Männliche Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch: Erfahrungen, Lebensgestaltung, Beratung
Von Petra Thorn
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Buchvorschau
Männliche Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch - Petra Thorn
Geleitwort
Wir, die Männer, die die Erfahrungsberichte zu diesem Ratgeber geschrieben und ihn in seinem Entstehungsprozess mit kritischem Blick begleitet haben, sind alle selbst von Unfruchtbarkeit betroffen und kennen den unerfüllten Kinderwunsch aus eigener Erfahrung. Wir haben Höhen und Tiefen erlebt, in Krisenzeiten an uns und an der Welt gezweifelt und mit unserem Schicksal gehadert. Doch wir haben alle eine Lösung gefunden, die es uns ermöglicht, nicht nur ein zufriedenes, sondern ein glückliches Leben zu führen. Der wichtigste Antriebsgrund für das Aufschreiben unserer Erlebnisse war, unser positives Lebensgefühl weiterzugeben, das wir nach der Krise wieder entwickelt hatten.
Mit unseren Beiträgen zu diesem Buch möchten wir allen Lesern und Leserinnen, die sich mit männlicher Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit auseinander setzen müssen, Mut machen zum Aufbruch und zur Reise. Nur durch die aktive Auseinandersetzung mit dem unerfüllten Kinderwunsch kann die eigene seelische Belastung verarbeitet und bewältigt werden. Männer sollten ihren sehnlichen Wunsch nach einem eigenen Kind nicht verdrängen oder Gründe dafür suchen, warum es nicht »hätte sollen sein«. Anders als viele andere menschliche Begehren kann dieser elementare, dem Menschen eigene Wunsch nach einem Kind nicht abgeschnitten werden. Erfolgreich ist die Auseinandersetzung unserer Erfahrung nach auf jeden Fall, wenn man gemeinsam mit seiner Partnerin diese Lebenskrise besteht, ob mit oder ohne Kinder.
Wir hoffen, dass dieses Buch andere betroffene Männer durchaus auch ein wenig »wachrüttelt«. Wir kennen unsere männlichen Verhaltensmuster sehr gut, die guten und die problematischen, und wir wissen, was Frauen in dieser kritischen Phase alles leisten. Für die Auseinandersetzung mit der Kinderlosigkeit und für die Erarbeitung einer persönlichen Lösung ist gerade der fortwährende Dialog mit der Partnerin von höchster Wichtigkeit.
Ein weiteres Anliegen liegt uns am Herzen: Noch immer gehen manche Mediziner recht unbeholfen mit den Gefühlen von Männern und Frauen um, wenn es um die Diagnosestellung bei Unfruchtbarkeit und das Besprechen von Behandlungsmöglichkeiten oder Lebensalternativen geht. Wir rufen daher die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf, den Gefühlen der Paare Platz und Zeit einzuräumen und ihre Gespräche und Behandlungen so zu konzipieren, dass auch deren emotionaler Zustand berücksichtigt wird. Viele von uns mussten in der Vergangenheit in dieser Hinsichtleider schlechte Erfahrung machen. Wir glauben, dass viele emotionale Verletzungen vermieden werden können, wenn alle Beteiligten behutsam und einfühlsam miteinander umgehen.
Dieser Ratgeber gibt Antworten darauf, warum sich der Weg zu einem Kind immer lohnt, unabhängig davon, ob es ein Kind ist, mit dem man biologisch verwandt ist oder nicht. Wir möchten aber auch diejenigen Männer nicht vergessen, deren Kinderwunsch trotz vieler Mühen nicht in Erfüllung gegangen ist. Ihnen sei mit diesem Ratgeber Mut zugesprochen, denn auch Männer und deren Partnerinnen, die sich auf ein Leben ohne Kinder einstellen müssen, entwickeln langfristig eine genauso hohe Lebenszufriedenheit wie diejenigen, deren Kinderwunsch in Erfüllung gegangen ist. Wir hoffen, dass der Ratgeber nicht nur von Männern und ihren Partnerinnen, sondern auch von Fachkräften gelesen wird. Sie können damit aus erster Hand erfahren, wie Männer empfinden, wenn bei ihnen die Diagnose »unfruchtbar« gestellt wird: Auch wenn wir Männer häufig nach außen scheinbar gelassen bleiben und unsere Gefühle nur andeuten, bedeutet dies nicht, dass wir keine Gefühle von Verzweiflung und Gram empfinden. So manches Mal wünschen auch wir Männer, dass unsere Gefühle angesprochen werden.
Wir sind sicher, dass der Ratgeber Betroffenen Mut und Kraft gibt, ihre Situation zu meistern und wünschen ihm eine große Verbreitung.
Im Namen der 17 Männer, die die Erfahrungsberichte geschrieben haben,
Klaus D. Herzog und Karsten Lünow
Einführung
Noch immer ist männliche Unfruchtbarkeit mit einem Tabu belegt und für die meisten Betroffenen eine »stille« Krise: Männer sprechen in der Regel nicht darüber, wenn ihre Fruchtbarkeit eingeschränkt ist oder sie keine Kinder zeugen können. Diese Sprachlosigkeit findet sich auch in der Literatur wieder: Es gibt inzwischen zahlreiche Ratgeber zum Thema Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch, die überwiegende Zahl richtet sich jedoch an Frauen bzw. an Paare. Bislang liegt kaum Literatur vor, die sich explizit an Männer wendet, deren Kinderwunsch nicht oder nur mit medizinischer Unterstützung in Erfüllung geht.
Seit vielen Jahren biete ich Informationsseminare zur Familienbildung mit Spendersamen an. Einige Teilnehmer dieser Seminare haben sich vor rund zehn Jahren zusammengeschlossen und die Selbsthilfegruppe IDI (Initiative donogene Insemination) ins Leben gerufen. Manche der Paare, die meine Seminare besuchten, haben mit Hilfe der Samenspende ein Kind bekommen, bei anderen war eine reproduktionsmedizinische Behandlung erfolgreich oder sie haben ein Kind adoptiert, ein Pflegekind aufgenommen oder sind kinderlos geblieben. Viele der Paare treffen sich regelmäßig, um sich über ihre Familienbildung auszutauschen. All den männlichen Partnern in diesen Familien ist es gemein, dass bei ihnen Fruchtbarkeitseinschränkungen diagnostiziert wurden und sie auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen konnten. Für die meisten dieser Männer liegt die Bewältigung dieser Krise inzwischen einige Jahre zurück. Während eines der Gruppentreffen von IDI entstand die Idee, die Erfahrungen, die die Männer in der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch und danach gemacht hatten, in Form eines Ratgebers weiterzugeben. Sie wollten damit eine Lücke schließen: Einen Ratgeber, der männliche Unfruchtbarkeit aus der Sicht der Betroffenen darstellt, gibt es bislang nicht. »Wir möchten allen betroffenen Männern zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass es viele Wege aus der Krise gibt«, so brachte es ein Mann auf den Punkt. Daraufhin erklärten sich siebzehn Männer bereit, ihre Erfahrungen niederzuschreiben; die ungekürzten Fassungen dieser Erfahrungsberichte können nachgelesen werden unter: www.spendersamenkinder.de. André Haußmann, der sich von Anbeginn bei IDI engagierte, übernahm die Koordination dieser Erfahrungsberichte. Mit ihm gemeinsam legte ich die Struktur des Buches fest und er begleitete den Prozess des Schreibens in der Form, dass er alle Kapitel mit seinem kritischen, »männlichen« Auge durchlas und kommentierte. Auch Klaus D. Herzog und Karsten Lünow, die das Geleitwort schrieben und die Botschaften am Ende des Buches formulierten, lasen das Buch während des Entstehungsprozesses mehrmals durch, gaben Hinweise und schlugen, wo aus männlicher Sicht erforderlich, Änderungen vor. Somit ist das Buch zwar von einer Frau geschrieben, die Inhalte wurden jedoch von Männern vorgegeben. Ich selbst hatte in vielen Teilen dieses Buchs die Rolle einer Vermittlerin: Die Ideen und Themen wurden an mich herangetragen, ich ergänzte sie mit meinen Erfahrungen aus der psychosozialen Beratung und wissenschaftlichen Erkenntnissen und setzte sie in Ratgeberform um. Basierend auf den Erfahrungen der Männer gibt der Ratgeber Anregungen und macht Mut, Zusammenhänge zu hinterfragen und eigene Verhaltensweisen kritisch zu reflektieren – auf diese Art und Weise sollen konstruktive und positive Gedanken an Männer weitergegeben werden. Letztendlich hat der Ratgeber auch das Ziel, das Tabu um männliche Unfruchtbarkeit abzubauen und betroffenen Männern Mut zu machen, das Schicksal nicht einfach zu akzeptieren, sondern ihr Leben aktiv in die Hand zu nehmen und trotz der Krise so zu gestalten, dass sie gestärkt daraus hervorgehen.
Der Aufbau der ersten Hälfte des Ratgebers ist angelehnt an den typischen Ablauf, der auf Männer zukommt, wenn sie mit dem unerfüllten Kinderwunsch konfrontiert werden: Im ersten Kapitel werden die inneren und äußeren Hürden geschildert, die Männer erleben, wenn sie sich mit der Frage einer Fruchtbarkeitsdiagnose auseinander setzen. Das nächste Kapitel beschreibt ihre emotionalen Reaktionen auf die Diagnose »unfruchtbar«. Kapitel 3 geht auf die Paardynamik und die unterschiedlichen Bewältigungsmechanismen von Männern und Frauen ein, und es werden Anregungen gegeben, wie Männer und ihre Partnerinnen mit diesen Unterschiedlichkeiten umgehen können. In Kapitel 4 werden die medizinischen Möglichkeiten beschrieben und auf das emotional anstrengende Auf und Ab während der medizinischen Behandlung eingegangen. Die zweite Hälfte des Buches beginnt mit einem Kapitel über Männer, deren Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht und die sich auf ein Leben ohne Kind einstellen. In den nächsten Kapiteln werden unterschiedliche Formen der Vaterschaft erläutert: die Vaterschaft nach Aufnahme eines Pflegekindes, nach Adoption, nach einer Samenspende und nach reproduktionsmedizinischer Behandlung. Anstelle eines Schlusswortes haben wir uns entschieden, die zentralen Botschaften der betroffenen Männer zu formulieren. Im Anhang sind weiterführende Informationen, Erklärungen der Fachbegriffe und nützliche Adressen aufgeführt.
Die einzelnen Kapitel sind folgendermaßen strukturiert: Nach einer kurzen Einführung folgt der Hauptteil, in dem die Erfahrung der Männer geschildert und ihr Verarabeitungsprozess aus psychosozialer und wissenschaftlicher Perspektive ergänzt wird. Sach- und Zusatzinformation können den blau hinterlegten Info-Boxen entnommen werden. Den Abschluss bilden Anregungen zum Reflektieren und Diskutieren. Der Ratgeber muss keinesfalls in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden, auch wenn die Kapitel im ersten Teil sich in ihrer Reihenfolge an dem Verarbeitungsprozess orientieren, den die meisten Männer durchlaufen. Die Kapitel können durchaus unabhängig voneinander gelesen oder es können nur die Einleitung und Anregungen gelesen werden. Dies kann jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Der Ratgeber richtet sich überwiegend an Männer. Die weibliche Form haben wir daher nur in den Fällen verwendet, in denen es explizit um Frauen geht. Mit den neutralen Bezeichnungen »Partner« und »Partnerin« soll ferner der Situation Rechnung getragen werden, dass immer mehr Paare sich für ein Kind entscheiden, auch wenn sie (noch) nicht verheiratet sind.
An dieser Stelle möchten wir allen danken, die zum Gelingen dieses Ratgebers beigetragen haben: Sabine Groos (Diplom-Sozialarbeiterin und systemische Beraterin aus Otzberg im Odenwald), die langjährige Erfahrung in der Adoptionsvermittlung hat, gab uns wertvolle Hinweise für diesen Themenbereich. Dr. med. Thomas Hahn vom Kinderwunschzentrum Wiesbaden kommentierte den medizinischen Teil und Ines Kurek-Bender, Vorsitzende des »PFAD für Kinder – Pflege- und Adoptivfamilien – Landesverband Hessen e.V.«, machte hilfreiche Anmerkungen für den Bereich des Pflegekinderwesens. Unser ganz besonderer Dank geht an die Männer, die die Erfahrungsberichte geschrieben haben. Die Berichte haben umfassend alle Themen aufgegriffen und waren vor allem sehr individuell geschrieben. Viele Stellen berührten uns sehr, da sie aufzeigen, wie tiefgreifend sich Männer mit dem Thema der Unfruchtbarkeit auseinander setzen, wie sehr es sie schmerzt, wenn ihr Herzenswunsch nach einem Kind nicht oder nur mit Mühen in Erfüllung geht und wie gestärkt sie und ihre Partnerinnen aus dieser Krise hervorgegangen sind. Die Berichte verdeutlichen auch, dass diese Männer – so wie wahrscheinlich viele andere – ganz und gar nicht dem Klischee des unbeteiligten und nur rational agierenden Mannes entsprechen.
1 Der erste Schritt ist manchmal der schwerste
»Man(n) geht doch nicht zum Arzt, um die Fruchtbarkeit untersuchen zu lassen?!«
Dieses Kapitel beschreibt die Situation von Männern, die sich mit dem Gedanken einer Fruchtbarkeitsuntersuchung befassen. Es stellt Vorbehalte, typische Reaktionen und Diskussionen mit ihren Partnerinnen dar und geht auf die Untersuchungssituation bei einem Urologen oder Andrologen ein. Es gibt Hinweise, wie genau eine solche Untersuchung durchgeführt wird und erläutert im letzten Teil, wie man sich als Mann auf eine solche Untersuchung praktisch und emotional vorbereiten kann.
Den meisten Männern fällt es nicht leicht, sich einer Untersuchung ihrer Fortpflanzungsfähigkeit zu unterziehen. Männer lassen sich, im Gegensatz zu Frauen, nicht regelmäßig untersuchen und für sie ist es ungewohnt, einen Arzt aufzusuchen, wenn sie sich eigentlich gesund und vital fühlen. Für Frauen hingegen sind regelmäßige gynäkologische Untersuchungen ab einem gewissen Alter Routine: Sie wissen, welche Untersuchungen vorgenommen und wie diese durchgeführt werden. Auch kommt hinzu, dass in manchen Fällen noch immer davon ausgegangen wird, dass der unerfüllte Kinderwunsch (vor allem) mit einer Störungen der weiblichen Fruchtbarkeit zusammenhängt: Männern wird erst dann zu einer Untersuchung geraten, wenn bei ihrer Partnerin keine Einschränkungen diagnostiziert wurden oder diese mit wenig invasiven Mitteln, z. B. mit Hormongaben, überwunden werden konnten, aber dennoch keine Schwangerschaft eintrat. Allerdings benötigen manche Männer auch in solchen Situationen länger, bis sie sich zu einer Untersuchung entschließen können:
Peter: »Nach vielen, vielen Versuchen ohne Erfolg stellte ich erst einmal die Fruchtbarkeit meiner Frau in Frage. Da uns der Nachwuchs sehr wichtig war, und bei unseren Freunden und Bekannten sich das Kinderglück bei einem