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Nichtstun: Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen
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eBook429 Seiten5 Stunden

Nichtstun: Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen

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Über dieses E-Book

"Nichtstun ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt." Oscar Wilde

Was passiert, wenn allem Anschein nach gar nichts passiert? Wenn Menschen sich von der Aussicht, "nichts zu tun", angezogen oder abgestoßen fühlen, wenn sie geduldig oder wütend warten, wenn sie alltägliche Routinen gedankenverloren erledigen und in mehr oder weniger abstrusen Tagträumen der Realität entfliehen?

Billy Ehn und Orvar Löfgren gehen in ihrer kreativen und aufschlussreichen Untersuchung der Frage nach, wie sich die Formen des Nichtstuns und die gesellschaftliche Haltung dazu in verschiedenen kulturellen Kontexten entwickeln und verändern, wie individuelle Gewohnheiten, Gedanken und Gefühle kulturell geformt werden. Sie geleiten uns auf eine Reise in die Welt der Übergangszonen, Zwischenzeiten und Pausen, die voller vertrauter und überraschender Details steckt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Okt. 2012
ISBN9783868545630
Nichtstun: Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen

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    Buchvorschau

    Nichtstun - Billy Ehn

    9f.

    Kapitel 1

    Warten

    Anfang der 1980er Jahre waren der schwedische Diplomat Jan Eliasson und Ministerpräsident Olof Palme zu einem Treffen mit Saddam Hussein in einem seiner Bagdader Paläste verabredet. Sie mussten einige Tage in ihrem Hotel warten, bis sie eines späten Abends mit einer schwarzen Limousine abgeholt wurden. Man fuhr sie ungefähr eine Stunde lang kreuz und quer durch die Stadt, damit sie die Orientierung verlören.

    Als Nächstes mussten sie eine Sicherheitskontrolle passieren, um anschließend in ein mit Gold und Eichentäfelung ausgeschmücktes Wartezimmer geführt zu werden. Nachdem sie geraume Zeit in dieser luxuriösen Umgebung ausgeharrt hatten, wurden sie in ein weiteres Wartezimmer begleitet und dort von einem Stabschef begrüßt. Zehn Minuten später flog eine Tür auf, man führte sie in einen dritten Raum, und da stand er: Saddam. Mit steif ausgestreckter Hand begrüßte der Diktator, dessen Stab sich hinter seinem Rücken drängte, die beiden Schweden.

    Das ganze Prozedere war eine Beleidigung und eine etwas lächerliche noch dazu, erinnert sich Eliasson und weist darauf hin, dass Saddam zu einem uralten Trick gegriffen hatte, um seine Gegenspieler herabzusetzen und seine eigene Bedeutung zu erhöhen.¹

    Ein flüchtiges Drama en miniature

    Unser Interesse am Warten als einer Form des Nichtstuns entzündete sich an weniger dramatischen Situationen – wie zum Beispiel der banalen Szene im Supermarkt, die wir in der Einleitung beschrieben haben. Ursprünglich suchten wir nach Beispielen für unscheinbare Nichtereignisse, indem wir wenig glanzvolle Beschäftigungen wie die, auf den Bus zu warten oder irgendwo anzustehen, in den Blick nahmen.

    Bald jedoch stellten wir fest, dass »Warten« ein breites Spektrum an Verhaltensweisen und Gefühlsreaktionen umfasst. Flüchtlinge warten voller Angst darauf, dass man ihnen Asyl gewährt. Strafgefangene zählen die Tage bis zu ihrer Entlassung. Gelangweilte Arbeiter und Schulkinder schauen gegen Ende des Tages alle fünf Minuten auf die Uhr. Wieder andere Varianten sind das Warten auf einen Installateur, der einfach nicht kommen will, oder das Warten auf einen Geliebten, der sich verspätet.

    Welche Form von »Nichtstun« ist es, die wir als Warten bezeichnen? Was steckt hinter dieser bedeutungslosen und scheinbar inaktiven Betätigung, bei der man »nur zu warten« braucht, wie Estragon es in Samuel Becketts Stück »Warten auf Godot« von 1952 formuliert?² Um diesen Fragen nachzugehen, setzten wir bei der konkreten Infrastruktur des Wartens an, den Orten, an denen wir diese Beschäftigung beobachteten. Von hier aus gingen wir dazu über, die Natur der Wartezeit zu betrachten. Wie erleben Menschen diese Art von Zeit in verschiedenen Situationen, wie gehen sie mit ihr um? Im nächsten Schritt galt unsere Aufmerksamkeit der Frage, wie Menschen in verschiedenen kulturellen Kontexten zu warten lernen. Wir untersuchten eine der institutionalisiertesten Formen des Wartens – das Sichanstellen beziehungsweise Schlangestehen, ein Verhalten, das von Regeln, Normen, Ritualen und Gefühlen durchzogen ist. Dieses Thema führte uns tiefer in die Gefühlsdimension des Wartens hinein, und es warf die Frage auf, wie Warten und Macht zusammenhängen. Wer wartet auf wen, wer ist in der Lage, andere warten lassen, und welchen Unterschied machen Geschlecht und Schichtzugehörigkeit?

    Wir verstehen das Warten als eine kulturelle Praxis, die von veränderlichen geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen geprägt ist. Zugleich ist sie etwas, womit Menschen umzugehen lernen, eine Fertigkeit, die geübt und perfektioniert werden will. Unsere Beispiele stammen aus verschiedenen Situationen und Weltgegenden, aus Krankenhäusern, von Straßenecken, aus Reiseerlebnissen und den letzten Wochen einer Schwangerschaft.

    Wartezeiten können kurz sein – so kurz wie die Dauer einer Fahrstuhlfahrt mit Unbekannten zum Beispiel –, sie können sich aber auch endlos anfühlen oder ein ganzes Leben ausfüllen. Für manche Menschen scheint Warten eine Vollzeitbeschäftigung zu sein, die ihre ganze Energie verbraucht und ihr ganzes Sein in Anspruch nimmt. Dies gilt zweifellos für den chinesischen Arzt Lin Kong, der Mitte der 1960er Jahre in einer Stadt irgendwo in China in einem Militärhospital arbeitete. Seine ungeliebte Frau, eine Bauersfrau, die seine Eltern für ihn ausgesucht hatten, hatte er im Dorf zurückgelassen, wo sie sich um ihre kleine Tochter und seine alten Eltern kümmern sollte. In der Stadt verliebte sich Lin Kong in Manna Wu, eine im selben Krankenhaus tätige Krankenschwester. Von da an sollte Lin siebzehn Jahre lang jeden Sommer in sein Dorf zurückkehren, um seine Frau um die Scheidung zu bitten. Da die Krankenhausverwaltung die Liaison zwischen den beiden nicht guthieß, verzichteten Lin Kong und Manna Wu auf ein sexuelles Verhältnis – Tag für Tag, Jahr für Jahr. Achtzehn Jahre vergingen, bis Lin Kong 1984 gestattet wurde, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und Manna Wu zu heiraten.

    Ha Jin erzählt diese Geschichte einer extremen Geduld in seinem Roman »Warten« aus dem Jahr 1999. Der Leser fragt sich unwillkürlich, wie es sich wohl anfühlen mag, fast zwanzig Jahre lang auf eine geliebte Person zu warten und die Geliebte in dieser Zeit täglich zu sehen und zu sprechen. In Lin Kongs Fall wird das Warten zu einer Lebensform. Wir werden noch auf Lin und Manna zurückkommen, eröffnet der Roman doch interessante Perspektiven.

    Als wir profanere Situationen des Wartens betrachteten, waren wir verblüfft darüber, dass sich deren Gestalt, Ausrichtung und Bedeutung permanent veränderten. Wie sollte man eine so facettenreiche und schwer fassbare Tätigkeit untersuchen? Zunächst stellten wir enthusiastisch ethnografische Beobachtungen in Bahnhöfen, Wartezimmern von Ärzten und Warteschlangen an Ticketschaltern an. Nicht selten kehrten wir mit Fotos und Beschreibungen von auf den ersten Blick trivialen Nichtereignissen zurück, über die wir oft stundenlang grübelten, um unter ihre Oberfläche zu blicken.

    Um 12.25 Uhr trifft eine Frau mittleren Alters in einem blauen Kleid am Busbahnhof einer schwedischen Stadt ein. Sie schaut sich im Wartesaal um, bis schließlich ihr Blick für einige Sekunden an dem großen elektronischen Fahrplan hoch oben an der Wand hängen bleibt. Dann schreitet sie resolut zu einem der Ausgänge und setzt sich auf eine leere Bank neben der Tür. Sie macht einen zögerlichen und leicht nervösen Eindruck. Immer wieder greift sie sich ins Haar, wie um zu überprüfen, ob mit ihrer Frisur alles in Ordnung ist.

    Nach einer Weile holt die Frau ein Handy und eine Zeitschrift aus ihrer Tasche und hält beides auf ihrem Schoß fest. Sie sucht in ihrem Portemonnaie nach dem Busticket und findet es. Dann stützt sie ihr Kinn auf ihre Hand und sieht zu einem jungen Paar in einer Ecke des Wartesaals hinüber.

    Kurz vor der planmäßigen Ankunft des Busses stellt sie sich mit anderen Reisenden in einer kurzen Schlange an, wobei jeder ungefähr einen Meter Abstand zu den anderen hält. Die Frau wartet geduldig an fünfter Stelle, Handy, Zeitschrift und Busticket in der Hand, bis der Bus kommt und seine Vordertür öffnet. Es ist jetzt 12.37 Uhr, die Frau besteigt den Bus.

    Nachdem wir mit dieser Beschreibung eines alltäglichen Moments nach Hause gekommen waren, galt es darüber nachzudenken, was sich eigentlich während dieses fünfzehnminütigen Wartens auf einen Bus abgespielt hatte. Interessanterweise stellten wir fest, dass wir während unserer Versuche, Menschen in solchen Situationen zu beobachten, von der Langeweile und Unruhe unserer Beobachtungsobjekte heimgesucht wurden. Wir mussten feststellen, dass unsere Konzentration nachließ. Unsere Gedanken schweiften langsam ab, wir vergaßen, warum wir überhaupt dort waren, und begannen, an andere Dinge zu denken. Schließlich passierte ja scheinbar auch nichts, anders als in Situationen, in denen andere etwas tun – etwa, wenn das Warten ein Ende hat.

    Etwas tun – aber was?

    Wie viele andere Fälle von »Nichtstun« erwies sich das Warten als ein Phänomen, das nur schwer direkt zu studieren ist. Um diese profane Aktivität enttrivialisieren zu können, waren wir eindeutig auf alternative ethnografische Herangehensweisen angewiesen. Zu diesem Zweck hielten wir uns zunächst an Künstler, die das Warten gleichsam als ein merkwürdiges Land erforscht haben, wie etwa die schwedische Künstlerin Elin Wikström, die 1994 das Paradox des Wartens als einer passiven Aktivität zu einer Performance gestaltet hat. Sie trägt den Titel »Rebecka wartet auf Anna, Anna wartet auf Cecilia, Cecilia wartet auf Marie …«.

    Für die Dauer der Performance kommen von Wikström ausgesuchte weibliche Mitwirkende zur festgesetzten Zeit in das Café einer Kunstgalerie und warten dort fünfzehn Minuten. Sie sitzen neben anderen Ausstellungsbesuchern an einem Tisch, als ob sie als Erste zu einer Verabredung gekommen wären und nun auf ihr Rendezvous warteten. Gelegentlich schauen sie auf die Uhr, wühlen in einer Tasche herum oder lesen in einer Zeitschrift. Zur vereinbarten Zeit verlassen sie die Galerie wieder, eine nach der anderen, um durch andere Frauen ersetzt zu werden, die das Alltagstheater des Wartens auf jemanden, der nie eintrifft, fortsetzen. In dieser Aktion wird das Warten als sinnlose Mühe dargestellt. Die scheinbaren Erwartungen der Frauen werden nie erfüllt. Wikström formulierte es so:

    Es ist, als wenn man sich mit jemandem verabredet hat und als Erster da ist. Man wartet auf andere Menschen und durchlebt eine Menge Gefühle. Man fragt sich beunruhigt, was mit ihnen passiert ist, man ärgert sich über ihre Verspätung, und es ist auch ein Ansehensverlust, denn die Leute denken: Oh, da ist wohl jemand versetzt worden.

    Die Performance möchte ein anderes Bild von Frauen zeichnen. In der Werbung und im Kino sieht man Frauen immer warten. Darauf warten, dass sie erwachsen sind, auf den perfekten Mann warten, darauf warten, dass sie Kinder haben, und dann darauf warten, dass die Kinder sie besuchen kommen, wenn sie erwachsen sind. Es ist immer diese passive Idee des Wartens. Also wollte ich, dass die Frauen wenigstens einmal aufeinander warten.³

    Selbst wenn man vergeblich wartet, tut man zumindest irgendetwas. Während sie warten, suchen Männer wie Frauen bei allen möglichen banalen Tätigkeiten Zuflucht, als ob sie leugnen wollten, dass sie warten, oder diesen Umstand zu vergessen suchen: Sie lesen, unterhalten sich, hören Musik, schauen auf Fernsehbildschirme, die irgendwo hängen, sie telefonieren oder spielen mit ihren Handys, gehen mit ihnen ins Internet oder spielen beziehungsweise arbeiten mit ihren Laptops. Auch neigen sie dazu, einigermaßen angespannt und genervt zu sein, was sich daran zeigt, dass sie auf Uhren, Armbanduhren, Fahrpläne, Graffiti und Abfälle gucken, die auf dem Boden liegen, oder mit nach innen gekehrtem Blick geistesabwesend in die Ferne starren. In solchen Situationen stellt sich immer die Frage, wie und wohin man schaut, während man sich unter Fremden befindet, beziehungsweise welche Strategien man dafür entwickelt, »den Blick abzuwenden, um nicht in eine Interaktion verstrickt zu werden«.⁴ Manche Menschen halten eifrig nach dem Bus oder Zug Ausschau, auf den sie warten, als könnten sie ihn herbeizaubern. Oder sie tarnen ihre eigentliche Beschäftigung, indem sie essen, trinken oder rauchen, so als würden sie gar nicht warten.

    Die Choreografie des Wartens ist erstaunlich vielfältig. Je nach Persönlichkeit und Umständen sitzen oder stehen die Menschen reglos da, sie wippen mit den Füßen, lehnen sich gegen Wände oder Säulen, gehen in die Hocke, legen sich hin oder laufen auf und ab; manche pfeifen, summen, schlafen oder schließen die Augen. Sie warten allein oder in einer Gruppe, in einer regelrechten Schlange oder willkürlich im Raum verteilt, mit verschränkten Armen oder hängenden Schultern, die Hände in den Taschen oder im Schoß. Für einen Ethnografen gibt es eigentlich jede Menge zu beobachten. Der vorherrschende Eindruck von Passivität steht im Widerspruch zu all den kleinen Bewegungen und Zerstreuungen.

    Vor allem aber scheint es sich beim Warten um eine Geistesverfassung zu handeln, einen seelischen Zustand, der sich nicht direkt beobachten lässt. Ein Beobachter kann zu sehen lernen, was sich zum Beispiel an Bushaltestellen abspielt oder im Wartezimmer eines Zahnarztes. Niemand jedoch kann von den anderen wirklich wissen, was sie vorhaben, was sie empfinden oder tagträumen.

    Statt Vermutungen darüber anzustellen, was Menschen denken, während sie warten, entschieden wir uns für einen materielleren Ansatz. Worin könnte eine »Ökologie des Wartens« bestehen? Wie ist ihre Infrastruktur beschaffen? Welche Arten von sozialen Interaktionen sind dabei im Spiel?

    Schauplätze des Wartens

    Jede Örtlichkeit kann zu einem Wartebereich werden, doch als wir Menschen baten, die Orte zu nennen, die ihnen diesbezüglich zuerst einfallen, führten sie jene an, die man traditionell mit dem Warten verbindet: Ticketschalter, Mautzahlstellen, Kaufhäuser sowie die Orte, an denen man auf ein Verkehrsmittel wartet – Flughäfen, Aufenthaltsräume, Bahnsteige, Bänke und Unterstände. Auch Schulen, Gefängnisse, Büroräume, Krankenhäuser und Zahnarztpraxen wurden häufig genannt. All diese »Containerräume«, wie Bissell sie nennt, »sind darauf ausgerichtet, den Körper zu enthalten, wobei der Körper veranlasst wird, reglos in einer Art vorübergehender Stasis zu verweilen«.

    Solche Orte haben ihren eigenen Charakter und ihre eigene Tradition. Sich im Supermarkt an der Kasse anzustellen ist nicht dasselbe, wie vor dem Theater Schlange zu stehen. Darauf zu warten, dass man beim Golfen dran ist, ist gewiss etwas anderes, als im Gang eines Gerichtsgebäudes zu warten. Sowohl die physische Umgebung des Ortes als auch die kulturellen Erwartungen des Individuums wirken sich auf die Erfahrung des Wartens aus.

    Manche Gegenstände – die Schwimmweste unter dem Sitz etwa oder die Notleiter an der Mauer – bilden eine Reserve. Andere Dinge befinden sich in einem Zustand alarmbereiter Passivität – die Feuerwehrwache, die Rakete auf der Abschussrampe, die Flasche Jahrgangswein, die auf eine besondere Gelegenheit wartet. Wieder andere, etwa bestimmte elektrische Vorrichtungen, dürfen nie ausgehen; sie müssen mit offenem Auge ruhen, wachsamen technologischen Tieren gleich.

    Und dann gibt es Schauplätze und Gegenstände, die in einer Art kulturellen Latenz verharren. Jonas Frykman hat diesen Zustand erörtert und beispielhaft an den vielen Denkmälern vorgeführt, die aus dem kommunistischen Zeitalter in Osteuropa übrig geblieben sind und mit denen niemand etwas anzufangen weiß.⁶ Bis auf weiteres wurden viele Statuen und Mahnmale in Parkanlagen und auf Marktplätzen stehengelassen, wo sie auf ihre zukünftige Nutzung oder Zerstörung warten, je nachdem, was ihnen beschieden sein wird.

    Ökologische Stützen

    Vor allem verändert das Warten den Ort, an dem es stattfindet. In den 1960er und 1970er Jahren führte der amerikanische Soziologe Barry Schwartz mehrere empirische Untersuchungen dessen durch, was er als die ökologischen Stützen des Wartens und Schlangestehens bezeichnete.⁷ Er fragte danach, mit welchen Mitteln die Menschen in Warteschlangen so gelenkt werden, dass sie sich an die Regel »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« halten.

    Schwartz stellte fest, dass die Disziplin in einer wartenden Menschenschlange dort am größten ist, wo es eine gute Infrastruktur für das Warten gibt. So legen einem etwa in den Vereinigten Staaten Schranken, Zeichen und Hinweise aller Art – zum Beispiel Absperrbänder in Kinos oder Vergnügungsparks – nahe, wo man sich anstellen oder welchen Abstand von anderen man in der Schlange halten soll. In manchen Einrichtungen gibt es sogar Manager und Warteschlangenaufseher mit oder ohne Uniform. Diese Requisiten haben alle ihre eigene Geschichte und weisen interessante nationale Unterschiede auf.

    Nehmen wir beispielsweise den sogenannten »intelligenten Ticketautomaten«, der in den 1960er Jahren in Schweden entwickelt wurde und das Warten revolutionieren sollte. Die Technik konnte Neulinge durchaus verwirren, gab es doch keine geordneten Schlangen mehr, sondern nur noch eine scheinbar unorganisierte Menge von Leuten, die kleine Papierstreifen mit Nummern in den Händen hielten, auf die sie hin und wieder einen Blick warfen. Man konnte nicht mehr wissen, wer als Nächster an der Reihe war. Heute jedoch sind diese Geräte in vielen Dienstleistungseinrichtungen auf der ganzen Welt ein fester Bestandteil der Ökologie des Wartens. Sie haben das kollektive Warten in Schlangen in eine erfolgreiche individuelle Tätigkeit verwandelt.

    Eine der offensichtlichsten ökologischen Stützen des Wartens ist der Unterstand oder das Wartehäuschen. Die schwedische Architektin Lena Hackzell hat eine Leidenschaft für diesen Dienst am Reisenden entwickelt.⁸ Mehrere Jahre lang dokumentierte sie auf ihren Reisen rund um die Welt verschiedene Arten von Unterständen.

    Von der Vielfalt ihrer Formen und Funktionen beeindruckt, beschreibt Hackzell diese Unterstände nicht nur als Einrichtung, um wartende Menschen zu beherbergen, sondern als Begegnungsstätten und damit als Orte, die oft von der Magie des Reisens durchdrungen sind. Wie sie beobachtete, lassen sich durch die kleinen Bauwerke, die Schutz vor unfreundlichem Wetter bieten, viele Träume symbolisieren. Ihr fiel auch auf, dass die Zeit, die Reisende erwartungsgemäß in einem Unterstand verweilen müssen, zu einem Großteil deren Konstruktion bestimmt. Wer etwa auf die Galapagosinseln reist, muss mitunter lange auf das Taxiboot warten. So wurden in diesem Fall anstatt harter Sitzbänke bequeme Hängematten angebracht. Eines der Fotos in Hackzells Buch zeigt Männer, die sich darin liegend unterhalten, während sie auf das Boot warten.

    Unterstände auf dem Land in Indien, wo nur wenig Verkehr herrscht, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Fahrgäste, die den einzigen Bus des Tages verpasst haben, dürfen die Nacht auf dem Dach des Unterstands verbringen, wo es kühler und sicherer ist. Frauen aus dem nächsten Dorf stellen sicher, dass es stets Krüge mit frischem Wasser gibt. Das Dach verfügt darüber hinaus über eine spezielle Oberfläche und eine Vorrichtung zum Kochen.

    Hackzell stellte fest, dass ein Unterstand eine doppelte Funktion erfüllen kann. Er kann als klassischer Gebetstempel und zugleich als Versammlungsstätte angelegt sein. Auch Leute, die gar nicht wegfahren wollen, treffen sich dort, nur um andere Menschen zu sehen und Teil von etwas zu sein. Schon immer ist man überall auf der Welt an Bushaltestellen und Bahnhöfen zusammengekommen, um unter Menschen zu sein und am Gewusel des Lebens teilzuhaben. Solche Orte sind häufig voller Möglichkeiten und Überraschungen. An ihnen überschattet die Magie des Reisens die Langeweile des Wartens. Allein schon die Tatsache, dass jemand mit einem Koffer in einem Unterstand sitzt, regt die Fantasie des Betrachters an. Wohin er wohl unterwegs ist?

    Ein Rahmen für die verstreichende Zeit

    Wartezonen wie Hallen, Vorhallen und Korridore sind, auch wenn kein Schild auf sie hinweist, leicht zu erkennen. Vermutlich ist es etwas an der Anlage des Raums, an der Wahl von Tapete und Einrichtung. Oder könnten es die Farben, die Gerüche, die gedämpfte Geräuschkulisse sein? Unbestreitbar allerdings strahlen diese Orte eine Atmosphäre aus, die das Verhalten und die Stimmung der Menschen beeinflusst.

    Man sollte sich jedoch davor hüten, die Ähnlichkeiten zwischen Wartebereichen zu übertreiben. Jeder dieser Orte hat seine eigenen Eigenschaften, je nachdem, auf welche Weise dort gewartet wird und von wem. So sah sich Laura E. Tanner als Patientin in einem Brustzentrum im Großraum Boston von einem geschmackvoll eingerichteten äußeren Wartebereich in einen Raum bugsiert, der sich wie ein realer und symbolischer Angriff auf ihre Autonomie anfühlte. Sie spürte, dass es ihr in diesem Raum unmöglich sein würde, die Art von persönlichem Revier zu schaffen, die sich selbst in überfüllten Umkleideräumen oder Transit-Wartezonen herstellen lässt.

    Fast ausschließlich von Frauen in Krankenhauskitteln bevölkert, die auf Mammografien, Ultraschalluntersuchungen oder Biopsien warteten, ließ dieses innere Wartezimmer mit seiner aufs Nötigste beschränkten Kulisse von Stühlen, Frauenkörpern und Zeitschriften Dynamiken erkennen, die in dem gedämpft beleuchteten, allgemein zugänglichen äußeren Wartebereich mit seinen Kopien antiker Möbel nicht so deutlich zutage getreten waren. In diesem Raum saßen einander Fremde steif in Reihen nebeneinander und hielten die Kragen ihrer Kittel, die sich permanent zu öffnen drohten, zusammen, ihre Handtaschen – große und kleine, lederne und welche aus Kunststoff, abgewetzte und glänzende – sicher im Schoß. In einer Ecke weinte leise eine bekittelte Frau, während eine andere ausdruckslos vor sich hin starrte. Vor jedem Aufruf einer Patientin war das Geräusch zu hören, das die Clogs der Krankenschwestern auf dem For-micaboden machten.

    Offizielle Wartezimmer werden oft als langweilige Orte mit neutralen Vorhängen, mittelmäßiger Kunst an den nackten Wänden, symmetrisch arrangierten unbequemen Stühlen, alten Zeitschriften, einer trübsinnigen Atmosphäre und langen Wartezeiten beschrieben. Solche Räume sehen noch in der tausendsten Ausführung im Wesentlichen gleich aus. Die Chrom- und Kunstlederdesigns, Linoleumböden, Leuchtstofflampen und harten Plastikstühle, die sich – ob nun am Arbeitsplatz, in Krankenhäusern oder in Arbeitsämtern – in so vielen Vorzimmern der jeweiligen Apparate finden, sind anonym, aber sofort wiederzuerkennen.

    Natürlich gibt es auch opulentere Wartezimmer. Mit entsprechenden finanziellen Mitteln oder für hochgestellte Personen lässt sich die Qualität der Rauminszenierung steigern. Die gestalterische Hierarchie kennt erstklassige Säle und Business Lounges. Der Stockholmer Hauptbahnhof verfügt immer noch über ein Wartezimmer für Mitglieder des Königshauses. Es handelt sich um eine große Halle mit schweren Seidenvorhängen, weichen Teppichen und Rokokomöbeln. Drei prachtvolle Kronleuchter aus geschliffenem Glas hängen an der Decke. Auf die Wände hat man vier Königspaläste gemalt. Die altertümliche Pendeluhr zeigt angeblich immer 8.42 Uhr an. Es ist ein trister Ort, der so wirkt, als warte er vergebens auf seine Besucher.¹⁰

    Wie erleben Menschen unterschiedliche Wartezimmer? In ihren Fotografien und Installationen reflektiert die britische Künstlerin Hatty Lee das Nebeneinander von Privatem und Öffentlichem – und die Architektur, die den Rahmen für die verstreichende Zeit schafft. Einige ihrer minimalistischen Bilder zeigen eine rote Bestuhlung auf grünem Kunstfaserteppich vor schmucklosen weißen Wänden. In einer Ecke versucht ein einsamer Blumentopf für Abwechslung zu sorgen. Uns steht das exemplarische Wartezimmer vor Augen, dem unmöglich anzusehen ist, zu welchem Zweck man hier verweilen soll. Ähnlich nichtssagende Räume werden oft dazu herangezogen, das Warten an sich darzustellen, so auch in der Klage dieses Studenten aus unserer Umfrage:

    Oft hängt man in einem großen leeren Wartezimmer herum, in das von Zeit zu Zeit eine freundliche Schwester den Kopf hereinsteckt und sagt: »Nur noch einen Augenblick, dann sind wir für Sie da«, woraufhin stundenlang nichts passiert. Man hat all die Zeitschriften schon gelesen, die auf Stühlen und Tischen herumliegen, und verspürt eine gewisse Dringlichkeit, diese Petitesse hinter sich zu bringen, die niemand nachzuempfinden scheint. Inzwischen geht das Leben weiter, nur halt nicht für einen selbst.

    Hatty Lees Installationen funktionieren gewissermaßen wie eine Zeitmaschine, die den Betrachter an die Leere des Wartens erinnert.¹¹ In Lees Räumen gibt es nichts anderes zu tun, als zu warten – oder über das Warten nachzudenken. Die Räume werden zu physischen Metaphern für formlosen Raum und die überwältigende Verkörperung von Zeit, also die Art von Erfahrung, die wir im Krankenhaus oder beim Zahnarzt machen. In manchen dieser Räume sieht man das Bemühen, für Abwechslung zu sorgen, doch verstärken selbst der brummende Fernseher oder die Ansammlung von ramponiertem Spielzeug nur das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben.

    Wie Laura E. Tanner beobachtet hat, fällt es in Krankenhauswartezimmern merkwürdig schwer, zu lesen. Es ist schwieriger, seinen Körper zu vergessen und sich geistig in die Welt eines Buchs oder einer Zeitschrift zu versenken, wenn man besorgt oder krank ist oder Schmerzen hat, obwohl genau das der Moment wäre, in dem man einen solchen Eskapismus am besten gebrauchen könnte. In einem Arztwartezimmer können wir uns vielleicht nicht einmal auf einen kurzen Magazinbeitrag konzentrieren, wie Tanner bemerkt, »so abgelenkt, wie wir vom Ticktack unserer eigenen unbehaglichen Körperlichkeit sind«.¹²

    In schwedischen Wartezimmern herrscht im Allgemeinen Stillschweigen oder gedämpftes Murmeln, doch variieren die Benimmregeln. »Die Leute vergessen ihre Manieren und verwechseln das Wartezimmer mit ihrem Auto – als wäre es privat und schalldicht«, hält eine Amerikanerin verärgert in ihrem Blog fest.¹³ Sie fordert explizite Anstandsregeln für das Wartezimmer:

    Führen Sie keine Handygespräche; stellen Sie Ihren Laptop stumm; unterhalten Sie sich nicht laut; singen Sie nicht mit, wenn Sie auf Ihrem iPod Musik hören; wenn Sie Kinder dabeihaben, dann kümmern Sie sich um sie; legen Sie Zeitschriften und andere Dinge dorthin zurück, wo Sie sie hergenommen haben; machen Sie anderen Platz; und zu guter Letzt: Zappeln Sie nicht auf Ihrem Sitzplatz herum.

    Lernen Sie das Zen des Nichtstuns, beschließt diese Frau ihre Lektion. Kommentare von Besuchern ihres Blogs lassen darauf schließen, dass viele Menschen ihre rigorosen Ansichten entschieden teilen.¹⁴

    Manche Wartebereiche bringen ihre eigenen ungeschriebenen Regeln und Traditionen hervor. Im Rahmen einer Studie über geringverdienende schwangere Latinas in Cleveland, Ohio, stellte die Anthropologin Kate E. Masley fest, dass die von ihr untersuchten Frauen ihre Schwangerschaften unter aufreibenden sozialen und kulturellen Bedingungen bewältigten. Sie machte ethnografische Beobachtungen im Wartezimmer einer Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, an einem Ort also, der in ihren Augen einen Mikrokosmos darstellt, den viele Ärzte, Schwestern und anderweitig im Gesundheitswesen Beschäftigte kaum je zu Gesicht bekommen und zu verstehen lernen.

    Das kleine, von Neonröhren grell erleuchtete Wartezimmer der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hat keine Fenster. 22 Stühle stehen in parallelen Reihen nebeneinander. An den Pinnwänden hängen lauter Gesundheitstipps und Informationen über den Krankenhausbetrieb sowie einige Festtagsdekorationen.

    Die übliche Geräuschkulisse besteht aus dem Fernseher, der Klimaanlage beziehungsweise Heizung, lachenden, weinenden, spielenden oder herumrennenden Kindern, plaudernden Schwestern, die Zimmer betreten und verlassen, Patienten, die sich miteinander unterhalten, Menschen, die seufzen, lachen oder sich gegenseitig helfen, sowie Eltern und Familienangehörigen, die mit ihren Kinder sprechen und sie ermahnen.¹⁵

    Materialiter handelt es sich hierbei um ein gewöhnliches Wartezimmer. Das Sozialleben jedoch, das sich in ihm abspielt, unterscheidet es von anderen. Die Schwangeren denken gar nicht daran, »das Zen des Nichtstuns« zu praktizieren. Stattdessen dient ihnen der Raum als Bühne, um über Themen von gemeinsamem Interesse, wie vor allem ihre Kinder, zu sprechen, sowie um Unterstützung zu geben und zu bekommen. Er wird somit zu einem Schauplatz, an dem ihre Stimmen, Gefühle und Erfahrungen gehört werden können.

    Die Beklemmungen, die diese Frauen womöglich von der Welt außerhalb der Klinik mitbringen, werden durch ihre gemeinsamen Zigarettenpausen, durch das gemeinsame Verzehren von Erfrischungsgetränken, Süßigkeiten und Knabberzeug gelindert. Die Beweise gegenseitiger Zuneigung und der Anblick spielender Kinder können dazu beitragen, die Anspannung zu dämpfen, unter der diese Frauen stehen, während sie auf Termine warten und mit Ärzten, Schwestern und Verwaltungsassistenten zu tun haben. In ihrer Feldforschung kam Kate E. Masley zu dem Schluss, dass der Wartezimmerbereich eine informelle soziale Institution darstellt, in der einkommensschwache Frauen verschiedener ethnischer Zugehörigkeit über eine gewisse Autorität verfügen, Raum beanspruchen und sich verhältnismäßig sicher fühlen können.

    Ein Wartezimmer zu studieren, bringt sowohl kulturelle Regeln als auch potenzielle Konflikte über Fragen des angemessenen Verhaltens ans Licht. Eine scheinbar unbedeutende Tätigkeit ist also unmittelbar mit existenziell vordringlichen Fragen danach verknüpft, wie man seine Zeit verbringen, welche Verhaltensregeln man hochhalten und wer in diesen Dingen entscheiden sollte. Das Warten macht seltsame Dinge mit der Zeit – aber auch mit der Gesellschaftsordnung und den Machtverhältnissen.

    Zähflüssige, verschwendete oder tote Zeit?

    Ich frage mich, wie viele Tage unseres Lebens aus toter Zeit bestehen, während der wir nur darauf warten, dass selbige vergeht. Gerade jetzt habe ich nicht die geringste Lust, irgendetwas zu tun. Ich schaue wirklich nur auf meine Uhr und warte, bis es Zeit zum Kochen ist. Essen ist immer eine gute Methode, um Zeit totzuschlagen. Sicher, ich habe eine Menge zu tun; ich muss meinen Koffer packen, einen Aufsatz fertig schreiben, die Speicherkarte leeren und eine Pflegespülung kaufen. All dies aber ist so langweilig, dass ich lieber hier sitze und einfach nur warte.¹⁶

    Wenn Menschen wie diese junge Person davon sprechen, wie sie das Warten erleben, dann klagen sie im Allgemeinen über dreierlei: erstens, dass es langweilig ist zu warten; zweitens, dass die Zeit, wenn sie gezwungenermaßen warten müssen, so viel langsamer vergeht als gewöhnlich; und drittens, dass sie das Gefühl haben, die Zeit vergeudet – »getötet« – zu haben. Der Unterschied in der Wahrnehmung eines schnellen oder eines langsamen Vergehens der Zeit ist natürlich eine relative Angelegenheit.¹⁷ Etwas Schönem freudig entgegenzusehen ist sicherlich eine andere Zeiterfahrung, als sich Sorgen über den Befund zu machen, der einem gleich vom Arzt mitgeteilt wird.¹⁸

    Die Qualität der Wartezeit verändert sich ständig. Das Leben stoppt für eine Sekunde, bis die Energiesparlampe angeht, und für die Minuten, die man wartend in der Schlange vor dem Geldautomaten verbringt, und es zieht sich während der langen Teenagerjahre hin, bis man endlich den Status eines Erwachsenen erreicht. Ganz zu schweigen von den achtzehn langen Jahren, die unser chinesisches Paar gewartet hat. Beide müssen fast ständig an das gedacht haben, worauf sie warteten – und waren zugleich damit beschäftigt, mühsam ihre täglichen Pflichten zu erledigen.

    Zu warten kann also eine vorwegnehmende Seinsweise sein, während der der Akt des Wartens selbst das Verstreichen der Zeit hervortreten lässt. Ohne wirklich eigenen Inhalt vergeht die Zeit, die man verbringt, langsamer, weil man so sehr in die Uhr vertieft ist. Es ist nicht ungewöhnlich, dass uns eine zweiminütige Wartezeit wie ein Augenblick oder wie eine »Ewigkeit« vorkommen kann. In einer Webdesign-Firma ließen die jungen Angestellten ihre Computer über Nacht an, weil sie nicht die dreißig Sekunden warten wollten, bis die Rechner am Morgen wieder hochgefahren waren.¹⁹ Auch die Momente des Wartens an einer Ampel können unverhältnismäßig aufreibend sein. Wir wollen dies mit der ausführlichen Beschreibung eines Warteerlebnisses veranschaulichen, das einer von uns beiden in einer Autowerkstatt hatte.

    Zähflüssige Zeit

    Wie lange wird die Inspektion dauern, frage ich, während ich den Autoschlüssel am Empfangsschalter abgebe. Wir sollten vor Mittag damit fertig sein, lautet die Antwort. Es ist 7.10 Uhr. Während der Wartezeit gehe ich in die Stadt, trinke einen Kaffee und lese etwas, um anschließend einige Besorgungen zu machen. Ich denke nicht groß an mein Auto. Um zwölf herum kehre ich zur Werkstatt zurück. Der Wagen ist noch nicht fertig, also bleibt mir nichts anderes übrig, als im Empfangsbereich Platz zu nehmen, wo es einen Kaffeeautomaten und einige Lokalzeitungen gibt. Und andere Leute, die auch warten.

    Nun drängt sich mir die Tatsache auf, dass ich auf mein Auto warte. Zuvor hatte ich dies mit anderen Tätigkeiten verschleiert. Doch nachdem ich meine Besorgungen einmal gemacht hatte, fand ich mich in

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