nacht in Arbon bleiben und morgen im Morgengrauen nach St. Gallen aufbrechen.

    „Waldo ist erpicht darauf, Euch zu sehen" sagte Bero.

    Das ist er bestimmt, dachte Gotsbert, und tastete instinktiv nach Otmars Manuskript in seiner versteckten Schultertasche. Das Dokument war nicht schwer, aber er wusste, dass das große Gewicht der Erwartung und Verantwortung, das es in sich barg, die Wanderung nach St. Gallen erheblich anstrengender machen würde, als sie sonst gewesen wäre.

    „Mein lieber Gotsbert, rief Waldo aus, als er seinen jungen Freund voller Freude vor den Toren der Abtei St. Gallen umarmte. „Der Herr sei gepriesen, dass er Dich den langen Weg von Seeburg sicher hierher geführt hat.

    „Der Herr sei wirklich gepriesen, geliebter Waldo. Ohne die Gnade und Güte des Allmächtigen wäre ich längst Fischfutter am Grund des Bodensees."

    „Was! rief Waldo ehrlich erschrocken. „War Dein Leben in Gefahr?!

    Gotsbert versuchte, die Sorgen seines Freundes mit einem Händewinken zu verjagen, aber Waldo legte einen schützenden Arm auf seine Schulter und geleitete ihn sofort durch das Tor zum Eingang der Abtei.

    „Danke, Brüder! rief Gotsbert Ambrosius und Bero zurück. „Ich sehe Euch morgen.

    In der Abtei angekommen führte Waldo Gotsbert zur Bibliothek.

    „Es gibt einen abgeschlossenen Leseraum für hochrangige Mönche hinter diesen Stufen, sagte er, und zeigte auf eine enge Öffnung zwischen zwei Säulen. „Wir können dort ungestört sprechen. Richte Dich dort ein, während ich ein wenig Brot, Käse und Wein besorge. Es ist nur angemessen, dass wir uns an ein wenig Wein erfreuen, während wir über Otmar sprechen.

    Im Leseraum befanden sich mehrere Bänkereihen. Sie wirkten wie Kirchenbänke, aber ihre Ablage war drei bis vier Mal größer als bei normalen Bänken, die nur darauf abgestellt sind, ein Gebets- oder Messbuch aufzunehmen.

    Gotsbert setzte sich auf eine der Bänke, zog langsam das Manuskript von Otmars Biographie aus seiner Schultertasche und legte es behutsam auf die große Ablage.

    Während er unglücklich auf das vor ihm liegende Manuskript starrte, rief er sich die unliebsamen Umstände wieder ins Gedächtnis, die ihn zu diesem Punkt gebracht hatten.

    Er konnte sich noch genau an Alles erinnern:

    Vor fast vier Jahren hatte ihn Waldo in Seeburg zu einem Treffen mit Karl bestellt. Er wusste, dass Karl jetzt und auch damals der mächtige Kriegerkönig Karl der Große, Karolus Magnus, war und ist.

    Durch dieses Wissen wurde seine Aufgabe, die auch so anspruchsvoll war, noch einschüchternder und sogar gefährlich.

    Bei jenem Treffen befand sich Karl der Große in seinem Bett und erholte sich von einem Anfall. Er saß von Kissen gestützt und sah ihn lange mit drohendem Blick an, in dem kein Lächeln war, während er ihm erklärte, dass er persönlich Gotsbert dafür erwählt hatte, dass ihm die Ehre zuteil wurde, die Biographie Otmars, des ersten Abts von St. Gallen, zu schreiben.

    Gotsberts anfänglicher Schock bei dieser Ankündigung wurde bereits Sekunden später zu Angst und Schrecken, als ihm die volle Bedeutung der Aufgabe klar wurde.

    Otmar!, rief er sich selbst in Gedanken zur Ordnung und betete, dass sich sein Mangel an Freude über die durch seinen König zuteil gewordene Ehre nicht auf seinem Gesicht widerspiegelte. Er sah, dass Karl der Große seine Augen etwas zusammenkniff, wodurch sein Blick noch prüfender wurde. Mit größter Selbstkontrolle schaffte es Gotsbert, Karl und Waldo als Antwort ein strahlendes Lächeln zu verpassen.

    Im Innern drehte sich jedoch sein Magen um und seine Gedanken überschlugen sich. Otmar! stöhnte er innerlich … Karls verehrter Mentor und Inspiration. Otmar, der in Karls Augen bereits einer der größten Heiligen der Christenheit war.

    Die Biographie müsste eine wahre Hommage sein. Eine durchdachte Glorifizierung und verschönernde Charakterstudie und sie müsste eher aus Fiktion als aus Fakten bestehen, um den verehrten Otmar angemessen zu würdigen. Und ich weiß fast nichts über den großartigen Mann und ich habe ihn niemals getroffen. Er ist bereits lange tot.

    Nun im Rückblick zu diesem Treffen und in Erinnerung an die furchterregende Aufgabe, die er damals vor sich hatte, berührte Gotsbert das Manuskript, das er in den letzten vier Jahren auf unerfindliche Weise über Otmar geschrieben hatte.

    Er konnte nicht ermessen, ob das, was er geschrieben hatte, gut, schlecht oder mittelmäßig war. Alles, was er wusste, war, dass ihn dies den gesamten Schreibprozess hindurch gemartert und manchmal sogar an den Rande des Wahnsinns getrieben hatte. Die Erinnerung dieser schrecklichen Zeiten ließen einen Kloß in seinem Hals entstehen, während er seine Tränen hinunterschluckte. Hoffentlich war dies nun vorüber und hoffentlich konnte er nun sein eigenes Leben wieder aufnehmen und seine Arbeit für den himmlischen Herrn und König wieder fortführen, anstatt für den irdischen tätig zu sein.

    Er riss sich zusammen, als er hörte, dass Waldo mit dem Wein und dem Essen zurückkam und stand auf, um ihn zu begrüßen.

    „Nachdem wir uns zusammen an etwas Wein und Käse erfreut haben, Gotsbert, sagte Waldo, „werde ich mich hinsetzen und Otmars Manuskript sofort durchlesen. Während ich das tue, kannst Du gehen und Dir den Staub und den Schmutz Deiner Reise abwaschen.

    III

    Urteil

    Die Angst begann Gotsbert zu ergreifen und ein Gefühl des Unbehagens nahm Besitz von ihm. Die Wäsche hatte seinen Körper erfrischt, aber sein Geist war noch immer müde.

    Er ging so langsam wie möglich zurück zum Leseraum, um sich selbst Zeit zu geben, seine gebeugten Schultern und seinen erlahmenden Geist wieder in Gang zu bringen. Dies gelang ihm nur zum Teil und als er in den Raum ging und Waldos Gesicht sah, kam seine Furcht als stechender Schmerz in der Brust zu Tage und ließ ihn innehalten.

    Gotsbert hatte Waldo niemals mit so versteinertem Gesicht und so ernst gesehen. Auch seine Stimme war ernst, als er sprach, aber nicht wütend. Zumindest nicht am Anfang.

    „Ein gutes Urteilsvermögen, Gotsbert, sagte Waldo, „entsteht durch Erfahrung. Und Erfahrung …nun gut … entsteht durch schlechtes Urteilsvermögen.

    Er wedelte mit Gotsberts Manuskript herum, wie mit einer weißen Fahne.

    „Das ist eine Katastrophe, Gotsbert! Karl wird schäumen vor Wut."

    Er wurde still und schloss seine Augen, als ob er versuche, die Wut zu zäumen, die Gotsbert nun immer mehr in seiner Stimmte ausmachte.

    „Vielleicht ist es mein Fehler, sagte er und warf das Manuskript hinunter auf eine der Sitzbänke. „ Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, was von Dir erwartet wurde. Meine Erwartungen an Dich waren zu hoch … Du warst noch nicht bereit für diese große Aufgabe.

    Diese letzte Bemerkung war ein Stich in Gotsberts Herz und er musste sich zusammenreißen, seinen Kopf nicht vor Scham hängen zu lassen. Stattdessen starrte er seine Hände an, die er so fest ineinander verschränkt hielt, dass es ihm wehtat.

    Waldo übte dann weitere Kritik an Otmars Biographie, während er durch den Raum ging und verschiedene fehlerhafte Textpassagen laut vorlas. Er machte Kommentare, hielt inne, und fuhr dann mit den Kommentaren fort.

    Diese Abfolge wurde für fast eine Stunde immer wieder wiederholt. Jedes Mal, wenn Waldo sprach, versank Gotsbert immer tiefer in eine traumverlorene Verzweiflung. Während sein Blick seinem geliebten Meister beim Hin- und Hergehen folgte, füllten sich seine Augen mit Leere und er hörte Waldos Stimme als Echo in seinem eigenen Kopf.

    Waldo hörte auf hin- und herzurennen und blieb vor Gotsbert stehen. Er hielt ihm das Manuskript so hin, dass er es lesen konnte, und deutete auf einen bestimmten Absatz.

    „Das sind frevlerische Worte, Gotsbert! Du musst sie aus dem Manuskript streichen! Nimm den Abschnitt heraus, der so anfängt: Als der heilige Otmar sagte, dass Gott sein einziger Zeuge sei und so weiter bis zu dem Punkt, an dem Du sagst: Otmar starb gefesselt an einen Baum auf der Insel Werd. Dieser gesamte Abschnitt muss gestrichen werden, Gotsbert. Wenn Karl liest, was Du hier geschrieben hast - großer gütiger Gott! Dann kann uns sogar der Allmächtige selbst nicht vor seinem Zorn retten.

    Waldo holte tief Atem und seufzte schwer, als er sich gegenüber dem am Boden zerstörten Gotsbert hinsetzte. Sein benebelter Blick starrte mit einer seltsamen Mischung aus Zärtlichkeit und Enttäuschung auf das blasse Gesicht vor ihm.

    Gotsbert sah nur die Enttäuschung und wurde von Verzweiflung ergriffen. Er stellte sich vor, dass Waldo dachte, dass es niemanden gab, der so elendig ungeeignet für die Aufgabe war, Otmars Heiligenschrift niederzuschreiben wie er selbst.

    Aber das war nicht das, was Waldo dachte.

    „Das ist sehr gut geschrieben, Gotsbert, aber es wird völlig inakzeptabel für Karl sein", sagte er nun bemerkenswert ruhig, wenn man in Betracht zieht, welcher Aufruhr in seinem Kopf herrschte.

    Er hatte noch keine Ahnung, wie man es in der kurzen Zeit für Karl akzeptabel machen konnte, bevor sie es ihm zeigen müssten.

    „Du bist mit Otmar zu ehrlich und realistisch umgegangen, sprach Waldo. „Das hier ist ein glaubwürdiges Portrait von ihm, aber Karl möchte ein unglaubwürdiges. Ich dachte, dieser Punkt wäre Dir klar. Karl möchte kein unwahres Portrait sondern eines von übertriebener Wirklichkeit.

    Übertriebene Wirklichkeit! sagte sich Gotsbert selbst. So etwas gibt es gar nicht!

    Waldo lächelte ihn schwach an und erahnte seine Gedanken. „Ja, ich weiß, es hört sich fast wie eine unmögliche Aufgabe an, sagte er, „aber wir müssen es irgendwie gemeinsam schaffen -innerhalb einer Woche.

    Gotsbert ließ sich zurück auf seinen Sitz fallen. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber seine Sicht schien zu schwinden wie das Licht am Ende von jemandes Leben.

    „Komm, lieber Gotsbert, sagte Waldo fröhlich und half seinem Freund auf die Füße. „Hab Mut … und bete. Wir fangen nach dem Sonnenaufgang, nach den Laudes, den Morgengebeten, wieder an zu schreiben.

    "Schlaf gut und erinnere Dich daran, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat, um am siebten zu ruhen. Wir werden eine ähnliche monumentale Aufgabe durchführen, indem wir das Manuskript in sechs Tagen umschreiben und es am siebten Tag Karl präsentieren.

    Alles wird gut."fügte er herzhaft gähnend hinzu.

    Eine Woche später schritten Waldo und Gotsbert die Stufen zum Eingang einer abgeschiedenen Kapelle im Dorf Wittenbach hinauf, wo sie mit Karl verabredet waren, um ihm Otmars Hagiographie vorzustellen.

    Wittenbach war Otmars Geburtsort und war mit drei Stunden bequemem Fußweg nicht sehr weit von St. Gallen entfernt.

    Die hölzerne Kapelle war in Anwesenheit von Karl dem Großen persönlich zu Otmars Ehren geweiht worden. Sie war mit diversen Gemälden von Otmar einschließlich einer kleinen Bronzestatue mit seinem Abbild, welche auf einem Sockel in der Nähe des Altars stand, verziert. Vor ihr stand Karl der Große mit zum Gebet geschlossenen Augen und gefalteten Händen.

    Gotsbert und Waldo hatten sechs Tage lang unaufhörlich gearbeitet, um Otmars Heiligenschrift umzuschreiben. Gotsbert war genauso in körperlicher wie in emotionaler Hinsicht völlig ermüdet. In gewisser Weise war er so erschöpft, dass er sich über die schrecklichen Folgen, die es für ihn bedeuten könnte, wenn Karl der Große mit dem Manuskript nicht zufrieden war, gar keine Gedanken mehr machen konnte. Aber er bebte förmlich vor Angst und Furcht, was dies für seinen so geschätzten Mentor Waldo bedeuten könnte.

    Gotsbert bemerkte, wie still es in der Kapelle war, und fragte sich, wie lange die Stille wohl anhalten würde. König Karl war allseits dafür bekannt, dass er seinem Temperament mit großem Nachdruck und großer Lautstärke Luft machte.

    Sie waren beide verblüfft, als sie bemerkten, dass sich Karl der Große bereits in der Kapelle befand. Gotsbert und Waldo schauten sich an und dachten beide dasselbe: Karl ist äußerst erpicht darauf, das Manuskript zu sehen.

    Waldo sah den Schweiß von Gotsberts Stirn tropfen und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken.

    „Mein Herr König", sagte er und teilte so ihre Anwesenheit mit.

    Als Karl sich herumdrehte, um sie zu grüßen, glitt sein vergoldeter Umhang an der kleinen Statue Otmars entlang. Sie schwankte für eine Sekunde oder zwei auf dem Sockel hin und her und stürzte dann mit lautem Krachen auf den Steinboden.

    Karl der Große beugte sich hinab und hob die Statue auf, die er nach kurzer Begutachtung wieder vorsichtig zurück auf ihren Sockel stellte.

    Ein Omen des Verhängnisses, dachte Gotsbert.

    Es ist nichts zu Schaden gekommen, Gott sei gepriesen! rief Karl. „Willkommen meine lieben Freunde", sagte er, als er nach vorne trat, um sie zu begrüßen.

    Ein Ausdruck der unermesslichen Erwartung hatte sich über das Gesicht Karls des Großen ausgebreitet. Er deutete mit seinem Finger auf das Manuskript, das er in Gotsbert zitternden Händen sehen konnte.

    „Nun, gib es mir schon, Gotsbert, befahl er grimmig aber fröhlich. „Ich kann es gar nicht erwarten, es zu lesen!

    Circa 20 Jahre früher...

    Insel Reichenau, 1. Juli 757

    1

    Opfer

    Niemand hält ein Kind so fest umklammert wie eine Mutter. Gersinde hielt ihren kleinen Jungen mit tränennassen Augen auf dem Arm. Sie umarmte ihn so heftig, dass sie ihn fast erdrückte.

    Die kleine Familie hielt an, als sie die Tore der Abtei Reichenau erreichte. Als sie alle auf das Kloster auf der Insel starrten, drehte sich Gersindes Sohn um und sah sie an. Überwältigt von ihren Gefühlen warf sie ihre Arme um ihn. Ihr nur sieben Jahre alter Sohn war im Begriff, viele Jahre lang und vielleicht für immer weit entfernt von ihr zu sein.

    Sie weinte vor himmlischer Freude genauso wie vor unerträglicher Trauer. Ihr kleiner Sohn Gotsbert würde nun Gott dienen und sie würde ihn ein letztes Mal als Kind in den Armen halten.

    Als

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1