Emmy ... vom Kriege verweht
Von Emmy Lucks
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Über dieses E-Book
Emmy Lucks
Emmy Lucks wurde am 14. Februar 1933 in Den Haag geboren und ist dort bis März 1943 aufgewachsen. Danach zog sie mit ihren Eltern und zwei jüngeren Schwestern nach Roermond, nahe der deutschen Grenze ...
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Buchvorschau
Emmy ... vom Kriege verweht - Emmy Lucks
Danke an meine Kinder Wilfried, Annegret und Inge.
Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Tochter Inge, die mit ihren schier unermüdlichen Bemühungen und ihrer Geduld dazu beigetragen hat, dass aus meinen Zetteln, Aufzeichnungen und Erzählungen dieses Buch zustande gekommen ist.
Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe
diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
(1 Kor 13, 13)
Es fing alles damit an, als mein Enkelsohn eines Tages mit einer Aufgabe seines Politiklehrers nach Hause kam. Es ging darum, dass die Schulkinder ältere Menschen zu ihren Erlebnissen aus den Kriegsjahren befragen sollten. Immerhin sind sie die letzten, noch lebenden Zeugen jener Zeit.
Ich, Emmy Lucks, bin tatsächlich eine Zeitzeugin. Am 14. Februar 1933 bin ich in Den Haag in den Niederlanden zur Welt gekommen und bis März 1943 dort aufgewachsen. Danach zogen wir, meine Eltern, meine zwei jüngeren Schwestern und ich, nach Roermond, nahe der deutschen Grenze.
„Woran erinnerst du dich, wenn du an Adolf Hitler denkst, fragte mich mein Enkel Mike Andre als Erstes. „An einen überaus brutalen, herrschsüchtigen Menschen
, antwortete ich, ohne lange überlegen zu müssen. „Warst du Mitglied in der HJ oder im BDM?, wollte Mike Andre es genauer wissen. „Nein
, antwortete ich ihm, „ich war nur Jungmädel."
Alle weiteren Fragen, die mein Enkel mir stellte, möchte ich (mittlerweile 81-jährig) in diesem Buch beantworten. Was ich alles erlebt habe, ist einfach zu umfangreich für ein dünnes Schulheft.
Im März 1939 kam ich in eine holländische Schule. Im gleichen Jahr brach der 2. Weltkrieg in Polen aus. Er verbreitete nichts als Angst und Schrecken. Ohne Vorwarnung wurde Rotterdam (der Geburtsort meiner Mutter) in Schutt und Asche gelegt. Plötzlich war unser beschauliches Leben zu Ende.
In meiner Klasse sah ich weinende Kinder. Deutsche Soldaten hatten ihre Väter in der Nacht abgeholt, da sie Juden waren. Als sie nach einigen Tagen zurückkamen, ging das Gerücht umher, dass sie sterilisiert worden waren. Ich hatte damals keine Ahnung, was das bedeutete, aber es musste etwas Schlimmes sein.
1940 wurde mein Vater eingezogen. In unserer Straße wohnten einige jüdische Familien. In meinen Augen waren es genau solche Menschen wie alle anderen auch, bis sie einen gelben Stern an der Kleidung tragen mussten. Nun sah jeder, wer ein Jude war. Viele schämten sich und gingen mit gesenktem Kopf dicht an den Hauswänden entlang. Sie wurden oft angepöbelt und geschlagen. Mir taten diese Menschen leid.
Im Januar 1941 bekam meine Mutter die Nachricht, dass ihre Kinder Emilie und Anna auf Befehl des Führers zum Beginn des neuen Schuljahres im März 1941 die deutsche Schule in Den Haag besuchen müssten. Die Kinder würden dort gut versorgt, von Fachkräften unterrichtet und im Sinne des Führers erzogen. Bei Zuwiderhandlung würden die Kinder zu ihrer eigenen Sicherheit den Eltern weggenommen und an einen sicheren Ort in Deutschland gebracht.
Unsere Mutter war in heller Aufregung. Sie war Holländerin und hatte durch die Heirat mit unserem Vater automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, ebenso die Kinder. Natürlich wollte sie uns behalten und gab ihre Zustimmung zu diesem Befehl.
Somit gingen meine Schwester und ich ab März 1941 in eine deutsche Schule, die am anderen Ende der Stadt lag. Anna kam in die zweite, ich in die dritte Klasse. In einem großen Raum wurden ca. 60 Kinder von einer sehr strengen, älteren Lehrerin unterrichtet. Damit auch alle verstanden, was sie sagte, musste sie sehr laut sprechen. Sie geriet leicht in Wut und machte oft von der Prügelstrafe Gebrauch. Ich hatte große Angst vor dieser Frau, weil sie so laut und unberechenbar war. Ich sehnte mich zurück nach meiner sanften Lehrerin und den Freundinnen in der holländischen Schule. Aber in der deutschen Schule lernten wir die Sütterlinschrift, die ich bis heute noch lesen und schreiben kann.
Als ich im März 1943 mein Zeugnis bekam, teilte man uns mit, dass ich zur 1 H versetzt würde. Damals gab es drei Schulformen: Volksschule, Hauptschule, Oberschule. 'Schon wieder in eine andere Schule', dachte ich. 'Wer weiß, was mich da erwartet.'
Und es kam schlimmer als befürchtet: Meiner Mutter wurde schriftlich mitgeteilt, dass der Führer beschlossen habe, sein wertvollstes Gut, nämlich seine deutsche Jugend, in Sicherheit zu bringen. Falls die Engländer und Amerikaner von der Nordseeküste her in Holland einfallen sollten, mussten die Schüler nahe der holländisch-deutschen Grenze untergebracht sein. Die Abfahrt würde noch bekannt gegeben. Es lag dem Schreiben eine Liste über die Bekleidung bei, die wir einpacken sollten. Pro Kind war nur ein Koffer erlaubt, den es im Übrigen selbst tragen musste.
Wir waren entsetzt über diese unglaublichen Nachrichten. Unser Vater war an der Front. Wir hatten schon seit sechs Wochen keine Post mehr von ihm erhalten. Nachbarn konnten nicht helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Es war eine fürchterliche Zeit.
Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Wir bekamen einen Zettel von der Schule mit, auf dem stand, dass wir in zwei Tagen um 6.00 Uhr morgens an einem gewissen Platz mit Bussen abgeholt würden. Die Volksschüler würden in ein Lager nach s`Hertogenbosch gebracht. In Roermond war ein Kloster geräumt worden, in dem die Haupt- und Oberschüler betreut würden. Wir hätten dort auch Schulunterricht. Die Eltern wurden belehrt, diesem Führerbefehl nachzukommen. Anderenfalls hätten sie entsprechende Maßnahmen zu erwarten.
Nach ca. dreistündiger Fahrt kamen wir auf einem riesigen Klosterhof an, wo schon einige Busse standen. Sofort wurden uns die Zimmer zugewiesen. Vier bis sechs Mädchen teilten sich einen Raum. Jede bekam ein Bett und einen Spind. Beides musste beim täglichen Appell (um 7.00 Uhr) tadellos in Ordnung sein. Wir erhielten Uniformen und wurden zu Jungmädchen ernannt.
Auf dem großen Hof wurden wir „geschliffen" wie Soldaten. Wir marschierten genau so diszipliniert in Reih und Glied durch die Stadt. Bis heute höre ich noch die Stimme unserer Jungscharführerin, wenn wir losmarschierten: „Links, links, links, zwo,