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Der Sklavenkrieg: Roman
Der Sklavenkrieg: Roman
Der Sklavenkrieg: Roman
eBook497 Seiten6 Stunden

Der Sklavenkrieg: Roman

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Über dieses E-Book

Eine Gruppe entflohener Gladiatoren unter Führung des legendären Spartacus entfacht eine Revolte der Sklaven und Verarmten, die sich zu einer ernsten Bedrohung für das Römische Reich entwickelt. In diesem Sklavenkrieg bringt Spartacus das Weltreich an den Rand einer Niederlage, bevor Roms Legionen den Aufstand blutig niederschlagen. Arthur Koestler hat die tatsächliche Geschichte dieser antiken Rebellion zu einem eindrucksvollen Roman verdichtet, der auf zwei Ebenen spielt: Erzählt wird die Geschichte dieser frühen Revolution – aber mit dem Wissen um die Revolutionen des 20. Jahrhunderts, die als Aufbruch in die Freiheit begannen und in Gewalt und ­Unterdrückung endeten.
SpracheDeutsch
HerausgeberElsinor Verlag
Erscheinungsdatum3. Mai 2022
ISBN9783939483700
Der Sklavenkrieg: Roman

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    Buchvorschau

    Der Sklavenkrieg - Arthur Koestler

    Arthur Koestler

    Der Sklavenkrieg

    Roman

    Nach dem deutschen

    Originalmanuskript

    Mit einem Nachwort

    von

    Henry MacAdam

    INHALT

    Prolog: DIE DELPHINE

    Erstes Buch: DER AUFBRUCH

    1. Das Gasthaus

    2. Die Räuber

    3. Die Insel

    4. Der Krater

    5. Der Kugelköpfige

    Intermezzo: DIE DELPHINE

    Zweites Buch: DAS GESETZ DES UMWEGS

    1. Die Versammlung

    2. Untergang der Stadt Nola

    3. Der gerade Weg

    4. Die Wandlungen der Stadt Capua

    5. Der Umweg

    6. Die Erlebnisse des Advokaten Fulvius

    7. Die Chronik des Advokaten Fulvius

    Drittes Buch: DER SONNENSTAAT

    1. Hegio, ein Bürger der Stadt Thurium

    2. Der Einzug

    3. Gründung der Sklavenstadt

    4. Das Netz

    5. Der Neuling

    6. Die große Weltpolitik

    7. Das Heimweh

    8. Die roten Äderchen

    9. Untergang der Stadt Metapont

    10. Die höheren Gründe

    11. Die Entscheidung

    12. Das Ende der Sonnenstadt

    13. Die Heimkehr des verlorenen Sohnes

    Intermezzo: DIE DELPHINE

    Viertes Buch: DER UNTERGANG

    1. Die Schlacht am Garganus

    2. Talfahrt

    3. Die Grabsteine

    4. Die Begegnung

    5. Die Schlacht am Silarus

    6. Die Kreuze

    Epilog: DIE DELPHINE

    Quellennachweis und Textgestalt

    Nachwort

    «Sklavenkrieg» und «Gladiatoren»: Zwei Fassungen im Vergleich

    CHORFÜHRERIN: Doch zaudere nicht, geh an das Werk mit der Schärfe der Einsicht; denn je rascher ein Stück fortspielt, umso eher gewinnt es des Publikums Beifall.

    PRAXAGORA: Wohl bin ich gewiss, dass heilsam ist, was ich darlegen will; indessen ob das Publikum auch für den Fortschritt ist und nicht in dem alten, gewohnten Herkommen und Brauch viel lieber verweilt, das ist’s, was mich ernstlich besorgt macht … So spreche denn niemand gegen mich eher und störe unterbrechend den Vortrag, bis er ganz einsieht, wie der Plan ist, und den Redner bis zu Ende gehört hat.

    Aristophanes: Das Frauen-Parlament.

    PROLOG

    DIE DELPHINE

    Noch ist es Nacht.

    Noch haben die Hähne nicht gekräht.

    Doch der Amtsschreiber Quintus Apronius ist es gewohnt, dass der Beamte früher aus dem Bett muss als das Federvieh. Ächzend angelt er mit den Zehen nach seinen Sandalen auf der staubigen Bretterdiele. Die Sandalen stehen wieder verkehrt, mit den Spitzen zum Bett: erstes Ärgernis des Tages, wie viele werden noch folgen?

    Er schlürft zum Fenster, blickt in den Hof hinab, in den fünf Stockwerke tiefen Schacht des Mietshauses. Ein knochiges Weibsbild steigt die Feuerleiter empor: Pomponia, seine Haushälterin und einzige Sklavin, sie bringt das Frühstück und den Eimer mit heißem Wasser. Pünktlich, das muss man ihr lassen. Pünktlich, aber alt und knochig.

    Das Wasser ist lauwarm, das Frühstück ungenießbar: zweites Ärgernis. Doch da fallen ihm die Delphine ein, Glanz und Höhepunkt des Tages, der Vorgenuss streift lächelnd seine Züge. Pomponia schwatzt und zankt, während sie in der Stube herumwirtschaftet, seine Kleider säubert, beim Zurechtlegen der komplizierten Falten seiner Amtstracht hilft. Er schreitet die Feuerstiege hinab, würdevoll und ängstlich bedacht, den Saum des hochgerafften Gewandes nicht über die Sprossen zu schleifen; er weiß, dass Pomponia, den Besen in der Hand, ihm aus dem Fenster nachschaut.

    Nun ist er in der engen Gasse; der Morgen dämmert schon; den Rock immer hochgerafft, drückt er sich den Häuserwänden entlang, denn durch die Gasse fährt ein ununterbrochener Zug von Ochsen- und Pferdekarren, mit viel Geholper und Hütteho – tagsüber ist der Wagenverkehr in der ganzen Stadt Capua polizeilich verboten.

    Ecke Salbenmarkt und Fischmarkt begegnet ihm ein Trupp von Bauarbeitern. Es sind Gemeindesklaven, finstere Gestalten mit hartem Blick und unrasierten Gesichtern. Er drückt sich noch enger an die steinerne Fassade, presst das faltige Gewand ängstlich an die Hüften, murmelt Abschätziges. Zwei der Vorbeimarschierenden rempeln ihn an, achtlos und ohne sich zu entschuldigen. Der Amtsschreiber zittert vor Empörung, wagt aber nicht aufzumucken – die Leute tragen keine Fesseln, verfluchte neumodische Laxheit, und die Aufseher schlendern weit hinter dem Trupp.

    Endlich sind sie vorbei, Apronius kann seinen Weg fortsetzen; aber der Tag ist ihm verdorben. Die Zeiten werden immer bedrohlicher, fünf Jahre sind vergangen seit des großen Diktators Sulla Tod, seither ist die Welt wieder aus den Fugen. Sulla, das war ein Mann, der hatte es verstanden, Ordnung zu halten, die Plebs mit eiserner Faust niederzupressen. Ein ganzes Jahrhundert der revolutionären Wirren war ihm vorausgegangen: die Gracchen mit ihren verrückten Reformplänen, die schrecklichen Sklavenaufstände in Sizilien, der Terror des Pöbels unter Marius und Cinna, die die Sklaven Roms bewaffnet hatten und gegen die Adelspartei losließen. Hart am Abgrund stand damals die zivilisierte Welt, Sklaven, stinkend-stures Gesindel, besitzloses Proletariat, drohten die Macht an sich zu reißen, gaben vor, die Herren von morgen zu sein. Doch da war Sulla gekommen, der Retter, und riss das Steuer herum. Die Herrschaft des alten Adels stellte er wieder her, den Volkstribunen verbot er das Maul, den schlimmsten Hetzern schlug er die Köpfe ab, die Führer der Volkspartei verbannte er aus dem Land, jagte sie nach Spanien ins Exil. Die unentgeltliche Kornverteilung, diese Prämie für Arbeitsscheue und Tagediebe, schaffte er ab, eine neue, strenge Verfassung gab er dem Volk, für Jahrtausende und ewige Zeiten – aber dann wurde der große Sulla leider von der Läusesucht befallen, von der Ptyriasis, wie man sagte, und die Läuse frassen ihn auf.

    Fünf Jahre war das her – aber wie lange lag diese gute Zeit zurück! Die Welt ist aufs Neue voller Wirrnis und Bedrohung; wieder gibt es Gratiskorn für Faulenzer und Arbeitsscheue, Volkstribune und Demagogen dürfen blutrünstige Reden halten; die Aristokratie, ihres großen Führers beraubt, macht Konzessionen, schwankt hin und her, und die Canaille erhebt wieder ihr Haupt.

    Dem Amtsschreiber Quintus Apronius ist der Tag endgültig verdorben; nicht einmal der Gedanke an die Delphine, Glanz und Höhepunkt des Tages, heitert ihn auf. Da fällt sein Blick auf ein hölzernes Baugeländer, das die Scriptoren gerade mit einer neuen Anzeige schmücken. Es ist eine sehr feierliche Ankündigung, beinahe fertig schon: Obenauf befindet sich eine zinnoberrote Sonne, mit dem Pinsel gemalt, die Strahlen nach allen Richtungen aussendet; darunter beehrt sich der Fechtmeister Lentulus Batuatus, Inhaber der größten Gladiatorenschule in der Stadt, das hochgeehrte Capuaner Publicum zu einer Monstreveranstaltung einzuladen. Übermorgen bereits, am Tage des Minervafestes, werde das festliche Spiel stattfinden, und dies bei jedem Wetter; denn der Fechtmeister Batuatus werde, die großen Unkosten nicht scheuend, Sonnensegel spannen lassen, wohl geeignet, auch etwaigen Regen vom geehrten Publikum fernzuhalten; überdies werde in den Pausen auf den Tribünen Parfüm gesprengt.

    «Zittert und eilt herbei, Liebhaber der festlichen Spiele, ehrenwerte Bürger Capuas, die Ihr Zeugen der Kämpfe eines Pacidejanus, des hundertsechsfachen Siegers, wart und den unbesiegbaren Carpophore bewundert habt; versäumt nicht die einmalige Gelegenheit, die berühmten Fechter aus der Schule des Lentulus Batuatus kämpfen und sterben zu sehn.»

    Es folgt die Liste der kämpfenden Paare, die ziemlich lang ist; als Hauptattraktion ist der Kampf zwischen dem gallischen Fechtdoktor Crixus und dem thrakischen Ringträger Spartacus angekündigt. Außerdem erfährt man, dass 150 Neulinge AD GLADIUM, das heißt: Mann gegen Mann, 150 weitere AD BESTIARIUM, Mann gegen Tier, exponiert werden sollen. In der Mittagspause und während der Desinfektion der Arena werden Zwerge, Krüppel, Frauen und Clowns Scheingefechte aufführen. Vorverkauf der Eintrittskarten, zum Preise von 3 Ass bis zu 50 Sesterzien im Freibad des Hermios, beim Bäckermeister Titus sowie bei den autorisierten Theateragenten, die beim Eingang des Minervatempels zu finden sind. –

    Quintus Apronius murmelt Abschätziges vor sich hin: In Rom ist man längst zum System der Gratis-Spiele übergegangen, die ehrgeizige Politiker den Wählermassen offerieren; hier, in der rückständigen Provinz, muss jeder selbst für sein bisschen Vergnügen bezahlen. Er beschließt, den Festspielunternehmer Lentulus Batuatus, den er vom Sehen kennt, um Freikarten anzugehn; der Fechtmeister, einer der angesehensten Männer der Stadt, ist gleichfalls Stammgast bei den Delphinen, und Apronius hat sich längst vorgenommen, seine Bekanntschaft zu machen.

    Ein wenig aufgeheitert von diesem Entschluss, setzt der Amtsschreiber seinen Weg fort; wenige Minuten später ist er an seinem Ziel, in der Halle des Minervatempels angelangt, wo das Marktgericht tagt.

    Die Sonne geht auf, die Kollegen kommen, die kleinen Beamten zuerst, unausgeschlafen, mürrisch, ihrer Würde bewusst. Auch zwei Prozessparteien sind schon da, Händler, die einen Streit um einen Verkaufsstand auf dem Fischmarkt auszutragen haben; streng werden sie angewiesen, draußen zu warten, bis der Gerichtsdiener sie aufruft. Die Beamten gehen schläfrig in der Halle herum, rücken die Bänke zurecht, ordnen die Akten auf dem Präsidententisch. Quintus Apronius genießt ein gewisses Anseh[e]n unter seinen Kollegen, teils auf Grund seiner siebzehn Dienstjahre, teils weil sie wissen, dass er ehrenamtlicher Sekretär eines Geselligkeits- und Sterbekassenvereins ist.

    Auch jetzt nimmt er die Gelegenheit wahr, einen jüngeren Kollegen für den Verein zu werben, der sich «Verehrer der Diana und des Antinous» nennt; mit wohlwollender Herablassung setzt er ihm die Statuten auseinander. Neuaufgenommene haben ein Eintrittsgeld von 100 Sesterzen zu zahlen, der Jahresbeitrag beträgt 15 Sesterzen und wird in monatlichen Raten von 5 Ass entrichtet. Demgegenüber zahlt die Kasse zur Bestattung jedes verstorbenen Mitglieds 300 Sesterzen, Selbstmörder werden ausgeschlossen. Für das Leichengeleit werden 50 Sesterzen abgezogen und am Scheiterhaufen verteilt. Wer bei den geselligen Veranstaltungen Streit anfängt, zahlt vier Sesterzen Strafe, wer zu prügeln beginnt zwölf, wer den Vorsitzenden beleidigt zwanzig. Die Festschmäuse werden von je vier jährlich wechselnden Mitgliedern veranstaltet, welche Decken oder Pölster für die Speisesofas, heißes Wasser nebst Geschirr, außerdem vier Amphoren guten Wein und für jedes Mitglied ein Brot zu zwei Ass und vier Sardinen zu besorgen haben. Quintus Apronius hat sich warm geredet; aber der Kollege, anstatt sich geehrt zu fühlen, erklärt nur, er werde sich die Sache überlegen. Enttäuscht und verärgert wendet er dem Grünschnabel den Rücken zu.

    Endlich kommen auch die hohen und höheren Beamten, bis hinauf zum städtischen Ratsherrn, der das Amt des Marktrichters versieht. Gnädig verabschiedet er sein Gefolge, huldvoll nickt er Apronius zu, der ihm geschäftig den Stuhl zurechtrückt, noch einmal die Aktenstöße ordnet. Die Halle füllt sich mit Publikum und Parteien, die Verhandlung beginnt und damit des Apronius Hauptgeschäft und Lebensberuf: das Schreiben. Sein mürrisches Gesicht verklärt sich, genießerisch malt er Wort hinter Wort auf das appetitlich saubere Pergament; keiner hat eine so schön verschnörkelte Handschrift, keiner kann so flink und zuverlässig eine Verhandlung protokollieren wie Apronius, der in siebzehn Dienstjahren das unbedingte Vertrauen aller Vorgesetzten erworben hat. Die Parteien erhitzen sich, die Rechtsanwälte reden, Zeugen werden vernommen, Sachverständige befragt, immer neue Aktenstöße herbeigeschleppt, Paragraphen verlesen – all dies ist unwichtig und eigentlich nur Vorwand, um Apronius Gelegenheit zu geben, seine hohe Kunst des Protokollierens unter Beweis zu stellen; er ist die Hauptperson in diesem Saal, die andern nur Statisten. Als die Sonne im Zenith angelangt ist und der Gerichtsdiener den Schluss der Verhandlung verkündet, hat Apronius bereits vergessen, um was der Streit eigentlich ging; aber den ungewöhnlich geglückten Schnörkel, mit dem er die Rede des Angeklagten schloss, sieht er noch hinter geschlossenen Augen. –

    Er packt die Akten zusammen, grüßt ehrerbietig den Ratsherrn, herablassend die Kollegen; das faltige Gewand an die Hüfte gerafft, entschreitet er der Stätte seiner offiziellen Tätigkeit. Sein Weg führt in das oskische Viertel, in die Taverne «Zum Kelch», wo die «Verehrer der Diana und des Antinous» einen besonderen Tisch mit der Vereinsstandarte besitzen, und wo Apronius in den letzten sieben Jahren, seit dem Tag, da er zum Ersten Schreiber des Marktgerichtes avanciert ist, sein Mittagsmahl einnimmt; ein Mahl, das vom Patron persönlich nach einer besonderen ärztlichen Diät – denn Apronius ist magenleidend – bereitet wird, ohne Preiszuschlag.

    Das Mahl ist beendet, Apronius überwacht die Säuberung der zu seinem persönlichen Gebrauch reservierten Mundschale, knipst die Brotkrümmel von der Kleidung, entschreitet der Taverne «Zum Kelch», begibt sich zu den neuen Thermen.

    Auch hier wird der Stammgast vom Badediener respektvoll begrüßt, er händigt ihm den Schlüssel des für Apronius reservierten Garderobeschrankes aus, nimmt, nachsichtig lächelnd, sein Trinkgeld von 2 Ass in Empfang. In der großen Marmorhalle herrscht, wie immer, reges Leben, schwatzende Gruppen stehen herum, Grüße und Neuigkeiten werden getauscht, unter den Wandelbögen halten Gelegenheitsrhetoren, ehrgeizige Poeten und andere Herumlungerer ihre Vorträge, von den Zuhörern durch Zwischenrufe, Beifall und Gelächter unterbrochen. Apronius liebt es, vor den mannigfachen körperlichen Genüssen des Bades sich den Geist anregen zu lassen, er gesellt sich zu dieser und jener Gruppe, hört mit halbem Ohr einige Sätze aus einem Vortrag gegen Abtreibung und Geburtenrückgang; er wendet einem zweiten Redner, der einen unanständigen Witz erzählt, gleich nachdem die Pointe verklungen ist, empört den Rücken zu; wandelt, mit hochgerafftem Kleid, zu einer dritten Gruppe. Ein dicker Grundstückmakler und Spekulant, der ein kleines Winkel-Bankgeschäft im oskischen Viertel betreibt, sucht hier Kunden zu werben, indem er die Anteilscheine einer neuen Harzgewinnungskompanie im Bruttium anpreist. Dringlich und aus purer Menschenfreundlichkeit rät er dem Zuhörer, unbedingt zu kaufen, Harz ist gut, Harz ist die Zukunft, die Anteilscheine werden bestimmt hohen Gewinn abwerfen. Apronius verzieht das Gesicht, murmelt Abschätziges, geht weiter. Ein einziges Mal in seinem Leben hat er zu spekulieren versucht, vor sieben Jahren: Damals hat er Anteilscheine einer asiatischen Steuerpachtkompanie gekauft, – aber Sulla hatte die Kompanie aufgelöst, die Papiere verloren von heute auf morgen ihren Wert und die kleinen Leute hatten das Nachsehn. Das war übrigens die einzige Handlung des großen Diktators, mit der Apronius sich niemals ganz abfinden konnte.

    – Die größte Zuhörergruppe, ein richtiger Auflauf, umgibt natürlich wieder den Schriftsteller und Winkeladvokaten Fulvius, den üblen, staatsgefährlichen Hetzer. Apronius hat allerlei über den kleinen, unansehnlichen Mann mit der verbeulten Glatze erzählen gehört; er soll früher eine wichtige Rolle in der Demokratenpartei gespielt haben, aber wegen seines anrüchigen Radikalismus kaltgestellt worden sein. Seither lebt er hier in Capua, in einer armseligen Mansardenstube, und hetzt das Volk auf gegen die von Sulla hinterlassene Ordnung der Dinge. Dabei spricht dieser Fulvius so trocken und gelassen, als lese er Kochrezepte vor – und doch können die Narren nicht genug bekommen davon. Widerwillig, mit gerafftem Kleide, zwängt sich Apronius in die Zuhörermenge; er tut es nicht aus Neugier, sondern weil er weiß, dass Ärger vor dem Bade seiner Verdauung bekömmlich ist.

    – Die römische Republik ist dem Tode geweiht –, verkündet der Advokat im Tone einer lehrhaft-trockenen Konstatierung. Ein Bauernstaat ist Rom einst gewesen, aber die Bauernschaft ist ausgeblutet, der Staat ein leerer Schlauch. Die Welt hat sich ausgeweitet, billiges Getreide aus den überseeischen Provinzen wurde importiert, der Bauer ging zugrunde, musste seinen Acker verkaufen und betteln gehn. Die Welt hatte sich ausgeweitet, billige Sklaven aus allen Ländern wurden importiert: Der Handwerker ging zugrunde, der Tagelöhner musste betteln gehn. Rom erstickte in Getreide, es verfaulte in den Speichern, für die Armen gab es kein Brot. Rom erstickte in Arbeitshänden, sie streckten sich zum Betteln oder ballten sich zur Faust, es gab keine Arbeit. Es war ein Fehler im System der Verteilung, die Ordnung der Wirtschaft hatte sich der Ausdehnung der Welt nicht angepasst, war in den alten Formen erstarrt, sie musste zugrunde gehn. Eine neue Ordnung musste kommen, das war seit fast einem Jahrhundert allen denkenden Köpfen klar. Aber wo solche Weisheit sich zeigte, da wurde sie abgehackt, mitsamt dem Kopfe, der sie barg.

    «Wir leben», konstatiert Fulvius und streicht sich bedächtig die verbeulte Glatze, «in einem Jahrhundert der missglückten Revolutionen …»

    Nun aber hat der Amtsschreiber Quintus Apronius genug. Das geht zu weit, das rührt ja an die Grundfesten der menschlichen Gesittung. Zitternd vor Empörung und dennoch nicht ganz unbefriedigt – denn er merkt, der Ärger hat die heimlich beabsichtigte Wirkung erreicht – begibt sich Quintus Apronius endlich in das Innere der Thermen. Die erste Etappe ist der Saal mit den Delphinen.

    Es ist dies ein heller, freundlich-ernster, ganz mit Marmor ausgekleideter Raum, an dessen Wänden zweckmäßig konstruierte marmorne Thronsessel stehn, die Armlehnen von Künstlerhand in Delphinenform gemeißelt. Sie dienen der geselligen Unterhaltung von Nachbar zu Nachbar, dem geruhsamen Schwatz und geistigen Meinungsaustausch, während der Leib gleichzeitig dem stofflichen Austausch obliegt und sich, gleich dem Geiste, ausgiebig verhält; denn beide Tätigkeiten sinnvoll zu verbinden, ist die Bestimmung des Saales der Delphine.

    Der Ärger des Amtsschreibers Quintus Apronius macht einer festlichen Stimmung Platz; und seine Freude wird noch erhöht, da er auf einem der Delphin-Thröne die wohlbeleibte Gestalt des Lentulus Batuatus erblickt, des Inhabers der Gladiatorenschule, von dem er Freikarten für die kommenden Spiele erbitten will. Neben ihm ist gerade ein Marmorsessel frei geworden; Apronius rafft umständlich sein Kleid hoch, nimmt mit einem Seufzer der Befriedigung Platz und streicht zärtlich mit der Hand über den marmorglatten Kopf der Delphine.

    Der Ärger mit dem Revolutionär hat in der Tat eine vorzügliche Wirkung gehabt. Während Apronius mit andächtiger Ergriffenheit den Delphinen sein Opfer darbringt, beobachtet er verstohlen seinen Nachbarn. Indes der Fechtmeister ist schlechter Laune; auch scheint ihm in körperlicher Hinsicht nicht alles wie beabsichtigt zu gelingen. Endlich fasst sich Apronius ein Herz; die Hauptsache im Leben, meint er mit einem teilnahmsvollen Seufzer, sei doch eine gutgeregelte Verdauung; seit längerer Zeit bereits beschäftige ihn der Gedanke, dem er, sobald er Zeit dazu fände, auch in einer kleinen philosophischen Schrift Ausdruck geben möchte: dass nämlich alle aufrührerische Gesinnung und aller revolutionärer Fanatismus letzten Endes auf eine ungeregelte Verdauung, genauer gesprochen, auf chronische Konstipation, zurückzuführen sei.

    Der Festspielunternehmer sieht ihn flüchtig an, nickt mit dem Kopf; das könne wohl wahr sein, meint er düster.

    – Ganz gewiss sei es wahr, ereifert sich Apronius; und er vermesse sich, mit Hilfe seiner Theorie so manchen historischen Vorgang einfach und zwangslos zu erklären, den die Philosophen aufbauschten, um die Menschen aufzuhetzen.

    Doch trotz allen Eifers gelingt es ihm nicht, seinen Nachbarn aufzumuntern. – Er jedenfalls, meint der Unternehmer, habe seinen Leuten immer anständig zu essen gegeben, ihre Diät und körperliche Condition von den besten Doctoren überwachen lassen, und dennoch hätten sie all seine kostspieligen Bemühungen mit dem hässlichsten Undank heimgezahlt.

    – Ob er wohl geschäftlichen Ärger habe, erkundigt sich Apronius teilnahmsvoll, und fühlt zugleich die Hoffnung auf die Freikarte sich vermindern.

    – Und ob, seufzt der Unternehmer, es habe ja doch keinen Sinn mehr, die Sache zu verheimlichen: Siebzig seiner besten Fechter seien heute Nacht aus der Anstalt ausgebrochen und hätten sich davongemacht; trotz aller Bemühungen habe die Polizei bisher ihre Spur nicht finden können.

    – Das sei allerdings furchtbar, meint Apronius; und es sei überhaupt nicht abzusehn, wohin all das noch führen sollte, wenn nicht wieder ein starker Mann, wie Sulla einer war, der Canaille die gepanzerte Faust zeigt.

    «Wem sagen Sie das?», stimmt der Unternehmer ein und lässt seinem verhaltenen Ärger nunmehr freien Lauf; bekümmert klagt der wohlbeleibte Mann, der unter allen Mitbürgern als Muster geschäftlicher Solidität gilt, über die Zeiten und den schlechten Geschäftsgang. Der Gerichtsschreiber Quintus Apronius hört ihm respektvoll zu, den Oberkörper lauschend vorgeneigt, das hochgeraffte Gewand zwischen den gespreizten Fingerspitzen; er weiß, dass Lentulus nicht nur als Unternehmer hohes Ansehen genießt, sondern auch eine beachtliche politische Karriere in Rom hinter sich hat.

    Er kam erst vor zwei Jahren nach Capua, und doch genießt die Gladiatorenschule, die er hier gründete, bereits einen anerkannt erstklassigen Ruf; seine Geschäftsbeziehungen umspannen Italien und die Provinzen; seine Agenten kaufen das Rohmaterial auf dem Deli’schen Sklavenmarkt und liefern es, ein Jahr später, als mustergültig ausgebildete Fechter nach Spanien, Sizilien und an die asiatischen Höfe. Es war die angeborene Solidität des Lentulus, die ihm zu diesen Erfolgen verhalf: Sein Institut beschäftigte die besten Fechtdoktoren als Lehrer, er hielt Fachärzte zur Überwachung von Diät und Training der Fechter; vor allem aber verstand er es, seinen Leuten als eiserne Regel der Berufsehre einzuprägen, dass sie, besiegt, niemals um Pardon baten und die Exekution in guter Haltung hinnahmen, ohne durch allerlei Getue die Zuschauer zu degoutieren.

    «Leben ist keine Kunst – aber das Sterben will gelernt sein», ermahnte er immer wieder pedantisch seine Leute. Und in der Tat erzielten die Fechter Lentulus’scher Herkunft, um ihres berühmt stilvollen Sterbens willen, durchschnittlich um 50 Prozent höhere Einnahmen in der Arena als Gladiatoren aus einer beliebigen anderen Schule. –

    Und dennoch hat auch Lentulus unter den unerfreulichen Zeiten zu leiden; teilnahmsvoll und geschmeichelt lauscht der Amtsschreiber der Klage des großen Mannes:

    «Sehen Sie, mein Geschätzter», erklärt ihm Lentulus, «das gesamte Festspielgewerbe macht gegenwärtig eine Krise durch, die das Publikum verschuldet hat. Es schätzt immer weniger das gute, sorgfältig durchgearbeitete Material und die unglaublichen Mühen und Kosten, die darin stecken, und ist stattdessen auf unsinnige Massenschlächtereien erpicht. Die Quantität verdrängt die Qualität; das Publikum verlangt, dass jede größere Veranstaltung mit einer dieser widerlichen Tierhatzen abschließt. Haben Sie sich einmal überlegt, was das für den Unternehmer bedeutet? Sehr einfach: Bei der klassischen Spielart ad gladium, das heißt Mann gegen Mann, beträgt der Materialverbrauch naturgemäß Eins von Zwei oder fünfzig Prozent; nehmen Sie noch einen Sicherheitskoeffizienten von zehn Prozent dazu, für Verwundungen mit letalem Abgang post festum, so kommen wir insgesamt auf einen Materialverschleiß von 60 Prozent pro Veranstaltung. Schön und gut – das ist die klassische Kalkulation, darauf basiert unsere Bilanz.

    Nun aber kommt das Publikum und verlangt von mir Tierhatzen; es ist durchaus aufs Malerische erpicht und macht sich natürlich keine Gedanken darüber, dass ein Exponieren der Leute ad bestiarium den Materialverschleiß auf 85 bis 90 Prozent pro Veranstaltung erhöht. Vor ein paar Tagen erst hat der Hauslehrer meines Sohnes, ein vorzüglicher Mathematiker, ausgerechnet, dass die Chance auch der besten Fechter, die dreijährige Dienstzeit zu überleben, sich wie die Eins zur Fünfundzwanzig verhält. Für den Unternehmer bedeutet das logischerweise, dass er die gesamten Ausbildungskosten des Mannes in durchschnittlich einseinhalb bis zwei Schaustellungen amortisieren muss.

    Sie, das Publikum, die Außenstehenden glauben natürlich, dass die Arena eine Goldgrube ist», sagt Lentulus mit einem bitteren Lächeln. «Sie werden staunen, wenn ich Ihnen verrate, dass sich das Unternehmen, solide geführt, zu höchstens 10 Prozent im Jahre verzinst; sodass ich mich oft wirklich frage, warum ich mein Geld nicht lieber in Grundstücken anlege oder gleich Bauer werde, wo doch der schlechteste Acker immer noch seine 6 Prozent pro anno abwirft …»

    Apronius sieht die Hoffnung auf die Freikarte begraben; und dabei werden offenbar noch teilnahmsvolle Worte von ihm erwartet. «Nun, die fünfzig Ausreißer werden sich wohl noch verschmerzen lassen», meint er ermunternd.

    – «Siebzig», korrigiert der Unternehmer erbittert. «Und siebzig der Besten dazu. Darunter Crixus, mein gallischer Fechtdoktor, Sie haben ihn sicher schon arbeiten gesehn, ein finsterer, schwerer Mann mit einem Seehundskopf und langsamen, gefährlichen Bewegungen. Den kann ich jetzt abschreiben. Und Castus, das Bürschchen, gewandt, verschlagen, tückisch wie eine Hyäne. Und noch eine ganze Anzahl vorzüglicher Leute: Ursus, ein Riese, Spartacus, eine ruhige, sympathische Erscheinung, der immer ein hübsches Fell um die Schultern trug, Oenomaus, ein sehr begabter Debutant, et cetera, et cetera. Erstklassiges Material, wie ich Ihnen versichern kann, und durchaus traitable Leute.» Die Stimme des Unternehmers nimmt, da er von seinen verlorenen Leuten spricht, einen geradezu elegischen Tonfall an. «Jetzt stehe ich da und werde die Eintrittspreise um die Hälfte ermäßigen müssen; dabei wurden ohnehin schon mehrere hundert Billette an Claque und Freikartenbettler verteilt.»

    Quintus Apronius schluckt und beeilt sich, das Gespräch auf eine mehr allgemein-philosophische Ebene zu bringen. Es müsse doch komisch sein, meint er, wie diese Fechter von Veranstaltung zu Veranstaltung so dahinlebten und dabei ständig damit rechnen müssten, beim nächsten Mal auf der Strecke zu bleiben. Er könne sich schwerlich in die Stimmung so einer Kreatur hineindenken. –

    Lentulus lächelt überlegen, er ist es gewöhnt, dass Laien immer wieder dergleichen Fragen an ihn stellen.

    «Man gewöhnt sich daran», sagt er. «Sie, als Beamter, wissen gar nicht, wie rasch sich der Mensch an die ungewöhnlichsten Lebensbedingungen gewöhnt. Es ist eben wie im Krieg; und schließlich kann jeden von uns täglich das Schicksal ereilen. Übrigens sind die Leute mit ihrer gesicherten Unterkunft und der guten, gesunden Verpflegung weit besser daran als Unsereiner, auf dem die ganze Verantwortung lastet, die täglichen Sorgen, der geschäftliche Ärger. Sie können mir glauben, dass ich meine Pensionäre oft geradezu beneide.»

    Apronius bestätigt durch eifriges Kopfnicken, dass das Leben der Pensionäre bei solcher Behandlung durchaus nicht so ohne sein müsse.

    «Aber, sehen Sie, der Mensch ist eben niemals mit seinem Los zufrieden. Das scheint nun einmal in seiner Natur zu liegen», fährt der Unternehmer in seinen pessimistischen Betrachtungen fort. Besonders in den letzten Tagen vor einer größeren Veranstaltung bemächtige sich der Pensionäre immer eine gewisse Unruhe, und es würden wohl auch allerlei dumme Redensarten geführt. Diesmal habe es sich noch dazu in der Anstalt herumgesprochen, dass auf Wunsch des Publikums das Unternehmen sich gezwungen sehe, die überlebenden Pensionäre nach bestandenem Kampf nochmals ad bestiarium zu exponieren. Das sei den Leuten natürlich sehr gegen den Strich gegangen, es sei zu geradezu peinlichen Szenen gekommen, und gestern Nacht sei dann, auf vorläufig ungeklärte Weise, der genannte Zwischenfall passiert.

    Obwohl er selbst, Lentulus Batuatus, natürlich der am schwersten Betroffene sei, könne er nicht umhin, den Unwillen der Leute bis zu einem gewissen Grade verständlich zu finden. Denn in der Tat, mehr noch als durch die geschäftliche Seite sei er vom Treiben der Zuschauer angewidert. Da sei etwa jüngstens der Aberglaube aufgekommen, dass frisches Gladiatorenblut eine heilkräftige Wirkung auf gewisse Frauenkrankheiten ausübe – und was für Szenen sich seither in der Arena abspielten, das zu beschreiben wolle er sich und dem geschätzten Freunde lieber ersparen. Sein körperliches Befinden aber habe durch all diese Dinge dermaßen gelitten, dass er das Wort «Blut» überhaupt nicht mehr hören könne, ohne Übelkeit zu empfinden, und auf Anraten seines Arztes ernstlich erwägen müsse, sich demnächst einer Kaltwasserkur in Bajä oder Pompeji zu unterziehn. –

    Der Fechtmeister verstummt und deutet mit einer resignierten Handbewegung an, dass alles hoffnungslos verfahren sei; was sich sowohl auf die Erfolglosigkeit seiner leiblichen Bemühungen wie auch auf den allgemeinen Zustand der Welt beziehen kann.

    Apronius sieht ein, dass bei dem Manne heute nichts zu erreichen ist; enttäuscht erhebt er sich von seinem Marmorthron, ordnet seine Gewandung, verabschiedet sich vom Unternehmer. Auch während des Abendmahls in der Taverne «Zum Kelch» bleibt Apronius verstimmt und nachdenklich; er vergisst sogar, die Reinigung seiner Mundschale zu überwachen.

    Dunkelheit füllt bereits die Straßenschluchten des oskischen Viertels; er tritt den Heimweg an. Nicht einen Augenblick verlässt ihn das Bewusstsein, dass er um seine Hoffnung auf die Freikarte geprellt worden ist. Bitterkeit schnürt ihm die Kehle zu, während er mit gerafftem Gewand die Feuertreppe zu seiner Wohnung emporsteigt: ausgesperrt ist man von der Tafel des Lebens, was nützen die siebzehn Dienstjahre, nicht einmal Brosamen fallen ab.

    Mechanisch streift er die Kleider vom mageren Körper, breitet sie in den gewohnten Falten über den dreibeinigen, wackligen Stuhl, löscht das Licht. Von der Straße hallen im Gleichtakt trappende Schritte herauf: es sind die Bausklaven, die von der Arbeit heimkehren. Er sieht ihre finsteren, sturen Gesichter, wie sie ihn zur Seite stießen und weitergingen, ohne sich zu entschuldigen.

    Der Amtsschreiber Quintus Apronius starrt traurig in die Nacht seines Schlafzimmers. Dazu also die Plackerei eines arbeitsreichen Lebens, Ärger im Dienst, Sparsamkeit und Fleiß? Soll man da noch an die Götter glauben?

    Seit den Tagen seiner Kindheit war Apronius das Weinen nicht mehr so nahe wie jetzt. Er wartet vergeblich auf den Schlaf und fürchtet sich vor den Träumen, die da kommen werden. Denn er weiß, es werden böse, hässliche Träume sein. –

    ERSTES BUCH

    DER AUFBRUCH

    I.

    DAS GASTHAUS

    Eine endlose Prozession von Meilensteinen, Bäumen und Ruhebänken, zog die appische Heerstraße nach dem Süden. Sie war mit großen, quadratischen Blöcken gepflastert und, wie eine Rennbahn, nach beiden Seiten von steinernen Böschungen flankiert. An den Böschungen liefen streckenweise Kakteenhecken entlang; Stein und Gewächs waren von einer trägen, mehligen Staubschicht bedeckt. Es war still und sehr heiß.

    Beim zweiten Meilenstein südlich von Capua stand das Gasthaus des Fannius. Es war Hochsaison, aber die Wirtsstube war leer. Es waren schlechte, unsichere Zeiten, wer nicht musste, reiste nicht; Rotten von Gesindel und Wegelagerern trieben sich im Lande herum, machten die Verkehrswege unsicher. Seit Mittag hatte sich kein Kunde auf der Chaussee gezeigt, zwei aristokratische Reisegesellschaften ausgenommen, die zur Kur in das Seebad von Bajä fuhren; und für die existierte Fannios bescheidenes Gasthaus nicht.

    Fannio stand hinter dem Schanktisch und ließ sich vom Buchhalter die Rechnungen vorlesen. Die Stube war vom beizenden Rauch der Küche gefüllt, es roch nach Thymian und Zwiebeln; zwei geschminkte Kellnerinnen würfelten an einem Tisch um den nächsten Kunden. Die männliche Bedienung – Fannio hielt grobknochige, handfeste Knechte, die allen Eventualitäten gewachsen waren – war in den Ställen beschäftigt oder schlief, unter einem Schwarm von Fliegen, im Schatten des Hofes ihren Mittagsschlaf.

    Lärm quoll von der Chausseeeinfahrt herein. Als Fannius aufstand, um nachzusehn, wurde die Tür schon aufgestoßen und ein Rudel von Menschen drängte herein. Es mochten ihrer vierzig sein oder fünfzig, die Stube war gleich voll von ihnen. Sie trugen merkwürdige Sachen bei sich, wie man sie bei den Fechtern im Circus sehen konnte. Die meisten waren ziemlich verschüchtert und vollführten ein überflüssiges Gelärm und Gelächter. Einer trug anstatt vernünftiger Kleider ein Fell über die Schulter geworfen. Sie standen unbehaglich in der Schankstube herum und schielten nach den Mägden. Einer verlangte, dass man im Hof für sie decke.

    Fannius sah sich die Leute an und ließ, ohne besondere Eile, Bänke und Stühle in den Hof tragen. Draußen stand ein großer, hufeisenförmiger Tisch. Die Kellnerinnen befeuchteten ihre Augenbrauen, schnitten sich Grimassen und begannen den Tisch zu decken. Die Gäste nahmen Platz, es herrschte erwartungsvolle Stille. Es waren auch einige Frauen unter ihnen. Obenauf saß ein Dicker, mit hängendem Schnauzbart und Fischaugen; er trug eine silberne Halskette und sah aus wie ein trauriger Seehund. Die Kellnerinnen kamen und gingen, sie stellten Krüge und Becher auf den Tisch. Der Dicke fuhr langsam mit dem Ellenbogen über den Tisch und fegte alles hinunter.

    «Weg», sagte er, «wir wollen ein Fass haben.»

    Die Tonkrüge zersplitterten auf dem Hofpflaster, die Gesellschaft lachte. Eine von den Frauen, eine schmale, dunkle, fast noch ein Kind, trommelte mit den Fäusten auf den Tisch.

    Fannius ging langsam zu dem Dicken; hinter ihm standen die stiernackigen Knechte wie eine Mauer. Er berührte den Dicken am Arm und alles verstummte. Fannius hatte nur ein Auge, das andere war ausgelaufen; er war untersetzt und sehr breit. Er sah nachdenklich an den Gästen entlang. «Welcher Circus hat euch beurlaubt?» fragte er.

    Der Dicke nahm die Hand Fannios von seinem Arm und sagte: «Wer viel fragt, hat bald die Ohren voll. Jetzt wollen wir unser Fass haben.»

    Fannius stand eine Weile da und sah die Gäste an. Die Gäste sahen Fannius an und schwiegen. Das Schweigen dauerte ziemlich lange; dann winkte Fannius mit dem Auge und die Knechte rollten das Fass heran. Der Spund wurde eingeschlagen und Fannius ging weg. Die Mägde kamen wieder, um die Becher zu füllen, aber die Gäste umdrängten das Fass und bedienten sich selbst. Dann verlangten sie zu essen. Die Mägde trugen die Schüsseln auf und die Gäste aßen und tranken. Sie wurden sehr lustig. Die stiernackigen Knechte standen nebeneinander an der Mauer und sahen zu.

    Als es zu dunkeln begann, rief der Dicke nach dem Wirt. Fannius kam herbei. Mehrere der Gäste schliefen an den Tisch gelehnt und einige hatten die Mägde auf dem Schoß; die Mägde waren jetzt auch sehr lustig. Der Dicke, der noch ebenso trübe dreinsah wie vorher, sagte, Fannius sollte für die ganze Gesellschaft Nachtquartier bereiten. Mehrere Gäste riefen dazwischen, dass man weitergehen müsse. Der Dicke sagte, man könne hier ebenso gut nächtigen wie anderswo. Fannius schwieg. Die Schmale, Dunkelhaarige rief, der Dicke habe recht und man könne Wachen ausstellen vor der Einfahrt. Der Dicke sagte, man habe jetzt genug geredet und der Wirt solle die Schlafstellen bereit machen. Fannius erwiderte, er habe keine Schlafstellen und die Gäste sollten jetzt bezahlen und sich davonmachen.

    Die Gäste schwiegen. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, sagte der mit dem Fell zu Fannius, er solle keine Angst haben, sie hätten genug Geld bei sich. Er hatte ein breites, nicht unfreundliches Gesicht mit vielen Sommersprossen und den eckigen Gliederbau eines Holzfällers; er saß auch auf Holzfällerart, die Ellenbogen bedächtig auf die Knie gestützt. Fannius sah ihn an und der mit dem Fell sah Fannius an und Fannius wandte die Augen ab. Ein Jüngerer unter den Gästen, ein schmächtiges Bürschlein, lachte unangenehm und warf Fannius einen Beutel zu. Fannius hob den Beutel auf und sagte, die Gäste sollten sich jetzt davonmachen. Die Gäste schwiegen. Fannius wartete ein wenig, dann winkte er mit dem Auge und die stiernackigen Knechte kamen etwas näher. Der Dicke erhob sich und Fannius wich etwas zurück. Sie standen Bauch an Bauch. Fannius sah den Dicken an und sagte, er sei schon mit anderen Banditen fertig geworden. Er packte sehr rasch und geschickt zu, aber der Dicke stieß ihn mit dem Knie vor die Geschlechtsteile und der Wirt flog gegen die Mauer, wo er wimmernd liegen blieb.

    Einer von den Knechten machte eine Bewegung mit dem Arm und sie gingen auf den Dicken los. Die Schläfer erwachten und die Mägde kreischten. Die Dreibeine zersplitterten krachend und das Aufschlagen der Krüge klang dumpf in das Splittern der Knochen, an denen sie zerschellten. Aber die merkwürdigen Waffen der Gäste waren den Knüppeln der Knechte überlegen, und das Ganze dauerte nicht lange.

    Es herrschte große Unordnung auf dem Hofe. Die Knechte wurden vor dem Schuppen zusammengetrieben. Die Kellnerinnen legten Verbände an, aber bei Zweien von den Knechten half es nichts mehr. Man schaffte sie fort. Die Gäste standen unschlüssig auf dem Hof herum, lachten und beschimpften die Knechte. Die Knechte schwiegen. Einige blickten auf Fannius, der an die Mauer gelehnt saß und sich die Geschlechtsteile hielt.

    Das schmächtige Bürschlein ging, sich in der Hüfte wiegend, zu Fannius und beugte sich über ihn. Fannius wandte den Kopf weg und spuckte aus. Das Bürschchen stieß Fannius mit der Fußspitze leicht in die Seite. Fannius hatte Brechreiz. «Erst ist dir ein Auge ausgelaufen und jetzt etwas anderes», sagte das Bürschchen. «Das kommt davon, wenn man immer Händel sucht, und dann noch ausgerechnet mit Crixus.» Er lachte und klopfte dem Dicken auf den Bauch. Aber der Dicke, den er Crixus genannt hatte, lachte nicht. Er sah drein wie ein trauriger Seehund, mit hängendem Schnauzbart und trübem Blick.

    Die Knechte standen vor dem Schuppen, wo man sie zusammengetrieben hatte, und schwiegen. Einige von den Gästen standen mit ihren Waffen daneben und bewachten sie. Der mit dem Fell ging über den Hof zu den Knechten und blieb vor ihnen stehn. Alle auf dem Hof sahen hin. «Was fangen wir jetzt an mit euch?», sagte der mit dem Fell zu den Knechten.

    Die Knechte sahen ihn an. Er hatte ruhige, aufmerksame Augen, das gefiel ihnen.

    «Was seid ihr denn für welche?», fragte einer von den Knechten.

    «Rate mal», rief das Bürschlein, «wahrscheinlich Senatoren.»

    Einer von den Knechten sagte:

    «Unseretwegen könnt ihr ja hier nächtigen, wenn ihr euch morgen davonmacht.»

    «Wir danken für die Erlaubnis», sagte der mit dem Fell und lächelte. Alle lachten, auch

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