Die Kunst der Champa
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Buchvorschau
Die Kunst der Champa - Jean-François Hubert
(Detail).
Einführung
2. Garuda aus Sandstein im
Thâp-Mam-Stil (12. Jh.). Er steht vor
dem Museum für Nationalgeschichte
von Vietnam (Hanoi).
Will man sich heute an die Reiche der Champa erinnern, so bedeutet dies zunächst, Geschichte zu rekonstruieren, die verbliebenen Spuren zu schützen, die geringsten Hinweise zu beachten, aber auch den Tod zu würdigen und die Trauer mit zeremoniellem Ernst zu begehen. Es sind die Reiche, die in der Erinnerung ihrer Nachkommen nur noch als undeutliche und von den rastlosen Seelen der von den Lebenden zu fürchtenden Verstorbenen gesummte, zwangsläufig exotische Melodien existieren.
Und doch, ihre Statuen fordern unsere Zeit heraus, verlangen ihr Mitgefühl und rächen sich für die unerbittliche Ungerechtigkeit: zeugen die vom Zerstörungswerk der Geschichte verschont gebliebenen doch von einer in deren Mäandern verloren gegangenen bedeutenden Zivilisation.
Alle Zivilisationen sterben, sie alle tragen jedoch auch Früchte. Sie hinterlassen in der Erinnerung der Menschheit die grundlegende, mit Worten nicht beschreibbare Ahnung von der unbegreifbaren Unendlichkeit und vom unerreichbaren Absoluten. Dennoch ist der Untergang der Chamzivilisation vielleicht radikaler als der anderer Zivilisationen: Wenn man diesen Untergang nicht als Zustand begreift, sondern mit einem Vortrag vergleicht, dann fehlen den Cham schon seit langem Redner und Zuhörer. Und doch, welch eine Geste! Ein geheimnisvolles Entstehen, ein Ideal der Staatenlosigkeit, ein glorreiches Untergehen, ein angekündigter Tod im Namen der Unmöglichkeit, anders sein zu können. Champa, das sind fünfhundert Jahre Geheimnis, tausend Jahre der Zerstörung und dreihundert Jahre des Vergessens.
Das Sinnvollste war, die Überreste zu erfassen, die verlorenen Türme, die vergessenen Skulpturen, die ehrwürdigen Stätten, in denen das Göttliche wandelte. Eine angenehme Arbeit für den mit dem Wissensschatz seiner berühmten Vorgänger vertrauten Forschungsreisenden, der offen ist für die Freude am vorurteilsfreien Entdecken. Eine Statue zu untersuchen und zu begutachten bedeutet, steingewordene Geschichte befragen. Wir haben alle in diesem Buch dargestellten Werke genau untersucht, gemessen, abgeklopft und beglaubigt. Sie kommen ausnahmslos aus meist unveröffentlichten Privatsammlungen und geben so der Betrachtung neue Nahrung. In der Kunst ist nichts gefährlicher als die zu große Ähnlichkeit der Vorlagen und die Begrenzung des Blickfelds. Am Anfang des 21. Jahrhunderts zeigt sich die Chamkunst im Allgemeinen und die Chamskulptur im Besonderen als eine zutiefst ursprüngliche, von den Franzosen wiederentdeckte und heute von den Vietnamesen für sich in Anspruch genommene Kunst.
Zutiefst ursprünglich, denn selbst wenn man Stilvergleiche durchführen, die Herkunft erwähnen und Einflüsse feststellen kann, so unterscheidet sich die Chamskulptur doch von allen vorangegangenen zeitgenössischen und späteren Strömungen der Bildhauerei.
3. Inschrift von Vo-Canh. Sie befindet sich vor dem
Museum für Nationalgeschichte von Vietnam (Hanoi).
Sie datiert aus dem 3. Jh.- 4. Jh und ist nach
wie vor der Angelpunkt zahlreicher Forschungen,
auch wenn die Cham-Herkunft nicht sicher ist.
Wiederentdeckt von den Franzosen: denn während der ganzen Dauer der französischen Präsenz in Vietnam – und dies schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – haben nicht nur die den Entdeckern nachfolgenden Architekten, sondern auch die Inschriftenkenner und die Archäologen nicht nur einmalige, die Dokumente und Kommentare vereinende Grundlagen erstellt, sondern auch Großes für die Erhaltung der Chamstätten geleistet. Da die Anwendung der französischen Sprache weltweit zurückgeht, ist es nicht nebensächlich, festzustellen, dass sie nach wie vor unumgänglich ist für diejenigen, die sich mit der Kunst der Cham beschäftigen wollen: Keine präzise Bezugnahme und keine ernsthafte Untersuchung könnte heute auskommen ohne die akribische Auswertung und ohne die aufmerksame Lektüre der seit beinahe 150 Jahren in Französisch gehaltenen und auf verlässlichlichen Quellen beruhenden Dokumente.
Von den Vietnamesen heute für sich in Anspruch genommen: Erst als die Zwänge vieler Kriegsjahre überwunden waren, konnten sich die Vietnamesen für eine Kunst interessieren, die den meisten unter ihnen fremd geblieben war. Schließlich waren die Cham in dem die Nationen zusammenhaltenden Kollektivbewusstsein ganz klar der im Norden einfallende Feind, der dann, nach der bis ins zehnte Jahrhundert dauernden chinesischen Besetzung, ein Hindernis war für den durch die Bevölkerungszunahme im Norden unvermeidlichen Gang nach Süden
(Nam Tiên
). Die Cham weckten auch ein Schuldgefühl im vietnamesischen Unterbewusstsein. Schließlich hatte man eine tausendjährige autochthone Kultur unwiederbringlich zerstört und ein ganzes Volk – als eine der vierundfünfzig im Lande gezählten Minderheiten – auf etwa 100 000 noch in Vietnam lebende Cham reduziert. Sie leben heute hauptsächlich in der Nähe von Phan Rang, Phan Ri und Chau Doc, alles Orte im Süden des heutigen Vietnam.
Diese Inanspruchnahme trägt heute Früchte: Die Sorgfalt bei neuen Veröffentlichungen, die Aufwertung und die Wiederherstellung der Fundstätten, die effizienten archäologischen Arbeiten zeugen sowohl von einem landesweiten Bewusstwerden als auch von dem festen Willen, das heute zweifelsfrei vietnamesische Erbe der Cham wieder zu gewinnen.
Es ist jedoch nicht richtig, die Kunst der Cham im Allgemeinen und die Skulpturen der Cham im Besonderen in einer ausschließlich historischen französisch-vietnamesischen oder in einer isolierten landespolitischen Beziehung zu sehen. Die Chamskulpturen haben schon vor langer Zeit ein internationales Publikum gewonnen. Zwar wurden die ersten Museen, in denen sie ausgestellt wurden, unter französischem Einfluss in Vietnam gegründet und sind der französischen archäologischen Kommission für Indochina Ecole française de l’Extrême-Orient (EFEO) – der auch die Erhaltung der historischen Monumente in Indochina anvertraut worden war – zu verdanken: Die Hallen der Kommission beherbergten bereits 1899 einige der in den Ruinen von Mi Son gefundenen Steine. Zwischen 1900 und 1905 kamen dann einige Skulpturen nach Hanoi und schrittweise entstanden aus den Funden bei offiziellen Grabungen oder zufällig gefundenen Stücken richtige Museen. Die ursprünglichen Gründungsdaten dieser ersten Museen liegen zwar weiter zurück, aber wir geben hier die Daten an, zu denen sie tatsächlich und vollständig eingerichtet waren: Das Museum Louis Finot in Hanoi (1933 eingeweiht), das Museum Henri Parmentier (1936) in Touran-Danang, das Museum Khai Dhin in Hué (1923) und das Museum Blanchard de la Brosse in Saigon (1929). Mit der Zeit wussten auch ausländische Museen hochwertige Sammlungen zusammenzustellen (Museum Cleveland, das Metropolitan Museum in New York und Brooklyn in den USA; Museum Rietberg in der Schweiz; Musée Guimet in Paris, Museum Labit in Toulouse).
4. Inschrift von Vo-Canh. Sie befindet sich
vor dem Museum für Nationalgeschichte
von Vietnam (Hanoi) (Detail).
5. Archäologische Cham Ausgrabungen
der Thâp-Mam Epoche.
6. Portrait von Philipe Stern, 1953.
Architekten, Archäologen, Übersetzer und Epigraphiker, aber auch Amateure haben es ermöglicht, die Zivilisation der Cham, ihre Tempel und besonders ihre Skulpturen besser kennen zu lernen. Wir wollen diese berühmten Neuerer für jede Kategorie aufführen und kurz an ihre Beiträge erinnern.
Zuerst seien die Epigraphiker erwähnt, deren Wissenschaft das Erforschen und die Kenntnis der Inschriften zum Ziel hat. Wir nennen diese Gelehrten und zeigen dann die Grenzen ihrer Wissenschaft auf, wenn es um die Erkennung und um die Datierung der Kunst der Cham geht:
August Barth (1834-1916), Indologe, verfasste 1901 die Gründungsurkunde der EFEO; Georges Maspero (1872-1942), Verwaltungsbeamter in Indochina, oft verwechselt mit seinem Bruder, dem herausragenden Sprachforscher Henri Maspero (1883-1945); Louis Finot (1864-1935), Archivar und Paläograph, Sanskritkenner, Leiter der EFEO, Paul Pelliot (1878-1945), Henri Parmentier (1871-1949), Georges Coedes (1886-1969) schrieb 1904 als achtzehnjähriger in der Zeitschrift der EFEO seinen ersten Artikel über Inschriftenkunde und hatte perfekte Kenntnisse in Cham, Sanskrit und Khmer und anderen Sprachen; Paul Mus (1909-1960), Indologe, Spezialist für die Ausbreitung des Hinduismus in Indien und Südostasien, er interessierte sich vor allem für die natürliche und fruchtbare Begegnung zwischen hinduistischen und lokalen Elementen bei der Entstehung der religiösen Kultur der Cham.
Leider sind die Arbeiten der Sammler und Inschriftenübersetzer wenig hilfreich bei der Datierung und Erforschung der Cham-Skulpturen. Wenn auch heute etwa zweihundertdreißig vom 4. bis zum 15. Jahrhundert datierte, in Sanskrit, in altem Cham oder in beiden Sprachen gehaltene Inschriften erfasst sind, so wurden nur etwa hundert davon wirklich untersucht. Sie stammen hauptsächlich von Stelen und beziehen sich auf Probleme der Grenzziehung oder auf religiöse Ereignisse, tragen jedoch wenig zur Datierung der Tempelanlagen bei. Einerseits ist es durchaus möglich, dass eine Stele von einem Tempel zu einem anderen gebracht worden ist, andererseits ist es nicht immer leicht, festzustellen, ob die Daten auf der Stele sich auf die Einweihung eines Tempels beziehen oder auf den Baubeginn, wodurch natürlich die präzise Datierung erschwert wird.
7. Fries mit Affen, Flachrelief,
Sandstein, Länge 64 cm, Stil von
Thâp-Mam, 11. Jh.-12. Jh. (Detail).
Zu den Architekten gehört vor allem wieder Henri Parmentier, der sein Diplom an der Kunstakademie in Paris erworben hatte und der EFEO bereits bei ihrer Gründung beitrat. Zwischen 1902 und 1908 legt er die wichtigsten (jedoch nicht alle, wie zu oft angenommen wird) Cham-Stätten frei und veröffentlicht seine Grabungsberichte in seiner 1909 und 1918 in zwei Bänden erschienenen meisterhaften Bestandsaufnahme Inventaire descriptif des monuments cham de l’Annam. In den Jahren 1902 und 1903 legt er die Monumente von Mi Son und Dong Duong frei, im Jahr 1908 die von Po Klaung Garai und von 1906 bis 1909 den Po Nagar von Nha Trang. Parmentier ist die Gründung des Cham-Museums von Tourane (Da Nang) im Jahr 1918 zu verdanken, das 1936 erweitert wurde und seitdem seinen Namen trägt.
Auch Jean-Yves Claeys (1896-1979) hatte als Architekt sein Studium an der Pariser Kunstakademie sowie an der Kunstgewerbeschule in Nizza abgeschlossen. Als Angestellter des staatlichen Bauamtes Travaux Publics de l’Indochine trat er 1927 der EFEO bei und wurde Konservator der Monumente von Annam. Er widmete sich nicht nur der Cham-Architektur, sondern auch der Archäologie, insbesondere der Freilegung der Stätten von Tra Kieu im Jahr 1920 und der von Thap Mam in den Jahren 1934 bis 1935.
Parmentier und Claeys haben die von der Vegetation überwucherten Monumente nicht nur freigelegt, sondern auch präzise Listen aufgestellt und – um sie zu erhalten – Statuen und Inschriften in den Museen der EFEO zusammengebracht sowie in der unmittelbaren Nähe der wichtigsten Monumente einige Ausgrabungen durchgeführt.
Bei den Archäologen und Museumsleitern, die beiden Berufe waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft eins, ist natürlich Philippe Stern (1875-1996) zu nennen, Leiter des Musée Guimet in Paris und Mitglied der EFEO seit 1930. Er erklärt die Beobachtung zur Grundlage für die Aufstellung von Theorien und erarbeitet eine Furore machende Datierungsmethode: Er ...stützt sich [...] in seinen Analysen auf eine gewissenhafte vergleichende Untersuchung der Entwicklung der Dekorationsmotive, insbesondere der Friese, Arkaden, Pilaster, kleinen Säulen, Mauerwerksornamente und anderen verzierenden Elemente der Architektur
. Im Jahr 1936 fährt er auf seiner einzigen Reise in Südostasien mit seiner Schülerin Gilberte de Coral-Rémusat natürlich nach Kambodscha, aber auch zu den wichtigsten Monumenten von Champa.
Nach der geglückten Neudatierung des Bayon in Angkor – er siedelt ihn statt im 11. im 12. Jahrhundert an und verjüngt
ihn so, ganz gegen die anerkannte und autoritäre Meinung des Trios Finot, Goloubew und Parmentier – und erstellt eine wichtige, Maßstäbe setzende Datierungsmethode für die Architektur der Cham und damit auch für deren Skulpturen, auch wenn sie später ergänzt und überarbeitet