Androgyne
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Über dieses E-Book
Stanislaw Przybyszewski
Stanisław Przybyszewski (* 7. Mai 1868 in Lojewo, Kujawien; † 23. November 1927 in Jaronty bei Inowrocław, Kujawien) war ein polnischer Schriftsteller, der zu Beginn seiner Laufbahn auf Deutsch schrieb. (Wikipedia)
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Buchvorschau
Androgyne - Stanislaw Przybyszewski
Stanislaw Przybyszewski
Androgyne
Androgyne
Es war späte Nacht, als er nach Hause kam.
Er setzte sich an den Schreibtisch und sah gedankenlos auf einen herrlichen Blumenstrauß hin, der mit einem breiten roten Band umwunden war.
Auf dem einen Ende stand in goldenen Buchstaben ein mystischer, weiblicher Name.
Nichts weiter.
Und wieder empfand er diesen langen, fliederweichen Schauer, der ihn durchzuckte, als man ihm diesen Strauß auf die Estrade hinaufreichte.
Man hat ihn ja mit Blumen beworfen, soviel Kränze regneten nieder zu seinen Füßen – aber dieser Strauß mit diesem roten Band und dem mystischen Namen – wer mag ihn wohl hinaufgeschickt haben?
Er wußte es nicht.
Als ob eine warme, kleine Hand die seine erfaßt – nein! nicht erfaßt, – sich wollüstig einschmeichelte, hineinküßte mit heißen Fingern ...
Und sie, deren Name ihn so verwirrte ...
Vielleicht hat sie die Blumen geküßt, bevor man sie ihm reichte, ihr Gesicht in das weiche Blumenbett eingewühlt, bevor sie es zum Strauß gewunden, das reiche Armgewinde von Blumen an ihr Herz gedrückt und sich nackt und lustkeuchend über das Blumenlager gewälzt ...
Und das Geblüte atmete noch den Duft ihres Körpers, zitterte noch das kauernde, heiße Lispeln ihres Verlangens ...
Sie liebte ihn ja, sie kannte ihn schon lange, ganze Tage hat sie zitternd durchdacht, bevor sie wagte, ihm diese Blumen zu schenken ... Er wußte es, ganz genau wußte er es ...
Er wußte sicher, daß sie ihn liebte, denn solche Blumen schenken nur Mädchen, die lieben.
Er schloß die Augen und horchte.
Er sah riesige Märchenrosen, schwarze, blutdürstige, weiße, auf langen Stengeln sich wiegende Rosen. Sie verneigten sich, tief und tiefer, sie richteten sich stolz empor, sie lockten und lachten, trunken ihrer eigenen Pracht.
Er sah Tuberosen, weiß wie Bethlehemssterne, feinstrunkig mit bläulichem Geäder – er sah Urbäume von weißen und roten Azaleen, belastet und überladen von weichflaumiger Blütenpracht und herrlich anzuschauen wie reiche Ballkleider auf wundersamen Märchengestalten längst verstorbener adliger Frauen, er sah Orchideen auf heißgeöffneten Lippen, lustheischenden, giftigen Lippen und Lilien mit weitgebreitetem Mutterschoß der keuschen Lüste und Narzissen und Bionen, Begonien und Kamelien – eine ganze Sintflut von berauschendem Farbengift, berückendem saugenden Duft überströmte seine Seele.
Der weiche Maienduft des Flieders ergoß sich in ihm mit der stillen, kindlich naiven Serenade der Hirtenflöten in heißen Frühlingsnächten – wie brünstige Triumphfanfare brauste das gelle Purpur der Rosen, mit keuschen Armen umfingen die Lilien sein Herz, lüstern saugten an ihm mit roten Zungen die Orchideen, in weißem kalten Glanz tanzten um ihn die Tuberosen, wie aphrodisisches Gift ergoß sich in ihm der berückende Duft der Akazienblüten, geschwängert von dem blitzheißen Sommergewitter, und alle diese Düfte, kühl und weich wie reine Mädchenaugen, unwissend ihres Geschlechts – heiß und gierig wie die Arme einer rasenden Hetäre – giftig und schreiend wie der Blick einer getretenen Otter: dies alles ergoß sich in ihm, durchtränkte, durchsättigte ihn; er war berauscht, machtlos; er fühlte, daß er kein Glied rühren könnte, er unterschied nicht mehr die Eindrücke voneinander, er sah keine Farben, fühlte den Duft nicht mehr, alles wurde eins.
Aus der Tiefe blühte in ihm auf ein weites Brachfeld, öde; traurig, schwer gebreitet wie das Stöhnen der Glocken in der Abenddämmerung des Gründonnerstags – weit in der Ferne blaute ein glitzernder Streifen eines fernen Sees, still gebettet von der schlafschweren Hitze des Mittags – nur hie und da schoß empor der schlanke Stengel einer Königskerze, als hätte sie die durchglühte Erdscholle aufgerissen und drohte nun mit siegesmächtiger Faust dem Himmel – nur hier und da ein paar verkümmerte Wachholderbüsche, verkrampft zu seltsamen Formen, als wären sie krank an dem Gift der Leichen, die hier einstens die Erde gedüngt haben – nur hier und da an den sandigen Gräbern träumten blaue Zichorienkörbchen, sehnsüchtig auf den Sonnenuntergang wartend, wenn sie die Blüten zusammenschließen und den Kirchhofszauber der öden Heide schauernd durchkosten dürften ...
Dann wieder sah er Kreuzwege auf den Moortriften zwischen den Sümpfen und abschüssigen Gräben. Die Stunde des Mitternachtsgrauens naht, voll von schreckender Angst und Pein. Ab und zu schießt ein Irrlicht, behende wie ein Gedanke über die sumpfigen Wassertümpel, blitzt auf ein stilles, geheimes Leuchten, hin und wieder bellt ein Hund auf im nahen Dorf, ein anderer antwortet ihm mit langgedehntem Winseln, dann wieder der gelle Ruf des Nachtwächterhornes – und wieder Stille, Stille, die sich hineinschraubt, mählich und tief in die dunkelsten Abgründe und alles aufsaugt, mein Heute und mein Morgen, die den Schritt und jede Regung lahm legt und einen so unendlich einsam, so weltfern und daseinsfremd macht.
Und in immer neuen Bildern erstand vor seinen Augen sein ganzes Heimatland: ein riesiges Laken, zerrissen und zerfetzt in grüne Gerstenlappen, in weißaufgeblühte Heidekrautfelder, goldene Roggenteppiche, blutrote Beete peitschenschwerer Weizenähren: die ganze Erde ist maitrunken, brünstig in ihrer Blütenpracht, ungeheuer in ihrer schöpferischen Raserei, in der hochzeitlichen Majestät andächtiger Liebe – die ganze Erde weit hinauf bis an die Umfriedung der weißen Kirche auf der Anhöhe ...
Breite Ströme