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Lokale Bildungsverantwortung: Kommunale Koordinierung beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt
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eBook782 Seiten8 Stunden

Lokale Bildungsverantwortung: Kommunale Koordinierung beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt

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Über dieses E-Book

Für Jugendliche ist der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt und das Ankommen dort eine schwierige Herausforderung - und auch für Städte und Landkreise stellt das Gelingen ein wichtiges Anliegen dar, aus sozialer Verantwortung, aber v. a. auch, weil Bildung und gelingende Übergänge zu einer wichtigen Standortqualität werden. Ausgrenzung aus Bildung, Ausbildung und Erwerbstätigkeit zu verhindern und die beruflichen Lebensperspektiven aller Jugendlichen vor Ort zu fördern, ist zu einer wichtigen Aufgabe kommunaler Politik geworden.
Das Buch zeigt, wie der "Koordinierung vor Ort" und damit der Gestaltung lokaler Bildungslandschaften zunehmend Verantwortung zuwächst. Ein Schwerpunkt sind konkrete Informationen zu den Handlungsstrategien, den Erfahrungen und Schwierigkeiten der Kommunen und Landkreise. Beschrieben und analysiert werden praktizierte Steuerungsmodelle, ihre Stärken und der Bedarf an Weiterentwicklung. Das Buch zielt angesichts der wachsenden Aufgaben lokaler Bildungspolitik auf eine bessere Praxis vor Ort.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Feb. 2013
ISBN9783170278783
Lokale Bildungsverantwortung: Kommunale Koordinierung beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt

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    Buchvorschau

    Lokale Bildungsverantwortung - Arbeitsgemeinschaft Weinheimer

    Einleitung:

    Kommunale Verantwortung im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt im Mainstream – Wirklich?

    Angela Paul-Kohlhoff und Wilfried Kruse

    Verfolgt man die Thematisierung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt im Kontext bildungspolitischer und sozialpolitischer Diskurse, so wird deutlich, dass der lokalen oder kommunalen Ebene eine immer größere Bedeutsamkeit zugemessen wird. Es sieht so aus, als sei kommunale Verantwortungsübernahme im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt mittlerweile im mainstream.

    Eine solche rasche Verbreiterung war kaum abzusehen, als aus dem Kontext der »Weinheimer Initiative« 2010 das Buch »Jugend: Von der Schule in die Arbeitswelt. Bildungsmanagement als kommunale Aufgabe« (Wilfried Kruse & Expertengruppe 2010) veröffentlicht wurde, das vor allem auf Empfehlungen zum Aufbau einer Kommunalen Koordinierung hinaus lief.

    Mittlerweile sind viele Erfahrungen hinzu gekommen; in einer erheblichen Anzahl von Städten und Landkreisen hat Kommunale Koordinierung im Übergang Schule – Arbeitswelt eine gewisse Ausreifung erreicht und ist insofern für einen Regelbetrieb gut vorbereitet. Zugleich sind aber auch mit fortschreitender Erprobung die mit diesem Ansatz verbundenen Schwierigkeiten und Klärungsbedarfe sehr viel deutlicher geworden, und auch das Gespür für die Hemmnisse, die durch die aktuellen Rahmenbedingungen für kommunales Handeln in diesem Feld gesetzt sind. Es zeigt sich: Kommunale Koordinierung im Übergang Schule – Arbeitswelt ist eine einfache und überzeugende Idee, die aber schwer zu machen ist. Insofern muss auch hinter die Aussage, sie sei mittlerweile mainstream ein Fragezeichen gesetzt werden: wirklich?

    Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative ist an diesem Klärungsprozess insofern besonders aktiv beteiligt, als sie zwei Ziele miteinander zu verbinden versucht, nämlich die Optimierung der Koordinierungsarbeit »vor Ort« auch durch gemeinsame Anstrengungen des Erfahrungsaustauschs und der kritischen Reflexion und die öffentliche Anwaltschaft für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kommunale Koordinierung. In beiden Feldern wissen wir heute viel mehr als noch vor einigen Jahren. Dies war das Motiv der Arbeitsgemeinschaft, sich an die Veröffentlichung des hier vorliegenden Handbuchs zu machen. Erfahrungen und Einsichten aus diesen beiden – eng zusammenhängenden – Aktivitätsbereichen sollten als Handreichung zur Verfügung stehen.

    Das »Mainstream-Werden« kann durch verschiedene Indikatoren belegt werden: die regionale Ausrichtung von Förderprogrammen des Bundes (z. B. Lernende Regionen, Regionales Übergangsmanagement, Lernen vor Ort), parallel auch in Ländern aufgelegte Förderprogramme, wie sie in diesem Buch am Beispiel von Nordrhein – Westfalen und Schleswig – Holstein dargestellt werden, und die Aussagen kommunaler Spitzenverbände (Deutscher Städtetag und Deutscher Landkreistag).

    Besonders bedeutsam erscheint es uns, dass es seit geraumer Zeit auch eine »Bewegung« von unten, also von den Kommunen und Landkreisen selbst, gibt. Diese rücken in die Aufmerksamkeit, dass insbesondere die Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt erhebliche Folgen und Konsequenzen für die Kommunen und ihre sozialpolitischen Aufgabenstellungen haben. Zugleich kümmern sie sich aus Gründen der Zukunftssorge in immer stärkerem Maße um Bildung, auch jenseits der nur eingeschränkten verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten, die sie in diesem Feld haben.

    Solche Einsichten und Erfahrungen hat eine Reihe von Städten und Landkreisen im Übrigen dazu veranlasst, in der »Weinheimer Initiative«, die durch die Freudenberg Stiftung initiiert wurde, mitzuarbeiten, und führte schließlich zur Unterzeichnung der Weinheimer Erklärung und 2007 zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft. Fachliche und politische Diskurse, die in der Arbeitsgemeinschaft geführt werden, spiegeln sich auch in dem hier vorliegenden Handbuch wider. Insbesondere ist es auch die angesprochene Gleichzeitigkeit von »top down«- und »bottom up«-Ansätzen, die einen vertieften politisch-praktischen und wissenschaftlichen Dialog erforderlich machen, der hier aufgegriffen werden soll.

    Auch in der Politikforschung findet die lokale Ebene in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. Dabei bezieht sich lokale Politikforschung immer stärker »auf lokale Politik im Sinne der Herstellung und Durchsetzung gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen in einem physisch-ortsgebundenen und Sozialraum bezogenen Interaktionssystem« (Heinelt, Vetter, 2008, 7, unter Bezug auf Heinelt, Wollmann, 1991, 9 f). Bemerkenswert an den Debatten und Ergebnissen der lokalen Politikforschung ist, dass dies eine Erweiterung der disziplinären Orientierung und eine Vervielfältigung der Inhalte und zu behandelnden Themengebieten bedeutete, die die Grenzen zwischen Disziplinen, aber auch zwischen Fachpolitiken überschreiten konnte.

    Ähnliches, nämlich eine fortschreitende Erweiterung von konzeptionellen und praktischen Ansätzen, vollzog sich auch im lokalen Feld der Gestaltung der Übergänge von der Schule in die Arbeitswelt. Waren zunächst sozialpolitische und damit verbundene Folgen für die kommunalen Haushalte zentral, erfolgte rasch eine Erweiterung um bildungspolitische Aspekte (damit war aber auch bereits das Verhältnis zwischen Aufgaben der Kommunen und des Landes aufgerufen). Dies führte dann zum Ergebnis, dass Bildung in ihrer institutionellen und informellen Seite als eine wichtige Ressource für die Stadtentwicklung und die Wirtschaftsförderung, die sehr stark arbeitsmarktpolitische Aspekte berührte, begriffen wurde. Bildung, so wurde deutlich, wird im Rahmen eines solchen Ansatzes zu einer Querschnittsaufgabe in den kommunalen Verwaltungen, die kaum ein Fachressort nicht berührt, aber dennoch ihrer fachpolitischen Verankerung und Verantwortung bedarf, wenn sie wirksam werden soll.

    Kommunale Verantwortungsübernahme für den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt oder für Bildung insgesamt und deren Kommunale Koordinierung ist also ein hoch komplexes Thema, das hohe Anforderungen an die kommunale Politik und ihre darauf bezogene Verwaltungsstruktur stellt.

    Hinzu kommt aber ein weiterer Aspekt: Politik für eine spezifische Zielgruppe (hier die Jugendlichen im Prozess des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt) unter Einbeziehung unterschiedlicher handlungsmächtiger Akteure muss immer auch von dem subjektiven Eigensinn der Zielgruppe und der beteiligten Akteure ausgehen. D. h. die subjektive Perspektive der Beteiligten muss Beachtung finden, wenn adäquate politische Strategien und praktische Handlungsoptionen entwickelt und umgesetzt werden sollen.

    Eine verordnete Politik oder anders: eine Politik des »Für » findet immer weniger Akzeptanz, vor allem in den lokalen Lebenswelten. Damit aber ist das Thema Partizipation im Sinne zivilgesellschaftlichen Engagements aufgerufen. Bergman & Lange (2011) begründen diese Ansätze nach Auswertung verschiedener sozialräumlicher Protestbewegungen und Aktionen folgendermaßen: »Diese Perspektive knüpft an die Diskussion über die vielfältigen Gründe für die Formulierung von Engagement und mitwirkenden Ansätzen auf Seiten der Bürger an. Viele Bürger sind daran interessiert, über Veränderungen in ihrem Lebensumfeld informiert zu sein, um die Konsequenzen für ihre jeweils individuellen Lebensumstände bewerten zu können« (11).

    Dies sei durchaus in eine breite Diskussion um eine veränderte Rollenteilung zwischen Staat, Institutionen und Bürgern eingebettet (vgl. ebenda in Anlehnung an Schmals 2005). Diese Entwicklung ist aber weder harmlos noch einfach: »Hinsichtlich von Bürgerbeteiligungen wird dabei ein Dilemma deutlich: Auf der einen Seite sollen Bürger aus unterschiedlichen Gründen, die vor allem mit einer Emanzipations-, Legitimations- und Kontrollfunktion zu tun haben, möglichst umfangreich an den kommunalen Entscheidungs- und Beeinflussungsprozessen beteiligt werden. (...) Auf der anderen Seite aber hat die Partizipation dort ihre Grenzen, wo die Bürger im Sinne der repräsentativen Demokratie von einer Beteiligung ausgeschlossen bleiben« (Bergmann, Lange, 2011, 11).

    Auch oder gerade im Feld der lokalen Gestaltung des Übergangs Schule – Arbeitswelt geht es demnach um einen schwierigen Balanceakt, bei der demokratisch legitimierte Verantwortung der Politik und Partizipation, die die subjektiven Perspektiven der Bürger und Bürgerinnen ernst nimmt, in eine lebendige Verbindung gebracht werden müssen.

    Vor diesem Hintergrund können drei Ausgangspunkte markiert werden, die den generellen Zugang dieses Handbuchs zum Thema »Übergang Schule – Arbeitswelt« prägen.

    Ausgangspunkt 1:

    Die Entwicklung eines kommunal verantworteten Übergangssystems

    Im Nationalen Bildungsberichts (2006) wird mit Übergangssystem jener Teil des Bildungssystems bezeichnet, der nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule solche Bildungsgänge umfasst, die nicht zu einem gültigen Berufsabschluss führen. Damit wird der Begriff des Übergangssystems fokussiert auf jene Benachteiligten, denen der Zugang zu einer Berufsausbildung oder einer weiterführenden Schulbildung nicht, bzw. nicht direkt oder rasch gelingt.

    In kritischer Auseinandersetzung mit dieser Eingrenzung gehen die überwiegende Mehrzahl der Autoren und Autorinnen in diesem Handbuch eher davon aus, dass »als Lokales Übergangssystem (...) die Gesamtheit aller Bildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungsgänge und Angebote, Berufsorientierungen, Beratungen und Unterstützungen verstanden werden, die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ›vor Ort‹, von der Sekundarstufe I ausgehend, für die Integration in das Berufs- und Arbeitsleben zur Verfügung stehen« (Weinheimer Erklärung – Lokale Verantwortung für Bildung und Ausbildung, 2007).

    Das heißt: Zunächst einmal und grundsätzlich stehen alle Jugendlichen im Blickpunkt kommunaler Verantwortungsübernahme für den Übergang. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Entwicklung eines Übergangssystems in kommunaler Verantwortung benachteiligungssensibel sein muss, um keine Teilgruppe »abzuhängen«. Das Prinzip der Inklusivität ist also Maßstab der Gestaltung des Übergangssystems. Lokale Verantwortung richtet sich auf das Erfordernis, unterschiedliche Übergänge so zu gestalten und eine plurale Angebots-, Beratungs- und Unterstützungsstruktur so zu entwickeln, dass für alle Jugendlichen optionsreiche Perspektiven lebbar werden. Dabei müssen die kommunalen Gegebenheiten ebenso wie die Rahmensetzungen durch Gesetze und verfassungsrechtliche Bestimmungen berücksichtigt werden.

    Ausgangspunkt 2:

    Kommunale Verantwortungsübernahme bedarf der Kommunalen Koordinierung

    Da bei der Gestaltung der Übergangswege unterschiedliche öffentliche und private Akteure, also neben den kommunalen Dienststellen z. B. die Agentur für Arbeit, die Schulen, Kammern, Gewerkschaften und Betriebe, beteiligt sind, kann eine kommunale Verantwortungsübernahme nur im Rahmen einer weit gefassten lokalen Verantwortungsgemeinschaft verstanden werden. Sie bedarf der Einrichtung einer Kommunalen Koordinierung, die im Rahmen der kommunalen Verwaltungsstrukturen angesiedelt ist.

    Unter Kommunaler Koordinierung verstehen wir dabei die verantwortliche federführende Bündelung der Handlungsperspektiven der beteiligten Akteure im Übergangsprozess, die Förderung gemeinsamer Zielbestimmungen und abgestimmter und vereinbarter Handlungspläne, deren Wirksamkeit überprüft wird. Dies schließt ihre demokratische Legitimation im Stadtrat oder Kreistag ein, um die politische Verantwortung sichtbar zu machen und die Koordinierungsstellen auch längerfristig absichern zu können.

    Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Interessenlagen der beteiligten Akteure durchaus verschieden, ihr Entscheidungsspielräume von unterschiedlicher Reichweite sind und ihr Schwerpunkt oftmals in einer der verschiedenen Phasen des Übergangs liegt.

    Durch Kommunale Koordinierung kann aber erreicht werden, dass sich alle Beteiligten einer generellen gemeinsamen Zielsetzung verpflichten und durch gemeinsam vereinbarte Handlungspläne ihren jeweiligen Beitrag zu einem gelingenden Übergang verbindlich zusagen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Kommunale Koordinierung für eine erfolgreiche und dauerhafte Übergangsgestaltung unverzichtbar.

    Ausgangspunkt 3:

    Kommunale Verantwortung für Bildung beschränkt sich nicht auf den einen Übergang, sondern muss Biografie begleitend sein.

    Die alleinige Fixierung auf den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt greift zu kurz. Menschen durchleben sehr unterschiedliche Übergangsprozesse und nach den soziologischen Prognosen werden komplizierte Übergangssituationen, mit denen Menschen konfrontiert werden, immer häufiger. Die Meisterung und Reflektion von früheren Übergangserfahrungen sind auch Lehrstücke für die Entwicklung von Übergangskompetenz für das ganze Leben. Insbesondere die öffentlich verantwortete Bildung hat deshalb einen Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen auch mit Brüchen in ihrer Biografie oder ihren Lebensplanungen umgehen lernen. Dazu ist wichtig, dass sie auch in schwierigen Lebenslagen als Personen in ihrer Würde ernst genommen werden und Unterstützung unter Berücksichtung ihrer persönlichen Umstände erfahren können.

    Dies bezieht sich auch darauf, im Bildungs- und Ausbildungsprozess »zweite (oder weitere) Chancen« wahrnehmen zu können. Im persönlichen Leben mögen manche Brüche, Umwege oder Fehler einen großen Gewinn bedeuten. Dies verstehen wir unter dem Begriff des Eigensinns der Personen. Aber die Gestaltung von Übergängen darf Menschen nicht in Sackgassen führen, sondern sie muss ermöglichen, sie (wenn auch mit Unterstützung) zu bewältigen, in dem sie »lehren und lernen lassen«, das Leben wieder selbständig zu führen.

    Dafür ist Bildung eine wichtige Voraussetzung, die aber nicht mit der allgemeinen Schulpflicht beendet ist. Kommunale Verantwortung für Bildung endet deshalb nicht mit der Schulpflichtzeit (wenngleich diese eine wichtige Grundlage ist), sondern bedeutet Ermöglichung und Förderung lebenslangen Lernens. Deshalb war die Gestaltung des Übergangsprozesses von der Schule in die Arbeitswelt in den letzten Jahren zwar eine Priorität, aber sie deckt die Philosophie und Notwendigkeit kommunal verantworteter Gestaltung von Bildungsprozessen nur ausschnitthaft ab.

    Die Gliederung des Handbuches

    Welchen Aufbau hat das Handbuch? Der »Rote Faden« des Handbuchs folgt – wenn man so will – der Idee, den Aufbau und die Weiterentwicklung von Konzept und Praxis Kommunaler Koordinierung als einen sozialen Lernprozess zu verstehen, der sich in den letzten Jahren beschleunigt und vertieft hat und in dem nun die Chancen, Schwierigkeiten und Ungeklärtheiten, die mit diesem Ansatz verbunden sind, deutlicher werden, als dies vor einigen Jahren möglich war.

    Ausdifferenzierung, Erweiterung, Problematisierung, Suche nach jeweils besser angemessenen Lösungen, Zwischenbilanzierung: dies sind Stichworte, die diese Entwicklung von ersten Modellansätzen, über breite Erprobungen hin zum Übergang ins Regelsystem prägen. Der Blick auf Erfahrungen und Entwicklungen und damit verbundenen veränderten Thematisierungen bestimmt nicht nur den Aufbau des gesamten Handbuchs, sondern auch die Argumentationslinien vieler einzelner Beiträge.

    Insofern sind z. B. die Beiträge im Kapitel 1 zu Ausgangspunkten und Grundlegungen nicht als »Vorgeschichte« zu verstehen, sondern vor allem als Texte, die für die aktuelle Orientierung Kommunaler Koordinierung von Grund legender Bedeutung sind. Rahmenbedingungen für Kommunales Handeln im Feld des Übergangs haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Hierauf beziehen sich die Beiträge im Kapitel 2, während sich das 3. Kapitel den internen Entwicklungen in den Kommunen zuwendet: Sind mittlerweile koordinative Steuerungsmodelle entstanden, die das Zeug für einen belastbaren Dauerbetrieb im lokalen Alltag haben? Diese Frage erhält fortlaufend mehr praktische Brisanz, je näher auch das Ende diverser Projektförderungen in diesem Feld rückt. Schließlich zeigt das 4. Kapitel wichtige Erweiterungen konzeptioneller Art, die die Koordinierung im Vergleich zu ihrem stark sozialpolitisch und als Notintervention gedachten Anfängen erfährt. Eine Reihe dieser Beiträge geht auf Vorträge zurück, die auf dem Jahresforum im März 2011 in Hoyerswerda gehalten wurden, das mit dem Schwerpunktthema »Übergang als Lehrstück« der Übung der vergangenen Jahresforen folgte, bewusst Koordinierung in einen weiteren Zusammenhang zu stellen. Dieses Praxisverständnis zwischen Rückblick und Ausblick resümiert der Beitrag in Kapitel 5.

    Im Einzelnen

    Die im »Kapitel 1: Ausgangspunkte und Grundlegungen« versammelten Beiträge enthalten grundlegende Überlegungen zur kommunalen Handlungsperspektive im Feld von Übergang und Bildung.

    Ausgangspunkt ist die Initialfunktion der Freudenberg Stiftung für die Weinheimer Initiative – also ein zivilgesellschaftliches Engagement (Christian Petry, Pia Gerber). Ihr Kontext im Zuge der Entwicklung der Stiftungsarbeit wird geschildert, wie auch der Übergang von einer durch die Stiftung geförderten Initiative zu einer Arbeitsgemeinschaft, die auf eigenen Füßen steht, aber von der Stiftung nach wie vor begleitet wird.

    Fortgeführt wird die Debatte mit der Frage, ob eine lokale Berufsbildungspolitik, die das gesamte Übergangssystem umfasst, möglich ist (Wilfried Kruse). Der Autor thematisiert darin die Chancen und Grenzen einer lokalen Verantwortung gerade in dem nur teil-öffentlich verantworteten Feld der Berufsbildung.

    Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten diskutiert der folgende Beitrag Grenzen und Möglichkeiten kommunaler Koordinierung von Kommunen im Verhältnis zur grundgesetzlichen Bestimmung der Aufgabe der Kommunen und der Kulturhoheit der Länder (Ingo Richter). Die verfassungsrechtliche Verortung setzt einen wichtigen Rahmen für die Übernahme der Koordinierungsfunktion und ihrer Reichweite durch die Kommunen.

    Der Beitrag von Arnulf Bojanowski fragt nach dem Zusammenhang von Praxis und Forschung bei der Entwicklung eines regionalen Übergangsmanagements. Er betont dabei wichtige kommunale Handlungsschritte, aber mahnt auch die Notwendigkeit von Wirksamkeitsuntersuchungen an, die erst nachweisen können, wie weit Kommunale Koordinierung sinnvoll ist, und wo ihre Grenzen erreicht werden.

    Die beiden letzten Beiträge sind empirisch angelegt. Während Joachim Gerd Ulrich den Einfluss des Ausbildungs- und Ausbildungsmarktes auf das Übergangsgeschehen von Jugendlichen zeigen kann, beschäftigt sich Gerd Zika mit Zukunftsabschätzungen zum Fachkräftebedarf. Da gerade (auch medienwirksam) der Fachkräftemangel als die Lösung der Übergangsprobleme insbesondere für Benachteiligte diskutiert wird, sind seine Untersuchungen für die Frage, ob Kommunaler Koordinierung weiterhin nötig ist, von Bedeutung.

    Im »Kapitel 2: Rahmenbedingungen für kommunales Handeln und ihre aktuellen Veränderungen« wird der Bedeutung der Kommunalen Koordinierung unter zwei Gesichtspunkten nachgegangen. Erstens wird die Frage gestellt, welche Voraussetzungen durch die politischen und institutionellen Zuständigkeiten gegeben sind, die die Kommunen berücksichtigen müssen, zweitens wird nach der Bedeutung der Verbände, Stiftungen und Sozialpartner als Akteuren gefragt

    Im 1. Teil werden zunächst zwei Beispiele zur Kooperation von Land und Kommune im Überblick vorgestellt. Die Beispiele Nordrhein Westfalen und Schleswig-Holstein dokumentieren den schwierigen Aushandlungsprozess zwischen den Kompetenzen des Landes und der Kommunen (Gertrud Kühnlein für NRW und Ulrich Krause, Volker Kruse, Armin Albers für Schleswig-Holstein).

    Da die Dynamik von Schulreformen einen erheblichen Einfluss auf die Übergangsgestaltung hinsichtlich der Zugangschancen zur Berufsbildung hat, wird im Beitrag von Ernst Rösner ein Überblick über Reformansätze in verschiedenen Bundesländern dargestellt. Er berichtet von »verpassten Gelegenheiten«, ein chancengerechteres Schulsystem zu entwickeln.

    Ergänzt wird diese Diskussion durch das konkrete Beispiel Hamburg (Rolf Deutschmann, Michael Goedeke, Hartmut Schulze). Hieran kann exemplarisch nachvollzogen werden, wie die systematische Verbesserung von Übergangsperspektiven für Jugendliche zu einer landespolitischen Priorität werden kann und ob und wie die kommunale Ebene hierbei von Bedeutung ist.

    Die Bundesperspektive kommt in zwei Aufsätzen zu Wort: Zunächst wird aus der Sicht der der wissenschaftlichen Begleitung die Förderinitiative »Regionales Übergangsmanagement« dargestellt. Birgit Reißig und Frank Braun gehen insbesondere auf die beobachteten Entwicklungsprozesse und daraus zu entwickelnde Handlungsempfehlungen ein. Daran schließt sich ein Beitrag aus der Bundesagentur für Arbeit (Martin Lieneke) zu deren Verhältnis zur kommunalen Verantwortungsübernahme an. Die gemeinsame Zielsetzung, aber auch die Konfliktlinien angesichts der Entscheidungskompetenz der Agentur für Arbeit vor Ort werden konkret und mit Interesse an einem produktiven Zusammenspiel beleuchtet.

    Im 2. Teil dieses Kapitels kommen Verbände, Sozialpartnerorganisationen und eine weitere Stiftung zu Wort. Der Deutsche Städtetag (Klaus Hebborn) und der Deutsche Landkreistag (Markus Keller) sind genauso vertreten wie der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (Jörg Freese, Mara Dehmer). Ergänzend gibt Ragna Melzer einen Überblick darüber, welche Relevanz lokale Koordinierung mittlerweile bei der Arbeit von Wohlfahrtsverbänden und in der Jugendhilfe erlangt hat. Der Beitrag aus dem Vorhaben »Übergänge mit System« der Bertelsmann Stiftung (Alice Hohbein, Clemens Wieland), an dem mittlerweile neun Bundesländer und die Agentur für Arbeit beteiligt sind, zeigt, wie aus dem zivilgesellschaftlichen Kontext Anstöße für Reformen bewirkt werden können.

    Schließlich ist die Sozialpartnerseite mit zwei Stellungnahmen und Reflektionen aus Gewerkschaftssicht vertreten. Matthias Anbuhl und Hermann Nehls stellen die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor; Stephanie Odenwald diskutiert die Bedeutung der lokal-kommunalen Ebene aus der Sicht der für Bildungsfragen zuständigen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

    Keineswegs sind alle Institutionen und Verbände, die für den Übergang Schule – Arbeitswelt wichtig sind, in diesem Kapitel vertreten; insbesondere fehlen Wirtschaft und Betriebe. Manches hat aus zeitlichen Gründen nicht gepasst; auch konnten wir nicht auf Vollständigkeit setzen. In weiteren Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft werden die Lücken sicherlich geschlossen werden können – und sich neue auftun.

    In »Kapitel 3: Kommunale Koordinierung als Steuerungsmodell« richtet sich die Fragestellung darauf, welche Modelle der Steuerung für eine für Querschnittsaufgabe wie »Kommunale Koordinierung« zur Verfügung stehen oder bereits in der Erprobung sind, und in welchen Spannungsverhältnissen sie stehen und sich entwickeln.

    Im 1. Teil des Kapitels entwickelt Ulrich Bieker am Beispiel der Kommunalverwaltung einer Großstadt ein Matrixmodell, das den Zusammenhang von fachbezogenen Aufgaben im Zusammenspiel mit Querschnittsaufgaben verwaltungsintern bearbeitbar macht. Der Autor stellt damit ein innovatives Modell der Reform kommunaler Steuerungsprozesse vor.

    Im darauf folgenden Beitrag geht Angela Paul-Kohlhoff der Steuerungspraxis in 12 Kommunen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft nach. Mittels einer Befragung untersucht sie die unterschiedlichen Ansätze, wie die Koordinierung in diesen Kommunen in die vorhandenen Verwaltungsstrukturen hinein umgesetzt wird. Dies differiert in Kleinstädten, Mittel- und Großstädten und Landkreisen, denn je nach Kommunaltypus stellen sich unterschiedliche Anforderungen an den Steuerungsprozess.

    In den 2. Teil des Kapitels sind drei thematische Beiträge aufgenommen, die »Spannungsfelder« bei kommunal verantworteter Koordinierung bedeuten (können). Sie beleuchten in verschiedenen inhaltlichen Kontexten und in Hinblick auf bestimmte Personengruppen und Interessenlagen die Beziehung zwischen Querschnittsfunktionen und fachpolitischen Zuständigkeiten. Hierzu gehören im gewissen Sinne auch die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der systematischen Einbeziehung des bürgerschaftlichen Engagements, das sich, weil es u. a. auf Freiwilligkeit beruht, dem »Durchgriff« von Verwaltungshandeln entzieht.

    Klaus Kohlmeyer und Gari Pavkovic entwickeln für Migration und Integration in die Arbeitswelt der deutschen Einwanderungsgesellschaft die »Fokusperspektive«. Damit soll der Blick dafür geöffnet werden, dass Übergangsgestaltung nicht exklusiv an einer Teilgruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausgerichtet werden darf, Migrationshintergrund in Verbindung mit Bildungsarmut aber immer noch gesondert beachtet werden muss, um Benachteiligungen nach ethnischer Herkunft zu verhindern.

    Birgit Klein und Phyllis Paul gehen derselben Perspektive unter dem Gesichtspunkt der Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit nach. Sie stellen dar, wie beim Übergang in die Arbeitswelt noch immer geschlechtsspezifische Muster der Berufsorientierung greifen – und dies sowohl bei den Jugendlichen selbst, wie auch bei den Akteuren der Berufsorientierung. Ihre Konsequenz war die Entwicklung eines Fortbildungs- und Austauschprogramms mit wichtigen Akteuren der Berufsorientierung.

    Im Beitrag zum bürgerschaftlichen Engagement (Susanne Felger, Sabine Beckenbach) geht es vor allem darum, eine produktive Verknüpfung herzustellen zwischen Experten und Expertinnen aus bestimmten beruflichen Erfahrungsbereichen, die sich freiwillig für die Integration von Jugendlichen engagieren, und einer steuernden und integrierenden Funktion der Koordinierung in kommunaler Verantwortung.

    »Erweiterungen kommunaler Koordinierung vor Ort« stehen im Zentrum des 4. Kapitels. Hier geht es um Felder, Themen und Akzentuierungen, die sich zum einen in den internen Diskursen der Arbeitsgemeinschaft als wichtig herausgestellt haben, zum anderen aber auch in wissenschaftlichen Publikationen und praktischpolitischen Debatten eine Rolle spielen.

    Eröffnet wird das Kapitel mit einem Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft zur Frage nach der Wirksamkeit von Kommunaler Koordinierung (Lutz Wende, Wilfried Kruse). Dem schließen sich Beiträge aus laufenden Facharbeitsgruppen der Arbeitsgemeinschaft an. Der zunächst folgende Beitrag nimmt das Thema »Wirksamkeit« insofern erneut auf, ob er danach fragt, wie Kommunale Koordinierung so gestaltet werden kann, dass sie langfristig wirkt. Es geht also um Nachhaltigkeit (Andreas Salewski, Delia Temmler, Christoph Kaletka).

    Armin Albers geht der Frage nach, welche Voraussetzungen nötig sind, damit Land und Kommunen Partner werden, die sich auf gleicher Augenhöhe begegnen, um gemeinsam – wenngleich in unterschiedlichen Funktionen und Rollen – dem Ziel einer chancengerechteren Einmündung in die Arbeitswelt näher zu kommen. Schließlich nimmt Ursula Bylinski einen anders gelagerten Aspekt des Problems im Übergangsgeschehen auf: Welche Prozesse der Qualifizierung zur professionellen Ausstattung brauchen eigentlich die Fachkräfte im Übergangsprozess? – so ihre zentrale Frage. Die unterschiedlichen Standards der Ausbildung und Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte im System des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt verhindern zum Teil eine gemeinsame Handlungsperspektive, aber dies scheint nicht unüberbrückbar, wenn man gemeinsame Qualifizierungsprozesse entwickelt und umsetzen kann.

    Im zweiten Teil des Kapitels geht es um die subjektiven Perspektiven und Erfahrungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst, die ja oft genug nicht wirklich als Subjekt, sondern vor allem als Objekt von Koordinierung erscheinen. Der Sichtweise der Jugendlichen nähern sich die Autorinnen und Autoren dabei unter verschiedenen Aspekten. Als gemeinsame Überschrift sehen wir das Schwerpunktthema des Jahresforums der Arbeitsgemeinschaft, das im März 2011 in Hoyerswerda stattfand:« Lehrstück Übergang«. Denn wir sind der Auffassung, dass Erfahrungen in spezifischen Lebenszusammenhängen auch immer etwas darüber lehren, welche Umgangsweisen, Bewältigungsmuster und aktive Handlungsperspektiven entwickelt werden können. Die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen ist allerdings noch vielfältiger und vermutlich auch fragmentierter, als dies auch in der Zusammenschau der verschiedenen Beiträge zum Ausdruck kommt. Insofern handelt es sich bei diesen Beiträgen wiederum »nur« um einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, auf die sich Koordinierung bezieht.

    Dieser Teil beginnt mit der Skizze der Konzeption der Stadt Hoyerswerda, die Biografie begleitend Kinder und Jugendliche von der Kita in die Schule und weiter bis in die Arbeitwelt so unterstützen will, dass selbständige Entscheidungsoptionen bewusst werden und umgesetzt werden können (Thomas Delling, Evelyn Scholz).

    Danach werden einzelne thematische Schwerpunkte gesetzt: Wibke Boysen zeigt an Hand einer Längsschnittuntersuchung zur Bildungsbeteiligung Restriktionen, aber auch befreienden Potenziale im Zuge der Generationenfolge auf. Ahmed Shah, Schauspielleiter des Jugendtheaterbüros Berlin, macht deutlich, wie man mit »depravierten« Jugendlichen in einem problembehafteten Kiez Theaterarbeit und Berufsorientierung verbinden kann, ohne die Professionalität der Theaterarbeit zu vernachlässigen. Angela Paul-Kohlhoff schildert die subjektbezogenen Ergebnisse eines Modellvorhabens der Integration »Junger Mütter in die Berufsausbildung«. Sie arbeitet dies insbesondere an der Kategorie der Ambivalenzen im Lebenszusammenhang der jungen Mütter heraus.

    Eine häufig vertretene These ist, dass die Aufnahme einer geregelten Berufsausbildung die Entwicklung von Jugendkriminalität eindämmen kann. Dirk Baiers Darstellung der Ergebnisse kriminologischer Untersuchungen problematisiert die Annahme solcher und ähnlicher unmittelbarer Wirkungszusammenhänge.

    Schließlich werden beispielhaft zwei konkrete Erfahrungen aus der Berufsorientierung von Jugendlichen erörtert: Marcus Eckelt stellt die Befunde einer qualitativen Studie zu neu konzipierten Betriebspraktika in Berlin vor, und Martin Mertens geht auf das Konzept der Produktionsschule ein, um die Entwicklungschancen, die sie insbesondere für Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen bietet, zu verdeutlichen.

    Die Zusammenschau der Beiträge zeigt außerdem, dass es Jugend als »allgemeine Generationskategorie« nicht mehr gibt, sondern differenzierter als bisher auf spezifische Lebenslagen und sozialisationsbedingte und damit herkunftsbedingte Lebensbedingungen geachtet werden muss.

    Das heißt aber nicht, dass Heranwachsende nichts mehr »gemeinsam« hätten. Barbara Sichtermann postuliert in ihrem Beitrag, den sie als Vortrag auf dem Jahresforum im März 2011 in Hoyerswerda gehalten hat, als eine Art entwicklungspsychologisches Essential die Pubertät als einen turbulenten Reifungsprozess, der bei den Geschlechtern unterschiedlich abläuft und bis in das Erwachsenenalter nachwirkt.

    In »Kapitel 5: Ausblick« wird von den Sprechern und dem Koordinator der Arbeitsgemeinschaft (Oberbürgermeister Heiner Bernhard, Wilfried Kruse, Oberbürgermeister Stefan Skora) ein Resümee gezogen. Deshalb ist der Ausblick auch zugleich ein Rückblick.

    Im Anhang beigefügt sind die »Positionierungen« der Weinheimer Initiative seit ihrer Gründung und ein AutorInnen-Verzeichnis.

    Die – wenngleich kurze – Geschichte der Arbeitsgemeinschaft im Kontext des »Mainstream-Werdens« zeigt, welche Dynamik die Umsetzung eines Programms mit dem Ziel »Kommunale Verantwortungsübernahme von Bildung durch Kommunale Koordinierung für den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt« auslösen kann. Vieles bleibt jedoch auch heute noch offen und muss weiter gemeinsam bearbeitet werden. Die Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative bietet hierfür eine Plattform.

    Das vorliegende Buch ist nun sicherlich kein Handbuch im klassischen Sinne, aber es ermöglicht einen differenzierten und fundierten Einblick in jene Fragen, die mit der Weiterführung Kommunaler Koordinierung Schule-Arbeitswelt als Daueraufgabe eng zusammen hängen. Insofern ist es ein Buch für die Hand jener, die mit Kommunaler Koordinierung zu tun haben.

    Literatur

    Bergmann, Malte, Lange Bastian (2011): Zur Einführung. Eigensinnige Geographien. In: Bergmann, Malte, Lange Bastian (Hrsg.). Eigensinnige Geographien. Städtische Raumaneignungen als Ausdruck gesellschaftlicher Teilhabe. Wiesbaden

    Heinelt, Hubert, Vetter Angelika (2008): Einleitung. In: Heinelt, Hubert, Vetter, Angelika (Hrsg.): Lokale Politikforschung heute. Wiesbaden

    Heinelt, Hubert, Wollmann, Hellmut (1991): Lokale Politikforschung in den 80er und 90er Jahren. Vorwort. In: Heinelt, Hubert, Wollmann, Hellmut. Lokale Politikforschung in den 80ger und 90ger Jahren. Vorwort, in: Heinelt, Hubert, Wollmann, Hellmut (Hrsg.) Brennpunkt. Stadtpolitik in den 80ger und 90ger Jahren. Basel, Boston, Berlin

    1 Ausgangspunkte und Grundlegungen

    Vom Memorandum zur Arbeitsgemeinschaft, aber immer wieder: Schule

    Christian Petry und Pia Gerber

    Zur Freudenberg Stiftung

    Seit ihrer Gründung 1984, also vor 25 Jahren, ist es für die Freudenberg Stiftung¹ immer wieder die Schule, auf die sich Kritik und Verbesserungsvorschläge, zuweilen auch der Grundriss für ein ganzes Reformprogramm richten. Im sehr grundlegenden Sinne bildet nämlich das bildungspolitische Engagement des Ehepaars Freudenberg² – im Ettlinger Kreis, im Hinblick auf die Idee der Gesamtschule, mit vielen anderen Initiativen – den einen Ausgangspunkt der Stiftung.

    Durch die vorausgegangene Gründung des Ettlinger Kreises, die Mitwirkung beim Bildungsrat und die Initiierung der Stiftung Ettlinger Gespräche durch Unternehmensleiter der Firma Freudenberg wurde in die Freudenberg Stiftung die zentrale Erfahrung eingebracht, wie gesellschaftliche Neuordnungsmuster durch das an einem Strangziehen von zivilgesellschaftlich aktiver Wirtschaft, anwendungsorientierter Wissenschaft und kooperationsbereitem Staat vorangetrieben werden kann. So hatte der zwischen 1957 und 1977 aktive Ettlinger Kreis bildungspolitisch aktiver Unternehmensleiter in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Sachverständigen dazu beigetragen, dass in der Bundesrepublik das 9. Schuljahr eingeführt wurde. Der Bildungsrat hatte 1974 unter Beteiligung von Hermann Freudenberg die bundesweite Verbreitung von regionalen Schulunterstützungsagenturen nach dem Modell der Regionalen Pädagogischen Zentren empfohlen, während mit Spenden der Weinheimer Firma 1979 der Prototyp für die Regionalen Arbeitsstellen (RAA) vor Ort erprobt worden war.

    Deren anderer Ausgangspunkt war, dass sich für Hermann Freudenberg ein solches – auch pointiertes – gesellschaftliches Engagement ganz selbstverständlich mit einem aufgeklärten Verständnis der Rolle und Aufgabe von Unternehmen und Unternehmern in der Gesellschaft verband. Nicht die karitative Orientierung, die durchaus im sozialpolitischen Traditionsbestand des 1849 gegründeten Familienunternehmens gleichermaßen vorhanden war, führte Mitte der 1980er Jahre zur Gründung der Freudenberg Stiftung. Diese war als professionelle Organisation von einzelnen Familiengesellschaftern und -gesellschafterinnen des international agierenden Mischkonzerns Freudenberg & Co. ins Leben gerufen worden, die »unabhängig von den Geldgebern, orientiert an klaren sozialen Zielen, unmittelbar wirksam und mit gesellschaftspolitischem Anspruch« agieren sollte (Stiftungsarchiv). Thematisch richtete sich die Weinheimer Stiftung von Beginn an auf die Behebung systematischer Innovationslücken im Feld der Bildung und Integration von Kindern mit Migrationshintergrund aus und nach 1990 auf die vernachlässigte Förderung demokratischer Kultur, insbesondere in Ostdeutschland.

    Gesellschaftliche Aufgabe von Schule: Bildung für alle

    Warum diese Zentralität von Schule in den Förderüberlegungen der Stiftung? Auch dies hat wohl viel mit dem Impuls von Gisela und Hermann Freudenberg zu tun, nämlich mit ihrer Überzeugung, dass Bildung als Bürgerinnen- und Bürgerrecht und dies nicht schon mit formaler Beteiligung an einer Mindestpflichtveranstaltung von Schule erledigt sei, sondern weitergehende Anforderungen stelle. Diese weitergehenden Anforderungen beziehen sich auf die Vermeidung von Ungleichheit durch Bildung und Ausschluss von Bildung und auf die zu legende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und demokratische Verantwortungsübernahme durch Bildung.

    Daraus folgt, dass der Staat weit über die Durchsetzung der Schulpflicht hinaus das Schulsystem demokratisch und humanitär gestalten muss, aber auch – konsequenter Weise – dass man die Schule, weil sie die einzige Pflichtbildungsveranstaltung ist – jedenfalls bis zum Zeitpunkt des obligatorischen Besuchs von »Vorschule« – nicht aus ihrer sozialstaatlichen Verpflichtung entlassen kann. Von Anfang an war das Engagement der Freudenberg Stiftung in diesem Feld darauf ausgerichtet, Schulen einerseits in ihrer Verantwortungsübernahme zu fordern, insbesondere indem sie mit neuen und erweiterten Aufgaben, die sich aus gesellschaftlichen Wandlungsprozessen ergaben, konfrontiert wurde. Andererseits galt es, die Schulen darin – modellhaft – zu fördern, mit den neuen und erweiterten oder auch alten und zeitweilig in Vergessenheit geratenen Herausforderungen produktiv umzugehen.

    Von anderen lernen: Community Schools

    Beim Ausschau nach Beispielen, wie man anders als in Deutschland üblich Schule machen kann, geriet im anglo-amerikanischen Raum die Community School³ in den Blick. Damit kommen zwei Bezüge ins Spiel, die nicht wieder verloren gehen sollten:

    Erstens ist für die Community Schools ein Verhältnis wechselseitiger Verantwortlichkeit charakteristisch: der Gemeinde gegenüber »ihrer« Schule und der Schule gegenüber der Gemeinde, zu der sie gehört. Zweitens öffnet sich die Schule zur Gemeinde über die wechselseitige institutionelle Verantwortung hinaus im Sinne einer pädagogischen Herausforderung.

    Sich zur Gemeinde öffnen und sich mit Projekten in der Gemeinde zu engagieren (Service Learning⁴) meint nicht, etwas Sinnvolles ergänzend zur Schule zu tun, sondern Engagement in der Gemeinde, praktisch werdender Gemeinsinn als unverzichtbares Element von Bildung in die Schule zu holen. Schule ist in diesem Sinne eben nicht eine vom Leben abgetrennte andere Welt (was angesichts der Lebenszeit, die Kinder und Jugendliche in der Schule verbringen, ohnehin eine aberwitzige, aber gern vertretende Idee ist), sondern Schule als Leben zu verstehen, auch eine Vergegenwärtigung von Lernresultaten zuzulassen (nicht nur für das Leben nach der Schule lernen, sondern für das Leben hier und jetzt), das außerschulische Leben »in die Schule zu holen«, auch, indem man das Schulgebäude verlässt und damit den pädagogischen Schulraum praktisch auszuweiten.

    Schule und BürgerInnengesellschaft

    Wenn sich die bewusste Beziehung der Schule zum Leben – gewissermaßen in einer anti-idealistischen Wendung – vervielfältigt, dann wird sofort klar: dies kann die Schule nicht allein bewerkstelligen, weil die Lehrenden keineswegs in allen wichtigen Lebensbereichen – der Gemeinde, der Arbeitswelt – Fachleute sein können und ihnen überdies hierfür jene Glaubwürdigkeit fehlt, die aus authentischen Haltungen entsteht. Eine enge Kooperation mit der BürgerInnengesellschaft in ihren verschiedensten Formen und Ausprägungen – als Paten, als Lotsen, als Lobby, als Experten, als Betriebsvertreter, als Mitglied einer Bürgerinitiative – wird unumgänglich. Das tut der Schule insofern gut, als sie ihre rein staatliche Prägung verliert, ohne dem Staat die Verantwortung abzunehmen, und in starke Bezüge zur lokalen zivilen Verantwortungsgemeinschaft eintritt, ohne diese auf die direkte Lobby der Elternvertretungen zu reduzieren.

    Die Unterstützung der Schule durch die BürgerInnengesellschaft wird umso dringlicher, je mehr es darum geht zu verhindern, dass sich soziale Benachteilungen und Diskriminierungseffekte als Bildungsbenachteiligung reproduzieren oder sogar verstärken – ein Mechanismus, der nach allem, was wir wissen, in Deutschland besonders wirksam ist. Hier kommen insbesondere Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Blick, auf die sich die Aufmerksamkeit der Freudenberg Stiftung schon früh richtet

    Ein Beispiel: Die Regionalen Arbeitsstellen (RAAs)

    Die Gründung und Ausweitung der RAAs, an der zunächst die Firma Freudenberg und dann die Stiftung einen starken Anteil trägt, verknüpft z. B. in ihrer speziellen Konstruktion das, was uns in Bezug auf Schule wichtig ist: Vereinbarungen mit den jeweiligen Schulministerien erlauben eine Abordnung von LehrerInnen in die lokalen RAAs, die ihrerseits »vor Ort« für entsprechende Netzwerke sorgen.

    Das Leitbild der multikulturellen, für Eltern und Wohnumfeld geöffneten Schule steckte von Anfang an in Konzept und Praxis und war damit zugleich Wegbereiter veränderter mentaler Modelle zugunsten eines Selbstverständnisses von Deutschland als Einwanderungsland mit entsprechend zu organisierenden Bildungs- und Sozialaufgaben. Die Regionalen Arbeitsstellen haben ihrerseits zur Verbreitung hierzu wegweisender methodischer Handlungskonzepte beigetragen, sei es in Form von Community Education, interkultureller Bildung und sprachlicher Frühförderung und – nach ihrer Ausweitung auf Ostdeutschland – von Präventions- und Interventionsstrategien gegen Rechtsextremismus, z. B. in Gestalt der Mobilen Beratungsteams, des Trainings von Peer Leaders für Demokratie und interkulturelle Kompetenz oder der Demokratieerziehung im Elementarbereich.

    Berufsnot der Jugendlichen als Herausforderung neuer Strategien

    Nach dem Ende der Bildungsreformbewegung, die man durchaus als den Gründungshintergrund der Freudenberg Stiftung verstehen kann, differenzieren sich – wie oben angedeutet – die Ansätze weiter aus und isolieren sich z. T. auch in dem, was gemeinhin Modellversuche genannt wird. Erst einige Jahre später setzt der Skandal der lang anhaltenden und sozial ungleich verteilten, aber gesellschaftlich lastenden Berufsnot junger Menschen eine erneute schärfere bildungspolitische Fokussierung auf die Tagesordnung. Auf Initiative der Freudenberg Stiftung trifft sich eine große und pluralistisch zusammengesetzte Gruppe von Expertinnen und Experten und verabschiedet schließlich ein Memorandum, dessen anspruchsvoll formulierte Botschaft lautet: Es braucht in Deutschland keine Jugendlichen zu geben, die ohne Ausbildung bleiben.

    Das Memorandum nimmt die lokale Handlungsebene als eine der zentralen Hebel für die Bekämpfung der Berufsnot und für die Verbesserung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt in den Blick und hebt in diesem Zusammenhang insbesondere die Potenziale bürgerschaftlichen Engagements hervor. Insofern steht es direkt Pate für die einige Jahre später einsetzende Bewegung der »Weinheimer Initiative«. Die Freudenberg Stiftung selbst hatte zwischenzeitlich einige jener modellhaften Ansätze – so z.B. in Weinheim und in Hoyerswerda –, an denen sie fördernd beteiligt war, Revue passieren lassen und schärfere Fokussierungen angeregt: diese reihten sich in die Gruppe der Vorläufer für »Kommunale Koordinierung« ein, dem expliziten Thema dieses Sammelbandes. Also sowohl aus eigener »Nabelschau« als auch aus den vielfältigen Kontakten mit benachbarten Ansätzen, die die Vorbereitungsarbeiten für die Weinheimer Initiative ermöglichten, wurde deutlich: hier geht es nicht mehr um vereinzelte Beispiele, sondern die Übernahme lokaler Verantwortung an der Schwelle von der Schule in die Arbeitswelt gehört zu den mainstream-Prozessen, die in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts anzutreffen sind.

    Aus der mittlerweile schon greifbaren »Tradition« der Freudenberg Stiftung waren es vor allem zwei Komplexe, die ihre besondere Aufmerksamkeit fanden: nämlich zum einen die Eruierung der Handlungschancen für Bildung, die auf lokaler Ebene im Zusammenspiel von kommunaler und bürgerschaftlicher Verantwortung zu eröffnen sind, und zum anderen wiederum die Rolle und Aufgabe der Schule für den gelingenden Übergang Schule – Arbeitswelt. Es musste nämlich auf jeden Fall vermieden werden, was immer einsetzt, wenn es um gesellschaftliche Verantwortung geht: nämlich das Bedienen der Verschiebebahnhöfe von Verantwortung. Demgegenüber ginge es darum, dass »jeder vor seiner Tür kehrt«, aber alle so zusammen wirken, dass die gemeinsame Verantwortung Vorrang vor engem Zuständigkeitsdenken hat.

    Schließlich muss auch beachtet werden, dass sich in den Verwerfungen beim Übergang gesellschaftliche Strukturprobleme und Megatrends abzeichnen, die sich nicht auf die Unmittelbarkeit der lokalen Problemkonstellationen zurückführen lassen. Dies gilt insbesondere für die Erosion von bislang als stabil angesehenen sogenannten Königswegen in die Berufs- und Arbeitswelt – eine Debatte, die gerade erst wieder aufgenommen wird⁷.

    Für die Schule heißt das: man kann ihr nicht umstandslos den »Schwarzen Peter« dafür zuschieben, wenn Jugendlichen der Übergang in die Arbeitswelt nur schwer gelingt. Aber: sie kann für eine stärkere Öffnung zum Leben, durch die Vermittlung von Kompetenzen, die Jugendliche für ihre Orientierung und Handlungsfähigkeit unter turbulenten Bedingungen brauchen, und für eine Lernkultur, die Freude an der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten entwickelt, wesentlich mehr tun als bisher Schule ist also im Übergangsgeschehen nicht »außen vor«, sondern ein wichtiger und unverzichtbarer Partner.

    Schule ist gestaltbar

    Die Schule nicht aus der Verantwortung entlassen, heißt demnach zweierlei: Erstens die Schule mitverantwortlich für gelingende Übergänge zu machen und zweitens: das pädagogische Geschehen in der Schule daraufhin zu befragen, inwieweit es die Fähigkeit zu eigenständiger Orientierung, belastbarer Handlungsfähigkeit auch in Krisen usw. vermittelt. Übergang, so könnte man auch anders herum resümieren, reduziert sich nicht auf ein Managementproblem, wie es heute manche Förderprogramme suggerieren. Die entstandenen und entstehenden lokalen »Übergangssysteme« haben eine Brückenfunktion in die Arbeitswelt (und auch in die Hochschule) hinein, aber sie sind zugleich und wesentlich Teil des lokalen Bildungssystems. Man könnte auch mit Recht nach einer Pädagogik des Übergangs⁸ fragen.

    Wenn es um die konkrete Rolle der »Schule« in der Vorbereitung auf die und beim Übergang in die Arbeitswelt geht, dann richtet sich der Blick auf die einzelne Schule. Dies gilt auch für die Vorhaben, die die Stiftung unterstützte. Im Unterschied zum überkommenen Verständnis eines letztlich über staatliche Reglementierungen weitgehend uniformen Schulwesens war und ist dies sicherlich ein Fortschritt, weil damit die Gestaltungsspielräume, über die die jeweiligen Schulleitungen und Kollegien de facto verfügen, sichtbar und thematisierbar werden. Und tatsächlich zeigen sich, wie vermutlich in vielen Feldern, auch bei der Förderung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt empirisch zwischen Schulen desselben Typs, in derselben Stadt und sogar mit einem ähnlichen sozialstrukturellen Hintergrund gravierende Unterschiede z. B. bei den Übergangsquoten in Berufsausbildung⁹.

    Die eine Schule versteht es offenbar besser, ihren Schülerinnen und Schülern durch Kontakte in die Arbeitswelt, Förderer, Paten, eine systematische Berufsorientierung und effektiv unterstützende Rahmungen zu schaffen als die andere.

    Positiv könnte man daraus nun im Sinne von »Good Practice« Anregungen ziehen, von denen alle profitieren würden. Vor dem Hintergrund der weitverbreiteten Absichten der Schulministerien, den Schulen nahezu im Sinne von »Geschäftseinheiten« mehr Eigenverantwortung zu geben, werden die unterschiedlichen Erfolge der Schulen bei der Unterstützung des Übergangs vor allem als unterschiedliche Fähigkeit und Engagementbereitschaft der Kollegien interpretiert und belobigt, damit aber die Konkurrenz der Schulen untereinander befeuert, die durch die Freiheit der Schulwahl dann ihre materielle Unterfütterung durch Anmeldezahlen erhält.

    Schulisches Übergangsmanagement & Kommunale Koordinierung

    Dass die Konkurrenz der Schulen um die besten Arbeitsweltchancen für ihre Schülerinnen und Schüler zugleich erhebliche Schattenseiten hat, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass der Lernort Betrieb, sei es im Rahmen einer Berufsausbildung, sei es für ein Praktikum, ein »knappes Gut« ist, das viele begehren. Jugendliche, die mit »Schule« ihre besonderen Schwierigkeiten haben, brauchen vermutlich den Lernort Betrieb besonders dringlich, haben aber – da schulische Leistungen als »Ausbildungsfähigkeit« besonders hoch bewertet werden – zugleich die geringsten Chancen auf den Lernort Betrieb. »Knappe Güter« erzeugen also Verteilungsprobleme. Diese werden zweifelsohne durch die Konkurrenz der Schulen untereinander um einen möglichst großen Anteil des »knappen Guts« für sich noch verschärft – mit negativen Folgen für die Schülerinnen und Schüler an jenen Schulen, die im Konkurrenzkampf nicht so erfolgreich bestehen.

    Hier zeigt sich deutlich die Begrenztheit einer ausschließlichen Orientierung auf die einzelne Schule. Die »Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative«¹⁰ zieht daraus den Schluss, die einzelne Schule keineswegs aus dem Blick zu verlieren, aber sie zugleich als einen Teil – in diesem Fall – des lokalen Sekundarschule I-Systems zu verstehen, auf das sich kommunale Koordinierung mit ihren Aufgaben der Abstimmung, des Transfers von Erfahrungen, der Mobilisierung von Ressourcen und Kooperationspartnern etc. bezieht¹¹. Oder anders und in der geläufigen Programmsprache ausgedrückt, Einzelschulisches und lokales Übergangsmanagement müssen einander produktiv ergänzen. Nun legen zwar immer mehr Schulministerien den einzelnen Schulen nahe, sich für die Förderung des Übergangs ihrer Schülerinnen und Schüler in die Arbeitswelt zu engagieren, es fehlt aber bislang die Verpflichtung, dies in enger Abstimmung mit kommunaler Koordinierung zu tun.

    In der Idee von »Kommunale Koordinierung und lokaler Verantwortung« verdichten sich für die Freudenberg Stiftung viele der Ansätze, die sie im Verlaufe der 25 Jahre ihres Bestehens initiiert oder mitentwickelt hat. So z. B. die Tradition der RAAs: Ihrer Zeit voraus enthielten und enthalten nämlich die RAA zugleich eine Stärkung der kommunalen Bildungsverantwortung zugunsten einer ganzheitlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen, von der heute zunehmend die Rede ist.

    Die RAAs sind als lernortübergreifende Vermittlungsstellen konzipiert, die weit über die allgemeinbildende Schule hinaus aktivierenden Einfluss auf Jugendhilfe, Stadtteilarbeit, Weiterbildung, Kulturpflege, Berufschule und Betrieb zugunsten der vormals thematisch auch vom Bildungsrat vernachlässigten Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher nehmen und – in Anlehnung an Konzepte der »Community Education« – die Distanz zwischen öffentlichen Institutionen und Elternhaus überwinden wollten. Damit stellten die RAA auch eine spezifische Verknüpfung zwischen den Anfang der 1970er Jahre auf verstärkte Schulautonomie und innere Umgestaltung ausgerichtete Bildungsreformstrategien durch schulnahe Unterstützungsagenturen und der in der Bildungsreformdebatte unbearbeiteten Frage der Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien mittels interkulturell ausgerichteter Schulöffnung dar.

    Dies hat in eine zunehmende Zahl von Schulstruktur- und schulpädagogischen Reformansätzen seinen Niederschlag gefunden. Mit der Ausbreitung der »Kommunalen Koordinierung« des Übergangs Schule – Arbeitswelt als wichtiges Element von lokalen Bildungssystemen steht nun auch deren institutionelle Verbindung mit dem »Fokus Migration«, der an vielen Orten von den RAA (mit-) repräsentiert wird, an.

    Nach einer längeren Periode, in der der einzelne Modellfall im Vordergrund stand, wird also erneut das Bildungssystem »als Ganzes« thematisiert, wobei seine zukunftsorientierte Gestaltung auf der lokalen Ebene im Zentrum steht. Die Auseinandersetzung mit der Berufsnot der Jugendlichen führte zur Frage nach der wirksamen Gestaltung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt und diese wiederum zu den Voraussetzungen, die hierfür sowohl im »System Schule« als auch bei den einzelnen Jugendlichen zu legen seien.

    Sozialräumliche Verortung von Bildungsungleichheit

    Die Ausweitung der Perspektive auf die gesamte lokale Bildungslandschaft lässt schließlich zu, nach kommunal handhabbaren Gestaltungsansätzen zu fragen. Diese sollten in der Lage sein, Bildungsungleichheit, die keine »Eigenschaft« bestimmter sozialer oder ethnischer Gruppen ist, sondern als Resultat der Kumulation sozialer Benachteiligungsprozesse gewissermaßen wandert, dauerhaft zu beobachten, zu bearbeiten und auf diese Weise »im Zaum zu halten«. Erforderlich wird die Verknüpfung von bildungsbiografischer Orientierung mit einem »horizontal integrierenden« Ansatz, der die verschiedenen einschlägigen kommunalpolitischen Felder, die bisher meist stark gegeneinander abgeschottet waren, miteinander konkret in Beziehung setzt.

    Vieles spricht nun dafür, dass die gestalterische Umsetzung des wieder gewonnenen systemischen Ansatzes zunächst eher kleinräumig ihre Erprobung finden sollte, auch weil sich Bildungsbenachteiligung sozialräumlich konzentriert und sich über soziale Milieus verfestigt. Solche Sozialräume sind nun in der Vergangenheit keineswegs ungefördert geblieben; im Gegenteil wird dort eine Fülle von Projekten angesiedelt – aber eben typischerweise »Projekte«, die meist dann enden, wenn erste Ansätze von Stabilisierung erreicht sind. Diese »Projektitis« trägt – nahezu im Gegenteil zu dem, was die Förderer beabsichtigen – zu einer Verstärkung von Resignation und zu Reformmüdigkeit bei. Was dem gegenüber fehlt, sind mittelfristig gesicherte Entwicklungskorridore, die Kontinuität im Aufbau von Strukturen, in der Auswertung von Erfahrungen, in der Überwindung der Abgrenzungsrituale der dringend benötigten Partner ermöglichen können.

    Beides, nämlich begründet definierte Kleinräumigkeit und ein mittellanger garantierter zeitlicher Entwicklungs- und Aufbauhorizont, prägen die Idee des Vorhabens »Ein Quadratkilometer Bildung«¹². Schule, die sich zum Stadtteil hin öffnet, steht dabei erneut im Zentrum. Dieses Vorhaben zielt nicht nur auf systematische, lebensweltlich angesiedelte, auf Bildung ausgerichtete Kooperation »vor Ort«, sondern wird auch von der Fördererseite her als Verbund von kommunaler Politik und Stiftungen verstanden und gegenwärtig in Berlin und in Mannheim erprobt. Freilich teilt »Ein Quadratkilometer Bildung« die Gefahr, in der stadtteil- oder milieubezogene Projekte sich immer befinden, nämlich lokalistisch und insulär zu enden. Eine enge Verknüpfung mit einer »Kommunalen Koordinierung«, die um den Benachteiligtenfokus erweitert ist, wird deswegen erforderlich und steht noch aus.

    Perspektiven

    Vor diesem gesamten Hintergrund fand die Idee einer gemeinsamen Förderinitiative zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und einem Verbund von Stiftungen zu »Lernen vor Ort«¹³ bei der Freudenberg Stiftung zunächst ungeteilte Sympathie und Unterstützung. Konnte doch in dem Ansatz, Kommunen und lokale Verantwortungsgemeinschaften für eine die gesamte Bildungslandschaft vor Ort umfassende koordinierende Gestaltung in Anspruch zu nehmen, vieles aus der Werkstatt der Freudenberg Stiftung wieder erkannt werden.

    Erhofft war, dass solide Vorhaben mit einschlägiger Vorgeschichte, die auf lokal erprobter Kooperation und vorgängiger kommunaler Prioritätensetzung aufbauen, eine Chance haben. Freilich würden solche

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