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Instrument der Herrschaft
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eBook352 Seiten4 Stunden

Instrument der Herrschaft

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Über dieses E-Book

Jetzt rollen die Häupter beidseits des Limes.

Während die römischen Legionen in Syrien und Mesopotamien Krieg führen, eilt die flüchtige Prinzessin Iulia Balbilla auf die germanische Grenze zu. Weiterhin strebt sie nach dem Ziel, das Römische Reich in einen orientalisch geprägten Staat zu verwandeln, in dem ihresgleichen sogar Macht über die Kaiser hat.
Ihre Helfershelfer Pernica und Sedigitus überqueren ebendiese Grenze und wagen sich in den Machtbereich des gefährlichsten Feindes vor, um Adrianus auf dem Berge Dounobriga aufzuspüren. Der Hochvater, in dessen Dienst sich Adrianus aus Überzeugung gestellt hat, versammelt derzeit die Häuptlinge vieler germanischer Stämme um sich, um sie von seiner Idee einer alle Barbarenvölker umfassenden Alamannia zu überzeugen.
Doch es mehren sich die Hinweise, dass auch die Kopfjägerbande, die bereits in der Vergangenheit ent­hauptete Leichen zurückließ, auf dem Dounobriga aktiv ist. Und wohin wurde Adrianus’ Großvater, der alte Restitutus, verbracht?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum11. Feb. 2016
ISBN9783960283539
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    Buchvorschau

    Instrument der Herrschaft - Codex Regius

    respektieren!

    EINFÜHRUNG

    Ließe man jedoch einen zuverlässigen und großartigen Experimentator mit einem künstlichen Gerät den Tageslauf der Gestirne nachvollziehen, dann wäre das ein größeres Wunder als alle bisher genannten und von fast unbegrenzten Anwendungsmöglichkeiten. Solch ein Gerät könnte man nicht mit dem Vermögen eines Königs bezahlen.

    Roger Bacon (1216): ‘Über die Nichtigeit der Magie’, 537

    1901 kehrte die höchstentwickelte Mechanik der antiken Welt ans Sonnenlicht zurück. Bis dahin hatte sie zweitausend Jahre lang in einem römischen Schiffswrack vor der griechischen Insel Antikythera auf Bergung gewartet. Doch erst 1957 wurde der verklebte Klumpen aus Zahnrädern, Getriebeachsen, Skalen und Zeigern als Überrest eines bisher für diese Zeit und die kommenden Jahrhunderte einzigartigen astronomischen Instruments erkannt. Dieses nun als MECHANISMUS VON ANTIKYTHERA bekannte Gerät konnte auf einer Art Uhrenblatt die für ein frei wählbares Datum geltenden Stellungen der Sonne, des Mondes sowie wohl auch der sichtbaren Planeten am Himmel angeben, und es berücksichtigte manche Feinheiten ihrer wechselhaften Umlaufbahnen. Noch faszierender war, dass dieses Instrument Sonnen- und Mondfinsternisse über viele Jahre voraussagen konnte!

    Seit der Jahrtausendwende lenkten die Veröffentlichungen des Antikythera Mechanism Research Projects (AMRP) die Aufmerksamkeit wieder auf dieses einzigartige Objekt (https://www.antikythera-mechanism.gr). Wenn Sie das Athener Nationalmuseum besuchen, können Sie es dort besichtigen; Nachbauten befinden sich unter anderem im Astronomisch-Physikalischen Kabinett in Kassel.

    Das AMRP glaubt, dass der Mechanismus entweder aus Korinth stamme oder aus dessen berühmter Kolonie Syrakus auf Sizilien. Doch das Wrack, mit dem er sank, barg Fracht aus Kleinasien und hatte Westkurs gesetzt – vermutlich nach Rom. Wir wissen nicht, wer ihn benutzte und zu welchem Zweck. Kein antiker Autor beschrieb offenbar seine Funktion, auch wenn Poseidonius und Cicero - neben anderen Autoren - Instrumente erwähnen, die die Bewegungen am Himmel vorhersagen konnten. Kein zweites Gerät gleichen Alters wurde bisher gefunden: das zweitälteste, das wir kennen, ist Jahrhunderte jünger und weit primitiver gestaltet. Aber eines kann als sicher angenommen werden: Der Mechanismus von Antikythera ist technisch ausgereift, er kann kein Prototyp gewesen sein.

    Die Trilogie Opus Gemini, Teil des Romanike-Zyklus, erzählt die Geschichte seiner untergegangenen Geschwister:

    Was in den bisherigen Teilen geschah:

    Als das Königreich Parthia in die römischen Ostprovinzen einfiel, entkam Iulia Balbilla, die verbannte Prinzessin von Commagene, mit den westwärts ziehenden Flüchtlingsströmen aus ihrem Exil. Im Geheimen wollen sie und ihr Neffe Balbillus Aquila einen entfernten Verwandten zum Sieg und sodann auf den Kaiserthron führen, wobei sie selbst die Rolle der Hofastrologen einzunehmen gedenken. Dafür benötigen sie das letzte bekannte Exemplar jener alten Mechanismen, die die Planetenstellungen zu jedem Zeitpunkt in Vergangenheit oder Zukunft anzeigen konnten: das OPUS GEMINI. Zwei ehemalige Gladiatoren, Pernica die Schnelle und Sedigitus das Ungetüm, sollen dieses Instrument wieder beschaffen.

    Das OPUS GEMINI befindet sich seit Jahrzehnten im Besitz von Iulius Restitutus, der vor einem Jahr unter mysteriösen Umständen verschwand. Möglicherweise wurde er von Verbrechern entführt, die inoffiziell als die Kopfjägerbande bekannt sind. Sein 19-jähriger Adoptivenkel Adrianus und dessen Pflegeschwester Valeriana entdecken gemeinsam die Trümmer des Mechanismus in ihrem Haus. Der Fund lässt den Machtkampf zwischen ihnen bis zum Bruch eskalieren und Adrianus ergreift die Flucht. Kurz darauf findet er sich vergiftet und betäubt in einer germanischen Festung auf dem Berg Dounobriga jenseits des Limes wider.

    Zur selben Zeit erreichen Balbillas Agenten die Provinzhauptstadt Mogontiacum. Sedigitus wird von einer Diebesbande nahezu tödlich verwundet und Pernica bewahrt ihn gewaltsam vor Verstümmelung durch die Ärzte des Legionslazaretts. Der zufällig anwesende Provinzstatthalter lässt beide zu Adrianus’ Lehrherrn bringen, der als bester Arzt der Gegend gilt. Dort trifft Pernica auf ihr erstrebtes Mordopfer, Valeriana, die von Adrianus’ Eltern hinausgeworfen wurde, und unterliegt in der folgenden Konfrontation zu ihrer eigenen Überraschung. Valeriana nötigt beiden Agenten das Versprechen ab, Adrianus zurückzuholen, um ihr Bleiberecht im gemeinsamen Haus zurückzugewinnen.

    Auf dem Dounobriga hat der ehemalige Schlepper- und Schleuserfürst Catvalda sich längst zum Hochvater aller Germanen aufgeschwungen. Zum kommenden Vollmond wird er einen »Völkerrat« einberufen, bei dem er die Edelinge der anderen Stämme überzeugen will, sich seiner vermeintlich übernatürlichen Führungsgewalt anzuschließen. Dazu soll ihm Adrianus verhelfen, denn Catvalda besitzt ein weiteres, voll funktionsfähiges Opus, das er aber nicht zu bedienen versteht. Um Adrianus zur Unterstützung zu motivieren, nimmt der Hochvater ihn in seine Gefolgschaft auf; Adrianus wirft sich außerdem in eine stürmische Affäre mit der schönen jungen Ganna, was nicht von allen gebilligt wird. Dann wird ihm eine bestürzende Entdeckung zuteil: Auch sein vermisster Adoptivgroßvater Restitutus muss kürzlich auf dem Dounobriga gewesen sein!

    Der interessierte Leser findet im Anhang ein Glossar der lateinischen und anderssprachigen Ausdrücke, die im Text auftreten, sowie Verzeichnisse der geographischen Namen mit ihren modernen Entsprechungen. Ausführlichere Hintergrundinformationen gibt es auf unserer Homepage unter www.opus-gemini.de, weitere Bücher, die nicht zur Romanike gehören, werden unter www.codex-regius.de vorgestellt.

    DRAMATIS PERSONAE

    Das Haus Balbilli:

    * Iulia Balbilla: Erzpriesterin und Prinzessin von Commagene.

    * T. Balbillus Aquila: Balbillas Neffe.

    * Avidius Cassius: Feldherr und Balbillas Vetter.

    Pernica die Schnelle, eine Gladiatrix aus dem hohen Norden

    Sedigitus das Ungetüm: ihr aufgezwungener Gefährte.

    Der Curator: Balbillus Aquilas Helfer.

    Sucinella: Balbillas Vertraute.

    Das Haus Iulii

    von Aquae Mattiacorum:

    *C. Iulius Restitutus, Hausherr, auf rätselhafte Weise verschwunden.

    Lucania Castilla, seine Frau, starb vor Kummer über den Verlust des Mannes.

    C. Iulius Demetrius und Caesernia Sabina (vormals Caesernii Charis Sabiniana), Freigelassene und adoptierte Erben.

    C. Iulius Adrianus, ihr Sohn, 19 Jahre alt.

    Belsia Valeriana, seine »Schwester ehrenhalber«, 22 Jahre, tatsächlich Tochter des verstorbenen Krämers Belso.

    Die Sklaven:

    Iordanes: Hauslehrer, Iudäer, ersetzte den verstorbenen Apollodorus.

    Aiax: Koch.

    Patroclus: Türsteher aus Nubien.

    Satto: Maiordomus, alternder Gallier.

    Phoenix: Verwalter des Landgutes.

    Das Haus Caesernii:

    * Macedo und Statianus: Vorstände des Hauses von Aquileia.

    * T. Caesernius Severus: Vorstand des Hauses von Emona.

    Ianuarius: Severus’ Türsteher.

    Salama der Iudäer: ein Freigelassener.

    Amatunis: Tochter eines Gastwirts und Clienten, 8 Jahre alt.

    Einige andere Bedienstete, darunter ein Markomanne.

    In Nida:

    Zosimus: Gemeindearzt.

    »Tante« Tochiris: seine ständig geschäftige Sklavin.

    Polychromas: ein seltener dreifarbiger Kater.

    Linus, ein Feinschmied.

    Nasso, sein Geselle.

    Gandestrio, noch ein Geselle, Sohn des Gandarix aus Novum Mattium.

    Lucianus, ein Topfwarenhändler.

    In Mogontiacum:

    * Aufidius Victorinus: Legatus Augustorum, derzeitiger Statthalter der Provinz Germania Superior.

    Zanticus: Führer seiner iazygischen Leibwache.

    Abdethatus: Priester des örtlichen Dolichenums.

    Arborius Arboras: Kaufmann, Mitglied der Überstromfahrer.

    Bovana und Bissula: zwei Prostituierte aus Novum Mattium.

    Grimo: ein Führer auf der Suche nach reichen Gästen.

    Drutalos, Brinno und Matuix: Grimos Helfer beim Suchen.

    Embricho: Gastwirt des Quercus.

    Macrinus: ein hungriger alter Gast des Quercus.

    Tullius Capito: ein trinkfreudiger Legionär.

    Demosthenes: Erzarzt des Lazaretts von Mogontiacum.

    Flavius Leucippus, genannt Carnifex: oberster Chirurg des Lazaretts.

    Dicknase und Schlappohr: zwei Patienten des Carnifex.

    In Novum Mattium:

    Arpo, ein gewöhnlicher Chattvarier.

    Aurina Dísa, die oberste Lachnerin (Heilerin) des Ortes.

    Bauto, ein Holzfäller, möglicherweise mit Iulius Demetrius verwandt.

    Catvalda Truncatus, der Stockfuß: ehemaliger Räuber- und Banditenhauptmann, inzwischen für tot erklärt.

    Catumero, Catvaldas Neffe.

    Gandarix, ein alter Krieger, Vater von Gandestrio in Nida.

    Gandasco und Gandarta, seine anderen Söhne.

    Ganna, seine Tochter; Aurinas Schülerin.

    Ramis, Catumeros Freundin, Aurinas Schülerin.

    Sido: oberster Heerführer der Chattvarier.

    Penzo, Hraban, Uido: drei Sklaven.

    Germanische Edelinge:

    Agenarix, Gesandter des Marcomannenkönigs Ballomarius.

    Ballomarius, übersetzt Dickschwanz, König der Marcomannen.

    Athanaldo, Edeling der Angrivarier.

    Fratto, Edeling der Toutonen.

    Hnisso, Edeling der Bructerer.

    Iossa, Edeling der Hermunduren.

    Sowie Ervicho, Lugurix, Biracos.

    An anderen Orten:

    * Imperator Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus: Senioraugustus.

    * Imperator Caesar Lucius Verus Augustus: Iunioraugustus.

    Daromil: Pernicas dunkler Schatten

    Hagdan: ein Auxiliarsoldat.

    Melonius Selinis: Sohn des Carantus; ein abgelegter Liebhaber Valerianas.

    Sarciapus: Priester des Dolichenums von Nauportum.

    Soeris: seine Frau.

    Lycaon: ihr einziger Sklave.

    Barsimsus: vindelicischer Tagelöhner.

    Theimses: sein Sohn.

    Maddgarisianus, genannt Maddus madidus: Kapitän der Lupa galliana.

    Gavera: Lotse der Lupa galliana.

    Namen mit Sternchen * sind historisch belegt.

    VOLUMEN IIII

    Dem T. IULIUS BALBILLUS AQUILA zu MOGONTIACUM

    von PRINZESSIN IULIA BALBILLA aus CASTRA REGINA:

    Salve!

    Genau das sei zu bewundern an Archimedes’

    Erfindung: dass er entdeckt habe, wie eine einzige

    Drehung all die ungleichartigen, vielgestaltigen

    Bahnen der Planeten wiedergeben könne!

    Atque in eo admirandum esse inventum Archimedi:

    quod excogitasset quem-ad-modum ... inaequabiles

    et varios cursus servaret una conversio!

    M. Tullius Cicero: De Republica, I, 22.

    Heute erhielt ich von Sucinella die traurige Mitteilung, ihr Nachbar zu Mogontiacum, unser Ordenspriester Abdethatus, sei ganz plötzlich und unerwartet verschieden.

    Dies ist zu bedauern, wo er doch zuletzt so Erstaunliches über sich, das OPUS GEMINI und all jene zu berichten wusste, denen er sich zur Treue verpflichtet fühlte. Welch banales Ende fand also jener Mann, der mir einst das Erbteil unserer Ahnen aus den Händen riss: Mit seinen Essgewohnheiten stand es wohl jüngst nicht zum Besten?

    So ist denn der Tempeldienst zu Mogontiacum von einem Andern zu erfüllen, o Neffe. Hältst du nicht den ehrwürdigen und eingesessenen Pater von Nida für dieser Beförderung wert? Seinen Platz magst du ruhig einstweilen selbst einnehmen, bis ein Würdiger gefunden ist. Ich gebe dir Sucinella zur Seite: Sie ist verschwiegen und kennt viele Wege in die unteren Welten.

    Am Dies Natalis setze ich Dir dieses Schreiben auf, am Tage, da wir der Toten gedenken und sie an ihren Ruhestätten ehren. Doch von unserem Hause wird niemand heute am Hierotherion stehen, dem Grabmal unseres königlichen Vorfahren Antiochus, noch wird einer zum Sternenturm hinaufsteigen, an dem mein anderer Ahnherr bestattet liegt: Claudius Thrasyllus, der Ahnvater und Gründer des Hauses Balbilli. Möge ihnen bald wieder die Ehrerbietung gezollt werden, die ihnen zusteht, wenn das OPUS GEMINI in unsere Hände zurückkehrt! Auf dass die Gräber unserer Feinde so vernachlässigt werden, wie die unserer Vorfahren es sind.

    Wahrlich, Thrasyllus sollte unter die größten Geister der Geschichte gerechnet werden. Sterneschauen war bei weitem nicht seine einzige Großtat. Auch den alten Philosophen vertraute er und verlegte diese: Des Pythagoras’ Zahlenkunde pflegte er und ordnete Platos Schriften in die Gruppen zu Vieren, die die Leser seitdem kennen. Auch Democritus veröffentlichte er, jenen Weisen, der die Welt das Produkt von Atomen und Zufall nannte. Und er schrieb die Pinax, die Zahlentafeln, aus denen das Haus Balbilli seitdem die Parapegmata Schriften ableitet, wie auch dein ungetümer Abgesandter eines mit sich führt. Und Bücher über Töne schrieb Thrasyllus und eines über Mathematik und eines über Kometen und eines über das Vermessen der Sterne. Wer wusste denn mehr über den Kosmos als er?

    Vor hundertfünfzig Jahren oder länger, als der Augustus Kaiser war und Varus noch nicht in Germania gefallen, da wohnte Thrasyllus auf der Insel Rhodus, Heimstatt größter Kunde und Erfindungsgabe. Dort schickte er sich an, das tiefste Geheimnis des Weltalls auszuloten, das Thema Mundi. Dessen Zahlensatz, sofern korrekt berechnet, bestimmt auf das Genaueste die Wiegen, denen die Himmelsleuchten entsprangen, als das Weltall entstand, um ihre Kreise um die Erde zu ziehen, bis sie an die gleichen Örter zurückkehren, wenn das Weltall stirbt. Viele Weise haben versucht, das Thema Mundi zu bestimmen, alle scheiterten. Daher ging mein Ahnherr hin und bat die Weisen der stoischen Schule auf Rhodus um Hilfe. Er wusste, dass an ihrem Sitz, der als die Stoa bekannt ist - und ihre ganze Schule leitet von ihr den Namen ab - die erstaunlichste Wiedergabe ihrer Kunst bewahrte: das OPUS GEMINI.

    Geminus hat es erschaffen, einer der größten Forscher aller Zeiten. Nur eine seiner Einsichten werde ich dir anführen: »Wir sollten nicht wähnen, die Sterne seien alle auf der gleichen Fläche angeordnet! Vielmehr stehen einige von ihnen ferner und andere näher.« So gewaltig war seines Geistes Kraft, dass Menschen nicht glauben mochten, ein Einzelner sei fähig, solche Wunderwerke zu wirken. Geminus, so sagten sie, müsse die Hilfe der Kinder des Meeres genossen haben, der Telchinen; das sind Zauberwesen mit Flossen anstelle von Händen und mit Hundsköpfen, und man sagt von ihnen, sie hätten alle technischen Fertigkeiten ersonnen. Wenn du die See bereist, findest du Bildwerke, die ihnen bis heute zugeschrieben werden: Den Apollon zu Lindos konnte ich erwähnen, auf jener Insel, auf der Marcellus‘ Denkmal steht, oder Heras Statue auf Ialysos. Auch sollen die Telchinen über Himmel und Wetter geboten haben, und sie wüssten ihre Gestalt zu verändern und üblen Zauber zu wirken. Welch Fabelei sich doch mit einem Gerät wie dem OPUS GEMINI verbindet!

    So klug Geminus indes auch war; Leider verleugnete er die Ars Mathematica, der unser Haus sich ganz besonders rühmt, und wähnte, sie könne nicht ansagen, was sich ereignen wird. Unsere arkane Kunst nannte er ein Gaukelspiel des Zufalls! Darum verfügte er, dass seine Geräte nur zur Vorhersage dienen sollten, wohin sich die Sterne gemäß den Gesetzen der Zahl bewegen werden, dass ihre Anordnung jedoch nicht ausgedeutet werden möge. So sind sie, diese Griechen. Folglich war Thrasyllus der erste, der erkannte, wie sich das OPUS GEMINI zum Besseren der Welt nutzen ließe.

    Eines Tages begab es sich, dass des Augustus‘ Stiefsohn, Imperator Tiberius, an Rhodus’ Hafen anlandete. Dort hoffte er, der Last seines Imperiums zu entfliehen, das ihm der Augustus aufgebürdet hatte, und er blieb dort für zehn Jahre und besuchte Vorlesungen und ließ sich in die vornehmen Künste einweisen. So traf er auch Thrasyllus, meinen Urgroßvater.

    Als Tiberius nicht aufhörte, sich zu wundern, was ihm denn sein Leben noch bereithalten mochte, beschloss Thrasyllus, die von den Stoikern gesetzten Grenzen zu überschreiten. Unerlaubt drehte er das Räderwerk des OPUS GEMINIS, um das Schicksal des Imperators aus ihm abzulesen. Alsdann verkündete er, dereinst werde Tiberius den Purpurmantel anlegen und Kaiser sein. Da lachte Tiberius aber laut. Denn er war sicher, dass der Augustus seinen Purpur lieber einem Pferde vermachen würde als ihm. Darum beschloss er, meinen Urgroßvater als Betrüger bloßzustellen.

    In mancherlei Weise wird erzählt, wie er das anging. Ich gebe dir diese Erzählung so wieder, wie ich sie von meiner Mutter vernahm: Eines Tages kamen sie auf einen steilen Felsen hoch über dem Meer. Thrasyllus war gebeten worden, auch das OPUS GEMINI dorthin zu bringen, damit sie es gemeinsam studieren könnten. Diesen Ort jedoch hatte Tiberius insgeheim ausgesucht, um vorzugeben, mein Ahnherr solle direkt von den Klippen geworfen werden, sobald offenbar würde, dass ihn die Weisheit verließe. Und falls mein Urgroßvater um Gnade flehte, würde man ihn verhöhnen und ihm zeigen, dass weder seine Mathematischen Künste noch das Werk des Geminus ihm sein eigenes Schicksal offenbaren konnten. Deshalb fragte Tiberius nun scheinheilig, ob mein Ahnherr denn bestimmen könne, was ihm selbst zu dieser präzisen Stunde bevorstünde.

    Thrasyllus drehte das Räderwerk des OPUS GEMINIS und las daraus sein eigenes Schicksal. Alsdann sprach er voll Kummer und Schmerz: »Fürwahr, ich weiß, dass ein schweres Verhängnis über mir lastet! Doch am meisten bedrückt mich dies: Dein Leben ist mit dem meinen so eng verknüpft, dass du mich nur kurze Zeit überdauern wirst.«

    Da erschrak Tiberius sehr. Und er pries Thrasyllus’ Weisheit, umarmte ihn und nannte ihn seinen Freund und Lehrmeister. Und Thrasyllus sagte des Weiteren voraus, wann Tiberius abberufen würde, und wie er gesagt hatte, kam es: Bald traf ein Schiff ein, das Kunde vom Augustus brachte, der seinen Stiefsohn zurück in Roma brauchte. Also fuhr Tiberius heimwärts, und wie Thrasyllus vorhergesagt hatte, ernannte Augustus ihn alsbald zum Erbprinzen. Aber auch Thrasyllus ging mit nach Roma und wurde mit der römischen Staatsbürgerschaft belohnt. So wurde mein Ahnvater Tiberius Claudius Thrasyllus. Und so gelangte unser Haus zur Macht.

    Und Thrasyllus zeugte die folgenden Kinder: Tiberius Claudius Balbillus, meinen Großvater, und Claudia Thrasylla, meine Großtante. Und Rhodus sah er nie wieder. Aber das OPUS GEMINI sah er. Eine Zeit lang blieb es indes bei der Stoa, denn das Haus des Augustus hatte bereits ein anderes: Du weißt, dass es einmal mehrere gab, zwanzig oder sogar mehr. Ihre ältesten Geschwister schuf Archimedes von Syracusae auf der Insel Sicilia. Ihn kennt jeder, weil seine Beherrschung der Zahl bis heute unübertroffen ist. Auch schuf er Waffen, die Senator Marcellus und seine Legionen von den sycarusischen Mauern fern hielt, welche er drei lange Jahre belagerte. Und doch musste am Ende sogar das mächtige Syracusae sich vor Romas Stärke beugen, und das Leben des Archimedes ging zu Ende. Darauf nahm Marcellus zwei von dessen Werken nach Hause: eine Sphaera, einen Himmelsglobus, der im Großen Brand unter Nero zugrunde ging, und ein OPUS, das ein Erbstück seines Hauses wurde. Thrasyllus nannte es darum das OPUS MARCELLI. Und das geschah vor 370 Jahren, so überliefert Cicero, der das OPUS MARCELLI im Haus seiner Erben gesehen und darüber berichtet hat.

    Dies war auch der Weg, auf dem das Wissen, wie ein OPUS zu fertigen ist, nach Rhodus gelangte. Seit alters nämlich ist das Haus Marcelli mit dieser Insel verbunden, und sein Freund war Poseidonius, der andere größte Gelehrte der stoischen Schule, der noch vor Geminus lebte und alle Zweige der Wissenschaft unterrichtete. Ihm ward gestattet, das OPUS MARCELLI zu untersuchen und zu studieren, bis er gelernt hatte, es nachzubauen. Und er gründete seine Werkstatt auf Rhodus. Von Poseidonius lernte ein anderer Mann, wie man das Gesetzbuch des Kosmos in Erz schmiedet, und von diesem lernte es Geminus.

    In den Tagen des Thrasyllus aber heiratete ein junger Marcellus eine Tochter des erhabenen Augustus und machte seinem Schwiegervater das OPUS MARCELLI zum Geschenk, damit es einem Würdigeren diene. Und als Tiberius der Erbprinz wurde, entnahm er es dem Schatz des Augustus und gab es Thrasyllus zur Verwahrung, auf dass er von diesem den klügsten Rat betreffs der Wege der Sterne erhalten möge. So gewann unser Haus die Herrschaft über einen Mann, der Kaiser werden würde.

    Im siebenhundertzweiundsechzigsten Jahr nach der Gründung der Stadt ereignete sich jene unrühmliche Schlacht, die das Schicksals Romas im Norden bestimmte. Quinctilius Varus verlor sie und drei römische Legionen wurden von Arminius, dem Führer des Cheruscer, geschlagen. Da musste Tiberius eilen, um das Feuer des Krieges zu löschen, denn er galt als kundigster Kenner germanischer Lande: Kein anderer hatte mehr Zeit dort verbracht noch wusste die Barbaren klüger zu behandeln. Und mit Tiberius gingen sein Neffe, Germanicus, und mit ihnen gingen Thrasyllus und das OPUS MARCELLI.

    Doch der Augustus war alt, und schnell kam die Kunde, er werde bald sterben und brauche Tiberius zurück in Roma, auf dass der kaiserliche Purpur der Ordnung gemäß an ihn übergeben werde. So kehrte der Erbprinz denn heim, mein Ahnherr aber blieb im Norden, um Germanicus mit dem OPUS MARCELLI zu leiten. Und in jenen Tagen unterwies er Tiberius’ Neffen in der Sternkunde, und Germanicus übertrug die »Phaenomena« des Aratus in die lateinische Sprache, jenes so sehr gerühmte Gedicht, das die Ars Mathematica preist und das noch in unserer Zeit gelesen und geliebt wird.

    Auch Thrasyllus war mit ihm an Bord, als Germanicus’ Flotte den Ozean rund um Germania umschiffte, um Arminius aufzuspüren. Doch geschlagen wurde der Cheruscerfürst nicht. Und als es Zeit war, in die Winterlager zurückzukehren, überhörte Germanicus Thrasyllus’ Rat. Mein Ahnherr hatte nämlich dem Mahnen der Küstenbewohner gelauscht, die sagten, dass die Zeit der sicheren Schifffahrt geendet habe; aber Germanicus beachtete nie die Worte von Wilden. So kam es, dass seine Flotte kläglich vom Sturme verstreut und versenkt wurde. Wo Varus drei Legionen verloren hatte, verlor Germanicus acht, und viele Männer ertranken. Sein eigenes Flaggschiff durchlief große Mühen und erreichte die Küste der Chaucen und lief dort auf Grund und zerschellte. Auf diese Weise retteten Germanicus und Thrasyllus ihr Leben, doch das OPUS MARCELLI blieb im Wrack zurück und war verloren.

    Tiberius machte seinen Neffen für das unheilvolle Ende des Feldzugs verantwortlich wie für das Vergeuden unrettbarer Ressourcen. So kam es, dass kein Kaiser nach ihm mehr die ganze Germania beanspruchte, und Germanicus wurde einer anderen Aufgabe im entfernten Syria zugewiesen, wo er bald darauf starb. Einige sagen, dass Tiberius das so gewollt habe.

    Aber der Kaiser schickte auch nach dem OPUS GEMINI, um das verlorene Instrument zu ersetzen. Von da an las Thrasyllus aus diesem Gesetzbuch des Kosmos, und es wurde das Erbstück des Hauses Balbilli. Und als unser Ahnherr in hohem Alter starb, überlebte Tiberius ihn tatsächlich nur kurz, wie er vorausgesagt hatte.

    In unseren Tagen ist das OPUS GEMINI das letzte dieser genialen Werke. Denn Balbillus, mein Großvater, erkannte die Gefahr, die von jedem Mathematicus drohte, der ein anderes Gesetzbuch nutzen sollte, um Macht über die Mächtigen zu gewinnen. Darum befahl er im Namen des Kaisers, es möchten alle Geschwister des OPUS GEMINIS aufgespürt und eingeschmolzen werden. Und so geschah es. Alle wurden vernichtet außer einem: dem OPUS MARCELLI im Wrack von Germanicus’ Schlachtschiff, über dessen merkwürdiges Schicksal ich dir nächstes Mal noch berichten werde.

    Nun verfahre mit deinen Gesandten, wie es geziemt, o Neffe! Brauchst du noch mehr Beweise für ihre Abtrünnigkeit als den Bericht unseres treuen Mannes zu Nida, der sah, wie protzig jene am Hause des Archiaters von Nida vorfuhren, fürwahr, mit dem eigensten Gefährt unseres Feindes Victorinus, des Freundes der Kaiser und der Caesernii? Da sie mit unseren Gegnern gemeinsame Sache machen, sollst du dich nun nach Nida verfügen und dich ihrer annehmen.

    Doch tu es im Dunkeln, sonst wird Victorinus auf unsere Sache aufmerksam. Früher oder später werden sie das Dolichenum von Nida aufsuchen müssen, um neue Geldanweisungen gegen Münzen zu tauschen. Erwarte sie dort in der Rolle des Paters und von dort aus sende sie zu ihren Vorfahren.

    Dies verfüge ich am Dies Natalis, dem Tag, an dem wir die Toten ehren.

    Am V. Tag vor den Kalendas Aprilis.

    VALE!

    XXIIII

    HIRVTASALA

    NEVJA MATTIJA

    V TAGE BIS VOLLMOND

    Regen prasselte auf das Dach der Hirutasala, und die Versammlung germanischer Edelinge grölte in ihrem Saal.

    Ungeduldig wartete Adrianus darauf, dass er aus seiner Stube gerufen würde. Mit einem Handspiegel, der seinen Weg von der römischen auf die chattische Seite des Limes gefunden hatte, prüfte er, ob die drei Sklaven aus dem Volk der Lognai - Penzo, Hraban und Uido - auch die Falten seiner Tracht angemessen in Form gezupft hatten. Wie demütig sie um ihn herumgehuscht waren! Ganz anders als Herrn Großvaters Gesinde, das ihn nie richtig ernst genommen hatte. Als er den Spiegel drehte, um sein Gesicht zu betrachten, gefiel ihm der Eindruck nicht.

    »Ich sehe aus wie ein Wildschwein im Fellwechsel! Weshalb kann ich keine Chattica bekommen, um mich ordentlich zu färben? Wir sind doch schließlich Chattvarier.« Er ließ den Spiegel auf den Tisch fallen und nahm wieder einmal den Schlüsselbund heraus, um das kalte Metall in Händen zu drehen.

    Ganz ohne Zweifel war dies der Schlüsselsatz, der mit Herrn Großvater verloren gegangen war. Also musste Caius Iulius Restitutus im Lauf des letzten Jahres auf dem Dounobriga gewesen sein. Und er hatte den Berg auch wieder verlassen, sonst wäre Adrianus ihm begegnet. Die Schlüssel aber hätte er nicht freiwillig zurückgelassen, schon gar nicht bei einer wie Ramis. Also musste sie ihn gestohlen haben.

    Aber nicht von Herrn Großvater selbst. Sie hatte ihn vielmehr jemandem entwendet, der mit der Kopfjägerbande im Bunde war. Hier auf dem Dounobriga! Und nicht nur das: Ramis hatte sichtlich Angst, dass ihre Tat entdeckt werden könnte. Aber warum hätte jemand aus Nevja Mattija denn Herrn Großvater und die anderen Männer aus dem Sinus Imperii entführen sollen?

    Ganz zu schweigen von diesem Dummkopf Bellanco, inzwischen ohne ebendiesen. Wo war er eigentlich geblieben? Hatte Aurinas Zauberwald kürzlich eine zusätzliche Dekoration

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