Helga Hahnemann: Die Süße mit der großen Klappe
Von Christin May
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Rezensionen für Helga Hahnemann
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Helga Hahnemann - Christin May
Menschenkind!
Die Goldene Henne
Die 18. Verleihung der Goldenen Henne im September 2012 geht nach dreieinhalb Stunden Show dem Ende entgegen. Der emotionale Höhepunkt steht noch bevor, was die Moderatorin Inka Bause allerdings nicht ahnt. Sie weiß aber, dass sie nun zusammen mit Helga Hahnemann das Lied Glück singen wird. Arndt Bause, Inkas Vater und Komponist des Stückes, begleitet am Klavier.
Natürlich können Arndt und Helga nur als Einspieler auf der übergroßen Leinwand zugegen sein. Und doch erleben die Zuschauer eine perfekte Symbiose dreier Künstler, von denen jeder auf seine Art die Herzen der Menschen bewegt.
Inkas Tränen begleiten das Lied. Dann geschieht etwas, wovon nichts im Programmplan der Moderatorin vermerkt war: Mit einem Mal steht Wolfgang Lippert auf der Bühne, direkt neben Inka, und reicht ihr ein Taschentuch. Dann beginnt er zu sprechen: über den Mann mit den besonderen Noten, der 1 300 Lieder geschrieben hat. Inka kann ihre mühsam bezwungenen Tränen erneut nicht zurückhalten. Erst recht nicht, als Wolfgang Lippert verkündet: »Die Goldene für eine Legende. Die Goldene Henne für Arndt Bause. Die Goldene Henne für Deinen Papa!« Er übergibt Inka den Preis und nimmt sie in den Arm. Sie schluchzt: »Papi, die Goldene Henne für Dich!«
Der wichtigste Publikums- und Medienpreis Ostdeutschlands wurde an diesem Abend posthum an einen der erfolgreichsten Komponisten aus der DDR verliehen. Er war der musikalische Erfolgsgarant der Namensgeberin des Preises: Helga Hahnemann, auch »Henne« oder »Big Helga« genannt.
Inka Bause bekam 2008 die Goldene Henne als beste Moderatorin. Vier Jahre später moderiert sie die Gala und nimmt den Preis für ihren Vater Arndt Bause entgegen, der posthum in der Kategorie »Ehrenpreis Legende« geehrt wurde.
Die Hahnemann: blondes Wuschelhaar, wohlbeleibt, nur 1,58 Meter groß, durchdringende Stimme. Ein Berliner Original mit Herz und Schnauze. Sie war eines dieser seltenen Glanzlichter, die einfach alles meistern. Helga Hahnemann rockte die Bühne, ob mit Gesang, Tanz, Schauspiel oder Kabarett – ganz egal, sie konnte alles. Sie war Entertainerin, Moderatorin, Radiojournalistin, Synchronsprecherin. Eben eine der ganz Großen im Showgeschäft. Sie sah aus wie die gemütliche Nachbarin von nebenan, doch hinter der unspektakulären Fassade verbarg sich das vielleicht vielseitigste Talent, das die DDR zu bieten hatte.
Im Alter von 54 Jahren verstarb sie. Publikum, Freunde und Kollegen trauerten aus tiefstem Herzen. Vier Jahre später wurde zum ersten Mal der Preis verliehen, der ihren Namen trägt. So wurde seitdem jedes Jahr und mit jedem Preisträger zugleich auch Helga Hahnemann gewürdigt.
Die Entstehungsgeschichte des Preises begann am 15. April 1995. An diesem Tag wurde Dagmar Frederic 50 Jahre alt. Ihr damaliger Ehemann Peter Renner, ein Künstleragent, hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen: eine riesige Überraschungsparty. Die wurde aber nicht im heimischen Wohnzimmer ausgerichtet, nein: Der damalige Intendant des Friedrichstadtpalastes, Alexander Iljinskij, machte den Saal der Kleinen Revue für diesen Abend Dagmar zum Geschenk. Sie hatte dort oft selbst auf der Bühne gestanden, hatte gesungen oder moderiert.
An ihrem 50. Geburtstag konnte sie sich nun zurücklehnen und genießen, was Orchester, Ballett und viele Künstler für sie darbrachten. Beinahe 200 Menschen waren zugegen. Darunter auch Jochen Wolff, ein Journalist aus der Oberpfalz, der vier Jahre zuvor die Stelle des Chefredakteurs der Zeitschrift SUPERillu angetreten hatte.
Ostdeutschlands Kulturszene zeigte an diesem Abend, was sie zu bieten hatte. Viele Stars aus Funk und Fernsehen waren vertreten. »Es war ein unvergesslicher Abend«, erinnert sich Dagmar Frederic. Auch für Jochen Wolff war es ein besonderer Abend gewesen. Er hatte großartige Künstler erlebt und war anschließend mit ihnen ins Gespräch gekommen. Das hatte tiefen Eindruck hinterlassen und inspirierte Wolff. Zuerst war es nur ein flüchtiger Gedanke gewesen, kaum mehr als ein Gefühl. Doch es ließ ihn nicht mehr los, die Idee nahm Gestalt an. Zwei Tage später klingelte bei Dagmar Frederic das Telefon. Der Chefredakteur zeigte sich noch immer angetan: »Ich wusste nicht, was für großartige Künstler es im Osten gibt. Für die muss man doch etwas tun. Ich denke da an einen Preis, so eine Art Ost-Bambi.«
Dagmar Frederics Ehemann, Peter Renner, organisierte diese erste Veranstaltung. Er war es auch, der die Eingebung hatte, den Preis nach Helga Hahnemann zu benennen. Schließlich sollte es nicht eine bloße Kopie der westdeutschen Bambi-Verleihung sein. Etwas ganz Eigenes sollte entstehen. Etwas, womit sich die Menschen der neuen Bundesländer identifizieren konnten. Etwas, das den Ost-Künstlern gerecht wurde, die Mitte der 1990er Jahre nicht sonderlich gefragt waren. Wolff bezeichnete diese Namensgebung später als »Königsidee«. Denn so wurde Helga Hahnemann ein Denkmal gesetzt, und zugleich verstanden die Menschen, dass es sich um einen Medienpreis handelte, der zunächst speziell auf ihre Landeshälfte zugeschnitten war. In einer Zeit, in der der Osten äußerst inflationär gehandelt wurde, war dies identitätsstiftend. Die Henne, dazu noch vergoldet, tat einfach gut. Mittlerweile ist der Preis zur gesamtdeutschen Einrichtung geworden. Ja, auch Weltstars zählen zu den Preisträgern. Was diesen Preis so einzigartig macht, ist seine Jury: das Publikum selbst hat die entscheidende Stimme. Jedes Jahr aufs Neue bestimmen die Leser der SUPERillu sowie die Zuschauer der Sender MDR und rbb ihre prominenten Favoriten in fünf von elf Kategorien. Inzwischen können die Zuschauer auch darüber abstimmen, welche Stars überhaupt nominiert werden.
Die Liste der Preisträger ist so vielseitig und bunt wie es auch Helga Hahnemann selbst war. Gojko Mitić, Hans-Joachim Preil, Ute Freudenberg, die Puhdys, Regine Hildebrandt, Hape Kerkeling, Michail Gorbatschow, Erwin Geschonneck, Christo, Sigmund Jähn, Hans-Dietrich Genscher, Katharina Witt oder André Rieu und Udo Lindenberg – das sind nur einige der bisher mehr als 160 Preisträger der Goldenen Henne. Es sind Schauspieler und Fernsehstars, Musiker und Künstler, Sportler, Politiker und Menschen, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden. Manche Künstler konnten sich schon mehrfach über den Preis freuen. Wolfgang Stumph, Helene Fischer und Carmen Nebel sind – mit bisher je vier goldenen Hühnern – die unangefochtenen Lieblinge des Publikums.
Auch für Charity-Engagement, Zivilcourage und die Kategorie Helden des Alltags gibt es Ehrenpreise. Während es zum einen häufig Stars sind, die ihre Prominenz nutzen, um karitative Organisationen zu unterstützen, zeigen die Helden des Alltags andererseits, dass man nicht prominent sein muss, um zu handeln. Ausgezeichnet wurden bisher Menschen, die mit Zivilcourage beherzt in schwierige Situationen eingriffen, die uneigennützig halfen und unter Umständen dabei sogar das eigene Leben riskierten.
Doch zurück zur Geburtsstunde der Goldenen Henne. Ein Name war gefunden. Wie ging es weiter? Jochen Wolff und seine Ehefrau unternahmen einen Wochenendausflug in die Uckermark. Genauer: nach Altkünkendorf auf den Louisenhof. Dort hat der Bildhauer Christian Bonnet seine Wirkungsstätte. An ihn hatte Wolffs Frau spontan gedacht, als ihr Mann darüber grübelte, wie die Goldene Henne aussehen könnte.
Der in Schwerin geborene Bonnet hatte das Handwerk eines Schriftsetzers gelernt und später an der Kunsthochschule Berlin Bildhauerei studiert. Als Praktikant hatte er gestalterische Erfahrungen in den Bereichen Theaterplastiken und Bronzegießerei gesammelt. Bonnet machte sich an die Arbeit, er ließ sich von der Namenspatin Helga Hahnemann und von den Proportionen eines Huhns inspirieren. Unter seinen Händen entstand eine wohldurchdachte Figur aus Bronze. Sie sollte nicht schlank sein, sondern mollig. Und sie sollte dynamisch und lebensfroh erscheinen. Also vollführt sie einen Tanzschritt.
Es dauert mehrere Tage und zahlreiche Arbeitsschritte, bis so eine Henne-Figur fertig ist. Das Ergebnis wiegt dreieinhalb Kilo, ist 22 Zentimeter hoch und schimmert matt oder erstrahlt in goldigem Glanz, je nach einfallendem Licht. Und wie fühlt sie sich an? Die Antwort gab es im Jahr 2010 für die Zuschauer, als Lena Meyer-Landrut während ihrer Dankesrede – für den Ehrenpreis Charme-Botschafterin – ankündigte: »Ich fasse sie mal an ...« und feststellte: »Es fühlt sich gut an!«
Der Öffentlichkeit wurde der goldige Vogel zum ersten Mal am 17. September 1995 präsentiert. Wer sonst als Dagmar Frederic hätte die Gala moderieren sollen? Fünf Monate nach ihrem 50. Geburtstag stand sie auf der Bühne in der Kleinen Revue des Friedrichstadtpalastes und führte durch den Abend. 300 Gäste waren anwesend, darunter der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Am Ende hielten drei Preisträger eine Goldene Henne in den Händen: Frank Schöbel, Stefanie Hertel und Henry Maske.
Im darauffolgenden Jahr wurde die Veranstaltung schon in den Großen Saal verlegt. Nun waren 2 000 Gäste dabei und Millionen schauten am Bildschirm zu. Im Jahr 2011 zog die Gala vom Friedrichstadtpalast ins Stage Theater am Potsdamer Platz um.
Jedes Jahr heißt es im September: roter Teppich, Stars und Blitzlichtgewitter, Live-Übertragung im Fernsehen und eine Show, die immer wieder für überraschende Wendungen sorgt. Inka Bause war nicht die erste Moderatorin, die vom Programm überrumpelt wurde. 2008 moderierte Helene Fischer und ahnte nichts davon, dass sie selbst eine Henne bekommen würde. Der Ablaufplan, mit dem man sie auf die Bühne geschickt hatte, war falsch. Auch Laudator Hans-Dietrich Genscher, der die Politik-Henne an Václav Havel übergeben hatte, war am Ende selbst einer der Ausgezeichneten. Und die fürs Unterhaltungsprogramm engagierten Musiker von City saßen hinter der Bühne und wurden erst nach einer Weile gewahr, dass die Laudatio von Wolfgang Tiefensee ihnen galt. Die Namen der Preisträger werden komplett unter Verschluss gehalten, nur wenigen Redakteuren sind restlos alle Details der Gala bekannt.
All das sorgt für eine besonders emotionsgeladene Show. Helga »Henne« Hahnemann hätte ihre Freude daran gehabt, denn auch bei ihren Auftritten konnten die Zuschauer eine Achterbahnfahrt der Gefühle erleben. Lachen und Weinen lagen stets nah beieinander. Wie im richtigen Leben eben auch.
Die Preisträger der zweiten Goldenen Henne im Jahr 1996: Kurt Biedenkopf, Rolf Ludwig, Carmen Nebel, Wolfgang Stumph und Jens Weißflog (v. l. n. r.)
Glück
Den eenen bringt sein Glück fast um –
der andre hütet’s ängstlich!
Und manche trampeln darauf rum,
bloß ick wart’ lebenslänglich!
Wenn sich dit Glück
doch mal verirrt
und bis vor meine Türe schwirrt,
denn bin ick Glücksbanause
natürlich nich’ zu Hause!
Uff Herbert wart’ ick schon een Jahr,
nur jestern war ick mal tratschen!
Und da, da war er gerade da!
Ick könnt’ mir eene latschen!
Wenn sich dit Glück
doch mal verirrt
und bis vor meine Türe schwirrt,
denn bin ick Glücksbanause
natürlich nich’ zu Hause!
Doch heute hab ick’s janz verjagt!
Ja, weil man eben doof is!
Zum kleenen Glück hab ick jesagt:
Komm’ wieder, wenn de groß bist!
Nun such’ ick’s wieder wie verrückt –
Kiek nach in alle Ecken!
Mensch, mit ’n bisschen Schweineglück
Da werd ick’s schon entdecken!
Wenn sich dit Glück
doch mal verirrt
und bis vor meine Türe schwirrt,
denn bin ick Glücksbanause
den Tag eb’n mal zu Hause!
Die frühen Jahre
In Berlin-Wilhelmsruh wurde an einem Mittwoch im September das vierte Kind der Familie Hahnemann geboren. Ein Mädchen. Die Eltern wählten für ihre Tochter den damals äußerst beliebten Namen Helga – tatsächlich war es sogar Deutschlands beliebtester Mädchenname der 1930er Jahre, gefolgt von »Ursula« und »Ingrid« – und gaben noch den Zweitnamen Frieda dazu.
Man schrieb das Jahr 1937. Es war das Jahr, in dem