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Ich war, ich bin, ich werde sein: Rosa Luxemburg - Rainer Werner Fassbinder - Hinterlassenschaften
Ich war, ich bin, ich werde sein: Rosa Luxemburg - Rainer Werner Fassbinder - Hinterlassenschaften
Ich war, ich bin, ich werde sein: Rosa Luxemburg - Rainer Werner Fassbinder - Hinterlassenschaften
eBook103 Seiten1 Stunde

Ich war, ich bin, ich werde sein: Rosa Luxemburg - Rainer Werner Fassbinder - Hinterlassenschaften

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Über dieses E-Book

Eine literarische Spurensuche nach zwei großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die auf eine subtile Weise miteinander verbunden sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum10. März 2015
ISBN9783738669565
Ich war, ich bin, ich werde sein: Rosa Luxemburg - Rainer Werner Fassbinder - Hinterlassenschaften
Autor

Ingeborg Kaiser

Lebt als Autorin von Romanen, Gedichten, Hörspielen und Theaterstücken in Basel. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.

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    Buchvorschau

    Ich war, ich bin, ich werde sein - Ingeborg Kaiser

    Sagen wir Berlin und Ostbahnhof, ein Sonntag im Januar, lieber Jakow Bradkin. Fahles Mittagslicht drang durch die Wolkendecke, fiel auf Ihre gross gewachsene Gestalt, das markante Gesicht mit dem Tolstoibart. Sie stützten sich auf einen Stock und den Arm Ihrer Begleiterin. Ihre blauen Augen auf mich gerichtet, sagten Sie abschiednehmend: »Ich warte auf Ihr Buch.«

    Während der zweitägigen Konferenz der internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft in Berlin, zum Jahrestag des Meuchelmordes, war Rosa L. gegenwärtig, ihre Aktualität im 21. Jahrhundert das Thema der Historiker. Sie hielten ein Referat aus internationaler Sicht, und ich war unter den aufmerksamen Gästen im grossen Saal.

    Wir steuerten mit unseren Mittagstellern den gleichen Stehtisch an, Sie kannten mein Buch »Róża und die Wölfe«, und ich wusste, dass Sie dem Forschungszentrum für deutsche Geschichte in Moskau vorstehen. An was ich schreibe, fragten Sie, und ich gab Stichworte zum Filmemacher Rainer W. Fassbinder, der in seiner Todesnacht, Juni 1982, an einem Filmprojekt über Rosa Luxemburg gearbeitet und jäh aus der Nase geblutet habe, so dass sein Blut das Manuskript signierte. Ein Bild, das mir nachgehe wie der nächtliche Landwehrkanal, in den die ermordete Rosa L. geworfen wurde. Dass ich beides zusammenbringen, den Szenen schreibend nachspüren möchte. Vielleicht eine fixe Idee, mir eine Begegnung des Filmers mit Rosa L. in seiner Todesnacht vorzustellen? Sein Drogenkonsum mache meine Fiktion möglich, auch sei es kein Zufall, dass Fassbinder auf Rosa L. gekommen sei; trotz gegensätzlicher Biografien hätten meine Ermittlungen verwandte Wesenszüge gefunden, die mich faszinieren wie beider Nachleben.

    Sie hörten zu, schienen eher skeptisch, stellten aber keine Fragen, und wir brachten unsere halbvollen Teller zurück. Jane Fonda, sagte ich noch, sei für die Hauptrolle engagiert gewesen, dann wurden Sie von anderen Teilnehmern belegt.

    Beim späteren Podiumsgespräch dominierte die junge Politikerin Sahra, ihre dunklen Augen, dunklen Haare, luxemburgsch gescheitelt, ihre druckreifen Pistolensätze erinnerten an die Rednerin Rosa L., die Säle füllen konnte.

    Zierlich und schlagkräftig wie Sahra stand sie die Agitationstouren, Parteitage, Kundgebungen durch. Die Fotografien zeigen eine gepflegte Frau mit eleganten Hüten, die in ihren Briefen an Leo, den lebenslangen Gefährten, ihre modischen Erneuerungen nicht ausliess. Wollte sie Leo, der studienhalber in Zürich geblieben war, ihre Person mit der Beschreibung ihrer Kleider, Schuhe, Hüte bildhaft näherbringen?

    Ich habe meinen Hut lackiert, er ist wie neu.

    Vor Hannover ersetze ich auch am Hut (dem blauen aus Zürich) das Band durch ein neues weisses, denn das ist schmutzig.

    Die kämpferische Sahra, nach den Hüten befragt, fand diese das Uninteressanteste an Rosa. Doch die Auftritte an Parteitagen der Deutschen Sozialdemokraten – vor überwiegend männlichen Genossen – erforderten die passende Garderobe. Ein Hut vervollkommnete ihre Erscheinung, schien ihre zierliche Person gegen die unzimperlichen Angriffe der Genossen zu stärken. Für Sahra lag die Wilhelminische Zeit zu fern, waren Rosas Hutprobleme nicht mehr nachvollziehbar.

    Ich lese gern in Rosas Briefen an Leo, die vom politischen Tagesgeschäft handeln, ebenso von Seidenstoffen, den Rechnungen der Schneiderin, einem neuen Korsett.

    (…) das alte platzte in der ganzen Länge und lässt sich nicht reparieren.

    Auch die Straf- und Schutzhaftgefangene war um ihre Kleider und Accessoires besorgt, die Mathilde Jacob, ihre aufopfernde Freundin, zu beschaffen hatte. Am Abend der rechtswidrigen Verhaftung nähte sie im Hotel Eden ihren heruntergerissenen Rocksaum, während ihre Ermordung schon abgesegnet war.

    Bald ein Jahrhundert zwischen damals und jetzt und R. Lu. noch immer die bekannteste Unbekannte, geliebt wie verdammt, Legende, demokratische Sozialistin oder blutige Rosa? Ihr Bild wie ein Puzzle, das nicht aufgeht. Als könnten die zusammengewürfelten Teilchen kein Ganzes ergeben.

    Früher Morgen, zum Abschluss der Tagung eine thematische Stadtrundfahrt auf den Spuren Rosas. Noch stand ich am Fenster meines Zimmers im sechsten Stock, eine Krähenhorde wischte dunkle Rätsel in den Milchhimmel, in gleichmässigen Abständen die Lichtsignale des Fernsehturms am Alexanderplatz, als würden sie eine dringliche Botschaft morsen. Ich musste an die Schutzhaftgefangene denken, die wegen Beleidigung eines Aufsichtsbeamten, der sie während einer Sprechstunde provoziert hatte, vom Frauengefängnis in das Polizeigefängnis am Berliner Alexanderplatz überstellt worden war. Die Zelle klein und schmutzig, eine Eisenpritsche, das Klo ohne Wasserspülung, kein elektrisches Licht. Es war Herbst, Oktober 1916, und früh dunkel. Im ständigen Gedonner der Stadtbahn, deren Züge mit teuflischem Konzert vorbeiratterten, die Wände bebten, Fenster klirrten, sagte sie sich halblaut Mörikes Gedichte vor. Diese qualvollen Herbstwochen hinterliessen für immer Risse in den Nerven, meinte sie, ihr Haar sei darüber grau geworden.

    Geschichte geworden wie Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz« und Franz Biberkopf, der am Ende nach Ruhe und Ordnung schreit und sich schon bald im braunen Netz der Heilrufer verfangen könnte. Sehr viel später, 1979, das sechzehnstündige Filmepos »Berlin Alexanderplatz« des Filmemachers Rain. Ein Valse d’amour der Verlierer, der im Spätprogramm des Fernsehens verpuffte. Er war siebenunddreissig, als er starb, sein Filmprojekt Rosa L. nicht mehr realisieren konnte, aber über vierzig Filme geschaffen hatte. Mehr Filme als Lebensjahre, ein Werk, monolithisch, im Mahlstrom der Zeit. Auch Rosa zwang sich trotz ihrer Depressionen, der Migräne, den Magenproblemen in die Pflicht, ignorierte ihren Kadaver. Kein Zufall, dass der Filmer sich für Rosa und ihr Schicksal interessierte.

    Noch stand ich am Fenster, mit Sicht auf den Fernsehturm, das Areal verlassener Industriebauten, den nahen Ostbahnhof, die Doppeldeckerzüge, lange, rasche Lichtraupen mit Reisenden. Damals die Zeit der Dampflokomotiven, unbequemen Holzbänke, und gewiss gab es für Rosa keinen Schlafwagen.

    Die Fahrt nach Königshütte dauert zwölf Stunden!! und kostet 23 M III. Klasse und 33 M II. Klasse. Ich habe die Absicht, zweite zu fahren und der Partei die dritte zu berechnen, d. h. 10 M von uns auszulegen. Ich nehme in dem Köfferchen (das mir die Kusine geborgt hat) einige Kleider, Wäsche, den Kocher etc. mit.

    Der Bus mit den Tagungsteilnehmern war Stunden unterwegs, um die wichtigsten Orte von Rosa L. anzusteuern, die nur den jungen Asiatinnen neu waren. Die Erklärungen der Hostesse auf Deutsch überforderten sie, umso eifriger ihr Ablichten der vorbeiziehenden Zeitmonumente. Reichstagsgebäude, Zeitungsviertel, die Ruine des Anhalter Bahnhofs, Reststücke der Berliner Mauer, Springerhochhaus, die SPD-Zentrale auf der Roten Insel, einem Arbeiterquartier, zwischen Bahnsträngen gelegen, wo schon August Bebel gewohnt habe. Sie waren im Bus, Jakow, seine hohen Tritte beim Aus- und Einsteigen für Sie beschwerlich, doch leerte sich der Bus bei jedem Zwischenhalt, zog unsere nostalgische Pilgerrotte zum Haus im bürgerlichen Friedenau. Ein Klinkerbau mit Spitztürmchen, wo Rosa ihre erste eigene Wohnung bezog, mit Erker und Loggia, und dem Untermieter Leo Jogiches. 1906 würde der junge Kostja sein grünes Zimmer belegen, die Liebessache mit Leo, nach siebzehn Jahren, zu Ende sein. Wir starrten zur Loggia, als stände da Rosa mit Kostja im Winterlicht, beide in dunklen Mänteln, auf ihrem Gesicht ein zartes Lächeln.

    Und schliesslich der Landwehrkanal. Wir schlitterten über Eiswege bis zu der Abschussrampe aus Bronze, einer Gedenktafel, die an einen Mord erinnert, der nie verjährt. Blumenbouquets zu Rosas Jahrestag, fahles Licht auf dem langsam fliessenden Wasser,

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