Über den Rücken: Pferde mit Rückenproblemen richtig reiten
Von Anne Schmatelka
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Buchvorschau
Über den Rücken - Anne Schmatelka
VON RÜCKENPROBLEMEN ZU KISSING SPINES
Rückenprobleme und Kissing Spines kündigen sich langsam an! Anfangs ist das Pferd im Rücken empfindlich, beim Putzen beginnt es unruhig zu werden, unter dem Reiter bewegt es sich in der Lösungsphase hölzern oder es entstehen erste Taktfehler und das Gleichmass der Bewegungen geht verloren. Lektionen erfolgen nicht mehr geschmeidig, die Übergänge werden unrund.
Auch die Bemuskelung des Pferdes ändert sich. Das Pferd entwickelt nicht nur eine Kompensationshaltung, sondern auch Kompensationsmuskulatur. Diese ersten Anzeichen für ernsthafte Probleme sollten so früh wie möglich erkannt und ernst genommen werden.
Die ersten Anzeichen
In den allermeisten Fällen zeigen sich Rückenprobleme zuerst mit Empfindlichkeiten im Rücken. Das Pferd drückt zum Beispiel beim Putzen den Rücken nach unten, dreht sich weg, schlägt mit dem Schweif oder tritt unruhig von einem Huf auf den anderen. Viele Reiter denken, ihr Pferd sei kitzelig. Nur: Pferde sind nicht kitzelig im Rücken – bei einem solchen Verhalten haben sie Schmerzen.
Weitere typische sichtbare Symptome für den Schmerz sind Sattelzwang, also Probleme beim Auflegen des Sattels und beim Angurten. Manche Pferde versuchen, beim Aufsteigen und ersten Anreiten davonzulaufen, oder sie klemmen und machen einen Katzenbuckel, manche Pferde steigen oder bocken sogar. Auch Pferde, die in die Hand stoßen oder sich auf den Zügel legen, die triebig sind, die in Wendungen einfach steif sind und deren Rücken nicht zum Schwingen kommt, die keine Last aufnehmen, sich nicht korrekt versammeln lassen und keine Galoppwechsel springen, haben oft nichts anderes als Rückenschmerzen.
Weitere Alarmsignale für Probleme mit der Wirbelsäule und/oder der Rückenmuskulatur: Das Pferd kann auch bei kontinuierlichem Training in der Anlehnung nicht konstant sein, es geht gegen die Hand und ist mal vor und mal hinter dem Zügel. Zu Beginn des täglichen Trainings bewegt sich das Pferd hölzern und fußt im Schritt wie im Trab mit den Hinterhufen nicht einmal in die Spur des Vorderhufs. Nach einer Aufwärmphase wird dies zwar besser, doch als Reiter hat man weiterhin das Gefühl, dass irgendetwas nicht rund läuft. In Trabverstärkungen neigt das Pferd dazu, nur eiliger zu werden und Taktfehler zu zeigen. Oder es gerät auf die Vorhand und lässt sich nicht wieder aufnehmen.
So bitte nicht: Das in absoluter Aufrichtung gerittene Pferd muss sich verspannen und den Rücken wegdrücken. Rückenprobleme sind bei einer solchen Reitweise vorprogrammiert. (Foto: JB Tierfoto)
Bei Pferden mit Rückenproblemen kommt der Reiter nicht zum Sitzen und nicht zum Treiben. Wieder andere stellen das Kauen komplett ein, lassen sich nicht stellen oder biegen. Viele Pferde leiden unter deutlichem Gewichtsverlust, wirken eckig und kantig trotz guten Futters.
Das falsch gearbeitete Pferd verspannt und verkrampft sich. Das führt mit der Zeit zu Kompensationsverhalten, zu einer Schonhaltung. Das Pferd verändert sein Gangmuster, seine Muskulatur.
Wenn Reiter oder Trainer hier nicht die Bremse ziehen, werden aus diesen Rückenproblemen sehr schnell Kissing Spines. Man weiß, dass es je nach Intensität der fehlerhaften Arbeit schon innerhalb von 14 Tagen zu periostalen Reaktionen (Knochenhautreizungen) kommen kann.
Schmerzhafter Kuss
Der englische Ausdruck Kissing Spines kann wörtlich mit „sich küssende Dornfortsätze" übersetzt werden. Das hört sich nett an, ist es aber nicht. Gemeint ist ein mit Schmerzen verbundenes Annähern der Dornfortsätze der Brust- und Lendenwirbelsäule, da das Pferd durch falsches Training nicht gelernt hat, sich loszulassen, so dass der Rücken als Bewegungszentrum nicht zum Schwingen kommt.
Durch die Kontraktion des langen Rückenmuskels (M. longissismus dorsi) entsteht eine sogenannte Lordosierung der Brustwirbelsäule. Der Begriff leitet sich vom Wort Lordose ab und bezeichnet die Krümmung beziehungsweise beim Pferd die Absenkung und Verspannung der Wirbelsäule. Das Pferd hat nicht genügend Muskulatur ausgebildet, um den Rücken anzuheben. Die Muskelgruppen arbeiten nicht mehr wirbelsäulenstabilisierend, und sie werden selbst auch nicht mehr mit genügend sauerstoffreichem Blut versorgt. Es kommt aufgrund verschiedener Stoffwechselprozesse zu Ansammlungen in der Muskulatur, die – vereinfacht erklärt – zu weiteren Verspannungen führen.
Die Folge sind Entzündungen, die in letzter Konsequenz zu Sklerosierungen führen, also Kissing Spines. Unter Sklerose versteht man eine Verhärtung von Organen oder Gewebe durch eine Vermehrung des Bindegewebes.
Diese Ablagerungen sind auf dem Röntgenbild als mehr oder weniger stark ausgeprägte weiße Linien am Rand der Dornfortsätze zu erkennen. Sie lassen die Lücken zwischen den einzelnen Dornfortsätzen immer schmaler werden und schließlich fast ganz verschwinden, so dass es zu permanenten Berührungen der einzelnen Dornfortsätze kommt. Dieser Zustand ist für das Pferd sehr schmerzhaft.
Man geht davon aus, dass in der Tiefe, also in dem Bereich, den das Röntgenbild kaum noch oder gar nicht mehr zeigen kann, die Veränderungen um ein Vielfaches schlimmer sind. Das heißt: Nicht nur der Bereich der Dornfortsätze schmerzt und ist entzündet. Die tieferen Strukturen tun dem Pferd noch mehr weh.
Die Wirbelsäule des Pferdes in schematischer Darstellung. (Zeichnung: Archiv Cadmos)
Übersetzen wir die vorgenannten Aussagen: Wird ein Pferd beispielsweise in absoluter Aufrichtung geritten, also in einer nur durch Handeinwirkung herbeigeführten Aufrichtung, verändert sich die Belastung auf Knochen, Sehnen, Muskeln und Gelenke, sodass der lange Rückenmuskel zum Tragen des Reiters genutzt werden muss. Das gleiche gilt, wenn Pferde im Hals dauerhaft zu eng geritten werden, was bis zur Rollkur geht. Wann immer die Nase dauerhaft hinter der Senkrechten ist, führt das unweigerlich zu Verspannungen. Das gleiche Problem der dauerhaften Verspannungen entsteht auch, wenn beim Reiten auf die Anlehnung ganz verzichtet wird oder die Pferde gebisslos geritten werden. Aufgrund seines Aufbaus kann der lange Rückenmuskel eine Tragefunktion aber eigentlich nicht übernehmen, ohne sich massiv zu verspannen. Er ist dafür nicht geschaffen, sondern dient ausschließlich der Fortbewegung, was vor allem daran liegt, dass er als fleischiger Muskel mit einem wesentlich höheren Anteil an Bindegewebe und mit weniger weißen Muskelfasern ausgestattet ist als andere Muskeln.
Gut sichtbare Abstände zwischen den Dornfortsätzen am Widerrist bei einem fünfjährigen Pferd.
Deutlich zu erkennender Engstand der Dornfortsätze im Bereich der Sattellage bei einem sechsjährigen Pferd. Erste Verknöcherungen sind als weiße Linien zu erkennen.
Bei diesem 17-jährigen Pferd mit Kissing Spines sind keine Abstände zwischen den Dornfortsätzen mehr zu erkennen. Trotz dieser Deformationen ist das Pferd schmerzfrei und wird auf S-Dressur-Niveau geritten.
(Fotos: Anne Schmatelka)
Deshalb muss das Pferd den langen Rückenmuskel verkrampfen, um das Gewicht des Reiters tragen zu können. Auch verhärten sich die Haltemuskeln in der Tiefe und werden weniger elastisch. Dieses Verkrampfen der Muskeln zeigt sich schon nach kurzer Zeit dadurch, dass das Pferd weniger aktiv abfußt, das Gebiss nicht annimmt, gegen das Gebiss drückt und im Rücken nicht mehr zum Schwingen kommt. Viele Pferde pinseln mit dem Schweif, können das Hinterbein nicht mehr heranschliessen und fussen weniger aktiv ab. Für den Reiter macht sich dies auch dadurch bemerkbar, dass er nicht mehr sitzen kann; er wird vor allem im Trab durch den harten Stoß durchgeschüttelt.
Die veränderte Körperhaltung des Pferdes ist eine Fehlhaltung, die im Laufe der Zeit die gesamte Muskulatur des Pferdes verändert. Das Pferd entwickelt Muskeln an den falschen Stellen, an den notwendigen Stellen wird Muskulatur trotz Trainings abgebaut.
Um die falsche Belastung durch das fehlerhafte Reiten irgendwie ausgleichen zu können, verändert das Pferd seinen Bewegungsablauf, sein Gangmuster. Es wird mit der Zeit den Rücken absinken lassen. Mit dem gleichzeitigen Rückgang der Hinterhandmuskulatur sieht das Pferd immer mehr aus wie ein Windhund. Die Oberlinie ist nicht mehr sanft geschwungen, sondern es entwickeln sich „Hügel und „Absenkungen
.
Wer in einer solchen Situation, in der das Pferd oft widersetzlich oder unwillig reagiert, dazu rät, das Pferd „müsse aus erzieherischen Gründen jetzt einfach mal da durch", macht es sich zu leicht und tut dem Tier unrecht. Kein Pferd verhält sich ohne Grund unkooperativ oder gar widersetzlich.
Wenn Muskeln Bände sprechen
Woran erkennt man ein gut gerittenes Pferd? An der Bemuskelung! Man muss sich nicht einmal draufsetzen, um es auszuprobieren. Und woran erkennt man ein schlecht gerittenes Pferd? Ebenfalls an der Bemuskelung – und auch hier muss man nicht einmal auf dem Pferd gesessen haben.
Die Belastung der Wirbelsäule bei absoluter Aufrichtung und weggedrücktem Rücken. Die Dornfortsätze werden sich bei dieser fehlerhaften Aufrichtung irgendwann berühren. (Zeichnung: Erich Kotzab)