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Die Kinder des Herzogs: Roman, Band 77 der Gesammelten Werke
Die Kinder des Herzogs: Roman, Band 77 der Gesammelten Werke
Die Kinder des Herzogs: Roman, Band 77 der Gesammelten Werke
eBook542 Seiten7 Stunden

Die Kinder des Herzogs: Roman, Band 77 der Gesammelten Werke

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Über dieses E-Book

Die spannende Erzählung berichtet vom Beginn der gnadenlosen Fehde der Brüder Cortejo gegen die Grafen von Rodriganda. Im Mittelpunkt der Abenteuer steht der beliebte Held Karl Sternau, über dessen wahre Herkunft erstaunliche Enthüllungen gemacht werden. Orte der Handlung sind Spanien, Frankreich und Deutschland.

Die vorliegende Erzählung spielt Ende der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

Bearbeitung aus dem Kolportageroman "Das Waldröschen".

"Die Kinder des Herzogs" gehört zu einer sechsteiligen Romanreihe. Weitere Teile:
1. Teil: "Schloss Rodriganda" (Band 51)
2. Teil: "Die Pyramide des Sonnengottes" (Band 52)
3. Teil: "Benito Juarez" (Band 53)
4. Teil: "Trapper Geierschnabel" (Band 54)
5. Teil: "Der sterbende Kaiser" (Band 55)
SpracheDeutsch
HerausgeberKarl-May-Verlag
Erscheinungsdatum1. Jan. 2009
ISBN9783780215772
Die Kinder des Herzogs: Roman, Band 77 der Gesammelten Werke
Autor

Karl May

Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)

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    Buchvorschau

    Die Kinder des Herzogs - Karl May

    KARL MAY’s

    GESAMMELTE WERKE

    BAND 77

    DIE KINDER

    DES HERZOGS

    Bearbeitung aus

    Das Waldröschen

    ROMAN

    VON

    KARL MAY

    Herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid

    © 1995 Karl-May-Verlag

    ISBN 978-3-7802-1577-2

    KARL-MAY-VERLAG

    BAMBERG • RADEBEUL

    Inhalt

    1. Zwei deutsche Erzieher

    2. Eine ,Eroberung‘

    3. Die neue Gouvernante

    4. Der ,Zaubertrank‘

    5. Anita Valdez

    6. Rivalen

    7. Begegnung in Madrid

    8. Eine Tragödie

    9. Das Mädchen aus der Seine

    10. Der falsche Graf

    11. Zugunglück am Rhein

    12. Jagdabenteuer

    13. Doktor Karl Sternau

    14. Späte Reue

    15. Offenbarungen

    16. Versöhnung

    17. Ausgespielt!

    Nachbemerkung

    Der vorliegende Roman spielt zu Ende der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist ein Teil des von Karl May in den Jahren 1882/83 geschriebenen ersten Münchmeyer-Romans ‚Das Waldröschen‘ (Bd. 51 - 55 und 77 der Ges. Werke). Über die Entstehungsgeschichte, den Werdegang und die Geschicke der fünf Münchmeyer-Romane findet man Näheres in Bd. 34 der Gesammelten Werke, „ICH, und in den Sonderbänden „Karl-May-Bibliografie 1913-1945 und Der geschliffene Diamant".

    1. Zwei deutsche Erzieher

    Wer die Geschichte der Grandenfamilie Rodriganda gelesen hat, der kennt die tragischen Schicksale der Brüder Manuel und Fernando, welche – der eine in Spanien, der andere in Mexiko – Opfer abgefeimter Schurken wurden, die nach ihrer Vernichtung trachteten. Mit Genugtuung wird man zur Kenntnis genommen haben, dass das scheinbar undurchdringliche Netz von Intrigen und Gewalttaten, das die beiden Grafen und ihre Angehörigen umgab, letzten Endes doch zerrissen werden konnte. Allerdings erstreckte sich das wechselvolle Geschehen, bis die Übeltäter schließlich ihre gerechte Strafe ereilte, über fast zwanzig Jahre![1]

    Der geneigte Leser hat also in den Rodrigandas einerseits und ihren Bediensteten Gasparino und Pablo Cortejo andererseits zwei Brüderpaare kennengelernt, wie sie verschiedener nicht denkbar sind. Dabei mag er sich gefragt haben, warum eigentlich die beiden Cortejos die liebenswürdigen und hochherzigen Grafen mit einer so unerbittlichen Grausamkeit verfolgten und betrogen, die selbst vor den schwersten und ungeheuerlichsten Verbrechen nicht zurückschreckte.

    Das Rätsel soll jetzt gelöst und der dunkle Schleier der Vergangenheit gelüftet werden.

    In diesem Zusammenhang ist noch von einigen weiteren Personen zu berichten, deren Geschicke direkt oder indirekt mit denen der Rodrigandas verknüpft waren, sowie von anderen abenteuerlichen und hochinteressanten Begebenheiten.

    Versetzen wir uns daher zunächst zurück in das Jahr 1818...

    Es war in der spanischen Stadt Saragossa während des Karnevals. In dieser närrischen Zeit ist der sonst so ernste und steife Spanier ein vollständig anderer Mensch. Er stürzt sich mit nahezu wilder Lust in den Strudel der Freuden und Vergnügungen, er taucht darin unter, sogar bis auf den schmutzigen Schlamm des Grundes, und kommt erst dann wieder zu sich, wenn das Vergnügen bis auf die Neige ausgekostet ist.

    Einer der prächtigsten Paläste der Stadt, fast ganz aus carrarischem Marmor errichtet und wegen der Pracht seiner Inneneinrichtung altberühmt, gehörte dem Herzog Eusebio von Olsunna. Dieser Don, ein Mitglied des höchsten Adels und einer der reichsten Grundbesitzer des Landes, war erst Mitte zwanzig, aber schon Witwer und Vater eines reizenden kleinen Mädchens im Alter von drei Jahren. Er hatte aus Standesrücksichten die Tochter einer der angesehensten Familien geheiratet, ohne diese Frau zu lieben, und als sie bei der Geburt des Kindes starb, war er keineswegs traurig.

    Er galt als strenger Katholik, eifriger Patriot und stolzer Aristokrat. Viele aber behaupteten, dass er den Freuden des Lebens keineswegs abgeneigt wäre und sich im Verborgenen manchen Genuss bereitete, von dem er seinem Beichtvater nicht das Mindeste mitteilte. Seine Freunde suchten ihn seiner Stellung und seines Einflusses wegen, seine Feinde aber beneideten ihn.

    Der Dienerschaft gegenüber wahrte er den standesgemäßen Abstand, mit einer Ausnahme allerdings. Sein Haushofmeister Gasparino Cortejo nämlich war, was besagte Freuden des Lebens anbelangte, ein gleich gesinnter Charakter, und da sie ungefähr im gleichen Alter standen und der Herzog Cortejo zudem für verschwiegen hielt, schenkte er ihm sein besonderes Vertrauen. In Gegenwart anderer behandelte er ihn seiner Stellung gemäß. Unter vier Augen jedoch wurden die Förmlichkeiten beiseite geschoben und die beiden verkehrten so, wie ein leichtsinniger, arroganter junger Adliger eben mit dem geheimen Teilhaber seiner Ausschweifungen, seinem Maitre de plaisir, umzugehen pflegte. Olsunna war nicht etwa von Natur aus schlecht, aber durch die Macht und den Reichtum, die er schon in so jungen Jahren genießen konnte, verblendet worden und moralisch ins Straucheln geraten.

    Auch heute gedachte er sich einigen Vergnügungen hinzugeben, die seiner nach außen zur Schau getragenen Wohlanständigkeit durchaus nicht entsprachen. Der Herzog stand in einem seiner prunkvoll eingerichteten Zimmer, rauchte eine teure Zigarre und wartete auf Cortejo, zu dem er einen Diener geschickt hatte. Bald trat der Haushofmeister ein. Sein Gesicht zeigte die Fülle und Rundung der jugendlichen Jahre. Er verstand es, Toilette zu machen, und so war es nicht zu verwundern, dass er mit seinem Äußeren allgemein einen nicht unangenehmen Eindruck erzielte. Gasparino Cortejo begrüßte seinen Herrn mit tiefer Verbeugung, aber dabei mit einem Lächeln, das hinter der zur Schau gestellten Demut schlecht verborgene Vertraulichkeit verriet. Der Herzog erwiderte die Verbeugung mit einem gnädigen Kopfnicken und fragte:

    „Nun, wie steht es mit den Maskenanzügen?"

    „Sie liegen bereit, Don Eusebio."

    „Kann man sich darin sehen lassen?"

    „Oh!" Diesen Ausdruck begleitete Cortejo mit einem verheißungsvollen Schnippen seiner Finger.

    „So! Was hast du für mich ausgesucht?"

    „Ein Perserkostüm."

    „Schön! Das erlaubt mir, meine Prunkwaffen und Edelsteine zur Geltung zu bringen. Und du?"

    „Ich gehe als Mexikaner."

    „Alle Teufel, du hast doch das Beste für dich gewählt! Aber es mag so sein. Wirst du in einer Stunde fertig sein können?"

    „Sicher!"

    „Dann schick mir den Kammerdiener! Es versteht sich ganz von selbst, dass niemand auch nur ahnen darf, dass wir miteinander ausgehen. Wo aber treffen wir uns?"

    „Hm! Ich habe Lust, mein Kostüm außerhalb des Palastes anzulegen."

    „Ganz recht! Auf diese Weise erfahren die Leute erst gar nicht, dass du dich verkleidest. Aber wo?"

    „Oh, lächelte Cortejo schelmisch, „ich habe da eine kleine, charmante Bekanntschaft...

    „Ah, ein Kartäusermönch?", fragte der Herzog spöttisch.

    „Nein, sondern ein süßes, allerliebstes Cousinchen."

    „Teufel! Süß und allerliebst! Den Grad der Verwandtschaft darf man doch wohl nicht näher prüfen?"

    „Es würde zu keinem Resultat führen, Exzellenz."

    „Ist dieses Cousinchen sehr alt?"

    „Zwanzig!"

    „Klein?"

    „Groß!"

    „Blond?"

    „Schwarz!"

    „Hager?"

    „Wohlproportioniert!"

    „Caramba, lüge nicht! Du willst mir Appetit machen! Wo wohnt sie?"

    „In der Strada el Amenio."

    „Hoch?"

    „Eine Treppe."

    „Was ist sie?"

    „Sie macht wunderhübschen Putz, der sie und andere ausgezeichnet kleidet."

    „Und wie heißt sie?"

    „Clarissa Margony."

    „Ein französischer Name! Und du willst verwandt mit ihr sein, du alter Lügner?"

    „Die Heilige Bibel lehrt, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind. So weit aber gehe ich gar nicht, ich nenne sie nur mein Cousinchen."

    „Gut. Troll dich von dannen! In einer Stunde werde ich in der Strada el Amenio sein. Welche Hausnummer?"

    „Fünfzehn! Aber Exzellenz, die Cousine ist mein! Ich bitte sehr!"

    „Caramba, ich glaube gar, du bist eifersüchtig!, lachte der Herzog. „Ich kann dir aber nichts versprechen. Zunächst muss ich sie sehen, erst dann werde ich wissen, was ich tun oder lassen will. Übrigens hat man heute Auswahl. Es ist freier Zutritt zu allen Häusern und Zimmern, und ich hoffe, dass es uns an amouröser Unterhaltung nicht fehlen wird. Vielleicht knüpfen wir eine Bekanntschaft, deren Fortsetzung uns noch später amüsiert. Jetzt aber pack dich!

    Cortejo gehorchte diesem nicht sehr höflichen Gebot und nach kurzer Zeit trat der Kammerdiener ein, mit dem Maskenanzug über dem Arm, um seinen Herrn anzukleiden. Der Herzog hatte eine ungewöhnlich hohe und kräftige Figur, wie man sie in Spanien selten findet, und daher bildete er in seinem mit Diamanten geschmückten persischen Kostüm eine Erscheinung, die Aufsehen erregen musste.

    Unterdessen packte Cortejo seine Maskerade zusammen und verließ den Palast. Auf seinem Weg begegnete ihm ein junger Mann, der sehr einfach nach französischer Mode gekleidet war. Da gerade ein Arriero, ein Maultiertreiber, mit seinen Tieren vorüberkam, gab es in der engen Gasse nicht sehr viel Raum zum Ausweichen.

    „Scher dich zur Seite!", gebot Cortejo dem jungen Mann. Dieser antwortete nicht und blieb ruhig stehen, um den Maultierzug vorüberzulassen.

    „Hast du nicht gehört, dass du Platz machen sollst?" Mit diesen Worten stieß Cortejo dem anderen die Faust in die Seite.

    Aber ohne ein Wort zu erwidern, versetzte der Getroffene dem unverschämten Angreifer seinerseits einen so blitzschnellen Hieb, dass Cortejo vor Überraschung das Gleichgewicht verlor und niederstürzte. Schnell raffte er sich wieder auf und brüllte:

    „Hund! Das sollst du mir büßen!"

    Er wollte von Neuem zuschlagen, traf jedoch den anderen diesmal nicht. Sein Gegner war zwar nicht groß und stark, besaß aber eine bedeutende körperliche Gewandtheit. Geschickt unterlief er Cortejos Schlag, sodass der Haushofmeister, ehe er es sich versah, durch die Wucht seines danebengegangenen Schlages wieder das Gleichgewicht verlor und auf dem harten Pflaster der Straße zu liegen kam. Jetzt wurde ihm das Aufstehen nicht so leicht wie vorher, denn er war mit dem Kopf gegen die Hauswand gestoßen. Der Schädel brummte ihm gewaltig, er war wie benommen. Als er endlich auf den Beinen stand, waren die Maultiere vorübergezogen, und er sah aus den vergitterten Fenstern der umliegenden Häuser so viele Augen spöttisch auf sich gerichtet, dass er eilig davonging, ohne sich weiter um den Sieger der Auseinandersetzung zu kümmern.

    Jener hatte sich ebenfalls bereits entfernt. Ohne sich auch nur ein einziges Mal nach Cortejo umzudrehen, setzte er seinen Weg fort. Er schritt über die prächtige Brücke, die den Ebro überspannt und die Stadt in zwei Hälften teilt, und betrat dann eines der größten Häuser, die Saragossa aufzuweisen hatte. Es gehörte dem Bankier Salmonno. Dieser war Millionär und zugleich Besitzer eines ungeheuren Stolzes. Er stammte aus einer sehr alten, wenn auch nicht adligen Familie, pflegte jedoch trotzdem seinem Namen den Titel eines Don voranzusetzen. Übrigens war der Geiz, der ihn beherrschte, nicht weniger groß als sein Stolz.

    Als der junge Mann durch den Eingang trat, winkte ihm der Portier zu.

    „Señor Sternau, sagte er, „gut, dass Ihr kommt!

    „Warum?"

    „Don Salmonno hat bereits zweimal nach Euch gefragt."

    „Was will er von mir?"

    „Ich weiß es nicht. Aber er zürnt, weil Ihr nicht anwesend wart."

    Der junge Mann nickte gleichmütig und öffnete eine mächtige mit Eisen beschlagene Tür, die in einen langen, niedrigen Raum führte, wo zahlreiche Kommis[2] an ihren Pulten saßen.

    „Schnell, Señor Sternau, flüsterte der Vorderste von ihnen, „der Don hat übles Blut!

    „Weshalb?"

    „Ich weiß es nicht."

    „Pah! Haben Sie nicht auch übles Blut?"

    „Hm! Man muss schweigen."

    „Ich bedaure Sie, Señor! Heute, zu Beginn des Karnevals, hinter dem Pult sitzen zu müssen! Das kann nur in diesem Haus geschehen! Na, ich werde einmal sehen, ob mir das böse Blut Don Salmonnos gefährlich wird."

    Er durchschritt den Raum und klopfte dann an eine zweite Tür, die ebenso mit Eisen beschlagen war wie die erste. Es kam keine Antwort. Er klopfte abermals, dann zum dritten Mal und erhielt erst Antwort, als er zum vierten Mal und mit doppelter Stärke pochte.

    „Entrada – Eintritt!", rief eine zornige Stimme.

    Er folgte der Aufforderung. Der Raum, in dem er sich nun befand, war klein. Auf drei seiner Wände verteilten sich ebenso viele Geldschränke. Don Salmonno beschäftigte nämlich keinen Kassierer. Er traute niemandem als nur sich allein. Jetzt war er von einem alten Drehstuhl aufgestanden, auf dem er vor einem noch älteren Pult gesessen hatte, und fragte grimmig:

    „Warum habt Ihr geklopft?"

    „Weil ich eintreten wollte", lautete die ruhige Antwort.

    „Aber gleich so oft!"

    „Weil niemand antwortete."

    „Und so laut!"

    „Weil niemand hörte."

    „Was wollt Ihr?"

    „Man hat mich hergeschickt."

    „Ja, ja, ich wollte mit Euch reden. Aber immer, wenn ich mit dem Erzieher meines Sohnes etwas besprechen will, ist er nicht im Haus. Sind die Deutschen alle so liederlich?"

    „Die Deutschen sind nicht liederlicher als die Spanier, Señor, und ich kann wohl sagen ..."

    „Don werde ich genannt und nicht Señor!", unterbrach ihn der Bankier.

    Sternau zeigte ein geduldiges Lächeln und sagte:

    „Don werden nur die Angehörigen des hohen Adels genannt. Jedoch wenn dieses Wort Euch Vergnügen macht, dann sollt ihr es natürlich zu hören bekommen, Don Salmonno. Was ich aber sagen wollte, ist, dass ich bisher stets zu erreichen gewesen bin, wenn ich gerufen wurde. Ihr habt Euch also soeben einer großen Ungenauigkeit oder gar Unwahrheit schuldig gemacht, die ich zu berichtigen bitte. Ihr wisst, dass ich meine Pflicht erfülle, und da denke ich, dass ich auch das Recht habe, die gewohnte Achtung und Höflichkeit zu beanspruchen."

    „Vergesst nicht, dass Ihr in meinen Diensten steht und mein Untergebener seid!", rief der Geldmensch.

    „Der Erzieher ist niemals der Untergebene der Eltern, sondern ihr Freund und Helfer, denn er arbeitet an der gleichen Aufgabe wie sie. Das ist meine Meinung, Don Salmonno."

    Der kleine, schmächtige Erzieher stand dem langen, hageren Vorgesetzten furchtlos gegenüber, sodass Letzterer sich wirklich eingeschüchtert fühlte. Er ging auf Sternaus Bemerkung nicht ein, sondern wiederholte nur die Frage:

    „Wo seid Ihr gewesen?"

    „Darüber habe ich eigentlich keine Rechenschaft zu geben, aber aus Höflichkeit will ich Euch sagen, dass ich beim Buchhändler war."

    „Was habt Ihr dort gemacht?"

    „Ich bestellte einige Bücher."

    „Für wen?"

    „Für Euren Sohn."

    Da runzelte der Bankier die Stirn und rief:

    „Schon wieder Bücher! Könnt Ihr Deutschen denn ohne Bücher gar nichts lehren und lernen? Ich habe im vorigen Monat erst drei Duro dafür ausgeben müssen. Das ist mir denn doch zu horrend!"

    „Sobald Ihr es fertig bringt, eine Mahlzeit ohne Speise und Trank zu genießen, werde auch ich versuchen, meinen Unterricht ohne Bücher zu geben, eher nicht. Nun aber bitte ich, mir zu sagen, warum ich gerufen wurde!"

    Der Bankier nahm die Zurechtweisung mit saurer Miene hin und fragte:

    „Ihr wisst, dass mein Töchterchen vor einer Woche starb?"

    „Natürlich!"

    „Und auch begraben wurde?"

    „Ich glaube nicht, dass die Leiche noch im Haus liegt", erwiderte Sternau mit unerschütterlicher Ironie.

    „Und Ihr wisst auch, dass diese Señorita Wilhelmi die Bonne[3] des Mädchens war?"

    „Nicht die Bonne, sondern die Gouvernante[4]. Das ist ein Unterschied, Don Salmonno."

    „Meinetwegen! Nun begreift Ihr jedenfalls, dass ich diese Señorita nicht mehr brauche, weil das Kind nicht mehr lebt."

    „Ich begreife es."

    „Dass sie also mein Haus zu verlassen hat."

    „Dass sie es verlassen wird, ja."

    „Gut, sagt ihr das, Señor Sternau! Ich wünsche, dass sie noch heute oder spätestens morgen geht."

    „Das werde ich ihr allerdings nicht sagen und das wird sie auch gar nicht tun, die Señorita."

    „Ah! Warum nicht?", fragte der Millionär mit gespielter Verwunderung.

    „Sehr einfach. Ich werde es ihr nicht sagen, weil dies Eure Sache ist, und sie wird es nicht tun, weil ihr noch nicht gekündigt worden ist."

    „Verdammt! Das sagt Ihr mir?"

    „Ja. Ihr hört es ja", antwortete Sternau lächelnd.

    „Ihr werdet also meinen Auftrag nicht ausrichten, frage ich?"

    „Nein!"

    „Dann könnt auch Ihr gehen, heute oder morgen!", erklang es zornig.

    „Oh, auch ich werde das nicht tun! Vergesst nicht, Don Salmonno, dass wir nicht nur Pflichten zu erfüllen, sondern, Gott sei Dank, auch Rechte zu beanspruchen haben. Ich bin der Erzieher Eures Sohnes, nicht aber Euer Domestik, den Ihr mit Befehlen und Aufträgen zur Gouvernante schicken könnt."

    Dagegen ließ sich nun allerdings nichts sagen. Darum entgegnete der Bankier:

    „Das weiß ich, Señor. Aber ich glaube, dass mein Wunsch williger erfüllt wird, wenn Ihr ihn der Señorita überbringt."

    „Diese Eure Absicht habe ich bereits begriffen. Ich lehne es aber trotzdem ab, der Überbringer Eures Wunsches zu sein. Señorita Wilhelmi steht in einem Vertragsverhältnis bei Euch, das einer vierteljährlichen Kündigung unterworfen ist. Das laufende Quartal geht in acht Wochen zu Ende und dann habt Ihr das Recht zu kündigen."

    „Señor! Glaubt Ihr, dass ich verpflichtet bin, ihr noch einundzwanzig Wochen lang den Lohn zu zahlen?", fragte der Bankier entsetzt.

    „Den Lohn nicht, sondern das Gehalt. Auch zwischen diesen beiden besteht ein Unterschied."

    „Seid Ihr denn verrückt?"

    „Hm, Don Salmonno, seid Ihr denn so unsinnig gewesen, die Erziehung Eures Sohnes einem Verrückten anzuvertrauen?"

    Salmonno beantwortete diese ironische Frage nicht, sondern behauptete:

    „Der Tod hebt das Vertragsverhältnis auf. Ich zahle nichts mehr!"

    „Das geht mich nichts an, das ist Señorita Wilhelmis Sache. Ich glaube aber, dass die Dame dem Richter die Entscheidung in dieser Sache übergeben wird."

    Der Bankier erschrak, denn er fürchtete nichts mehr als das Gericht. Darum sagte er:

    „Nun wohl! Ich werde mir die Angelegenheit nochmals überlegen. Es ist gut, Señor!"

    Er machte eine Bewegung des Verabschiedens, der Erzieher aber blieb stehen und sagte:

    „Ich habe einige Ausgaben, Don Salmonno. Darf ich um ein Vierteljahresgehalt bitten?"

    „Wo denkt Ihr hin?, rief der Bankier. „Ein ganzes Vierteljahresgehalt! Das ist unmöglich!

    „Warum unmöglich? Habt Ihr kein Geld?"

    „Geld? Ah, Gott sei Dank, das habe ich!"

    „Nun, warum mir da die Zahlung verweigern?"

    „Es ist zu viel! Viel zu viel auf einmal!"

    Jetzt wurde Sternaus Lächeln mitleidig.

    „Don Salmonno, sagte er, „bedenkt, dass ich das Gehalt von drei Vierteljahren in Eurer Kasse stehen ließ. Ich bin nicht gewohnt, um mein Eigentum zu bitten und zu betteln.

    „Ich werde Euch das Gehalt eines Monats geben!"

    Das Gesicht des jungen Mannes nahm den Ausdruck von Verachtung an.

    „Ich wiederhole, dass ich nicht bettle, wo ich zu fordern habe, sagte er. „Ich sehe, dass ich Gefahr laufe, alle dreiviertel Jahre nur ein Monatsgehalt ausgezahlt zu erhalten, und das kann ich ja umgehen. Ihr werdet die Güte haben, mir das bei Euch stehende Gehalt aller neun Monate auf der Stelle auszuzahlen, Don Salmonno!

    Da machte der Millionär vor Schreck fast einen Sprung in die Luft.

    „Das fällt mir nicht ein!", schrie er voller Angst.

    „Nicht?"

    „Nein!"

    „Gut, dann kündige ich!"

    „Das könnt Ihr tun."

    „Und gehe sofort, noch in diesem Augenblick, um mein Gehalt einzuklagen!"

    Das hagere Gesicht Salmonnos nahm einen geradezu entsetzten Ausdruck an.

    „Das werdet Ihr nicht tun!", zeterte er.

    „Und ob ich das tue! Passt auf! Adieu!"

    Er wandte sich zur Tür, da aber sprang ihm der Bankier nach und fasste ihn am Arm.

    „Bleibt!, bat er. „Ich werde Euch ein Vierteljahr bezahlen.

    „Zu spät! Drei Vierteljahre, oder ich gehe zum Richter!"

    „Eins!"

    „Drei!"

    „Gut, Señor, ich bin mit Eurer Erziehung zufrieden. Ich werde Euch ein halbes Jahr bezahlen, wenn Ihr die Summe in Wechseln nehmt."

    „Fällt mir nicht ein!, lachte Sternau. „Drei Vierteljahre, und zwar in klingender Münze!

    „Gut, dann geht und verklagt mich", schrie der Geizhals im höchsten Grad erbost.

    „Jawohl, Don Salmonno!"

    Sternau ging hinaus, hatte jedoch die Tür noch nicht geschlossen, als es hinter ihm mit ängstlicher Stimme rief:

    „Halt, Señor! Kommt herein! Ihr sollt es haben! Aber in Banknoten!"

    „Nein, in Gold und Silber!", antwortete Sternau unerbittlich, die Tür noch in der Hand.

    Der Bankier stieß einen tiefen, herzzerreißenden Seufzer aus und sagte dann beinahe weinend:

    „Oh, bei Gott, ich muss mich fügen! Was sind die Deutschen doch für brutale Menschen! Kommt her!"

    Er öffnete einen der Geldschränke und zählte dem Erzieher die geforderte Summe vor, war aber dabei bemüht, ihm möglichst nur beschädigte oder unscheinbare Geldstücke zu geben. Sternau sagte nichts dagegen, und als er die Summe empfangen hatte, empfahl er sich mit großer Höflichkeit.

    „Packt Euch! Packt Euch fort!, rief der Bankier. „Und kommt mir ja nicht wieder unter die Augen!

    Der Erzieher stieg mit einem zufriedenen Lachen die Treppe hinauf, schloss den so schwer verdienten und noch schwerer errungenen Schatz in seinem Zimmer ein und begab sich dann zur entgegengesetzten Seite des Hauses, wo die Wohnung der Gouvernante lag, die wie er aus Deutschland stammte.

    „Herein!", erklang eine angenehme Stimme, als er klopfte.

    Sternau trat in ein sehr einfach, ja fast dürftig ausgestattetes Zimmer, dessen Bewohnerin sich bei seinem Anblick von dem alten Sofa erhob, auf dem sie gesessen hatte.

    „Herr Sternau?", fragte sie freundlich, aber überrascht in deutscher Sprache.

    „Ja, ich bin es, antwortete er. „Sie haben sicher ein Recht, sich darüber zu wundern, dass ich es wage, hier einmal Zutritt zu nehmen. Es ist das erste Mal, seit uns das Schicksal in diesem Haus zusammengeführt hat.

    „Wir sind ja Landsleute", sagte sie.

    Eine Wolke des Kummers glitt über sein offenes, durchgeistigtes Gesicht. Er senkte den Kopf und antwortete:

    „Ja, Landsleute! Das ist so viel und doch zu wenig!"

    Sie hatte Mühe, eine augenblickliche Verlegenheit zu überwinden, und deutete auf einen Stuhl, der am weitesten vom Sofa entfernt stand.

    „Nehmen Sie Platz, Herr Sternau, und lassen Sie mich erfahren, was Sie zu mir führt!"

    Er blickte ihr einen Moment lang in die Augen, dann kam er ihrer Aufforderung nach.

    „Warum fürchten Sie sich vor mir, Fräulein?", fragte er in fast traurigem Ton.

    Sie errötete leicht und antwortete:

    „Weshalb glauben Sie, dass ich mich vor Ihnen fürchte?"

    „Weil Sie mich, den Landsmann, in die entfernteste Ecke verbannen. Das tut weh, Fräulein Wilhelmi! Wir sind die beiden einzigen Deutschen hier in Saragossa. Wir wohnen sogar im selben Haus, und doch sind wir uns fremder noch als fremd. Das ist Ihr Wille und ich respektiere ihn. Warum aber diese Scheu, diese Angst vor mir?"

    Der Ton seiner Stimme und der Ausdruck seiner Augen gingen ihr zu Herzen. Sie streckte ihm wie zur Abbitte die Hand entgegen und sagte:

    „Verzeihen Sie mir und rücken Sie näher! Ich meinte es nicht böse!"

    Er schüttelte den Kopf, blieb an seinem Platz und antwortete mit trübem Lächeln:

    „Ich danke, Fräulein! Ich möchte nicht um ein Almosen gebeten haben. Ich habe Sie nie beleidigt und Sie wissentlich auch nie gekränkt. Dennoch weichen Sie mir aus. Ich kann nur annehmen, dass Sie eine unüberwindliche Abneigung gegen mich empfinden. Dagegen lässt sich ja nichts tun, aber ich halte es trotzdem für meine Pflicht, Ihnen ein aufrichtiges Wort zu sagen, das nur den einzigen Zweck hat, Sie zu beruhigen."

    „Sprechen Sie", bat sie gedrückt.

    Er schwieg ein Weilchen, wobei er den Blick hinaus auf den kleinen Balkon gerichtet hielt, als getraue er sich nicht, sie jetzt anzusehen. Und wahrlich, das, was er ihr nun sagen wollte, wäre ihm doppelt schwer gefallen, wenn er das Auge nicht von ihr abgewandt hätte. Die Erzieherin war keine herrische, gebieterische Erscheinung, aber von ungewöhnlicher Schönheit. Sie hatte jenes feine ästhetische Wesen, dessen Macht in seiner Lieblichkeit und Harmonie beruht.

    Endlich unterbrach er die Pause und begann, aber ohne seinen Blick auf sie zu richten:

    „Ich bin ein Kind der Armut, mein Fräulein. Die Stellung, die ich einnehme, ist eine gewöhnliche, aber was ich bin, das bin ich durch eigene Anstrengung und unter den härtesten Entbehrungen geworden. Mir hat nie des Lebens Sonne gelacht, aber ich hoffte, dass ihr Strahl mich endlich doch einmal erreichen würde. Ich sah diesen Strahl hier in diesem Haus. Ich sehe ihn auch jetzt noch, aber er gleitet an mir vorbei. Dieser Sonnenstrahl sind Sie!"

    Es war unmöglich, diese in wehmütiger Resignation gesprochenen Worte zu hören, ohne gerührt zu sein. Er fuhr sich mit der kleinen, fast frauenhaften Hand über die Stirn, wie um dort einen Schmerz zu verjagen, und fuhr dann im gleichen Ton fort:

    „Ja, ich liebe Sie, liebe Sie seit dem Augenblick, als ich Sie zum ersten Mal sah. Aber diese Liebe hat ihre selbstischen Wünsche längst aufgegeben. Ich werde einsam durch das Leben gehen, so wie es bisher gewesen ist. Ich denke an Sie wie an einen Stern, den ich erblicke, ohne ihn erreichen zu können, und dieser Stern werden Sie mir bleiben mein ganzes Leben lang. Ich möchte ihn stets hell und heiter strahlen sehen. Ich möchte jede Wolke von ihm fern halten. Das ist der einzige Wunsch, den ich hege. Darum komme ich mit der Bitte, dass Sie an mich denken als an einen Freund, der nichts von Ihnen verlangt, kein Wort, keinen Blick, nichts, gar nichts als nur allein, dass Sie sich seiner erinnern, wenn Sie hier im fremden Land einmal des Beistandes bedürfen."

    Erst jetzt wanderte sein Blick langsam vom Balkon herein zu ihr und er fragte:

    „Wollen Sie mir diesen Wunsch erfüllen?"

    Tränen standen ihr in den Augen. Sie faltete die Hände und antwortete:

    „Herr Sternau, zürnen Sie mir nicht! Ich will Ihnen offen gestehen, dass ich Ihr stilles, wortloses Werben vom ersten Augenblick an verstanden habe. Ich achte Sie, ich achte Sie sehr hoch, darum prüfte ich mich und wollte sehen, ob es mir möglich ist, Sie auch zu lieben. Aber ich habe erkannt, dass ich das nicht kann."

    Er nickte traurig.

    „Ich wusste es, sagte er, „aber einen Augenblick der Aufrichtigkeit musste es doch einmal geben. Das ist nun vorüber und wir wollen es begraben. Wir können nun von anderem sprechen. Ich komme von Salmonno, mit dem ich Ihretwegen eine kleine Szene hatte.

    „Meinetwegen?"

    „Ja. Sie kennen seinen Geiz..."

    „Wer kennt den nicht!, unterbrach sie ihn. „Ich glaube, es wird mir nicht leicht werden, die Rechte zu wahren, die mir hier zustehen.

    „Das ist es ja, worüber er mit mir sprach. Er mutete mir zu, Ihnen zu sagen, dass Sie noch heute oder doch spätestens morgen früh das Haus verlassen möchten."

    „Und Sie übernahmen diesen Auftrag?"

    „Nein, ich wies ihn natürlich zurück, komme aber trotzdem, um Sie zu warnen. Er wird jedenfalls nächstens mit Ihnen sprechen."

    „Ich erwarte es."

    „Er wird Ihnen Ihr Gehalt nicht auszahlen wollen."

    „Das wäre traurig! Ich habe ja gerade darum die Heimat verlassen, weil mir hier in der Fremde ein höheres Gehalt geboten wurde, mit dem es mir möglich ist, meine Not leidende Mutter zu unterstützen, denn ich bin ein Kind der Armut genau wie Sie, Herr Sternau."

    „Dann bitte ich Sie, von Ihrem Recht keinen Zoll breit zu weichen, und sollte er Sie nicht anhören wollen, kommen Sie zu mir. Ich habe mir einen gewissen Einfluss auf ihn verschafft, den ich sehr gern zu Ihren Gunsten geltend machen will. Das ist es, was ich Ihnen sagen musste. Und nun leben Sie wohl, Fräulein Wilhelmi!"

    Er stand auf, verbeugte sich, und ohne ihr die Hand zu reichen, schritt er zur Tür. Das schnitt ihr ins Herz und zugleich imponierte ihr diese eiserne Willenskraft, die die heißesten Wünsche des Herzens zu meistern und die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen vermochte. Sie eilte ihm nach und streckte ihm beide Hände hin.

    „Nicht so, nicht ohne Abschied!, bat sie. „Geben Sie mir wenigstens die Hand und sagen Sie, dass Sie mir nicht böse sind!

    „Ich bin Ihnen nicht böse", entgegnete er monoton, indem er behutsam ihre Hände nahm.

    Sie erschrak. Seine Hände waren kalt wie Eis, sie fühlten sich an wie die einer Leiche. Aber seine Lippen zuckten und seine Augen wurden dunkel und dunkler. Er rang mit sich und musste alle Energien aufwenden, sein Weh niederzukämpfen. Das konnte sie nicht mit ansehen. Sie legte die Arme um ihn, blickte in seine Augen, aus denen jetzt die Tränen quollen, und sagte:

    „Bitte, bitte, weinen Sie nicht! Hoffen Sie! Vielleicht kommt die Zeit, in der Ihr Wunsch Erfüllung findet!"

    Er schüttelte den Kopf.

    „Niemals!, sagte er. „Die Liebe lässt sich nicht zwingen. Die Liebe ist keine Bettlerin. Sie flammt empor und ist da, allmächtig und unwiderstehlich. Adieu, Fräulein Wilhelmi!

    Sternau ging. Sie blieb zurück, mitten im Zimmer stehend. Sie legte die Hände auf ihre Brust, ihr Puls ging ruhig wie immer.

    „Warum kann ich ihn nicht lieben?, fragte sie sich. „Er wäre meiner Liebe ja so wert!

    Da erscholl lautes Geschrei und fröhliches Lachen von der Straße herauf. Sie trat an das Balkonfenster und sah, dass das Karnevalstreiben begonnen hatte. Die Straße belebte sich mit Masken, die unter allerlei tollen Späßen auf und ab wandelten, und die Fenster und Altane füllten sich mit Damen, die dem geschäftigen Tun zusahen und sich an den Scherzen mit munteren Worten beteiligten. Das war ein geeignetes Mittel, die trübe Stimmung des Herzens zu verscheuchen. Die Gouvernante trat hinaus auf den Balkon und blickte in das immer reger und dichter werdende Gewühl der Masken hinab.

    Unterdessen war Gasparino Cortejo zu seinem ,Cousinchen‘ gegangen. Clarissa Margony bewohnte ein allerliebstes kleines Logis im Haus eines Händlers. Sie schien Cortejo erwartet zu haben, denn sie kam ihm bis an die Treppe entgegen, wo sich beide umarmten. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Negligé. Ihre üppigen Formen waren nicht nur zu fühlen, sondern sogar zu sehen, doch hatte ihr Gesicht einen nichtssagenden Ausdruck, der die Wirkung dieser so billig zur Schau gestellten Reize beeinträchtigte.

    „Endlich, endlich, mein teurer Gasparino!, sagte sie, als sie im Zimmer waren. „Du hast mich lange warten lassen!

    „Ich konnte nicht eher. Man hat Pflichten."

    „Pflichten?, fragte sie. „Deine größte und einzige Pflicht ist es doch, mich glücklich zu machen!

    „Das bist du ja bereits, oder nicht?"

    „Nur solange ich dich bei mir habe, mein Gasparino."

    Sie wollte ihn abermals umarmen, er aber wehrte sie ab und sagte:

    „Lass das jetzt! Ich habe zu tun."

    „Was denn? Ah, ein Maskenanzug! Sie klatschte in die Hände und untersuchte das Paket. „Oh, wie herrlich!, rief sie. „Ein Mexikaner! Welch eine Überraschung! Ich danke dir!" Sie warf sich ungestüm an seine Brust, drückte ihn an sich und küsste ihn wiederholt.

    „So lass doch!, sagte er, indem er sie von sich schob. „Dafür ist jetzt keine Zeit.

    „Keine Zeit? Ja, ja, du hast Recht! Auch ich muss mich beeilen, damit ich fertig werde!"

    „Du?, fragte er. „Womit?

    „Mit meinem Kostüm!"

    „Mit deinem...? Ah, du hast auch eine Maske?"

    „Ja!, jubelte sie. „Ich ahnte, dass du zu deiner Clarissa kommen würdest, um sie zum Karneval zu führen. Darum habe ich mir das Kostüm einer Griechin besorgt, mein Gasparino.

    Er machte ein langes Gesicht, bedachte sich aber und meinte dann unter Lachen:

    „Alle Teufel, seid ihr Frauenzimmer gescheit! Also geahnt hast du, dass ich komme? Schön, bis hierher hat sich deine Ahnung erfüllt, weiter aber nicht!"

    „Was denn, wieso nicht?"

    „Weil ich es bleiben lassen muss, dich auszuführen."

    „Warum?", frage sie enttäuscht.

    „Weil ich gezwungen bin, mit dem Herzog zu gehen."

    „Lüge nicht, Gasparino! Der Herzog wird sich hüten, mit dir zur Maskerade zu gehen!"

    „Ah, du glaubst es mir nicht, mein Liebling? Nun wohl, du wirst es glauben müssen, denn er wird kommen, um mich hier abzuholen."

    Sie erschrak.

    „Hierher?", fragte sie.

    „Ja!"

    „Wann?"

    „In etwa einer Dreiviertelstunde."

    „Du scherzt! Du willst mich nur in Verlegenheit bringen."

    „Ich versichere dir, dass er kommen wird, als Perser verkleidet", sagte er in ernstem Ton.

    „Ein Herzog? Zu mir? Heilige Madonna! Und ich stehe hier im Negligé!"

    Sie verschwand eilig im Kabinett, aus dem sie nach einer Viertelstunde in ihrem schönsten Kleid zurückkehrte. Cortejo hatte sein Kostüm bereits angelegt und fragte:

    „Nun, wie gefalle ich dir?"

    „Ausgezeichnet! Und ich dir?"

    „Wie immer!"

    „Aber es ist doch nicht hübsch, dass du ohne mich gehst", schmollte sie.

    Er drückte sie an sich, um sie zu beruhigen, und sagte mit schmeichelnder Stimme:

    „Zanke nicht, Clarissa! Du weißt ja, dass ich dich lieb habe, und du weißt auch, dass wir beide nichts besitzen und doch nach oben trachten. Ich habe dem Herzog gesagt, dass dein Name Margony sei und dass du als Putzmacherin arbeitest. Er darf nicht erfahren, dass du von Adel bist und die Rodrigandas zu deinen Verwandten zählst. Sei freundlich zu ihm, aber gib ihm keine Veranlassung, zärtlich zu dir zu sein. Du weißt, dass ich eifersüchtig bin!"

    „Oh, keine Sorge! Ich liebe nur dich allein!"

    „Ich hoffe es! Der Herzog schenkt mir sein Vertrauen, und dieses Vertrauen soll mir die Stufe zu Reichtum und Ehren sein. Du wirst also einsehen, dass ich seinen Wunsch erfüllen und mit ihm gehen muss, obgleich ich mich in deiner Gesellschaft unendlich glücklicher fühlen würde."

    „Ja, ich sehe es ein, sagte sie. „Geh mit ihm, aber komm am Abend wieder. Ich warte!

    „Ich werde versuchen es möglich zu machen, obgleich der Herzog am Abend Gesellschaft bei sich hat, ich ihm also eigentlich unentbehrlich bin. Komme ich nicht, dann entschuldige mich bitte!"

    Das war zwar eine Lüge, aber sie glaubte ihm. Das Paar hatte übrigens keine Zeit zu weiteren Auseinandersetzungen, denn es klopfte und auf ihren Ruf trat ein Perser von prächtiger Erscheinung ein. Er trug eine feine Samtlarve vor dem Gesicht, blieb an der Tür stehen, betrachtete das Mädchen und sagte dann:

    „Holla, Gasparino! Du hast keinen üblen Geschmack! Darf ich das Cousinchen umarmen, he?"

    Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er auf Clarissa zu und zog sie an sich. Sie wollte widerstreben, der starke Mann aber hatte eine solche Kraft, dass ihr keine Anstrengung etwas nützte. Er hielt sie fest.

    „Donnerwetter!, sagte er. „Es wird am besten sein, man bleibt ein Stündchen hier!

    „Das verbitte ich mir!", sagte Clarissa. Es gelang ihr jetzt, sich loszureißen. Sie eilte in das Kabinett und verschloss die Tür hinter sich.

    „Ah, diese Hexe! Fort ist sie!", lachte der Herzog. Er versuchte die Tür zu öffnen, und als ihm das nicht gelang, befahl er dem Haushofmeister

    „Rufe sie!"

    „Das hilft nichts. Sie wird nicht herauskommen."

    „Pah! Es käme auf einen Versuch an!"

    „Oh, die Cousine ist tugendhaft. Sie weiß zu widerstehen!"

    „Auch dir, Adonis?", fragte der Herzog lachend.

    „Auch mir!"

    „Rufe sie trotzdem!"

    Cortejo rief und klopfte, es erfolgte aber keine Antwort.

    „Da sehen Sie es", meinte Cortejo trocken.

    „Schlaukopf!, rief der andere. „Du hast ihr Verhaltensmaßregeln erteilt. Aber das macht nichts. Sie hat zwar genug Fleisch, aber auch einen halben Zentner zu viel Knochen!

    Diese wegwerfenden Worte waren so laut gesprochen, dass Clarissa sie hören musste. Dann fragte der Herzog leise:

    „Du hast ihr doch nicht gesagt, wer ich bin?"

    „Nein!", log der Haushofmeister.

    „Gut! Bist du fertig?"

    „Ja, bis auf die Maske."

    „Dann lege sie an und komm!"

    Sie verließen das Haus und warfen sich in das Maskengewühl.

    2. Eine ,Eroberung‘

    Der prächtige Anzug des Herzogs erregte allgemeines Aufsehen, doch hätte niemand in diesem Kostüm einen so hohen Würdenträger vermutet, denn er benahm und gab sich ganz so wie der ungebildetste Wasserträger oder Melonenhändler. Er machte selbst die rohesten Scherze mit, sprang in die geöffneten Türen der Häuser, drang in die Wohnräume, die zu dieser Zeit einer jeden Maske offen stehen, und brachte Aufruhr und Verwirrung überall dahin, wo er erschien.

    So gelangte er mit Cortejo durch verschiedene Straßen und Gassen und dann über die Brücke in den anderen Stadtteil, wo sie ihre übermütigen Streiche fortsetzten. Da, auf einmal, blieb der Herzog stehen und blickte zu einem Balkon empor.

    „Caramba!, raunte er Cortejo zu. „Sieh einmal da hinauf!

    „Wohin?"

    „Zu dem kleinen Balkon!"

    „Ah! Ja, die ist schön!"

    „Schön! Pah, das ist viel zu wenig gesagt! Das ist ein wirkliches Madonnengesicht. Die müsste man kennenlernen! Die müsste man zu erobern versuchen!"

    „Hm! Bei dieser würde man, wie es scheint, mit Späßen nicht weit kommen!"

    „Dann muss man es eben anders versuchen. Schau, jetzt sieht sie uns!"

    Es war die Gouvernante, die er meinte. Der Herzog warf ihr eine Kusshand zu. Sie bemerkte es und errötete vor Verlegenheit. Er trug eine Kleidung im Wert von Tausenden, war also kein gewöhnlicher Mann, das sah sie; und welches Mädchenherz schlägt nicht höher, wenn es das Auge eines vornehmen Mannes bewundernd auf sich gerichtet sieht! Halb bewusst und halb unbewusst nahm sie die seidene Schleife von ihrer Bluse und warf sie ihm hinab. Die Schleife flatterte in unregelmäßigen Kreisen nieder, doch gelang es dem Herzog, sie zu erhaschen. Er küsste sie und steckte sie an seine Brust. Beschämt zog sich die Gouvernante vom Balkon zurück.

    „Caramba, die muss mein werden!, sagte der Herzog. „Sie ist unwiderstehlich.

    „Gehen Sie hinauf?"

    „Ja!"

    „Ich mit?"

    „Nein! Du würdest mir alles verderben, du Bär. So eine Blume muss mit Zartheit angefasst werden. Spaziere einstweilen hier auf und ab, damit ich dich dann wiederfinde!"

    Er betrachtete die Fenster des Hauses, um sich im Innern zurechtfinden zu können, ging dann hinein, stieg die Treppe empor und klopfte an die Tür, hinter der er die Gesuchte vermutete. Ein leises, fast ängstliches „Herein" ertönte und er öffnete die Tür.

    Als sie ihn erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus und wollte ins Nebenzimmer fliehen. Aber schon stand er bei ihr und hielt sie an der Hand fest.

    „Halt, schöne Dame, entweiche mir nicht!", bat er mit dem sanftesten Ton seiner Stimme.

    „Mein Gott, lassen Sie mich!, flehte sie angstvoll. „Wenn man Sie hier entdeckte, mein Herr!

    „Was könnte man dann sagen? Es ist heute Karneval und Maskenfreiheit!"

    „Aber nicht für mich!"

    „Für jede Dame!"

    „Ich bin hier fremd, ich bin hier in untergeordneter Stellung!", sagte sie in ihrer Herzensangst.

    „Das

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