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Patient: Gesundheitssystem: Neue Menschlichkeit als Therapie
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Patient: Gesundheitssystem: Neue Menschlichkeit als Therapie
eBook257 Seiten2 Stunden

Patient: Gesundheitssystem: Neue Menschlichkeit als Therapie

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Über dieses E-Book

Ab in die Sprechstunde
Dort warten Expert:innen mit dem umfassenden Therapiekonzept für Neue Menschlichkeit

Das Buch untersucht das chronisch kranke Gesundheitssystem mit Blick auf seine Bringschuld den Menschen gegenüber. Denn viele Beteiligte haben das Gefühl, dass genau dieser Fokus auf den Menschen auf der Strecke geblieben ist. Zeit für einen Sichtwechsel, der das gesamte System neu ordnet. Zeit für ein neues Denken. Zeit für Neue Menschlichkeit. Was könnte man verbessern, wo gibt es konstruktive Lösungen für mehr Autonomie und Selbststeuerung der Akteure und wie kann man nicht nur Symptome bekämpfen, sondern das Gesundheitssystem insgesamt in Richtung Neue Menschlichkeit weiterentwickeln?

Der Herausgeber Christian Egle lädt relevante Impulsgeber und ausgewählte Expert:innen in die Sprechstunde. Dort diskutieren sie gemeinsam aktuelle Symptome, Therapien, Lösungen und präventive Maßnahmen. So entsteht ein facettenreicher und kontroverser Diskurs rund um das Gesundheitssystem von morgen. Mit Digitalisierungs- und Finanzexperten, Patientenvertretern, Chefärzten und Pflegedienstleistern, Politikern und Managern.

Christian Egle moderiert, kommentiert und vernetzt die unterschiedlichen Perspektiven zu einem umfassenden Therapiekonzept der Neuen Menschlichkeit im Gesundheitssystem. Erzählt in acht Kapiteln, zusätzlich mit einer kleinen Geschichte der Bio- und Medizinethik sowie am Ende mit einer großen Netzkarte zukunftsfähiger Lösungsideen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. Okt. 2021
ISBN9783867747165
Patient: Gesundheitssystem: Neue Menschlichkeit als Therapie

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    Buchvorschau

    Patient - Murmann Publishers GmbH

    Geleitwort

    Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es formuliert erstens eine große Vision, zeigt zweitens Wege und Ideen der konkreten Umsetzung, wird drittens vom Herausgeber und einem Autorenteam mit hoher Fachexpertise in einem neuen Blickwinkel verfasst, bildet viertens die gesamte Perspektivendifferenz zu einem umstrittenen Thema ab und will fünftens die große Öffentlichkeit aufklären. Im Ergebnis bedeutet dieses Buch die notwendige und zielführende Einmischung in eine der konfliktreichsten gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart.

    Es geht um das Gesundheitssystem, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Vielerorts ein echter Krankheitsfall. Und es geht um ein Gesundheitssystem, dem es nicht mehr gelingt, mit einem Verständnis der Bringschuld den Menschen bessere und fürsorgliche Gesundheit in Europa anzubieten. Im Gegenteil. Es hat sich vielfach zu bizarren Wirklichkeiten entwickelt, die Ökonomie vor Gesundheit stellen. Längst haben nicht wenige Bürger*innen den Eindruck, dass dieses Gesundheitssystem nur noch schwer reformierbar ist.

    Ist es aber doch, so der Herausgeber, die Autoren und Autorinnen, Experten und Expertinnen in diesem Buch. Mit dem Begriff »Neue Menschlichkeit« versuchen sie, das Diktat einer profitgetriebenen Wirtschaftlichkeit aufzubrechen und es mit einer humanistischen, vernetzten und interprofessionellen Mitmenschlichkeit neu zu programmieren. Und weil dieses Buch einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, bezieht es alle Akteure mit ein: Ärzt*innen, Patient*innen, Manager*innen, Politiker*innen. Sie alle begeben sich auf eine spannende Reise voller kreativer Ideen und Lösungen.

    Das vorliegende Buch ist eine große Gemeinschaftsleistung.

    Und der originelle Beweis, wie Menschen unter der Flagge der Neuen Menschlichkeit eine neue Welt auszubuchstabieren versuchen, nicht nur kritisierend, sondern konstruktiv nach vorne weisend. Ich danke allen Mitwirkenden für diesen Mut und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Vorschläge.

    Das Konzept der Neuen Menschlichkeit wurde im Rahmen von Gesprächen mit zahlreichen Expert*innen des Gesundheitssystems entwickelt. Alle anregenden Unterhaltungen und Diskussionen fanden Berücksichtigung, auch wenn einige Expert*innen nicht mit einem Zitat Erwähnung fanden.

    Dieses Buch entstand mit freundlicher Unterstützung der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

    Julie Teigland, Managing Partner von EY EMEIA (Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika) und Mitglied der globalen Geschäftsführung.

    Einführung

    Gesundheit ist ein individuelles Grundrecht. Jeder und jede will es wahrnehmen, jeder und jede will es aufrechterhalten. Längst hat sich darum herum ein riesiges, undurchdringliches und widersprüchliches System gebildet: das Gesundheitssystem. Und nicht wenige verzweifeln oder äußern daran zumindest harsche Kritik. Ärzt*innen, Patient*innen, Politiker*innen, Expert*innen und Funktionäre. Im Kern geht es um den Verlust an Menschlichkeit, man fühlt sich verloren im Chaos, jeglicher Autonomie beraubt und nicht mehr fähig, Gesundheit selbst und auf Augenhöhe mitzugestalten oder gar zu steuern. Das Gesundheitssystem steckt in der Krise, ja, es ist geradezu selbst zum Patienten geworden. Dieses Buch versucht deshalb, mit dem Begriff Neue Menschlichkeit ein zeitgemäßes, modernes Denken und Handeln im Gesundheitssystem anzustiften. Um diesen Patient*innen wieder von seinen Leiden und Krankheiten zu befreien.

    Lassen Sie uns mit dem Begriff der Gesundheit selbst beginnen. In der Präambel zur Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), übrigens bereits vor über 70 Jahren, heißt es, dass Gesundheit der Status des vollkommenen körperlichen, geistigen und gesellschaftlichen Wohlbefindens sei. Bis heute hat sich die Haltung vielerorts verfestigt, dass Gesundheit mehr ist als die nur Abwesenheit von Krankheit.

    Aus dem Blickwinkel des Wohlbefindens hat sich auch die Begrifflichkeit erheblich verändert. Krankheit wird nicht mehr nur allein als quantitativ bestimmbarer Defekt an einem bestimmten Organ gesehen, sondern als Gesamtgeschehen mit relevanten inneren und äußeren Faktoren. Das reicht von bewusster Lebensführung über aktive Gesundheitspflege bis hin zur professionellen Hilfe beim Arzt. Übrigens weiterhin mit großem Vertrauen, denn knapp jeder zweite Deutsche hat großes Vertrauen in die Ärzteschaft. Was aber auch bedeutet, jeder zweite hat dieses Vertrauen nicht.

    Die Neue Menschlichkeit im Gesundheitssystem

    Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass auch die Wertigkeit von Gesundheit innerhalb moderner Gesellschaften unterschiedlich eingeschätzt wird. So ist das Wissen um den Wert von Gesundheit eng mit dem sozialen und ökonomischen Status verknüpft. In den etablierten, postmateriellen und modernen Leistungseliten, also bei rund 35 Prozent der Deutschen und innerhalb der bürgerlichen Mitte, ist es ein hohes Gut; dies steht im Gegensatz zu den sozial und ökonomisch schlechter gestellten Menschen innerhalb unserer Gesellschaft, die ebenfalls ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Hieraus resultieren einerseits ein unterschiedlich ausgeprägtes Maß an Wissen und resultierender Selbstfürsorge, andererseits auch eine deutlich verschiedene Nachfrage nach medizinischen Leistungen und speziell von gesundheitserhaltenden Vorsorgeangeboten.

    Eines aber eint uns alle: Jeder von uns kennt jenen Augenblick, in dem wir bemerken, dass etwas nicht stimmt, uns etwas fehlt, wir Symptome zeigen, befürchten, krank zu werden, oder einfach nur beunruhigt sind. Dann will jeder so schnell wie möglich wieder gesund werden und es am besten möglichst lange bleiben. Und weil der Blick auf Gesundheit so differenziert ist wie noch nie, müssen alle Akteure im Gesundheitswesen viele neue Anforderungen erfüllen. Die Patient*innen werden über das Internet immer gebildeter, das medizinische Personal muss immer mehr Wissen und neue Erkenntnisse in den Diagnose- und Therapiealltag integrieren. Zu guter Letzt müssen alle Einrichtungen und Institutionen – von Praxen, über Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeinrichtungen bis hin zu Gesundheitsämtern – mitsamt ihrem funktional-bürokratischen Überbau dafür sorgen, dass dieses komplexe und komplizierte Zusammenspiel aus Diagnose, Therapie, Nachsorge und Prophylaxe jedem Einzelnen zugutekommt.

    Dieses Buch beschäftigt sich zentral mit diesen, sich stetig verändernden Herausforderungen. Oder anders gesagt: Wie schaffen es die professionellen Akteure, die immer mehr wissen, forschen und erkennen, der zutiefst menschlichen Empfindung einer möglichen Erkrankung so zu begegnen, dass deren Menschsein gewürdigt, berücksichtigt und wertgeschätzt bleibt? Es geht also zentral darum, wie das Gesundheitssystem einer individuellen Autonomie des Daseins weiter begegnen will: Top-down, von oben herab, bei Patienten das Gefühl hinterlassend, ausgeliefert zu sein? Oder im Verständnis einer modernen Autonomie, interpretiert als Möglichkeit, sein eigenes Schicksal selbst zu steuern und auf Augenhöhe, ja geradezu ebenbürtig zu sein, wenn die Medizin in dieses Gesamtgeschehen rund um die persönliche Gesundheit und somit die eigene Existenz eingreift.

    Summum bonum

    Lassen Sie uns mit der Kamera noch etwas näher heranzoomen. Es macht sich nicht nur im Gesundheitssystem ein großes Unbehagen breit. Der Soziologe Armin Nassehi formuliert die grundsätzliche gesamtgesellschaftliche Fragestellung wie folgt: »Wie können die Menschen, kann die Menschheit, kann die Gesellschaft so viel Leid und Problematisches zulassen, während sie die Mittel dagegen doch in der Hand zu halten scheint? Warum streben die Handelnden, obwohl sie die Mittel dazu hätten, nicht nach dem summum bonum, das alle besserstellen und Lösungen wahrscheinlicher machen würde?«

    Man könnte anders fragen: Warum erkranken die Teilsysteme? Warum wird das Gesundheitssystem selbst zum Patienten, obwohl es alle Problemlösungen in Händen hält? Warum werden Lösungen permanent wieder zu Problemen? Warum sind die Beharrungskräfte so stark? Keine Frage: Es mehren sich allerorten die Symptome und Beschwerden. Patienten fühlen sich als anonymer »Fall«, sie erleben das System, auf das sie angewiesen sind, als träge, bürokratisch und intransparent. Zudem besteht ein ausgeprägter Mangel an Fachkräften, welcher die Arbeit in vielen Bereichen erschwert und zur weiteren Verknappung von Ressourcen führt.

    Die Häufigkeit von »Burn-out« und Überlastungen von Mitarbeitern aller Berufsgruppen im Gesundheitssystem nimmt seit Jahren stetig zu. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig – wesentliche Ursachen wie zunehmende Arbeitsverdichtung, häufiges Handeln in Ausnahmesituationen mit höchster emotionaler Belastung, ständige Verfügbarkeit und oftmals schlechte Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sind vielerorts anzutreffen.

    Gleichzeitig erhöhen sich die Ausgaben und Kosten immer weiter, die wirtschaftliche Situation ist vielerorts angespannt. Diese Aufzählung könnte um viele weitere Punkte fortgeführt werden. Die Akteure im Gesundheitssystem kennen dieses Lied längst in- und auswendig. Unterdessen bleibt das, was das Menschsein ausmacht, auf der Strecke: die Menschlichkeit als grundsätzliches soziales und kooperatives Miteinander. Gegenseitige Hilfe zum Schutze aller wird beseitigt. Man hätte die Mittel in der Hand, schafft aber kein gemeinsames summum bonum? Was gilt es zu tun?

    Das Jetzt erfordert, dies eindrucksvoll verstärkt durch die aktuellen grundlegenden Veränderungen unserer Gesellschaft und Kultur, ein Mehr an Kreativität, Innovationsfähigkeit, Motivation und vor allen Dingen sozialer Kompetenz – kurzum: mehr Individualität. Nur so wird es möglich sein, die Symptome des Patienten Gesundheitssystem zu beheben und das erwachsende Neue im Sinne von Menschlichkeit zu gestalten.

    Die Individualität aller Akteure zu stärken ist Maß und Ziel dieses Buches. Wir, der Herausgeber und die Autor*innen, sind allesamt Teilnehmer*innen an diesem großen Spiel der Widersprüche, Antinomien und Paradoxien. Oft seit vielen Jahren. Aber wir wollen nicht aufgeben. Wir verstehen uns als bedingungslose Protagonisten der breiten Selbstermächtigung aller Akteure im Gesundheitssystem und plädieren so für ein verändertes, weiterentwickeltes Bild von Menschlichkeit. Diese stärkt vorrangig die Selbstbestimmung jedes Einzelnen, sodass aufgeklärte, autonome Menschen, die auf ein für sie relevantes Wissen zurückgreifen können, in der Lage sind, dies ihrer jeweiligen Rolle im Gesundheitssystem entsprechend verantwortungsvoll einzusetzen.

    Deshalb haben wir uns in diesem Buch versammelt, um unsere Ideen, Vorschläge und Lösungen in einem kohärenten und konsistenten Sinne vorzutragen und vorzuschlagen. Wir nennen es die Neue Menschlichkeit. Alle Mitwirkenden im Gesundheitssystem werden so zu Coaches und Partnern, Patient*innen werden Expert*innen ihrer eigenen Erkrankung; Bürger steuern Ihre Gesundheit selbst und Systemvertreter handeln als Exekutive einer bedingungslosen beiderseitigen Gewinnbeziehung. Die Neue Menschlichkeit ist Ausdruck eines neuen Denkens auf allen Ebenen. Jeder bringt seine Ressourcen ein, um physisch, psychisch und sozial das Wohlbefinden aller zu steigern. Das wäre die konsequenteste Auslegung der WHO-Definition.

    Eine kleine Geschichte der Menschlichkeit im Gesundheitswesen – woher wir kommen und wohin wir gehen

    Um besser zu verstehen, dass die Neue Menschlichkeit kein kurzfristiges Buzzword wird, wollen wir zeigen, dass es eher die konsequente Weiterentwicklung einer langen medizinethischen Entfaltungslinie ist. Über Jahrhunderte weg. Wir wollen damit klarmachen, dass es auch historisch zwingend ist, diesen großen Schritt zu gehen. Gleichzeitig können dadurch Faktoren identifiziert werden, die helfen, die aktuellen und chronischen Beschwerden des Patienten Gesundheitswesen besser zu verstehen.

    Die Historie der Grundzüge unserer etablierten, wissenschaftlich-orientierten medizinischen Versorgung ist relativ kurz und umfasst eine Zeitspanne von ungefähr 60 Jahren, während die Grundprinzipien unseres präsenten Verständnisses von Behandlung, Betreuung, Pflege und Zuwendung wesentlich länger zurückliegen. Dort sollte die Anamneseerhebung beginnen. Kommen Sie mit auf diese kurze Reise durch die Jahrhunderte.

    Die Anfänge der Betreuung, Behandlung und Pflege von Kranken außerhalb ihres eigenen Umfeldes von Familie, dörflicher Gemeinschaft und teilweise klösterlicher Zuwendung reichen mehrere Jahrhunderte zurück. In einzelnen Hospitaleinrichtungen und streng religiös geführten Spitalen, die bereits im 9. Jahrhundert entstanden waren, erfolgte zunächst nur eine Betreuung der Ärmsten. Ab dem 12. Jahrhundert entstanden dann parallel im Zuge der Gründung vieler Städte und der einhergehenden Verelendung zahlreicher Menschen erste kirchlich-bruderschaftliche Spitäler. Bis in das 15. Jahrhundert hinein etablierte sich auf dieser Basis außerdem ein städtisches Spitalwesen. Mit ihrer schrittweisen Etablierung kam es so zu einer Übertragung der eigentlichen kirchlich orientierten Aufgabenverteilung in der Kranken-, Armen-, und Altenpflege, wenngleich eine Säkularisierung der Prinzipien und Inhalte der Betreuung der Kranken nicht erfolgte. Die praktizierte christliche Moral und Ethik verankerten sich fest in der Praxis des karitativen Wirkens in der Betreuung von Kranken und Leidenden und sind bis heute feste Bestandteile unseres kulturellen Verständnisses von Zuwendung, Betreuung und Nächstenliebe – den wesentlichen Elementen von Menschlichkeit.

    Bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts waren Klöster die eigentlichen Zentren heilkundlichen Handelns. Weltlich ausgerichtete Medizinschulen gab es nur wenige. In den ersten Universitäten wurden eher klassische Lehrvorstellungen vermittelt. Gesundheit galt im Mittelalter als ein Geschenk Gottes – mit hohem irdischen Gut. Der Übergang in die Renaissance im 16. Jahrhundert führte indes zu einer schrittweisen Loslösung der etablierten Dogmen. Immer offener wurde die Frage nach dem tieferen Grund der Dinge gestellt. Erste Erkenntnisse zu Anatomie und Funktion des menschlichen Körpers führten zu Kritik und schrittweisem Verlassen der humoralpathologischen Vorstellungen. So beschränkten sich bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts die Erkenntnisse der Medizin zur Behandlung von Erkrankungen neben überlieferten Rezepturen hauptsächlich auf die Forschungen und Beobachtungen einzelner Gelehrter und Wissenschaftler, sodass für nahezu alle Erkrankungen, unserem heutigen Verständnis folgend, keinerlei Therapie zur Verfügung stand. Erst mit dem zunehmenden Verständnis und Wissen über die Anatomie und Physiologie des Menschen in den ersten Universitäten wie Salerno, Bologna, London, Montpellier und Oxford wurde es langsam möglich, Krankheiten oder krankhafte Zustände in einem neuen Verständnis zu behandeln.

    Die Veränderungen beschleunigten sich allerorten. Das städtische Hospitalwesen etablierte sich und die Städte übernahmen organisatorische und steuernde Aufgaben. Erstmals erfolgte die Zuweisung von Ärzten in Hospitäler, um ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung gewährleisten zu können. Darüber hinaus wurden erste Regeln getroffen, wie die verschiedenen Beteiligten überhaupt zusammenwirken sollten – mit Ärzten, Chirurgen, Badern, Barbieren, Zahnbrechern, Hebammen und Apothekern waren ja eine ganze Reihe unterschiedlichster Akteure beteiligt.

    Auch die Betreuung und Pflege von Erkrankten begann sich in diesem Zeitraum zu verändern, um dem Anspruch an eine spezifischere, nun deutlich medizinisch-geprägtere, über das Maß der ausschließlich karitativen Zuwendung und Betreuung hinausgehende Behandlung der Erkrankten gerecht zu werden. Es erfolgte eine erste Annäherung zweier, bis dato nahezu vollständig getrennter Welten des Umgangs mit Erkrankten und Leidenden. Eine »Professionalisierung« entwickelte sich auf Basis neu entstehender Spitalverordnungen mit regelmäßigen ärztlichen Konsultationen in nunmehr vorwiegend städtisch getragenen Spitäler.

    In der Wissenschaft wiederum vollendete sich ein umfassender Ablösungsprozess von der dominierenden antiken und arabisch-mittelalterlichen Betrachtungsweise hin zu neuen Erkenntnismethoden. Erkenntnisse sollten fortan durch Beobachtung, Experiment und induktives Erkennen erlangt werden. Gleichwohl war die Medizin bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch stark der antik-islamischen Tradition verhaftet. Analyse und Interpretation dieser Lehren bildeten die Grundlage für Erkenntnis und Entscheidungen. Die Medizin war theoretisch.

    Aber nicht mehr lange. Ein neues Denksystem brach an. Medizinisch anwendbares Wissen entstand jetzt aus Beobachtungen, die zu Handlungen führten. Empirisches Wissen, das in der Praxis ständig beobachtet und verbessert wurde, war die Grundvoraussetzung für ärztliche Kunst. Somit wurde der Weg für eine geordnete Erfahrungsbildung, die Schaffung erster Systematiken und Klassifikationen krankhafter Zustände gelegt. Wir erkennen bereits, wie sich der caritative Aspekt einer menschlichen Krankenbetreuung langsam zu erweitern beginnt. Das Zeitalter der Wissenschaft

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