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Die Frucht der Jahre: Spiritualität im Älterwerden
Die Frucht der Jahre: Spiritualität im Älterwerden
Die Frucht der Jahre: Spiritualität im Älterwerden
eBook241 Seiten3 Stunden

Die Frucht der Jahre: Spiritualität im Älterwerden

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Über dieses E-Book

Spiritualität kann in allen Lebensphasen zu einem Glücksfaktor werden und in besonderer Weise ab der Lebensmitte - das zeigen die Autoren und Autorinnen in diesem Buch.
Theologische und psychologische Aspekte spielen dabei ebenso eine Rolle wie Fragen nach dem guten Alter. Aber auch viele ganz praktische Alltagsbeispiele fließen ein: von Menschen, die in ihrem Leben neu Sinn und Zufriedenheit entdecken jenseits aller altersbedingten Einschränkungen.

Gelebte Spiritualität mit stärkenden Ritualen wie Beten und Gärtnern, Wandern und Lesen, bereichert und beflügelt gerade die Lebenszeit, die mit dem Auszug der Kinder oder dem Abschied vom Berufsleben beginnt. Wer neugierig bleibt auf das, was jeder Augenblick schenkt, selbst in sehr hohem Alter, übt sich in der Kunst, bewusst zu leben und jeden Tag als kostbare Lebenszeit wahrzunehmen.

Die Frucht der Jahre zeigt in vielen Facetten: Glücklich älter werden kann man lernen, wenn man es übt. Wie, dafür liefert dieses Buch wertvolle Anregungen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Dez. 2013
ISBN9783920207988
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    Buchvorschau

    Die Frucht der Jahre - Karin Vorländer

    Autoren

    Einführung

    Als ich vor vielen Jahren der Familie meinen zukünftigen Mann vorstellte, streckte ihm meine damals 95-jährige Großmutter mit wachen, freundlich strahlenden Augen interessiert schmunzelnd die Hand entgegen und sagte: „Und ich bin die Omi! Was mich an der adrett gekleideten alten Frau mit dem schlohweißen Haar immer schon fasziniert hatte, war dieser „große Glanz von innen, der nicht nur ihre schlaflosen Nächte und die altersbedingten Gebrechen überstrahlte, sondern sie mit einer Freundlichkeit umgab, die ansteckend wirkte. Dieser „große Glanz von innen" ist einerseits zwar eine Gabe Gottes, andererseits ist er aber auch eine große Aufgabe. Die Arbeit an dieser Aufgabe ist das Anliegen dieses Buchs.

    Zahllose Theorien und Ratgeber zum Thema Altern verwirren die Interessierten, die Betroffenen sind verunsichert. Offenbar hängt das Wie des Alterns von vielen Faktoren ab: von den Genen, vom Lebensstil, von der Psyche, von Umweltfaktoren, von der Ernährung, vom sozialen Umfeld. Der vorliegende Band stellt die geistige Auseinandersetzung mit dem Thema Älterwerden und Altsein in den Mittelpunkt. Die acht Autorinnen und Autoren beleuchten in 18 Beiträgen das Älterwerden vor dem christlich-evangelischen Hintergrund, sie nehmen aber in einer sehr differenzierten Art auch andere Sichtweisen in den Blick.

    Die drei Abteilungen – Spiritualität als Lebenskunst, Suche nach spirituellen Ritualen, Lebensgestaltung – sollen sich nicht streng voneinander abgrenzen oder linear aneinanderreihen, sie sind eher als sich überschneidende Kreise zu betrachten. Die Autoren gewichten die Herausforderungen der zweiten Hälfte des Lebensbogens unterschied lich und regen zu verschiedenen Möglichkeiten an, diese anzunehmen und zu meistern. Mit ihrem profunden Wissen um das Thema, mit ihrem beruflichen und privaten Interesse an älter werdenden Menschen, aber vor allem mit ihrer anschaulichen Darstellung ermöglichen die Autorinnen und Autoren neue Sichtweisen. Sie benennen Fragestellungen, suchen und entdecken Wegmarken, regen zur spirituellen Gestaltung des Älterwerdens an.

    Wer erfährt, dass es Möglichkeiten gibt, sich innere Räume zu schaffen, auch wenn die Grenzen enger werden, wer lernt, dass man gegen Altersresignation zu Gedichten und Geschichten Zuflucht nehmen kann, wer hört, dass ein Sinn gefunden werden kann, der wird diese Möglichkeiten vielleicht für sich entdecken und auch nutzen. Wer sich Gedanken macht zu Abschiednehmen und Abschiedsritualen, zum Sterben, der wird Anregungen finden zum Weiterdenken. Wer sich fragt, was kommt nach dem Tod?, wird Tröstliches lesen können. Es wird auch der Versuch unternommen, eine neue Sichtweise auf demenziell beeinträchtigte Menschen zu gewinnen und damit ein anderes Verständnis für sie. Wie Älterwerden mit Tiefgang möglich ist, wie Ehepartner auch im Alter einander neu entdecken können oder wie sich Wohnen im Alter gestalten lässt, all das sind hilfreiche Überlegungen für Interessierte. Mit Herzensweisheit wie in Psalm 90 kommt man auch bei aktuellen Problemen weiter. Erhellend wird mehrfach dargestellt, wie man auch mit Unfertigem, mit offenen Fragen, mit dem Fragment leben kann. Beeindruckend ist das Porträt der 84-jährigen Frau, die – nicht fromm, aber tief gläubig – Lebenskunst gelebt hat.

    Wir werden zur Erkenntnis geführt, dass die Kunst, mit seelischer Tiefe zu altern, erlernbar ist, dass sie eingeübt werden muss und dass man gut daran tut, früh damit zu beginnen.

    Dann könnten auch die „Früchte der Jahre" eingefahren werden.

    Ute Maurer

    I

    Spiritualität als Lebenskunst

    Herausforderungen benennen, annehmen, meistern

    Die zweite hälfte des lebensbogens

    Hinweisschilder auf dem Weg zu innerer Geräumigkeit

    Wolfgang Vorländer

    Der amerikanische Franziskanerpater Richard Rohr beginnt sein Buch „Reifes Leben" so: Jeden von uns erwartet eine Reise in die zweite Hälfte des Lebens. Nicht jeder tritt diese Reise auch an, wenngleich wir alle älter werden und manche von uns ein sehr hohes Alter erreichen. Aus irgendeinem Grund jedoch ist diese …zweite Reise’ ein gut gehütetes Geheimnis. Viele von uns wissen nicht einmal, dass sie überhaupt existiert. Es gibt einfach zu wenige Menschen, die uns davon erzählen, und noch weniger, die uns den Weg weisen können oder wissen, dass sich diese Reise von der in der ersten Lebenshälfte unterscheidet.

    Machen wir uns also auf die Reise. Wenn die zweite Lebenshälfte für Sie erst beginnt, heißt das: Sich orientieren und Reisevorbereitungen treffen. Wenn Sie schon tief in der zweiten Lebenshälfte unterwegs sind, könnte es darum gehen, innezuhalten und sich über den Weg, das Ziel und die Art, sich fortzubewegen, noch einmal Klarheit zu verschaffen.

    Die Falle vermeiden

    Die Falle heißt: Steckenbleiben in der ersten Lebenshälfte, weitermachen, wie bisher. Worin bestand die erste Lebenshälfte? Hauptsächlich geht es (und muss es gehen!) um Dinge wie: eine eigene Existenz aufbauen, etwas leisten, sich beweisen, den eigenen Platz erkämpfen/ sichern, Erfolg haben.

    Ohne diese Anstrengungen und Energien wäre es mit unserer Welt schlecht bestellt. Sie stellen das legitime und erforderliche Programm der ersten Lebenshälfte dar. Dadurch bildet sich zugleich unsere Identität heraus.

    Die Versuchung liegt jedoch nahe – und dieser Weg wird von den meisten beschritten – ‚ in der zweiten Lebenshälfte lediglich „mit der ersten weiter zu machen. Dies ist natürlich nicht ohne weiteres möglich, jedenfalls spätestens ab der Ruhestands grenze nicht. Daher handelt es sich beim „Weitermachen wie bisher oft nur um die etwas langweilige Sicherung und Bewahrung der vorhergehenden Lebensphase oder deren Ergebnisse und Errungenschaften. Das Haus ist gebaut oder die Wohnung etwas komfortabler eingerichtet, jetzt renoviert man und streicht den Gartenzaun. Die Kinder sind aus dem Haus, doch gibt es jetzt (vielleicht) zum Glück Enkelkinder, um die man sich so oft wie möglich kümmern darf. Man ist nicht mehr berufstätig, aber erzählt bei jeder Gelegenheit, was man alles getan und geleistet hat.

    Kurzum: es entsteht nichts wirklich Neues, es kommt zu keinem tieferen Wandlungsprozess, zu keiner tieferen Entdeckung für den „Sinn", der jetzt wie ein Schatz gehoben sein will, und für eine neue Art von Lebensreichtum.

    Die Folge lautet bekanntlich häufig: Ruhestandsloch. Vielleicht in vielen anderen Fällen auch: Ruhestandsbanalität. Es „plätschert so dahin", und der Fernseher wird immer wichtiger.

    Für viele Menschen ist das Heraustreten aus den sinnstiftenden Aufgaben der ersten Lebenshälfte eine narzisstische Kränkung: Wer kennt noch meine Bedeutung? Wer weiß überhaupt, was ich alles geleistet, worauf ich verzichtet, welche Verdienste ich mir erworben habe?

    Also versucht man, weiterzumachen wie früher, so lange es eben geht. Zwar etwas langsamer und ein bisschen frei schwebend, aber so, dass man selbst das Gefühl hat, nicht abgehängt zu sein.

    Daran kann freilich etwas richtig und sehr hilfreich sein, zum Beispiel, wenn Firmen die Expertise und Erfahrung ihrer Mitarbeiter, die das Rentenalter erreicht haben, doch noch nutzen und ihnen eine sinnvolle, begrenzte Aufgabe geben (leider gibt es erst wenige solcher Beispiele). Und es ist keine Frage, dass viele junge Eltern auf Grund ihrer Berufstätigkeit froh sind, wenn ihre eigenen Eltern sich an ein oder zwei Tagen in der Woche um das Enkelkind kümmern. Wie gut, wenn es in unserer Gesellschaft engagierte Großeltern gibt. Das alles ist nicht zu beanstanden.

    Aber: Zu wenige Menschen kennen die eigentliche Einladung der zweiten Lebenshälfte. Sie lautet: vom Erfolgreichsein (das gilt überwiegend für Männer) oder vom Gebrauchtwerden (das ist häufig noch die traditionelle Devise von oder für Frauen) hin zu einer neuen Art von Lebendigwerden.

    Es müsste sich dabei um ein Lebendigwerden handeln, das so nur in der zweiten Lebenshälfte möglich ist und das darum eine andere Gestalt hat als die Erlebnisfreude, die Energie und der Tatendrang in unseren jungen Jahren. Es ist ein Lebendigsein von einer anderen Art, auf einer tieferen (oder höheren) Ebene. Und damit verbindet sich ein ganz anderer Blick für das, was das Leben kostbar, erfüllt, sinnvoll und wesentlich macht. Richard Rohr sagt es so: „Die erste Aufgabe besteht darin, ein stabiles ‚Gefäß‘ oder eine Identität aufzubauen; die zweite ist es, den Inhalt finden, für den das Gefäß bestimmt ist."

    Dieses Lebendigwerden im Gefälle des Reifens und Alterns hängt davon ab, welche inneren Bilder uns dabei bestimmen bzw. von welchen inneren Bildern wir uns leiten lassen. Es gibt schädliche Leitbilder für diesen Weg, und es gibt inspirierende und wegweisende Bilder. Um das zu verdeutlichen, machen wir uns klar, dass in der „Seele der gesamten Menschheit, im kollektiven Unbewussten also, vielfältige Erfahrungen und Bilder gespeichert und verankert sind. Diese Bilder sprechen zum Beispiel von den Rollen und Funktionen, die jemand im Leben einnimmt oder zugesprochen bekommt. Im Anschluss an den großen Schweizer Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung kann man von „archetypischen Bildern sprechen.

    Dies machen wir uns im Folgenden für den Weg in der zweiten Lebenshälfte klar. „Lebendigwerden wird dann heißen: Die ungeeigneten inneren Bilder hinter sich lassen also zu meiden oder zu verlernen – und die lebenstiftenden Vorstellungen „zu sich einladen und sie in sich verankern.

    Innere Bilder, die blockieren

    DER VATERLOSE:

    „Was habe ich es doch schwer gehabt (nach dem Krieg)! – „Was hatte ich für schlechte Eltern und strenge Lehrer! – „Niemand hat mich wirklich verstanden!… Aus dem Selbstbild des Vaterlosen folgt immer ein ungesundes Anspruchsdenken: Die Welt ist mir noch etwas schuldig! „Vaterlosigkeit kann dabei den abwesenden Vater meinen, aber auch eine Chiffre sein für viele andere Formen von Mangel: Mangel an Zuwendung, Mangel an Liebe und Geborgenheit, Mangel an Gefördertwerden, Mangel an Aufmerksamkeit und Unterstützung. Solche Mangel-Erfahrungen können im späteren Leben zu einem narzisstischen Persönlichkeitsprofil führen, und dies ist stets mit hohen Erwartungen an andere Menschen verbunden, zum Beispiel mit einem chronischen und durch nichts zu sättigendes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Lob und Anerkennung.

    DER „LEIDENDE GERECHTE":

    „Wie habe ich mich für andere eingesetzt – und was war der Dank!? – „Undank ist der Welt Lohn!

    Es mag verwundern (oder vielleicht auch gerade nicht), dass der Typus des „leidenden Gerechten häufig bei Menschen anzutreffen ist, die stets als besonders hilfsbereit und selbstlos erscheinen. Es sind die „Helfertypen – diejenigen, die auch nachts um drei für jemanden aufstehen würden, die gerade Hilfe brauchen. Helferrollen können aus sehr unterschiedlichen Motiven gespeist werden. Einige solcher Motive sind leider wenig „heiligmäßig, sondern verraten eher Persönlichkeitsdefizite. Zum Beispiel: helfen, um Einsamkeit zu vermeiden; helfen, um benötigt zu werden und unabkömmlich zu sein; helfen, um Nähe und Intimität zu erfahren; helfen, um sich stark zu fühlen; helfen, um andere zu schwächen; helfen als Dienen, um zu herrschen und zu manipulieren. Ungesunde Helfermotive haben immer einen hohen Preis. Diesen Preis bezahlen sowohl diejenigen, die eine derartige „Hilfe erfahren als auch die „unreifen Helfer selbst. Die solchermaßen Umsorgten fühlen sich oft „zwangsbeglückt, und die zwanghaft bemühten (oder unterschwellig selbstbezogenen) Helfer bekommen selten so viel wieder, wie sie geben: diese Frustration führt am Ende häufig zu Verbitterung und Selbstmitleid. Das Spiel hat begonnen, unschön zu werden.

    DER KRIEGER (RECHTHABER):

    In der zweiten Lebenshälfte sind „Krieger solche Menschen, die in gewisser Weise darüber verbittert sind, dass sie im Leben nicht mehr zu sagen und zu bestimmen hatten. Sie sind beleidigt, dass die Menschheit meint, ohne ihren Rat auszukommen: welch schwerwiegender Irrtum! Daher muss man nun „deutlicher werden, sonst wird die Welt nie begreifen, wo sie sich zu bessern hat. Entsprechende Parolen lauten dann so: „Ich hab immer schon gesagt oder gewusst! – „Wenn die anderen es endlich begreifen würden! – „Die heutige Jugend muss endlich wieder lernen, dass … – „Dieses ganze Toleranzgesäusel, keiner sagt mehr, wo’s lang geht!

    Diese unerfreuliche Form von rechthaberischer Selbstinszenierung und Aggressivität darf allerdings nicht verwechselt werden mit einem gesunden, vitalen und ethisch gebotenen „Gewissen. Die zweite Lebenshälfte und das Älterwerden laden uns ja nicht etwa zu oberflächlicher oder bequemer Alterstoleranz ein, die nur aus Abgebrühtheit oder geistiger Faulheit besteht. Im Gegenteil. Daher gibt es auch einen gesunden und „ethisch unverzichtbaren Zorn auf viele Zu- und Missstände in der Welt, und es wäre ein sehr gesundes Zeichen, wenn dieser Zorn bis ins Alter fröhlich lodert, allein um unserer Kinder und Kindeskinder und einer für sie noch bewohnbaren Erde willen.

    Der „Krieger zeichnet sich demgegenüber leider dadurch aus, dass er selbst kein Lernender mehr ist, dass es ihm an wohlmeinender Güte mangelt und er selten für andere als ein Mensch des Gesprächs gilt. Er hat seine Überzeugungen und Parolen und benötigt Gefolgsleute. Alle anderen verdienen seine Verachtung. Zum Krieger gehört immer das Selbstbild des „Helden. Man wird allerdings bei ihnen den Verdacht nicht los, dass sie bloße Vorsätze nachträglich in vollbrachte Taten ummünzen. Meist wurde doch nur mit Wasser gekocht.

    DER MÄRTYRER:

    „Ich hab mich immer geopfert! – „Wie oft bin ich still den unteren Weg gegangen und habe meine eigenen Bedürfnisse hintan gestellt! – „Wenn die Menschen wüssten, welche Demütigungen und Kränkungen ich schon eingesteckt habe, ohne mich zu wehren!"

    Märtyrer lieben den Schmerz des Verachtetseins, weil er eine bittersüße Seite hat: Man hat sich einen kleinen, fast unsichtbaren Heiligenschein erworben. Die Gefahr des Selbstmitleids ist unverkennbar. Oder auch die Gefahr, sich nicht nur als Opfer zu fühlen, sondern als grandioses Opfer, beziehungsweise als Opfer grandioser Umstände!

    Märtyrer ist auch, wer es in Sachen Klagen zur Meisterschaft gebracht hat. Oder auch, wer in seinem Leben das merkwürdige Muster eingeübt hat, sich wie eine Maus zu verhalten, die immer wieder zur Katze läuft, um gebissen zu werden. Märtyrer sind vernarrt in ihre Krankheitsgeschichten. Und sie können in ergreifender Weise schildern, wo sie nicht nur Pech hatten, sondern welchen schlechten Menschen sie in ihrem Leben ausgeliefert waren, wie ungerecht der eigene Sohn ist, der nicht mehr mit einem redet, und was für ein Halunke und Holdrio der Ex-Ehepartner doch war. Märtyrer sehen alles genau, nur den eigenen Anteil nicht.

    DER MISSIONAR:

    „Die Welt muss endlich begreifen, dass … – „Es muss sich eine Menge (bei den andern) ändern … – „Wenn man nur einmal aufmich hören würde! – „Ich habe Recht ….

    Missionare brauchen die unerlöste Welt und die Schwächen der anderen, weil daraus der Sockel gebaut ist, auf dem sie stehen. Sie haben einen Sendungsauftrag. Missionare sind die moralischen Perfektionisten und Weltverbesserer, die ihre Heilsbotschaft gerne „zur Zeit und zur Unzeit" zu Gehör bringen. Und wenn sich jeder davor in Deckung bringt, fühlen sie sich umso mehr herausgefordert, ihren Umkehrruf hinauszuposaunen. Missionare meinen oft, es gäbe nur eine richtige Antwort oder Lösung. Es fällt ihnen schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass auch sie selbst noch etwas hinzulernen können oder müssen.

    Missionare lieben das Schwarz-Weiß-Denken und teilen die Welt auf in richtig und falsch. Das kann sich auf religiöse Überzeugungen beziehen oder auf politische Heilslehren, welcher Art auch immer, keine Kompromisse werden erlaubt.

    Innere Bilder, die beflügeln und lebendig machen

    DER AUSSTEIGER:

    Das Älterwerden ist die kecke Einladung des Lebens, aus der Reihe treten zu dürfen, nicht mehr mit der Masse zu marschieren und mit den Wölfen zu heulen. Viele meinen, „Aussteiger – das kennzeichne eher das Bestreben Jugendlicher, die die Elternbindungen und Autoritäten hinter sich lassen und sich erst einmal die Hörner abstoßen müssen. Aber es gibt auch ein ungemein lebendiges, gesundes und lebenstiftendes „Aussteigen, wenn man älter wird. Ich muss bestimmte Spiele nicht mehr mitspielen. Ich muss nicht mehr um jeden Preis zum „Club gehören. Ich bin kein Sklave des „Systems. Ich trete an den Rand, denn von dort sieht man die Sache klarer.

    Im Hinduismus gibt es eine Weisheitslehre, die besagt: Wer nicht in der zweiten Lebenshälfte noch einmal „hinausgeht (zum „Sucher oder „Waldbewohner wird – ein beredtes und schönes Bild), der wird niemals zu einem weisen Menschen werden. Die Metapher des „Waldbewohners steht für die Entscheidung und Bereitschaft, noch einmal gleichsam aus dem mühsam erbauten Haus auszuziehen in eine Art Unbehaustheit, wo ich erneut nach dem Weg tasten und suchen muss und meine Sicherheit gegen das Ungewisse eintausche.

    DER KÖNIG:

    Die Einladung lautet: Ich soll und darf steuerndes Subjekt und nicht fremdbestimmtes Objekt des Lebens und der Verhältnisse sein. Ich bin kein Spielball der

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