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Verbot, Verfolgung und Neubeginn: Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert
Verbot, Verfolgung und Neubeginn: Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert
Verbot, Verfolgung und Neubeginn: Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert
eBook646 Seiten7 Stunden

Verbot, Verfolgung und Neubeginn: Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert

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Über dieses E-Book

"Verbot – Verfolgung – Neubeginn" schließt an den bereits erschienenen Band des Autors zur Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert mit dem Titel "Aufklärung, Humanität und Toleranz" an und legt nun mit dem neuen Buch die Gesamtgeschichte der österreichischen Freimaurerei von den Anfängen bis in das 20. Jahrhundert vor. Der Autor spannt den Bogen von der Zeit der Restauration und des Vormärz über die Grenzlogenzeit, den Ersten Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg, das Exil bis zum Neubeginn nach 1945 und schließt mit einem Ausblick auf die Ziele, Werte und Zukunftsaufgaben der Freimaurerei.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum25. Feb. 2021
ISBN9783706561495
Verbot, Verfolgung und Neubeginn: Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert
Autor

Helmut Reinalter

Geb. 1943, Studium der Geschichte und Philosophie an den Universitäten Innsbruck und der Sorbonne I in Paris, Promotion zum Dr. phil. 1970, Habilitation in Innsbruck 1978, von 1981 bis 2009 Prof. für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie. Seit 2000 Leiter des Privatinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck. Seit 2009 Dekan der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Mitglied des Club of Rome/Chapter Österreich und des Akademischen Rates der Humboldtgesellschaft. Ehrendoktorat der Universität Cambridge 2015 (IBC). Gastprofessuren und Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Akademien. Herausgeber mehrerer wissenschaftlicher Reihen und der Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung (IF).

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    Buchvorschau

    Verbot, Verfolgung und Neubeginn - Helmut Reinalter

    Vorwort

    Das Forschungsprojekt „Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei wurde schon vor 16 Jahren vom privaten Forschungsinstitut für Ideengeschichte unter der Leitung des Autors geplant. Der erste Band erschien 2017 unter dem Titel „Aufklärung, Humanität und Toleranz. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert in der Reihe „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei als Band 18 im Studienverlag in Innsbruck. Nun legt der Verfasser den zweiten Teil der Forschungsreihe mit dem Titel „Verbot, Verfolgung und Neubeginn. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 19. und 20. Jahrhundert vor. Damit entsteht die erste wissenschaftlich umfassende Geschichte der Freimaurerei in Österreich, von den Anfängen bis in die 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte konnte aus Deckungsgründen allerdings nicht bis zur aktuellen Gegenwart fortgeschrieben werden.

    Auch der vorliegende Band strebt keine Geschichte der Einzellogen und keine Chronologie der Ereignisse an, sondern stützt sich strukturgeschichtlich auf wichtige Schwerpunkte und auf die Erklärung komplexer Zusammenhänge. Selbstverständlich spielen dabei auch freimaurerische Persönlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Buch beginnt mit einer Einleitung, die einen Überblick über den Stand der Forschung gibt und setzt dann mit einem kurzen Rückblick und mit der Zeit der Restauration und des Vormärz, mit den Grenzlogen, mit dem Ersten Weltkrieg, mit der Gründung der Großloge 1918, mit der österreichischen Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit, dem Zweiten Weltkrieg und dem Exil fort. Der Abschluss behandelt den Neubeginn der Logenarbeiten nach 1945 und bietet zum Schluss einen Ausblick auf Ziele, Werte, Haltungen und Zukunftsaufgaben der österreichischen Freimaurerei. In den Fußnoten finden sich Kurzzitate, die Vollzitate der benutzten Literatur enthält das Schriftenverzeichnis.

    Der Verfasser dankt zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen und Personen für die archivarische Unterstützung bei der Ausarbeitung des vorliegenden Manuskripts: Erwähnt werden müssen hier vor allem das Deutsche Sonderarchiv in Moskau (heute Aufbewahrungszentrum der historisch-dokumentarischen Kollektionen) und Direktor Victor Nicolajewitsch Bondarew, der Präsident des Komitees für Archivangelegenheiten bei der Regierung der Russischen Föderation Rudolf Germanovich Pichoja, Tofik Islamov von der Russischen Akademie der Wissenschaften, der österreichische Botschafter Walter Siegl, Michail Dmitriev (Lomonossow-Universität Moskau), Brigitte Schagerl, die Leninbibliothek in Moskau, das Geheime Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (Direktor Jürgen Klosterhuis und Kornelia Lange), das Bundesarchiv Berlin, das ehemalige Zentrale Staatsarchiv der DDR, Historische Abteilung II Merseburg und Renate Endler, das Österreichische Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv und Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien, das Archiv und Bibliothek der Großloge von Wien, das Niederösterreichische Landesarchiv in St. Pölten, das Jesuitenarchiv in Wien, das Kärntner Landesarchiv Klagenfurt, die Bibliotheca Rosenthaliana Amsterdam, das Archiv der Quatuor Coronati Forschungsloge Wien, das Ungarische Staatsarchiv in Budapest, das Archiv Jugoslavije Beograd, die Biblioteka Klossiana in Den Haag und das Deutsche Freimaurermuseum Bayreuth.

    Zu den hier erwähnten wissenschaftlichen Institutionen, Archiven und Bibliotheken kommen noch zahlreiche Personen, die dem Autor wichtige Hinweise gegeben haben: Zsuzsanna Ágnes Berényi, Erich Donnert (†), Helmut Keiler (†), Hans Kloser-Homma (†), Günter K. Kodek (†), Hans Koller, Michael Kraus, Hans Kummerer (†), Max Lotteraner (†), Reinhard Markner, Lorenz Mikoletzky, Frederik Mirdita (†), Marcus G. Patka, Manfred Pittioni, Attila Pók, Heinz Scheiderbauer (†), Nikolaus Schwaerzler, Eugen Semrau, Alfred Stalzer und Johannes Strodl.

    Für organisatorische Hilfestellungen, Recherchen und zahlreiche Schreibarbeiten danke ich meinen Mitarbeiterinnen Jacqueline Lukovnjak und Sabine Robic. Dieser zweite Band der Geschichte der österreichischen Freimaurerei ist nicht im Auftrag der Großloge bzw. des Großbeamtenrats geschrieben worden, sondern im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts des Forschungsinstituts für Ideengeschichte in Innsbruck. Der Ausblick mit den Zukunftsproblemen und -aufgaben stellt die persönliche Meinung des Autors dar.

    I. Einleitung

    Forschungsperspektiven

    1. Die ältere masonische Geschichtsschreibung

    Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben der freimaurerischen Forschung, sich über Tendenzen und Richtungen der profanen Wissenschaft mit ihren Methoden zu informieren und diese in ihre Forschungspraxis zu integrieren. Aus den neueren Untersuchungen über Freimaurerei, die auch von Nichtfreimaurern verfasst wurden, geht hervor, dass diese bei der Verbreitung der Aufklärung und im geistig-kulturellen und im politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozess schon seit der Frühen Neuzeit und dann besonders im 18. und 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch die sich neben der Freimaurerei entfaltenden Geheimgesellschaften, die auf vielschichtigen hermetisch-esoterischen Geistestraditionen aufbauen, sind durch neue Forschungen in vielen Details verständlicher geworden.1 Zwar wurde von der älteren Historiographie freimaurerische Geschichtsforschung oft unkritisch und dilettantisch betrieben, doch dürfen dabei die wirklich fundierten Arbeiten im 19., 20. und 21. Jahrhundert nicht übersehen werden.

    Wichtig war neben verschiedenen Privatinitiativen im ausgehenden 19. Jahrhundert der Zusammenschluss freimaurerischer Historiker zur Forschungsloge „Quatuor Coronati in London (1884), die seit 1886 die Zeitschrift „Ars Quatuor Coronatorum herausbringt und bisher kein gleichwertiges Pendant gefunden hat. Thematisch ist dieses Periodikum nicht allein auf die britischen Inseln beschränkt, sondern bezieht auch die Geschichte der Freimaurerei im übrigen Europa und in Übersee mit ein.

    In Deutschland und Österreich, wo gleichfalls Forschungslogen gegründet wurden (in Wien erst 1974), musste die freimaurerische Geschichtsschreibung 1945 von Neuem beginnen, während sie in Frankreich nach 1933 eine besondere Blüte erlangte. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sie an Bedeutung zugenommen und lief dann der deutschsprachigen Forschung den Rang ab. Aber auch die nach dem Zweiten Weltkrieg in England, Deutschland und Österreich erschienenen Bücher, Studien und Aufsätze weisen auf eine respektable Leistung hin und bilden wertvolle Grundlagen für weitere masonische Forschungen. Darüber hinaus hat sich die Freimauerforschung auch in anderen europäischen Ländern in den letzten Jahrzehnten positiv entwickelt, wie z.B. in Belgien, Holland, Spanien, Italien, Ungarn, Polen und Russland, sodass man heute bereits von einer überregionalen, europäischen und weltweiten Freimaurerforschung sprechen kann.

    Dass gerade die französische Forschung nach 1933 so stark an Bedeutung zunahm, liegt neben der Tatsache, dass auch Nichtfreimaurer sich mit der kontroversen Problematik „Freimaurerei und Revolution auseinandersetzten, im Umstand, dass dort ideale Bedingungen zur Ausschöpfung der Quellen herrschen, zumal die Archive des Grand Orient und der Grand Lodge, der Bibliothéque Nationale in Paris und darüber hinaus zahlreiche Logenarchive in Frankreich der Forschung ohne weitgehende Einschränkungen zugänglich sind. Die neuere französische Historiographie befasst sich heute vor allem mit dem Thema „Freimaurerei und Geheimgesellschaften aus der Sicht der Religionswissenschaft, der Mentalitäts- und Kulturgeschichte, der Geistes- und Ideengeschichte, der Sozialwissenschaften und Sozialgeschichte und zieht auch deren Fragestellungen und Methoden stärker heran.

    In England besteht dagegen immer noch eine gewisse Distanz zwischen Fachhistorie und freimaurerischer Geschichtsforschung, die jedoch sehr aktiv ist und trotzt starker Autarkie nach 1945 eine Reihe von grundlegenden Arbeiten herausbrachte, wobei in letzter Zeit vor allem Untersuchungen über Symbolik, Ritualistik und enzyklopädische Bemühungen im Vordergrund stehen. In der schon erwähnten Zeitschrift „Ars Quatuor Coronatorum" wurden jüngst neben regionalen und nationalen Logenarbeiten auch allgemeine historische Fragen, Quellenprobleme und Fragen der Historiographie und Methoden stärker berücksichtigt. Die deutsche und österreichische Freimaurerforschung erfuhr starke Impulse und Anregungen von älteren maurerischen Standardwerken, die zum Teil unverändert nachgedruckt wurden.2

    2. Die Forschung in Österreich

    Standen in Deutschland zuerst noch para- und pseudomaurerische Geheimbünde und der Illuminatenorden im Mittelpunkt der fachhistorischen Interessen, so wendet sich die Historiographie nun schon seit einigen Jahrzehnten stärker den Aufklärungsgesellschaften, dem Verhältnis von Aufklärung, aufgeklärtem Absolutismus und Freimaurerei, dem Nationalsozialismus und den Verschwörungstheorien zu. Auch regionale Studien bzw. einzelne Logengeschichten, die in letzter Zeit stark zugenommen haben, bilden eine wichtige Voraussetzung für eine moderne Gesamtgeschichte der Freimaurerei in Deutschland. Dies trifft zum Teil auch auf Österreich zu. Hier ist von Helmut Reinalter bereits der erste Band einer modernen Geschichte der österreichischen Freimaurerei erschienen.3 In Österreich setzte die kritische Freimaurerforschung, die mit den mythischen Legenden aufgeräumt hatte, erst im 20. Jahrhundert ein.

    Als älterer Autor wäre Ludwig Lewis zu nennen, der 1861 mit seiner „Geschichte der Freimaurerei in Österreich" als erster Historiograph gilt.4 Das Buch besteht aus einer ca. 50 Seiten umfassenden Darstellung und rund 100 Seiten Dokumenten. Die Darstellung weist aber zahlreiche Fehler auf. Lewis bezeichnet vor allem die Freimaurerei als seriös und harmlos, als staatstragend und ungefährlich. Im Zeitraum von 1869–1871 kam eine Vielzahl von Kleinliteratur heraus. Bedeutsam ist aber die umfassende und umfangreiche Darstellung von Ludwig Abafi (Pseudonym für Ludwig Aigner) über die Geschichte der Freimaurerei in Österreich Ungarn.5 Nicht unwichtig für die Freimaurerforschung waren auch die Beiträge in masonischen Zeitschriften, hier vor allem in der „Latomia und in „Der Zirkel, der 1871 herauskam und als Organ der Loge „Humanitas sowie später aller Grenzlogen fungierte. Im „Zirkel wurden immer wieder Beiträge zu historistischen Themen, Dokumente und Miszellen publiziert.6 Unter den Autoren fanden sich Freimaurerhistoriker, wie Gustav Brabbée und Ludwig Aigner. Der Wiener Vertreter von Ludwig Lewis, Franz Julius Schneeberger, veröffentlichte darin einen ersten Bericht über die Gründung der Grenzloge „Humanitas. Der Bericht wurde 1883 nochmals publiziert.7 Als Quelle waren diese Beiträge allerdings ziemlich dürftig. Ähnliches gilt auch für historische Abhandlungen im „Zirkel.8

    Wichtiger sind die verschiedenen Logengeschichten, die aus Anlass runder Logenjubiläen geschrieben bzw. herausgegeben wurden.9 Nicht frei von apologetischen Argumenten war die Schrift von Julius Goldenberg „Staat, Kirche und Freimaurerei".10 Diese Schrift war gegen kirchliche Angriffe gerichtet und vertrat die Auffassung, dass in der katholischen Kirche der Gegner der Freimaurerei zu suchen sei. Goldenberg war, wie man der Schrift entnehmen kann, ein kämpferischer Liberaler. Er wies auch auf den Fehler hin, der von der österreichischen Freimaurerei begangen wurde, die Öffentlichkeit nicht besser über die Bruderkette zu informieren. Er forderte ein offeneres Auftreten in der Öffentlichkeit.

    Die wichtigsten freimaurerischen Historiker im 19. Jahrhundert waren zweifelsohne Gustav Brabbée und Ludwig Aigner-Abafi. Es ist bis heute nicht ganz geklärt, wie groß der Anteil Brabbées an Abafis Werk „Geschichte der Freimaurerei in Österreich-Ungarn" war. Der Freimaurerhistoriker Hans Wagner vertrat die Meinung, dass Brabbée der eigentliche Verfasser gewesen sei.11 Beide Autoren, Brabbée und Aigner-Abafi, konnten die Quellen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Freimaurerarchivs des Grafen Festetics in Dégh auswerten. Das Freimaurerarchiv enthielt ca. 10.000 Bögen. Da viele Quellen nicht mehr vorhanden sind, kann das Werk der beiden Autoren heute als wichtige Quelle bezeichnet werden. Das fünfbändige Werk über die österreichische Freimaurerei von den Anfängen bis 1885 war damals durch seinen Quellencharakter nicht nur die umfassendste Darstellung zu diesem Thema, sondern für die heutige Forschung auch zu einem Standard geworden. Zwei weitere Bände waren geplant, konnten aber nicht mehr realisiert werden.12

    Die ungarische Historikerin Éva H. Balázs, die die freimaurerischen Archivbestände von Dégh betreute und darauf aufbauend eine große Veröffentlichung vorbereiten sollte, hatte für längere Zeit diesen Materialkorpus für sich sperren lassen, sodass er bis heute nicht zugänglich ist. Das geplante Projekt von Balázs wurde nicht zu Ende geführt. Die Wiener Forschungsloge Quatour Coronati hat das leider im Werk fehlende Register erfreulicherweise zusammengestellt. Aigner-Abafi hat das Quellenmaterial, das ihm zugänglich war, in sein Werk eingearbeitet, sodass ein nützliches Kompendium entstanden ist, das für die Freimaurerforschung unentbehrlich erscheint. Das Werk entspricht allerdings nicht modernen wissenschaftlichen Ansätzen und Methoden, sondern stellt eine ausschließliche Ereignisgeschichte dar. Die Entwicklungen von Großlogen und Logen stehen im Zentrum der Darstellung, die Charakterisierung bestimmter Zeitperioden streift es nur in Überblicken. Die wichtigen und ausführlichen Mitgliederlisten wurden von den beiden Autoren leider nicht strukturgeschichtlich ausgewertet bzw. politisch, sozial und ökonomisch zugeordnet. Hans Wagner hat diese Kritik gut zusammengefasst: „Leider hat Aigner – oder Brabbée – versucht, die Lücken dieses Archivs mit Spekulationen auszufüllen, die vor allem der älteren, unkritischen Literatur entnommen wurden".13 Aigner-Abafi hat sich aber um eine weitgehend objektive Darstellung bemüht und auch die Probleme und Schattenseiten der Freimaurerei behandelt und kritisiert. Den Einfluss der Freimaurerei auf die Gesamtgeschichte überschätzt er nicht und blieb hier vorsichtig. Heute ist dieses Werk noch immer als Mate-rialsammlung bedeutend, in der Darstellung aber in Teilen überholt. Es enthält auch viele Irrtümer, Spekulationen und gilt methodisch als weitgehend überholt, trotzdem bedeutete dieses Werk vor dem Zeithintergrund einen Meilenstein der österreichisch-ungarischen Geschichtsforschung. Ludwig Aigner-Abafi beteiligte sich auch mit Beiträgen am „Allgemeinen Freimaurer Lexikon", das 1900 bereits in dritter Auflage erschienen ist.14

    3. Antimasonische Schriften

    Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ist dann eine Reihe von antimasonischen Schriften erschienen, die eigentlich Pamphlete waren. Zu erwähnen ist hier Eduard Emil Eckert, der gegen die österreichische Freimaurerei, die damals noch verboten war, polemisierte. Eckert war Rechtsanwalt und verfasste ein antimasonisches Buch, in dem er der Freimaurerei unterstellte, dass diese eine Revolution gegen Kirche und Monarchie plane und Eigentum, Stände und Innungen in Frage stelle. In der Freimaurerei sah er „das Böse" in der Gesellschaft. Seine antimasonische Agitation begann vor allem nach der Revolution von 1848/49.15 Später folgten dann „Enthüllungen aus der geheimen Werkstätte der Freimaurer, die durch den Abdruck von Mitgliederlisten für die Forschung wichtig geworden sind.16 In diesen Enthüllungen wurde auf das enge Verhältnis zwischen Freimaurerei und Revolution hingewiesen. Die Freimaurerei hätte liberale Anschauungen vertreten, ja sie wäre die Seele und Mutter des Liberalismus und das Judentum der Vater gewesen. Ähnlich ausgerichtet wie die „Enthüllungen war dann auch der Tagungsband „Die Freimaurerei Österreich-Ungarns, der 1897 erschienen ist.17 Als Herausgeber fungierten einflussreiche katholische und konservative Persönlichkeiten. Auch darin wurde die Freimaurerei als Gegner von Kirche und Staat dargestellt. Darüber hinaus spielten auch christlichsoziale Polemiken gegen die Freimaurerei und der damit verbundene Antisemitismus eine wichtige Rolle. Hier tat sich vor allem der christlichsoziale Lokalpolitiker Franz Stauracz in Broschüren hervor: „Gottesglaube und Atheismus, diese beiden Mächte ringen um den Sieg in der Welt. Der Gottesglaube, die absolute religiöse Wahrheit, repräsentiert in der katholischen Kirche; der Atheismus in der Loge der Afterkirche.18 Bei ihm werden Freimaurerei und Sozialismus gleichgesetzt.

    Nach dem Ersten Weltkrieg wurden weitere antimasonische Schriften veröffentlicht. Zu nennen wäre hier vor allem Friedrich Wichtl, der in seinem weit verbreiteten Buch „Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik die Maurerei als eine internationale Organisation bezeichnete, die sich zum Ziel setzt, den Sturz der alten Ordnung vorzunehmen und eine Weltrepublik zu errichten. Wichtl wurde in Wien geboren, studierte Jura an der Wiener Universität und vertrat als Deutschradikaler seit 1911 den Südböhmischen Wahlkreis Krumau im Reichsrat und dann von 1918–1919 in der Provisorischen Nationalversammlung. Sein Buch war eine Einführung in die Geschichte, Gradsysteme und Brauchtümer der Freimaurerei, wurde dann im zweiten Teil polemischer und nahm an Schärfe gegen die Freimaurerei zu. Er beschreibt den Weg von der Weltrevolution zur freimaurerischen Weltpolitik. Der junge Student Heinrich Himmler lobte dieses Buch, „das über alles aufklärt und uns sagt, gegen wen wir zu kämpfen haben.19 Das Buch erschien in 10 Auflagen. 1927 erschien von Friedrich Hergeth (pseud. für Paul Heigl) ein Buch, das stärker rechtsradikal orientiert war.20 Hergeth bietet einen Überblick über soziale Zusammensetzungen der Logen in den 20er Jahren und über die Aktivitäten verschiedener Brüder. Es wird auch die Beteiligung von Freimaurern an politischen und kulturellen Vereinen dargestellt, auch im Pressewesen und in der Bankenwelt. Das Buch verstand sich als eine Art Enthüllungsschrift.21

    Durch die Öffnung der Archive nach dem Ende der Monarchie konnte man bei den nun erscheinenden Arbeiten auch neues Quellenmaterial berücksichtigen. Einige neue Aktenfunde wurden von dem sozialdemokratischen Historiker Ludwig Brügel veröffentlicht.22 Über die Beziehungen zwischen Mozart, seinem Werk und der Freimaurerei sind zwei Veröffentlichungen aus der Feder von Otto Erich Deutsch und Eugen Komorzynski erschienen.23 Rudolf Cefarin schrieb eine umfangreichere Geschichte der Freimaurerei in Kärnten.24 Hier wurden vom Verfasser erstmals auch Quellen aus verschiedenen Archiven herangezogen. Sein Buch ist sehr stark biographisch aufgebaut, weil es zahlreiche Kurzbiographien von Freimaurern enthält. Großes Echo fand auch das vom Schriftsteller und Journalisten Eugen Lennhoff und dem Karlsbader Historiker Oskar Posner herausgegebene Internationale Freimaurerlexikon25, das mehrmals nachgedruckt wurde und sich als wichtiges freimaurerisches Nachschlagewerk herausgestellt hat. Es weist zahlreiche Fehler auf, ist aber ziemlich umfassend und ähnelt dem schon erwähnten „Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei, das bereits im 19. Jahrhundert erschienen ist. Aus der Feder von Eugen Lennhoff kam dann 1929 das Buch „Die Freimaurer heraus.26 Diese Darstellung war sehr populär, bot einen Gesamtüberblick über die Geschichte der Bruderkette, ohne aber neue Quellen einzuarbeiten. Sein Buch ist nicht als eine missionarische Schrift zu verstehen, sondern als verständliche Darstellung der Geschichte und des Wesens der Freimaurerei. Die Darstellung ist nicht eingeschränkt auf Österreich, sondern fasst die Weltbruderkette und die Internationalität ins Auge, weil die Freimaurerei diesbezüglich in einem engen Zusammenhang stand.27 Um 1930 erschienen dann weitere freimaurerische Publikationen, darunter auch MS-Dissertationen über die Freimaurerei im 18. Jahrhundert.28 Durch die politischen Ereignisse von 1933/34 und dann 1938 wurde dieser hier angedeutete Aufbruch beendet.

    4. Der Neubeginn der Forschung

    Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Neubeginn in der freimaurerischen Forschung in Österreich recht schwierig, wobei auch eine Anknüpfung an die Veröffentlichungen vor dem Zweiten Weltkrieg kaum erfolgte. Die Voraussetzungen für die Forschung waren also sehr ungünstig. Trotzdem fanden sich einige Freimaurerforscher, wie Edwin Zellweker29 und besonders Gustav Kuéss, die zu publizieren begannen. Um Kuéss bildete sich ein kleiner Kreis von Freimaurerhistorikern, der sich bemühte, die bisherigen freimaurerischen Arbeiten neu zusammenzustellen und auch freimaurerische Zeitungen zu analysieren. Dieses gesammelte Material befindet sich im „Kuéss-Nachlass im Archiv der Großloge von Österreich. Kuéss war ein anerkannter freimaurerischer Historiker, obwohl er Geschichte nicht studiert hatte. Er war historisch sehr interessiert und schrieb auch für die Zeitschrift der Loge „Lessing, die er herausgab, sechs Beiträge und hielt 20 Baustücke in verschiedenen Logen.30 Darüber hinaus hat er auch viele Artikel aus der Zeitschrift der englischen Forschungsloge Ars Quatuor Coronatorum übersetzt und viele davon auch weiterbearbeitet. Gemeinsam mit dem Großmeister Bernhard Scheichelbauer schrieb er das Buch „200 Jahre Freimaurerei in Österreich und gab auch die Festschrift 60 Jahre Loge „Lessing heraus.31 Wichtig für die freimaurerische Historiographie waren vor allem seine beiden Bücher über die deutschen Historiker der Freimaurerei32 und über die Vorgeschichte der Bruderkette.33 Im Archiv der Großloge von Wien liegen 18 Kartons, die von Kuéss gesammelten Kopien aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv stammen. Kuéss war Verwaltungs-Oberkommissar, Magistratsbeamter der Stadt Wien und Mitbegründer des vom Freidenkerbund Österreichs abgespaltenen Kulturvereins „Freigeist- Verein für freie Weltanschauung. Er wurde am 28. März 1936 in die Loge „Freiheit aufgenommen und affiliierte 1945 in die Sammelloge „Humanitas renata. Ab 1948 war er Leiter der österreichischen Landesgruppe der Universellen Freimaurerliga und ab März 1949 Gründer und Leiter der freimaurerischen Arbeitsgemeinschaft Quatuor Coronati.34 Im Jahre 1950 wählte ihn die Bundeshauptversammlung der Großloge zum Großbibliothekar und zum Leiter des Archivs. Dieses Amt behielt er bis zu seinem Tod 1965. 1960 wurde er aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenmitglied der Großloge von Österreich ernannt. 1961 schrieb er als Baustück eine Geschichte der Wiener Großlogen-Bibliothek und deren museale Sammlungen.35 Dazu stellte Kuéss fest: „Konnte die Bücherei der Großloge nach 1945 auf dem geretteten Grundstock weiter ausgebaut werden, waren von den musealen Sammlungen, soweit überhaupt solche vorhanden waren, nur wenige Schaustücke. … Vor 1938 hatte sich niemand gefunden, der die damals sicherlich noch reichlicher vorhandenen freimaurerischen Reliquien gesammelt und sie als wertvolle historische Zeugnisse aufbewahrt und konserviert hätte. Diesem Versäumnis abzuhelfen galt eine der Hauptsorgen des Groß-Bibliothekars und er versuchte … auch in Wien freimaurerische Sammlungen anzulegen und auszubauen.36

    Ab 1950 ist dann eine weitere Reihe guter maschingeschriebener Wiener Dissertationen erschienen, wie jene von Herwig Obrecht, Lucia Franc, Paul Hofer, Ursula Tschurtschenthaler, Gudrun Junascheck und Josef Sura.37 Von Gustav Kuéss und seinen Mitarbeitern sowie von Bernhard Scheichelbauer erschien dann 1959 das Buch „200 Jahre Freimaurerei in Österreich".38 Dieses war kein wissenschaftliches, aber trotzdem eine verdienstvolle Zusammenfassung, allerdings mit mangelhaften Analysen. Erst ab den 1960er Jahren kamen dann wissenschaftlich fundierte freimaurerische Publikationen heraus, darunter Sammelbände, auch zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze und weitere Dissertationen. Zu erwähnen wären hier vor allem die Autoren und Autorinnen Éva H. Balázs, Ludwig Hammermayer, Hans Wagner, J. Wojtowicz, Helmut Reinalter, Peter F. Barton und Edith Rosenstrauch-Königsberg, um hier nur die wichtigsten zu nennen.39

    5. Die Entwicklung der freimaurerischen Geschichtsschreibung ab 1960 und die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati Wien

    Ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts traten immer mehr bestimmte Forschungsschwerpunkte in das Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Zu diesen Schwerpunkten zählten das Verhältnis zwischen Aufklärung und Freimaurerei, insbesondere die josephinische Zeit, die Beziehungen zwischen Freimaurerei und Französischer Revolution bzw. Jakobinern in Mitteleuropa, die Verbindungen zwischen regulärer Freimaurerei und den zahlreichen paraund pseudomaurerischen bzw. politischen Geheimbünden, wie z.B. die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer, der Illuminatenorden, die Asiatischen Brüder, der Evergetenbund, der Geheimbund der Carbonari und die Deutsche Union.40 Besonders wichtig wurde dann für die österreichische Freimaurerhistoriographie die Gründung der Forschungsloge Quatuor Coronati 1974, die schon erwähnt wurde. Ihr Verdienst war vor allem die Gewinnung neuer Erkenntnisse über die Anfänge der Freimaurerei, wo sie Behauptungen korrigieren konnte, die frühe Prager Logengründung sei durch Graf Sporck erfolgt.41 Die Forschungsloge gab dann auch die Quatuor Coronati-Berichte heraus, in denen zahlreiche Aufsätze über die Freimaurerei erschienen sind. Manche Beiträge, die in diesen Berichten veröffentlicht wurden, wiesen aber in den Anfängen noch kein besonderes wissenschaftliches Niveau auf. Für die Geschichtsschreibung bedeutsam wurde auch die beginnende rege Ausstellungstätigkeit in Österreich mit Katalogartikeln. Erwähnt werden müssen hier vor allem die Ausstellungskataloge des Historischen Museums der Stadt Wien und der Dauerausstellung des Freimaurermuseums Schloss Rosenau. Dort fanden auch regelmäßig Sonderausstellungen statt.42 Was aber noch immer fehlte, war eine Gesamtdarstellung der Geschichte der österreichischen Freimaurerei. Auch das 19. und 20. Jahrhundert wies noch zahlreiche Forschungslücken auf.

    Als besonderes Problem bei der Erforschung der Geschichte der österreichischen Freimaurerei stellte sich der enge Zusammenhang der Freimaurergeschichte Österreichs mit den historischen Entwicklungen der Bruderkette in Tschechien, Ungarn und anderen Nachbarländern heraus. Erste wichtige Anstrengungen wurden hier von der Quatuor Coronati Loge bereits eingeleitet.43 Auch das Symposium „250 Jahre Freimaurerei in Österreich" befasste sich 1992 mit der Geschichte der österreichischen Freimaurerei und mit einem Ausblick in die Zukunft.44

    6. Der Stand der neuesten Historiographie

    In jüngster Zeit hat die österreichische Freimaurerforschung besonders intensiv publiziert und wichtige Forschungslücken schließen können, vor allem sind auch umfangreichere Monographien herausgekommen. Die Veröffentlichungen weisen ein sehr professionelles und qualitativ hochwertiges wissenschaftliches Niveau auf, das durchaus mit profanen Forschungen Schritt halten kann. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang auch die Auffindung des Wiener Großlogenarchivs im Deutschen Sonderarchiv in Moskau. Helmut Reinalter hat hier gleich nach der Wende mit Genehmigung der Russischen Akademie der Wissenschaften die Freimaurerakten eingesehen und sie als ehemaliges Archiv der Großloge von Wien identifiziert. Ein Teil dieser Akten (leider mit vielen Duplikaten) kam dann über Initiative von Stefan Karner und Bernd Gallob in Kopien zurück in das Archiv der Großloge von Wien. Helmut Reinalter stellte den Aktenfund auch im Detail dem Großbeamtenrat der Großloge von Wien in schriftlicher Form vor.

    Unter den neuesten Forschungen müssen vor allem die beiden Historiker Helmut Reinalter45 und Marcus G. Patka46 genannt werden. Marcus Patka war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Exil im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands und ist seit 1989 Kurator am Jüdischen Museum Wien. Dort ist er zuständig für Ausstellungen, den Aufbau des digitalen Medienarchivs und für Kultur- und Zeitgeschichte. Seit 2012 ist er auch am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien als Dozent tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die jüdische Geschichte, der Nationalsozialismus und die Exilgeschichte. Helmut Reinalter war bis zu seiner Emeritierung Prof. für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie an der Universität Innsbruck, leitete dort viele Jahre die internationale Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa und gründete 2000 das private Forschungsinstitut für Ideengeschichte, das sich neben der Demokratieforschung auch mit der Erforschung der Freimaurerei und Geheimgesellschaften beschäftigt.47 Seine Forschungsschwerpunkte umfassen neben der Freimaurerei, Ideengeschichte, Politische Geschichte, Sozialgeschichte, Politische Philosophie, Ethik und Theorien und Methoden der Geisteswissenschaften. Er war auch vorübergehend Leiter der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei, die zu einer überregional bedeutsamen Forschungseinrichtung und Koordinierungsstelle geworden ist, aber dann leider nach einigen Jahren aufgelöst werden musste. Er war 15 Jahre Leiter der Freimaurerakademie der Großloge von Österreich und wurde zum Ehrenmitglied der Großloge ernannt. Im Rahmen des Instituts für Ideengeschichte gibt er auch die Zeitschrift für Internationale Freimaurer-Forschung48 und vier wissenschaftliche Reihen, „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei49, „Interdisziplinäre Forschungen50, „Schriftenreihe der Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1848/49 und gemeinsam mit Anton Pelinka die Reihe „Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit" heraus.51 Von ihm sind ab 1982 mehrere Monographien zur Freimaurerei erschienen52, wie: Geheimbünde in Tirol. Von der Aufklärung bis zur Französischen Revolution, Bozen 1982 (2. Aufl., Innsbruck 2011); Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, Innsbruck 1995; Die Freimaurer, München 2000 (7. Aufl. 2016, Türkische Lizenzausgabe 2008 und Japanische Lizenzausgabe 2016, Bestseller); Reflexive Aufklärung als Denkmodell für Freimaurer, Wien 2004; Aufklärung und Moderne, Innsbruck 2008; Die Weltverschwörer. Was Sie eigentlich alles nie erfahren sollten, Salzburg 2010 (Bestseller); Aufklärungsdenken und Freimaurerei, Zürich 2014; Der aufgeklärte Mensch. Das neue Aufklärungsdenken, Würzburg 2016 (2. Aufl. 2016); Aufklärung, Humanität und Toleranz. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei im 18. Jahrhundert, Innsbruck 2017; Freimaurerei, Politik und Gesellschaft. Die Wirkungsgeschichte des diskreten Bundes, Wien 2018 und Die Zukunft der Freimaurerei, Leipzig 2018.

    Auch als Herausgeber von Sammelbänden und Akteneditionen war Helmut Reinalter sehr aktiv. Zu nennen wären hier vor allem: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt / M. 1983 (4. Aufl. 1996); Joseph II. und die Freimaurer im Lichte zeitgenössischer Broschüren, Wien-Köln-Graz 1987; Joseph von Sonnenfels, Wien 1988; Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert, München 1989; Die Aufklärung in Österreich. Ignaz von Born und seine Zeit, Frankfurt / M. – Bern – New York – Paris 1991; Die Zukunft der Freimaurerei, Lausanne 1992; Aufklärung und Geheimgesellschaften: Freimaurer, Illuminaten und Rosenkreuzer – Ideologie, Struktur und Wirkungen, Bayreuth 1992; Aufklärungsgesellschaften, Frankfurt / M. – Bern – New York – Paris – Wien 1993; Freimaurerische Historiographie im 19. und 20. Jahrhundert, Forschungsbilanz – Aspekte – Problemschwerpunkte, Bayreuth 1996; Der Illuminatenorden (1776–1785/87). Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt / M. – Berlin – Bern – New York – Paris – Wien 1997; Freimaurerische Wende vor 200 Jahren: 1798 – Rückbesinnung und Neuanfang, Köln 1998; Die deutschen und österreichischen Freimaurerbestände im Deutschen Sonderarchiv in Moskau (heute Aufbewahrungszentrum der historisch-dokumentarischen Kollektionen), Frankfurt / M. 2002; Handbuch der freimaurerischen Grundbegriffe, Innsbruck 2002; Verschwörungstheorien. Theorie – Geschichte – Wirkung, Innsbruck 2002; Typologien des Verschwörungsdenkens, Innsbruck- Wien- München – Bozen 2004; Freimaurerische Kunst – Kunst der Freimaurerei, Innsbruck 2005; Mozart und die geheimen Gesellschaften seiner Zeit, Innsbruck 2006 (Türkische Lizenzausgabe und Übersetzung 2010); Selbstbilder der Aufklärung, Innsbruck 2007; Freimaurerei und europäischer Faschismus, Innsbruck – Wien – Bozen 2009; Wege und Hindernisse religiöser Toleranz. Zur friedenschaffenden Kraft der Religionen, Weimar 2013; Freimaurerische Persönlichkeiten in Europa, Innsbruck 2014; Freimaurer und Geheimbünde im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck 2016; Deutsche und österreichische Freimaurer-Forscher, Innsbruck 2016; Freimaurerei. Geheimnisse – Rituale – Symbole. Ein Handbuch, Leipzig 2017; Handbuch der Verschwörungstheorien, Leipzig 2018; Freimaurerische Texte. Ein wissenschaftliches Lesebuch, Innsbruck 2020; Geheimbünde, Ditzingen 2020; Die Geschichte der Freimaurerei in den europäischen Staaten, Innsbruck 2020.53 Mit der Monographie „Freimaurerei, Politik und Gesellschaft liegt nun die erste moderne und wissenschaftlichen Standards entsprechende umfassende Wirkungsgeschichte der Freimaurerei vor. In zwei Bänden wird demnächst auch die Geschichte der österreichischen Freimaurerei abgeschlossen sein. Der erste Band, der bereits erschienen ist, behandelt das 18. Jahrhundert, der zweite Band das 19. und 20. Jahrhundert. Dazu kommen noch zahlreiche kleinere Studien und Aufsätze, darunter auch Lexikonbeiträge mit den Themenschwerpunkten Freimaurerei und Aufklärung, Französische Revolution, Josephinismus, Freimaurerische Historiographie, Forschungs- und Literaturberichte, Nationalsozialismus, Verschwörungstheorien, Aufgeklärte Sozietäten, Geheimbünde, Demokratie, Mozart, Ignaz von Born, Modernisierung, Biographien, Forschungs- und Literaturberichte, „Reflexive Aufklärung, Vernunft und Vernunftkritik, Lebenskunst, Symbolik und Ritualistik, Esoterik und Hermetik, freimaurerische Grundbegriffe und Ziele, Projekt Weltethos, Ursprünge und Anfänge der europäischen Freimaurerei u.a.m.54

    Marcus G. Patka, Mitglied und Leiter der Forschungsloge Quatuor Coronati Wien, veröffentlichte vor allem zeitgeschichtliche Bücher zur österreichischen Freimaurerei. Zwei Werke von ihm sind besonders hervorzuheben: „Österreichische Freimaurer im National-sozialismus. Treue und Verrat und „Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich 1868–1938.55 Mit diesen beiden Publikationen hat Patka eine Forschungslücke in der freimaurerischen Historiographie geschlossen, zumal vom Autor wichtiges Quellenmaterial verwendet wurde. Darüber hinaus hat er eine ganze Reihe von wichtigen Aufsätzen zur österreichischen Bruderkette geschrieben, darunter auch im Jahrbuch der Quatuor Coronati Wien.56 Mehrere freimaurerische Publikationen verdanken wir auch dem Historiker Rainer Hubert, der Meister vom Stuhl der Quatuor Coronati Loge war und neben Hans Wagner und Ernest Krivanec sich um den Aufbau dieser Deputationsloge Verdienste erwarb. Er verfasste mehrere kleinere Studien und publizierte Aufsätze im Quatuor Coronati-Jahrbuch und in Ausstellungskatalogen. Er kuratierte auch mehrere Sonderausstellungen im Freimaurermuseum Schloss Rosenau57.

    Der Schriftsteller und ehemalige Großmeister der Großloge von Österreich, Axel Giese, verfasste zwei Bücher über die Freimaurerei als Einführung.58 Er gab auch den Reprint „Journal für Freimaurer 1988 heraus. Auch Norbert Knittler hat sich in zwei Bänden mit der Geschichte der österreichischen Freimaurerei während des Nationalsozialismus und mit Briefen aus der Emigration nach 1945 beschäftigt.59 Eugen Semrau beschäftigte sich in einem spannenden Buch, das 2021 herausgekommen ist, mit den Einflüssen der Esoterik auf die Entwicklung der Wiener Moderne.60 Günter K. Kodek hat die Chronik der Freimaurerei in Österreich und die Mitglieder der österreichischen Freimaurer-Logen zusammengefasst und damit eine wichtige Grundlage für künftige Forschungen geschaffen. Insgesamt sind von ihm sechs Bände erschienen.61 Robert A. Minder veröffentlichte 2004 ein Lexikon über Freimaurer als Politiker.62 Dieses Lexikon wurde nach einer Einleitung über die Frage, wie viel Macht die Freimaurer haben, nach Ländern gegliedert: England, Irland, Schottland, Frankreich, Benelux-Staaten, Deutschland, Italien, Österreich, Ungarn, Tschechien und Slowakei, Schweiz, Skandinavien, Spanien, Portugal, Osteuropa, Griechenland, Türkei, Israel, Nordamerika, Zentral- und Südamerika, Asien, Afrika, Australien und Neuseeland. Erwähnt werden auch die freimaurerischen Nobelpreisträger. 2011 erschien die zweite Auflage des vom ehemaligen Großmeister Michael Kraus herausgegebenen Buches „Die Freimaurer, in dem mehrere wichtige Themenbereiche der Bruderkette bearbeitet wurden. Vor allem geht es darin um die Beantwortung der Frage, was Freimaurerei überhaupt heute bedeutet. Die einzelnen Beiträge sind von verschiedenen Brüdern der Bruderkette verfasst worden. Die einzelnen Kapitel befassen sich mit Wesen und Werte, mit dem Innenleben der Logen, mit dem Verhältnis der Freimaurerei zu Religion, Politik, Neoliberalismus, Fundamentalismus und Aufklärung, mit der Entwicklung der Freimaurerei in Österreich und mit einem Überblick über die Weltfreimaurerei.63 Erst vor kurzem legte Michael Heinrich Weninger ein umfangreiches und sehr detailliertes Werk über das Verhältnis der regulären Freimaurerei zur katholischen Kirche vor.64 Weninger hat alle wesentlichen Quellen aus dem Vatikan und aus den österreichischen und deutschen Freimaurer-Archiven für sein Buch herangezogen und verwertet. Es ist ihm gelungen, das komplexe Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei historisch überzeugend darzustellen. Aus Anlass „300 Jahre Freimaurer fand schließlich in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien eine Ausstellung 2017/2018 statt, zu der auch ein stattlicher Katalog erschienen ist, der sich u.a. mit Legenden und Fakten, Aufklärern, Verschwörungstheorien und mit der Zukunft der Freimaurerei beschäftigt.65 Im Studienverlag in Innsbruck sind in der „Edition zum rauhen Stein, herausgegeben von Michael Kernstock, mehrere Reprints von älteren Büchern über die Freimaurerei herausgekommen.66

    Bei diesem Forschungsüberblick wurde eine repräsentative Auswahl an Publikationen über die Freimaurerei getroffen. Alle Veröffentlichungen konnten leider nicht berücksichtig werden, die wichtigsten Forschungen wurden aber erwähnt und dokumentiert. Hilfreich ist hier vor allem der Sammelband „Deutsche und österreichische Freimaurerforscher", der die wichtigsten Historiographen biographisch mit ihren Werken vorstellt.67 Dieser Sammelband wurde aus Anlass des 300. Gründungstages der Großloge von England von Helmut Reinalter herausgegeben. Es geht darin um eine Würdigung der wissenschaftlichen Bedeutung, deutscher, schweizerischer und österreichischer Freimaurerforscher. Der Zeitraum der berücksichtigten Persönlichkeiten reicht vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Ihre Bedeutung für die masonische Geschichtsschreibung ist weitgehend unbestritten, auch wenn diese methodisch und theoretisch verschieden gearbeitet und divergierende Ansichten über die Freimaurerei entwickelt haben. Zweifelsohne handelt es sich bei diesem Band um ein wissenschaftliches Desiderat und um eine wichtige historiographische Grundlage für weitere masonische Forschungen.

    7. Die Bedeutung der Geschichtswissenschaft für die spezifische Freimaurerforschung

    In methodischer Hinsicht sollte trotz intensiver Forschungstätigkeit die genuin freimaurerische Historiographie viel stärker als bisher multiperspektivische Ansätze berücksichtigen und interdisziplinär auf internationaler Basis arbeiten. Unter multiperspektivisch ist hier die Einbeziehung sozialgeschichtlicher, religionswissenschaftlicher, soziologischer, politikwissenschaftlicher, literaturwissenschaftlicher, ideengeschichtlicher, kunsthistorischer und linguistischer Fragestellungen bzw. Begriffsinstrumentarien gemeint. Da die Freimaurerei und Geheimbünde ein weltweites Phänomen darstellen, müsste die Freimaurerforschung internationale Formen der Kooperation finden, zumal nur auf internationaler Forschungsgrundlage neben regionalen, ideologischen und institutionellen Unterschieden auch starke Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden können.68

    Die aktuelle Grundlagendiskussion über Methodenprobleme der Geschichtswissenschaft zeigt heute mit großer Deutlichkeit, dass die wissenschaftlichen Formen des menschlichen Denkens nicht ohne Bezug auf lebensweltliche Zusammenhänge zwischen Denken und Handeln verstanden werden können. Die Geschichtsschreibung ist von praktischen Interessen abhängig, die aus ihrem gesellschaftlichen Kontext resultieren. Durch diese Verbindung wird die Geschichte unter dem Einfluss der sich stets ändernden Orientierungsbedürfnisse im gesellschaftlichen Leben immer wieder neu geschrieben. Es ist daher von großer Bedeutung, dass sich die genuin freimaurerische Geschichtsforschung auch über Tendenzen und Richtungen der profanen Historiographie informiert und diese in ihre Forschungspraxis integriert. Das erwähnte Umschreiben der Geschichte ist nicht gleichbedeutend mit einer äußerlichen Anpassung der Geschichtswissenschaft an ihre jeweilige Zeit, sondern erfolgt aus „innerer Logik der historischen Erkenntnis. Geschichte versteht sich als ein bedeutungsvoller Zusammenhang zwischen vergangenem und gegenwärtigem Handeln, der auf der Grundlage bedeutungsverleihender Normen aus den Sinnkriterien Interessengebundenen aktuellen Handelns entsteht. Auch wenn die Geschichtswissenschaft lebensweltlich begründet ist, verhält sie sich zu den Formen und Inhalten der lebensweltlich-historischen Bewusstseinsbildung prinzipiell kritisch. Die Geisteswissenschaften unterscheiden sich von der lebensweltlichen historischen Bewusstseinsbildung durch einen höheren Geltungsanspruch ihrer historischen Aussagen und begründen diesen Anspruch mit der ihr als Wissenschaft charakteristischen methodischen Rationalität der historischen Erkenntnis. In der Krise befindet sich heute nicht die historische Methode im Allgemeinen, sondern eine ihrer Erscheinungsformen, nämlich die Lehre vom historischen Verstehen (Hermeneutik), wie sie vom deutschen Historismus im 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Sie hat die Ermittlung des Sinnzusammenhanges vergangener menschlicher Handlungskomplexe zum Ziel. In der Tradition des Historismus wird Geschichte als „Selbsthervorbringung und Selbstdarstellung des dem Menschen allgemein (als Gattung) definierenden Geistes in der Zeitfolge je besonderer, individueller Kulturgebilde verstanden.69

    Hier stehen die Erforschung und das Verstehen von Ereignissen, Personen, Intentionen und Handlungen im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses und nicht so sehr Strukturen und Prozesse als Bedingungen, Voraussetzungen und Folgen von Ereignissen, Entscheidungen und Handlungen, die den handelnden Personen nicht immer voll bewusst sind, wie die Vertreter der Historischen Sozialwissenschaft meinen. Methodisch resultiert aus einer solchen Betrachtungsweise von Geschichte eine stärkere Berücksichtigung generalisierender, erklärender analytischer Verfahren gegenüber traditionell hermeneutischverstehenden Methoden des Historismus. Da Methodisierung, Systematisierung und Steigerung von plausiblen Begründungen meint, würde dies – auf die Geschichtswissenschaft und das historische Denken übertragen – bedeuten, dass Methodisierung des historischen Denkens im Ganzen mit einer Paradigmatisierung der Grundlagen der Geschichtswissenschaft identisch wäre. Die für jedes historische Denken entscheidenden Faktoren gestalten sich zu einer besonderen Form einer disziplinären Matrix. In die leitenden Perspektiven des historischen Denkens werden „Zeitorientierungsbedürfnisse" hineinverarbeitet. Dazu kommen implizit auch Verfahren der empirischen Absicherung historischer Behauptungen, und schließlich findet das historische Denken seinen Niederschlag in Darstellungen und übt auch Funktionen der Zeitorientierung aus.70

    Diese hier erwähnten Momente treten aber nicht immer als unterschiedliche Faktoren des historischen Erzählens auf und werden nicht immer als einzelne Faktoren und in ihrem Zusammenhang überdacht. In der Geschichtswissenschaft stellt sich dieser Sachverhalt allerdings anders dar. Hier treten die einzelnen Faktoren in ihrer Differenz auseinander und formieren sich zu systematischen Zusammenhängen, so dass Geschichtswissenschaft auf diese Weise als wissenschaftsspezifische Begründungsarbeit des historischen Denkens entsteht. Paradigmatisierung bedeutet daher in diesem Sinne die Ausbildung einer durch „Historik reflektierbaren disziplinären Matrix, wo der Grundsatz der Methodisierung in den Grundlagen für Geschichtswissenschaft Anwendung findet. Diese Paradigmatisierung wird als Prozess aufgefasst, in dem die Methode als Prinzip von Wissenschaftlichkeit das historische Denken bestimmt. Die wissensbegründenden Argumentationsregeln des historischen Denkens entstehen dabei in den einzelnen Prinzipien, die für die Eigenart und Funktion des historischen Denkens entscheidend sind. Dieser Entstehungsprozess ist in der Methodenforschung auch als „Rationalisierung des historischen Denkens zur fachlichen Verfassung der Geschichtswissenschaft bezeichnet worden.

    8. Geschichtswissenschaft, ihre Theorien und Methoden

    Die Logik des historischen Denkens, die Struktur von Verwissenschaftlichung als Rationalisierung bestimmt den Aufbau der Geschichte als Fachwissenschaft. Hier können mehrere Bedeutungsfelder zur Erklärung angeführt werden:

    1. Bezüglich der Orientierungsbedürfnisse der menschlichen Lebenspraxis, die das historische Denken entscheidend beeinflussen, kann man von einem Prozess der Rationalisierung sprechen, weil Orientierungsbedürfnisse zu Erkenntnisinteressen rationalisiert werden.

    2. Hinsichtlich der leitenden Einsichten auf die Erfahrung der Vergangenheit kann man von einem „Prozess der Theoretisierung" sprechen. Ideen sind leitende Hinsichten auf die Erfahrung der Vergangenheit und werden zu expliziten Bezugsrahmen der historischen Interpretation.

    3. Bezüglich der Regeln, nach denen sich das historische Denken ausrichtet, wenn es Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigt, kann man von einem Prozess der Methodisierung sprechen. Dabei werden die Geltungssicherungen von Geschichte zum Regelsystem der empirischen Forschung methodisiert, und zwar als besonderes Regelsystem, das für die Ermittlung und Interpretation des Tatsachengehalts von Geschichten unbedingte Voraussetzung ist.

    4. Hinsichtlich der Darstellung kann man feststellen, dass diese neuen Formen wissenschaftsspezifischer Diskursivität gewinnt, gleichzeitig aber mit ihnen die literarischen Ausdrucksmöglichkeiten verliert, die mit der wissenschaftlichen Geltungssicherung historischer Aussagen unvereinbar sind. Dabei muss die Geschichtsschreibung ihren narrativen Charakter nicht unbedingt verlieren.

    5. Bezüglich der Funktionen der Daseinsorientierung kann man auch von einer ideologiekritischen Humanisierung sprechen. Starre Fixierungen von Zeitorientierung und Identitätsbildung durch historische Erinnerungen können ideologiekritisch ausgelöst und historische Identität am humanitären Kriterium wechselseitiger Anerkennung orientiert werden. 71

    Es steht heute außer Zweifel, dass die Geschichte als Wissenschaft von der historischen Forschung und diese wiederum von ihren Methoden in entscheidender Weise abhängt.72 Daher können Theorien in der Geschichtswissenschaft nur dann eine Rolle spielen, wenn sie sich auf die Forschungspraxis beziehen. Ihre Bedeutung hängt letztlich von der methodischen Regelung der empirischen Forschung ab. Der Methodenfaktor ist ein wesentlicher Prüfstein für den Bereich der Theorie. Ob und inwieweit in der historischen Forschung Theorien verwendet werden können, hängt von den Methoden ab. Wie die neuere Theoriediskussion gezeigt hat, sind theorieförmige Elemente des historischen Denkens für die Geisteswissenschaften von großer Bedeutung. Besonders deutlich wird dies in der Abhängigkeit der Methodenentwicklung von verschiedenen Deutungsmustern der historischen Erfahrung. Erklärungen sind für die wissenschaftliche Rationalität maßgeblich, wobei nur ein Erklären mit Hilfe von Gesetzen rational oder wissenschaftlich sein kann, und auf die Geschichtswissenschaft übertragen würde dies bedeuten, dass ihre Wissenschaftlichkeit davon abhängt, ob und inwieweit sie rationale Erklärungen zu

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