Küss die Hand, gute Nacht, die liebe Mutter soll gut schlafen
Von Martin Auer
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Über dieses E-Book
Martin Auer erzählt in dem Buch „Küss die Hand, gute Nacht, die liebe Mutter soll gut schlafen“aufgrund von Tonbandaufzeichnungen von Kindheit und Jugend seiner Mutter Trude. Sie kommt 1936 als neunjährige Vollwaise mit ihrer Schwester ins evangelische Waisenhaus in Wien. Dort tyrannisiert die „Liebmutter“ ihre Zöglinge, während draußen der Austrofaschismus seine Diktatur errichtet hat. Geschildert werden die Schicksale der kleinen Leute, die Ereignisse der Ersten Republik, der Einmarsch Hitlers, die Kriegszeit und die unmittelbare Nachkriegszeit. Die eingewobenen Zitate aus dem Alltag zeigen ein Leben, das unter der Kälte des äußeren und inneren Drills leidet, sich daraus zu befreien sucht und den Nachkommen dennoch Hoffnung gibt. „Die Mama hat auch gesagt, dass der Hitler den Krieg will. Damals, wie der Hitler im Reich die Wahlen gewonnen hat. Und der Krieg ist doch schuld, dass wir keinen Vatern haben. Eigentlich kann ich mich gar nicht erinnern an den Vatern, nur zwei lange Hosenhaxen, sonst nichts. Aber die Tuberkulose, die hat der Vater vom Krieg gehabt, weil sie ihm in die Lunge geschossen haben, und ich will nicht, dass es wieder Krieg gibt. Damals hab ich mir vorgenommen, dass ich alle Kinder zusammenruf, und ich geh mit ihnen und wir machen einen Kinderkreuzzug, und wir gehen alle zu diesem Hitler hin und sagen ihm, es soll kein Krieg sein... Aber der Hitler macht gar keinen Krieg, sonst hätten ihn doch die Arbeiter gar nicht gewählt... Nur die Deutschen, die sollen alle heim ins Reich kommen, damit es der ganzen Nation besser geht, und wir sind ja Deutsche, weil wir reden ja so, und das heißt ‚national‘.“
Jutta Kleedorfer
(in: "Tu Felix Austria Juble")
Erstveröffentlicht: Kerle, Wien 1996
Jugendbuchpreis der Stadt Wien 1997
Martin Auer
Scroll down for English bio Martin Auer wurde 1951 in Wien geboren. Er hat die Universität besucht und dort ein Jahr lang das Studium von Germanistik und Geschichte und dann ein weiteres Jahr das Dolmetsch-Studium geschwänzt. Stattdessen hat er Theater gespielt. War sieben Jahre lang Schauspieler, Dramaturg und Musiker am „Theater im Künstlerhaus“. Hat dann eine Band gegründet. Ist als Liedermacher aufgetreten. Hat Gitarreunterricht gegeben. Die Weltrevolution vorbereitet (gratis). Als Texter für Werbung und Public Relations Übertriebenes, Unwahres und Einseitiges verbreitet (für Geld). Für Zeitungen gearbeitet. Sich zum Zauberkünstler ausgebildet. Ist bei Betriebsfesten und Kindergeburtstagen aufgetreten. Hat irgendwann einmal auch ein Kinderbuch geschrieben. Das 1986 veröffentlicht wurde. Seither betrachtet er sich als Schriftsteller und hat aus diesem Grund noch über vierzig weitere Bücher geschrieben, davon ca. zwei Drittel für Kinder. Auch einige Preise eingeheimst, z.B. den Kinderbuchpreis des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen 1990, den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 1994, 1998 und 2000, den Förderpreis des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr (das damals auch für Wissenschaft und Kunst zuständig war) 1996 und den Jugendbuchpreis der Stadt Wien 1997 und 2002. Er wurde nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 1997, und für den internationalen Hans-Christian Andersen-Preis 1997. 2005 wurde ihm für Verdienste um die Republik Österreich der Berufstitel Professor verliehen, was er ehrend, aber auch irgendwie lustig findet. Martin Auer ist Vater einer erwachsenen Tochter, Großvater von zwei etwas jüngeren Enkeln und Vater einer kleinen Tochter. Er lebt in Wien und hat keine Katzen. Martin Auer (pronounce as in “happy hour”)was born in 1951 in Vienna, Austria. He attended university but never really studied anything there. He was an actor, a musician, a singer-songwriter, a teacher, a journalist, a stage magician, a copy-writer for public relations agencies. His first book was published in 1986, and since then he has been a free lance writer. By now he has published over 40 books, among them childrens books which have won various awards and have been translated into several different languages.
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Buchvorschau
Küss die Hand, gute Nacht, die liebe Mutter soll gut schlafen - Martin Auer
Erstes Buch
Küss’ die Hand, gute Nacht, die liebe Mutter soll gut schlafen! Küss’ die Hand, gute Nacht, das Fräulein Martha soll gut schlafen! Küss’ die Hand, gute Nacht, das Fräulein Ilse soll gut schlafen!
Sechzig Kinder im Chor: Küss’ die Hand, gute Nacht, das Fräulein Grete soll gut schlafen! Küss’ die Hand, gut Nacht, das Fräulein Lotte soll gut schlafen!
Aufgereiht wie beim Militär. Da die Kinder, da die Fräulein.
Küss’ die Hand, gute Nacht ... , küss’ die Hand, gute Nacht ...
Da muß man eine jede einzeln grüßen, da kann man nicht sagen: Gute Nacht miteinand!
Gar nicht richtig anreden darf man die. Wollen, Fräulein Grete, bitte so gut sein ...
Das muß man erst einmal ... Das muß man erst einmal rausbringen.
So kalt.
Und die Liebmutter, die kann man überhaupt nicht anreden. Das schafft keine, daß sie freiwillig zu der geht und die was bittet. Oder fragt. Nicht einmal die großen Buben. Nur wenn man gefragt wird. Und dann bringt man's nicht raus.
Wie die schon dasteht! Grau. Immer ist sie grau angezogen. Und die Haare. Grau. Ganz glatt überm Kopf nach hinten, ganz stramm, und dann in einen Knödel. Daß ihr das nicht weh tut.
Der tut nichts weh. Der kann nie was weh tun, weil sie gar nichts spürt.
Grau. Diese Kleider immer. Bis zu den Füßen hinunter, bis zum Hals hinauf zu. Die hat gar keine Haxen. Die hat gar nichts, nur ein Pferdegebiß. Und Glotzaugen. Die schauen dich an, und du hast schon den Knödel im Hals.
Die Ossi sagt, die hat gar keinen Mann. Der tät sich ja fürchten im Finstern vor der.
Küss’ die Hand, gute Nacht ...
So kalt.
Und jetzt schlafen gehen. In diese kalten Betten. Bei den Kleinen. Und die Ossi bei den Großen. Zwei Schwestern, und dürfen nicht zusammen in einem Zimmer schlafen. Bagage! So was darf man nicht sagen. Aber denken schon.
Das Mädchen, von dem ich hier erzähle, hieß Trude Sokopp. Sie war gerade neun Jahre alt, als sie ins Waisenhaus kam. Das war 1936. Im Jahr 1950 heiratete sie und hieß dann Trude Auer. Bald darauf, im Jänner 1951, wurde ich geboren, ihr ältester Sohn. Vier Jahre später wurde mein Bruder geboren, und nach noch einmal vierzehn Jahren meine Schwester. 1986 war meine Mutter 60 Jahre alt. Damals bat ich sie, mir die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend zu erzählen.
Die Sokopps stammen aus Gruschbach in Mähren. Der Großvater meiner Mutter, mein Urgroßvater also, und meine Urgroßmutter sind von dort gekommen. Sie haben sich schon als Kinder gekannt, sagt meine Mutter, und sind miteinander gegangen
, seit sie zwölf und er sechzehn war. Mit achtzehn hat sie ihr erstes Kind gekriegt.
Der Großvater meiner Mutter war einer der Mitbegründer der österreichischen Metallarbeitergewerkschaft. Sein Beruf war Metalldrucker
. Soviel ich weiß, ist es dabei um das kalte Verformen von Blechen gegangen. Wegen seiner Gewerkschaftsarbeit hat er eine Stelle nach der anderen verloren,hat auch ins Gefängnis müssen. Lange Zeit hat er in Wien keine Arbeitserlaubnis gehabt, deswegen ist er nach Kärnten gegangen. Dort ist mein Großvater geboren worden, der Vater meiner Mutter, der Jakob Sokopp. Und am Ende ist meinem Urgroßvater nichts anderes übriggeblieben, als sich selbständig zu machen, weil man ihn nirgends mehr arbeiten hat lassen. Er hat eine kleine Werkstatt aufgemacht, zuerst in der Laxenburgerstraße und dann in der Buchengasse in Favoriten,das ist der 10. Bezirk von Wien. Und hat sich so recht und schlecht durchgeschlagen, sagt meine Mutter. Ursprünglich haben sie vierzehn Kinder gehabt, aber groß geworden sind nur acht.
Lieber Gott, gell, es macht nichts, daß ich soviel weinen muß? Ich kann's schon so, daß man nichts hört in der Nacht im Bett. So ist es nicht so schlimm, gell? Wenn ich eh niemand stör.
Am Häusl kann ich nicht weinen. Am Tag dürfen wir nicht raufgehen zu den Klos beim Schlafsaal, und unten haben wir nur vier. Zwei für die Mädchen und zwei für die Buben. Da gehn sie sich immer gleich beschweren, wenn ich da drin bleib und weinen muß.
Lieber Gott, ich bin dir ja nicht bös, daß du die Mama hast sterben lassen. Es hat ja so sein müssen. Wenn du es gemacht hast, dann hat es so sein müssen, ich weiß. Aber, gell, lieber Gott, sie ist im Himmel? Ich will doch auch gern in den Himmel kommen, aber ich hab solche Angst, wenn sie dann nicht da ist. Lieber Gott, sie hat nie was Böses getan. Sie war nur bös auf dich, weil du den Vattern hast sterben lassen, und sie hat ihn doch so gern gehabt. Sie hat das halt nicht so verstanden. Und vorher hat sie eh an dich geglaubt, bevor der Vater gestorben ist, nur nachher nicht mehr. Weil sie gesagt hat, du kannst das nicht zulassen, wenn es dich gibt, und wenn du es doch zulassen kannst, dann will sie nix wissen von dir. Aber sie hat es sicher nicht so gemeint, sie war doch ein guter Mensch.
Die Mutter meiner Mutter war eine geborene Beran und stammte aus Kornitz. Das gehört auch zu Mähren, glaubt meine Mutter, jedenfalls liegt es im Sudetenland, wo damals hauptsächlich Deutsch geredet wurde. Die Großmutter meiner Mutter war ein Kind aus erster Ehe, war schon über dreißig, und man wollte sie loswerden. Auf dem Land hat man nichts von einer sitzengebliebenen Tochter gehalten, sagt meine Mutter. Da ist sie mit dem Beran Andreas verheiratet worden. Am Hochzeitstag war sie spurlos verschwunden. Man hat sie überall gesucht und am Ende hat man sie im Kuhstall gefunden. Das war ein Zeichen, daß sie nicht begeistert war von der Idee, meint meine Mutter, und das Ganze ist auch nicht gutgegangen. Eltern und Schwiegereltern haben ihnen einen kleinen Hof in Niederösterreich gekauft, bei Großenzersdorf, aber den haben sie nicht lange gehabt, haben ihn verwirtschaftet. Da ist der Mann, der Großvater meiner Mutter, irgendwohin als Knecht gegangen, und sie, die Großmutter, auf einen anderen Hof als Magd. Ihre Tochter hat sie mitgenommen, die dann die Mutter meiner Mutter werden sollte. Die hat dort als Kind auch müssen mitarbeiten in der Bauernwirtschaft, das war halt so, und das einzige Spielzeug, das sie gekannt hat, das waren die Kukuruzkolben im Herbst.Das waren Puppen mit schönen, seidigen Haaren.
Wie die Mutter meiner Mutter siebzehn war, ist sie weg vom Dorf, nach Wien. Und war da Kuchlmadl
in einer Militärküche. Später hat meine Mutter herausgefunden, daß sie da einmal Pech gehabt hat. Da war ein Foto im Fotoalbum von einem Baby, und die Mutter hat immer gesagt, das ist das Kind von einer Bekannten. Und das Grab haben sie auch besucht auf dem Simmeringer Friedhof. Und erst später haben sie das Bild aus dem Album herausgenommen und umgedreht, und da ist hinten draufgestanden: Hansi Beran (Hoffmann)
. Da hatte sie also ein uneheliches Kind von einem Herrn Hoffmann bekommen. Chauffeur soll er gewesen sein, sagt meine Mutter. Und das Kind ist nur ein Jahr alt geworden.
Wie sie dann meinen Großvater kennengelernt hat, den Schackl, da war sie halt selig, sagt meine Mutter.
Lieber Gott, gell, der Vater war auch ein guter Mensch? Sonst hätt ihn die Mutter nicht so gern gehabt. Obwohl, er hat auch nicht an dich geglaubt, weil er Freidenker war. Aber in der Kirche war er trotzdem, wegen der Mama. Weil die Mama hat ja eh an dich geglaubt, nur nachher nicht mehr. Früher waren wir katholisch, aber wie der Vater gestorben ist, hat er zur Mutter gesagt, sie soll mit uns evangelisch werden. Weil ohne Kirche kommt eine Frau allein nicht aus. Aber die Katholischen hat er noch weniger mögen. Und deswegen bin ich jetzt im evangelischen Waisenhaus.
Ein fescher Mann war er und so lustig und gut, hat die Mutter immer gesagt. Und er hat gesagt, daß Kinder nicht gehaut werden dürfen. Zwar, einmal hat er die Ossi gehaut, aber nur, weil sie ihn angelogen hat. Wie sie das Grießkoch in den Kübel geschüttet hat und dann gesagt hat: Vatta, bin scho fertig!
Da ist ihm die Hand ausgerutscht. Aber nur das eine Mal. Und zur Mutter hat er ganz entsetzt gesagt: Steffi, die Ossi lügt!
Aber er wird schon nicht so fest hingehaut haben.
Und, gell, lieber Gott, daß du ihn hast sterben lassen, das war wegen dem Krieg, nicht weil er schlecht war? Er hat doch einen Lungenschuß gehabt und Tuberkulose. Da hat er nicht arbeiten können. Nur manchmal, wenn es ihm besser gegangen ist.
Der Papa ist am Krieg gestorben, hat die Mama gesagt. Und wie die Ossi von der evangelischen Jugend gekommen ist und Kriegslieder gesungen hat, da hat sie gleich eine Tetschen gfangen von der Mama, und die Mama hat gesagt: Durt gehst ma nimmer hin!
Und ein Buch hat er geschrieben über seine Erlebnisse im Krieg, aber nur den Anfang. Die Mutter hat es uns gezeigt, mit Tintenblei auf so schmalen Zetteln hat er das geschrieben, von einem Greißlerblock, und wo der Tintenblei schon ausgebleicht war, hat es die Mama mit der Feder nachgezogen. Und am Schluß ist gestanden, er möchte seinen Kindern einprägen: Nie wieder Krieg.
Und den Garten, hat die Mutter gesagt, das hat er auch für uns gemacht, daß er den Kleingartenverein gegründet hat. Damit seine Kinder eine gute Luft haben zum Atmen, wegen der Tuberkulose. Weil wir haben ja auch die Tuberkulose gehabt, aber nur ein bißchen, gell.
Und für den Sozialismus war er auch, der Vater, für die Gerechtigkeit, daß alle genug haben und nicht nur die Reichen gut leben. Und daß auch die Arbeiterkinder eine gute Schule haben und Bildung. Und daß man viel lesen soll, hat er gesagt.
Und dann hat er uns immer vorgesungen. Und am Abend, wenn's Zeit zum Schlafengehen gewesen ist, hat er gesungen:Meine liabm Kinderlein müassen recht artig sein, und müassen schlafen bis murgn in der Fruah.
Die Mama hat erzählt, wenn ich gerade mit den Bausteinen was gebaut hab, und er hat gesungen: ... müassen recht artig sein
, dann hab ich immer schon geschrien: Und müassen bau'n und müass'n bau'n!
Aber ich hab trotzdem ins Bett müssen.
Und dann ist er gestorben, weil er eine Rede gehalten hat im Schrebergartenverein, und es war so ein kalter Winter; und er hat sich so aufgeregt und zu laut geredet, und da hat er Lungenblähung gekriegt. Das war das Jahr, wo sogar die Donau zugefroren ist, da hat er ja müssen sterben.
Und ich hab solche Angst gehabt, wie sie ihn gebracht haben. Ich war ja erst zwei Jahre und ein bisserl. Ins Zimmer haben sie ihn gelegt, und niemand hat ihm mehr helfen können, und nach ein paar Tagen ist er gestorben. Und alle haben geweint, wie sie aus dem Zimmer gekommen sind. Und seither wollt ich nie mehr allein im Zimmer sein, immer nur in der Kuchl. Auch wie mir die Mama das Fuffzgerl versprochen hat, wenn ich allein ins Zimmer geh und den Leander ins andere Eck stell. Oleander muß man sagen in Wirklichkeit, gell? Das Fuffzgerl hab ich kriegt, aber ich hab trotzdem weiter Angst gehabt.
Aber gell, lieber Gott, so ist kein schlechter Mensch, und wenn die Mutter ihn lieb gehabt hat und deswegen böse ist auf dich, dann ist das nicht so schlimm, daß sie nicht in den Himmel kommen kann?
Diese grausliche Lacken soll ein Kaffee sein? Und ein Stückel trockenes Brot gibt's dazu.
Da drüben sitzt die Liebmutter am schmalen Ende vom Tisch. Vor ihr ist weiß gedeckt, bei den Kindern mit Wachstuch. Und den Bohnenkaffee kann man bis daher riechen. Und Semmeln ißt die. Und die Butter schmiert sie sich