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Sparprogramme töten: Die Ökonomisierung der Gesundheit
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eBook306 Seiten3 Stunden

Sparprogramme töten: Die Ökonomisierung der Gesundheit

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Über dieses E-Book

Nach jahrelanger Recherche auf fünf Kontinenten haben zwei junge Epidemiologen ihre haarsträubenden Ergebnisse zu einem provokanten und dringlichen Pamphlet zusammengefasst.

Harte Fakten belegen die traurige Wahrheit und einen eindeutigen Zusammenhang:
Nachdem in Griechenland der Gesundheitsetat 2009 von 24 auf 16 Milliarden Euro gekürzt wurde, stieg die Kindersterblichkeit um 40 Prozent und allein zwischen Januar und Mai 2011 die Zahl der HIV-Neuinfektionen um 52 Prozent. Das gerade vom Krisengewinnler Deutschland aufgezwungene europaweite Sparregime hat dramatische Folgen, denn:

"Was ist der Unterschied zwischen dem IWF und einem Vampir? Der Vampir hört auf, einem das Blut auszusaugen, wenn man tot ist."
Hinter den aufrüttelnden Zahlen, den aktuellen sowie historischen Daten und erstaunlichen Grafiken stehen die Schicksale einzelner Menschen, die von den Autoren in drastischen Geschichten porträtiert werden. Aber die beiden Medizinethiker bieten auch Raum für Hoffnung, denn sie zeigen ermutigende Beispiele wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erholung, nachdem kreative, überraschende politische Lösungen für schwierige Bedingungen gefunden wurden. Nach fünf Jahren Rezession ist es Zeit für eine Kehrtwende in der Krisenpolitik - für eine gesündere Zukunft!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. März 2014
ISBN9783803141538
Sparprogramme töten: Die Ökonomisierung der Gesundheit

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    Of all the books dealing with economics, this is my favorite so far. It is a must read for all who want to see data driven economic analyses of the economics of recessions and depressions and how they are affected by different proposed solutions. The data are pretty strongly against austerity, at least if you value public health and a healthy, recovering economy.

Buchvorschau

Sparprogramme töten - David Stuckler

Verlag Klaus Wagenbach  Berlin

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel The Body Economic. Why Austerity Kills bei Basic Books in New York. Die deutsche Ausgabe wurde leicht gekürzt.

E-Book-Ausgabe 2014

Politik bei Wagenbach. Herausgegeben von Patrizia Nanz

© 2013 David Stuckler and Sanjay Basu

© 2014 für die deutsche Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach,

Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN 978 3 8031 4153 8

Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3649 7

Politik ist nichts weiter

als Medizin im Großen.

Rudolf Virchow, 1848

Vorwort

I. GESCHICHTE

1. Lehren aus der Weltwirtschaftskrise

2. Die Mortalitätskrise nach dem Zusammenbruch des Kommunismus

3. Vom Wunder- zum Sorgenkind

II. DIE FINANZKRISE

4. Gott schütze Island

5. Die griechische Tragödie

III. RESILIENZ

6. Zurück in Lohn und Brot

7. Zum Teufel eure Häuser

Schluss: Was zu tun ist

Anmerkungen

Forschungspublikationen

Danksagung

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Vorwort

Vielen Dank für Ihre Teilnahme an dieser klinischen Studie. Mag sein, dass Sie sich gar nicht erinnern können, Ihr Einverständnis gegeben zu haben, aber angemeldet wurden Sie im Dezember 2007, zu Beginn der Finanzkrise. Dieses Experiment beruhte nicht auf Regeln der informierten Einwilligung oder auf medizinischen Sicherheitsstandards. Ihre Behandlung wurde nicht von Ärzten und Krankenschwestern durchgeführt, sondern von Politikern, Ökonomen und Finanzministern.

Im Verlauf dieser Studie wurden Sie, genau wie Milliarden Ihrer Mitmenschen auf der ganzen Welt, einer von zwei Versuchsgruppen zugeteilt. Der einen Gruppe wurden Sparmaßnahmen verordnet, während die anderen mit Konjunkturprogrammen behandelt wurden. Sparmaßnahmen sind eine Medizin, die Symptome wie Schulden und Defizite lindern und Abhilfe gegen Rezessionen schaffen soll. Zu diesem Zweck wurden die Staatsausgaben für Gesundheit, Arbeitslose und Wohnen gekürzt. Die potentiellen Nebenwirkungen waren noch weitgehend unklar, als mit der Studie begonnen wurde.

Zu Anfang des Experiments war Ihre Prognose düster und unsicher. Das Platzen der Immobilienblase in den USA hatte 2007 Volkswirtschaften auf der ganzen Welt in Mitleidenschaft gezogen. Einige Politiker, wie der britische Premier David Cameron, beschlossen zu sparen, um ihr Haushaltsdefizit zu senken. Anderen europäischen Ländern, wie Griechenland, Spanien und Italien, wurde der experimentelle Sparkurs vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank aufgezwungen, mit der Auflage, bei Sozialprogrammen Milliarden von Euro einzusparen. Falls Sie zur Versuchsgruppe gehört haben, der Sparprogramme verabreicht wurden, dürfte sich Ihr Leben ziemlich gravierend verändert haben.

Andere Politiker entschieden sich dagegen für Investitionen in Gesundheits- und Sozialprogramme. Wenn Sie zur Versuchsgruppe gehört haben, der Konjunkturprogramme verabreicht wurden – sprich: falls Sie in Schweden, Island oder Dänemark leben –, so war Ihr Land von Rezession und Arbeitslosigkeit zwar massiv betroffen, blieb von Sparmaßnahmen jedoch weitgehend verschont. Sie haben in Ihrem Stadtviertel, bei den Warteschlangen im Krankenhaus, den Lebensmittelpreisen oder der Anzahl der Obdachlosen vermutlich kaum Veränderungen festgestellt.

Es war nicht das erste Mal, dass die Auswirkungen von Konjunktur- oder Sparprogrammen in einem großangelegten Experiment auf den Prüfstand gestellt wurden. Eines der umfangreichsten Experimente dieser Art fand vor 80 Jahren in den Vereinigten Staaten statt. Als Ausweg aus der »Großen Depression« beschloss der US-Kongress auf Vorschlag von Präsident Franklin D. Roosevelt ein ganzes Bündel von Programmen, den sogenannten »New Deal«. Auf diese Weise wurden Arbeitsplätze geschaffen und das soziale Netz gestärkt. Doch während viele Bundesstaaten den New Deal umsetzten, lehnten andere das Angebot Washingtons ab. Die Folgen stellten sich in beiden Gruppen sehr unterschiedlich dar: Wo der New Deal angenommen wurde, verbesserte sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung; in jenen Bundesstaaten, die sich verweigerten, dagegen nicht. Auch im postkommunistischen Russland und in Ostasien wurde vor zwanzig Jahren mit Sparprogrammen experimentiert – mit frappierend ähnlichen Ergebnissen.

All diese Experimente lieferten wichtige Bausteine, die sich zur zentralen Erkenntnis dieses Buches zusammenfügen: Es geht bei wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nur um Wachstumsraten und Defizite. Es geht um Leben und Tod.

Dieses Buch handelt von Daten und von den Geschichten, die sich hinter diesen Daten verbergen. Wir, die Autoren, beschäftigen uns schon seit zehn Jahren mit der Frage, wie sich Wirtschaftskrisen – einschließlich der aktuellen weltweiten Finanzkrise – auf unsere Gesundheit auswirken. Unser Interesse an diesem Thema ist nicht nur akademischer, sondern auch persönlicher Natur.

Was es bedeutet, Geldsorgen zu haben, und welche Folgen für die Gesundheit damit einhergehen, haben wir beide am eigenen Leib erfahren. David Stuckler brach die Schule ab, um sich ganz seiner Leidenschaft zu widmen und in einer Band zu spielen. Da sich mit Musik nicht viel verdienen ließ (und die Band im Rückblick betrachtet auch nicht so wahnsinnig toll war), schlug er sich mit Jobs als Kellner und Hausmeister durch. Nachdem er von einem Tag auf den anderen entlassen worden war, konnte er seine Miete nicht mehr bezahlen. Eine Zeitlang schlief er abwechselnd in einem Zelt, in seinem Auto oder bei Freunden auf dem Sofa. Als der Winter kam, wurde er krank. Er hatte schon seit seiner Kindheit unter Asthma gelitten, jetzt zog er sich zuerst eine Bronchitis und dann eine Lungenentzündung zu. Weil er arbeitslos war, hatte er keine Krankenversicherung, kein Geld und kein Dach über dem Kopf. Dank der Unterstützung seiner Familie kam er schließlich wieder auf die Beine, ging aufs College und studierte Gesundheitsökonomie und Statistik. Dabei lernte er, dass er kein Einzelfall war: Überall in den USA waren Menschen nur ein Monatsgehalt davon entfernt, obdachlos zu werden und genauso auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, wie er es gewesen war.

Auch Sanjay Basu erlebte schon in jungen Jahren, was es bedeutet, krank zu sein. Seine Mutter litt jahrelang an Kokzidioidomykose, einer Lungeninfektion, die auch als »Talfieber« bezeichnet wird. Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, nahm sein Vater lange Arbeitswege in Kauf. Zeitweise wohnte die Familie geradezu im Krankenhaus. Jede Woche wurde Sauerstoff für das Beatmungsgerät geliefert. Sanjay Basu war gut in Mathematik, und als er sich am Massachusetts Institute of Technology einschrieb, entdeckte er die Mathematik von Leben und Tod: Wie Statistiken die Ursachen dafür nennen, wer am Leben bleibt und wer stirbt.

Kennengelernt haben wir uns im Rahmen unseres Masterstudiums der Medizin und der Epidemiologie. Uns verband das Bedürfnis, anderen zu helfen. Seitdem beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Letztlich haben diese Maßnahmen nämlich einen größeren Einfluss darauf als irgendeine Pille, Operation oder Krankenversicherung. Gesund sein beginnt nicht in Krankenhäusern und Arztpraxen, sondern damit, wie und in welchem Stadtviertel wir wohnen, was wir essen, welche Luft wir atmen und wie sicher die Straßen in unserer Stadt sind. Einer der wichtigsten Faktoren für die Berechnung Ihrer Lebenserwartung ist Ihre Postleitzahl. Denn vieles, was zum Erhalt unserer Gesundheit beiträgt, hängt von unserem sozialen Umfeld ab.¹

Alle Forschungsergebnisse zur Gesundheits- und Sozialpolitik, die wir in diesem Buch darlegen, sind von anderen Experten ausführlich überprüft und bestätigt worden. Erstklassige unabhängige Ökonomen, Epidemiologen, Ärzte und Statistiker haben unsere Daten, unsere Methoden und deren Darstellung kontrolliert. Neben zahlreichen eigenen Studien stützen wir uns auf neueste Forschungsergebnisse von Kollegen. Unsere eigenen Arbeiten wurden von angesehenen medizinischen Fachzeitschriften wie The Lancet, dem British Medical Journal und PLOS Medicine sowie von diversen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht.

Derlei Fachbeiträge sind für den Laien mitunter jedoch schwer nachvollziehbar. Daher haben wir in diesem Buch den Versuch unternommen, unsere Forschungsergebnisse möglichst allgemeinverständlich darzulegen. Unser Ziel ist, alle nötigen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit in wirtschafts- und gesundheitspolitischen Fragen fundierte, demokratische Entscheidungen gefällt werden können. Außerdem möchten wir mit harten Fakten die Debatte über Sparprogramme voranbringen – eine Debatte, die bisher allzuoft von ideologischen Positionen bestimmt ist.

Die jüngste Finanzkrise hat heftige politische Debatten ausgelöst. Für die Verfechter von freien Märkten und Sparprogrammen hat der Schuldenabbau oberste Priorität – koste es, was es wolle. Viele Gegner sind dagegen der Ansicht, dass ein starkes soziales Sicherungsnetz aufrechterhalten werden muss, selbst wenn dadurch das Wirtschaftswachstum behindert werden könnte. Aus der Uneinigkeit über diese Grundprinzipien hat sich eine wahre Kakophonie lautstark und kämpferisch vorgetragener Standpunkte entwickelt. Was beiden Seiten entgangen ist: Der Widerspruch, der diese Debatte befeuert, ist nur ein scheinbarer.

Denn mit einer klugen politischen Strategie kann man das Wachstum ankurbeln, ohne Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Eine solche Strategie erfordert häufig, zunächst in Gesundheitsprogramme zu investieren. Richtig umgesetzt können diese Programme zusätzlich zu ihrem langfristigen Nutzen kurzfristig auch eine wachstumsfördernde Wirkung entfalten. Aus unseren Daten geht mit anderen Worten hervor, dass sich Gesundheitsförderung und Schuldenabbau nicht ausschließen. Um beides zu erreichen, muss man allerdings in die richtigen staatlichen Programme investieren.

Wenn sie herausfinden wollen, mit welchen Medikamenten und Behandlungsmethoden man den größten Erfolg erzielen kann, führen Ärzte kontrollierte Studien durch. Allerdings ist es schwierig bis unmöglich, ganze Gesellschaften für die Teilnahme an Studien zu gewinnen, die die besten sozialpolitischen Maßnahmen eruieren sollen. Um zu verstehen, welche Folgen bestimmte Maßnahmen für unsere Gesundheit haben, analysieren wir daher mit Hilfe ausgefeilter statistischer Methoden sogenannte »natürliche Experimente«. Zu derartigen Experimenten kommt es beispielsweise dann, wenn Politiker mehrerer Länder vor einem ähnlichen Problem stehen, etwa einer schweren Rezession, sich jedoch für unterschiedliche Vorgehensweisen entscheiden. Diese Unterschiede eröffnen uns als Forscher die Möglichkeit herauszufinden, wie politische Entscheidungen sich am Ende auf die Gesundheit auswirken – im Guten wie im Schlechten.

Können wir uns Sozialprogramme wie eine staatliche Krankenversicherung, Hilfen für psychisch Kranke oder Lebensmittelmarken und Wohnzuschüsse für Bedürftige leisten, obwohl der Staat hoch verschuldet ist? Wie unsere Forschungsergebnisse zeigen, tragen gezielte Ausgaben für bestimmte Gesundheitsprogramme sogar zu einer Beschleunigung des Schuldenabbaus bei, indem sie das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Jeder in derartige Programme investierte Euro führt zu einem zusätzlichen Wachstum von 3 Euro, die zum Abbau von Schulden verwendet werden können. In Ländern, die sich kurzfristig für drastische Einschnitte entscheiden, kommt es dagegen zu einem langfristigen wirtschaftlichen Niedergang. Kürzt der Staat während einer Rezession seine Ausgaben, so hat das einen massiven Rückgang der ohnehin schon schwachen Nachfrage zur Folge. Die Menschen geben weniger Geld aus, was wiederum schlecht für die Unternehmen ist und zu weiteren Entlassungen führt – ein Teufelskreis, in dem die Nachfrage immer weiter sinkt und die Arbeitslosigkeit immer weiter steigt. Die Sparmaßnahmen bewirken paradoxerweise das Gegenteil des angestrebten Effekts: Da die Wirtschaft schrumpft, nimmt die Schuldenlast nicht ab, sondern weiter zu. Ohne konjunkturfördernde Maßnahmen werden die Schulden langfristig immer höher.

Die wirtschaftlichen Folgen des Sparens lassen sich anhand erster Ergebnisse des laufenden Experiments in den USA und in Großbritannien besichtigen. Durch den Crash an der Wall Street kam es auf beiden Seiten des Atlantiks zu einem starken wirtschaftlichen Einbruch. Nach dem Amtsantritt von Barack Obama 2009 legten die USA ein Konjunkturprogramm auf. Diese Entscheidung markierte einen Wendepunkt: Seither erholt sich in den USA die Wirtschaft und das Bruttoinlandsprodukt ist mittlerweile höher als vor der Krise. In Großbritannien dagegen hat die konservative Regierung nach ihrem Amtsantritt 2010 die Staatsausgaben um mehrere Milliarden Pfund gekürzt. Die britische Wirtschaft hat sich im Vergleich zur amerikanischen weniger als halb so umfänglich erholt, das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht und droht nun in eine weitere Rezession zu rutschen.

Auf dieses Muster – segensreiche Auswirkungen von Konjunkturprogrammen, negative Folgen von Sparprogrammen – sind wir bei der Auswertung von Daten zu den Rezessionen der letzten fast 100 Jahre in Ländern auf der ganzen Welt immer wieder gestoßen.

Es gilt als Binsenweisheit, dass sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung im Lauf einer Rezession unweigerlich verschlechtert. Es sei zudem nicht anders zu erwarten, dass Depressionen, Selbstmorde, Alkoholismus, Krankheitsepidemien und viele weitere Gesundheitsprobleme zunähmen. Doch das ist ein Irrtum. Rezessionen können für die Gesundheit der Bevölkerung eine Gefahr sein, aber auch eine Chance. Denn manchmal verbessert sich die allgemeine Gesundheit sogar. Schweden erlebte zu Beginn der neunziger Jahre einen massiven wirtschaftlichen Einbruch, der heftiger ausfiel als während der aktuellen Wirtschaftskrise, verzeichnete jedoch keinerlei Anstieg der Selbstmordrate oder der alkoholbedingten Todesfälle. Und im Verlauf der aktuellen Krise besserte sich auch der Gesundheitszustand der Bevölkerung von Norwegen, Kanada und sogar Teilen der USA.³

Abb. Vorwort 1Sozialausgaben steigern die Lebenserwartung (Zahlen für 2008 Geborene)²

Unsere Erkenntnis lautet: Die eigentliche Gefahr für die Gesundheit der Allgemeinheit lauert nicht in Rezessionen an sich, sondern in den Sparprogrammen, mit denen diese häufig »bekämpft« werden. Wenn das soziale Netz durch Ausgabenkürzungen Löcher bekommt, kann ein wirtschaftlicher Rückschlag wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder des Eigenheims die Gesundheit stark in Mitleidenschaft ziehen. Wie man an der vorherigen Abbildung ablesen kann, ist einer der ausschlaggebenden Faktoren für unsere Gesundheit die Tragfähigkeit des sozialen Netzes. Aus Gründen, die wir noch näher erläutern werden, wirken sich staatliche Investitionen in Sozialprogramme – wie Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung, Altersrenten und Gesundheitsvorsorge – positiv auf die Gesundheit aus. Und dabei handelt es sich nicht nur um eine Korrelation, sondern um eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, die sich überall auf der Welt beobachten lässt.

Genau das ist die Erklärung dafür, dass es in Island – das von der schwersten Bankenkrise aller Zeiten heimgesucht wurde – während der weltweiten Finanzkrise zu keinem Anstieg der Sterbeziffer kam. Denn Island beschloss, seine Sozialprogramme intakt zu lassen und die entsprechenden Budgets sogar zu erhöhen. Griechenland dagegen, das Versuchskaninchen der Verfechter eines Sparkurses in Europa, wurde zu drakonischen Einschnitten gezwungen, den weitreichendsten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Rezession in Griechenland war zunächst weniger tief als in Island, wurde durch die Sparmaßnahmen jedoch immer schlimmer. Die dramatischen Folgen für die Menschen sind mittlerweile unübersehbar: ein Anstieg der HIV-Infektionen um 200 Prozent, eine Verdopplung der Selbstmordrate, eine Zunahme der Mordfälle und die Rückkehr der Malaria – alles wegen der Kürzungen bei wichtigen Gesundheitsprogrammen.

Wie die Forschung der vergangenen Jahrzehnte gezeigt hat, sind die mit Sparprogrammen einhergehenden Gefahren ebenso durchgängig wie gravierend. Historisch betrachtet bemisst sich der Preis des Sparens in Todesfällen und sinkender Lebenserwartung.

Im Zusammenhang mit der Finanzkrise wurde bislang zu viel über Bruttoinlandsprodukte, Defizite und Schuldenabbau und zu wenig über die Gesundheit und das Wohlergehen der Bürger diskutiert. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Frage, welche Entscheidungen Regierungen treffen und welche Folgen diese Entscheidungen nicht nur für unsere Volkswirtschaften, sondern auch für unsere Gesundheit haben. Wir verfügen heute über einen großen Datenschatz, aus dem hervorgeht, welche Maßnahmen tödlich sind und welche lebensrettend. Als Bürger können wir von unseren Regierungen einfordern, die richtigen Entscheidungen zu fällen – Entscheidungen, die dafür sorgen, dass wir auch in schweren Zeiten gesund bleiben.

I. GESCHICHTE

1. Lehren aus der Weltwirtschaftskrise

»Das verzeih ich denen nie«, schrieb der 13-jährige Kieran McArdle an die Glasgower Tageszeitung Daily Record. »Ich werde mich mit dem Tod meines Vaters so lange nicht abfinden können, bis ihm Gerechtigkeit widerfahren ist.«¹

Kierans Vater, der 57-jährige Brian, hatte in der Grafschaft Lanarkshire bei Glasgow für einen Sicherheitsdienst gearbeitet. 2011 hatte Brian einen Tag nach Weihnachten einen Schlaganfall erlitten. Seitdem war er linksseitig gelähmt, auf einem Auge blind und konnte nicht mehr sprechen. Da er nicht mehr arbeiten konnte, um seine Familie zu ernähren, stellte er einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeit.

Der Staat, an dessen Spitze der konservative Premierminister David Cameron stand, erwies sich nicht gerade als Freund der McArdles. Nach Auffassung Camerons gab es Hunderttausende Briten, die das staatliche System zur Unterstützung Erwerbsunfähiger und Behinderter ausnutzten. Im Arbeits- und Rentenministerium sah man das anders. Dort schätzte man, dass nur weniger als ein Prozent der Leistungen für Behinderte an Menschen floss, die gar nicht wirklich behindert waren.²

Dessen ungeachtet kürzte Cameron die Sozialleistungen, darunter auch die Leistungen für Behinderte und Erwerbsunfähige, um mehrere Milliarden Pfund. Im Bemühen, Camerons Vorgaben zu erfüllen, vergab das Arbeits- und Rentenministerium Aufträge an Atos, eine private französische »Systemintegrationsfirma«. Für medizinische Gutachten über Bezieher staatlicher Leistungen für Behinderte kassierte Atos vom britischen Staat 400 Millionen Pfund.³

Kierans Vater sollte zu einem bestimmten Termin bei Atos erscheinen, um eine Reihe von Tests seiner »Arbeitstauglichkeit« zu absolvieren. Er machte sich Sorgen. Seit seinem Schlaganfall konnte er nur noch mit Mühe gehen, und er fragte sich, wie er mit seinem elektrischen Rollstuhl die Treppen zum Untersuchungszimmer hinaufkommen sollte. Er hatte nämlich gehört, dass etwa ein Viertel der Termine von Atos mit Behinderten in Gebäuden stattfanden, die nicht rollstuhlgerecht waren. »Obwohl er wenige Tage vor seinem Termin einen weiteren Schlaganfall hatte, war mein Vater fest entschlossen, hinzugehen«, so Kieran. »Er war sehr stolz, deshalb versuchte er, so gut zu gehen und zu sprechen, wie es eben ging.«

Brian schaffte es, sich zum Untersuchungszimmer von Atos und nach den Tests wieder nach Hause zu schleppen. Einige Wochen später erhielt Familie McArdle einen Brief vom Arbeits- und Rentenministerium: Die Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente werde eingestellt. Atos hatte Brian für »arbeitsfähig« befunden. Am Tag darauf brach er zusammen und starb.

Uns, die wir uns wissenschaftlich mit dem Gesundheitswesen befassen, fiel es schwer, die Haltung der Regierung nachzuvollziehen. Schließlich war das Arbeits- und Rentenministerium der Auffassung, dass Betrugsfälle eine vergleichsweise geringe Rolle spielten, und bezifferte den Gesamtschaden durch Menschen, die sich zu Unrecht Beihilfen für Behinderte erschlichen, auf lediglich 2 Millionen Pfund – weit weniger, als der Auftrag an Atos verschlang. Größerer Schaden, so die Schätzung des Ministeriums, entstehe dadurch, dass jedes Jahr versehentlich 70 Millionen Pfund zu wenig ausbezahlt würden. Doch die finanzpolitische Ideologie der Regierung erforderte radikale Einschnitte.

Jenseits des Atlantiks, in den Vereinigten Staaten, bezeichnete Präsident Barack Obama die anhaltende Rezession als die schwerste seit der Weltwirtschaftskrise. Es war ein treffender Vergleich. Auf der Suche nach Rezepten gegen die »Große Rezession« richteten viele den Blick mehr und mehr auf die Politiker und Ökonomen aus der Zeit der »Großen Depression«, der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre. Der Republikaner Herbert Hoover und der Demokrat Franklin D. Roosevelt hatten die USA als Präsidenten durch die Wogen der Weltwirtschaftskrise gesteuert, und der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte die Auffassung vertreten, die Wirtschaft könne durch eine gezielte Erhöhung der Staatsausgaben wieder angekurbelt werden.

In den von Panik geprägten Anfangsmonaten des Jahres 2008 bezweifelte kaum jemand, dass zur Rettung der Wirtschaft rasches Handeln vonnöten war. Die entscheidende Frage betraf das Wie: Erhöhung der Staatsausgaben oder Budgetkürzungen? Es gab konkrete Befürchtungen, dass bei einem etwaigen Zusammenbruch der Banken ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund gerissen werden könnten. Der Finanzsektor hatte sich zu einem derart großen Wirtschaftsfaktor entwickelt, dass die Politiker manche Banken als »systemrelevant« einstuften. Ließe man sie bankrott gehen, so die Argumentation, wäre der wirtschaftliche Schaden sogar noch höher als durch die enormen Summen, die zu ihrer Rettung eingesetzt würden: Es käme zu einem panikartigen Ansturm auf die Banken, und Groß- wie Kleinunternehmer hätten Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen.

Um den Bankensektor zu retten, schnürten die Regierungen in den USA und Europa Rettungspakete von nie dagewesenem Ausmaß. Die Banken hatten zwar privates Geld verloren, wurden nun aber mit dem Geld der Steuerzahler gerettet – in

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