Ceres: Plutos kleine Schwester
Von Codex Regius
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»Unterm Strich bedeutet es, dass man bei Planetoiden nicht immer alles glauben soll, was man sieht.«
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Buchvorschau
Ceres - Codex Regius
Literatur
Vorwort
Als Guiseppe Piazzi in der Neujahrsnacht 1801 - der ersten Nacht des neuen Jahrhunderts - in seinem Fernrohr einen winzigen Lichtpunkt fand, der in keiner Sternkarte verzeichnet war, konnte er kaum ahnen, dass er mit dieser Entdeckung unser Verständnis vom Aufbau unseres Sonnensystems revolutionierte.
Bisher kannte man nur die Sonne, sieben Planeten (der Planet Uranus wurde erst 1781 von Herschel entdeckt), deren Monde und ein paar Kometen. Ceres wurde bei ihrer Entdeckung zuerst für einen Kometen gehalten, dann aber als Planet klassifiziert. Man nahm an, dass es sich bei der Ceres um den Planeten handelte, der schon lange von einigen Astronomen vorausgesagt worden war und die Lücke zwischen Mars und Jupiter ausfüllte. In kurzer Folge wurden dann auch noch Pallas, Juno und Vesta entdeckt, die sich ebenfalls in der Lücke zwischen Mars und Jupiter bewegten. So wuchs unser Planetensystem auf 11 Planeten an. Es dauerte aber noch 38 Jahre, bis im Jahr 1845 Astraea (ebenfalls zwischen Mars und Jupiter) und im Jahr darauf Neptun entdeckt wurden. Nun kam man sogar auf 13 Planeten.
Als 1847, beginnend mit dem Auffinden von Hebe, eine wahre Flut von Neuentdeckungen einsetzte, erkannte man erst die wahre Natur dieser Objekte zwischen Mars und Jupiter und man prägte für sie die Bezeichnungen Asteroiden, Planetoiden oder Kleinplaneten, nahm sie aus der Reihe der Planeten heraus und nummerierte sie mit (1) Ceres beginnend durch. Man zählte nun mit Uranus und Neptun acht große Planeten, während die Anzahl der Kleinplaneten unaufhörlich anwuchs. Als 1930 Clyde Tombaugh in der Leere jenseits des Neptuns den Pluto entdeckte, wurde er als neunter Planet aufgenommen.
Erst sechzig Jahre später, in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, erkannte man, dass sich neben dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter noch ein weiterer Gürtel kleiner Himmelskörper jenseits des Neptuns befindet, der so genannte Kuiper-Gürtel. Die Objekte dort bestehen größtenteils aus Eis, vermischt mit Silikaten und organischen Verbindungen. Etliche davon sind größer als 1000 km, also größer als die Ceres. Und erst dann wurde klar, dass Pluto nichts anderes als einer dieser Himmelskörper ist, die man als TNOs (transneptunische Objekte) oder KBOs (Kuiper Belt Objects) bezeichnete.
Im Sommer 2006 beschloss die Internationale Astronomische Union IAU auf ihrer Generalversammlung in Prag eine Neudefinition des Planetenbegriffs. Demnach muss ein Planet zwei Kriterien erfüllen: 1.) Er muss sich aufgrund seiner Schwerkraft im hydrostatischen Gleichgewicht befinden, d.h. rund wie eine Kugel sein. 2.) Er muss in seinem Einflussbereich das beherrschende Objekt sein und seinen Orbit von anderen Objekten freigeräumt haben.
Pluto ist zwar kugelrund, wie die Bilder der Raumsonde New Horizons eindrucksvoll zeigten, er erfüllt aber das zweite Kriterium nicht, denn er teilt sich mit etwa einem Drittel der neuentdeckten TNOs eine Umlaufbahn, die die Bahn des Planeten Neptun schneidet. Somit war Pluto kein Planet mehr. Um ihn doch nicht so tief fallen zu lassen, schuf man eine neue Kategorie, die Zwergplaneten (engl. dwarf planets). Die müssen zwar das erste Kriterium erfüllen, also kugelrund sein, dürfen sich aber mit einer Vielzahl von Objekten eine ähnliche Umlaufbahn teilen. Im Rahmen dieser neuen Definition wurde nun die runde Ceres, die man 150 Jahre lang als Kleinplaneten bezeichnet hatte, auf einmal zum Zwergplaneten.
Ceres ist der größte Himmelskörper im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Mit einem Durchmesser von 1.000 km ist sie etwa doppelt so groß wie die nächsten Asteroiden Pallas und Vesta. Die Masse der Ceres beträgt etwa ein Drittel der Gesamtmasse des Asteroidengürtels.
Früher dachte man, die Asteroiden seien Bruchstücke eines größeren Planeten, der zwischen Mars und Jupiter kreiste und durch eine kosmische Katastrophe explodiert sei. Dieser hypothetische Planet könnte aber nicht sehr groß gewesen sein: Würde man alle Kleinkörper des Asteroidengürtels auf die Ceres packen, so würde ihr Durchmesser nur etwa auf die anderthalbfache Größe anwachsen. Im Asteroidengürtel ist einfach nicht genug Material für einen größeren Planeten vorhanden. Seine gesamte Masse beträgt nur etwa ein Zweitausendstel der Erdmasse oder rund 4% der Masse unseres Mondes. In der Anfangsphase des Sonnensystems hat die Schwerkraft des schnell wachsenden Protojupiters zu viel Material aus diesem Bereich abgesaugt, so dass sich dort kein richtiger Planet bilden konnte. Ceres ist nur ein Protoplanet, der einfach nicht die Chance hatte, zu einem richtigen Planeten zu wachsen.
Um diese Prozesse besser zu verstehen, war die Dawn-Mission gestartet worden. (Der Name Dawn bedeutet Morgendämmerung; er soll auf eben jene Frühphase des Sonnensystems hinweisen und uns Erkenntnisse über die Entstehung der Planeten liefern.) Die Kamera auf der Dawn wurde in Deutschland gebaut, von dem gleichen Team, das auch für die Kamera auf der Kometensonde Rosetta verantwortlich ist. Sie ist eine Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst, auf die wir stolz sein können, und das Produkt langjähriger Erfahrung mit Kameras auf Sonden wie Giotto oder Mars Express. Dies sollte einmal erwähnt werden in Zeiten sinkender Raumfahrtbudgets und schwindendem Interesse an Naturwissenschaften. Sie hat nicht nur großartige Bilder der Ceres gemacht, sondern letztlich sogar den Fortbestand der Dawn-Mission gerettet, denn als die amerikanische Regierung das Dawn-Projekt aufgrund von Budgetüberschreitungen gestoppt hatte, war es eben jene internationale Zusammenarbeit, die dennoch zur Fortsetzung des Projekts führte.
Lassen Sie sich von diesem Buch von Andreas Möhn und Metka Klemenčič mit seinen beeindruckenden Bildern auf eine faszinierende Reise zur Ceres mitnehmen, einen Himmelskörper, der es nicht ganz geschafft hat, zu einem richtigen Planeten zu werden, und im Protoplanetenstadium stecken geblieben ist, aber uns dadurch wichtige Erkenntnisse über die »Morgendämmerung« unseres Sonnensystems und die Entstehung unseres eigenen Planeten offenbart.
Dr. Rainer Riemann
Heidelberg, im März 2017
Einleitung
Die NASA hatte 2015 inoffiziell zum Jahr der Zwergplaneten ausgerufen. Innerhalb nur weniger Monate kam die Raumsonde Dawn beim erdnächsten Zwergplaneten Ceres an und die Sonde New Horizons flog am Pluto vorbei, einem anderen Zwergplaneten, der (die meiste Zeit) jenseits der Neptunbahn umläuft. Damit sind nun alle Himmelskörper zwischen der Sonne und dem Innenrand des Kuiper-Gürtels optisch erfasst, die mindestens ca. 1.000 km durchmessen.
Die Dawn hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine lange Reise hinter sich. Eine Weile hatte sie den Protoplaneten Vesta umkreist, der wie die Ceres auf einer exzentrischen, stark geneigten Bahn zwischen Mars und Jupiter umläuft. Dieser Abschnitt ihrer Mission kann im vorliegenden Buch aus Platzgründen leider nicht behandelt werden, wir werden ihm in der Zukunft einen eigenen Band widmen müssen. Die Beobachtung der Ceres läuft indessen weiter und wird auch noch fortgesetzt werden, bis sich spätestens 2019 der Hydrazintank der Dawn geleert haben wird und sie als manövrierunfähiger Satellit den Zwergplaneten für noch lange Zeit begleiten wird.
Dawn und New Horizons waren nur zwei der unbemannten Missionen, mit denen im frühen 21. Jahrhundert das Sonnensystem erforscht wird. Neben Sonden und Landegeräten auf dem Mond und dem Mars sahen wir auch Messenger den Merkur umkreisen, Venus Express die Venus, Juno ist derzeit am Jupiter aktiv, Cassini wird im September 2017 in den Saturn stürzen. Keine neuen Anflüge sind derzeit leider für die äußeren Planeten Uranus und Neptun und deren Satellitensysteme vorgesehen, von denen wir bis heute nur die kurzen Blicke kennen, die Voyager 2 im Vorbeirasen auf sie geworfen hat - das und ein paar Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble.
Und dann war da auch noch die Rosetta mit ihrem unglücklichen Lander Philae, der sich auf dem Kometen Tschurjumov-Gerassimenko geradezu zu Tode hopste. Aber neue Raumflugunternehmen insbesondere zu Kleinplaneten des Sonnensystems sind bereits unterwegs: Der inzwischen beendeten Hayabusa zum Planetoiden (25143) Itokawa folgt Hayabusa 2 zum erdnahen (162173) Ryugu, OSIRIS-REx hat sich auf den Weg zu dem weitgehend aus Eisen bestehenden (101955) Bennu gemacht, und am Neujahrstag 2019 wird die bestens funktionsfähige New Horizons sehr dicht an dem noch immer namenlosen Kuiper-Gürtelobjekt 2014 MU69 vorbeiziehen.
Bei all diesen Ereignissen stand die kleine Ceres ein wenig im Schatten vor allem ihres spektakulären großen Bruders Pluto. Das Unternehmen Dawn war jedoch höchst erfolgreich. Fachartikel der beteiligten Forschergruppen erscheinen weiterhin in schneller Folge: Der neueste, der in dieses Buch einging, erschien am 22. März 2017, gerade eine Woche vor der Drucklegung, und er behandelte die Frage, an welchen Stellen auf der Oberfläche sich Wassereis langfristig halten kann.
An einigen Beobachtungen der Dawn entzündet sich die Fantasie: Die Ceres ist ein grandioses Rohstofflager für den Bergbau, aus ihren Mineralien ließen sich ganze Raumschiffsflotten bauen. Und noch schöner: Es sind alle Zutaten vorhanden, um irgendwo in der Tiefe eine präbiotische Chemie anzustoßen, also Vorstufen zum Leben, wenn nicht gar mikrobielle Lebensformen selbst. Die Ceres, eine bewohnte Welt?
Damit reiht sich der erdnächste Zwergplanet in die einst für erstarrte Eisklumpen gehaltenen, aktiven Welten wie Europa, Enceladus, Dione, Titan und Pluto ein; auch, wenn die Ceres offenbar keinen weltweiten Ozean unter ihrer Kruste birgt, wie man ursprünglich angenommen hatte, so gibt es doch stellenweise eine brackige Sole, die zu manchen Gelegenheiten an die Oberfläche spritzt. Es verführt zu Träumen zu einer Nachfolgemission der kleinen Dawn, die mit nur drei Instrumenten an Bord eine ganze neue Welt für uns erkundet hat. Ein Ceres Polar Lander ist angeregt worden, der mit einer Sojus-Rakete zu starten wäre und nach vier Jahren Flugzeit zuerst in den Orbit gehen und danach auf die Oberfläche absteigen sollte, um nach primitivem Leben auf der Ceres zu suchen (falls Sie sich wundern: so verkauft man seine Projekte an den amerikanischen Kongress).
Sogar eine bemannte Mission zur Ceres wird in Betracht gezogen. Angeblich sei sie nicht aufwändiger als ein Flug zum Mars, mit 270 Tagen in eine Richtung sei auch die Flugzeit ungefähr dieselbe, wenn man ein atomgetriebenes Raumfahrzeug verwende. Das erfordert freilich noch ein paar technische Innovationen. Ein unbemanntes Landegerät ist indessen heute schon machbar, sofern sich die Verantwortlichen überzeugen lassen, dass es ihre Steuergelder wert ist.
Mit diesem Buch möchten wir unseren kleinen Beitrag zu dieser Diskussion leisten.
A. Möhn, M. Klemenčič
im März 2017
Auswahl der bedeutenden Raumflugmissionen des 21. Jhs. zu Planeten und Zwergplaneten im Sonnensystem (ohne Erde, Mond und Mars). Codex Regius, nach einer Grafik von chartgeek.com
Zeittafel des Flugs der Dawn zur Vesta und zur Ceres
27. Sep. 2007 Start.
28. Sep. Inbetriebnahme beginnt.
17. Dez. Inbetriebnahme abgeschlossen. Interplanetarischer Flug mittels Ionenantrieb eingeleitet.
31.