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Schwarzbuch Bührle: Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?
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eBook347 Seiten3 Stunden

Schwarzbuch Bührle: Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?

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Über dieses E-Book

Mit der geplanten Übernahme von Emil G. Bührles Gemäldesammlung durch das Kunsthaus Zürich prangt der Name des Waffenlieferanten Nazideutschlands auf einer wichtigen öffentlichen Kulturinstitution. Doch woher stammen Bührles Bilder? Das Buch geht der Herkunft vieler bedeutender Kunstwerke, unter anderem von Manet, Monet, van Gogh und Cézanne, nach und wirft Fragen zu Raubkunst und Fluchtgut auf.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum9. Feb. 2016
ISBN9783858696762
Schwarzbuch Bührle: Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?

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    Buchvorschau

    Schwarzbuch Bührle - Thomas Buomberger

    Thomas Buomberger

    Guido Magnaguagno

    Schwarzbuch Bührle

    Thomas Buomberger

    Guido Magnaguagno (Hrsg.)

    Schwarzbuch

    Bührle

    Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?

    Rotpunktverlag.

    Herausgeber und Verlag danken für die finanzielle Unterstützung:

    Cassinelli Vogel Stiftung

    Bilder der Kunstwerke mit freundlicher

    Genehmigung durch die Stiftung

    Sammlung E.G. Bührle.

    © 2015 Rotpunktverlag

    www.rotpunktverlag.ch

    Umschlagbild: Emil G. Bührle und seine

    Kunstsammlung, 1953. Foto: Dmitri Kessel.

    © Getty Images.

    ISBN 978-3-85869-676-2

    1. Auflage 2015

    Inhalt

    Vorwort

    Hans Ulrich Jost

    Das Bührle-Paradox: Ausgegrenzt und eingespannt

    Wolfgang Hafner

    Oerlikon-Bührle: Das hässliche Gesicht der Schweizer Industrie

    Thomas Buomberger

    Kunst und Kanonen: Die Herkunft von Bührles Bildern

    Guido Magnaguagno

    Die Sammlung Bührle: Raubkunst und Fluchtgut

    Charles Linsmayer

    »Blutgeld vom ersten bis zum letzten Rappen …«

    Thomas Buomberger

    Der Steueroptimierer

    Thomas Buomberger

    Bührle als Kulturförderer: Eigennutz und Großzügigkeit

    Wolfgang Hafner

    Antikommunistisch und amoralisch: Oerlikon-Bührle profitiert vom Ost-West-Konflikt

    Heinz Nigg

    Augenöffner: Raubkunst und Fluchtgut erinnern an den Holocaust

    Anmerkungen

    Literaturverzeichnis

    Die Autoren

    Personenregister

    Vorbemerkung zur E-Book-Ausgabe

    Die Publikation des Schwarzbuchs im August 2015 sowie eine ausgebuchte Podiumsdiskussion im Zürcher Kaufleuten gleich nach Erscheinen des Buches haben eine intensive Diskussion ausgelöst. Nicht nur in der gesamten Schweizer Presse, sondern vor allem auch in Deutschland ist ausführlich und wie voraussehbar sehr kontrovers und engagiert auf die Enthüllungen über Raubkunst und Fluchtgut in der Sammlung Bührle berichtet worden. Während den Autoren teils vorgeworfen wurde, wenig Neues zu liefern, war es interessant festzustellen, wie der Inhalt des Buchs ganze Zeitungsseiten spielend zu füllen vermochte. Auf einer Fluchtgut-Tagung am 31. 8. im Museum Oskar Reinhart in Winterthur versuchten Exponenten des Schweizer Kunsthandels nach dem ersten Sturm zwar noch, die alten Dämme wieder aufzurichten. Aber die Reaktionen im Zürcher Gemeinderat auf ein Postulat der Alternativen Liste (AL), die Absicht des Bundesamtes für Kultur, die Schweizer Museen bei der Durchleuchtung ihrer Bestände finanziell zu unterstützen oder die im Fall des Hodler-Bildes aus der Sammlung Blocher erstmals ausgelöste Aufforderung, auch die Schweizer Privatsammlungen auf ihre Provenienzen zu untersuchen, zeigen deutlich, dass hinter den Diskussionsstand des Schwarzbuchs nicht mehr zurückgegangen werden kann. Vielmehr ist nach der 70-jährigen Verdunkelung jetzt allgemein lückenlose Transparenz gefragt.

    Die Schweizer Haltung, die einmal mehr einen »Sonderfall« beanspruchen wollte, wird sich auch die Kategorie »NS- verfolgungsbedingter Verluste« aneignen müssen, was heißt, dass auch in unserem Land getätigte Notverkäufe restituiert werden müssen. Bemerkenswert ist, dass die Direktorin des Bundesamtes für Kultur, Isabelle Chassot, unlängst verlauten ließ, dass die Kategorie »Fluchtgut« nicht befriedige und sie den Terminus des »NS-verfolgungsbedingten Verlustes« vorziehe.

    Transparenz ist insbesondere auch von der Stiftung Sammlung Bührle gefragt. Sie betrifft auch die nicht zugängliche Privatsammlung Bührle, die einst rund 120 Bilder ausmachte. Die digital einsehbaren Provenienzen der 190 Werke in der Stiftung weisen insbesondere für die Kriegsjahre beträchtliche Lücken auf. Von »vorbildlicher Provenienzforschung« seitens der Stiftung Sammlung Bührle, wie teils in der Presse zu lesen war, kann keine Rede sein. Die Aneinanderreihung von Handänderungen genügt heutigen Ansprüchen nicht – vielmehr müssen die Familienbiografien sowie das politisch-soziale Umfeld erforscht und so dargestellt werden, dass ersichtlich wird, ob Notverkäufe getätigt werden mussten.

    Im Laufe der Auseinandersetzungen um die Aufnahme der Bührle-Stiftung in den Neubau des Zürcher Kunsthauses, dessen Eröffnung für 2020 in Aussicht gestellt ist, wurde mehrfach gefordert, dass der geheim gehaltene Leihvertrag zwischen der Zürcher Kunstgesellschaft und der Stiftung Sammlung Bührle endlich offengelegt werden muss. Auch hat sich die Bührle-Stiftung öffentlich dazu verpflichtet, im Kunsthaus einen Dokumentationsraum einzurichten. Die Autoren dieses Buchs und viele weitere namhafte Fachleute verlangen indessen, dass diese Dokumentation von unabhängiger Seite erstellt wird. Dazu ist auch der Zugang zum Bührle-Archiv vor 2020 zu gewährleisten.

    Je nach Forschungsergebnissen wäre auch eine öffentlich-politische Initiative denkbar, auf den Einzug der Dauerleihgabe Sammlung Stiftung Bührle ganz zu verzichten und die neuen Räume mit den vielen und hervorragenden antifaschistischen Künstlern Zürichs zu bestücken. Dazu gehören unter anderen Max Bill, Richard Paul Lohse, Gottfried Honegger, Varlin, Wilfried Moser, Mario Comensoli, Otto Müller, Hans Josephsohn, Hans Fischli, Hans Aeschbacher, Trudi Demut, Hanny Fries, Friedrich Kuhn, Martin Disler.

    Thomas Buomberger, Guido Magnaguagno

    Dezember 2015

    Vorwort

    Das Unternehmen, das von Emil Georg Bührle zu einer bedeutenden Waffenschmiede aufgebaut wurde, stellt seit Jahren weder Waffen noch Munition her. Der Konzern wurde ab den 1980er-Jahren bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und wieder neu zusammengesetzt, es ist nach mehrfachen Umstrukturierungen und Zu- und Verkäufen nicht mehr mit dem früheren Unternehmen zu vergleichen. Der Name OC Oerlikon erinnert denn auch nicht mehr an die frühere Geschichte. Hauptaktionärin ist die Renova AG des russischen Oligarchen Viktor Vekselberg.

    Dennoch ist der Name Bührle noch immer ein Reizwort, steht er doch für die Verknüpfung von Waffen und Kultur, von Geld und Macht, für Arroganz und Knauserigkeit. Bührle hat die Vorstellung kultiviert, dass die Liebe zur Kunst, das Sammeln von Kunst den Menschen veredle. Wer Sinn für das Schöne hat, kann kein schlechter Mensch sein. Bührle hatte nie Skrupel bezüglich seiner Tätigkeit als Waffenfabrikant – im Gegenteil. Ihn störte eher, dass der Soldat oft heroisiert wurde, während derjenige, der ihm die Kriegswerkzeuge in die Hand gab, als Todbringer Anfeindungen ausgesetzt war.

    Emil G. Bührle ist eine Projektionsfläche für das nicht immer sehr ehrenhafte Verhalten der Schweizer Politik, von Unternehmern, Kriegsgewinnlern und Opportunisten, die aus der flexiblen Neutralität der Schweiz Kapital geschlagen haben. Auch wenn vieles von dem, was moralisch fragwürdig erscheint (heute mehr als damals), auf Bührle fokussiert ist, soll nicht vergessen werden, dass er nur personifiziert, wofür viele in der Schweiz stehen, die vom Leid anderer profitiert haben.

    Mit der Übernahme von zwei Dritteln der Sammlung Bührle – vorerst als Leihgabe für zwanzig Jahre – durch das Kunsthaus Zürich, das bis anhin jährlich 8,3 Millionen Franken städtische Subventionen erhalten hat und in Zukunft ein paar Millionen mehr bekommen soll, ist der Name Bührle auch Teil der Öffentlichkeit geworden, einer öffentlichen Kulturinstitution. Damit einher geht auch die moralische Verpflichtung, sich der Vergangenheit ohne Scheuklappen und mit intellektueller Offenheit zu stellen. Und dazu gehört die lückenlose Aufarbeitung und öffentliche Dokumentation der Herkunft von Bührles Bildern, die Suche nach Raub- und Fluchtgut auch in der Sammlung des Kunsthauses und die Suche nach fairen Lösungen, wo Kunstwerke unter Druck der Naziherrschaft veräußert wurden und deshalb in die Sammlung des Kunsthauses gelangten. Zur Aufarbeitung gehört aber auch, dass die Familie Bührle offenlegt, welche Kunstwerke aus der früheren Sammlung von Emil G. Bührle heute in Privatbesitz sind, denn sollten sich dort Werke mit dubioser Vergangenheit befinden, würde das auch einen Schatten auf die Sammlung im Kunsthaus werfen.

    Der Kunsthaus-Erweiterungsbau von David Chipperfield soll dieses Museum in die Top-Liga der Kunstmuseen hinaufbefördern, soll dazu beitragen, dass die Stadt Zürich im internationalen Standortmarketing bessere Karten erhält. Ob allerdings die Sammlung des Kunsthauses mit der integralen Eingliederung der Sammlung Bührle einen entsprechenden Zugewinn an Renommee erhält, hängt zum einen davon ab, ob sich tatsächlich kein Werk mehr mit einem Schatten findet. Zum andern ist diskutabel, ob die Kunsthaus-Sammlung auch für die Besuchenden nicht gewänne, wenn die Werke der Bührle-Sammlung nach kunstpädagogischen und kunsthistorischen Kriterien in die bestehende Sammlung integriert würden und nicht als Ganzes. Denn nicht alles, was Bührle gesammelt hat, gehört in die oberste Liga.

    Der Chipperfield-Bau (Mitte) soll 2020 bezugsbereit sein.

    (Website Stadt Zürich)

    Monumentale Eingangshalle des neuen Kunsthauses, links und rechts davon die Ausstellungsräume. (Website Stadt Zürich)

    Das Kunsthaus in seiner jetzigen Form gäbe es nicht, wenn nicht Emil G. Bührle immer wieder seine Schatulle geöffnet hätte. So finanzierte er den 1958 eröffneten Bau, dessen Fertigstellung er nicht mehr erlebte. Bührles kulturelles Engagement war aber nicht nur durch Großzügigkeit und Großherzigkeit bestimmt, sondern dahinter steckte auch Kalkül. Der deutsche Parvenü erhoffte sich wohl mit seinem Engagement die Anerkennung durch die Zürcher Gesellschaft, die ihm zeitlebens mit Distanz begegnete. Dieses Engagement sollte sich aber auch finanziell auszahlen, zog er doch seine kulturellen Aufwendungen immer von den Steuern ab und versuchte auch sonst, sich steuerliche Vorteile zu verschaffen.

    Das Kunsthaus Zürich und damit die Stadt haben ein schwieriges – halbes – Geschenk akzeptiert. Es kann nur Freude bereiten, wenn immer auch an die Vergangenheit erinnert und gezeigt wird, wie die Bührle-Sammlung überhaupt zustande kam. Eine Möglichkeit bestünde darin, der Stiftungs-Sammlung einen Dokumentationsraum voranzustellen, in welchem alle Provenienzen der Werke lückenlos aufgezeigt sind. Zudem könnte man auf dem Heimplatz vor dem Kunsthaus eine Stele errichten, die an die dunklen Seiten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs erinnert, an abgewiesene Flüchtlinge, an Geschäfte mit Raubgold und Raubkunst, an Waffen- und Munitionslieferungen an Nazideutschland.

    Unsere Publikation soll den öffentlichen Diskurs um ein schwieriges Erbe fördern, soll die Diskussion über das neue Konzept des Kunsthauses weiterführen und soll darauf verweisen, dass die Vergangenheit in Bezug auf Raub- und Fluchtkunst sich so lange zurückmeldet, bis sie aufgearbeitet ist. Siebzig Jahre Weißwäscherei sind genug.

    Thomas Buomberger / Guido Magnaguagno

    Hans Ulrich Jost

    Das Bührle-Paradox: Ausgegrenzt und eingespannt

    Geierling – ein Prolog

    Sein Name ist Helmut Geierling, ein geschniegelter Herr von kaum dreißig Jahren mit einem »kaiserlich nach oben gesträubten Schnurrbärtchen«, kaufmännischer Direktor eines großen Schweizer Unternehmens, das sich modernisieren und neue Absatzmärkte erobern soll. Geierling, ein enthusiastischer Anhänger der großdeutschen Idee – wir stehen kurz vor dem Ersten Weltkrieg –, sieht in der Verbindung des amerikanischen Kapitalismus und des Deutschen Reiches das Modell der Zukunft. Es gilt, so Geierling, »mächtig zu sein, alles zu zermalmen, was sich einem in den Weg stellt«. Für ihn war »die ganze Welt in einen gewaltigen Geschäftsbetrieb verknäuelt, in eine ungeheure Maschinenhalle gepfercht, wo ein Mechanismus gegen den andern stand und es nur darauf ankam, dem größeren, stärkeren, vollkommeneren anzugehören oder ihn gar zu meistern«. Geierling gelang es, mit nicht ganz sauberen Methoden, das Unternehmen seines Schweizer Arbeitgebers zu unterwandern und sich schließlich als Mitbesitzer einzuschleichen. Am Ende einer Sitzung, bei der diese Neuorganisation des Unternehmens festgeschrieben wurde, stellte er in einer kleinen Rede freudig fest, dass mit diesem Geschäftsumbau »die kleine, aber geschäftstüchtige Schweiz« mit »dem mächtigen Deutschen Reich, als dessen Vertreter er die Ehre habe«, im Kleinen einen Bund geschlossen habe. Geierling sah weit und besprach beispielsweise »die deutsche Kolonialpolitik und ihren Einfluss auf den schweizerischen Warenabsatz«. Seine Gesinnung und das Hohelied der deutschen Kultur propagierte er auch am Biertisch, wo er mit Gesinnungsgenossen zusammen ein Gartenrestaurant mit zackigen Liedern beglückte. »Es braust ein Ruf wie Donnerhall …« schallte über die Gäste, und am Schluss »prallten die Biergläser zusammen wie Schilde in einem mittelalterlichen Gefecht«.

    Geierling ist, man dürfte es längst erahnt haben, eine erfundene Person. Es handelt sich in der Tat um einen der Protagonisten des 1921 erschienen Romans Ein Rufer in der Wüste des Zürcher Gymnasiallehrers Jakob Bosshart.¹ In vieler Hinsicht handelt es sich hier um einen Schlüsselroman, der viel über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte der Zürcher Welt vor und nach dem Ersten Weltkrieg aussagt. Der Roman Bossharts, der im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckt wurde, gab die gesellschaftliche Ambiance dieser Zeit trefflich wieder. Dazu zählen auch die engen Verbindungen zu Deutschland und zur Elite des wilhelminischen Reiches. Vor dem Weltkrieg, 1912, hatte Zürich den deutschen Kaiser anlässlich seines Schweizer Besuchs mit einem Aufmarsch und einem Jubel begrüßt, der in einer reichsdeutschen Stadt nicht hätte größer sein können. Der in Meilen ansässige Ulrich Wille, Mitglied des exklusiven, von Unternehmern und Bankiers getragenen Reitclubs Zürich und General der Schweizer Armee, zählte auch zu diesen Bewunderern des Deutschen Reiches. Er schrieb am 1. September 1914 in einem Brief an seine aus der Familie von Bismarck stammende Gattin: »Jetzt wird vollendet, was damals [1870] eingeleitet worden ist: Die Suprematie Deutschlands, das heißt deutschen Wesens über die ganze Welt. Mein ganzes Herz ist auf der Seite Deutschlands.«²

    Politische Perspektiven

    Nach dem Ersten Weltkrieg bekundete noch immer ein Teil der Deutschschweizer Elite, trotz der Niederlage des Deutschen Reiches, viel Sympathie für den großen nördlichen Nachbarn. Insbesondere die Unternehmerschaft, die sich seit dem spektakulären Aufstieg der deutschen Industrie am Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr ins Kielwasser der deutschen Wirtschaft manövriert hatte, sah in der Verbindung mit Deutschland die große Zukunft. Im Versailler Vertrag waren unserem nördlichen Nachbarn erhebliche wirtschaftliche Hürden gesetzt und insbesondere eine erneute militärische Aufrüstung verboten worden. Um dieses Verbot zu umgehen, wurde die Weiterentwicklung von Waffen ins Ausland verlegt. Zu den Firmen, die sich an solchen Geschäften beteiligten, zählte auch die 1924 von der Magdeburger Werkzeug- und Maschinenfabrik übernommene Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO), die nun mit Emil G. Bührle einen neuen Chef erhielt.³ Dank seines finanzkräftigen Schwiegervaters besaß Bührle schon 1929 die Aktienmehrheit der WO, die 1936 gänzlich in seine Hände überging. Die WO entwickelte sich schließlich im Zweiten Weltkrieg nicht nur zum größten Waffenexporteur der Schweiz, sondern auch zu einem wichtigen Instrument der schweizerischen Außenpolitik.

    Trotz des erfolgreichen geschäftlichen Aufstiegs blieb Bührle, auch nach seiner Einbürgerung im Jahre 1937, ein Geierling. Er stand einer Gesellschaft gegenüber, in der die größeren Unternehmer, die Schwarzenbach, Sulzer, Schindler und Koechlin, aristokratischen Clans gleich die großbürgerliche Szene beherrschten. Obwohl viele Schweizer Unternehmer der deutschen Oberschicht zugetan waren, betrachtete man die in der Schweiz tätigen Deutschen mit Misstrauen. Zudem waren die einheimischen Unternehmer in nicht immer leicht zugänglichen Kartellen und Wirtschaftsverbänden – etwa im Handels- und Industrieverein, dem politisch einflussreichen Vorort (heute economiesuisse) – organisiert. Bührle konnte deshalb nicht auf einen leichten Zugang zur zürcherischen und schweizerischen Gesellschaft zählen. Er beklagte sich noch 1942 darüber und versuchte, weil er »gewissermaßen noch immer als Ausländer betrachtet« werde, einen Verwaltungsratssitz in der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft zu ergattern. Doch man wies ihn ab.

    Auch das politische Umfeld war eher verworren. Zwar hätte der aus Freisinn, Katholisch-Konservativen und Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, heute SVP) gebildete Bürgerblock dem ehemaligen Offizier des Deutschen Reiches durchaus zusagen können. Und möglicherweise sympathisierte er sogar mit den sogenannten Erneuerungsbewegungen, das heißt mit den im rechtsradikalen Spektrum agierenden Fronten der 1930er-Jahre. Doch als Leiter einer Maschinenfabrik musste er auch mit der Arbeiterschaft rechnen. Diese wurde zwar, gesamtschweizerisch gesehen, vom Bürgerblock mit Erfolg ausgegrenzt. Im Nationalrat kam die Sozialdemokratische Partei in diesen Jahren nie über dreißig Prozent, und die 1921 noch dynamische Kommunistische Partei schrumpfte und verlor jeden politischen Einfluss. Doch in einigen Städten, so auch in Zürich, hatte die politische Linke eine Mehrheit. Dass es besser war, die linke Arbeiterschaft nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, erkannte Bührle in seinem eigenen Betrieb. So konnte etwa im September 1931 ein Streik in seiner Fabrik erst durch die Vermittlung des Präsidenten des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes, Konrad Ilg, beigelegt werden, wobei diese Schlichtung durch den Gewerkschaftsboss sogar zugunsten Bührles ausfiel.

    Die damals in der Schweiz vorherrschenden sozialen Spannungen waren in Zürich besonders präsent. Die Gegensätze zwischen dem Bürgertum und der Arbeiterschaft beherrschten die politische Szene. Die Konflikte spielten sich nicht nur in Wahlen und in den Räten, sondern auch im kulturellen Leben ab. Zudem war Zürich für die rechtsradikalen Bewegungen ein gutes Pflaster. An der Universität entstand eine eigentliche Pflanzschule der, wie man sie euphemistisch nannte, Erneuerungsbewegungen. Im September 1933 kam es anlässlich der Gemeindewahlen sogar zu einem »vaterländischen Block« der bürgerlichen Parteien und der Nationalen Front. Mit gewalttätigen Demonstrationen, beispielsweise gegen das Kabarett »Die Pfeffermühle« von Erika Mann oder gegen Aufführungen des Schauspielhauses, sorgten die Fronten, unterstützt durch die Bauernpartei (heute SVP), für permanente Unruhe. Auch der vom Migros-Chef Gottlieb Duttweiler 1936 gegründete Landesring der Unabhängigen trug das Seine zur Verunsicherung der politischen Szene bei.

    Wichtiger als die Zürcher Politik waren die, vor allem im außenpolitischen Bereich, getroffenen Entscheidungen in Bern. Das 1935 erlassene Verbot der Ausfuhr von Waffen nach Abessinien, nach dem Überfall Italiens auf dieses Land, traf Bührle beispielsweise sehr direkt. Er war Generalkonsul Abessiniens und lieferte Waffen in das afrikanische Land. Nach der Anerkennung der italienischen Souveränität über Abessinien teilte der Bundesrat Bührle in einem knappen formellen Schreiben mit, dass seine Funktion als Generalkonsul beendet sei. Die Waffenlieferungen nach Mexiko veranlassten Bern ebenfalls, bei Bührle zu intervenieren. Die Behörden wurden zunehmend misstrauischer, doch gleichzeitig hatten sie alles Interesse daran, die Produktion von Waffen und die Arbeitsplätze zu erhalten.

    Der Zweite Weltkrieg schuf nun in Bezug auf die Waffenausfuhr eine völlig neue Lage. Die WO wurde zu einem wichtigen Element der schweizerischen Außenpolitik. Diese, beruhend auf den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, sah im Außenhandel – und insbesondere in der Waffenausfuhr – das zentrale Instrument einer Strategie, mit der sowohl eine profitable Binnenwirtschaft gesichert wie eine gewisse außenpolitische Aktionsfähigkeit bewahrt werden konnten. Als im Juni 1940 Frankreich fiel, setzten in Bern der Bundesrat und die Delegation für Wirtschaftsverhandlungen in einer langen Sitzung diese neue Strategie fest. Man habe, heißt es im Protokoll,⁵ »alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Förderung des Exportes nach Deutschland auf der ganzen Linie herbeizuführen«. Heinrich Homberger, der Direktor des Vororts, fügte bei, man müsse »die äußersten Anstrengungen machen, um Deutschland mehr Ware, inklusive Kriegsmaterial, zu liefern«. Da zudem vorgesehen war, diese Lieferungen mit Krediten der Eidgenossenschaft zu finanzieren, solle man, meinte Bundesrat Marcel Pilet-Golaz, nicht »über eine Million mehr oder weniger« diskutieren. Schließlich kam an dieser Sitzung auch zur Sprache, wie man die WO in diese Strategie einbinden könnte.

    Diese Entscheidungen brachten Bührle in eine ambivalente Rolle. Er zählte nun zwar zum Dispositiv der schweizerischen Außenpolitik, doch

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