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Frankreich - im Herzen: Eine versteckte Liebeserklärung an Frankreich
Frankreich - im Herzen: Eine versteckte Liebeserklärung an Frankreich
Frankreich - im Herzen: Eine versteckte Liebeserklärung an Frankreich
eBook340 Seiten5 Stunden

Frankreich - im Herzen: Eine versteckte Liebeserklärung an Frankreich

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Über dieses E-Book

Dies ist eine Sammlung von Geschichten, die das Leben scrieb, das pralle Leben im Zentrum Frankreichs.

Manches mag unglaublich erscheinen, frei erfunden, der guten Story zuliebe. Wir selbst haben ja oft den Kopf geschüttelt und uns nur noch gewundert und gefragt, ob wir vielleicht schon zuviel Grinsi-Wein getrunken haben.

Und außerdem brauchen Sie, lieber Leser, nur mal die Freunde zu fragen, die mit uns und durch uns die Auvergne kennen gelernt haben. Manche von ihnen kamen jedes Jahr zu uns (unverfroren!), und manche von ihnen fahren auch heute noch immer wieder hin (unbelehrbar!).

Will sagen: Die Auvergne kann zur Droge werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. März 2015
ISBN9783734770241
Frankreich - im Herzen: Eine versteckte Liebeserklärung an Frankreich
Autor

Brigitte Lüger-Ludewig

Brigitte Lüger-Ludewig, im wirklichen Leben Französischlehrerin und Köchin aus Leidenschaft, bereist Frankreich seit 40 Jahren und hat mit dem Hioble zusammen 5 Jahre in der Auvergne verbracht. Home: Lueger-Ludewig.de

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    Buchvorschau

    Frankreich - im Herzen - Brigitte Lüger-Ludewig

    Inhaltsverzeichnis

    Ein Wort vorweg

    Vorsicht

    Der Rosé von Corent

    Wir wandern

    Aufbruch

    Das Traumhaus

    Fortschritte

    Joyeux anniversaire!

    Méchoui

    Heiße Puppen

    Weihnachten

    Die

    Die Weinlese

    Köter

    Punaises

    WC, PC und die Lust am Essen

    Endlich mein

    Wie man Französisch lernt

    Aku-péritif

    Frühling

    Rhythmus

    Französische Ostfriesen

    Das Lob der Türklinke

    Selbstjustiz

    Knobi, Knofel, und Co.

    Sommer

    Ferien am Meer

    Ein Dorn im Auge

    Eulen in der Nacht

    Beruf und Hobby: Laster

    Naturgewalten

    Import - Export

    Etikett und Etikette

    Farrebique - Biquefarre

    Bridge

    Le Tour de France

    Alice

    Chez l'épicier

    Fête Patronale

    Müllprobleme und Lösungen

    Grinsi

    Brocante

    Vorurteile oder Urteile?

    Gartenfreuden

    Herbst

    Ganz umsonst

    Frédéric

    Autobahn-Service

    Streik

    Naturgewalten - 1

    Taoudi

    Stufen der Annäherung

    Essen im Restaurant

    Die Blumenausreißer

    Deutscher Überdruck

    Daniel

    Tiercé

    La Bourboule

    Alles Käse

    Köter - 1

    Tauzat-Chauvet

    Köter - 2

    Le feu de la St. Jean

    La baguette

    Kochkünstler

    Das Bier-Elend

    Arbeit fürs Archiv

    Henriet

    Horror, Spuk und Hexerei

    Dallas

    Les vipères

    Rasputin

    La météo

    Saurier

    Der Wochenmarkt

    Fromage de chèvre

    Kalt

    Das Klavier

    Walnüsse

    Allanche

    Winter

    Kälter

    Dusche gratis

    Wir wandern - 1

    Eiskalt

    Krieg und Frieden

    Die Zypresse

    Klöppeln

    G. R. 4

    Erotik im Alltag

    Truffade

    Frust

    Die Moral von der Geschicht'

    Und inzwischen?

    Mein Dank gilt:

    Impressum

    Ein Wort vorweg

    Dies ist eine Sammlung von Geschichten, die das Leben schrieb, das pralle Leben im Zentrum Frankreichs.

    Manches mag unglaublich erscheinen, frei erfunden, der guten Story zuliebe. Wir selbst haben ja oft den Kopf geschüttelt und uns nur noch gewundert und gefragt, ob wir vielleicht schon zuviel Grinsi-Wein getrunken haben.

    Und außerdem brauchen Sie, lieber Leser, nur mal die Freunde zu fragen, die mit uns und durch uns die Auvergne kennengelernt haben, den Bernhard, die Franziska, die Margit, die Anne, den Ulrich und all die andern. Manche von ihnen kamen jedes Jahr (unverfroren!), und manche von ihnen fahren auch heute noch immer wieder hin (unbelehrbar!). Will sagen: Die Auvergne kann zur Droge werden, mit Entzugserscheinungen und allem drum und dran, Sehnsucht nach der vielfältigen Landschaft, der glühenden Hitze und den verschneiten Wäldern, den eigenwilligen Menschen, dem rustikalen Essen, den fast mittelmeerischen Düften, der Ruhe in der endlos scheinenden Natur, den Alltagsgesprächen in den Dörfern: sinnliche Erfahrungen, die dort und nirgendwo anders in dieser Art zu machen sind - richtiges Heimweh eben.

    Der Leser könnte nun auf den Gedanken kommen, dass Tourismus-Büro habe mich gesponsort, dem ist (leider) nicht so. Im Gegenteil, statt dermaßen für die Auvergne und ihre faszinierenden Kräfte zu werben, müsste mein Interesse sein, dieses Paradies geheim zu halten, damit es noch möglichst lange so bleibt, wie es ist.

    Als Wein zu diesem Buch empfehle ich Ihnen einen Bordeaux, nicht zu jung, eher einen älteren, reiferen Jahrgang. Gut chambriert. Vielleicht auch ein Stückchen Käse dazu. Gemütliches Licht, einen Sessel, im Winter noch ein knisterndes Feuer - so wie in Frankreich.

    In der heißeren Jahreszeit könnte ich Ihnen sogar zu einem leichten Wein aus der Auvergne raten. Wenn es 35°C im Schatten sind oder mehr, so ist ein gekühlter Rosé, aus Corent zum Beispiel, genau das Richtige. Über dem Kopf ein schattiger Walnussbaum. So könnte man es wohl aushalten und die Reise in das Herz von Frankreich beginnen.

    Vorsicht

    Ein paar wenige Namen von Orten und Personen habe ich geändert, ich weiß nicht, wieviel Humor die einzelnen so haben! (Vgl. Kap. „Selbstjustiz", S. ...) Es ist aber trotzdem kein Problem, die Geschehnisse auf der Landkarte oder in der Auvergne selbst nachzuvollziehen. Und ob ein Pierre oder Jacques den Garten umgräbt, tut ja nicht so viel zur Sache. Wer die Leute kennt, erkennt sie auch im Text wieder.

    Mein Mann H.H. hat bereits Konsequenzen angedroht, falls ich seinen Vornamen nicht auch ändere. Da mir seine Gründe nicht einsichtig sind (er müsste ab sofort nur noch mit der Sonnenbrille und der Tarnkappe herumlaufen und pausenlos Autogramme geben ...), habe ich für ihn, passend zum Monogramm, den schönen Namen „Hiob-Horst ausgewählt, in zärtlichen Momenten wird daraus „das Hioble. Darüber ist er nun aber auch wieder nicht begeistert.

    Der Rosé von Corent

    Freunde haben uns mitgenommen in ihr Lieblingsrestaurant nach Corent. Ohne die Hilfe Eingeweihter wäre es wohl kaum zu finden, und selbst dann würden wir uns in diesen alten Schuppen gar nicht hineingetrauen. Eine Außenbeleuchtung fehlt total. Es gibt weder ein Schild mit dem Namen der Besitzer oder des Restaurants, geschweige denn eine Speisekarte. Wir gehen ein paar Stufen hinunter und öffnen eine schwere Holztür. Dahinter liegt ein einziger Raum mit einem Gewölbe, eine ehemalige cuvage , da hat man früher den Wein „zubereitet". Im Kamin, aus Naturstein gemauert, brennt ein gemütliches Feuer. Darüber brutzeln in respektierlicher Entfernung die gigots d'agneau - die Lammkeulen, am Faden aufgehängt, gerade so, daß sie garen, aber nicht verbrennen und ihr Fett tropfenweise das gratin de pommes de terre - den Kartoffelauflauf - in einer großen Rechteckform saftig und knusprig macht. Wer bis jetzt noch keinen rechten Appetit hatte, der bekommt ihn spätestens bei diesem Anblick. So ungefähr muß es schon vor hundert Jahren zugegangen sein.

    Auf den langen Holztischen stehen leere Glasflaschen - eine Weinkarte gibt es nicht. Aber eine Treppe tiefer sind zwei große Fässer aufgebockt, eins mit Rotwein, das andere mit Rosé gefüllt, dem berühmten Rosé de Corent . Jeder kann trinken, soviel er will, holen muss man den Wein allerdings selber. Das ist zu Beginn des Abends kein Problem. Die männlichen Gäste, fast alle in Anzug und Krawatte, kümmern sich gemessenen Schrittes um diese unweibliche Aufgabe, steigen hinab in den feuchten Keller und servieren den Damen den gewünschten Tropfen.

    Nur verändert sich die Szenerie im Laufe des Abends beträchtlich. Der Gang der Weinholer wird lockerer, die Mienen entspannter, die Krawatte fehlt auch schon, und zu späterer Stunde erkennt man deutlich, wozu diese Treppe ein so stabiles Geländer hat! Runter kommen sie alle irgendwie, nur das Wiederhinaufsteigen mit einer vollen Flasche in der Hand entwickelt sich zunehmend zum regelrechten Spektakel, so dass die Blicke, die zunächst am Kaminfeuer und den triefenden Lammkeulen hingen, nun in die andere Richtung gehen und den Gehbehinderten gilt, die den Aufstieg aus dem Weinkeller versuchen.

    Natürlich erzählen wir den Freiburgern von diesem tollen Restaurant, und die sind schon ganz scharf darauf, da endlich hinzukommen. Außer mit dem grenzenlosen Weinkonsum haben wir sie auch noch mit dem Dessert heißgemacht. Aber als wir zum Nachbartisch schauen, wo eine Runde Japaner etwa gleichzeitig mit uns ihre Mahlzeit verzehrt, da sehen wir mit Entsetzen, daß die Eis aus Pappbechern in sich hineindrücken! So geht's ja auch nicht! Deshalb sind wir nicht hier. Die Bedienung wird gerufen, und wir erkundigen uns mit viel Honig in der Stimme, ob wir nicht das supertolle Spitzen-Dessert vom letztenmal kriegen könnten, unser Besuch aus Deutschland wäre extra deswegen gekommen und noch eine Weile so weiter. Das Fräulein taut sichtlich auf, fühlt sich gebauchpinselt, lächelt, nickt dann sogar und entschwindet. Und sie kommt nach einer Weile zurück mit einem Omelette norvégienne - einem in Meringe gehüllten Eisblock, der im Grill überflammt und am Tisch flambiert wird. Den Japanern am Nachbartisch fallen fast die Plastikgriffel aus der Hand, als sie unser Dessert erblicken!

    Was die paradiesische Schluckerei angeht, so müssen wir uns leider sagen lassen, dass die Exzesse wohl dermaßen schlimm waren, dass man sich gezwungen sah, die Weinmenge nun doch zu begrenzen, ein Liter für vier Personen ist im Menupreis enthalten, alles weitere muss extra bezahlt werden. Holen darf man ihn noch immer selbst, aber naja, das ist doch nicht mehr dasselbe. Beim Bezahlen fragt uns die Bedienung nun, wie oft wir denn „unten gewesen wären ... Es muss orgiastisch gewesen sein, dieses „free climbing auf der Holztreppe, denn der Chef ist kein Mann von Traurigkeit. Wenn er Freunde zu Gast hat und die Stimmung dem Höhepunkt zustrebt, dann ergreift er den Säbel und öffnet mit einem Streich die Champagnerflasche - sabrer le champagne nennt man das. Leider haben wir noch nicht zu den Teilnehmern einer solchen Runde gezählt.

    Daniel möchte unser Kultur-Defizit diesbezüglich bei der nächsten Gelegenheit ausgleichen. Das Hioble hat Geburtstag, aber erst in ein paar Minuten, dann ist Mitternacht. Wir sitzen mit Freunden in der großen Küche von Daniel und Christiane um den drei Meter langen Esstisch herum. Die Champagnerflasche ist schon bereit, und Daniel will sie würdevoll öffnen. Die Sache hat nur einen Haken - er hat keinen Säbel! Stattdessen kramt er das größte Küchenmesser hervor und rumst die Schneide gegen den Flaschenhals! Alle blicken gebannt auf den Zeremonienmeister. Nichts tut sich. Daniel holt weiter aus und schlägt sich selbst die Flasche aus der Hand! Sie fällt krachend auf den Fliesenboden, zerbricht aber nicht. Nun kriegt Daniel langsam die Wut und wir die Angst. Wir verkriechen uns hinter Stuhllehnen und Türpfosten. Daniel versucht noch einige Male, den Flaschenhals mit dem Riesendolch zu köpfen. Aber die Flasche fällt nur immer wieder zu Boden. Endlich, endlich schafft es Christiane, ihrem Mann das Messer abzunehmen und ihn zu überreden, die Flasche „klassisch" zu öffnen. Aber das ist nach all dem Geschüttel nun auch nicht mehr möglich. Kaum ist der Draht entfernt, saust der Korken davon und der Champagner über das neue Hemd vom armen Jacques, der wie ein begossener Pudel dasitzt. Er könnte jetzt gut seine Ärmel auslutschen. Die Reste in der Flasche reichen natürlich nicht hin und nicht her. Die zweite Flasche macht dann allerdings Christiane auf ...

    Das etwas andere Öffnen einer Champagnerflasche gelingt nicht nur mit einem Säbel, einem militärischen Gruß und in Gegenwart hoch dekorierter Offiziere. Ein großes Küchenmesser tut es auch. Die Flasche sollte gut gekühlt sein und nicht allzu stark bewegt werden wegen des „Formel-1-Effekts": alles spritzt raus, keiner hat was im Glase! Man löst die Ummantelung des Korkens und das Drahtgestell, legt nun die Flasche auf den linken Unterarm, so dass der Daumen unten in den Flaschenboden greift, die anderen vier Finger dienen als Auflage. Nun fährt man mit dem Messerrücken die Flasche entlang bis zum Hals der Flasche und haut mit einem kurzen kräftigen Hieb gegen den Rand unterhalb des Korkens. Dieser fliegt samt Glasrand davon, ohne Splitter zu erzeugen. Man achte auf die Schussrichtung!

    Rezept für das wie in Corent

    Man nimmt eine ovale oder rechteckige flache feuerfeste Form und legt sie mit Löffelbiskuits aus. Diese tränkt man tüchtig mit Himbeergeist. Darauf gibt man einen Block Vanille-Eis, eine Schicht frische Erdbeeren und einen zweiten Block Eis. Fünf bis sechs Eiweiß werden mit einer Prise Salz und Zucker nach Belieben steifgeschlagen, am besten im Wasserbad. Das Eispaket dekorativ mit dem Schaum umhüllen, mit der Gabel Spitzen hochziehen. Ab in den glühendheißen Backofen oder unter den Grill. Nicht weglaufen! Nach wenigen Minuten werden die Eiweißspitzen braun. Das Dessert auftragen und bei Tisch mit erhitztem Rum oder Cognac flambieren.

    Wir wandern

    Wir sind mal wieder mit Jean-Paul und Michel gewandert.

    Diesmal geht es quer durch die Pampa, hinauf zum Fuße des Sancy, dorthin, wo sich alles Mögliche „Gute Nacht" sagt. Es gibt da nur noch einen Bauernhof und eine umgebaute Scheune, die jetzt als gîte d'étape - als Wanderheim - funktioniert. Bei schönem Wetter ist so ein Marsch das große Vergnügen. Aber nach zwei Stunden Weg fängt es an zu regnen, und der Regen nimmt kein Ende. An diesem Tag regnet es nur einmal. Klatschnass kommen wir zur gîte , jetzt muss erst einer los, den Schlüssel holen bei den Bauern. Endlich! Wir haben ein Dach über dem Kopf, fürs Erste sind wir gerettet. Wir duschen und ziehen uns trockenes Zeug an.

    Da wir noch Milch und Käse zum Abendessen brauchen, geht Jean-Paul los, kommt aber zu früh, eine Stunde später soll es Milch im Haus gegenüber geben. Nun sind H.H. und ich dran. Wir klopfen - herein! - und stehen starr. Eine mittelalterliche Kulisse tut sich vor uns auf: ein großer dunkler, fast schwarzer Raum, im Hintergrund ein riesiges Alkovenbett mit viel dunklem Holz und Vorhang und einem alten Mann in Schlafanzug und Mütze auf der Bettkante, der mit baumelnden Beinen neugierig zu uns herüberschaut.

    Im Vordergrund seine Frau, dick und rund, sie hat zwischen ihren enormen Schenkeln einen riesigen runden Kessel eingeklemmt, in dem sie mit einem Kochlöffel rührt - das soll Käse werden. Eine ganze Großfamilie Fliegen tummelt sich darin, d.h. durch die Wärme und den zähen Brei hat es sich wahrscheinlich inzwischen ausgetummelt.

    Wir kaufen unsere Milch und ziehen uns geschockt von dieser unwirklich anmutenden Szene zurück. Unsere Freunde beölen sich, über unseren Schock, nicht über die Bauersleute. Wir hätten doch auch Käse kaufen wollen!?

    Wir kochen eine heiße Suppe, es ist lausig kalt und zieht durch alle Ritzen. In der großen ausgebauten Scheune sind wir die Einzigen. Unten drunter ist ein kleiner heizbarer Schlafsaal, den haben wir dummerweise ein paar Mädels überlassen, die nach uns kamen, da ahnten wir aber noch nicht, wie kalt es oben werden würde!

    Wir hocken uns an einen der langen Tische und holen eine Decke nach der anderen von den Betten - eine wickeln wir um die Hüften, eine zweite breiten wir über die Knie, und eine dritte legen wir so um die Schultern, dass man gerade noch eine Hand rausstrecken kann, um die heiße Suppe einzufahren. Nach dem Abwasch, der uns ein bisschen erwärmt, kloppen wir Karten, dick in die Decken eingemummelt. Rotwein wärmt das Herz und die Füße. Als wir die richtige Bettschwere haben, stellen wir fest, dass man es auf den Betten vor Zugluft nicht aushalten kann. Es ist nicht nur eisig kalt, es weht einen auch fast davon. So ziehen wir die Matratzen von den Gestellen und drücken sie zwischen den Reihen auf den Boden. Endlich liegt jeder irgendwo an seinem Schlafplatz, unsichtbar, verbarrikadiert wie in einer Festung.

    Am anderen Morgen schüttet es noch stärker. Es kommt runter, alles was geht. Oh Elend. Keine Aussicht auf Besserung. Wir beschließen einstimmig, die Wanderung auf dem schnellsten Wege zu beenden, aber dazu müssen wir erstmal in zivilisiertere Gegenden kommen, wo es Straßen und Verkehrsmittel gibt. Nach kürzester Zeit sind wir klatschnass, kein Faden am Leib ist mehr trocken. Die Schuhe quietschen und triefen bei jedem Schritt.

    Gegen Mittag erreichen wir einen Ort, ein Bistrot. Der Bus fährt nicht vor dem Abend zum Arbeitsschluss. So ruft Michel seine Frau an, damit sie uns holt, bevor wir alle die Lungenentzündung haben. Nun wird erstmal Mittag gegessen. Es gibt kalte Sojawürstchen aus der Dose, die ersten, die unsere französischen Freunde zu sehen bekommen. Mit Argwohn testen sie den Geschmack. Das ist ja noch schlimmer als Regen und Kälte, diese vegetarische Zumutung. Auch die Angestellten des Bistrots beäugen uns mit Argwohn. Endlich kommt Jacqueline und bringt uns zu heißer Dusche und Steak und Frites.

    Deutschunterricht

    Auch in der Auvergne haben viele Orte eine Partnerschaft mit deutschen Gemeinden, eine jumelage . Und da man sich mit Händen und Füßen nur rudimentär verständigen kann, ist natürlich Bedarf an Deutschunterricht. Und da ich nicht berufstätig bin und gerne Leute kennenlernen möchte, erkläre ich mich bereit, solch einen Kurs in St. Bonnet zu geben. Dort kennen wir schon etliche Leute, z.T. noch von unserer Wohnungssuche her, und die Partnerschaft mit ihrer bayrischen, französisch lernenden Gemeinde bei München dauert nun fast bereits fünf Jahre. Jedes Jahr zu Pfingsten ist Austausch, einmal hin und einmal her.

    Für den Deutschunterricht steht uns ein Klassenzimmer der Grundschule im Rathaus zur Verfügung – rein theoretisch zumindest. Denn rein praktisch kommt immer mal wieder etwas dazwischen, und der Raum wird für Wichtigeres benötigt.

    So wundere ich mich eines Abends über den Wagenpark vor dem Rathaus, der nicht von meinen Schülern stammen kann. Und siehe da: Der Unterrichtsraum ist angefüllt mit Geschnatter und Geschäftigkeit und ich muss mich erst mal durchkämpfen um zu entdecken, was da läuft.

    Die Tische sind alle in Reihe gestellt, wie zu einem großen Fließband. Darauf liegen keine Deutschbücher, sondern Brote in Massen, außerdem Teller, Messer, Tüten – als wollte jemand ein großes Fest oder ein Riesenpicknick vorbereiten. Was ist hier los?

    Dass mein Deutschunterricht nicht stattfinden kann, ist ohne Bedeutung. Dass mich niemand benachrichtigt hat, ist ebenso unwichtig offensichtlich. Zählen tut eindeutig nur die Fertigstellung dieser Brote, und zwar an diesem Abend.

    Wir befinden uns kurz vor Pfingsten, am Vorabend der Abfahrt eines Busses nach Bayern zur Partnergemeinde. Und was soll da mit als Überraschung? Überraschungsbrote, „des pains surprise", und die werden gerade gefertigt. Nachdem ich den Schock überwunden und den Zusammenhang begriffen habe, füge ich mich in das Unabänderliche und interessiere mich für die Fabrikation dieser originellen Mitbringsel.

    Der Bäcker des Ortes, der natürlich jetzt die wichtigste Person ist, hat Unmengen von kugelrunden Broten gebacken, aus Roggensauerteig schätze ich mal. Von diesen wird zunächst der Boden abgeschnitten und beiseite gelegt. Dann wird das Innere in Form eines Zylinders herausoperiert. und in dünne Scheiben aufgeschnitten, eine schwierige Angelegenheit. Die Scheiben werden bestrichen mit einer Mischung aus je einem Drittel Roquefort, Butter und geriebenen Walnüssen und im Bauch des Brotes aufeinander gelegt. Das Brot bekommt so seine ursprüngliche Form wieder zurück, so dass man auf den ersten Blick nicht ahnen kann, welch leckeres Herz sich unter der Kappe verbirgt.

    Ist ein Brot fertig, wandert es in eine große Mehltüte. Beim Servieren wird die Kappe abgenommen und der leckere Zylinder wie eine Torte zerteilt. Dazu trinkt man ein Glas Rotwein. Beides soll den Bayern sehr gut geschmeckt haben.

    Ein anderes Mal sind wir mitten im Unterricht, als es an der Türe klopft. Wir versuchen gerade mühsam, dem Dativ und dem Akkusativ beizukommen und stellen fest, dass die Deutschen sagen: Ich helfe dir, während es im Französischen heißt: Ich helfe dich. Bevor wir klären können, ob daran die Römer, die Gallier oder die Kommunisten schuld sind, drängt ein aufgeregter Mann in den Raum und verlangt mich zu sprechen. Da ich das grammatische Schlachtfeld gerade jetzt nicht einfach verlassen will, frage ich nach dem Grund: „Es geht um Ihr Auto." Oha, sofort gehen einige Männer aus dem Kurs mit mir nach draußen auf den Parkplatz. Dort steht mein Auto nach wie vor, nur leicht verändert. Die hintere Tür sieht aus wie in der Mitte längs gefaltet! Als hätte jemand mit der Axt von oben nach unten eine Teilung vornehmen wollen. bin begeistert. Egal, was die folgenden Verhandlungen ergeben werde, ich weiß auf jeden Fall schon jetzt, dass es eine Menge Ärger geben wird, das Auto muss für mehrere Tage in die Werkstatt undsoweiterundsofort.

    Ich kriege Mordgelüste, bevor ich überhaupt weiß, über wen ich mich hermachen soll. Ein großer, von der Fimcrew gemieteter Jeep ist offensichtlich rückwärts in meinen Wagen gefahren und hat das Blech tüchtig auf die Probe gestellt. Ich bin sprachlos. Und das will was heißen. So was muss man doch merken und rechtzeitig bremsen, sobald es zu knirschen anfängt! Wie sich herausstellt, ist der Jeep nur geliehen von einer Truppe, die in St. Bonnet einen Film dreht, und zwar nach einem Buch von Bernard Clavel.

    Und trotz der Aufregung über den Schaden an meinem Auto sind wir nun natürlich alle neugierig, wie und wo was gedreht wird. Der Dativ und der Akkusativ können sich weiter im Klassensaal streiten. Wir haben Wichtigeres zu tun und brechen den Unterricht „aus aktuellem Anlass" und wegen geschwächter Nerven der Lehrerin ab.

    Da es schon dunkel ist, können wir den Drehort leicht finden. Er ist hell erleuchtet. In einem lichten Wäldchen wird eine Fluchtszene gedreht. Ein Mann flieht vor Wölfen quer durch den Wald. Und da man keine dressierten Wölfe zur Verfügung hat, müssen Hunde aus dem Dorf nun als Wölfe taugen. Die Tiere sind äußerlich so hergerichtet, dass ihre Besitzer, die neugierig das Geschehen verfolgen, sie kaum noch erkennen!

    Mein Auto muss eine ganz neue Tür bekommen, und das Theater mit der Versicherung in Paris ist schier endlos. Briefe und Telefonate führen zu nichts. Das Geld kommt nicht. So lauern der H.H. und ich eines Morgens der Angestellten von der Zweigstelle in Clermont auf und kündigen an, dass wir das Büro erst verlassen werden, wenn wir einen Scheck über die volle Reparatursumme in Händen halten.

    Es folgen mehrere Telefonate mit Paris, und endlich, endlich bekommen wir den Scheck ausgehändigt. Ein schwer erkämpfter Sieg, obwohl doch das Recht von Anfang an auf unserer Seite war.

    Der Zulauf zum Deutschunterricht ist ansonsten groß. Am Anfang ist das Klassenzimmer voll. Jeder kennt jeden, viele duzen sich, nur ich kenne erst ein paar Wenige, aber es ist lustig. Und die Stimmung ist prächtig. Jede Äußerung, jeder Fehler wird kommentiert, es werden Witzchen gerissen - natürlich auf französisch - nur gelernt wird nicht. Auf jeden Fall nicht zu Hause. Und ohne Vokabel- und Grammatiklernen gibt es nun mal keinen Fortschritt. So reduziert sich die Gemeinde schnell. Viele arbeiten in Clermont, bei Michelin, kommen abends spät heim, sind müde und sollen gleich wieder los zum Deutschkurs. Es ist logisch, dass der eine oder andere mal nicht kommt, und die Wissenslücke ist dann kaum noch zu schließen.

    Oder aber es geht einem wie Monsieur Gauvin. Das ist ein sehr korrekter Herr in den Fünfzigern, der fast direkt von der Arbeit in den Kurs kommt, er arbeitet bei der katholischen Kirche in Clermont, trägt stets noch Anzug, Weste und Krawatte, weil er keine Zeit zum Umziehen vorher hat. Er macht einen sehr distinguierten Eindruck, und vielleicht würde er sich auch gar nicht umziehen, wenn er mehr Zeit hätte.

    Eines Abends bitte ich ihn an die Tafel, um einen deutschen Satz anzuschreiben. Aber schon während er nach vorne geht, prusten die Ersten los und kriegen sich gar nicht mehr ein: Monsieur Gauvin hat in der Eile vergessen, nach seinem Zwischenstopp zu Hause die Filzlatschen gegen Straßenschuhe zu vertauschen! Und so schlurt er jetzt zur Tafel - mit Anzug und Krawatte und Filzlatschen, und alle sind aus dem Häuschen! Als auch er es endlich bemerkt und sein Blick vor Fassungslosigkeit ganz starr wird, ist erst recht die Hölle los - alles lacht und tut, und an diesem Abend ist nichts mehr zu holen. Ausgerechnet Monsieur Gauvin, der Superkorrekte!

    Die Aktion „kleine Klasse" schreitet voran. Beim nächsten Kurs sind gerade noch sechs Schüler übrig. Und so treten wir den Rückzug ins Private an. Bei Christiane Pellez in der Küche am langen Esstisch wird nun gepaukt. Die Tafel steht auf einem Stuhl. Christiane kocht nebenher die Suppe für den nächsten Tag oder überwacht ein Gericht im Backofen. Auf dem Tisch in einem großen Brotkorb

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