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Die Ainu: Begegnung mit den japanischen Ureinwohnern
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eBook300 Seiten3 Stunden

Die Ainu: Begegnung mit den japanischen Ureinwohnern

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Über dieses E-Book

Woher kommen die Ainu? Wer sind die Ainu?
Anthropologische, archäologische und linguistische Erkenntnisse der letzten Jahre zeichnen ein faszinierendes Bild der japanischen Ureinwohner, die mit der Gründung des Meiji-Staates (1868) zwangsassimiliert wurden: Man nahm den Ainu die Jagd- und Fischgründe, verbot ihre Sitten und das Stammesrecht, gab ihnen japanische Namen und entfremdete die Kinder von Sprache und Tradition. Mediziner raubten über 1.660 Gebeine aus Ainu-Gräbern; aber auch in Europa war das Interesse an den "haarigen Kurilen" groß. Erst 2008 wurden die Ainu als Ureinwohner Japans offiziell anerkannt.
Gespräche zur Restitution von Gebeinen und zu Fragen der Ainu-Identität runden den Band ab.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Okt. 2015
ISBN9783739279077
Die Ainu: Begegnung mit den japanischen Ureinwohnern
Autor

Uwe Makino

Uwe Makino lebt seit 1990 in Japan und hat eine Professur für Deutsch als Fremdsprache an einer großen Privat-Universität in Tokyo. Verheiratet, zwei Kinder. Publikationen und Vorträge u.a. zu Kriegsverbrechen (Nanking-Massaker, "Comfort Women") und zu Genozid-Fragen (Definition, Leugnung, literarische Bewältigung). Seit einigen Jahren gilt sein Interesse den japanischen Ureinwohnern, den Ainu: ihrer Herkunft, Kultur, Religion und Sprache, ihrer Suche nach Identität in der modernen japanischen Gesellschaft.

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    Buchvorschau

    Die Ainu - Uwe Makino

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Woher kommen die Ainu? – Zur Anthropologie und Geschichte der japanischen Ureinwohner

    Die Sprache der Ainu – Sprachpolitik und Zwangsassimilation

    Die Bärenamme – Bilder von (edlen) Wilden

    Von Grabräubern und Ehrenmännern – „Human Remains" und Grabbeigaben in japanischen und europäischen Sammlungen

    „Die Seelen finden keine Ruhe!" – Gespräch mit dem Museumsleiter Kawamura Ken’ichi (Asahikawa)

    „Von nun an bewusst und stark als Ainu leben …" – Gespräch mit der Ainu-Aktivistin Shimada Akemi (Sagamihara)

    Die Ainu − Fremde im eigenen Land

    Auswahlbibliographie (Japanisch) und Ausstellungskataloge

    Vorwort

    Im Dezember 2004 hielt sich die amerikanische Anthropologin ann-elise lewallen in Sapporo auf, um anlässlich eines Besuchs kanadischer First Nation Ureinwohner bei den Ainu zu dolmetschen. Ein Jahr hatte sie bereits auf Hokkaidō mit Feldforschung zugebracht und immer wieder vor verschlossenen Türen gestanden. Ihre Gastgeberin Enonkay sagte ihr offen ins Gesicht: „Ann, Sie sind hier nicht erwünscht! Die Ainu verachten Sie, weil Sie Anthropologin sind, dagegen können Sie nichts machen."¹ Damit scheinen die Fronten nach über einem Jahrhundert Ainu-Forschung deutlich abgesteckt zu sein. Die Forschungsobjekte begehren auf und verweigern die Zusammenarbeit. Wie konnte es dazu kommen?

    Es ist schon lange an der Zeit, grundsätzliche Fragen zu stellen. In welcher Beziehung steht die westliche Wissenschaft mitsamt ihrer japanischen Ziehtochter zu ihren Forschungsgegenständen, insbesondere wenn diese „Gegenstände Menschen aus Fleisch und Blut sind? Rückblick in die 1880er Jahre: Ein angesehener Berliner Wissenschaftler fordert die deutsche Kolonie in Japan auf, doch bitte Forschungsmaterial zu sammeln. Ist diese dringende Bitte als Aufforderung zu einer Straftat zu werten, wenn damit auch Gebeine gemeint sind, die dann in Berlin eintreffen werden und die in der Regel nur gegen den Willen der Angehörigen zu bekommen waren? Gebeine japanischer Ureinwohner, „gesammelt auf Hokkaidō und Sachalin, lagern heute noch in Berlin, in St. Petersburg und auch in London – diese Liste muss nicht vollständig sein …

    An japanischen Universitäten befinden sich heute noch über 1.600 Schädel und Skelette, die widerrechtlich in die anatomischen Sammlungen von Sapporo, Sendai, Kyōto und Tokyo gelangt sind. Widerrechtlich? Nun ja, natürlich war Grabraub bereits vor der Errichtung des Meiji-Staates (1868) in Japan nicht legal, wenn aber von 1888 bis 1972 Professoren kaiserlicher Universitäten mit Billigung einer Stadtverwaltung oder eines Landrats und der lokalen Polizei, informiert durch Beamte der staatlichen Bahn, sich an Ainu-Gräbern vergriffen, dann war das sozusagen höhere Gewalt, ausgeübt im Dienste der Wissenschaften und damit quasi-legal. Der Soziologe Johan Galtung hätte hier ohne Mühe einen klassischen Fall von „struktureller Gewalt" ausgemacht. Die Verantwortlichen wurden zu Ehrenprofessoren ernannt, mit Medaillen geehrt oder erhielten Besuch vom japanischen Kaiser. Auch der Verwaltungsapparat staatlicher Institutionen stand selbstverständlich hinter dieser Forschung und stellte keine Fragen, man wusste in Sapporo genau, wann die Herren Professoren mit ihren Hilfskräften aufs Land fuhren und was dort passierte.

    Aber auch deutsche Marine-Offiziere, einige davon in russischen Diensten, beteiligten sich am Grabraub, den Anfang jedoch machten ein englischer Konsul und dessen Bruder, ebenfalls Offiziere, arbeitsteilig als Drahtzieher und Absender auf Hokkaidō und als Empfänger in London. Im Oktober 1865 verließen drei berittene Engländer in Begleitung zweier japanischer Pferdeknechte das englische Konsulat in der Hafenstadt Hakodate. Ein junger Wissenschaftler, der es später noch weit bringen würde, ein Schließer und ein Wachmann. Das Dörfchen Mori, eine Ainusiedlung, dürften sie noch am selben Tage erreicht haben. Am nächsten Tag machten sie sich mit ihrer Beute auf den Rückweg, und weil die Freveltat so reibungslos verlief, wiederholte man sie in der etwas weiter entfernt gelegenen Ortschaft Otoshibe, die allerdings außerhalb des für Ausländer erlaubten Rayons lag. Es ist wahrscheinlich, dass die Ausbeute hier noch üppiger ausgefallen ist, allerdings sind sie beim Graben gesehen worden und kamen den Wirtsleuten zudem recht verdächtig vor – nach „Entenjagd" sahen die mitgeführten Matten und Spaten wahrlich nicht aus. Bis hierhin könnte man die Erzählung getrost einem Karl May überlassen, der anschließende Prozess jedoch sollte von Heinrich von Kleist beschrieben werden, denn der vorsitzende Richter im Verfahren gegen die drei Engländer war der eigentliche Drahtzieher des Grabraubs von 1865.

    Es kam zu einer größeren diplomatischen Verwicklung zwischen dem Bakufu in Edo und der Regierung in London, der Konsul musste seinen Hut nehmen, die Grabräuber gingen für einige Zeit in den Kerker, und die japanischen Pferdeknechte, durch extra-territoriales Recht nicht geschützt, aber eigentlich unschuldig, wurden auf Geheiß des japanischen Magistrats gefoltert und möglicherweise sogar hingerichtet. Die gestohlenen Skelette, die bereits in London waren, wurden den Ainu zurückgegeben, die meisten jedenfalls. All diese Zusammenhänge behandle ich im längsten Kapitel dieses Bandes. Hier werden die japanisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen der frühen Meiji-Zeit gewürdigt, denn viele bedeutende Mediziner der ersten Generationen erfuhren ihre Ausbildung zunächst bei deutschen Lehrern in Tokyo und gingen dann nach Berlin.

    Fragen der Restitution von Gebeinen werden jüngst auch in Deutschland diskutiert², aber die japanischen Verhältnisse sind in Europa doch weitgehend unbekannt. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen wie die Klage von drei Ainu-Vertretern vor dem Bezirksgericht Sapporo (seit 2012) ist daher statthaft: Sie verlangen die Rückgabe der im Auftrag der Hokkaidō-Universität entwendeten Gebeine ihrer Vorfahren, die Rückgabe auch von Grabbeigaben und ein Schmerzensgeld. Ein gewisser Prozentsatz ethnologischer Sammlungen in Japan wie in Europa steht unter dem begründeten Verdacht, mitsamt den Gebeinen aus Gräbern der Ainu entwendet worden zu sein. Dass also Ethnologie und Anthropologie bei vielen Ainu unter Generalverdacht stehen, sollte nicht verwundern.

    Es gibt aber auch versöhnliche Stimmen, die in einem Vortrag des Anthropologen Mark Hudson zu Wort kommen. Er sprach zum Thema „Vergangenheit und Zukunft der Erforschung von Ainu-Gebeinen"³ und kommt zu dem überraschenden Schluss: „Eigentümlich ist die Erforschung von Ainu-Gebeinen insofern, als den Bitten der Angehörigen [nach Respekt und Teilhabe an Ergebnissen], in seltenen Fällen zwar, seit einiger Zeit eher entsprochen wird. Überdies halten viele Ainu die Ergebnisse dieser naturwissenschaftlichen Forschungen mit Blick auf ihre Identität als Ureinwohner Japans für bedeutsam.⁴ Es gehe nun darum, „mehr als bisher die Ainu selbst in den Mittelpunkt eines neuen Forschungsrahmens zu setzen, und an anderer Stelle seines Diskussionsbeitrags heißt es unmissverständlich: „Wenn man wasserdicht belegen will, dass die Ainu im Norden Japans und in der angrenzenden Region eine lange und dynamische Geschichte als Ureinwohner hatten, kommt man um die Erforschung alter Gebeine nicht herum."⁵ Das wäre dann Anthropologie im Dienste der Identitätsfindung und politischen Positionierung innerhalb der japanischen Mehrheitsgesellschaft.

    Was wird nun aus den über 1.600 Gebeinen? Die Regierungen in Tokyo und Sapporo sind sich mit dem Ainu-Dachverband einig geworden, dass man in dem Städtchen Shiraoi (Hokkaidō) ein neues Ainu-Museum errichten wird und daneben eine Art Beinhaus und Gedenkstätte. Das wäre die sogenannte zentrale Lösung, die selbstverständlich von den Anthropologen (Physische Anthropologie) begrüßt wird, denn im Prinzip sollen diese Gebeine auch weiterhin der Wissenschaft zur Verfügung stehen. Dass der handzahme Ainu-Dachverband, der traditionell von japanischen Bürokraten durchsetzt ist und aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, diesem Projekt zustimmt, erzürnt die meisten der politisch und kulturell aktiven Ainu. Die von ihnen favorisierte dezentrale Lösung würde dazu führen, dass die Gebeine in ihren Heimatgemeinden ihre letzte Ruhe finden – eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen. Auf den seit 2012 anhängigen Prozess habe ich bereits hingewiesen. In diesem Zusammenhang wollte ich die Meinung eines kritischen Ainu-Vertreters hören, der wie die Kläger unmissverständlich auf der Rückgabe der Gebeine besteht, und so trafen wir, meine Frau Naoko und ich, im September 2014 den Museumsleiter Kawamura Ken’ichi in Asahikawa zu einem längeren Gespräch, und später hatte ich im Gegenzug in Tokyo Gelegenheit, einer Unterstützer-Gruppe um Kawamura von meiner Forschung zu berichten.

    Ein zweites Interview führte ich mit der Aktivistin Shimada Akemi, die ebenfalls aus Hokkaidō stammt, aber seit Jahrzehnten im Großraum Tokyo lebt. Erst relativ spät hatte Frau Shimada ein „coming out". Darüber sprachen wir, über den Zusammenhang von Diskriminierung und Identität, aber auch über Organisationen der Ainu und ihre persönlichen Erfahrungen auf Neuseeland, wo sie die Maori zweimal besuchte und wichtige Anregungen mitbrachte.

    Im Oktober 2014 hielt ich einen Vortrag vor der „Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte" (BGAEU), in dem ich Fragen aufgriff, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Europa und Japan diskutiert wurden: Woher kommen die Ainu? Wie wurden die japanischen Inseln besiedelt? Die Ansätze der alten Zeit kontrastiere ich mit den Forschungsergebnissen der letzten 20 Jahre, wobei alle relevanten Disziplinen zu Wort kommen, angefangen mit der bis heute in mancherlei Hinsicht umstrittenen frühen Besiedlungsgeschichte der japanischen Inseln über DNA-Analysen, Zahnkronen-Analysen bis hin zu kulturanthropologischen und linguistischen Erkenntnissen. Es versteht sich von selbst, dass die Akquisition des hier untersuchten DNA-Materials in den problematischen Bereich gehört, um es vorsichtig auszudrücken.

    Die Sprache der Ainu und die Sprachpolitik des japanischen Staates seit der ausgehenden Tokugawa-Zeit (etwa spätes 18. Jahrhundert) stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels, dem eine Vorlesung an meiner Universität zugrunde liegt. Auch die minderheiten-rechtliche Entwicklung stelle ich dar. Die administrativen Maßnahmen und vor allem die Bildungs- und Schulpolitik zeigen deutlich, dass die Verdrängung der Ainu-Sprache alles andere als ein „Naturprozess war, dem die kleinen Sprachen angesichts Modernisierung und Globalisierung „unweigerlich ausgesetzt sind. Ein Blick auf die aktuelle Lage sowie in ein Klassenzimmer, in dem die Ainu-Sprache unterrichtet wird, runden dieses Kapitel ab.

    Das Kapitel zur „Bärenamme behandelt zum größeren Teil die gegen die Ainu gehegten westlichen und japanischen Vorurteile in ihrer ganzen Ambivalenz, es werden aber auch die nötigen rituellen Hintergründe zum Bärenfest dargestellt, um die Fragwürdigkeit vieler Quellen zu demonstrieren. Im Kern geht es um die Frage, ob der Jungbär tatsächlich in den ersten Wochen von einer Frau gesäugt wurde. Es gab kaum Europäer, die im Winter auf Hokkaidō oder Sachalin eine Bärenjagd oder ein Bärenfest beobachtet und dabei etwa die rituelle Beschießung und die „Tränen der Bärenamme auch gesehen haben. Unkenntnis und Vorurteile sind dabei das eine, wissenschaftliche und journalistische Redlichkeit das andere. Wie genau belegen die Autoren die Existenz der „Bärenamme", die in Wort und Bild seit der Mitte des 18. Jahrhunderts nachweisbar ist? Wie kritisch gehen sie mit ihren Quellen um? Zitate aus zweiter und dritter Hand: Was bleibt da in der Regel noch erhalten? Tatsächlich fand ich Quellen, die bei Licht betrachtet nur das genaue Gegenteil der ursprünglichen Behauptung belegen. Und was ist von Interviews zu halten, in denen der Europäer kein Wort Ainu oder Japanisch versteht und die Gewährsperson erst betrunken gemacht wird, bevor sie ihre (wohl gespielte) Schüchternheit ablegt? Ist das Sittenbild der Bärenamme, das in Japan auf Bildern verbreitet war, ebenso realistisch und normal gewesen wie etwa die Algenernte an der Küste oder das Verfertigen von Kleidung aus Baumrinde, die ja ebenfalls in Sittenbildern der Ainu festgehalten wurden? Die wichtigste Frage: Wie steht es um Augenzeugen für die Bärenamme, gibt es zuverlässige Berichte? Ich präsentiere also alle Formen des Klischees in Wort und Bild, die ich erschließen konnte, inklusive der Alleinstellungsmerkmale, und untersuche abschließend den sachlichen Kern.

    Alle fremdsprachlichen Zitate in diesem Band sind von mir ins Deutsche übersetzt worden. Das betrifft vor allem die aus der von Kirsten Refsing besorgten reichhaltigen Sammlung „Early European Writings on Ainu Culture" übernommenen Quellen; neben den deutschen Autoren sind es hier die Engländer, Amerikaner und Franzosen, meist Kaufleute, Abenteurer oder Missionare. Es versteht sich von selbst, dass ich mir als Autodidakt bei japanischen Texten von Muttersprachlern helfen ließ, allen voran von meiner wissenschaftlichen Hilfskraft Kodama Hisako, die auch viele kleine Recherchen für mich erledigte, Karten anfertigte und bei Vorträgen mit ihren Power Point Kenntnissen assistierte. Den wichtigen Kontakt zu Frau Shimada stellte sie für mich her. Dank gebührt auch den umsichtigen Mitarbeiterinnen in der Bibliotheks-Fernleihe der Chūō-Universität, Frau Yamada, Frau Kinoshita und Frau Kanatsu, sodann den Ethnologen in Berlin und Leipzig, den Mitarbeitern der Rudolf-Virchow-Stiftung und vor allem der Anthropologin Barbara Teßmann (Berlin), die mich bei der heiklen Mission Ainu-Gebeine im Depot in Berlin-Friedrichshagen mit Umsicht und Sachverstand betreute. Meine Frau Naoko opferte einen Teil unseres gemeinsamen Hokkaidō-Urlaubs, um mich in Asahikawa, Sapporo und Yakumo zu unterstützen. Professor Nakagawa Hiroshi (Chiba Universität) ließ mich an seinem Sprachunterricht teilnehmen. Der Kurator Okuno Susumu zeigte mir Originale von Ainu-Sittenbildern und Vorzeichnungen im Besitz des Städtischen Museums Hakodate; ihm danke ich auch für das Copyright der in diesem Band verwendeten Zeichnungen. Frau Shimada Akemi stellte ihre Stickerei-Arbeiten, die man am Anfang eines jeden Kapitels bewundern kann, zur Verfügung, und Herr Kawamura Ken‘ichi steuerte das Titelfoto bei: die Aufnahme einer Verwandten, die einen Hausbären hält (Asahikawa, um 1950). Beiden danke ich sehr für das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachten.

    Um der besseren Lesbarkeit willen habe ich mich für Fußnoten entschieden, die Zitate und andere Quellen, die auch paraphrasiert sein können, in Kurzform nachweisen. Jedes Kapitel führt am Ende die zitierten oder anderweitig genutzten Quellen vollständig auf. Auf eine Bibliographie für das ganze Buch habe ich deshalb verzichtet, nur die wichtigsten japanischen Titel führe ich in einer gesonderten Bibliographie am Ende des Buches auf. Ein {J} in den Anmerkungen verweist auf einen japanischen Originaltitel.


    ¹ ann-elise lewallen: Bones of Contention: Negotiating Anthropological Ethics within Fields of Ainu Refusal, in: Critical Asian Studies, Vol. 39, No. 4, December 2007, S. 509-540. Das Zitat: S. 509f.

    ² Vgl. Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann (Hg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in anatomischen und musealen Sammlungen, Berlin 2013, und: Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt/M. 2013.

    ³ Mark Hudsons Diskussionsbeitrag in: Hokkaido University Center for Ainu & Indigenous Studies (Hg.): The Present and Future of Ainu Studies, Sapporo 2010, S. 136-139. {J}

    ⁴ Hudson (2010), S. 136.

    ⁵ Hudson (2010), S. 138.

    1. Woher kommen die Ainu?

    Zur Anthropologie und Geschichte der japanischen Ureinwohner

    Meine sehr verehrten Damen und Herren,

    erlauben Sie mir bitte, zunächst ein Wort zu verlieren über die Fußstapfen, in die ich hier trete. Ich meine damit die Herren Vorredner, die als Gäste aus Japan kommend hier vor dieser erlauchten Gesellschaft über die japanischen Ureinwohner, die Ainu, gesprochen haben. Zunächst (im Dezember 1871) ein veritabler Botschafter, Max von Brandt, der laut darüber nachdachte, dass Hokkaidō sich als deutsche Kolonie gut machen könnte. Gefolgt von einem nicht so prominenten Herrn Schlesinger (Juni 1880), sodann der den Ethnologen bestens bekannte Sammler Wilhelm Joest, und schließlich (1901 und 1906) der Arzt Erwin Bälz, der Hunderte von japanischen Medizinern ausgebildet hat und Leibarzt der kaiserlichen Familie war.⁷ Gastgeschenke wie Joest und Schlesinger kann und möchte ich nicht machen: Die Herren hatten damals „Aino-Schädel" im Gepäck, die Rudolf Virchow dankbar in den Sitzungen besprach. Aber mit leeren Händen komme ich nicht.

    Im Jahr 2008 wurden die Ainu vom japanischen Parlament einstimmig als die indigene Bevölkerung Japans anerkannt, nachdem man ihnen 1997 den Status einer ethnischen Minderheit und damit die besondere Förderung von Kultur und Sprache zugestanden hatte. Mit dem Status der Urbevölkerung sind über kulturelle Rechte hinausgehend auch Landrechtsfragen von Bedeutung. Auf der ganz großen politischen Bühne wäre deshalb zu fragen, ob denn der Inselstreit zwischen Japan und Russland (bzw. der Sowjetunion) um die Kurilen nicht eine ganz andere Lösung erfordert in Gestalt der Rückgabe oder durch Kompensationszahlungen an die indigenen Völker, die dort vor der japanischen und russischen Landnahme lebten. Völkerrechtlich ist diese Frage durchaus nicht so obsolet wie sie politisch erscheinen mag, denn hatte nicht bereits Adam Johann von Krusenstern (1770-1846) anlässlich seines Besuches der Insel Sachalin (1805) bemerkt: „allein sind die Ansprüche der Japaner auf Sachalin gerechter, als die irgend einer Europäischen Macht? Der wesentlichste Einwurf, den man machen könnte, wäre, daß eine solche Besitznahme ohne Einwilligung der wirklichen Besitzer von Sachalin, nämlich der Ainos, geschähe".

    Soweit zum politischen und rechtlichen Rahmen: Die Ainu sind als ethnische Minderheit und als japanische Ureinwohner anerkannt. Aber wie sieht es wissenschaftlich aus, was sagen die Genetiker, die Anthropologen, die Sprachhistoriker, die Archäologen und die vielen mehr oder weniger Berufenen, die sich seit dem 19. Jahrhundert mit Ansichten und Einsichten zu Wort gemeldet haben? Ich möchte hier die Forschungsgeschichte⁹, die im großen Stil etwa mit der Meiji-Restauration (ab 1868) und der Modernisierung Japans beginnt, nur in Schlaglichtern ansprechen und danach zusammentragen, was die oben genannten Disziplinen seit etwa 1990 an relevanten Erkenntnissen beisteuerten.

    Woher also kommen die Ainu? Wer sind die Ainu? Die Frage lässt sich nicht trennen von der Populationsgeschichte der japanischen Inseln insgesamt, sollte also „Japaner" und die Bewohner Okinawas einschließen; und Fragen der Physischen Anthropologie sind zu ergänzen durch Erkenntnisse aus dem Bereich der Kulturanthropologie. So vernünftig und selbstverständlich die Forderung nach interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Natur- und Kulturwissenschaften klingen mag, finden wir doch immer wieder Phasen in der japanischen Forschungsgeschichte, die durch nationalistische Scheuklappen geprägt sind und in Teilaspekten durchaus brauchbare Ergebnisse erzielt haben mögen, sich aber zugleich der Konstruktion eines Gesamtbildes verweigerten. Dass Japaner und Ainu gemeinsame Vorfahren haben könnten, kann schlechterdings nicht erschlossen werden, wenn die Frage nicht ernsthaft gestellt wird.

    Einstieg 1877: Der amerikanische Wissenschaftler Edward S. Morse (1838-1925) findet in Ōmori unweit der Hauptstadt Edo (heute: Tokyo) einen Muschelhaufen. Die Keramik dieses Menschen der Jungsteinzeit erinnert Morse an die europäische Schnur- oder Bandkeramik, und so sprechen japanische Archäologen noch heute von der „Jōmon-Kultur. Wer war nun dieser Mensch der Jungsteinzeit und in welcher Beziehung steht er zu den modernen Japanern, zu den Ainu und eventuell zu anderen Völkern der Region? Die japanische Bandkeramiker-Kultur ist über 10.000 Jahre alt und endet etwa 300 v.u.Z. mit der Einführung des Nassfeldanbaus von Reis und mit der Nutzung von Eisengeräten, was in Japan (ohne Hokkaidō und Okinawa) zu einer neuen Kultur führte, der „Yayoi-Kultur. Anders als „Jōmon, das die Bandkeramik bezeichnet, ist „Yayoi nur ein Ortsname: 1884 fand man einen Muschelhaufen in Yayoi, Ortsteil Hongō (Tokyo).

    Messungen an Ainu-Gebeinen wurden jedoch schon früher vorgenommen, und zwar etwa 1867 durch George Busk und Barnard Davis in London. Busk hält seinen Vortrag zu einem Ainu-Schädel am 26. März 1867 vor der „Ethnological Society of London, und Davis hatte neben einem Frauen-Skelett, das er mit einem „australischen verglich, noch weitere Ainu-Gebeine zur Verfügung. Busk sah keinen wesentlichen Unterschied zu einem typischen Europäer-Schädel. Ein Wort zum Hintergrund dieser Messungen: 1865 gab es unweit der Hafenstadt Hakodate (Hokkaidō) einen spektakulären Fall von Grabraub, in den kein Geringerer als der englische Konsul Francis Howard Vyce verwickelt war. Für mich steht fest, dass die von Busk und Davis untersuchten Gebeine auf diesem Wege nach England gelangt sind.¹⁰ Rudolf Virchow rekurriert immer wieder auf Davis, ebenso hat die Reiseschriftstellerin Isabella Bird die Davis-Untersuchung, die neben den reinen Messdaten auch Informationen zur Kultur der Ainu enthält, auf ihrer Hokkaidō-Reise (1878) im Hinterkopf.

    Wenn wir die Ainu als Ureinwohner Japans ansprechen, wäre die Annahme naheliegend, dass sie tatsächlich die ganze Inselgruppe bewohnt haben und dann durch eine spätere Einwanderung an die Ränder verdrängt wurden. Davon war der englische Missionar John Batchelor (1854-1944) überzeugt, der die Ainu von der Amur-Mündung über Sachalin bis ins südliche Kyūshū ansiedelte und dafür vor allem linguistische Argumente anführte. Auch der polnische Ethnologe Bronisław Piłsudski geht fest davon aus, dass die Ainu in jahrhundertelangen Kriegen nach Norden verdrängt wurden. Gemeinsam mit den Vedda auf Ceylon seien die Ainu als Ur-Arier oder früheste Indo-Europäer anzusprechen, meint

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