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"Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ...": Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848
"Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ...": Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848
"Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ...": Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848
eBook563 Seiten6 Stunden

"Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ...": Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848

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Über dieses E-Book

DIE EINZIGARTIGEN AUFZEICHNUNGEN EINES INNSBRUCKER STUDENTEN, DER 1848 "FÜR GOTT, KAISER UND VATERLAND" INS FELD ZOG und seine einschneidenden Erfahrungen zu Revolution und Krieg festhielt.

Während in Paris, Berlin oder Wien 1848 die Studenten auf die Barrikaden stiegen, zogen über 300 Innsbrucker Studierende "für Gott, Kaiser und Vaterland" ins Feld. Die anfängliche Begeisterung für die Revolution war hier rasch von einer reaktionär-radikalen Gesinnung abgelöst worden.

Matthias Egger stellt die Aufzeichnungen eines Innsbrucker Jusstudenten vor, der als Mitglied der I. akademischen Kompanie ins Feld zog: Joseph Hundegger (1823-1896) begann am 18. März 1848, jenem Tag, an dem die neue Verfassung in Innsbruck kundgemacht wurde, ein Tagebuch zu führen. Vom 24. April bis zum 25. Juni beteiligte sich der junge Student an der Tiroler Landesverteidigung. Während dieser Zeit notierte er seine Erlebnisse in Briefen, die ebenfalls erhalten geblieben sind. Hundegger beschreibt einerseits Bewaffnung und Uniformierung der Schützen und schildert zahlreiche Patrouillengänge sowie Scharmützel mit "Freischärlern", andererseits reflektiert er seine Erfahrungen zu Krieg, Verwundung und Tod. Die edierten und kommentierten Dokumente halten die einschneidende Erfahrung von Revolution und Krieg durch einen unmittelbar Beteiligten fest und betten sie in das historische Umfeld ein.

AUS DEM INHALT:

BIOGRAPHISCHE SKIZZE: Dr. Joseph Hundegger (1823-1896)
- Die Eltern
- Kindheit und Schulzeit
- Studienjahre in Innsbruck
- Das Revolutionsjahr - Ein Exkurs
- Praktikumsjahre
- Am Ziel angelangt - Die Jahre als Advokat in Murau
- Familienzuwachs, Städtereisen und ein Kopfgeld auf Bismarck - die 1860er Jahre
- Rückkehr nach Tirol - Advokat in Meran
- Der Advokat a. D. - die letzten Lebensjahre
- Joseph Hundegger als Exponent des Bürgertums
Zahlreiche Briefe und Tagebucheintragungen aus den Jahren 1848/49
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Apr. 2014
ISBN9783703009082
"Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ...": Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848

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    Buchvorschau

    "Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen ..." - Matthias Egger

    1. Einleitung

    Den Jubel sollten Sie sehen, der hier allgemein herrscht, allüberall Vivat, allüberall Bänder und allüberall ungetrübte Freude. Die Studenten und wir ihnen Befreundete sind zu den Waffen gerufen. Wollen Sie sich die Sache aber nicht fürchterlich vorstellen. Außer der Bürgergarde hat sich ein Studentencorps gebildet, [dieses] wählt sich seinen Commandanten, ihm ist die Sicherheit der Stadt vorzüglich anvertraut. Es war Gefahr vorhanden, jetzt ist aber keine mehr übrig. Die Bauern waren sehr aufgeregt gewesen und das Gassengesindel, aber ich glaube nicht, daß es noch zu etwas kommt, Jung und Alt aus allen Ständen hat sich zum Waffendienst bereit erklärt. Die Studenten schreiten erst ein, wenn nichts mehr hilft, aber dann desto kräftiger. […] Der 15. März, an dem vor 1892 Jahren Caesar der Tirann geendet, vor 1613 Jahren der Tiran Alexander Severus ermordet ward und vor 1395 Attila, die tiranische ‚Geisel Gottes‘, erstickte, [brachte] uns 1848 die Befreiung vor [sic!] Druck und Joch – befreit auf ewige Zeiten. Was man 30 Jahre gehofft, aber nicht so vollendet zu hoffen gewagt, das hat der 15. März gebracht. Seit Freitag ist Vakanz und bis Freitag werden die Studien schwerlich beginnen. Morgen ist großer Fackelzug u. allgemeine Stadtbeleuchtung.¹

    Mit diesen Worten schilderte der Doktorand Joseph Hundegger seiner Mutter die Vorgänge in Innsbruck und seine Begeisterung über die neue politische Ordnung tritt deutlich hervor. Wenn auch Tirol 1848 kein Zentrum der Revolution war, so stand es keineswegs abseits der Ereignisse. Zum einen war Tirol auf Grund seiner geographischen Lage zwischen der Schweiz, Oberitalien und dem süddeutschen Raum nahe an Revolutionszentren gelegen² und die Bewohner der deutschsprachigen Städte Tirols begrüßten – zumindest anfänglich – durchaus die politischen Errungenschaften der Märzrevolution.³ Zum anderen wurde Innsbruck nach der Flucht der kaiserlichen Familie aus Wien für rund zwei Monate zur provisorischen Hauptstadt der Habsburgermonarchie und damit auch zum Sammelpunkt der politischen und militärischen Reaktion.⁴ Trotz dieser hier nur angedeuteten Komplexität der Ereignisse in Tirol hat sich die historische Forschung – wie noch zu zeigen sein wird – bislang nur ansatzweise mit den Ereignissen in Alttirol auseinandergesetzt. Dieses Desinteresse steht im krassen Gegensatz zu den internationalen Entwicklungen. Auf europäischer und insbesondere auch auf der Ebene der Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie wurde und wird der Erforschung von Ursachen, Verlauf und Nachwirkungen des Revolutionsjahres große Aufmerksamkeit gewidmet.⁵ Die ungebrochene Popularität der Thematik führte dazu, dass sich eine schier unüberblickbare Anzahl von einschlägigen Publikationen finden lässt.⁶ Im Gegensatz dazu nimmt sich der Forschungsstand zu den Vorgängen in Alttirol recht bescheiden aus. Hans Heiss und Thomas Götz begannen ihr Standardwerk über Tirol in den Jahren 1848/49 mit der treffenden Feststellung, dass „1848 […] nicht zu jenen Ereignissen und Prozessen des 19. Jahrhunderts [zählt], die unter deutschsprachigen Landeshistorikern Tirols verstärkte Beachtung und im historischen Bewusstsein des Landes einen festen Platz fanden.⁷ Schon während des Neoabsolutismus setzte die Verdrängung aus dem kollektiven Gedächtnis ein⁸ und bis heute lassen sich kaum deutschsprachige Arbeiten finden, die sich mit den Vorgängen des Revolutionsjahres in Tirol auseinandersetzen.⁹ Oswald Gschließer hat 1938 die – bis zum Erscheinen der Publikation von Heiss und Götz – einzige Überblicksdarstellung vorgelegt.¹⁰ Wenngleich Gschließer auch zahlreiche Primärquellen herangezogen hat, so weist seine Darstellung dennoch erhebliche Defizite auf. Erstens werden die Vorgänge in Welschtirol bzw. die Forderungen der italienischsprachigen Bevölkerung kaum objektiv untersucht, sondern aus dem Blickwickel des Verlustes Südtirols betrachtet; etwa wenn er den nationalbewussten Kreisen des Trentinos unterstellt, eine „richtige Irredenta gebildet zu haben, „[…] deren letztes Ziel die Einverleibung ganz Südtirols bis zum Brenner war.¹¹ Diese Formulierung ist maßlos übertrieben, zumal es in einem Aufruf der provisorischen Zentralregierung der Lombardei an die Deutschtiroler [sic!] vom 17. April 1848 hieß: „Trient ist wälsch und soll wälsch sein. Botzen ist deutsch und wird immer deutsch bleiben […].¹² Zweitens werden die Ereignisse des Revolutionsjahres umgedeutet und lassen die Tiroler des Jahres 1848 regelrecht als Vorkämpfer eines „vereinigten Deutschland erscheinen, wie es durch den „Anschluss von 1938 verwirklicht wurde.¹³ Eine anti-italienische bzw. deutschnationale Haltung, wie sie bei Gschließer zum Ausdruck kommt, kennzeichnet auch die übrigen deutschsprachigen Publikationen zur Thematik bis 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand kaum eine Auseinandersetzung deutschsprachiger Historiker mit 1848 statt.¹⁴ Erst seit rund zehn Jahren wird dem Verlauf des Revolutionsjahres in Tirol eine etwas stärkere Beachtung geschenkt. Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass Hans Heiss und Thomas Götz 1998 ihre bemerkenswerte Überblicksdarstellung vorgelegt haben.¹⁵ Diese beruht auf umfassenden Quellen- und Literaturstudien und bietet zum ersten Mal eine ausgewogene Betrachtung der politischen Einstellungen, Forderungen und Hoffnungen der deutsch- und italienischsprachigen Tiroler Bevölkerung. Weiters haben Heiss und Götz sich in Aufsätzen mit verschiedensten Aspekten des Revolutionsgeschehens auseinandergesetzt und somit den Forschungsstand wesentlich vorangetrieben.¹⁶ Ungeachtet dieser wichtigen Publikationen haben – abgesehen von ein paar Diplomanden¹⁷ – bislang kaum andere Historiker diesen Faden aufgenommen, so dass immer noch Raum für weiterführende Untersuchungen bleibt.

    Dieser Befund trifft auch auf die Geschichte der Landesverteidigung im Revolutionsjahr zu, die im Gegensatz zu jener der Jahre 1703, 1796/97, 1809 und 1915 fast in Vergessenheit geraten ist. Während es unzählige Werke über die Landesdefension in den obgenannten Jahren gibt, fand die „48er-Landesverteidigung bis heute kaum Beachtung in der Geschichtswissenschaft. Die bislang einzige Monographie, „Die Tyroler Landesverteidigung im Jahre 1848, wurde 1904 (!) von Alexander Freiherr von Helfert vorgelegt.¹⁸ Helfert versucht zwar eine umfassende Darstellung zu bieten, seine Ausführungen sind aber stellenweise patriotisch bzw. verklärend¹⁹ und entsprechen daher nur bedingt wissenschaftlichen Ansprüchen. Darüber hinaus beruht das Werk im Wesentlichen auf Sekundärquellen. Diesen Mangel kann man dem 119 Seiten starken Kapitel über die Landesverteidigung 1848 in Alois Luggins Dissertation aus dem Jahre 1979 wahrlich nicht vorwerfen. Der Verfasser hat dafür zahlreiche Primärquellen aus dem Tiroler Landesarchiv und der Bibliothek des Ferdinandeums herangezogen und bietet einen Überblick über die militärischen Operationen im Rahmen der Landesverteidigung. Allerdings kommt er über eine rein deskriptive Darstellung kaum hinaus. Einzig in der rund zehn Seiten umfassenden „Schlussbetrachtung" versucht Luggin einige Aspekte zu analysieren. Seine Ausführungen zur Kriegsführung 1848 erscheinen aber zumindest hinterfragenswert. So schreibt Luggin:

    Verhielten sich schon die Soldaten der Bevölkerung in den Tiroler Tälern gegenüber verhältnismäßig fair, wenn man dies mit der Situation in anderen Gegenden, z. B. in der Lombardei, vergleicht, so muß man von den Schützen sagen, daß sie sich mustergültig der italienischen Bevölkerung gegenüber benommen […].²⁰

    Diese Einschätzung ist für die Vorgänge im Valsugana nicht haltbar. Hier wurden im Juni 1848 mehrere Ortschaften von der österreichischen Soldateska geplündert bzw. niedergebrannt und zumindest an den Plünderungen beteiligten sich auch Mitglieder der I. Akademischen Kompanie.²¹ Darüber hinaus lassen sich in der zeitgenössischen Literatur Indizien finden, die dafür sprechen, dass auch in anderen Talschaften Militär und Schützen wenig behutsam mit dem Besitzstand der einheimischen Bevölkerung umgegangen sind. Adolf Pichler etwa berichtet über massive Plünderungen der Ortschaft Caffaro und des Schlosses Lodron durch österreichische Soldaten und Schützen.²² Insgesamt bietet Luggins Dissertation zwar eine deskriptive Operationsgeschichte, die zur Orientierung über die militärischen Vorgänge hilfreich sein kann, aber keine analytisch-kritische Auseinandersetzung mit der Tiroler Landesverteidigung 1848.

    Neben den zwei erwähnten Werken lassen sich einige wenige kursorische Überblicksdarstellungen finden, die als Einstieg in die Thematik nützlich sein können, aber kaum über die Erkenntnisse Helferts bzw. Luggins hinausreichen.²³ Folglich fehlt es immer noch an einer erschöpfenden Untersuchung der Vorgänge an den tirolischen Grenzen im Revolutionsjahr. Auf den ersten Blick mag dieses Desinteresse der Historiker wenig verwunderlich erscheinen, kann doch diese Episode der Tiroler Geschichte mit keinen „spektakulären militärischen Siegen, mit keinen „großen Ereignissen, mit keinem charismatischen Anführer à la Andreas Hofer aufwarten. Dieser oberflächlichen Betrachtung wäre entgegenzuhalten, dass sich auf den zweiten Blick überaus bemerkenswerte Erkenntnisse gewinnen lassen. Da zeigt sich etwa, dass der überwältigende Teil der männlichen Bevölkerung anfangs alles andere als geneigt war, dem Aufruf der Landesschutz-Deputation zu folgen, denn für den Schutz der Landesgrenze erachtete man die Armee als zuständig. Eine Haltung, die dem oft bemühten Topos des „wehrhaften Tirolers" widerspricht. Aber nicht nur aus militärhistorischer, sondern auch aus sozialgeschichtlicher Perspektive lassen sich erstaunliche Erkenntnisse gewinnen, beispielsweise hinsichtlich des Nationalitätenkonfliktes in Alttirol, der im Revolutionsjahr erstmals gewaltsam hervorbrach und das Konfliktpotential zwischen deutsch- und italienischsprachiger Bevölkerung deutlich machte. Die Vorgänge rund um die I. Akademische Kompanie zeigen exemplarisch die aufkeimenden nationalen Spannungen und das daraus resultierende Konfliktpotential zwischen den beiden Sprachgruppen, welche bis zum Zusammenbruch der Monarchie politisch nicht gelöst werden konnen.

    Besonders interessant sind auch die Vorgänge innerhalb der Innsbrucker Studentenschaft, zeigen sie doch die Vielschichtigkeit der Ereignisse des Jahres 1848 deutlich auf. Während die Hochschüler in Paris, Frankfurt, Berlin, Wien und anderen europäischen Metropolen auf die Barrikaden stiegen, zogen über 300 Innsbrucker Studenten in zwei Kompanien für „Gott, Kaiser und Vaterland" ins Feld. Die anfängliche Begeisterung für die Revolution wich – wie noch zu zeigen sein wird – rasch einer reaktionär-nationalen Gesinnung. Das landläufige Bild der 1848er-Revolution wird dadurch geradezu auf den Kopf gestellt. Trotz dieses äußerst spannenden Befundes gibt es bislang keine größere Untersuchung zum Verhalten der Innsbrucker Studentenschaft in diesem Jahr. Darüber hinaus existiert bislang keine Edition von Selbstzeugnissen Innsbrucker Hochschüler aus dieser Zeit, die modernen geschichtswissenschaftlichen Anforderungen entspricht. Dieses Buch betritt daher gleich in zweifacher Hinsicht Neuland. Erstens wird ein umfangreicher Bestand an Egodokumenten der Fachwelt sowie der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und somit ein Ausgangspunkt für weitere Auseinandersetzungen mit der Thematik geschaffen. Zweitens bietet die vorliegende Publikation die erste umfangreiche Darstellung der Vorgänge unter den Innsbrucker Hochschülern in den März- und Apriltagen des Revolutionsjahres. Der Verfasser hofft auf diese Weise einen Anstoß für weiterführende Bearbeitungen dieser Thematik zu liefern.

    Im Mittelpunkt steht dabei die kommentierte Edition der Aufzeichnungen des Südtirolers Joseph Hundegger (1823–1896) aus dem Jahre 1848. Seit 1843 studierte er an der Leopold-Franzens-Universität und die turbulenten Ereignisse des Revolutionsjahres erlebte Hundegger als Doktorand der Rechtswissenschaften. Ergänzt wird die Edition durch historisch-biographische Erläuterungen sowie einen umfangreichen Anhang. Im folgenden Kapitel findet sich eine Einführung zur Person Hundeggers und seiner Zeit. Dieser einleitende Abschnitt versucht die in diesem Buch edierten Egodokumente in einen größeren (historischen) Kontext zu stellen und so die Einschätzung und Einordnung der vorliegenden Quellen zu erleichtern. Im Vordergrund steht dabei eine biographische Annäherung an Joseph Hundegger und dessen Verortung in der Gesellschaft der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, inwiefern er als ein Vertreter des (Tiroler) Bürgertums erscheint beziehungsweise inwieweit seine Lebenswelt als „bürgerlich" bezeichnet werden kann. Als Quellen für die biographische Annäherung dienen seine persönlichen Aufzeichnungen und Notizen – Hundegger neigte dazu, viele persönliche Ereignisse und Begebenheiten in Kalendern oder Heften zu vermerken –, diverse Dokumente (Zeugnisse, Taufschein und dergleichen mehr) sowie der umfangreiche Nachlass an Korrespondenzen aus dem Familienarchiv derer von Preu zu Korburg und Lusenegg/Hundegger. Wie bei einem Puzzle fügte sich bei der Durchsicht dieser Unterlagen ein Hinweis an den nächsten und so entstand nach und nach ein Bild Hundeggers und seines Werdegangs. Gleichwohl fehlen diesem – um in der Metapher zu bleiben – Puzzle leider manche Teile, da sich anhand der überlieferten Dokumente nicht alle Fragen restlos klären lassen. Zudem ist die Quellenlage für die einzelnen Lebensabschnitte nicht homogen. Während zu seiner Studienzeit und insbesondere zu seinen Erlebnissen im Revolutionsjahr 1848 zahlreiche Dokumente erhalten geblieben sind, finden sich zu seiner Kinder- und Jugendzeit sowie über seine Betätigungen im Ruhestand vergleichsweise wenig Informationen. Dies hat sich wiederum negativ auf die Ausgewogenheit der einzelnen Unterkapitel ausgewirkt. Nichtsdestotrotz vermögen die Quellen in der Zusammenschau einen interessanten Einblick in die bürgerliche Lebenswelt des Hauptprotagonisten dieses Buches zu bieten. Darüber hinaus werden die Ereignisse des Revolutionsjahres einen besonderen Schwerpunkt bilden. Ausgehend von einer kurzen Analyse der Verhältnisse auf der Makroebene (Habsburgermonarchie) werden über einen kurzen Umweg (Wien) die Vorgänge auf der Mikroebene (Innsbruck) untersucht. Hierbei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Entstehung der I. Akademischen Kompanie und deren Teilnahme an der Landesverteidigung. Durch diese Vorgangsweise soll die Einordnung der Vorgänge in Tirol in einen größeren Kontext, und in weiterer Folge eine angemessene Verortung der edierten Quellen, ermöglicht werden.

    Im dritten Kapitel folgen einige Gedanken und Überlegungen zum Quellenwert von Hundeggers Aufzeichnungen. Diese erheben keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll auf besonders bemerkenswerte Aspekte aufmerksam gemacht werden, die auch als Anstoß für neue Forschungen – beispielsweise im Rahmen der „Neuen Militärgeschichte" – dienen könnten. Im vierten Abschnitt werden die Editionsrichtlinien dargelegt. Nach diesen Vorbemerkungen folgt schließlich der Hauptteil dieses Buches: die Aufbereitung der Egodokumente aus der Feder Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr. Diese umfassen ein Tagebuch und 14 Briefe und behandeln hauptsächlich den Zeitraum zwischen dem 18. März und dem 30. August 1848. Der besondere Quellenwert der Feldpostbriefe liegt darin, dass sie wie ein Tagebuch geführt wurden, d. h. Hundegger verzeichnete die Ereignisse beinahe täglich auf Briefbögen, und erst wenn diese vollgeschrieben waren, gelangten sie zur Absendung. Daher vermögen diese Dokumente einen umfassenden Einblick in die Vorgänge rund um die I. Akademische Kompanie zu geben. Zusätzlich zu den von Hundegger verfassten Schriftstücken haben sich auch vier Briefe an den ausgerückten Landesverteidiger erhalten. Diese wurden ebenfalls – an der chronologisch passenden Stelle – in die Edition aufgenommen. Ein umfangreicher Anhang rundet dieses Buch ab. Hier finden sich nicht nur ergänzende Dokumente, wie beispielsweise zeitgenössische Flugschriften und Proklamationen, sondern auch ein quellenkritisches Verzeichnis aller Mitglieder der I. Akademischen Kompanie. Zusammengenommen tragen diese Dokumente zum besseren Verständnis der Ereignisse des Jahres 1848 bei. Schließlich befindet sich am Ende dieser Arbeit ein umfangreiches Personen-, Orts- und Abkürzungsverzeichnis.

    ¹Brief Joseph Hundegger an seine Familie [Innsbruck], 19. März 1848, Fasz. Hundegger Briefe vorwiegend von Joseph und Leopold an Mama, Fani und Anton (1843–1858), Familienarchiv derer von Preu zu Korburg und Lusenegg/Hundegger (künftig FA Preu/Hundegger).

    ²Vgl.: Hans Heiss und Thomas Götz, Am Rand der Revolution. Tirol 1848/49 (Wien, Bozen: Folio Verlag, 1998), 54.

    ³Vgl.: Ebenda, 63.

    ⁴Vgl.: Ebenda, 131f.

    ⁵Vgl. zur historiographischen Entwicklung in den Räumen der ehemaligen Habsburgermonarchie den kursorischen Überblick von Robert J. W. Evans, „1848 in Mitteleuropa. Ereignis und Erinnerung", in: 1848. Ereignis und Erinnerung in den politischen Kulturen Mitteleuropas, hrsg. von Barbara Haider und Hans Peter Hye, Zentraleuropa-Studien (Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2003), 31–55.

    ⁶Um hier nur einige anzuführen: Barbara Haider und Hans Peter Hye, Hrsg., 1848. Ereignisse und Erinnerung in den politischen Kulturen Mitteleuropas, Zentraleuropa-Studien (Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2003); Pieter M. Judson, Wien brennt! Die Revolution von 1848 und ihr liberales Erbe (Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1998); Priscilla Robertson, „Students on the Barricades. Germany and Austria 1848", Political Science Quarterly 84, Nr. 2 (1969); Walter Grab, Hrsg., Die Revolution 1848/49. Eine Dokumentation, Universal-Bibliothek (Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 1998); Paul Ginsborg, „Peasants and Revolutionaries in Venice and the Veneto, 1848", The Historical Journal 17, Nr. 3 (1974); Emil Niederhauser, 1848. Sturm im Habsburgerreich (Wien: Verlag Kremayr & Scheriau, 1990); Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche, Hrsg., Europa 1848. Revolution und Reform, Politik- und Gesellschaftsgeschichte (Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, 1998); James F. Harris, „Rethinking the Categories of German Revolution of 1848. The Emergence of Popular Conservatism in Bavaria", Central European History 25, Nr. 2 (1992); Heinz-Gerhard Haupt, „Revolution und Reform. 1848 als Wendepunkt auf dem ‚Französischen Weg in die Moderne‘", Historische Zeitschrift. Beihefte, Neue Reihe 29 (2000); Wolfram Siemann, 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis, Bewältigung, Erinnerung (Paderborn, u. a.: Ferdinand Schöningh, 2006); Frank Engehausen, Die Revolution von 1848/49 (Paderborn, u. a.: UTB/Schöningh, 2007); Mike Rapport, 1848 – Year of Revolution (London: Little Brown, 2008); Antonio Monti, Il 1848 e le cinque giornate di Milano dalle memorie inedite dei combattenti sulle barricate (Genua: Frilli, 2004); Helmut Reinalter, Hrsg., Die europäische Revolution 1848/49 in Polen und Österreich und ihre Folgen, Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850" (Frankfurt am Main: Peter Lang, 2001).

    ⁷Heiss und Götz, Am Rand der Revolution. Tirol 1848/49, 7.

    ⁸Vgl.: Ebenda, 7.

    ⁹Vgl.: Ebenda, 9f.

    ¹⁰Oswald Gschließer, Die nationale Einheitsbewegung in Deutschtirol im Jahre 1848, hrsg. von R. v. Klebelsberg, Schlern-Schriften (Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 1938).

    ¹¹Gschließer, Die nationale Einheitsbewegung in Deutschtirol im Jahre 1848, 91.

    ¹²Adolf Pichler, Aus dem wälsch-tirolischen Kriege (Wien: Druck und Verlag von Jos. Keck & Sohn, 1849), 22f.

    ¹³Vgl.: Heiss und Götz, Am Rand der Revolution. Tirol 1848/49, 9. Gschließers Darstellung endet mit der Feststellung: „Neun Jahrzehnte mußten vergehen, bis diese Zeit wirklich gekommen war: Im Lenz 1938 hat das deutsche Volk an Inn und Donau, im Verein mit allen anderen Deutschen bis hinauf zu Maas und Memel, seine Osterlieder aus übervollem Herzen gesungen." Gschließer, Die nationale Einheitsbewegung in Deutschtirol im Jahre 1848, 168.

    ¹⁴Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Brigitte Mazohl zu den Autonomiebestrebungen im Trentino. Brigitte Mazohl, „Autonomiebestrebungen im Trentino 1848/49" (Universität Salzburg, 1971).

    ¹⁵Heiss und Götz, Am Rand der Revolution. Tirol 1848/49.

    ¹⁶Thomas Götz, „Vom Nutzen und den Nachteilen historischer Erinnerung an den Rändern der Revolutionen 1848/1849", Geschichte und Region/Storia e Regione 7, achtundvierzig/achtundsechzig (1998), 13–34; Hans Heiss, „Am Rand der Erinnerung. Zur Verarbeitung und Deutung von 1848 in Tirol", in: „Dürfen’s denn das?" Die fortdauernde Frage zum Jahr 1848, hrsg. von Sigurd Paul Scheichl und Emil Brix, Civil Society der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (Wien: Passagen Verlag, 1999), 151–168; und: Hans Heiss, „Das ‚Sturmjahr‘. Tirol in den europäischen Revolutionen 1848/49", Tiroler Heimat 63 (1999), 235–249.

    ¹⁷Ivan Miribung, „Die Revolution von 1848 und ihre Auswirkungen am Beispiel von Bruneck und Umgebung (Universität Innsbruck, 1999); Helga Öhler, „Die Nationale Frage in Tirol um 1848 (Universität Innsbruck, 2000); Renate Telser, „Sichtbar und politisch. ‚Politisches‘ Engagement von Frauen im Revolutionsjahr 1848 im Spiegel der Tiroler Presse (Universität Innsbruck, 2001); Matthias Egger, „ ‚Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen …‘ Die Aufzeichnungen des Joseph Hundeggers, Mitglieder der I. Akademischen Kompanie der Universität Innsbruck aus dem Jahr 1848. Nebst einem Verzeichnis sämtlicher Dokumente des Familienarchivs derer von Preu zu Korburg und Lusenegg/Hundegger (Universität Innsbruck, 2009).

    ¹⁸Alexander Freiherr von Helfert, Die Tyroler Landesvertheidigung im Jahre 1848 (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler, 1904).

    ¹⁹Am stärksten tritt diese Färbung in der Schlussbetrachtung hervor. So heißt es hier beispielsweise: „Alles in Allem waren es 144 Compagnien und 16.653 Mann, die auf diesem Wege ihren historischen Patriotismus aufs neue bewährt hatten. Was die Leistungen der Landesschützen während des Feldzuges betrifft, so ist schon angedeutet worden, dass selbe nicht überall gleich waren, dass man mitunter über mangelnden Muth und Eifer zu klagen hatte. Allein Fälle solcher Art mußten als Ausnahme gelten, die der Regel keinen Abbruch thaten, so dass die Rechnung im großen Ganzen entschieden zum hochverdienten Lob des Landesschützenwesens ausfiel." Helfert, Die Tyroler Landesvertheidigung im Jahre 1848, 145.

    ²⁰Alois Adolf Luggin, „Beiträge zu Geschichte Tirols im Jahre 1848 unter besonderer Berücksichtigung der Landesverteidigung" (Universität Innsbruck, 1979), 185.

    ²¹Vgl.: Brief Joseph Hundegger an Angelica von Riccabona, 8. bis 10. Juni 1848, Fasz. Feldpostbrief Joseph Hundegger (1848), FA Preu/Hundegger. Selbst Helfert schildert diese Vorgänge, macht aber einzig die polnischen Soldaten des Regiments Haynau für die Verwüstungen verantwortlich. Vgl.: Helfert, Die Tyroler Landesvertheidigung im Jahre 1848, 116f.

    ²²Vgl.: Pichler, Aus dem wälsch-tirolischen Kriege, 36f.

    ²³So z. B. in: Erich Egg und Wolfgang Pfaundler, Das Grosse Tiroler Schützenbuch mit Ehrentafel der Tiroler Schützen (Wien, München, Zürich: Verlag Fritz Molden, 1976), 138–149; und: Josef Fontana, „Von der Restauration bis zur Revolution (1814–1848)", in: Geschichte des Landes Tirol, hrsg. von Josef Fontana et al. (Innsbruck, Wien: Tyrolia Verlag, 1987), 698–706.

    2. Biographische Skizze:

    Dr. Joseph Hundegger (1823–1896)

    In der Fremd- und Eigenwahrnehmung dominiert auch heute noch das „bäuerliche Element das Tirolbild. Dabei wird ausgeblendet, dass im Tiroler Raum durchaus ein altes Stadt- und Handelsbürgertum existierte und sich im beginnenden 19. Jahrhundert erste Anzeichen für die Formierung eines „modernen Bürgertums finden lassen. Allerdings wurde die Ausbildung dieses „Standes" in Tirol durch die Koalitionskriege und deren Folgen stark gebremst.¹ „Die rapide Verarmung Tirols in der napoleonischen Ära, die Säkularisation der Hochstifte und schließlich die ‚Heimsagung‘ zahlreicher Patrimonialgerichte […]² hatten zur Folge, dass Beamte und deren Söhne vielfach ihre Aufstiegschancen und Einkommen einbüßten und führten in weiterer Folge zu einer hohen Mobilität unter dem bürgerlichen (Beamten-) Nachwuchs. Diesen Widrigkeiten zum Trotz formierte sich langsam ein Tiroler Bürgertum – gebildet durch Ärzte, Juristen und Beamte³ –, welches sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich in allen bedeutenden Städten Tirols etablieren konnte.⁴ Die Biographie Joseph Hundeggers vermag einen weiteren Beleg für diese Entwicklung zu liefern, denn sie weist ihn – wie zu zeigen sein wird – als typischen Vertreter des (Bildungs-)Bürgertums aus. Doch was ist eigentlich unter dem Begriff „Bürgertum zu verstehen? Die Beantwortung dieser Frage wird vor allem durch die Tatsache erschwert, dass das Konzept des „Bürgertums manche Unschärfe aufweist.⁵ Allerdings lassen sich einige zentrale Merkmale herausarbeiten, die diese soziale Gruppe im 19. Jahrhundert auszeichneten. Dazu zählten die Zugehörigkeit zu gewissen Berufsgruppen (Ärzte, Advokaten, Beamte, Wissenschafter, Bankiers, Unternehmer, Fabrikanten etc.)⁶, ein eigenes – auf persönliche Liebe und Zuneigung bauendes – Familienideal⁷, die aktive Betätigung in Vereinen⁸ und eine rege Reisetätigkeit, um den eigenen Horizont zu erweitern oder sich zu erholen⁹, um hier nur vier zentrale Charakeristika zu nennen. In diesem Sinn wird im Folgenden unter dem Begriff „Bürgertum eine gesellschaftliche Schicht verstanden, die sich durch gemeinsame Wertvorstellungen, Ideale, Interessen und Lebensführung von der Aristokratie, der Geistlichkeit und der Arbeiterschaft abgrenzte.

    Dr. Joseph Hundegger, undatierte Photographie, vermutlich 1860er Jahre, FA Preu/Hundegger.

    Aber Hundeggers Biographie ist nicht nur aus der Perspektive der Bürgertumsforschung interessant, sondern auch auf Grund der Tatsache, dass in seine Lebenszeit einschneidende politische Ereignisse und Veränderungen fielen, welche die politische und gesellschaftliche Struktur der Habsburgermonarchie nachhaltig verändern sollten. Es vollzog sich der Wandel von einer absolutistischen Monarchie Metternich’scher Prägung zu einer konstitutionellen Monarchie, wobei diese Entwicklung selbstverständlich nicht linear verlief. Man denke nur an die Gewährung einer Konstitution durch Kaiser Ferdinand 1848 und deren endgültige Beseitigung durch das Februarpatent 1851. Neben den zahlreichen innenpolitischen Veränderungen wurde Hundegger auch Zeitzeuge bedeutender politischer Ereignisse. Zum einen entstanden im Süd- und Nordwesten der Habsburgermonarchie neue Staaten (Königreich Italien, Deutsches Kaiserreich), zum anderen gab es eine ganze Reihe von militärischen Konflikten. Hier sei nur auf die Kriege mit österreichischer Beteiligung verwiesen: 1848/49 gegen Piemont-Sardinien, 1859 gegen Frankreich und Piemont-Sardinien, 1864 mit Preußen gegen Dänemark, 1866 gegen Preußen und Italien und den Okkupationsfeldzug in Bosnien und der Herzegowina 1878/79. Inwiefern diese hier skizzierten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Ereignisse Hundeggers Lebenswelt beeinflusst haben beziehungsweise inwieweit er sich mit ihnen auseinandergesetzt hat, wird im Rahmen dieser biographischen Annäherung zu untersuchen sein.

    2.1 Die Eltern

    Joseph Nikolaus Hundegger entstammte einfachen Verhältnissen. Er kam am 9. September des Jahres 1788 in Hall in Tirol als Sohn des Salinenangestellten Andreas Hundegger und dessen Gemahlin Maria, geborene Kiechl, zur Welt. Der Vater verstarb noch vor Joseph Nikolaus’ Geburt. Da die Witwe Maria Hundegger in Hall offenbar keine Zukunftsperspektive für ihre Familie sah, übersiedelte sie mit ihren zwei Kindern zu ihrem Bruder Johann Kiechl, Landrichter in Sarnthein.¹⁰ Diese Entscheidung sollte sich für Joseph Nikolaus Hundegger vorteilhaft auswirken, da er nicht zuletzt dank der Förderung durch seinen Onkel das Gymnasium besuchen konnte. Trotz seiner Anfälligkeit für Krankheiten¹¹ gelang es ihm, die Schule erfolgreich zu absolvieren. Anschließend studierte er in Landshut und Erlangen Medizin und promovierte am 23. Juli 1811 zum Doktor der Medizin und der Chirurgie.¹² Nachdem er Praktika in bayerischen Lazaretten absolviert hatte, wurde ihm Telfs im Tiroler Oberland als Bestimmungsort zugewiesen. Es folgte eine Versetzung nach Kastelruth und schließlich nach St. Ulrich in Gröden. Während seiner Zeit in Gröden dürfte er auch seine spätere Gemahlin Theresia Insam kennen gelernt haben¹³, die er am 20. April 1819 heiratete.¹⁴ Wenn Dr. Hundegger nicht praktizierte, betätigte er sich literarisch und beschäftigte sich intensiv mit der tirolischen Geschichte sowie dem Grödner Dialekt. So soll er an einer Grammatik dieser Mundart gearbeitet haben, die aber unvollendet blieb. Von St. Ulrich wurde er nach Bozen und kurz darauf nach Griesbruck bei Klausen versetzt, wo er den Rest seines Lebens verbringen sollte. In dieser Südtiroler Kleinstadt betätigte sich Hundegger senior nebenberuflich als Verwalter der Wolkenstein’schen Güter. Vermutlich auf Grund dieser Tätigkeit erhielt die Familie eine Wohnung in einem Haus, das zum Besitz der Grafen Wolkenstein-Trostburg gehörte.¹⁵ Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Joseph Nikolaus Hundegger auf Grund seiner erworbenen Bildungsdiplome, seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit und seiner geisteswissenschaftlichen Interessen im Bildungsbürgertum¹⁶ des 19. Jahrhunderts zu verorten ist.

    Dissertation von Dr. Joseph Nikolaus Hundegger, Erlangen 1811, FA Preu/Hundegger.

    Über die Mutter, Theresia Hundegger, ist leider nicht sehr viel bekannt. Sie kam am 25. Jänner 1790 zu Griesbruck als Tochter des Josef Insam (1744–1826), Landrichter in Wolkenstein, und der Franziska, geborene Massl (1752–1834), auf die Welt.¹⁷ Dem eigenen Vernehmen nach konnte sie nur zwei Jahre lang die Schule besuchen. Dieses Ausbildungsdefizit führte dazu, dass sie ihr Leben lang Schwierigkeiten mit dem Schreiben und mit der Orthographie im Besonderen hatte. Sie schrieb die Wörter so, wie sie in der Mundart gesprochen wurden.¹⁸ Theresia Hundegger war – wie auch ihr Gemahl – sehr religiös. Ihren Kindern war sie eine liebende Mutter. Beispielsweise unterzeichnete sie Briefe an ihren Sohn Joseph stets mit der Wendung „Deine Dich liebende Mama. Ebenso lässt sich auch das Verhältnis der Kinder zur Mutter als innig bezeichnen. Dies legt zumindest die erhalten gebliebene Korrespondenz nahe. Pars pro toto sei hier nur auf folgende Passage aus einem Brief vom 5. Juni 1858 verwiesen: „[…] Lieber Pepÿ, Du bist so Besorgt vor mich und so mus ich wohl daussen mal Danken ÿeh vor alles und alles, Es gübt so vielle Küntter die froh weren wen die alten Ältern Sterben, und Ihr Seit alle so Besorgt vor mich und ich kann nichts mehr dunn, als Gott Bitten um Sein Segen […].¹⁹ Aus diesen Zeilen wird auch deutlich, dass die Mutter die Zuneigung ihrer Kinder keineswegs als Selbstverständlichkeit ansah und diese daher umso mehr zu schätzen wusste.

    2.2 Kindheit und Schulzeit

    Geboren wurde Joseph Carl Nikolaus Hundegger am 17. April 1823 in Griesbruck bei Klausen, Nummer 256, als erster Sohn des Dr. med. Joseph Nikolaus Hundegger und seiner Gemahlin Theresia. Noch am selben Tag fand die Taufe nach katholischem Ritus im Beisein seines Onkels und Taufpaten, Nikolaus Insam, Patrimonial-Landrichter zu Gufidaun, statt.²⁰ Joseph war –, nach Maria (1820–1821) und Franziska Romana, genannt Fani (1821–1853), – der dritte Sprössling seiner Eltern. Anton Richard, genannt Toni (1824–1897), Christian (geboren und gestorben 1827) sowie Leopold Johann Baptist, genannt Poldi (1828–1906), vervollständigten die Familie. Wenngleich es auch manchmal Meinungsverschiedenheiten beziehungsweise Konflikte zwischen den Brüdern gab²¹, so lässt sich das Verhältnis der Geschwister zueinander – nach Sichtung der überlieferten Familienkorrespondenz – insgesamt als herzlich bezeichnen.²² Zeitlebens standen sie in intensivem brieflichen Kontakt miteinander, nahmen regen Anteil an den Erlebnissen des jeweils anderen und tauschten sich über historische, heraldische und politische Fragen aus, sodass ihre Korrespondenz eine bedeutende Quelle für diese biographische Skizze ist.

    Die Quellen zur Kindheit Joseph Hundeggers fließen leider nur spärlich. Die vorhandenen Schriftstücke erlauben es nur, einige Streiflichter auf diesen Lebensabschnitt zu werfen. Im Alter von sechs Jahren begann für ihn die Schulzeit²³, und das erste erhaltene Zeugnis aus dem Juni 1835 belegt, dass er die Musterschule in Klausen besucht hat.²⁴ Im September desselben Jahres bestand er an der k. k. Hauptschule zu Meran die Privatprüfung „aus den Lehrgegenständen der dritten Klasse" und war daher zum Aufstieg in die erste Gymnasialklasse berechtigt.²⁵ Der zwölfjährige Bub trat daher gemeinsam mit seinem Bruder Anton in das Benediktiner-Gymnasium der Patres von Marienberg in Meran ein. Diese Lehranstalt verfügte über sieben Klassenräume, in denen jeweils 40 bis 50 Schüler Platz fanden. Den größten Raum im Schulgebäude nahm der Schlafsaal ein, welcher sich über zwei Stockwerke erstreckte.²⁶ Die erste Klasse Gymnasium des Schuljahres 1835/36 zählte nicht weniger als 48 Schüler. Allerdings nahm die Klassengröße tendenziell ab, je höher die Schulstufe wurde. So besuchten neben Joseph Hundegger nur mehr 20 weitere Jugendliche die sechste und letzte Gymnasialklasse (1840/41). Die Anzahl der Mitschüler hatte sich in diesen sechs Jahren also mehr als halbiert.²⁷

    Im Österreich des Vormärz gab es bereits exakt festgelegte Lehrpläne und gemäß diesen wurden Latein, Griechisch, Mathematik, Geographie, Geschichte, Religion und Altertümer an den Gymnasien unterrichtet. Insgesamt hatten die Schüler bei den Benediktinern von Marienberg wöchentlich 18 Stunden Unterricht zu absolvieren, wobei das Lateinstudium die meiste Zeit in Anspruch nahm.²⁸ Allerdings dürfte es mit der Qualität des Unterrichts nicht gerade zum Besten gestanden sein. Adolf Pichler, der in den 1830er Jahren das Gymnasium besucht hatte, urteilte später über die schulische Ausbildung in jenen Tagen:

    Weil jeder Professor alle Fächer vorzutragen hatte, darf man sich nicht wundern, wenn Geographie, Geschichte und Mathematik […] ziemlich kurz kamen. […] [D]ie Kenntniß deutscher Sprache und Literatur²⁹ war ohnehin im Staate Metternichs ausgeschlossen, so daß angehende Akademiker keinen Satz nach den Regeln der Syntax zu gliedern oder auch nur orthographisch zu schreiben vermochten […].³⁰

    Den Noten nach zu schließen scheint das Gymnasium dem Schüler Hundegger keine allzu großen Probleme bereitet zu haben. Das erste Semester schloss er als Elfter von 48 Schülern ab, obwohl er längere Zeit ernstlich krank gewesen war.³¹ Anfang November 1835 hatte er sich nämlich ein „heftiges Katarrhal-Fieber zugezogen.³² Sein Zustand verschlechterte sich zusehends; das Fieber stieg und er verlor öfters das Bewusstsein. Im Internat war man sehr besorgt um den Zögling. Schließlich wurden ihm sogar die Sterbesakramente verabreicht.³³ Noch 22 Jahre später erinnerte sich seine Mutter mit Schrecken an diese Zeit. So schrieb sie ihrem Sohn 1857: „[…] disen Dag wertte ich auch nie vergessen, woh ich dich in Meran so krank gedrofen habe, und was noh hertter wahr, dich zu verlasen mit den gedanken Pepÿ nicht mer auf dieser Welt sehen, ich kontte nicht Esen und nicht Schlafen […].³⁴ Erst Mitte November besserte sich sein Zustand etwas. Die Genesung ging zwar nur langsam, dafür aber stetig voran und am 6. Jänner 1836 konnte er seinen Eltern freudig berichten, dass er wieder „ganz gesund sei.³⁵ Allen gesundheitlichen Widrigkeiten zum Trotz gelang es Hundegger weiterhin gute schulische Leistungen zu erbringen und die Lehrer, zu denen auch der berühmte Historiker Albert Jäger³⁶ zählte³⁷, beurteilten seine Leistungen durchwegs mit „sehr gut oder „gut. Über die schulischen Leistungen ihrer Sprösslinge wurden die Eltern regelmäßig von den Professoren informiert und aus diesen Briefen geht hervor, dass die Pädagogen mit dem Lernerfolg der Buben stets zufrieden waren. Selbst der Präfekt des Internats, Placidus Degeser, war voll des Lobes und drückte das in einem Brief an Dr. Joseph Nikolaus Hundegger mit folgenden Worten aus: „[…] schätzen wir uns glücklich, so wohl erzogene u. von Seite des Kopfes u. Herzens gut begabte Jünglinge unter unsere Zöglinge zu zählen. Jede Mühe, die ihnen gewidmet wird, belohnt sich schnell […].³⁸ Allerdings kritisierte er „[…] bey Joseph die Bequemlichkeit, u. den Hang zu brummen u. alt zu thun […]."³⁹

    Nachdem die zwei Brüder sechs Jahre hindurch das Gymnasium besucht hatten, schlossen sie es im Juli 1841 erfolgreich ab. Bereits im Frühjahr dieses Jahres hatte sich ihr Vater Gedanken über ihre Zukunft gemacht und er fasste den Entschluss, seinen Söhnen zweijährige philosophische Studien zu ermöglichen. Nun galt es die Frage zu klären, ob die Buben in Innsbruck oder in Trient studieren sollten. Für Trient sprach, dass sich Joseph und Anton Hundegger dort die italienische Sprache aneignen konnten, und daher tendierte ihr Vater dazu, seinen beiden ältesten Söhnen in besagter Stadt eine Ausbildung zu ermöglichen. Auch der zu Rate gezogene Albert Jäger meinte, dass die Möglichkeit, Italienisch zu erlernen, alle Vorteile eines Studiums in Innsbruck aufwiegen würde.⁴⁰ Somit war die Entscheidung gefallen und der 18-Jährige begab sich gemeinsam mit seinem Bruder Anton an das „Istituto Filosofico nach Trient, wo die beiden für die kommenden zwei Jahre studieren sollten. Wie kann man sich nun die Umgebung vorstellen, in der sie ihren Studien nachgingen? In einem zeitgenössischen Reisehandbuch wurden Lage und Klima der Stadt wie folgt charakterisiert: „[Trient] ist in einer reizvollen Ebene zwischen Bergen an der Etsch gelegen über welche eine bedeckte hölzerne Brücke führt. Der Sommer ist unerträglich heiß, der Winter ist sehr kalt; doch die Luft ist ziemlich rein.⁴¹ Die Bischofsstadt umfasste rund 780 Häuser und zählte knapp 12.000 Einwohner. In den zahlreichen engen Straßen

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