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Ein besonderes Kaliber
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eBook202 Seiten2 Stunden

Ein besonderes Kaliber

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Über dieses E-Book

Ein großer realer Kriminalfall im Ruhrgebiet. Ein zwanzigjähriger Deutscher, aus Kasachstan stammend, der hier lebt und zur Schule gegangen ist, gerät ins Drogenhändlermilieu und erschießt im Lauf eines halben Jahres sieben junge Männer in Herne, Wanne-Eickel, Rotterdam und Düren.

Volker W. Degeners Roman beschreibt die Ermittlungsarbeit des Teams um Steffen Kinski und begleitet das Ermittlungsteam bis zum Gerichtsentscheid. Der Roman versucht nachzuvollziehen, warum und wie diese Taten geschahen, und den Charakter des gefühllos wirkenden Täters zu ergründen.
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum2. Dez. 2014
ISBN9783958653849
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    Buchvorschau

    Ein besonderes Kaliber - Volker W. Degener

    Süssmuth)

    1

    »Komm schon, komm!«, zischt Kinski. Er atmet heftig.

    Zwanzig Meter vor ihm eine schmale Schattenfigur, die sich langsam nach links bewegt. Die hat er genau im Blick. Aber da ist noch so ein Scheißkerl. Im Schatten eines Baumstamms. Einen Moment lang taucht sein verdammtes Gesicht auf. Und ein silbernes Schießeisen.

    Mit der linken Schulter drückt sich Kinski an eine Holzwand, reißt blitzschnell seine Hand mit der Pistole hoch und drückt ab. Noch vor dem Knall blitzt zum zweiten Mal das Mündungsfeuer des Täters auf. Dessen verbissene Visage lässt den Willen erkennen,

    nicht aufzugeben. Trotz des Treffers im Oberarm.

    Der Kerl verschwindet hinter einer Hauswand, springt dann plötzlich in eine grüne Ligusterhecke, dreht sich im Sprung herum und schießt ein drittes Mal. Kinski erwidert das Feuer mit einem Schuss und hält, während er auf eine Reaktion des Gegners wartet,

    seine Waffe weiter auf den Täter gerichtet. Der aber verschwindet im Halbdunkel.

    »Okay, das reicht!«, sagt eine unaufgeregte Stimme hinter Kinski, der seine Walther P 99 in das lederne Schulterholster schiebt.

    Er zieht den Ohrschutz vom Kopf und sieht den Ausbilder eher vorwurfsvoll als fragend an.

    »Daneben? Mensch, ich hab ihn doch zweimal getroffen. Klarer Fall. Notwehr. Aber die Sicht war verdammt ungünstig.«

    »That’s live, Kollege Kinski.«

    »Blöde Szene! Alles kam viel zu überraschend.«

    »Das ist halt so bei Schießlagen.«

    »Scheißlagen!«

    Kinski macht kopfschüttelnd kehrt und entfernt sich langsam von der Filmwand. Er zupft seine schwarze Lederweste zurecht, die jetzt wieder das Schulterholster verdeckt. Dann öffnet er einen weiteren Knopf an seinem blauweiß gestreiften Hemd.

    »Moment Kollege! Abkleben!«

    Der Ausbilder deutet auf die Stirnwand in der Halle.

    »Ach so, ja.«

    Die Wand ist jetzt hell erleuchtet. Auf dem Boden liegt eine Menge leergeschossener Patronenhülsen, Schmauchschwaden breiten sich aus. Kinski bückt sich nach einer der Kleberollen auf dem Boden und klebt seine Einschusslöcher zu. Eigentlich will er so schnell wie möglich den langgestreckten, mit hellbraunem Heraklit verkleideten Betonraum verlassen. Nicht nur das monotone Rauschen der Dunstabzugsanlage geht ihm auf die Nerven.

    »Na dann der Nächste bitte!«

    Die Eingangstür wird entriegelt. Ein zweiter Ausbilder kommt hinzu. Ein ganz junger Mann, den Kinski hier noch nie angetroffen hat. In jüngster Zeit gibt’s zu viele neue Gesichter, findet Kinski. Nichts ist mehr so wie gewohnt.

    »Herr Kollege, ein Anruf für Sie. Sie sollen sich gleich bei ihrer Gruppenleiterin einfinden.«

    Der Angesprochene schüttelt den Kopf.

    »Keine Panik, Leute. Erst muss mein Mitarbeiter seine Übungen geschossen haben. In aller Ruhe. Wir kommen doch nicht hierher, um auf der Stelle kehrt zu machen.«

    Kinski steht vor dem Tresen in der Regieecke und lässt sich von dem jungen Mann 16 neue Patronen geben, schiebt sie nach und nach in die beiden Magazinfächer und schlendert auf den Vorraum zu.

    »So viel Zeit muss sein. Mal sehen, ob man ihm einen besseren Film serviert. Wäre irgendwie ungerecht.«

    Hartmut Beyer kommt ihm entgegen. Gertenschlank und um einen Kopf größer als Kinski, steht er oft ein wenig gekrümmt da. So auch jetzt. Er sieht auf Kinski herunter.

    »Schon gehört? Wir müssen sofort zurück. Ich jag’ aber noch schnell meine paar Dinger raus.«

    »Geschenkt! Die Chefin hat Zeit«, sagt Kinski. »Seit wann tanzen denn OK-Leute nach ihrer Pfeife.«

    Als sein Kollege verschwunden ist, steckt er sich erst mal eine Zigarette an, die letzte. Mit einem eleganten Bogenwurf befördert er die leere Schachtel in einen Plastikkorb. Er lässt sich auf einen der unbequemen Stühle sinken und streckt die Beine von sich. Die überquellenden Aschenbecher auf den beiden Tischreihen mit nackter Resopalfläche erinnern ihn wieder einmal daran, endlich das Scheißrauchen aufzugeben.

    Eindeutig beherrscht wird der Raum von einer dunkelbraunen Pokalvitrine, die mit ihrer Glasfront bis zur Decke reicht. Urkundenserien und hässliche Pokale in allen Größen, silbern und bronzefarben. Weil er Pokale hasst, hat Kinski die Vitrine zu Beginn aus seinem Blickfeld ausgeblendet. Jetzt sieht er sich aufs Schönste in seiner Abneigung bestätigt. An der grau gestrichenen Längsseite des Raums hängt ein rechteckiger Spiegel an der Wand. Am unteren Rand des Spiegels beobachtet Kinski den hochwirbelnden Qualm, während er gedämpfte Schussgeräusche hinter der verriegelten Eisentür wahrnimmt.

    Gnadenlos, dieses Spiegelbild. Es zeigt zwei Falten, die sich von der Nase zu den Mundwinkeln ziehen, eine Art Klammer, die den Mund umschließt. Kinski bläst den Rauch in die Höhe. Okay, als Mittvierziger weist er immer noch eine passable Figur vor. Seine Gewichtsprobleme hat er im Griff und seiner Haarfarbe muss noch nicht nachgeholfen werden. Der erste Grauschimmer, der sich abzeichnet, ist noch akzeptabel.

    Aber. Ja doch, es wird langsam Zeit, mehr für sich zu tun. Ja, ja, ja – regelmäßige Spaziergänge in frischer Luft. Musik. Theater. Sport. Stimmt – sich mal wieder in einer Muckibude sehen lassen ...

    Scheiße. Mit einem Mal ist die lästige Frage wieder da, die im Laufe der Zeit mehr und mehr verblasste, jetzt aber von dem verdammten Spiegelbild hervorgezaubert wird: Was hast du dir vor Jahren vorgenommen und was hast du davon verwirklicht? Und jedes Mal fällt ihm als Antwort immer weniger ein.

    Kinski springt auf und geht zu den Fenstern. Er beobachtet den Garagenhof, auf dem gerade zwei uniformierte Kollegen lachend aus ihrem Streifenwagen steigen. Dann setzt er sich wieder. Die runde Uhr an der anderen Seite des Raums nimmt er spiegelverkehrt wahr.

    »Nur Geduld, Madam, Geduld!«

    Bis sein Mitarbeiter seine Übungen absolviert hat, vergeht fast eine halbe Stunde.

    »Hast du eine Ahnung, was die Neue von uns will?«, fragt Hartmut Beyer später, als sie auf dem Weg zum Präsidium im Auto sitzen.

    »Absolut null«, sagt Kinski. »Könnte ja sein, dass es um die Reorganisation der Neuorganisation geht. Garantiert was Unangenehmes. Ich hab’ so ein komisches Gefühl. Deshalb möchte ich, dass wir zu zweit bei der Dame auflaufen.«

    Hartmut Beyer grinst ihn verständnisvoll an. Er steuert den dunkelgrauen Opel, dessen Sitze kalt und ziemlich ausgeleiert sind.

    »Oh oh, der Bochumer Leiter des KK 21 scheint nicht viel von den genialen Neuerungen aus Düsseldorf zu halten.«

    »Erraten. Aber das ist doch nichts Neues.«

    »He, so was wie innere Kündigung? Burn out sogar?«

    »Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Bullshit! So was gibt’s weder bei mir noch bei dir. Klar? Halt mal an.«

    Kinski steuert auf einen Lottoladen zu und kommt mit drei Päckchen Marlboro zurück. Während der Weiterfahrt fragt er per Handy in seinem Geschäftszimmer nach Neuigkeiten. Es gibt nichts Neues, meldet Ulla Brandenburg-Sonn, die Sekretärin des Kommissariats.

    »A propos innere Kündigung«, greift Hartmut Beyer den Faden wieder auf. »Du solltest mal mit deinem Stellvertreter reden. Der hängt irgendwie durch.«

    »Ich weiß, Norman hat private Sorgen. Aber du kennst ihn ja auch schon eine Weile, man kommt schlecht an ihn heran.«

    Beyer hüstelt.

    »Du weißt, dass ich mich bewerben will.«

    »Habe so was läuten hören.«

    »Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.«

    »Wieso denn? Aber was willst du beim Einbruch? Ist doch todlangweilig. Kein Mensch geht von uns zum KK 31.«

    »Immerhin A 12, irgendwann mal A 13. Das ist der einzige Grund.«

    »Versuch’s um Gottes Willen.«

    »Danke!«

    Eine Zeitlang suchen sie auf dem zweistöckigen Garagenhof am Präsidium nach einem Parkplatz.

    »Erst zur Dienststelle oder gleich zur Griese?« will Beyer wissen.

    »Wir sind schon spät dran«, meint Kinski. »Besser, wir springen gleich ins Auge des Taifuns.«

    Sie nehmen den erstbesten Aufzug zum zweiten Stock. ZKB, Abteilungsleiterin Griese, Kriminaloberrätin. Sie gilt als entscheidungsfreudig, überaus durchsetzungsfähig. Aber sie ist noch nicht lange da. Sie muss sich noch Respekt verschaffen.

    Im engen Vorzimmer gibt es einen Personalauflauf. Fast die gesamte MK 2 ist anwesend. Die Kollegen verabschieden sich gerade. Andreas Schmitz, der Leiter, strahlt nicht gerade Zufriedenheit aus. Fünf mal Hallo und Händeschütteln. Frau Griese wünscht der MK alles Gute und bittet Kinski und Beyer zu sich ins Dienstzimmer, während die Schreibkraft, Frau Krüger, ihnen freundlich zunickt. Das tut sie eigentlich immer.

    Kinski bleibt abwartend in der Mitte des Raums stehen. Seit dem letzten Gespräch bei Griese hat sich einiges in ihrem Dienstzimmer verändert. Auf dem Schreibtisch ein moderner Halogenstrahler, drei große abstrakte Grafiken an der Wand gegenüber der Fensterreihe, und auf einem Beistelltischchen stehen frische gelbe Tulpen.

    »Macht sich gut«, stellt Kinski fest, indem er auf die Bilder deutet. Hartmut Beyer beeilt sich zustimmend zu nicken. Er geht zwei Schritte auf die Bilder zu, um die Künstlernamen zu entziffern, bricht den Versuch dann aber ab.

    »Kunst im öffentlichen Raum«, stellt die Oberrätin mit einem dünnen Lächeln fest, des abschätzig wirkt. »Aber meine Herren nehmen Sie doch Platz.«

    »Ich bitte um Verständnis, dass wir mit Verspätung eintrudeln«, verkündet Kinski betont locker und zieht sich einen Stuhl etwas näher an den Schreibtisch der KOR’in heran, wobei er allerdings mit einer Zimmertanne kollidiert. »Wir waren in der Herner Strasse, zum Schießen.«

    »Ich weiß, deshalb hatte ich dort anrufen lassen.«

    »Ach so, stimmt ja.«

    »Wir sind gehalten, unsere Schießintervalle genau einzuhalten«, ergänzt Beyer schnell, nachdem auch er Platz genommen hat. »Dreimal pro Jahr. Wer sich drückt, kriegt mächtigen Ärger, und zwar von ganz oben.«

    »Alles bekannt, alles kein Problem. Im Gegenteil. Ich musste mit den Herren vom MK 2 noch einiges besprechen. Das Ganze hat sich länger hingezogen als geplant.«

    Annette Griese, eine schlanke, drahtig wirkende Person in einem dunkelgrauen Kostüm, macht eine kleine Pause und sieht die beiden eindringlich an.

    »Also, es gibt da eine Änderung. Deshalb sind Sie hier.«

    Hartmut Beyer wirft seinem Dienststellenleiter einen kurzen Seitenblick zu, als Bestätigung für die vorher bereits vermuteten Probleme. Aber es kommt dann doch anders.

    »Wir haben einen Mord in Herne.«

    »Neue Arbeit für den Kollegen Schmitz«, vermutete Kinski und spürt so etwas wie Erleichterung.

    »Ja. Eigentlich.«

    Frau Griese lehnt sich in ihrem Ledersessel zurück und lässt ihre Augen hin und her wandern.

    »Das klingt nach einem ›Aber‹.«

    Die Erleichterung verflüchtigt sich.

    »Genau. Es gibt Anzeichen, die mich und das LKA veranlasst haben, die Sache beziehungsweise die Ermittlungsarbeit in Ihre Hände zu legen.«

    Unwillkürlich schaut Kinski auf die Hände seiner Chefin. Erstaunlich breite Hände, stellt er fest. Mit einem fragenden Blick versucht Kinski etwas mehr zu erfahren. Das klappt sogar.

    »Nun ja, es sieht alles nach organisierter Kriminalität aus, und Rauschgift spielt dabei eine nicht zu kleine Rolle.«

    Vermutlich so von Annette Griese beabsichtigt, entsteht eine kleine Pause, in der Kinski eine Menge durch den Kopf geht. Seit Jahren bemüht er sich darum, Todesermittlungen mit klarem Bezug zur organisierten Kriminalität selbst bearbeiten zu dürfen, obwohl das im Geschäftsverteilungsplan nicht so vorgesehen ist. Zwölf Jahre Erfahrung. Er weiß, dass sich die Aufklärung solcher Delikte äußerst schwierig gestaltet. Sie sind eingebettet in langfristig aufgebaute, gut funktionierende kriminelle Strukturen, die aufwändigste Ermittlungen und ungewöhnliche Methoden erfordern. Sie scheint das erkannt zu haben. Erstaunlich! Aber bei der Neuen ist Vorsicht angesagt. Deshalb gibt sich Kinski zurückhaltend:

    »Wir hängen gerade an einer dicken Sache mit bulgarischen Falschgeldleuten. Sehr personalintensiv, vor allem wegen der Telefonüberwachungen.«

    »Und ein Kollege ist seit langem krank«, ergänzt Hartmut Beyer.

    »Die Bulgaren laufen euch nicht weg. Der Mord hier ist brandaktuell und vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs. Das sagt mir jedenfalls meine Intuition. Und ihr habt die größeren Erfahrungen.«

    Kinski schaukelt mit seinem Oberkörper hin und her. Auf seinem Stuhl rückt er ein Stück nach hinten.

    »Was heißt das nun konkret?«

    »Ist hier nachzulesen.«

    Schmunzelnd schiebt sie einen Aktenordner über den Schreibtisch und erhebt sich, was ein wenig feierlich wirkt.

    »Also, Steffen Kinski, übernehmen Sie. Keine leichte Aufgabe, aber zu packen. Viel Erfolg!«

    2

    Hinterher fragte sich Heinz-Wilhelm Soppart, warum er sich an diesem kalten Dezembermorgen ausgerechnet für die große Hunderunde entschieden hatte. Weniger Zufall oder Eingebung, eher Schicksal. Darauf konnte er sich einlassen. Dem Schicksal kann man einfach nicht entfliehen, schon gar nicht an einem Samstag, dem Dreizehnten.

    Lisa hatte, wie an den meisten Tagen, die Führung übernommen. Ein Jack-Russell will mehrmals täglich beschäftigt sein. Soppart blieb stehen und lauschte, weil er in der Nähe ein Motorgeräusch wahrnahm. Er zog die Hundeleine aus seiner Jackentasche.

    »Lisa, komm! Hier her! Sofort!«

    Mist! Gerade noch rechtzeitig erkannte er den weißen Peugeot auf einem Seitenweg. »Hunde-Erziehungsberatung Logisch« stand auf der rückwärtigen Tür, die geöffnet war. Und im nächsten Moment füllte sich der Trampelpfad mit fünf jungen Frauen, die alle einen Hund an der Leine führten. Die Hundeführerinnen machten einen sehr ernsthaften, konzentrierten Eindruck. Ihre Gesichter waren von hundepädagogischem Wissen geprägt. Nur das Keuchen der Tiere war zu hören, sonst nichts. Die Gruppe umkreiste mehrmals das Auto und verschwand dann in

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