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Schritt für Schritt mit mir in die Politik: Oppositionelle Aktivitäten eines persischen Jungen
Schritt für Schritt mit mir in die Politik: Oppositionelle Aktivitäten eines persischen Jungen
Schritt für Schritt mit mir in die Politik: Oppositionelle Aktivitäten eines persischen Jungen
eBook410 Seiten6 Stunden

Schritt für Schritt mit mir in die Politik: Oppositionelle Aktivitäten eines persischen Jungen

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Über dieses E-Book

Ein 16-jähriger Junge lebt in einer kleinen persischen Hafenstadt inmitten seiner Großfamilie. Nach der Revolution erfassen ihn die oppositionellen Strömungen und er lässt sich zu immer gefährlicheren Aktionen hinreißen. Schon bald fängt er damit an, Anhänger für seine Regimegegner-Partei zu rekrutieren. Als zwischen der islamischen Regierung und den Widersachern eine bewaffnete Auseinandersetzung ausbricht, werden die Mitglieder und Anhänger nach und nach an die Grenze zwischen Iran und Irak gebracht. Dies kann meist nur über Umwege bewältigt werden und so kommt es, dass seine lebensgefährliche Reise ihn zuerst in die Türkei und von dort in den Irak führt. Die Mujaheddin versuchen, nach der "Umsiedlung" mit immer neuen Methoden das iranische Regime zu vernichten - dabei werden alle Mitglieder aufgefordert mitzumachen. Doch das neueste ihrer Experimente akzeptiert er nicht und läuft Gefahr, eingesperrt zu werden.
SpracheDeutsch
Herausgebernovum pro Verlag
Erscheinungsdatum27. März 2015
ISBN9783990387658
Schritt für Schritt mit mir in die Politik: Oppositionelle Aktivitäten eines persischen Jungen

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    Buchvorschau

    Schritt für Schritt mit mir in die Politik - Reza Kamyab

    Flughafen

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

    Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    © 2015 novum Verlag

    ISBN Printausgabe: 978-3-99038-764-1

    ISBN e-book: 978-3-99038-765-8

    Lektorat: Susanne Schilp

    Umschlagfoto: Reza Kamyab

    Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

    www.novumverlag.com

    Einleitung

    Dies ist eine wahre Geschichte, die einen politisch-militärischen Kern beinhaltet. Ich beschloss, sie als ein Buch zu verfassen und es Ihnen, den geschichtsinteressierten Lesern, zur Verfügung zu stellen. Um die Sicherheit einzelner Personen nicht zu gefährden, wurden die Rufnamen größtenteils geändert.

    In den ersten zwei Jahren nach der 1979er-Revolution begann eine politische Zeit, in welcher die iranisch islamische Republik ihren Mitbürgern die Freiheit – zumindest die der Meinungsäußerung, die das Recht eines jeden Menschen ist – stark einschränkte. Jedes Widerwort in diesem Zusammenhang hatte Beschimpfungen und Angriffe mittels Holzstöcken, Steinen und Messerstichen zur Folge. In folgender Zeit gab es auch zusätzlich Festnahmen wie auch Foltereien. Die Gefangenen wurden gezwungen, die gewünschten Aussagen zu treffen, sonst wurden ihre Frauen oder andere Familienangehörige vor deren Augen gefoltert, vergewaltigt und sogar getötet. Eine andere Methode war, den Häftlingen Drogen zu spritzen, weil diese Menschen nach der Freilassung durch die Abhängigkeit nicht mehr aktiv in der Politik mitwirken konnten.

    Die Staatsmacht hat unzählige solche oder noch härtere Methoden verwendet, um die Bevölkerung zu unterdrücken … Das Regime ließ das Land in den nächsten drei Jahrzehnten kulturell um ein Jahrhundert zurückfallen und bescherte seinen Einwohnern Armut, Sucht, Gefängnisstrafen, Lügen, Erhängen und jede Menge schlechtes Ansehen in der Außenwelt mit dem Maximum an Systemlosigkeit und den Zwang, sich voller Schamgefühl von den Weltneuheiten sowie Entwicklungen zu entfernen und sich deshalb zurückziehen zu müssen.

    Diesen Abschnitt der Verteidigung, welcher mit schönen und traurigen Erinnerungen sowie nützlichen Erfahrungen einhergeht, möchte ich allen freiheitsliebenden Lesern insbesondere der jüngeren Generation, die mit viel Stolz und Interesse dem wichtigsten Teil einer Gesellschaft angehört, zur Verfügung stellen.

    Der Beginn meiner politischen Aktivitäten

    Mein Vater hat, wie an jedem anderen Tag auch, schon früh das Radio eingeschaltet und laut gedreht, um einerseits selbst dem morgendlichen Programm zuzuhören und andererseits, um mithilfe der Lautstärke mich aufzuwecken. Ich versuchte, durch die dicke Decke, die ich über meinen Kopf zog, die Stimme zu überhören, doch es gelang mir nicht. Mehrmals versuchte ich, mich aufzusetzen, doch die Müdigkeit zog mich immer wieder ins Bett zurück. Am Tag zuvor hatte ich Fußball gespieltund war hundemüde heimgekehrt. Wegen der Rufe meiner Mutter zwang ich mich endlich aufzustehen. Viel Zeit, um mich für die Schule fertig zu machen, blieb mir nicht. Schnell wusch ich mir das Gesicht und setzte mich an den Frühstückstisch zu meinen Eltern.

    Meine Mutter stellte mir ganz vorsichtig die volle Teetasse mit einer sehr schönen Untertasse hin, ich warf einige Zuckerstücke hinein und verrührte sie mit dem Löffel. Wie gewöhnlich aß ich das Fladenbrot, das mein Vater am Abend zuvor gekauft hatte, mit Schafkäse. Er selbst, der bereits vor mir gefrühstückt hatte und genug Zeit hatte, um sich auf seine Arbeit vorzubereiten, trank bereits seinen zweiten Tee und unterhielt sich ab und zu mit meiner Mutter. Ich beeilte mich beim Essen, um pünktlich zu meinem Treffpunkt mit meinen Freunden zu kommen. Nach der frühen Mahlzeit begab ich mich in das andere Zimmer, um mich fertig zu machen und einige Minuten später lief ich zur Schule los, die circa 5 bis 6 Kilometer entfernt war.

    An diesem Morgen lag dichter Nebel über dem ganzen Weg und ließ den Sonnenaufgang verschwinden. Ich lief schneller und schneller, bis ich endlich am Haus eines meiner Freunde ankam, doch es war keiner zu sehen. Sie waren wohl schon fort und ich hatte sie verpasst. So hetzte ich weiter und kam an eine viel befahrene Straße. Ungefähr alle paar hundert Meter strich ich mir über meinen Kopf, der von den Wassertropfen schon nass wurde. Nach einer Weile erreichte ich endlich die Straße, in der sich unser Schulgebäude befand. Dort traf ich auf mehrere Gruppen von Schülern, die sich unterhielten.

    Während ich nachdenkend, den Kopf nach unten geneigt, mich auf den Weg zum Innenhof machte, kam ich an einer der Schülergruppen vorbei und hörte ein leises „Hallo". Da drehte ich mich um und sah, dass es Kiumars war.

    Er zählte zu den besterzogenen und diszipliniertesten Schülern. Ich blieb stehen, begrüßte ihn und er kam auf mich zu. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg und unterhielten uns. Er sagte: „Hey Reza, ich habe mich nur kurz mit den anderen unterhalten und schon wurde mein Kopf nass." Ich wies ihn auf mein tropfendes Haar hin. Er lächelte mich an und fragte, warum ich nicht mit meinen Jungs gekommen sei, worauf ich ihm dann vom erschwerten Aufstehen durch meine Müdigkeit und meinem Zeitmangel berichtete.

    Ich erkundigte mich nach einem unserer Lehrer, der letzte Woche nicht zur Schule gekommen war und durch einen anderen vertreten wurde. Er sagte, er hätte ihn vorige Woche sogar in der Stadt getroffen und sich mit ihm unterhalten, er habe ihm von seiner Erkrankung erzählt und sei davon ausgegangen, diese Woche wieder zum Unterricht zu kommen.

    Beim Plaudern erreichten wir den Innenhof und ich sah zwei von meinen Freunden, mit denen ich zur Schule gehen wollte. Ich zeigte sie meinem Begleiter und bat ihn, mit zu ihnen zu kommen. Bis zum Gong standen wir im Kreis und unterhielten uns über die Fächer, die bevorstehenden Klassenarbeiten und weitere Themen.

    Als es läutete, gingen wir in die Klasse zu unseren Plätzen. In der ersten Stunde hatten wir einen Lehrer, der einen besonderen Respekt bei den Schülern erzeugte. Er betrat den Klassenraum, wir standen ehrfürchtig auf und er erlaubte uns mit „Bitte setzt euch", wieder Platz zu nehmen und begann mit dem Unterricht.

    Der Lehrer nahm das Buch eines Schülers und begann, daraus vorzulesen. Danach beantwortete er Fragen, dabei stellte er sich an die Tafel. Ungefähr eine Viertelstunde war bereits seit Beginn des Unterrichts vergangen, als es an der Klassentür klopfte. Der Lehrer fragte „Ja, bitte, wer ist da?", während er mit der Kreide was an die Tafel schrieb. Es war Keywan, einer von meinen drei besten Freunden. Er bat um die Erlaubnis, den Klassenraum zu betreten und bekam diese, obwohl der Lehrer in der Regel auf Unpünktlichkeit verärgert und unfreundlich reagierte und manchmal sogar Strafarbeiten verordnete. Diesmal sagte er aber nichts und machte mit dem Unterricht weiter. Keywan war einer der Fleißigen unter uns, mit den besten Noten in allen Fächern.

    In der ersten Pause stürmten alle Schüler raus. Einige verteilten sich auf dem Pausenhof, andere blieben im Flur stehen und wieder andere standen am Kiosk an, um sich etwas zum essen oder trinken zu kaufen. Ich holte mir ebenfalls etwas und stellte mich neben meine drei besten Freunde und unterhielt mich mit ihnen. Nach der halbstündigen Pause gingen wir in den Klassenraum zurück. Diesmal hatten wir eine Lehrerin in der Stunde, die von weit her anreiste. Sie wohnte rund40 Kilometer entfernt von der Schule und war sehr ernst. Ihr Vater war einer der Mullahs der Stadt. Sie setzte sich auf ihren Stuhl hinter dem Lehrertisch und begann mit dem Unterricht.

    Es war eine halbe Stunde vergangen, als es wieder klopfte. Die Lehrerin stand auf, ging an die Tür und machte sie halb auf, sodass kein Gesicht zu erkennen war. Man konnte nur hören, wie die Person nach Kiumars fragte, es sei dringend. Die Lehrerin zögerte nicht und rief den Schüler zu sich an die Türe, es sei Morteza, der ihn sprechen wolle.

    Er stand still von seinem Platz auf, ging durch die Tür raus und kam anschließend mit einem Päckchen wieder. Die Lehrerin fragte ihn, um was es ging. (Der Junge gehörte zu einer Gruppe von Volksmujahedin¹, die sich jeden Morgen an die Schule stellten und dort die Magazine der Organisation² verkauften). Er antwortete: „Morteza hatte sich einige meiner Bücher ausgeliehen und hat diese nun zurückgebracht."

    1 Volksmujahedin: eine Organisation mit islamischer Ideologie, die im Jahre 1965 gegründet wurde und eine islamische Demokratie erreichen will.

    2 Volksmujahedin-Magazin: eine Zeitschrift, die jede Woche einmal erscheint und die Meinung, das System, die Ideologie und vieles mehr der Organisation beinhaltet.

    Die Lehrerin akzeptierte die Antwort und machte weiter mit ihrem Unterricht. Als es zur zweiten Pause gongte, wollte ich mich wie die anderen auf den Weg machen. Kiumars jedoch rief mich zu sich und bat mich, drinnen zu bleiben, da er mich sprechen wollte.

    Er erzählte mir von den Zeitschriften, die ihm Morteza gegeben hatte, um diese zu verkaufen und berichtete mir von seiner Angst, die Lehrerin könnte es mitgekriegt haben. Er bat mich, das Päckchen in meiner Schulbankablage bis zur letzten Stunde aufzubewahren, denn wenn die Lehrerin den Direktor informierte, würden sie seine möglicherweise durchsuchen (im Schulhof war der Verkauf von Magazinen strengstens untersagt).

    Es machte mir nichts aus, also nahm ich das Päckchen an mich und versteckte es bei mir. Wir gingen gemeinsam in die Pause und nach Schulschluss bekam er sein Bündel wie vereinbart zurück. Er bedankte sich mehrmals und lief mit den Zeitschriften raus.

    Wie an jedem anderen Tag auch, lief ich zu meinen Freunden und wir machten uns gemeinsam auf den Heimweg, unterhielten uns währenddessen über die Schule, Fußball, Mädels und erzählten uns Witze, bis jeder an seiner Haustür ankam.

    Am darauf folgenden Tag eilte Kiumars nach der Schule raus und begann mit dem Verkauf der Zeitschrift „Mujahedin auf der Straße. Ich verabschiedete mich von ihm, bevor ich mich mit meinen Freunden auf den Heimweg machte. Er rief mich zu sich zurück und drückte mir eines der Magazine kostenlos in die Hand, ich nahm es an mich und ging dankend zurück zu meinen Jungs. Einer meiner Freunde fragte mich erstaunt, ob ich gerade ein Magazin bekommen hätte. Ich antwortete: „Ja, sogar kostenlos! Ein anderer meinte: „Schön, ab jetzt kriegst du sogar umsonst Hefte!!! Ich wusste nicht, was es daran auszusetzen gab, da ermahnte mich mein Freund: „Wart’s mal ab, bald will er eine Gegenleistung. Außerdem sagte einer der Jungs: „Lass uns gehen, diese Gespräche machen ja keinen Sinn."

    Am dritten Tag traf ich in der Pause auf dem Schulgelände wieder auf Kiumars. Wir unterhielten uns über alltägliche Sachen, als er schließlich auf die politische Schiene wechselte. Einige Male zuvor hatte er schon versucht, mein Interesse für die Politik der Mujahedin und die Angriffe der Hizbollahs³ zu erwecken, doch nie zuvor hatte er so viel Erfolg wie an diesem Tag. Er betonte, wie schön es sei, wenn ich ihm nach dem Schulschluss bei dem Verkauf von den Zeitschriften behilflich sein könnte. Daraufhin antwortete ich nicht direkt. Dann fragte er mich gezielt nach meiner Meinung. Ich neigte den Kopf nach unten und schwindelte: „Leider habe ich heute keine Zeit. Er entgegnete: „Kein Problem, wir holen es nach, sobald du Zeit hast. Dann stellen wir uns auf die Hauptstraße an die Ecke und verteilen die Flugblätter oder fragen nach Spenden. Ich hielt es für keine schlechte Idee und versprach ihm zu helfen, sobald ich Zeit hätte.

    3 Hizbollah: gehörten zu den Befürwortern des Regimes, die die Gegner der Islamischen Republik beschimpften und mit Stöcken verprügelten. Nach dem 20.06.1981 wurden sie aber richtig bewaffnet.

    Nun lief ich zu meinen Jungs, machte mich wie gewöhnlich mit ihnen auf dem Heimweg und besprach Kiumars Idee mit ihnen. Einer von ihnen fragte mich, warum ich gelogen hätte und ihm nicht helfen wollte, ich hätte doch Zeit gehabt. Ich erwiderte, ich hätte heute keine Lust auszuhelfen. Ein anderer wiederum empfahl mir, mich gar nicht dazu bereitzuerklären und von vornherein die Wahrheit zu sagen, nämlich dass ich keine Lust auf solche Geldeintreibung hätte. Meine Freunde versuchten daraufhin, sich gegenseitig zu beruhigen und vermittelten mir ihre Zuversicht, ich wüsste schon, was ich täte. Sie wechselten das Thema, einer von ihnen sagte: „Hey Reza, meine Schwester und mein Schwager waren gestern zu Besuch und haben nach dir gefragt. Was hältst du davon, wenn wir sie am Wochenende besuchen gehen? Die haben einige hübsche Nachbarinnen, die du unbedingt sehen musst." Er grinste und ich nahm die Einladung gerne an.

    Der Verkauf der Volksmujahedin-Organisation-Zeitschriften

    In derselben Woche war es, dass Kiumars bei einem Gespräch in der Runde wieder mit politischen Themen begann, sodass die Jungs um uns das Feld räumten und nur noch wir beide stehen blieben. Er fragte mich, ob ich später Zeit hätte. Ich bejahte seine Frage nur verlegen und ungern. Er versprach mir, es würde nicht lange dauern und wir könnten anschließend zu ihm gehen, um dort zu lernen. Wir müssten schließlich den Hizbollah zeigen, dass wir nicht so faul und unerzogen sind wie sie!

    Ich bat meine Freunde, nach der Schule etwa eine halbe Stunde auf mich zu warten, damit wir gemeinsam nach Hause gehen könnten. Zwei von ihnen waren einverstanden, doch der Dritte warnte mich und sagte: „Reza, das wird das erste und letzte Mal sein, dass wir auf dich warten, weil du Zeitschriften verkaufen willst. Wir möchten nicht, dass du so endest wie dein neuer Freund." Also versprach ich ihm, es würde eine einmalige Sache sein und sollte ich mein Versprechen nicht halten, könnten sie ab jetzt ohne mich gehen.

    Nach der Schule eilte ich mit Kiumars raus, um die anderen Schüler auf dem Nachhauseweg abzufangen. Da wartete einer der Volksmujahedin-Organisationsmitglieder, das ich zuvor noch nie gesehen hatte und sich mit Morteza vorstellte. Er drückte uns die Magazine in die Hand und verschwand augenblicklich. Wir stellten uns zusammen an den Straßenrand zu den Passanten hin. Ich hielt die Zeitschrift mit dem Titel zu ihnen auf dem Brustkorb, damit sie die Vorderseite lesen und bei Interesse kaufen konnten. Kiumars gab mir den Tipp, alle Spenden entgegenzunehmen und falls jemand seinen Namen noch angeben wollte sollte ich nicht zögern und diesen aufschreiben, ansonsten wären die Spenden anonym.

    Nach den verabredeten 30 Minuten näherten sich meine Freunde und warteten in unmittelbarer Nähe auf mich. Dabei hatten wir noch nicht viel verkauft, er erst drei und ich nur zwei der Magazine, wobei wir noch von einem Lehrer Spenden entgegennehmen konnten. Zum Schluss nahm ich mir eine Zeitschrift mit und machte mich mit meinen Freunden auf den Heimweg, nachdem ich erklärt hatte es sei zum Lernen bereits zu spät geworden. Meine Freunde warteten zwar auf mich, doch einer von ihnen ging einige Schritte voraus und war ziemlich wütend und drohte mir damit, nicht mehr auf mich zu warten, wenn ich vorhätte, noch mal Zeitschriften zu verkaufen. Ich versprach: „Ist ja schon gut, ich sagte doch, es ist eine einmalige Sache gewesen. Beruhig’ dich mal!!!"

    Er war nicht so schnell zu besänftigen und erklärte: „Hör mal zu, Reza, diese Organisationen taugen nichts, ob Mujahedin oder regimefreundlich, welche auch immer. Die denken nur an ihre Vorteile und wie sie profitieren können. Um Leute wie dich und mich oder die armen Leute kümmert sich keiner, sogar diese Volkspartei⁴ oder auch die Organisation der Volksfedayin-Guerilla Iran OIPFG (Mehrheit)⁵ und die hier in der Schule aktive Hizbollah, oder wie sie sich alle nennen. Jeder von ihnen ist an seinen Gewinnen interessiert, glaube mir! Sie wollen nur für Unruhe sorgen und sonst nichts. Bald fängt die Klausurphase an und wir sollten uns eher auf das Lernen konzentrieren, statt uns mit solch einem Mist zu beschäftigen …" Ich ließ ihn nicht aussprechen und unterbrach ihn mitten in seinem Satz traurig, dass es nun reichen würde und ich nicht mehr mit Kiumars mitgehen würde. Es wäre eine einmalige Sache gewesen und ich hätte ihm doch nur helfen wollen. Er sagte enttäuscht, dass es meine Sache sei und ich es selbst entscheiden könnte, wann ich gehen und kommen möchte. Ich sei nicht gezwungen, auf ihn zu hören und keiner könnte mich davon abhalten, dies zu tun…

    4 Volkspartei: die Mitglieder dieser Organisation hatten eine kommunistische Ideologie und verteidigten nach der 79er-Revolution die islamische Republik Irans. Doch viele ihrer Führungspersönlichkeiten wurden kurze Zeit später festgenommen oder sogar erhängt, da man von ihrer Seite aus einen Putsch befürchtet hat.

    5 Organisation der Volksfedayin-Guerilla Iran OIPFG (Mehrheit): stammt aus der großen Organisation der Guerilla, welche sich auf die Ideologie des Karl Marx und Lenin bezieht und auch von den Reaktionen des Regimes überzeugt ist und dieses verteidigte, deren Grund aber viel mehr in ihrer antikapitalistischen Denkweise widerzuspiegeln war.

    Am nächsten Morgen stand ich mit einigen der Jungs auf dem Pausenhof und wir unterhielten uns, als zwei der Hizbollah auf uns zukamen und begannen, über die Mujahedin und ihren Führer Rajavi⁶ Schlechtes zu reden. Sie sagten, dass, seit dieser vor den Wahlen als Kanzlerkandidat nicht zugelassen worden war er in die Offensive ginge, um Unruhen zwischen der Bevölkerung und der Regierung zu stiften. Er hätte den ausländischen Mächten (Amerika und Russland) die Möglichkeit gegeben, das Land anzugreifen, damit diese sich im Land verbreiten und die Macht an sich reißen könnten. Der Zweite fügte noch hinzu: „Die Mujahedin verbreiten in ihren Zeitschriften Lügen über die islamische Regierung. Dabei sind es die, die vor der Revolution Irans für den Shah demonstrierten und heute Revolutionäre spielen … In diesem Moment schaute ich zu dem Zweiten hin und sagte: „Ihr könnt hier sagen und tun, was ihr wollt und keiner darf was dagegen äußern, denn sonst wird er als Regimegegner oder Shah-Anhänger abgestempelt oder er wird nutzlos und bedeutungslos für das Regime genannt. Denkt ihr, ihr wart die Einzigen, die revolutioniert haben? Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da kam Kiumars dazu und begann, sich auch mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Diskussion hielt über die ganze Pause an und blieb erfolglos, sodass jeder in seine Klasse verschwand.

    6 Massud Rajavi: der Führer der Volksmujahedin-Organisation

    Kiumars kam auch an diesem Tag zu mir und fragte mich, ob ich ihm beim Verkauf der Magazine helfen könnte, doch ich antwortete sofort mit Nein, aber versprach ihm meine Hilfe für den nächsten Tag. Ich half ihm wie versprochen am kommenden Tag und ab dann war es meine Aufgabe, täglich etwa eine halbe Stunde die Magazine zu verkaufen und für die Mujahedin Werbung zu machen. Inzwischen warteten meine Freunde nicht mehr auf mich.

    Die Tage vergingen und ich nahm mir immer mehr Zeit dafür, die Zeitschriften abzusetzen, aber auch um mich über die Organisation zu informieren und Ihre Zeitschrift erweckte mit der Zeit mein Interesse.

    Ich las und bemerkte die Übergriffe der iranischen Regierung gegenüber der Volksmujahedin, zum Beispiel hatte einer der Regimesoldaten eine Frau beim Verkauf von Zeitschriften beschimpft, geschlagen und ihre Blätter zerrissen oder ein anderer hatte in irgendeiner Stadt eine Frau wegen ein paar Haarsträhnen, die unter ihrem Kopftuch herausragten, beschimpft und mit Farbe bespritzt.

    Einem jungen Mann, dessen Hemd kurze Ärmel besaß, hatte man mit Messern in die Arme geritzt und dann wurde er festgenommen und die Religionswächter hatten ihn anschließend mit auf die Wache zum Verhör genommen und schwer missbraucht. Meine politischen Aktivitäten steigerten sich von Tag zu Tag, sodass ich an manchen Tagen sogar über eine Stunde mit dem Verkauf der Zeitschriften beschäftigt war. Ich verbreitete diese und weitere Nachrichten in meiner Schule unter meinen Mitschülern, doch ich fuhr auch ab und zu mal zu anderen Schulen, die nicht allzu weit von unserem Gebäude entfernt lagen, und informierte auch die dortigen Schüler mit einem anderen aus der Gruppe der Verkäufer, der mir von Kiumars vorgestellt worden war. Mein Interesse nahm stetig zu und damit breitete sich auch mein Aktivitätsgebiet aus. Ich verbreitete alle wichtigen Infos, die ich beim Lesen der Magazine zusammenfasste. Ich brachte sie unter die Menschen und informierte sie über die unfassbaren Taten der Regierung. Daneben wurden die Mitbürger von uns auch über die verschiedenen Tätigkeiten der Organisation gegen diese Aktionen in Kenntnis gesetzt. Einer von diesen Personen, die ich informiert habe, war mein Bruder, welcher später mit einigen anderen Mitgliedern die Aktivitäten der Mujahedin ausweitete. Wir hatten permanente Auseinandersetzungen nicht nur mit der Hizbollah, sondern auch mit anderen Parteien wie der OIPFG – „Mehrheit", da diese der Ansicht waren, ein Kampf gegen die iranische Regierung wäre nicht angebracht und eine Schwächung der Regierung wäre nicht richtig, denn es würde den ausländischen Mächten das Einmischen vereinfachen.

    Die Tage vergingen und unsere Werbeaktionen wuchsen bis circa eine Woche vor „Aschura"⁷. Unsere Organisation vereinbarte eine Demonstration, die mehr denn je zur Aufdeckung der Regierungstaten diente und so trafen sich alle Parteifreunde, die in der Stadt wohnten, in der Moschee. Es war geplant, nach der Teilnahme an der Gesangsveranstaltung „Marzieh" zusammen in die Stadt zu gehen, um dort bei einer Sitzung der Rede eines Mitgliedes zuzuhören.

    7 Aschura: ist ein religiöser Feiertag, an dem alle schiitische Moslems auf der ganzen Welt am Todestag des dritten Imams –, dem Enkel vom Mohammad – an Hussein gedenken. Bei der Trauerfeier schlagen sich die Menschen mit Händen auf die Brust oder mit einer Kette auf den Rücken und singen dabei Trauerlieder, „Marzieh", (Lieder über Hussein und andere Propheten), um den Schmerz nachzufühlen.

    Es war zehn Uhr morgens des Aschuras und ich machte mich auf den Weg zum Treffpunkt. Ich wartete an einer Ecke – wie vorher vereinbart – auf Kiumars, als ich ihn mit einigen anderen Anhängern, die mir nicht alle bekannt waren, auf mich zukommen sah. Von dort aus sollten wir loslaufen. Die Männer wurden mir vorgestellt und anschließend gingen wir gemeinsam in die Moschee, nachdem wir die Schuhe ausgezogen hatten. Im Gotteshaus saßen bereits um die 30 bis 40 Personen, zwischen denen auch mein Bruder zu sehen war. Einige der Anhänger und Mitglieder hielten die Plakate der Führung, die iranische Flagge oder Tafeln mit Sprüchen revolutionärer Art in der Hand. Da der Fußboden komplett mit Teppich ausgekleidet war, setzten wir uns darauf. Kaum saßen wir da, flüsterte Kiumars mir ins Ohr, dass er sich über meine Anwesenheit dort sehr freue. Wir waren bereits eine halbe Stunde dort, als es mir auffiel, wie immer mehr Anhänger hereinkamen. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, wie viele Unterstützer die Partei besaß. Nun standen die Organisatoren von ihren Plätzen auf und forderten uns auf, gemeinsam in die Stadt zu gehen. Wir zogen uns die Schuhe an und folgten den anderen. Draußen bildeten wir Reihen. In der ersten Reihe standen die, die irgendwelche Flaggen, Bahnen oder Plakate trugen. In unserer Nähe liefen einige herum, die auf ihren Oberarmen die Zeichen der Organisatoren trugen, und sorgten dafür, dass alles friedlich lief. Wir standen bereit für den Protestmarsch und einer der Veranstalter hatte ein Mikrofon bei sich, womit er den Start ankündigte. Mit einem Klagelied, einem „Marzieh, begann die Kundgebung. Vom Moscheeausgang bis zur ersten Hauptstraße waren es circa zwei bis drei Minuten zu Fuß und wir kamen an dem geplanten Ort an. Dort waren sehr viele Gruppen wegen der Trauerfeier. Die Bürgersteige waren voller Menschen, welche sich das Spektakel anschauten. Wir schafften es mithilfe des Aufsichtspersonals, den Trauergruppen näher zu kommen. Langsam liefen die Gruppen, die Trauerlieder singend und die Brust schlagend, weiter, auch wir gingen in unserer Gruppe so weiter. Wir erregten sehr viel Aufmerksamkeit und einige junge Leute schlossen sich unserer Gruppe an. Aufgrund der Menschenmenge konnten die Autos nur noch in eine Richtung fahren und dies mit geringer Geschwindigkeit. Wir liefen bei dieser Zeremonie eine Strecke, die normalerweise 10 Minuten dauerte, in einer Dreiviertelstunde ab, bis wir an dem abgesprochenen Treffpunkt ankamen, wo die Rede gehalten werden sollte. Dort standen wir in der Nähe eines Lasters, der vorher schon von den Mitgliedern der Organisation dort geparkt worden war. Als alle dort zusammenkamen, umkreiste uns das Aufsichtspersonal, damit die anderen Trauergruppen an uns vorbeilaufen konnten, ohne unsere Rede groß zu stören. Drei der Mitglieder stiegen auf den Laster und einer von ihnen nahm ein Mikrofon in die Hand und begann zu sprechen. Er fing seine Rede im Namen Gottes und der Sieger des Irans an. Dann las er auf Arabisch eine Sure (Abschnitt) aus dem Koran vor und erklärte die Bedeutung auf Persisch dazu: „Wir stammen von Gott und werden auch zu diesem zurückkehren. Außerdem fügte er hinzu, dass wir an dem Tag des Aschura zusammenkämen, da es sich um einen Tag des Islams handele, um den jeder Moslem und gerade wir Mujahedin trauerten, denn unser dritter Imam Hussein wurde in Kerbela (eine heilige Stadt im Irak) Opfer unfassbarer Unterdrückung und musste sein Leben dafür opfern. Er beugte sich aus Respekt diesem gegenüber und bat uns, diesen Tag als einen heiligen zu ehren und zu versuchen, wie unser Imam auch gegen Ungerechtigkeit (sprich die Iranische Republik) zu kämpfen. Er sprach ungefähr sieben bis acht Minuten über diesen Tag, als sich uns noch weitere anschlossen. Diese Gruppen waren interessiert zu wissen, wer wir seien und welcher Organisation wir angehörten und was der Grund unseres Treffens sei. Ein anderer der drei Männer auf dem Laster hatte einen Zettel in der einen Hand und nahm das Mikrofon in die andere Hand und begann über die derzeitige Situation der Bevölkerung zu sprechen. Auch er begann seine Rede im Namen Gottes und der Sieger Irans und sagte: „Meine trauernden Brüder und Schwester, heute ist der heilige Tag Aschuras und wir sind zusammengekommen, um die Vergangenheit ein weiteres Mal Revue passieren zu lassen. Vor der Revolution machte sich ein Diktator – sprich Shah – das Leben auf Kosten des Volkes schön. Er verkaufte unser Erdöl zu Spottpreisen und gab all den Reichtum der Nation in fremde Hände. Er setzte sich über die Menschenrechte hinweg und wurde immer reicher. Mit dem Geld machte er Auslandsreisen und das, während unsere Mitbürger unter Hunger und Armut litten. Wenn es Widersprüche und Kritik gab, wurden seine Gegner festgenommen, geschlagen und sogar erhängt von der „Savak, der Geheimpolizei des Landes. Doch trotz allem haben sie es nicht geschafft, ihre Regierung fortzusetzen und die Bevölkerung hielt durch. Viele junge Menschen nahmen ihren Mut zusammen und kämpften für unsere Rechte. Doch nun sind welche an der Macht, die die Mühe dieser Leute mit den Füßen treten und meinen, sie seien es, die revolutioniert haben. Sie nehmen es sich heraus, mit etwas Propaganda zu machen, was sie nicht selber taten. Sie versprachen die freie Meinungsäußerung, unzensierte Presse und freie unabhängige Wahlen sowie ein besseres Leben für die Menschen durch den Verkauf der Ölreserven usw. Sie machen die Revolution der Bevölkerung zu ihrer eigenen, doch wir sehen, dass es leere Versprechungen waren, welche sie nie verwirklichen wollten. Sie bewirkten den Beginn einer neuen Phase und damit eine Zeit der Folterung der Menschen, des Schlagens unserer Mujahedin-Schwestern und –Brüdern, während sie unsere Zeitschriften verkaufen. Sie vernichten und verbrennen viele Bücher verschiedener Gruppen, beschimpfen unsere Frauen, wenn diese sich nicht so verhüllen, wie sie es vorgeschrieben bekommen. Unsere Männer werden mit Farben überschüttet, wenn sie kurzärmelige Hemden oder T-Shirts anziehen, sie werden festgenommen und in den Gefängniszellen geschlagen und gefoltert. Das ist das, was aus ihren Versprechungen bei der Revolution geworden ist! Sie haben es geschafft, die Mühe der Menschen zu ihren Gunsten zu nutzen. Unsere Männer und Frauen leiden darunter und bringen Opfer. Kinder (Mujahedin nannten ihre Mitglieder Kinder), nun könnt ihr selber urteilen! Bedeutet das wirklich Freiheit, wie sie mit unseren Mitmenschen umgehen? Warum müssen wir ihren Attacken mit Stöcken und Messern schutzlos ertragen? Wie lange müssen wir sie noch aushalten? Welche Schuld wird dem Volk zugewiesen, welches nur Freiheit fordert …?

    Seine Rede dauerte circa eine Dreiviertelstunde. Er bedankte sich am Ende bei allen Anhängern, Mitgliedern und Demonstranten dafür, dass sie die Ruhe bewahrten und dabei seien. Wir unterhielten uns untereinander nach dem Schlusswort und ich lernte dabei viele Mitglieder, die ich zuvor nicht gesehen und begegnet hatte, kennen.

    Nach diesem Tag verbrachte ich noch mehr Zeit mit der Organisation und erweiterte meine Aktivitäten. Nachmittags machte ich mich mit zwei oder drei Mitgliedern auf den Weg zu anderen Schulen und wir verkauften dort und auf den Straßen die Zeitschriften. Andere Orte wie die Cafés oder Fußballplätze oder sogar Schulhöfe, die weiter weg waren, erreichten wir mit unseren Mofas, wobei uns manche Einrichtungen keinen Eintritt gewähren wollten.

    Wir sprachen dort mit den Menschen und warben um neue Kräfte. Wir wurden mehrmals von den zuständigen Lehrern, die auf der Seite der Regierung waren, sogar ermahnt und uns wurde damit gedroht, dass wir schlechtere Noten bekommen würden, doch sie hatten keinen Erfolg damit, denn wir standen in der Schule meistens gut und bereiteten uns gewissenhaft auf die Fächer vor. Auf der anderen Seite gab es auch immer irgendwelche andere Lehrkräfte, die nach der Schule unsere Magazine kauften und uns Geld spendeten.

    Die Wochen und Monate verbrachten wir mit dem Verkauf und dem Bewerben der Zeitschriften sowie der Aufklärung der Menschen über die Sicht der Mujahedin und auch über tägliche Ereignisse. Von Tag zu Tag stand es schlechter um unsere Partei. Täglich wurden unsere Anhänger geschlagen, ihre Magazine zerrissen, sie wurden festgenommen. Es gab keine Auszeit, in der wir von den Machthabern und ihren Anhängern in Ruhe gelassen wurden. Die Organisation kritisierte dieses Verhalten auch in ihren Zeitschriften, doch das Regime zeigte sich unbeeindruckt und machte dort weiter, wo es aufgehört hatte und wurde sogar noch unerbittlicher. Es ging so weit, dass man ein paar der Mitglieder entführte und so versuchte unsere Aktionen zu unterbinden. Wir waren gezwungen unsere Aktivitäten mit mehr Vorsicht zu gestalten und wählten einen neuen Weg, diese fortzusetzen.

    Der 30.03.1360 (20.06.1981)

    Nach zähen Verhandlungen – währenddessen sogar ein Treffen der beiden Vorgesetzten der Mujahedin mit dem geistlichen Führer Chomeini kein Ergebnis gebracht hatte – wurde beschlossen, dem Ganzen ein Ende zu setzen und gegen die Staatsmacht mehrere Großdemonstrationen in allen wichtigen Städten des Landes zu starten.

    In der Hauptstadt Teheran in und rund um eine Sportanlage namens „Amjadiye" waren etwa eine halbe Million Menschen zusammengekommen, um die Rede des Massud Rajavi über den Umgang des Regimes, die Folterungen der Mitglieder und sogar das Töten dieser zu hören. Er predigte an diesem Tag, dass es nur eine Möglichkeit gebe, gegen die Mordversuche und Folterungen des Systems und damit für das Freikommen aus dem Gefängnis, so nannte er die Situation Irans, zu kämpfen … mit Waffen! Nach dieser Ansprache gingen die Leute auf die Straßen und demonstrierten gegen die rücksichtslose Regierung. Sie riefen gemeinsam ihre Sprüche. Diese Rufe hatten aber auch Folgen, denn die Machthaber ließen es sich nicht gefallen und ergriffen Gegenmaßnahmen, schickten ihre Soldaten in die Menge und attackierten jeden der Demonstranten, ob Mann, Frau oder Kind, sogar Schwangere blieben nicht unverschont. Sie griffen die Leute mit Stöcken, Messern und Schwertern an. Einige nahmen sie fest, brachten in dunkle Zellen und folterten sie dort weiter. Diese anfänglichen Demonstrationen gingen in die Geschichte der neuen Aktivitäten der gewaltsamen, bewaffneten Gegenreaktion der Mujahedin ein. Allein an diesem Tag wurden mehrere hundert Männer und Frauen in Gewahrsam des Regimes genommen und Dutzende der Demonstranten opferten dabei ihr Leben. Wenn die Regierung es nicht geschafft hatte, am selben Tag jemanden festzunehmen, stürmte es am nächsten Tag in deren Häuser und nahm sie unbarmherzig fest, schmiss sie ins Auto und brachten sie weg. Für die Getöteten mussten die Familien pro Kugel, die für die Hinrichtung dieser verbraucht wurden, einen bestimmten Betrag zahlen, um deren Leichen freizubekommen und diese zu begraben.

    Am 20.06.1981 kam es auch in unserer Stadt wie in allen anderen Städten Irans zu Demonstration, doch leider konnte ich krankheitsbedingt nicht daran teilnehmen. Einer der Teilnehmer, der bei der Massenkundgebung noch lebend rauskam, war mein Bruder. Da er wusste, dass er festgenommen werden konnte und gesucht wurde, versteckte er sich mit einigen seiner Freunde. Obwohl ich nicht dabei gewesen war, war die Wahrscheinlichkeit, dass man unser Haus stürmt, sehr hoch und man könnte mich dabei auch festnehmen. Deshalb machte ich mich abends auf den Weg zu Bekannten, denen ich vertraute, und verbrachte in deren Räumen oder sogar auf Dachböden meine Nächte.

    In den ersten Wochen nach der Demonstration nahm die Regierung so weit wie möglich alle bewaffneten und unbewaffneten Mitglieder unserer Organisation fest, doch die Verbliebenen zu verhaften, machte Probleme. Mithilfe der Informationskräfte, die in den Teams unterkamen, stellten sie ihnen Fallen. Diejenigen, die nicht mehr bereit waren, sich gegen das Regime zu engagieren oder es

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