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Zobeljäger und Kosak: Roman, Band 63 der Gesammelten Werke
Zobeljäger und Kosak: Roman, Band 63 der Gesammelten Werke
Zobeljäger und Kosak: Roman, Band 63 der Gesammelten Werke
eBook578 Seiten8 Stunden

Zobeljäger und Kosak: Roman, Band 63 der Gesammelten Werke

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Über dieses E-Book

Ein Mitglied der Familie aus "Im Tal des Todes" ist weiterhin verschollen. Die Spuren weisen nach Russland, und so macht sich das "Kleeblatt" auf den Weg dorthin. Unter den Verbannten in Sibirien endet die lange Suche. Doch noch sind viele erregende und obendrein humorvolle Abenteuer zu bestehen.

Die vorliegende Erzählung spielt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

Bearbeitung des 1885/1886 geschriebenen Kolportageromans "Deutsche Herzen - Deutsche Helden".

"Zobeljäger und Kosak" ist der letzte Teil einer Trilogie. Weitere Bände sind:
Teil 1: "Der Derwisch" (Band 61)
Teil 2: "Im Tal des Todes" (Band 62)
SpracheDeutsch
HerausgeberKarl-May-Verlag
Erscheinungsdatum1. Nov. 2011
ISBN9783780215635
Zobeljäger und Kosak: Roman, Band 63 der Gesammelten Werke
Autor

Karl May

Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)

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    Buchvorschau

    Zobeljäger und Kosak - Karl May

    KARL MAY’s

    GESAMMELTE WERKE

    BAND 63

    ZOBELJÄGER

    UND KOSAK

    Dritter Band der Bearbeitung von

    Deutsche Herzen, deutsche Helden

    ROMAN

    VON

    KARL MAY

    Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid

    © 1951 Karl-May-Verlag

    ISBN 978-3-7802-1563-5

    KARL-MAY-VERLAG

    BAMBERG • RADEBEUL

    Inhalt

    1. Auf dem Jahrmarkt in Werchne-Udinsk

    2. Die Tochter des Burjatenfürsten

    3. Wildwest in Sibirien

    4. Beim Abendtanz in der Schänke

    5. Der Geisterfrosch

    6. Kosak Nummer Zehn

    7. Der Teufel und seine Grossmutter

    8. Unter Ehrenmännern

    9. Wodka und Knute

    10. Ein Engel, ein Wegelagerer und ein Schlaukopf

    11. ...und der Zar ist weit

    12. Die Balalaika klingt

    13. Nachbar Sergius auf der Brautschau

    14. Im Versteck der Verbannten

    15. Ein Bauer verteidigt seinen Hof

    16. Zwei Gauner unter sich

    17. Die ‚armen Leute‘

    18. Wenn die Maus schlauer ist als die Katze

    19. Mit unumschränkten Vollmachten

    20. Ibrahim Bei und sein Kismet

    21. Schurken büßen ihre Schuld

    Der vorliegende Roman spielt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts und ist der dritte Teil des von Karl May in den Jahren 1885/1886 geschriebenen vierten Münchmeyer-Romans „Deutsche Herzen, deutsche Helden (Bde. 61-63 der Ges. Werke). Über die Entstehungsgeschichte, den Werdegang und die Geschicke der fünf Münchmeyer-Romane findet man Näheres in Band 34 der GW „ICH und in den Sonderbänden „Karl-May-Bibliografie 1913-1945 und „Der geschliffene Diamant.

    1. Auf dem Jahrmarkt in Werchne-Udinsk

    Die sibirische Kreisstadt Werchne-Udinsk hielt regelmäßig zwei berühmte Jahrmärkte ab; der eine fiel in die Zeit des Frühlings, da kamen die Jäger, um die Felle, die sie im Winter in den schneebedeckten Wäldern oder in den öden, einsamen Tundren erbeutet hatten, zum Verkauf zu bringen. Zum Herbstmarkt aber versahen sie sich mit den Vorräten, deren sie während der winterlichen Pelzjagd bedurften.

    In jenen unendlichen Ebenen, die man mit dem Namen Tundra bezeichnet, kann nur im Winter gejagt werden, wenn sie zugefroren sind. Im Frühjahr tauen sie auf zu unergründlichen, bodenlosen Sümpfen, worin alles versinkt.

    Aber wenn der Winter eine feste Decke geschaffen hat, dann tun sich die Zobeljäger zusammen, um in Gesellschaften von zehn bis zwanzig Mann dem Fang der Tiere obzuliegen, deren kostbarer Pelz auf den russischen und chinesischen Märkten so sehr gesucht ist.

    Solche Jäger waren zu jener Zeit, da diese Erzählung spielt, entweder Eingeborene, die jagen mussten, da sie dem Zaren ihre Abgaben nur in Pelzwerk bringen durften, oder Verbannte, die gezwungen waren, jährlich eine gewisse Menge dieser begehrten Felle zu liefern, wenn sie nicht schwere Strafe erleiden wollten.

    Einzeljäger waren in jenen Gegenden schwer gefährdet. In der Tundra sind fünfundfünfzig bis sechzig Grad Kälte nach Celsius keine Seltenheit; fürchterliche Schneestürme brausen über Sibirien dahin und belasten die Bäume mit Schneemassen, die den Wald meilenweit niederbrechen und zusammendrücken. An milden Tagen steigen Nebel auf, durch deren dicke, fast greifbare Massen man kaum zwei Schritt weit zu sehen vermag, und bleiben wochenlang auf der Ebene liegen. Sie machen es dem Jäger unmöglich, seiner schwierigen Beschäftigung nachzugehen. Darum müssen sich die Sobolniki¹ zu Gesellschaften vereinigen, sodass bei Gefahr einer dem anderen zu helfen vermag.

    Hört man, dass einmal einer eine Woche oder gar vierzehn Tage lang allein in den Urwald oder auf die Tundra gegangen ist, so schütteln selbst kühne Männer den Kopf.

    „On soschol s uma – er ist wahnsinnig!", sagen sie.

    Und sie haben Recht. Wenigstens gehört ein großes Maß Verwegenheit dazu, so etwas zu unternehmen.

    Freilich fragt es sich, ob ein amerikanischer Trapper in grimmigster Kälte nicht ebenso gut im sibirischen Urwald herumspazieren würde wie in den Wäldern des Mississippi und Missouri. Der Trapper ist aber auch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als der russische Verbannte oder gar der Ostjake, Tunguse und Burjate. –

    Heute war auf dem Herbstmarkt zu Werchne-Udinsk ein richtiges sibirisches Völkergemisch vertreten.

    Gewöhnlich lag nur ein geringer Trupp Militär im Ort. Gegenwärtig indes war eine ganze Sotnie² dorthin befohlen worden.

    Aus den staatlichen Bergwerken in Tschita, wo hauptsächlich Verbannte unter der Erde arbeiten, war eine Anzahl dieser Unglücklichen entwichen. Man hatte erfahren, dass sie sich nach der Gegend von Werchne-Udinsk gewendet hatten. Nun waren die Kosaken hierher entsandt worden, um die ganze Umgegend abzusuchen, die Flüchtigen zu ergreifen und zu verschärfter Strafe abzuliefern. Der Rittmeister dieser Sotnie war der Sohn des Kreishauptmanns von Werchne-Udinsk. Er kannte diese Gegend wie seine Tasche und war im Stande, alle Verstecke aufzustöbern.

    Der Kreishauptmannssohn war als ein strenger, finsterer Offizier bekannt und gefürchtet und es gab in seiner ganzen Schwadron keinen einzigen Mann, dessen Zuneigung er besessen hätte.

    Sein Vater bewohnte das stattlichste Gebäude von Werchne-Udinsk, mit dem sich an Größe nur noch ein zweites messen konnte. Es war der Postojalyi dwor³, dessen Besitzer, der Chosiajin⁴, zu den wohlhabendsten Leuten der Stadt gerechnet wurde.

    In dem Postojalyi dwor ging es hoch her. Die Russen hatten die eingeborenen Völkerschaften Sibiriens vor allen Dingen mit dem Branntwein bekannt gemacht. Der Sibirier aber kann nicht viel vertragen, er wird schnell betrunken. Und eigentümlicherweise ist seine Betrunkenheit nicht schwer, dafür aber umso anhaltender. Schon von einigen Glas Wodka ist er zwei Tage lang berauscht; er springt und reitet dann doppelt selig überall umher und trinkt, wenn er nüchtern geworden ist, gleich wieder ein neues Glas.

    In der Wirtsstube sah man weder Tische noch Stühle. Rings an den Wänden des Gastzimmers lagen Schilfmatten. Darauf saßen mit untergeschlagenen Beinen die schlitzäugigen Gäste. Sie tranken, was vorhanden war – saure Milch, Wodka, Mehlwasser oder einen Topf voll Ziegeltee. Und dabei standen ihren Zungen niemals still.

    Wer sie schreien hörte, hätte denken mögen, dass es hier gleich Mord und Totschlag geben würde, und doch war es nur eine freundliche und anständige Unterhaltung, die sie führten.

    Plötzlich schwiegen alle Gäste. Ein Fremder war eingetreten, etwa mittelgroß – ein ‚Herr‘. Unter Herr versteht der Eingeborene jeden Mann mit kaukasischen Gesichtszügen und guter Kleidung.

    Der neue Gast hatte weite, blaue Pumphosen an, die in den Schäften der hohen Stiefel verliefen, über den Hosen einen langschößigen Schnurrock und darüber einen leichten Ziegenpelz. Auf dem Kopf saß eine Lammfellmütze, wie sie in Persien und den Kaukasusländern gern getragen wird.

    Ein dichter, schwarzer Vollbart versteckte sein Gesicht fast völlig. Nur die stechenden, unruhigen Augen konnte man deutlich sehen; sie machten keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Ein russisches Gesicht hatte dieser Mann nicht. Seinen Zügen nach musste man ihn für einen Franzosen oder Griechen halten.

    Er grüßte knapp und überflog die Anwesenden mit einem stolzen Blick.

    Der Chosiajin kam herbeigerannt, stieß mehrere der Gäste über den Haufen und verbeugte sich beinahe bis zur Erde.

    „Zdrawstwuj, batjuschka – willkommen, Väterchen, in meinem Haus! Tschto prikaschesch – was befiehlst du?"

    „Mogu-li ja proschitj u tebja – kann ich bei dir wohnen?"

    „Da, batjuschka – jawohl, Väterchen! Aber doch nicht etwa du allein?"

    „Nein. Ich habe meinen Diener mit."

    „Wo befindet er sich?"

    „Draußen bei der Kibitka."

    „O heiliger Gott von Ostrolenka! Du hast eine Kibitka? Du bist mit einem Wagen gekommen? Und ich habe es nicht gemerkt? Verzeih mir, Herr! Ich werde meinem Hauspatron, dem heiligen Nikolaus, ein neues Bilderbuch schenken, damit er mir diese Nachlässigkeit nach meinem Tod nicht anrechnet. Gleich werde ich nach deinem Fuhrwerk sehen."

    „So komm!"

    Die Männer gingen hinaus. Vor dem Eingang hielt, mit mehreren Koffern beladen, eines jener leichten, zweispännigen Fuhrwerke, die man mit dem Namen Kibitka bezeichnet. Der bärtige Kutscher stand bei den Pferden.

    „Ich werde sofort befehlen, alles hineinzuschaffen, sagte der Wirt. „Wie lange willst du bei mir wohnen?

    „Ich weiß noch nicht, wie lange ich von meinen Geschäften festgehalten werde. Ich habe gehört, dass Jahrmarkt hier ist."

    „Ja, Herr."

    „Dennoch sehe ich nichts davon. Wo ist der Markt?"

    „Oh, einen Marktplatz gibt es hier in Werchne-Udinsk nicht. Der Markt wird draußen vor der Stadt im Freien abgehalten. Darf ich erfahren, woher du kommst?"

    „Aus Irkutsk."

    „Also von Westen. Da konntest du freilich nichts vom Jahrmarkt sehen. Er liegt im Osten vor der Stadt."

    „Kommen da auch Zobeljäger hin?"

    „Viele, Herr."

    „Ich möchte eine Anzahl von ihnen anwerben."

    „Du willst Zobeljäger in deinen Dienst nehmen? Hm, Herr, das ist eine gewagte Sache. Du kannst dabei eine sehr große Summe gewinnen, aber auch verlieren."

    „Wer gewinnen will, muss wagen."

    „Es fragt sich auch, welche Männer du anwerben willst."

    „Kannst du mir vielleicht einige gute Jäger nennen? Ich will eine Jagdgesellschaft gründen."

    „Das würdest du nicht fertig bringen, Herr."

    „Warum nicht?"

    „Diese Leute suchen sich ihren Umgang selber. Keiner von ihnen würde sich von dir einen Kameraden geben lassen, den er nicht mag. Du musst mit einem tüchtigen Jäger abschließen und es ihm überlassen, sich die nötige Anzahl Gefährten zu suchen."

    „Ich werde diesen Rat befolgen. Vielleicht kannst du mir einen solchen Jäger nennen."

    „Oh, mehrere, Herr! Der allerberühmteste ist – ja, Herr, wenn du den bekommen könntest!"

    „Wen denn?"

    „Nummer Vierundachtzig."

    „Nummer Vierundachtzig? Sein Name?"

    „Den weiß niemand als nur seine Richter, die ihn verurteilt haben. Nicht einmal die hiesige Behörde kennt ihn. Er ist der beste Jäger weit und breit. Zwar spricht er nicht viel, aber jeder will ihn zum Gefährten haben; jedoch wählt er sich seine Leute stets selber und bringt mit seiner Gesellschaft die reichste Beute heim."

    „Ist er noch jung?"

    „Er mag wohl nahezu sechzig Jahre zählen."

    „Ist er schon hier?"

    „Ich habe ihn bisher noch nicht gesehen. Aber jeder kennt ihn, und wenn du nach ihm fragst, wird man ihn dir zeigen. Vorher jedoch musst du dem Kreishauptmann einen Besuch machen."

    „Vorher? Hat das solche Eile?"

    „Ja. Erstens darfst du ohne seine Erlaubnis keine Stunde lang in meinem Haus, ja, überhaupt in Werchne-Udinsk verweilen. Sodann darfst du ohne seine Genehmigung nicht den Herbstmarkt besuchen und drittens kannst du mit keinem Menschen einen Vertrag abschließen, ohne dass der Kreishauptmann ihn unterzeichnet und besiegelt."

    „Und eine Abgabe dafür empfängt?"

    „Ja, Herr, und diese Abgabe wird zur Strafe umso höher bemessen, je länger du zögerst, dich ihm pflichtschuldigst vorzustellen. Ich kann dir wirklich keinen besseren Rat geben, als augenblicklich zu ihm zu gehen."

    „Prokljataja Ross... – verdammtes Russ..."

    Der Fremde sprach das Wort nicht aus, murmelte aber einen Flucht in den Bart.

    „Gut, so werde ich gehen, fuhr er dann laut fort. „Bis ich zurückkehre, wirst du wohl mein Zimmer in Ordnung gebracht haben.

    Er schritt auf das benachbarte Gebäude zu und trat durch die Haupttür ein. Da war über einer Stubentür das Wort ‚Prissutstwije‘ zu lesen. Das heißt auf Deutsch ‚Amtsstube‘.

    Dort stand ein Mann im Waffenrock eines gewöhnlichen Kosaken. Der Fremde wandte sich an ihn.

    „Wo finde ich den Isprawnik?"

    Er erhielt nicht gleich eine Antwort, denn der Kosak prallte wie erschrocken zurück und starrte ihn mit großen Augen an.

    „Njeuscheli eto wosmoschno – ist es möglich? Florin! Du? In Sibirien?"

    Der Fremde wechselte die Farbe. Auch er fuhr einen Schritt zurück, fasste sich aber schnell wieder.

    „Du irrst dich. Ich kenne dich nicht."

    „Das ist wohl möglich. Aber desto besser kenne ich dich. Es sind zwar viele Jahre seit unserer letzten Begegnung vergangen – und mein Gesicht hat sich sehr verändert – aber deine Züge sind so, dass man sie nie vergessen kann, wenn man sie einmal gesehen hat."

    „Merkwürdig!, sagte der Fremde achselzuckend. „Wer soll ich denn sein?

    „Der Kammerdiener Florin!"

    „Kammerdiener? Bei wem?"

    „Bei Bruno von Adlerhorst."

    „Diesen Namen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört."

    Der Kosak näherte sich ihm.

    „Bei Gott, sagte er heiser, „je mehr ich dich betrachte, umso sicherer werde ich. Florin, du bist’s! Verstell dich nicht !

    Der Fremde fuhr auf.

    „Ich will nicht hoffen, dass du die Absicht hast, mich zu beleidigen! Du trägst das Abzeichen eines Verbannten, bist also zur Strafe in ein sibirisches Regiment gesteckt worden. Es würde mich nur ein einziges Wort kosten, deine Strafe verschärfen zu lassen. Du könntest leicht aus der zweiten Klasse in die fünfte versetzt werden!"

    Trotz dieser Drohung blieb der Kosak bei seiner Behauptung.

    „Ich möchte wetten, dass ich mich nicht irre! Unmöglich können zwei Menschen eine solche Ähnlichkeit miteinander besitzen."

    „Was soll es anders sein als eine Ähnlichkeit? Ich habe nicht nötig, mich mit einem Strafkosaken zu streiten; aber ich will dir beweisen, dass du dich irrst. Hier mein Pass – lies!"

    Damit zog der Fremde den Pass hervor und reichte ihn dem Kosaken. Er lautete auf den Namen Fedor Lomonow, Kaufmann aus Orenburg, war von der dortigen Behörde ausgestellt und vom Gouverneur gegengezeichnet. Es konnte also keinen Zweifel mehr geben. Dennoch begann der Kosak, die Passbeschreibung mit dem Äußeren des Fremden zu vergleichen.

    „Hier steht ‚zwei Vorderzähne‘ fehlen – und du hast keine Zahnlücke, sagte er. „Wie stimmt das?

    Wütend riss der Fremde dem Kosaken den Pass aus der Hand.

    „Weil ich sie mir habe einsetzen lassen, du Schafskopf! Sie sind falsch. Übrigens bist du nicht der Kreishauptmann und hast den Pass nicht zu beurteilen. Ich bin mit dir fertig und frage dich nur, ob der Isprawnik zu sprechen ist."

    „Er ist da drin. Geh hinein!"

    Das Vorzimmer besaß drei Türen. Eine, durch die der Kaufmann Fedor Lomonow gekommen war, eine, durch die er jetzt zum Isprawnik eintrat, und eine dritte, die unmittelbar in den Hof führte.

    „Und er ist es dennoch!, sagte der Kosak vor sich hin. „Was will er hier? Wo hat er sich während dieser vielen Jahre aufgehalten? Warum verleugnet er sich?

    Er hatte keine Zeit, weiter über diese Angelegenheit nachzudenken, denn die dritte Tür wurde geöffnet und es traten drei Personen ein.

    Voran ein kleiner, dicker Kerl mit schief geschlitzten Augen, vorstehenden Backenknochen und einer riesigen Bärenmütze. Er war vollständig in Pelz gekleidet. Über den Rock hatte er einen schweren Sarrass geschnallt und in der rechten Hand hielt er eine gewaltige Reiterpeitsche, die jedoch bei ihm nicht sehr gefährlich zu sein schien, denn aus seinem harmlosen Gesicht guckte ein freundliches Näschen in die Welt und um den breiten Mund lag ein Lächeln, das gar nicht gutmütiger hätte sein können.

    Ihm folgte eine Frau in der gleichen Aufmachung wie er. Auch sie hatte eine Peitsche in der Hand. Nur die Bärenmütze fehlte. Sie trug das schlichte Haar in zwei dünnen Zöpfen über den Rücken hinab, die Ohren zierten große goldene Ringe und über der Brust hing eine schwere silberne Kette. Ihr Gesicht war womöglich noch gutmütiger als das ihres Mannes. Auch war sie noch dicker als er, sodass sie sich nur mit Mühe zur Türöffnung hereinzwängen konnte.

    Hinter diesen beiden schritt ein Mädchen, hoch und ebenmäßig gewachsen, in ganz eigenartiger Kleidung. Die kleinen Füße steckten in langen, fein gearbeiteten Schnürstiefeln aus rotgegerbtem Leder vom Bauch des Elentiers. Das Röckchen reichte nur wenige Zoll über die Knie herab, es bestand aus kostbarstem Silberzobel.

    Ein Mieder von gleichem Pelzwerk umschloss die feine Hüfte. Die langen Ärmel waren auf orientalische Art nach den Händen zu weiter gehalten und bis oben in die Nähe der Achsel aufgeschnitten. Goldene Spangen hielten den Ausschnitt so weit zusammen, dass der weiße, feingerundete Arm wie Schnee aus dem glänzenden Dunkel des Pelzwerks hervorleuchtete.

    Um den schlanken Hals flimmerte ein Schmuck von viereckigen Goldplatten. Das schwarze, schwere Haar war mit ebensolchen Goldplatten und silbernen Ketten durchflochten, sonst aber unbedeckt. Um die hohe, schön gewölbte Stirn lagen mehrere Reihen von Goldmünzen, die von silbernen, diamantgeschmückten Kugeln zusammengehalten wurden. Mit wertvollen Steinen besetzt war auch der Griff der Reitgerte, mit der sie lässig spielte.

    Doch mehr als all dieser entzückende und kostbare Tand fesselte das Gesicht des Mädchens, ein Gesicht, wie die schaffende Natur es einem Menschenkind nur selten verleiht. Der Adel einer unberührten, reinen Seele leuchtete aus den träumerisch tiefen Augen und der ernste Mund trug unbewusst einen Schimmer jenes Lächelns, das nur der Heiterkeit eines liebevollen Herzens entspringt.

    Dieses Mädchen war schön, aber nicht nur äußerlich, sondern auch von Charakter.

    Der kleine Mann wälzte sich lächelnd auf den Kosaken zu.

    „Ty stoïsch zdesj na karaulje moj synok – hast du hier die Wache, mein Söhnchen?"

    „Da, batjuschka – ja, mein Väterchen."

    Alle Völker, die sich der russischen Sprache bedienen, gebrauchen gern die höflichen, freundlichen Koseformen: Väterchen, Mütterchen, Brüderchen, Schwesterchen. Zuweilen wird diese Ausdrucksweise zu oft angewandt und das Gefällige schlägt dann ins Belustigende und Spaßhafte um.

    „Kennst du mich?", fragte der Dicke weiter.

    „Nein, doch werde ich wohl die Freude haben, zu erfahren, wer du bist."

    Das Gesicht des Dicken glänzte noch freundlicher.

    „Ja, mein liebes Söhnchen, diese große Freude werde ich dir gern bereiten. Ich bin Bula, der Tejsch⁵ der Burjaten. Kennst du mich nun, mein Herzchen?"

    „Ja, Väterchen, jetzt kenne ich dich."

    „Und dies ist mein Frauchen, die Fürstin. Sie heißt Kalyna⁶. Findest du nicht, dass dieser Name sehr richtig ist?"

    „Oh, er ist sehr richtig, mein liebes Väterchen!"

    „Weißt du vielleicht, ob das gute Kreisamtmännchen zu Haus ist?"

    „Ja, Väterchen. Er ist in seinem Zimmer."

    „So werden wir einmal hineingehen. Wir sind gekommen, ihm einen Besuch zu machen."

    „Ich muss doch bitten, noch einen Augenblick zu warten, gutes Väterchen, weil jemand bei ihm ist."

    „Wer?"

    „Ein fremder Kaufmann, der seinen Pass vorzeigen will."

    „Nun gut, so warten wir. Doch hoffe ich, dass sich der Kreishauptmann nicht allzu lange mit dem Pass beschäftigen wird. Ich bin zum Jahrmarkt hier und habe viel einzukaufen."

    „Der Isprawnik wird sich beeilen. Soll ich dich vielleicht anmelden?"

    „O nein! Gar so eilig habe ich es nicht. Und damit uns die Zeit nicht so lang wird, mache ich dich hier mit meinem Töchterchen bekannt: mein Herzchen, mein Juwelchen, mein weißes Lämmchen! Sieh sie dir einmal an! Sie heißt Karpala. Ist das nicht treffend?"

    Die Burjaten haben von allen Turk-Völkern die Sprache am reinsten erhalten. Kar heißt der Schnee und palamak heißt leuchten, glänzen. Der Name Karpala bedeutet also: wie Schnee leuchtend.

    Jetzt richtete der Kosak seine Augen voll auf das schöne Mädchen. Seine kräftige, wohlgegliederte Gestalt schien sich aufzurichten, sein Blick glänzte, seine Wangen röteten sich.

    „Ja, diesen Namen hast du sehr gut gewählt, Väterchen."

    Karpala trat auf den Kosaken zu, streckte ihm die Rechte entgegen und sagte mit einer Stimme, deren reiner, kräftiger Klang ihm tief in die Seele drang:

    „Wir reichen uns die Hände als Bekannte, die einander nicht vergessen haben!"

    Sie drückte herzlich seine Hand. Vater und Mutter blickten einander erstaunt an.

    „Wie? Bekannte? – Habt ihr euch denn schon einmal gesehen?", fragte Bula.

    „Ja, antwortete die Tochter freudig. „Er ist es – er – mein Retter!

    Atemlos vor Überraschung und ein wenig schnaufend stemmten die beiden Dicken die Hände in die Seiten.

    „Dein Retter?"

    „Ja."

    „Der dich aus dem Eis gezogen hat?", steigerte sich noch immer das Erstaunen des Fürsten.

    „Ja", nickte das Mädchen.

    „Ist das nicht ein Irrtümchen?"

    „Nein. Ich habe ihn sogleich erkannt, als ich ihn sah."

    „Deiner Schilderung nach habe ich mir diesen Mann ganz anders vorgestellt."

    „Und er ist es doch."

    „Kakoje tschudo – welch ein Wunder! Ist es denn wahr, dass du ihr Retter bist, mein liebes Kosakchen?"

    „Ich bin glücklich, dass ich deiner Tochter einen Dienst habe leisten dürfen", erwiderte der Kosak bescheiden.

    „Also keine Täuschung? Du bist es wirklich? Lass dich umarmen!"

    Bula zog den Kosaken an sich und schob ihn dann Kalyna zu.

    „Mütterchen, drück ihn auch an dein Herzchen! Er hat es verdient, dass du dich bedankst."

    Das ‚Mütterchen‘ wollte ihn auf die Wange küssen, aber ihre Gestalt besaß einen zu großen Durchmesser; sie konnte ihn mit ihren Lippen nicht erreichen und so platzte der schallende Schmatz wie eine Wurfgranate in der Luft.

    Tejsch Bula war mit großem Vergnügen Augenzeuge dieser außergewöhnlichen Zärtlichkeit seiner Gattin, dann jedoch hob er die Hand und meinte verschmitzt:

    „Nun denk aber nicht, dass auch mein Töchterchen dich umarmen und küssen darf! Ihre Küsse gehören einem anderen. Sie ist die Verlobte des Rittmeisters, des Sohnes meines Freundes, des Kreishauptmännchens. Beide würden solche zärtliche Dankbarkeit nicht dulden. Wir aber betrachten dich als unseren Freund, obwohl du nur ein Strafkosak bist!"

    Karpala wandte sich betroffen ab. Die Wangen des Kosaken waren blass geworden.

    „Ich bin kein Verbrecher, erklärte er mit einem wehmütigen Seitenblick auf das Mädchen. „Man behandelt mich schuldlos als Sträfling.

    „Ich werde Fürbitte für dich einlegen."

    „Nein. Tu es nicht! Es würde nichts nützen, sondern nur schaden, Väterchen."

    „Glaub das nicht, mein Söhnchen! Ich gelte sehr viel bei dem Rittmeister."

    Langsam trat Karpala abermals auf den Kosaken zu und sah ihm in die Augen.

    „Willst du auch mir nicht erlauben, für dich einzutreten?"

    „Nein, Prinzessin! Ich bitte dich, es nicht zu tun."

    „Meinst du, dass er mir, seiner Braut, die erste Bitte abschlagen wird?"

    Jäh straffte sich die Gestalt des Kosaken und er antwortete beinahe schroff:

    „Ich mag von ihm keine Gnade haben."

    Betrübt ließ Karpala den Kopf sinken. Dann blitzten ihre Augen auf.

    „Es tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen soll. Aber vielleicht kann ich dir meinen Dank auf andere Weise abstatten. Erlaube mir, dir einstweilen dieses zum Andenken zu geben!"

    Karpala zog einen Ring vom Finger und ergriff seine Hand, um ihm den Reif anzustecken.

    In diesem Augenblick trat der Kaufmann Fedor Lomonow aus dem Empfangszimmer und öffnete dabei die Tür so weit, dass man hinter ihm den Kreishauptmann, dessen Sohn, den Rittmeister, und einen Kosakenleutnant erblickte.

    „Bula, der Fürst!", rief der Kreishauptmann.

    Während Fedor Lomonow sich schnell entfernte, trat der Rittmeister rasch an den Kosaken heran.

    „Was geht hier vor?"

    „Ich habe meinen Retter gefunden", lächelte Karpala.

    „Ja, ihr Retterchen!, fiel der Fürst ein. „Freust du dich nicht auch darüber, Rittmeisterchen?

    Der aber machte eine unwillige Gebärde.

    „Was ist’s mit diesem Ring?", fragte er kurz.

    „Ich habe ihn meinem Retter geschenkt", antwortete Karpala, von dem allzu knappen Ton gereizt, mit großer Zurückhaltung.

    „Wie? Ihm, einem Verbannten? Das muss ich mir wirklich verbitten! Komm, Bursche!"

    Der Rittmeister packte die Hand des Kosaken, zog ihm den Ring vom Finger, steckte ihn selber an und sagte, zu Vater, Mutter und Tochter gewandt:

    „Kommt herein, bitte!"

    Der Kosak stand regungslos, ein Bild eiserner Zucht. Nur um seinen Schnurrbart zuckte es kaum merkbar und die Lider senkten sich, damit der Blick nicht verriet, was in seinem Herzen vorging.

    Karpala schwieg mit zusammengepressten Lippen. Sie folgte den anderen wie unter einem inneren Zwang, der ihr das Blut ins Gesicht trieb.

    „Gräm dich nicht! Wir sehen uns wieder!", flüsterte sie dem Kosaken noch rasch zu.

    Dann schloss sich die Tür hinter ihr.

    Jetzt erst kam Bewegung in den Kosaken. Er holte tief Atem, reckte sich auf, ballte die Faust und erhob sie drohend.

    „Auch meine Stunde wird schlagen!, knirschte er. Mit Gewalt zwang er sich zur Ruhe. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn. „Ich werde wieder frei sein und dann...! Welch ein Tag! Zuerst dieser Florin! Er war es. Ich schwöre darauf. Und nun Karpala – die Verlobte des Rittmeisters. O Gott!

    Seine Brust hob sich in einem tiefen Atemzug. Er ließ die Faust sinken und wandte sich langsam ab wie ein Mensch, der vergeblich mit einer schweren Enttäuschung ringt.

    2. Die Tochter des Burjatenfürsten

    Der Isprawnik begrüßte den Fürsten samt Frau und Tochter freundlich. Aber ein Menschenkenner hätte doch bemerkt, dass diese übertriebene Höflichkeit nicht aus dem Herzen kam.

    Er war lang, breitschultrig, mit niedriger Stirn, stumpfer Nase, dicken Lippen und struppigem Vollbart. Sein Sohn, der Rittmeister, war ihm sehr ähnlich; er schien noch breitschultriger und musste eine große Körperkraft besitzen.

    Der Leutnant, der bei ihm stand, wollte sich zurückziehen, wurde aber durch einen Wink des Vorgesetzten gehalten.

    „Du störst gar nicht, flüsterte der Rittmeister ihm zu. „Sollst sogar Zeuge sein, wie ich dem dicken Fürsten meinen Standpunkt klarmache.

    Mit einem gehässigen Grinsen wandte er sich an Tejsch Bula.

    „Väterchen, wie kannst du Karpala eigentlich erlauben, einem Verbrecher ihren Ring zu schenken?"

    Der Fürst sah ihn mit großen Augen an.

    „Er ist ja ihr Retter!"

    „Du bist wohl sehr froh, ihn gefunden zu haben?"

    „Sehr! Und Mütterchen Kalyna auch. Wir haben ihn vor Freude umarmt."

    „Umarmt?"

    „Warum denn nicht?"

    „Karpala wohl auch?"

    Der Tejsch wollte antworten, doch Karpala kam ihm zuvor.

    „Hättest du etwas dagegen gehabt?"

    „Sehr viel sogar! Du bist doch meine Braut!"

    Schreck zuckte über Karpalas Gesicht, sie wurde blass, offenbar kämpfte sie mit einem Entschluss.

    „Ich wusste bisher kein Wort davon. Ich habe es erst heute erfahren."

    „Es ist so ausgemacht worden zwischen uns und deinen Eltern. Dein Väterchen hat dem Lama einen Schwur geleistet. Er darf ihn nicht brechen."

    Die Lamas sind die Priester der Burjaten und haben als solche einen großen Einfluss auf das Gewissen der Laien. Selbst ein Fürst wie Bula war an das Wort gebunden, das er dem Lama gegeben hatte.

    Karpala richtete den Blick Hilfe suchend auf den Tejsch.

    „Ist das wahr, Väterchen?", fragte sie mit leiser, stockender Stimme.

    „Ja, meine Seele, mein Liebchen."

    „Weshalb hast du das getan?"

    „Ich werde dir den Grund sagen, wenn du das Weib deines Männchens geworden bist."

    „Und daran ist nichts zu ändern?"

    „Nein. Du weißt, dass es ganz unmöglich ist, einen solchen Schwur zu brechen."

    Karpala nickte stumm; ihre Wimpern sanken nieder, als wollte sie jäh aufquellende Tränen verbergen. Dann ließ sie sich auf einen Stuhl gleiten, denn sie fühlte sich plötzlich schwach.

    Der Rittmeister trat einen Schritt näher zu ihr heran und sagte schmeichelnd:

    „Du siehst, Schätzchen, dass wir zusammengehören und dass schon der Blick eines solchen Hundes auf dich ein Verbrechen ist!"

    Schnell und zornig hob Karpala die Stirn.

    „Du nennst meinen Retter einen Hund? Warum? Was hat er begangen?"

    „Das weiß ich nicht. Niemand erfährt die Tat, um derentwillen ein Mann nach Sibirien verbannt ist. Aber er ist nun auch von Neuem in Strafe gefallen."

    „Weshalb?", fragte Karpala mit klopfendem Herzen.

    „Wegen einer Frechheit, die ihresgleichen sucht. Er hat dich geküsst."

    Karpala erglühte.

    „Mich – geküsst? Ich weiß nichts davon."

    „Er hat es getan. Ein Zeuge hat es beobachtet."

    „Wer?"

    „Ich selber."

    Der Rittmeister blickte Karpala überlegen an. Doch geschah nicht, was er vermutete; sie wurde durchaus nicht befangen. Sie erhob sich langsam von ihrem Sitz und trat einen Schritt auf ihn zu.

    „Du warst Zeuge, dass er mich küsste? Dann warst du wohl auch in der Nähe, als ich über den Fluss ritt und das Eis unter meinem Pferd brach?"

    „Ja."

    „Ich hatte die Besinnung verloren – ich sah nur noch eine Sekunde lang das Gesicht meines Retters. Und es hat sich mir – sie legte die Hand auf die Stelle des Pelzes, unter der ihr Herz schlug – „und es hat sich mir eingebrannt, dass ich es nie vergessen werde. – Als ich wieder zu mir kam, lag ich hier bei euch.

    „Ich habe dich hergetragen."

    „Aber er hat mich aus dem Fluss, unter dem Eis hervorgeholt?"

    „Ja. Diese Nummer Zehn! Ich rief ihn herbei."

    Jetzt überzog die Röte bitteren Spotts Karpalas Gesicht.

    „Ah, du riefst ihn herbei! Weil du keinen Mut hattest, weil du für dein Leben fürchtetest, musste er das seine wagen, um mich zu retten! Du aber warst zu feig, obgleich du schon damals wusstest, dass ich deine Braut war!"

    Die Adern seiner Stirn schwollen an.

    „Hüte dich, mich noch einmal feig zu nennen!"

    „Nennst du dein Verhalten etwa Mut?"

    Sie standen einander gegenüber; Karpala mit einem Blick voll Verachtung, der Rittmeister mit zornblitzenden Augen. Der Kreishauptmann und der Tejsch wollten sie trennen, er wies sie beide mit einer heftigen Armbewegung zurück.

    „Lass ihn nur, Väterchen!, wehrte auch Karpala stolz. „Ich fürchte ihn nicht. Er mag mir antworten!

    „Ja, ich werde antworten!, rief der Rittmeister. „Ich hätte selbstverständlich zugegriffen, wenn der Kerl nicht da gewesen wäre. Aber warum sollte ich mir die Uniform nass machen?

    Karpala maß ihn mit flammendem Blick vom Kopf bis zu den Füßen.

    „So soll er denn auch an deiner Stelle die Belohnung erhalten!"

    „Beim heiligen Andreas, meinem Schutzpatron, welche Belohnung meinst du?", lachte der Rittmeister roh.

    „Die Antwort darauf wirst du früh genug erfahren", erwiderte Karpala kühl.

    „Ich wünsche die Antwort sofort! Ich befehle es dir!"

    „Mir? Der Prinzessin Karpala?"

    „Ja, dir! Und du wirst mir gehorchen!"

    „Nie!"

    „So werde ich dich zwingen!"

    Er hob den Arm.

    „Willst du mich schlagen?", rief Karpala. Sie wich keinen Schritt breit zurück und blickte ihm furchtlos in die Augen.

    Da besann er sich und ließ den Arm wieder sinken.

    „Nein, dich nicht. Es gibt ja Prügeljungen. Vielleicht sind dir die Hiebe schmerzlicher, wenn er sie bekommt."

    Damit ergriff er die Glocke und läutete.

    „Nummer Zehn!", brüllte er, dass man es draußen hörte.

    Der Kosak trat ein, zog die Tür hinter sich zu und blieb abwartend stehen.

    „Die Prinzessin hat dir einen Ring schenken wollen?", fragte der Rittmeister barsch.

    „Ja, Herr."

    „Du hast ihn nicht zurückgewiesen?"

    „Nein, Herr."

    „Sukin syn – Hundesohn! Kennst du deine Pflicht nicht besser? Da hast du den Lohn!"

    Der Rittmeister riss eine Peitsche vom Tisch und schlug auf den Kosaken los. Dieser zuckte nicht mit den Wimpern, nur drehte er sich seitwärts und hielt den Arm hoch, damit die Hiebe nicht sein Gesicht trafen.

    Tejsch Bula und Kalyna wollten dem Wütenden in den Arm fallen, aber auf eine Gebärde Karpalas hin ließen sie davon ab und schüttelten nur die Köpfe.

    „Ich will allein mit ihm fertig werden!", stieß sie zwischen den Zähnen hervor.

    Endlich warf der Rittmeister die Peitsche von sich.

    „So, jetzt hast du den Lohn! Nun pack dich hinab in den Stall!"

    „Zu Befehl, Herr!"

    Der Kosak ging.

    Der Rittmeister drehte sich spöttisch zu Karpala um und fragte sie voll Hohn:

    „Nun, wie hat dir das getan?"

    „Es tat mir nicht weh, antwortete sie, ihm kalt in die Augen blickend. Aber von ihren feinen, roten Lippen sickerte ein Tröpfchen Blut, so fest hatte sie die Zähne darauf gebissen. „Sollte mir das wehtun, so müsstest du mir nicht so verächtlich sein, wie du es bist. Er ist ein Held!

    „Tschort wosmi – hol der Teufel! Ein Held?"

    „Ja, ein Held und ein Märtyrer! Ein Held, weil er nicht nur die Schmerzen verbiss, sondern weil er sich trotz der tödlichen Beleidigung beherrschte und sein Herz zur Ruhe zwang. Und ein Märtyrer, weil er unschuldig für mich litt."

    Der Rittmeister stampfte mit dem Fuß auf, dass die Balken schütterten.

    „Eine tödliche Beleidigung? Lächerlich! Als ob ein Offizier einen Verbrecher beleidigen könnte! Und unschuldig für dich gelitten! Er muss froh sein, dass er für dich leiden darf. Das nächste Mal schlage ich ihn tot. Und du sollst mich nicht daran hindern!"

    „Ich hindere dich an nichts. Was du tust, ist mir so gleichgültig, dass ich sogar jetzt gehen werde, obgleich ich weiß, dass über den Kalym⁷ verhandelt werden soll. Macht, was ihr wollt! Ich bin nicht nötig dabei. Wir haben ein Sprichwort und das heißt: Recht läuft schneller als Unrecht. Der einzige Kalym, den ich dir mitbringen sollte, ist eine Peitsche, um sie dich alle Tage fühlen zu lassen."

    Karpala hieb mit ihrer Reitgerte dem Rittmeister pfeifend am Gesicht vorüber und ging, ohne von jemand zurückgehalten zu werden. Vor dem Haus standen die drei Pferde, auf denen sie mit ihren Eltern gekommen war. Sie stieg auf, gab dem Tier die Sporen und jagte davon. –

    Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, war es einen Augenblick vollkommen still im Zimmer. Dann machte der Sohn des Kreishauptmanns eine ziellose Gebärde und schnippte mit den Fingern. Mit finsterem, blassem Gesicht wandte er sich an den Leutnant und gab ihm einen Wink, ihm hinauszufolgen, während Tejsch Bula und Kalyna noch in wortloser Erregung dastanden und sich anblickten. Der Isprawnik lehnte betroffen am Fenster.

    Stumm eilte der Rittmeister mit seinem Begleiter an den beiden vorüber und warf die Tür hinter sich zu, dass es durchs ganze Haus dröhnte.

    Erst draußen im Freien fand er die Sprache wieder.

    „Karpala hat an diesem Schuft einen Narren gefressen. Er kann gefährlich werden. Ich muss ihn mir aus dem Weg schaffen", knirschte er.

    „Auf welche Weise? Etwa durch...?" Der Leutnant deutete auf seinen Säbel.

    „Nein. Dieser Kerl ist zu gering für eine ehrliche Klinge. Er ist nur eine Nummer."

    „Also willst du ihn versetzen?"

    „Auch nicht! Das dauert zu lange und bedarf der Genehmigung des Obersten."

    „So weiß ich nicht, wie du es anfangen willst."

    „Es gibt kleine Zufälligkeiten, kleine Unfälle, woran eigentlich kein Mensch schuld ist. Da habe ich zum Beispiel den neu eingefangenen Hengst aus dem Tabun. Er hat noch nie einen Menschen getragen. Was meinst du?"

    „Nicht übel!", lachte der Leutnant.

    „So komm! Wir werden einen Ritt machen!"

    Die Offiziere schritten über den Hof, wo ihre Pferde vor dem Stall sanden. Der Kosak befand sich bei den Tieren, denn er war zur persönlichen Bedienung des Rittmeisters befohlen.

    „Wir reiten aus. Sattle dir den neuen Tabunhengst!", fuhr ihn der Rittmeister an.

    Unter einem Tabun versteht man eine Herde halbwilder Pferde. Ein solches Tier zu reiten, das noch niemals eine Last auf dem Rücken gefühlt hat, ist lebensgefährlich.

    Der Kosak verzog jedoch keine Miene. Er begann zunächst dem Pferd seines Herrn den Sattel aufzulegen.

    „Lass das! Ich tue das selber. Mach schnell, dass wir nicht zu warten brauchen!"

    Der Kosak wandte sich sofort dem Stall zu.

    „Sollen sich verrechnet haben!, murmelte er vor sich hin. „Nicht umsonst bin ich mit dem tollen Hengst schon dreimal nachts heimlich ausgeritten und habe ihn mir gefügig gemacht! – Der Rittmeister will mich beseitigen, das ist ganz klar. Nun denn, er oder ich!

    Er öffnete die Stalltür und trat ein. In einer Ecke zwischen zwei Brettern steckte ein kleines Büschelchen der Moosart, die von den Burjaten Lepta genannt wird. Der Kosak nahm ein wenig davon in den Mund, kaute es, trat zu dem Pferd, das angebunden und an allen vier Beinen gefesselt war, und blies ihm den Atem in die Nüstern. Die Augen des Tieres, die zuvor wild gefunkelt hatten, wurden sofort sanfter und es schnaubte wohlgefällig. Die Anwendung jenes Krautes ist ein einfaches und doch nur wenig bekanntes Mittel, um auch bei den ungebärdigsten Hengsten die Wildheit zu dämpfen.

    Jetzt nahm der Kosak den Sattel, trug ihn hinaus vor den Stall und ergriff die Nagaika, die an der Außenwand des Stalles hing. Die beiden Offiziere waren inzwischen schon aufgesessen.

    Die Nagaika ist die schwere, aus starken Riemen geflochtene und mit kurzem Stiel versehene Peitsche der Tabunschtschik⁸. Ein gewandter Tabunschtschik tötet mit dieser Peitsche den stärksten Wolf durch einen einzigen, wohlgezielten Hieb.

    „Kerl!, brüllte der Rittmeister. „Bist du noch immer nicht fertig? Was lungerst du da herum?

    „Darf ich nicht hier draußen satteln?"

    „Hier? Bist du wahnsinnig?"

    In diesem Augenblick jedoch kam der Hengst, den zwei Kameraden des Kosaken auf seinen Wink im Stall losgebunden hatten, auch schon aus der Tür gebraust, dass alle Anwesenden auseinanderstoben. Er galoppierte einmal rundum, bis der Kosak ihm entgegentrat. Der hatte das gekaute Moos unbemerkt aus dem Mund genommen und hielt es dem Tier mit einer Bewegung hin, als wollte er es liebkosen. Der Hengst schnaubte zwar noch einige Male; als aber der Kosak ihm die Hand aufs Maul legte, nahm er das Moos mit den Lippen auf und ließ sich geduldig satteln und die Zügel anlegen.

    Laute Rufe der Verwunderung ringsum. Auch die Offiziere trauten ihren Augen kaum, als der Kosak jetzt so ruhig in den Sattel stieg, als ritte er eine zahme Mähre. Vorsichtig trieb der Rittmeister sein Pferd heran.

    „Mensch, ist das auch wirklich der Tabunhengst?"

    „Herr, sieh ihn dir an!", antwortete der Kosak ruhig.

    „Und er ist so lammfromm?"

    „Wohl nicht bei einem jeden."

    „Und warum bei dir?"

    „Weil ich einen jeden Feind zu zähmen weiß, gleichviel ob Mensch oder Tier."

    „Unverschämter! – Was soll die Peitsche?"

    „Ich nehme sie mit für den Fall, dass ich auf diesem Ritt verunglücken sollte. Dann werde ich noch im letzten Augenblick, dem der daran schuld ist, mit der Nagaika das Rückgrat einschlagen."

    Der Kosak sagte das in höflichem Ton und mit bescheidenem Blick. Der Rittmeister merkte jedoch recht gut, wem die Drohung galt.

    „Wen meinst du?", fuhr er ihn an.

    „Den Wolf natürlich!"

    „Dein Glück! – Weg die Peitsche! Folge uns!"

    Damit wendete der Rittmeister sein Pferd dem Fluss zu. Der Kosak gehorchte. Er schleuderte die Nagaika von sich und ritt hinter den beiden Offizieren her. Alle blickten ihm nach und einige bekreuzigten sich.

    „Herr, führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel! Er hat den Teufel. Der wilde Hengst gehorcht ihm wie ein Lamm."

    Werchne-Udinsk liegt am Einfluss der Uda in die Selenga, die sich in den südlichen Teil des Baikalsees ergießt. Unweit der Stadt ritten die Offiziere durch eine Furt über die Uda; das Wasser ging dort jetzt zum Herbst den Pferden nicht bis an den Leib. Drüben auf dem anderen Ufer setzten sie ihre Tiere in Galopp und dann in vollen Lauf. Der Kosak folgte in gleicher Geschwindigkeit, ohne dass ihm der Hengst die geringste Schwierigkeit bereitete.

    Der Rittmeister blickte sich zuweilen nach ihm um.

    „Der Kerl hat den Satan im Leib!, knurrte er. „Wie er das nur wieder angefangen hat?

    „Auch mir unbegreiflich", meinte der Leutnant.

    „Wollen doch einmal sehen, ob der Hengst auch im reißenden Wasser so geduldig ist."

    „Wie, du willst nochmals durch den Fluss?"

    „Ja, dort!"

    Der Rittmeister deutete zum Ufer, das bereits wieder in beträchtlicher Entfernung lag.

    „Dort ist der Fluss am tiefsten und am gefährlichsten, wandte der Leutnant ein. „Du beabsichtigst doch nicht etwa, da hindurchzureiten?

    „O nein, nur er soll’s tun!"

    „Unter welchem Vorwand?"

    „Da drüben, weit jenseits des anderen Ufers, sehe ich einen Wagenzug, der nach der Stadt zum Jahrmarkt fährt. Er soll fragen, woher diese Leute sind."

    „Er kommt nicht hinüber."

    „Eben deshalb! Gerade dort holte er im vorigen Frühjahr Karpala aus dem Wasser. Sie hatte geglaubt, noch über den Fluss reiten zu können, aber das Eis brach und sie versank zwischen den Schollen. Er mag jetzt versuchen, ob er noch einmal glücklich herauskommt."

    Der Rittmeister lenkte zum Ufer zurück, blieb aber bald wieder halten und deutete vorwärts.

    „Weidet dort nicht ein Pferd am Wasser?"

    „Ja."

    „Und dabei liegt ein Packen Zeug. – Merkwürdig!"

    „Du, rief der Leutnant, „das sieht fast aus wie Frauenkleider!

    „Mir kommt es auch so vor. – Sollte es etwa gar..."

    „...Karpala sein, die hier badet?"

    „Wäre nicht ausgeschlossen. Der Ort ist abgelegen und das Ufer hoch und von Büschen eingefasst, da kann es auch ein Mädchen wagen zu baden."

    „Aber gerade an dieser gefährlichen Stelle?"

    „Die Burjatinnen sind ausgezeichnete Schwimmerinnen. Und übrigens wäre es gerade Karpala zuzutrauen."

    Die Offiziere sprengten dem Ufer zu. Sie dachten nicht daran, dass ihnen der Kosak pflichtgemäß folgte.

    „K tschortu – zum Teufel! Das ist ihr Gaul!" –

    Karpala war durch die Furt geritten, um ihre Erregung niederzukämpfen und mit ihren Gedanken ins Reine zu kommen. Sie hatte ihren Retter wieder gesehen und dabei erfahren, dass ein Schwur ihres Vaters sie unwiderruflich an den Rittmeister fesselte, den sie verachtete.

    Sie jagte über die Ebene dahin. Der widerwärtige Gedanke, dass sie die Braut dieses rohen Menschen sein sollte, erfüllte sie mit heiligem Zorn. Die Frau dieses Mannes! Bis zum Tod bei ihm sein müssen!

    Niemals! –

    Aber der Eid des Vaters, den er dem Lama geleistet hatte! Wie war dieser Zwiespalt auszugleichen? Sie sann und sann, fand jedoch keinen Ausweg.

    Dann

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