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Zwanzig Jahre nachher - Erster Band
Zwanzig Jahre nachher - Erster Band
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eBook296 Seiten4 Stunden

Zwanzig Jahre nachher - Erster Band

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Über dieses E-Book

"Zwanzig Jahre nachher" ist der erste Folgeband des Romans "Die drei Musketiere" von Alexandre Dumas. Er ist der zweite Teil einer Trilogie über d’Artagnan und seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis. Der Titel des zweiten Folgebands lautet "Zehn Jahre später".
SpracheDeutsch
HerausgeberPaperless
Erscheinungsdatum27. Aug. 2015
ISBN9786050410259
Zwanzig Jahre nachher - Erster Band
Autor

Alexandre Dumas

Alexandre Dumas (1802-1870), one of the most universally read French authors, is best known for his extravagantly adventurous historical novels. As a young man, Dumas emerged as a successful playwright and had considerable involvement in the Parisian theater scene. It was his swashbuckling historical novels that brought worldwide fame to Dumas. Among his most loved works are The Three Musketeers (1844), and The Count of Monte Cristo (1846). He wrote more than 250 books, both Fiction and Non-Fiction, during his lifetime.

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    Buchvorschau

    Zwanzig Jahre nachher - Erster Band - Alexandre Dumas

    Richelieus Schatten

    In einem Zimmer des ehemaligen Palais Kardinal saß an einem mit Papieren und Büchern bedeckten Tisch ein Mann, den Kopf in beide Hände gestützt. Hinter ihm war ein gewaltiger Kamin, dessen Glut das prachtvolle Gewand dieses Träumers von hinten beleuchtete, während das Licht eines mit Kerzen besteckten Kandelabers ihn von vorn bestrahlte.

    Beim Anblick dieses roten Hausrockes und dieser reichen Spitzen, dieser bleichen, nachsinnend gebeugten Stirne, bei der Stille in den Vorzimmern und dem abgemessenen Tritt der Wachen auf dem Flur hätte man glauben können, der Schatten des Kardinals von Richelieu weile noch in diesem Gemach.

    Ach! es war allerdings nur der Schatten des großen Mannes. Frankreichs Schwäche, das gesunkene Ansehen des Königs, die Wiedererstarkung und erneute Unbotmäßigkeit der Großen, die Anwesenheit des Feindes innerhalb der Landesgrenzen, alles bewies, daß Richelieu nicht mehr war.

    Noch deutlicher erkannte man aber, daß das rote Hauskleid keineswegs das des alten Kardinals sein konnte, aus der herrschenden Ode, aus den von Höflingen leeren Vorzimmern, den von Wachen erfüllten Höfen, aus dem Gefühl von Hohn und Spott, das von der einmütig gegen den Minister gesinnten Stadt empor und durch die Scheiben drang, aus dem entfernten Knattern von Schüssen, die vom erbitterten Volke planlos gegen Garden, Schweizer, Musketiere und Soldaten in der Umgebung des jetzt auch nicht mehr Palais Kardinal, sondern Palais Royal genannten Schlosses abgegeben wurden. Dieser Schatten Richelieus war Mazarin.

    Mazarin aber war allein und fühlte sich schwach. Fremder! murmelte er, Italiener! das ist ihr großes Wort. Mit diesem Worte haben sie Concini ermordet, aufgehängt, in den Abgrund gestürzt. Und am liebsten würden sie auch mich vernichten, obgleich ich ihnen nie ein anderes Leid zugefügt habe, als daß ich von ihnen ein wenig Geld erpreßte.

    Ja, ja, fuhr der Minister mit seinem seinen Lächeln auf seinen bleichen Lippen fort, ja, euer Geschrei sagt mir, daß das Geschick der Günstlinge unsicher ist. Aber wenn ihr dies wißt, so müßt ihr auch wissen, daß ich kein gewöhnlicher Günstling bin! Der Graf von Essex besaß einen glänzenden Diamantring, den ihm seine königliche Geliebte geschenkt hatte. Ich besitze einen einfachen Ring mit einem Namenszeichen und einem Datum, aber dieser Ring ist in der Kapelle des Palais Royal gesegnet worden.[1] Sie bemerken nicht, daß ich sie mit ihrem ewigen Geschrei: Nieder mit Mazarin! bald: Es lebe Herr von Beaufort! bald: Es lebe der Herr Prinz! bald: Es lebe das Parlament! schreien lasse. Nun wohl, Herr von Beaufort ist im Gefängnis zu Vincennes, der Herr Prinz wird demnächst zu ihm kommen, und das Parlament ...

    Hier nahm das Lächeln des Kardinals einen Ausdruck des Hasses an, dessen sein sanftes Gesicht unfähig zu sein schien ... Und das Parlament ... wir werden sehen, was wir damit machen; wir haben Orleans und Montargis! O, ich werde meine Zeit zu wählen wissen, die Reihe kommt an jeden.

    Richelieu, den sie haßten, solange er lebte, und von dem sie beständig sprechen, seit er tot ist, stand tiefer als ich, denn er ist oft fortgejagt worden. Die Königin wird mich nie fortjagen, und wenn ich gezwungen werde, dem Volk zu weichen, so wird sie mit mir weichen, und wir werden dann sehen, was die Rebellen ohne ihren König und ihre Königin sind. Oh! wenn ich nur kein Fremder, wenn ich nur Franzose, wenn ich nur Edelmann wäre! – Und er versank wieder in seine Träumerei.

    Die Lage war allerdings schwierig, und der soeben abgelaufene Tag hatte sie noch mehr verwickelt. Beständig von seinem schmutzigen Geiz angestachelt, erdrückte Mazarin das Volk mit Steuern, und dieses Volk hatte seit langer Zeit angefangen zu murren.

    Doch das war noch nicht alles, denn wenn nur das Volk murrt, so hört es der Hof nicht, da er von ihm durch die Bürgerschaft und die Edelleute getrennt ist. Aber Mazarin hatte die Unklugheit gehabt, sich, an den Beamten zu vergreifen! Er hatte zwölf Staatsratsstellen verkauft, und da diese Beamten ihre Stellen sehr teuer bezahlten und die Beiordnung dieser zwölf neuen Kollegen den Preis herabdrücken mußte, so vereinigten sie sich und schwuren auf das Evangelium, diese Vermehrung nicht zu dulden und allen Verfolgungen des Hofes zu widerstehen, mit dem gegenseitigen Versprechen, falls einer von ihnen durch diese Rebellion seine Stelle verlieren sollte, ihm gemeinschaftlich den Kaufpreis zurückzuzahlen.

    Am 7. Januar hatten sich sieben- bis achthundert Pariser Kaufleute versammelt und sich gegen eine neue Steuer erhoben, die man den Hausbesitzern auflegen wollte. Zehn von ihnen waren dann zum Herzog von Orleans geschickt worden. Diesem, der seiner Gewohnheit gemäß den Volksfreund spielte, erklärten sie, sie seien entschlossen, die Steuer nicht zu bezahlen, und müßten sie sich mit bewaffneter Hand dagegen wehren. Der Herzog hörte sie mit großer Leutseligkeit an, versprach, mit der Königin zu reden, und entließ sie mit dem gewöhnlichen Trostspruch der Fürsten: Man wird sehen!

    Dasselbe Versprechen gab Mazarin den bei ihm mit Festigkeit und Kühnheit Beschwerde führenden Staatsräten.

    Um zu sehen, versammelte man sodann den Rat und schickte nach dem Oberintendanten der Finanzen d'Emery.

    Dieser d'Emery wurde vom Volke sehr verabscheut, einmal weil jeder Oberintendant der Finanzen verabscheut wird, und dann, weil er es einigermaßen verdiente. Er kam, als man ihn rufen ließ, ganz bleich und bestürzt herbei und sagte, sein Sohn sei an demselben Tag auf der Place du Palais beinahe ermordet worden. Das Volk war ihm entgegengetreten und hatte ihm den Luxus seiner Frau vorgeworfen, welche ein mit rotem Samt und goldenen Fransen tapeziertes Zimmer besaß. Ihr Vater, Nicolas Lecamus, der 1617 Sekretär des Königs war, war mit zwanzig Livres nach Paris gekommen und hatte neun Millionen unter seine Kinder verteilt, nachdem er sich eine Leibrente von vierzigtausend Franken vorbehalten hatte.

    Der Sohn d'Emerys war beinahe erstickt worden. Einer von den Meuterern machte nämlich den Vorschlag, ihn zu pressen, bis er das Gold, welches er verschlungen, zurückgegeben hätte. Der Rat entschied an diesem Tage nichts, denn der Oberintendant war zu sehr von diesem Ereignis ergriffen, um den Kopf frei zu haben.

    Am andern Tag wurde der erste Präsident, Mathieu Molé, dessen Mut dem des Herzogs von Beaufort und des Prinzen von Condé, das heißt der beiden tapfersten Männer jener Zeit gleich kam, ebenfalls angegriffen. Das Volk drohte ihm; aber der erste Präsident antwortete mit seiner gewöhnlichen Ruhe, wenn die Aufrührer nicht dem Willen des Königs gehorchten, so werde er Galgen auf den öffentlichen Plätzen errichten und sogleich die ärgsten Schreier aufknüpfen lassen. Diese erwiderten hierauf, es wäre ihnen nichts lieber, als Galgen errichten zu sehen, dann könne man doch die schlechten Richter hängen, welche die Gunst des Hofes mit dem Elend des Volkes erkaufen.

    Das war noch nicht genug. Am 11. wurde die Königin, als sie zur Messe ging, von mehr als zweihundert Weibern verfolgt, welche schrieen und Gerechtigkeit forderten. Sie hatten indessen keine böse Absicht und wollten sich ihr nur zu Füßen werfen, um ihr Mitleid rege zu machen. Aber die Wachen verhinderten sie daran, und die Königin ging hochmütig und stolz, ohne auf ihr Geschrei zu hören, an ihnen vorüber.

    Am Nachmittag versammelte sich der Rat abermals, und es wurde beschlossen, das Ansehen des Königs aufrechtzuhalten. Infolgedessen berief man das Parlament auf den nächsten Tag.

    An diesem Tag, an dessen Abend unsere Geschichte beginnt, ließ der König, der damals zehn Jahre alt war, seine Garden, seine Schweizer und seine Musketiere ausrücken, stellte sie um das Palais Royal, auf den Quais und auf dem Pont Neuf auf und begab sich, nachdem er die Messe gehört hatte, in das Parlament, wo er nicht allein seine früheren Edikte bestätigte, sondern auch fünf bis sechs neue erließ, so daß der erste Präsident, der vorher für den Hof war, sich unerschrocken gegen diese Art der Gesetzgebung aussprach. Am entschiedensten protestierten aber gegen die neuen Steuern der Präsident Blanemesnil und der Rat Broussel.

    Nachdem die Edikte erlassen waren, kehrte der König nach dem Palais Royal zurück. Eine große Volksmenge befand sich auf seinem Wege. Da man aber noch nicht wußte, ob er im Parlament dem Volke habe Gerechtigkeit widerfahren lassen oder es aufs neue bedrückt habe, so ertönte nicht ein einziger Freudenruf, um ihn zu seiner Wiederherstellung zu beglückwünschen. Alle Gesichter waren im Gegenteil düster und unruhig, einige sogar drohend.

    Trotz seiner Rückkehr blieben die Truppen auf dem Platze, denn man befürchtete, es könnte eine Empörung ausbrechen, sobald man das Resultat der Parlamentssitzung erführe, und in der Tat hatte es kaum in den Straßen verlautet, daß der König die Steuern noch vermehrt habe, als sich Gruppen bildeten und von allen Seiten die Rufe erschollen: Nieder mit Mazarin! Es lebe Broussel! Es lebe Blancmesnil!

    Man wollte diese Gruppen zerstreuen und das Geschrei ersticken, aber, wie dies in solchen Fällen geschieht, die Gruppen wurden zahlreicher, und das Geschrei verdoppelte sich. Man hatte den Leibwachen des Königs und den Schweizerwachen soeben Befehl gegeben, nicht nur den Platz vor dem Schloß zu halten, sondern auch in den besonders aufgeregten Straßen Saint-Denis und Saint-Martin zu patrouillieren, als man im Palais Royal den Vorsteher der Kaufmannschaft meldete. Dieser erklärte, wenn man nicht auf der Stelle diese feindseligen Demonstrationen aufgebe, werde ganz Paris in zwei Stunden unter den Waffen sein.

    Man beratschlagte, was man tun solle, als Comminges, Leutnant bei den Garden, mit zerrissenen Kleidern und blutigem Gesicht erschien. Sobald die Königin ihn erblickte, stieß sie einen Schrei des Erstaunens aus und fragte ihn, was er habe.

    Beim Anblick der Garden waren die Geister gänzlich in Wut geraten. Man hatte sich der Glocken bemächtigt und Sturm geläutet. Comminges hatte den Hauptaufrührer verhaftet und, um ein Beispiel zu geben, befohlen, ihn an der Croix du Trahoir aufzuhängen. Demzufolge hatten ihn die Soldaten fortgeschleppt. Aber in den Hallen waren sie mit Steinwürfen und Hellebarden angegriffen worden. Der Rebell hatte diesen Augenblick benützt, um zu entfliehen. Er hatte die Rue Tiquetonne erreicht und sich in ein Haus geworfen, dessen Türen man sogleich einstieß. Man fand aber den Mann nicht. Während Comminges sich nach Zurücklassung eines Postens nach dem königlichen Schloß begab, war er angegriffen worden und hatte selbst einen Steinwurf an die Stirne bekommen.

    Die Erzählung des Leutnants bestätigte die Worte des Vorstehers der Kaufmannschaft. Man war nicht im stände, einer ernstlichen Empörung Trotz zu bieten. Der Kardinal ließ im Volk ausstreuen, die Truppen würden sich zurückziehen, und gegen vier Uhr abends konzentrierten sie sich wirklich nach dem Schlosse zu. Man stellte einen Posten an der Barriere des Sergens, einen andern bei den Quinze-Vingts, einen dritten bei der Butte Saint-Roch auf. Man füllte die Höfe und die Erdgeschosse mit Schweizern und Musketieren und wartete.

    So standen die Dinge, als wir unsere Leser in Mazarins Zimmer einführten. Wir haben gesehen, in welchem Gemütszustand er das bis zu ihm dringende Gemurmel des Volkes und das Echo der Flintenschüsse in seinem Zimmer hörte.

    Plötzlich erhob er das Haupt; die Stirne halb gefaltet, wie ein Mann, der seinen Entschluß gefaßt hat, heftete er seine Augen auf eine ungeheure Pendeluhr, die eben sechs schlug, nahm eine auf dem Tisch in seiner Nähe liegende Pfeife und pfiff zweimal.

    Eine geheime Tapetentüre öffnete sich geräuschlos, ein schwarz gekleideter Mann trat stillschweigend hervor und blieb aufrecht hinter dem Lehnstuhl stehen.

    Bernouin, sprach der Kardinal, ohne sich umzudrehen, denn da er zweimal gepfiffen hatte, so wußte er, daß es sein Kammerdiener sein mußte, welche Musketiere haben die Wache im Palais? – Die Kompagnie Treville von den schwarzen Musketieren, Monseigneur. – Gut. Ist ein Offizier dieser Kompagnie im Vorzimmer? – Der Leutnant d'Artagnan. – Ein guter, glaube ich. – Ja, Monseigneur. – Gib mir eine Musketieruniform und Hilf mir beim Ankleiden.

    Der Kammerdiener entfernte sich ebenso schweigend, als er eingetreten war, und kam nach einem Augenblick mit dem verlangten Anzug zurück.

    Still und nachdenklich begann nun der Kardinal sich zu entkleiden, und das militärische Kleid anzuziehen, das er, durch seine früheren Feldzüge in Italien geübt, mit ziemlicher Leichtigkeit trug. Als er vollständig angekleidet war, sagte er: Hole mir Herrn d'Artagnan.

    Als der Kardinal allein war, betrachtete er sich mit einer gewissen Zufriedenheit im Spiegel; er war noch jung, denn er zählte kaum sechsundvierzig Jahre; Mazarin war ein Mann von zierlicher Gestalt, wenn auch etwas unter der Mittlern Größe, hatte eine lebhafte, schöne Gesichtsfarbe, einen feurigen Blick, eine große, jedoch ziemlich proportionierte Nase, eine breite, majestätische Stirne, kastanienbraune, etwas krause Haare und einen sehr dunklen Bart. Dann zog er sein Wehrgehänge an, beschaute seine schönen, sorgfältig gepflegten Hände, warf die zu der Uniform gehörigen Handschuhe von Damhirschleder, die er bereits genommen hatte, beiseite und schlüpfte in einfache seidene Handschuhe.

    In diesem Augenblick öffnete sich die Türe wieder. Herr d'Artagnan, sprach der Kammerdiener. Der Eintretende war ein Mann von neununddreißig bis vierzig Jahren, von kleiner Gestalt, aber gut gebaut, mager, mit lebhaftem, geistreichem Blick, der Bart schwarz und die Haare mit Grau vermischt, wie dies immer geschieht, wenn man das Leben zu gut oder zu schlecht gefunden hat, und besonders wenn man sehr brünett ist.

    D'Artagnan trat vier Schritte vor; er erkannte das Zimmer, wo er einmal zu Richelieus Zeit gewesen war. Da er niemand erblickte, als einen Musketier von seiner Kompagnie, so heftete er seine Augen auf diesen, und bei dem ersten Blick war er überzeugt, daß er den Kardinal vor sich habe.

    Er blieb in ehrfurchtsvoller, aber würdiger Haltung stehen. Der Kardinal schaute ihn prüfend mit seinen mehr seinen, als tiefen Augen an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ihr seid Herr d'Artagnan? – Ja, Monseigneur, antwortete der Offizier.

    Der Kardinal betrachtete noch einen Augenblick den klugen Kopf und das Gesicht, dessen übermäßige Beweglichkeit durch die Jahre und die Erfahrung gemildert worden war; aber d'Artagnan ertrug die Prüfung wie ein Mann, der einst den forschenden Blick weit durchdringenderer Augen ausgehalten hatte.

    Mein Herr, sagte der Kardinal, Ihr werdet mit mir gehen, oder vielmehr, ich gehe mit Euch.

    Zu Euren Befehlen, Monseigneur, antwortete d'Artagnan.

    Ich will die Posten um das Palais Royal selbst visitieren; glaubt Ihr, daß Gefahr dabei ist?

    Gefahr, Monseigneur? fragte d'Artagnan, und welche?

    Das Volk soll äußerst aufgeregt sein.

    Die Uniform der Musketiere des Königs ist sehr geachtet, Monseigneur, und wäre sie es nicht, so machte ich mich dennoch anheischig, mit vier Mann hundert von diesen Lumpenkerlen in die Flucht zu schlagen.

    Ihr habt gesehen, was Comminges begegnet ist.

    Herr von Comminges ist bei den Garden und nicht bei den Musketieren.

    Womit Ihr sagen wollt, versetzte der Kardinal lächelnd, die Musketiere seien bessere Soldaten als die Garden.

    Jeder liebt seine Uniform, Monseigneur.

    Mich ausgenommen, sprach Mazarin, denn Ihr seht, daß ich die meinige abgelegt habe, um die eurige anzuziehen. Bernouin, meinen Hut!

    Der Kammerdiener brachte einen breitkrempigen Uniformhut; der Kardinal setzte ihn sehr unternehmend auf und wandte sich dann wieder zu d'Artagnan um.

    Ihr habt gesattelte Pferde im Stall, nicht wahr? – Ja, Monseigneur. – So gehen wir. – Wieviel Leute befiehlt Monseigneur? – Ihr sagtet, mit vier Mann würdet Ihr Euch anheischig machen, hundert solche Lumpenkerle in die Flucht zu schlagen; da wir zweihundert begegnen könnten, so nehmt acht. – Wann beliebt es Eurer Eminenz? – Ich folge Euch sogleich; leuchte uns, Bernouin.

    Eine Nachtrunde

    Zehn Minuten nachher entfernte sich die kleine Truppe durch die Rue des Bons-Enfants. Der Anblick der Stadt bot alle Merkmale großer Aufregung; zahlreiche Gruppen durchzogen die Straßen und blieben stille stehen, um die sechs Reiter mit drohenden und spöttischen Mienen vorüberziehen zu sehen. Von Zeit zu Zeit vernahm man Lärm aus der Gegend der Hallen. Flintenschüsse knallten in der Richtung der Rue Saint-Denis, und zuweilen begann plötzlich, ohne daß man wußte warum, von der Volkslaune in Bewegung gesetzt, eine Glocke zu läuten.

    D'Artagnan verfolgte seinen Weg mit der Sorglosigkeit eines Mannes, auf den dergleichen Lappalien keinen Eindruck machen. Hielt sich eine Gruppe mitten in der Straße, so spornte er sein Pferd gegen sie, ohne Achtung zu rufen, und siehe da, Rebellen oder Nichtrebellen, sie schienen zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten, sie öffneten ihre Reihen und ließen die Patrouille durchziehen. Der Kardinal beneidete ihn um diese Ruhe, die er der Gewöhnung an Gefahren zuschrieb, aber er faßte darum nicht minder für den Offizier, unter dessen Befehle er sich für den Augenblick gestellt hatte, jene Achtung, welche selbst die Klugheit dem sorglosen Mute zugesteht.

    Als man sich dem Posten der Barriere des Sergens näherte, rief die Wache: Wer da? D'Artagnan antwortete und rückte, nachdem er den Kardinal um das Losungswort gefragt hatte, vor.

    Dort ist Herr von Comminges, der diesen Posten befehligt, sagte d'Artagnan zu dem Kardinal.

    Der Kardinal lenkte sein Pferd auf diesen Offizier zu, der mit einem anderen berittenen Offizier plauderte. D'Artagnan blieb aus Diskretion zurück.

    Bravo, Guitaut, sprach der Kardinal zu dem Reiter, ich sehe, haß Ihr trotz Eurer vierundsechzig Jahre immer noch derselbe seid, immer munter, immer rüstig; was sagtet Ihr zu diesem jungen Manne?

    Monseigneur, ich sagte ihm, daß der heutige Tag sehr einem aus der Zeit der Ligue gleiche, die ich in meinen Jugendjahren gesehen habe. Wißt Ihr, daß sie schon von Barrikadenbauen reden?

    Und was antwortete Euch Herr von Comminges, mein lieber Guitaut?

    Monseigneur, sprach Comminges, ich antwortete, zu einer Ligue fehlt heute etwas Wesentliches, nämlich ein Herzog von Guise; überdies macht man nicht zweimal das Gleiche.

    Nein, aber sie werden statt einer Ligue eine Fronde machen, sagte Guitaut.

    Was ist das, eine Fronde?

    Monseigneur, das ist der Name, den sie ihrer Partei geben.

    Und woher kommt dieser Name?

    Der Rat Bachaumont soll vor einigen Tagen im Palaste gesagt haben, alle Empörer gleichen den Burschen, welche in den Gräben von Paris mit der Schleuder spielen (französisch: fronder ) und sich zerstreuen, sobald der Polizeileutnant kommt, um sich abermals zu versammeln, wenn er vorübergegangen ist. Sie haben das Wort aufgeschnappt, und nennen sich Frondeurs; heute und gestern war alles à la Fronde, das Brot, die Hüte, die Handschuhe, die Muffe, die Fächer; doch halt, hört einmal. – Man hörte ganz deutlich singen:

    Ein Frondewind

    Bläst frisch und munter,

    Bläst Mazarin

    Den Hut herunter.

    Der Unverschämte! murmelte Comminges. Soll ich diesem Kerl eine Kugel zuschicken, um ihn besser singen zu lehren?

    Nein, nein, rief Mazarin. Diavolo, mein lieber Freund, Ihr würdet alles verderben; es geht im Gegenteil vortrefflich. Ich kenne Eure Franzosen vom ersten bis zum letzten, wie wenn ich sie gemacht hätte: sie singen und werden bezahlen. Komm, Guitaut, komm, wir wollen nachsehen, ob man bei Quinze-Vingts ebensogut Wache hält, als an der Barriere des Sergens.

    Das ist richtig, murmelte Comminges, als er ihn wegreiten sah, wenn man ihn nur bezahlt, mehr verlangt er nicht.

    Man schlug wieder den Weg in die Rue Saint Honoré ein, wobei man fortwährend Gruppen auseinander sprengte. In diesen Gruppen sprach man nur von den Edikten; man beklagte den jungen König, der auf diese Art, ohne es zu wissen, sein Volk zu Grunde richtete; man warf die ganze Schuld auf Mazarin; man sprach davon, sich an den Herzog von Orleans und an den Prinzen zu wenden; man pries Blancmesnil und Broussel.

    D'Artagnan ritt mitten durch diese Gruppen so sorglos, als ob er und sein Pferd von Eisen wären; Mazarin und Guitaut plauderten ganz leise miteinander; die übrigen Musketiere, die endlich den Kardinal erkannt hatten, folgten stillschweigend.

    Man kam in die Rue Saint-Thomas-du-Louvre, wo der Posten der Quinze-Vingts war, und ritt, da sich hier alles ruhig verhielt, zu dem dritten Posten an der Butte Saint Roch. Diesen befehligte der Kapitän der Garden des Königs, Villequier, der dem Kardinal heftig grollte. Er hatte sich besonders zurückgesetzt gefühlt, weil Mazarin seinerzeit die Verhaftung des Herzogs von Beaufort nicht durch ihn, obwohl er der einzig Berechtigte dazu gewesen sei, sondern durch Guitaut habe ausführen lassen.

    Auf Befehl Mazarins, der sich selbst zurückhielt, ritt sein Begleiter aus Villequier zu.

    Ah, Ihr seid es, Guitaut, sprach dieser mit seinem gewöhnlichen übellaunigen Tone. Was zum Teufel wollt Ihr hier?

    Ich komme, um Euch zu fragen, ob es hier etwas Neues gebe?

    Was zum Teufel soll es hier geben? Man ruft: Es lebe der König und nieder mit Mazarin! Das ist nichts Neues: wir sind schon seit geraumer Zeit an dieses Geschrei gewöhnt.

    Und Ihr macht Chorus dazu, erwiderte Guitaut lachend.

    Meiner Treu, ich fühle oft große Lust in mir, und ich finde, daß sie ganz recht haben, Guitaut. Gern gäbe ich fünf Jahre von meinem Gehalt, wenn der König fünf Jahre älter wäre.

    Wirklich! Und was würde geschehen, wenn der König fünf Jahre älter wäre?

    Dann käme doch der Augenblick, wo der König volljährig würde und seine Befehle selbst geben müßte, und, wahrlich, es ist doch mehr Vergnügen dabei, dem Enkel Heinrichs IV., als dem Sohne des Pietro Mazarin zu gehorchen. Für den König, Mord und Hölle, ließe ich mich mit Vergnügen töten; wenn ich aber für Mazarin getötet würde, wie dies heute Eurem Neffen beinahe widerfahren wäre, so könnte kein Paradies, so schön es auch wäre, mich je darüber trösten!

    Und er wandte sich auf den Fersen um und kehrte, eine Fronde-Melodie pfeifend, in die Wachtstube zurück.

    Mazarin kam ganz nachdenklich in seinen Palast zurück. Was er nach und nach von Comminges, von Guitaut und von Villequier gehört hatte, bestätigte ihn in der Ansicht, daß er im Fall ernster Ereignisse niemand für sich hätte, als die Königin, und auch die Königin hatte so oft ihre

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